"Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

X Eines Mannes Verlangen

Die Kajüte der Destiny kam Bolitho nach der Enge auf der Brigg Ro-sario unnatürlich groß und leer vor. Ungeachtet dessen, was er durchgemacht hatte, fühlte er sich hellwach und fragte sich selber, woher diese frische Energie kam.

Den ganzen Tag über hatte die Fregatte in Luv der Rosario beigedreht gelegen. Während der Rest von Pallisers Gruppe und die Verwundeten zur Destiny gebracht wurden, hatten andere Boote frische Leute und allerlei Material zur Brigg gepullt, um deren Besatzung beim Aufrichten eines Notmastes und den notwendigsten Ausbesserungsarbeiten zu helfen, damit sie den nächsten Hafen erreichen konnte.

Dumaresq saß am Tisch, vor sich einen unordentlichen Haufen Se e-karten und Papiere, die Palliser von der Rosario mitgebracht hatte. Er war ohne Uniformrock, und wie er so in Hemdsärmeln und mit lose geschlungenem Halstuch dasaß, sah er keineswegs aus wie der Kommandant einer Fregatte.

Er sagte:»Sie haben Ihre Sache gut gemacht, Mr. Palliser. «Er schaute hoch, der Blick seiner weit auseinanderstehenden Augen wanderte zu Bolitho.»Und Sie auch.»

Bolitho dachte an ihr letztes Beisammensein, als er und Palliser von Dumaresq scharf zurechtgewiesen worden waren.

Dumaresq schob die Papiere beiseite und lehnte sich in seinem Sessel zurück.»Zu viele Tote. Und die Heloise auch verloren. «Er wischte den Gedanken weg.»Aber Sie haben die richtige Entscheidung getroffen, Mr. Palliser, und haben sie tapfer ausgeführt. «Er schenkte ihm ein Lächeln.»Ich werde die Leute der Heloise mit der Rosario zurückschicken. Soweit wir erfuhren, scheint ihr Anteil an den Geschehnissen gering gewesen zu sein. Sie waren von der Brigg angeheuert oder sogar gepreßt worden, und als sie erkannten, daß es nicht um eine kurze Fahrt entlang der Küste ging, waren sie schon zu weit draußen auf dem Atlantik. Ihr Kapitän Triscott und seine Maaten sorgten dafür, daß sie in Unwissenheit blieben. Darum werden wir sie alle der Fürsorge der Rosario überlassen. «Er deutete auf seinen Ersten Offizier.»Aber erst, nachdem Sie einige gute Leute, die Sie brauchen, um unsere Verluste zu ersetzen, ausgewählt und verpflichtet haben. Der Dienst des Königs wird eine eindrucksvolle Abwechslung für sie sein.»

Palliser fischte sich mit langem Arm ein Glas Wein vom Tablett des Kommandantenstewards, der sich diskret hinter ihnen bewegte.»Was geschieht mit Egmont, Sir?»

Dumaresq seufzte.»Ich habe befohlen, ihn und seine Frau noch vor Sonnenuntergang an Bord zu bringen. Sie befinden sich unter Aufsicht von Leutnant Colpoys. Ich wollte, daß Egmont bis zum letzten Agenblick drüben bleibt, damit er sieht, was er mit seiner Habgier und Verräterei sowohl der Besatzung der Brigg wie meiner eigenen angetan hat. «Dumaresq sah Bolitho an.»Unser Arzt hat mir bereits von dem Schiff berichtet, das Sie beide in solcher Heimlichkeit aus Rio auslaufen sahen. Egmont war in Sicherheit, so lange er unentdeckt blieb. Aber wer die Rosario kapern ließ, der wollte auch, daß Egmont getötet wurde. Aus den Seekarten der Brigg ist zu schließen, daß ihr Ziel die Insel Saint Christopher war. Egmont war bereit, dem Kapitän jede Summe zu zahlen, damit er ihn hinbrachte, und zwar unverzüglich, ohne unterwegs andere Häfen anzulaufen. «Ein Lächeln überzog langsam sein Gesicht.»Also ist das der Ort, an dem sich Sir Garrick aufhält.»

Er nickte, um seine Behauptung zu bekräftigen.»Die Jagd ist also fast beendet. Mit Egmonts beschworener Aussage — und er hat jetzt keine andere Wahl — werden wir das Piratennest ein für allemal dem Erdboden gleichmachen. «Er bemerkte Bolithos fragenden Blick und fügte hinzu:»Die Karibik hat schon viele märchenhafte Reichtümer entstehen sehen, nämlich die von Piraten, ehrlichen Kaufleuten, Sklavenhändlern und Glücksrittern aller Art. Und wo gäbe es einen geeigneteren Platz, an dem alte Feinde ungestört ihr Süppchen kochen könnten?»

Er wurde wieder sachlich.»Beenden Sie dieses Kommen und Gehen so bald wie möglich, Mr. Palliser. Ich habe der Rosario geraten, nach Rio zurückzusegeln. Ihr Kapitän wird seine Version der Geschichte dem Vizekönig mitteilen können, während es mir nicht möglich ist, ihm meine Version zu erzählen. Er weiß jetzt, daß er den Anschein der Neutralität in Zukunft nicht so einseitig auslegen kann. «Als Palliser und Bolitho aufstanden, sagte er:»Ich fürchte, wir sind durch unser plötzliches Auslaufen mit dem Trinkwasser knapp dran. Mr. Codd konnte zwar Gemüse, Yamwurzeln und Fleisch in Mengen kaufen, aber Wasser müssen wir woanders finden.»

