"Der Stolz der Flotte: Flaggkapitän Bolitho vor der Barbareskenküste" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

XII Das Kastell

«Wachen Sie auf, Captain!»

Bolitho öffnete die Augen. Er mußte an seinem Schreibtisch eingeschlafen sein. Da stand Allday und sah auf ihn hinunter; die einzige Deckenlaterne warf einen gelblichen Schein auf sein Gesicht. Beide Kerzen auf dem Schreibtisch waren ausgebrannt, seine Kehle war trocken und rauchig. Allday stellte einen Zinnbecher auf den Tisch und goß schwarzen Kaffee hinein.

«Die Sonne wird bald aufgehen, Captain.»

«Danke.»

Bolitho nippte an dem glühendheißen Kaffee und wartete, bis sein Hirn die letzten Fesseln des Schlafes abgeschüttelt hatte. In der Nacht war er mehrmals an Deck gewesen, um noch vor Tagesanbruch die letzten Einzelheiten zu überprüfen, den Wind zu studieren, Kurs und Geschwindigkeit des Geschwaders abzuschätzen. Beim nochmaligen Durcharbeiten von Draffens Notizen war er in tiefen Schlaf gesunken, aber der Schlummer in der stickigen Kajüte hatte ihn keineswegs erfrischt.

Ärgerlich über sich selbst stand er auf. Alles hing vom Ausgang dieses Tages ab. Nichts war dadurch gewonnen, daß er in dieser frühen Phase schon Vermutungen anstellte.

«Rasch noch rasieren, Allday!«Er goß den Kaffee hinunter.»Und noch etwas Kaffee!»

Aus der Kajüte unter ihm hörte er ein Geräusch: Broughtons Steward war im Begriff, seinen Herrn zu wecken. Ob der wohl geschlafen hatte? Oder hatte er wach in seiner Koje gelegen und sich über den bevorstehenden Kampf und seine möglichen Konsequenzen den Kopf zerbrochen?

«Wind kommt stetig aus Nordwest, Captain. «Geschäftig legte All-day Rasiermesser und Handtuch zurecht, Bolitho warf sein Hemd auf die Sitzbank und ließ sich dann wieder in den Sessel fallen.

«Mr. Keverne hat schon vor einer Stunde gt;Alle Mannlt; pfeifen lassen.»

Bolitho entspannte sich etwas, während das Rasiermesser über sein Kinn schabte. Die Bootsmannspfeifen hatten die mehreren hundert Mann Besatzung an Deck geholt, und er hatte keinen Ton davon gehört. Während er im Erschöpfungsschlaf über dem Tisch lag, hatten sie gegessen und dann trotz der Dunkelheit angefangen, die Decks zu klarieren. Denn ganz gleich, was kam, es hatte keinen Sinn, ihnen Zeit zum Nachdenken zu lassen. Wenn der Kampf begann, mußte ihr Schiff in Ordnung sein. Das Schiff bestimmte ja nicht nur ihr Leben, es war auch ihre Heimat, ihr Zuhause. Alles war ihnen bekannt und gewohnt: die Segel, das Klatschen des Wassers gegen den Schiffsrumpf, die Gesichter an der Back beim Essen, die gleichen Gesichter, die bald durch offene Stückpforten spähen würden.

Während Allday ihn, rasch und geschickt wie immer, fertig rasierte, überdachte er noch einmal die hektischen Vorbereitungen des letzten Tages. Die Marine-Infanterie des ganzen Geschwaders war in zwei gleichstarke Divisionen geteilt worden. Die eine Hälfte war auf Rattrays Zeus, das Führungsschiff, gekommen, die andere auf die Valorous, das letzte Schiff der Formation. Auch alle großen Kutter des Geschwaders waren auf diese beiden Schiffe verteilt worden; und Bolitho konnte sich vorstellen, was sie mit so vielen zusätzlichen Leuten an Bord für eine unruhige Nacht gehabt hatten.

Er stand auf, wischte sich das Gesicht ab und sah dabei durchs Heckfenster. Aber draußen war es noch zu finster; man erkannte nur ein bißchen Schaum am Ruder. Die Schiffe liefen fast genau mit Ostkurs, und die Küste lag etwas über fünf Meilen an Steuerbord voraus. Broughton hatte recht daran getan, den Kurs beizubehalten, bei dem der Wind sehr bequem über das Achterdeck kam, und nicht zu versuchen, jetzt schon die endgültige Formation für den Angriff auf die Küste herzustellen. Denn dabei hätten die Schiffe leicht auseinandergeraten können, wogegen sie jetzt, bei dem günstigen Wind und den üblichen, leicht abgeblendeten Hecklichtern, ohne weiteres in zwei Reihen heransegeln konnten, sobald der Admiral das entsprechende Signal gab.

In der dicken Fensterscheibe sah er sein Spiegelbild, und dahinter, wie einen zweiten Schatten, Allday. Sein Hemd war noch offen, und er sah das Medaillon an seinem Halse im Takt der Schiffsbewegung leicht hin und her schwingen, und auch die dunkle Locke, die ihm rebellisch übers Auge hing. Unwillkürlich faßte er hin und berührte die tiefe Narbe unter dem Haar vorsichtig mit der Fingerspitze. Es war eine ganz automatische Bewegung, und doch dachte er jedesmal, er würde dort Hitze fühlen oder Schmerz wie damals, als er niedergehauen und für tot liegengelassen worden