Außerhalb der Kajüte sagte Palliser:»Sie sind vorübergehend vom Dienst befreit, Mr. Bolitho. Auch was junge Menschen aushallen können, hat seine Grenzen. Gehen Sie in Ihre Kammer, und ruhen Sie sich aus, so gut Sie können. «Er sah, daß Bolitho zögerte.»Nun?»

«Ich — ich überlege. Was wird aus Egmont?«Bolitho versuchte, seiner Stimme nichts anmerken zu lassen.»Und aus seiner Frau?»

«Egmont war ein Narr. Durch sein Schweigen unterstützte er Garrick. Garrick versuchte, den Franzosen auf Martinique gegen uns zu helfen, und dadurch wird Egmonts Schweigen noch belastender. Wenn er einen Rest Verstand hat, wird er dem Kommandanten alles sagen, was er weiß. Ohne unser Dazwischentreten wäre er jetzt tot. Auch das wird er sich hoffentlich überlegen.»

Palliser wandte sich zum Gehen, und seinen Bewegungen war wenig von den Strapazen anzumerken, denen auch er ausgesetzt gewesen war. Er trug noch immer sein altes Bordjackett, das jetzt durch einige Blutflecken auf der rechten Schulter dort, wo sein Säbel geruht hatte, zusätzlich gezeichnet war. Bolitho sagte:»Ich möchte Stockdale zur Beförderung vorschlagen,

Sir.»

Palliser kam zurück und zog den Kopf unter einem Decksbalken ein, um Bolitho ins Gesicht zu sehen.»So, das möchten Sie wohl?»

Bolitho holte tief Luft. Das klang wieder nach dem alten sarkastischen Palliser. Doch der sagte:»Da bin ich Ihnen bereits zuvorgekommen. Wirklich, Mr. Bolitho, Sie sollten etwas schneller schalten.»

Bolitho lächelte trotz der Schmerzen in seinen Gliedern und des Durcheinanders in seinem Herzen, das eine Dame namens Aurora mit einem Kuß verursacht hatte. Er begab sich zur Messe, wo Poad ihn wie einen Helden begrüßte.»Nehmen Sie Platz, Sir. Ich hole Ihnen etwas zu essen und zu trinken. «Er trat zurück und sah ihn strahlend an.»Wir sind froh, Sie wiederzusehen, Sir, und das ist die reine Wahrheit.»

Bolitho lehnte sich im Sessel zurück und erlaubte es, daß ihn die Müdigkeit nun übermannte. Über ihm und um ihn herum lief das Bordleben auf vollen Touren, er hörte geschäftig eilende Füße und das Knarren durchgeholter Taljen.

Eine Aufgabe war erledigt, die nächste stand bevor. Matrosen und Seesoldaten waren es gewohnt, Befehle auszuführen und ihre Gedanken für sich zu behalten. Drüben, einige Kabellängen auf dem dunkler werdenden Wasser entfernt, waren auf der Brigg ebenfalls Seeleute eifrig bei der Arbeit. Morgen sollte die Rosario einen sicheren Hafen ansteuern, wo ihre Geschichte von Mund zu Mund gehen würde. Man würde auch über den schweigsamen Engländer und seine schöne junge Frau reden, die so viele Jahre unauffällig unter ihnen gelebt hatten und nach außen hin mit ihrem selbstgewählten Exil zufrieden schienen. Auch von der Fregatte mit ihrem wunderlichen Kommandanten, der nach Rio gekommen war und sich bei Nacht wie ein Meuchelmörder davongeschlichen hatte, würde die Rede gehen.

Bolitho blickte zu den Decksbalken empor und horchte auf die Geräusche des Schiffes und der See, die gegen die Bordwand klatschte. Er fühlte sich vom Schicksal begünstigt, denn er hatte Kampf, Verschwörung und Verrat überlebt, und bald würde auch sie an Bord sein.

Als Poad mit einem Teller Fleisch und einem Krug Madeirawein zurückkam, fand er den Leutnant fest eingeschlafen. Er hatte die Beine weit von sich gestreckt, Kniehose und Strümpfe wiesen Löcher auf und dunkle Flecken, die wie geronnenes Blut aussahen. Die Haare hingen ihm wirr in die Stirn, und die Hand, mit der er am Morgen den Säbel so fest gepackt hatte, war wund.

Im Schlaf wirkte der Dritte Offizier noch jünger, dachte Poad. Jung und — in diesem friedvollen Augenblick — wehrlos.


Bolitho ging ruhelos auf dem Achterdeck auf und ab, wobei er aufgeschossenem Tauwerk und Belegklampen ohne sonderliche Mühe auswich. Es war kurz vor Sonnenuntergang und nun einen vollen Tag her, seit sie sich von der schwer mitgenommenen Rosario getrennt hatten. Jetzt lag sie schon weit achteraus und wirkte mit ihrem mühsam aufgerichteten Notmast erbärmlich und mißgestaltet wie ein Krüppel. Mit diesem ärmlichen Aufgebot an Segeln würde sie einige Tage bis zum nächsten Hafen benötigen.

Bolitho warf einen Blick auf das Skylight der Kajüte und sah den Widerschein des von unten kommenden Lichtes auf dem Besanbaum. Er versuchte, sich den Speiseraum der Kajüte mit Aurora vorzustellen, und wie der Kommandant den Tisch mit seinen beiden Gästen teilte. Wie fühlte sie sich jetzt? Wieviel mochte sie von Anfang an gewußt haben?

Bolitho hatte sie nur kurz gesehen, als sie mit ihrem Mann und einigen Gepäckstücken von der Brigg herübergebracht worden war. Sie hatte bemerkt, daß er von der Laufbrücke aus zusah, und hatte ihm wohl mit ihrer behandschuhten Rechten zuwinken wollen, doch die Geste war in einem kurzen Zucken erstorben: ein Zeichen der Ergebung, ja der Verzweiflung.

Er schaute zu den angebraßten Rahen hinauf. Die obersten Segel standen schon dunkler als die unteren gegen die hellen Schäfchenwolken, die sie den ganzen Tag begleitet hatten. Sie steuerten Nordnordost-Kurs und hielten sich gut frei vom Land, um neugierige Blicke oder einen weiteren Verfolger zu meiden.

Die Deckswache erledigte ihre üblichen Aufgaben, prüfte den Trimm der Rahen und ob stehendes und laufendes Gut richtig durchgesetzt war. Von unten hörte er das klägliche Kratzen der Fidel des

Shantyvorsängers und die Stimmen der Männer, die auf ihr Abendessen warteten.

Bolitho hielt in seinem ruhelosen Spaziergang inne und griff in die Hängemattsnetze, um sich gegen die Schlinger- und Stampfbewegungen des Schiffes zu wappnen. An Backbord war die See schon viel schwärzer, und die Dünung, die von schräg achtern anrollte, sie hob und dann unter ihrem Kiel weiterlief, lag schon im Halbdunkel.

Er blickte das Oberdeck entlang, auf die in regelmäßigen Abständen festgezurrten Kanonen hinter ihren geschlossenen Stückpforten, durch die schwarzen Wanten und das sonstige Tauwerk bis hin zur bleichen Schulter ihrer Galionsfigur. Er zitterte, als er sich vorstellte, daß es Aurora sei, die so in die Ferne griff; aber nach ihm und nicht nach dem Horizont.

Irgendwo lachte jemand, und er hörte Midshipman Lovelace einen Mann der Wache anfahren, der alt genug war, um sein Vater zu sein. Weil Lovelace eine sehr hohe Stimme hatte, klang es besonders komisch. Lovelace hatte von Palliser Strafdienst zudiktiert bekommen, weil er während der Hundewachen allerlei Unsinn angestellt hatte, statt sich mit seinen navigatorischen Aufgaben zu beschäftigen.

Bolitho erinnerte sich an seine eigenen frühen Versuche, all das zu lernen, was der Steuermann ihm in mühsamen Lektionen eingetrichtert hatte. Das lag nun alles weit zurück: die Dunkelheit im muffigen Orlopdeck und der Versuch, die Zahlen und Berechnungen beim flak-kernden Licht eines Kerzenstummels, der in einer alten Austernschale stand, zu lesen.

Und doch war seitdem erst wenig Zeit vergangen. Er warf einen Blick auf die vibrierende Leinwand, und dabei wurde ihm wieder einmal bewußt, wie schnell er diesen großen Schritt getan hatte. Wie lange war es her, daß er noch fast vor Angst erstarrt war, weil man ihm das erstemal die Wache anvertraut hatte? Jetzt fühlte er sich völlig sicher, aber er wußte auch, wann es an der Zeit war, den Kommandanten zu rufen. Aber niemanden sonst. Er konnte sich nicht mehr einem Wachführer oder treuen Steuermannsmaaten zuwenden und ihn um Rat oder Hilfe bitten. Diese Zeiten waren vorüber, es sei denn, er machte etwas fürchterlich falsch. Das würde ihn aber all den Respekt kosten, den er seither errungen hatte.

Bolitho fuhr fort, seine Gefühle einer genaueren Prüfung zu unterziehen. Er hatte Angst gehabt, als er glaubte, eingeklemmt unter Deck mit der Heloise untergehen zu müssen. Noch nie war er so kurz vor dem Verzweifeln gewesen. Und doch hatte er auch schon davor Kämpfe mitgemacht, sogar viele Male; bereits als zwölfjähriger Kadett hatte er auf seinem ersten Schiff die Zähne zusammenbeißen müssen, als der Donner einer vollen Breitseite der Manxman über das Wasser rollte.

In seiner Koje, nur durch die dünne Tür seiner Kammer von der übrigen Welt getrennt, hatte er über seine Angst nachgedacht und sich gefragt, wie seine Kameraden ihn wohl sahen und beurteilten.

Sie selber schienen sich kaum über den Augenblick hinaus Gedanken zu machen: Colpoys wirkte hochmütig und gelangwe ilt, Palliser unerschütterlich und immer auf dem Sprung, Rhodes recht sorglos. Aber vielleicht hatte Bolithos Erlebnisse auf der Heloise und dann auf der Brigg doch einen stärkeren Eindruck auf ihn gemacht, als er geglaubt hatte. Er hatte mehrere Menschen getötet oder verwundet und mit angesehen, wie andere ihre Feinde mit offensichtlicher Wollust niedergehauen hatten. Ob er sich jemals daran würde gewöhnen können? An den Geruch des fremden Atems dicht vor dem eigenen, an die Ausstrahlung seiner Körperwärme, wenn er versuchte, einen im Nahkampf zu überlisten. An seine Freude, wenn er glaubte, daß man fiel, und an sein Entsetzen, wenn die eigene Klinge in sein Fleisch und auf sein Knochengerüst stieß…

Einer der beiden Rudergänger meldete:»Kurs Nordnordost liegt an,

Sir.»

Als Bolitho sich umdrehte, sah er die untersetzte Gestalt des Kommandanten aus dem Niedergang auftauchen.

Dumaresq war ein schwergewichtiger Mann, aber er bewegte sich so geschmeidig wie eine Katze.

«Alles ruhig, Mr. Bolitho?»

«Aye, Sir. «Er roch nach Brandy, und Bolitho schloß daraus, daß der Kommandant gerade seine Abendmahlzeit beendet hatte.

«Ein tüchtiges Stück haben wir da vor uns. «Dumaresq wippte auf seinen Fersen und sah hoch, um den Stand der Segel und die ersten blassen Sterne zu beobachten. Er wechselte das Thema.»Haben Sie sich von Ihrer kleinen Schlacht erholt?»

Bolitho kam sich entblößt vor. Es war, als hätte Dumaresq seine geheimsten Gedanken erraten.»Ich glaube schon, Sir.»

Dumaresq blieb beharrlich dabei.»Haben Sie Angst gehabt?»

«Zeitweise. «Er nickte in Erinnerung an das Gewicht der Trümmer auf seinem Rücken und an das Gurgeln des steigenden Wassers.

«Gutes Zeichen. «Dumaresq nickte.»Werden Sie nie zu hart — wie schlechter Stahl. Sonst würden Sie eines Tages brechen.»

Bolitho fragte vorsichtig:»Nehmen wir die Passagiere die ganze Strecke mit, Sir?»

«Zumindest bis nach Saint Christopher. Dort werde ich die Hilfe des Gouverneurs in Anspruch nehmen, um eine Nachricht an unseren Befehlshaber dort oder auf Antigua zu schicken.»

«Und der Schatz, Sir? Besteht noch Aussicht, ihn wiederzufinden?»

«Einige Aussicht, ja. Aber ich vermute, daß wir ihn auf ganz andere Weise entdecken, als ursprünglich vorgesehen. Der Geruch von Aufruhr hängt in der Luft. Er schmort seit dem Ende des Krieges und breitet sich immer weiter aus. Früher oder später werden unsere alten Feinde wieder zuschlagen. «Dumaresq wandte sich um und sah Bo-litho an, als ringe er um einen Entschluß.»Als wir noch in Plymouth waren, habe ich von den jüngsten Erfolgen Ihres Bruders gelesen. Er stellte und tötete einen Rebell, der nach Amerika fliehen wollte, einen Mann von hohem Ansehen, der sich aber als ebenso verderbt erwies wie der gemeinste Verräter.«[11]

Bolitho erwiderte ruhig:»Aye, Sir. Ich war dabei.»

«Tatsächlich?«Dumaresq kicherte in sich hinein.»Davon war in der Gazette aber nichts erwähnt. Ihr Bruder wollte wohl den ganzen Ruhm für sich allein?»

Er wandte sich ab, bevor Bolitho fragen konnte, was für eine Verbindung — wenn überhaupt — es gab zwischen ihrem Scharmützel im englischen Kanal und dem mysteriösen Piers Garrick.

Dumaresq verkündete:»Ich werde jetzt mit Mr. Egmont Karten spielen. Der Doktor hat ihn als seinen Partner akzeptiert, und ich werde unseren tapferen Mr. Colpoys als meinen wählen. «Er schüttelte sich vor Lachen.»Wir könnten ja eine von Egmonts Geldkassetten leeren, bevor wir vor Basseterre ankern.»

Bolitho seufzte und ging langsam an die Querreling. In einer halben Stunde war Wachwechsel: ein paar Worte mit Rhodes und dann hinunter in die Messe.

Er hörte Yeames, den Steuermannsmaat der Wache, ungewöhnlich höflich murmeln:»Hallo, guten Abend, meine Damen!»

Bolitho fuhr herum, und sein Herz begann zu pochen, als er Aurora vorsichtig und bei ihrer Zofe eingehakt an die Leereling des Achterdecks treten sah.

Er bemerkte, daß sie zögerte, und wußte nicht, was er tun sollte.

«Lassen Sie mich Ihnen helfen«, sagte er schließlich, überquerte das Deck und ergriff ihre ausgestreckte Hand. Durch den Handschuh fühlte er die Wärme ihrer Finger, das zarte Gelenk.

«Kommen Sie auf die Luvseite, Madam. Da spritzt es nicht so, und der Ausblick ist besser.»

Sie leistete keinen Widerstand, als er sie das schräge Deck hinauf zur anderen Seite geleitete. Dann zog er sein Taschentuch und wickelte es um das Hängemattsnetz. So gelassen wie möglich erklärte er ihr, daß dies zum Schutz ihres Handschuhs vor Teer und anderen Verunreinigungen geschehe.

Sie stand nahe an den Netzen und blickte über das dunkle Wasser in die Ferne. Bolitho roch ihr Parfüm und spürte ihre verwirrende Nähe.

Schließlich sagte sie:»Eine lange Reise bis zur Insel Saint Christopher, nicht wahr?«Sie wandte sich um und schaute ihn an, aber ihre Augen lagen im Dunkeln.

«Wir werden über zwei Wochen brauchen, meint Mr. Gulliver, Madam. Es sind gut dreitausend Meilen.»

Er sah ihre Zähne in der Dunkelheit leuchten, wußte aber nicht, ob das Lächeln Bestürzung oder Ungeduld mit einschloß.

«Über dreitausend Meilen, Leutnant?«Dann nickte sie.»Ich verstehe.»

Durch das offene Skylight hörte Bolitho Dumaresqs kehliges Lachen und Colpoys Erwiderung. Sie waren zweifellos beim Kartenausteilen. Auch Aurora hatte es gehört und sagte schnell zu ihrer Zofe:»Du kannst uns verlassen. Das war ein schwerer Tag für dich.»

Sie folgte dem Mädchen mit den Blicken, als es sich zum Niedergang tastete, und fügte für Bolitho hinzu:»Sie war ihr Leben lang nur auf festem Boden. Das Schiff muß ihr sehr fremd sein.»

Bolitho fragte:»Was haben Sie vor? Wo werden Sie nach allem, was geschah, Sicherheit finden?»

Sie neigte den Kopf, als Dumaresq wieder laut lachte.»Das hängt von ihm ab. «Sie sah an Bolitho vorbei, und ihre Augen schimmerten wie die Gischt, als sie fragte:»Ist es Ihnen denn so wichtig?»

«Das wissen Sie doch. Ich mache mir schreckliche Sorgen.»

«Wirklich?«Mit der freien Hand ergriff sie seinen Arm.»Sie sind ein lieber Junge. «Als sie fühlte, daß er erstarrte, setzte sie sanft hinzu:»Ich bitte um Entschuldigung. Sie sind kein Junge, sondern ein Mann, das haben Ihre Taten bewiesen, als ich dachte, daß ich sterben müßte.»

Bolitho lächelte.»Ich bin es, der um Entschuldigung bitten muß. Weil ich so gern möchte, daß Sie mich mögen, benehme ich mich wie ein Narr.»

Sie drehte sich um und trat näher, um ihn anzuschauen.»Sie meinen es ehrlich, das weiß ich.»

«Wären Sie nur in Rio geblieben!«Bolitho marterte sich das Hirn, wie er ihr helfen könnte.»Mr. Egmont hätte Ihr Leben nicht aufs Spiel setzen dürfen.»

Sie schüttelte den Kopf, und die Bewegung ihrer tanzenden Haare stach Bolitho wie ein Dolch ins Herz.

«Er war immer gut zu mir. Ohne ihn wäre ich schon vor langer Zeit verloren gewesen. Ich habe spanisches Blut. Als meine Eltern starben, wollte man mich einem portugiesischen Händler als Ehefrau verkaufen. «Sie schüttelte sich.»Ich war erst dreizehn. Und er war ein fettes Schwein.»

Bolitho fühlte sich seltsamerweise enttäuscht.»Haben Sie Mr. Eg-mont denn nicht aus Liebe geheiratet?»

«Aus Liebe?«Sie schüttelte den Kopf.»Ich finde Männer nicht sehr anziehend, müssen Sie wissen. Darum war ich mit allem, was er für mich arrangierte, einverstanden. Ich glaube, er braucht mich ebenso als Dekoration wie seine anderen schönen Besitztümer. «Sie öffnete den Schal, den sie an Deck trug.»Wie diesen Vogel, verstehen Sie?»

Bolitho sah den zweiköpfigen Vogel mit den rubinbesetzten Schwanzfedern, den sie bei dem Fest in Rio getragen hatte.

Leidenschaftlich und unvermittelt stieß er hervor:»Ich liebe Sie!»

Sie versuchte zu lachen, aber es gelang ihr nicht. Stattdessen seufzte sie:»Ich habe den Verdacht, daß Sie sogar noch weniger über die

Liebe wissen als ich. «Sie hob die Hand und strich über sein Gesicht.»Aber Sie meinen es ernst. Tut mir leid, wenn ich Sie verletzt habe.»

Bolitho ergriff ihre Hand und preßte sie fest an seine Wange. Sie hatte ihn nicht verlacht ode r wegen seines plumpen Geständnisses verhöhnt. Er sagte:»Man wird Sie bald in Frieden lassen.»

Wieder seufzte sie.»Damit Sie als wackerer Ritter auf Ihrem Schlachtroß kommen und mich retten können? Solche Dinge träumte ich als Kind. Aber nun denke ich als Frau. «Sie zog seine Hand hinab und drückte sie gegen ihre Brust, sodaß ihm die Wärme des edelsteinbesetzten Vogels vorkam wie ein Stück von ihr selbst.»Fühlen Sie etwas?«Sie beobachtete ihn gespannt. Er spürte den heftigen Schlag ihres Herzens, der dem seinen gleichkam, fühlte ihre weiche Haut und die feste Wölbung ihrer Brust.

«Ich bin kein Kind mehr. «Sie wollte sich abwenden, doch als er sie festhielt, sagte sie:»Was soll daraus werden? Wir sind nicht allein auf der Welt. Wenn mein Mann argwöhnt, daß ich ihn betrüge, wird er sich weigern, Ihrem Kommandanten zu helfen. «Sie legte die Fingerspitzen auf seine Lippen.»Hören Sie mir gut zu, Richard. Wissen Sie, was das bedeutet? Mein Mann würde in ein englisches Gefängnis geworfen und abgeurteilt, wenn nicht gar hingerichtet. Ich als seine Frau würde vielleicht ebenfalls eingesperrt oder mittellos mir selber überlassen, um auf einen weiteren portugiesischen Händler oder auf Schlimmeres zu warten. «Sie zögerte, bis er sie losließ, und flüsterte dann:»Aber glauben Sie nicht, ich wollte oder könnte Sie nicht lieben!»

Stimmen waren an Deck zu hören, ein Bootsmannsmaat verlas die Namen der neuen Wache, die gleich nach achtern kommen und Bo-lithos Leute ablösen würde.

In diesen wenigen Sekunden haßte Bolitho seinen Dienst aus vollem Herzen. Er stieß hervor:»Ich muß Sie wiedersehen!»

Sie ging schon zur anderen Seite, ihre schlanke Gestalt hob sich wie ein Geist von dem dunklen Wasser ab.

«Dreitausend Meilen sagten Sie, Leutnant? Das ist eine sehr lange Fahrt. Jeder Tag wird eine Qual werden. «Sie zögerte und schaute zu ihm zurück.»Für uns beide.»

Rhodes kam den Niedergang herauf und trat beiseite, um Mrs. Eg-mont vorbeizulassen. Er nickte Bolitho zu und sagte:»Eine wirkliche

Schönheit. «Er bemerkte Bolithos Stimmung und ahnte, daß es eine scharfe Erwiderung geben würde, wenn er weitere Bemerkungen über sie machte. Entschuldigend sagte er:»Das war blöd von mir.»

Bolitho zog ihn zur Seite, ungeachtet der Wache, die an der Achterdecksreling antrat.

«Ich bin verzweifelt, Stephen, und kann es sonst niemandem sagen. Es macht mich noch verrückt.»

Rhodes war von Bolithos Offenheit und der Tatsache, daß er sein Geheimnis mit ihm teilte, tief bewegt.

Er sagte:»Wir werden uns etwas ausdenken. «Das klang angesichts der Verzweiflung seines Freundes so wenig überzeugend, daß er hinzufügte:»Bevor wir Saint Christopher erreichen, kann eine Menge passieren.»

Der Steuermannsmaat tippte an seinen Hut:»Wache hat gewechselt,

Sir.»

Bolitho ging zum Niedergang. Auf der ersten Stufe hielt er an. Au-roras Parfüm hing noch in der Luft. Oder haftete es an seinem Uniformrock? Laut sagte er vor sich hin:»Was kann ich bloß tun?»

Doch die einzige Antwort kam von der See und dem Rumpeln des Ruders unter Dumaresqs Kajüte.

Die erste Woche Fahrt verging recht schnell mit einigen heftigen Böen, welche die Männer in Bewegung hielten und die brennende Hitze vertrieben.

Es ging hinauf zum Kap Branco und dann mit Kurs Nordwest zu den Westindischen Inseln. Längere Perioden leichter Winde wechselten mit Flauten, in denen die Boote ausgesetzt wurden und das anstrengende Pullen des Schiffes begann.

Trinkwasser wurde immer knapper, und da keine Aussicht auf Regen oder baldige Landberührung bestand, wurde es rationiert. Nach einer weiteren Woche wurden die Rationen sogar auf einen knappen Liter pro Mann und Tag verringert.

Während seiner Tageswachen unter der brennenden Sonne sah Bo-litho sehr wenig von Egmonts Frau. Er sagte sich, daß dies nur zu ihrem und auch seinem Besten sei. Es gab ohnedies Aufregungen genug: Ausbrüche von Ungehorsam, die von den Maaten mit Faustschlägen und Tritten oder dem Gebrauch des Tauendes unterdrückt wurden. Aber Dumaresq verzichtete auf Auspeitschungen, und Bolitho fragte sich nach dem Grund: War er nur darauf aus, möglichst Frieden zu wahren, oder geschah es der Passagiere wegen?

Auch Bulkley zeigte sich besorgt: Drei Mann waren mit Skorbut zusammengebrochen. Trotz seiner Vorsorge und der täglichen Ausgabe von Fruchtsaft hatte er es nicht verhindern können.

Einmal, als sich Bolitho im Schatten des großen Besansegels aufhielt, hatte er Dumaresqs Stimme durch das Skylight der Kajüte gehört. Er wies Bulkleys dringende Bitte zurück und beschuldigte ihn, keine besseren Vorsichtsmaßnahmen für seine kranken Matrosen getroffen zu haben.

Bulkley hatte offensichtlich die Seekarte studiert, denn er protestierte:»Warum laufen wir nicht Barbados an, Sir? Wir könnten draußen vor Bridgetown ankern und dafür sorgen, daß uns Trinkwasser gebracht wird. Was wir jetzt noch haben, ist voll ekligem Getier, und wenn Sie darauf bestehen, so weiterzusegeln, kann ich die Verantwortung für die Gesundheit der Männer nicht länger tragen.»

«Verflucht noch mal, Sir! Ich werde Ihnen sagen, wer hier Verantwortung trägt: ich! Und ich werde nicht nach Barbados segeln und vor aller Welt ausposaunen, was wir vorhaben. Halten Sie sich an Ihre Aufgabe, ich halte mich an meine!»

Damit war die Unterredung beendet.

Siebzehn Tage, nachdem sie sich von der Rosario getrennt hatten, fand der Wind sie wieder. Unter vollen Segeln — sogar die Leesegel wurden ausgebracht — kam die Destiny wieder so in Fahrt, wie es sich für das Vollschiff, das sie war, gehörte.

Aber vielleicht war es schon zu spät, um eine Explosion an Bord zu verhindern. Slade, der Steuermannsmaat, der immer noch spürte, daß Palliser ihn verachtete, und wußte, daß der Erste Offizier ihm bei jeder Aussicht auf Beförderung im Wege stehen, wenn nicht gar sie zunichte machen würde, beschimpfte Midshipman Merrett, weil er die Mittagsposition des Schiffes falsch berechnet hatte. Merrett hatte seine anfängliche Ängstlichkeit überwunden, aber er war erst zwölf Jahre alt; vor allen Leuten, die beiden Rudergänger eingeschlossen, derart heruntergeputzt zu werden, war zu viel für ihn. Er brach in Tränen aus.

Rhodes war wachhabender Offizier und hätte eingreifen können. Statt dessen blieb er auf der Luvseite des Achterdecks, den Hut gegen die Sonne schief auf dem Kopf und taub gegen Merretts Ausbruch. Bolitho beaufsichtigte unten am Großmast seine Toppsgasten, die einen neuen Block an der Obermarsrah einschoren. Er hörte das meiste mit an.

Stockdale neben ihm murmelte:»Es ist wie in einem überfüllten Wagen, Sir. Irgendwas muß passieren.»

Merrett ließ den Hut fallen und wischte sich die Augen mit dem Handrücken. Ein Matrose hob den Hut auf und gab ihn zurück, wobei er Slade einen wütenden Blick zuwarf.

Slade schrie ihn an:»Wie können Sie es wagen, sich in eine Angelegenheit zwischen Vorgesetzten einzumischen?»

Der Matrose, ein Mann der Wache auf dem Achterdeck, erwiderte heftig:»Ve rdammt, Mr. Slade, er tut sein Bestes. Es ist schon schlimm genug für die Älteren von uns, erst recht für ihn.»

Slade lief dunkelrot an und brüllte:»Wachtmeister! Nehmen Sie den Mann fest!«Er wandte sich an das gesamte Achterdeck:»Ich will ihn auf der Strafgräting sehen!»

Poynter und der Schiffskorporal ergriffen den beschuldigten Matrosen. Dieser zeigte keine Spur von Angst.»Wie bei Murray, wie? Ein guter und loyaler Kamerad, den wolltet ihr ebenfalls auspeitschen!»

Bolitho hörte ein Gemurmel der Zustimmung.

Rhodes raffte sich endlich aus seiner Teilnahmslosigkeit auf und rief:»Ruhe da! Was ist denn los?»

Slade sagte:»Dieser Mann forderte mich heraus und beschimpfte mich. «Gefährlich ruhig schaute er den Matrosen an, als wolle er ihn totschlagen.

Rhodes sagte unsicher:»In dem Fall.»

«In dem Fall, Mr. Rhodes, lassen Sie den Mann in Eisen legen. Ich dulde keine Unbotmäßigkeiten auf meinem Schiff.»

Dumaresq war wie durch Zauberei erschienen.

Slade schluckte und sagte:»Dieser Mann hat sich eingemischt, Sir.»

«Ich habe Sie gehört!«Dumaresq verschränkte die Hände auf dem Rücken.»Wie das ganze Schiff, möchte ich annehmen. «Er warf einen Blick auf Merret und fuhr ihn an:»Hör auf zu flennen, Junge!»

Der Midshipman hörte wie eine angehaltene Uhr auf und sah sich entgeistert um.

Dumaresq faßte den Matrosen ins Auge und sagte:»Das war eine kostspielige Geste, Adams. Ein Dutzend gibt's dafür!»

Bolitho wußte, daß Dumaresq nicht anders handeln konnte, um die Autorität seiner Unterführer zu stützen; aber ob zu Recht oder zu Unrecht: zwölf Schläge waren die Mindeststrafe. Ein kleines Kopfweh, würden die älteren Seeleute dazu sagen.

Aber eine Stunde später, als die Peitsche sich hob und mit schrecklicher Gewalt auf den nackten Rücken des Matrosen niederklatschte, erkannte Bolitho, wie schwach ihre Position gegenüber der Schiffsbesatzung war.

Die Gräting war weggestaut, der Mann namens Adams stöhnend vor Schmerzen nach unten getragen, wo er mit einem Guß Salzwasser und einer großen Portion Rum wieder auf die Beine gebracht wurde. Die Blutflecken an Deck waren weggewaschen, und allem Anschein nach lief alles wieder wie zuvor.

Bolitho hatte Rhodes als Wachhabenden abgelöst und hörte Duma-resq zum Steuermannsmaaten sagen:»Der Disziplin ist Genüge getan, in unser aller Interesse. «Er sah Slade mit durchdringendem Blick an.»Zu Ihrem eigenen Besten rate ich Ihnen aber, mir möglichst aus dem Weg zu gehen.»

Bolitho wandte sich ab, damit Slade nicht sehen konnte, daß er die Szene beobachtet hatte. Aber er hatte Slades Gesicht bemerkt. Sein Ausdruck war der eines Mannes, der eine Begnadigung erwartet hatte und nun feststellte, daß seine Arme vom Henker gebunden wurden.

Die ganze Nacht dachte Bolitho an Aurora. Es war unmöglich, sich ihr zu nähern. Dumaresq hatte ihr den hinteren Teil der Kajüte überlassen, während Egmont sich mit einer Notkoje im vorderen Teil, dem Eßraum, begnügen mußte. Dumaresq selber schlief im Kartenraum nebenan. Und dann gab es noch den Steward und den Posten Kajüte, die jedem ungebetenen Besucher den Eintritt verwehren konnten.

Als Bolitho nackt und trotzdem schweißtriefend in der stickigen Luft auf seiner Koje lag, malte er sich aus, wie er Auroras Kajüte betreten und sie in seine Arme schließen würde. Er stöhnte vor Qual und versuchte, seinen Durst zu vergessen, obwohl sein Mund völlig ausgedörrt war. Das Trinkwasser war faulig und knapp. Aber statt dessen Wein zu trinken hieß, eine Katastrophe heraufbeschwören.

Er hörte unsichere Schritte in der Messe und dann ein leichtes Klopfen an seiner Tür.

Bolitho rollte sich von der Koje, hielt sich sein Hemd vor und fragte:»Wer ist da?»

Es war Spillane, der neue Schreiber des Kommandanten. Trotz der späten Stunde sah er sauber und adrett aus; sogar sein Hemd schien frisch gewaschen zu sein.

Spillane sagte höflich:»Ich habe eine Botschaft für Sie, Sir. «Er musterte Bolithos wirres Haar und seine halbe Nacktheit, bevor er fortfuhr:»Von der Dame.»

Bolitho warf einen schnellen Blick in die Messe. Nur das regelmäßige Knarren von Holz und das gelegentliche Schlagen der Segel oben durchbrach die Stille.

Er flüsterte:»Geben Sie her!»

Spillane antwortete:»Nur mündlich, Sir. Sie hat nichts aufgeschrieben.»

Bolitho schaute starr vor sich hin. Spillane war nun ein Mitwisser, ob ihm das paßte oder nicht.»Also?»

Spillane senkte die Stimme noch mehr.»Sie übernehmen doch die Morgenwache um vier Uhr, Sir.»

«Aye.»

«Die Dame wird versuchen, an Deck zu kommen. Um frische Luft zu schnappen, falls jemand nach dem Grund fragen sollte.«»Ist das alles?»

«Alles, Sir. «Spillane beobachtete ihn im trüben Licht einer mit einer kleinen Flamme brennenden Laterne.»Hatten Sie mehr erwartet?»

Bolitho sah ihn prüfend an. War die letzte Bemerkung ein Zeichen plumper Vertraulichkeit? Aber vielleicht war Spillane auch nur nervös und wollte seinen Auftrag schnell hinter sich bringen.

Er sagte:»Nein. Vielen Dank für die Nachricht.»

Danach stand er noch lange vor seiner Koje, wobei er die Schiffsbewegungen ausbalancierte und über das nachdachte, was Spillane gesagt hatte.

Später saß er in der Messe, ließ das Hemd unschlüssig von einem Finger baumeln und starrte in die Dunkelheit.

Ein Bootsmannsmaat fand ihn so und flüsterte:»Also brauche ich Sie nicht erst zu wecken, Sir. Die Wache wird gerade gemustert. Es weht eine frische Brise, aber der nächste Tag wird wieder heiß, nehme ich an.»

Er trat zurück, als Bolitho seine Kniehose anzog und nach einem neuen Hemd suchte. Der Leutnant war offenbar noch halb im Schlaf, entschied der Maat. Es war doch glatte Verschwendung, wenn jemand saubere Wäsche für die Morgenwache anzog. Sie würde bis sechs Glasen[12] zum Auswringen naß sein.

Bolitho folgte dem Mann an Deck und löste Midshipman Henderson mit der geringstmöglichen Verzögerung ab. Henderson stand als nächster zur Offiziersprüfung an. Palliser hatte ihm erstmals erlaubt, die Mittelwache allein zu gehen.

Der Midshipman rannte fast unter Deck; Bolitho konnte sich gut an seine Stelle versetzen und wußte, mit welcher Genugtuung er sich jetzt in seine Hängematte im Orlopdeck schwingen würde.

Seine erste Wache allein lag hinter ihm. Es wäre fast schiefgegangen, weil er drauf und dran gewesen war, Palliser oder den Master zu wecken.

Dann das Triumphgefühl, als Bolitho erschien und er begriff, daß die Wache ohne Zwischenfall vorüber war.

Bolithos Leute ließen sich im Dunkeln an Deck nieder; nachdem er Kompaß und Segelstand überprüft hatte, schlenderte er zum Niedergang.

Midshipman Jury ging auf die Luvseite und fragte sich, wann er wohl die Chance für eine selbständige Wache bekäme. Er wandte sich um und sah Bolitho weiter nach achtern zum Besanmast gehen — und dann den Schimmer einer zweiten Gestalt, die lautlos heranglitt.

Er hörte die Rudergänger miteinander flüstern und bemerkte, daß der Bootsmannsmaat der Wache sich diskret auf die Luv-Laufbrücke begeben hatte.

«Achtung auf das Ruder!«Jury sah, daß die Matrosen an dem großen Doppelrad sich strafften. Die beiden Gestalten hinter ihnen schienen zu einer einzigen verschmolzen zu sein.

Jury schlenderte zur Querreling und packte sie mit beiden Händen. Allem Anschein nach ging er jetzt doch seine erste Wache allein, dachte er glücklich.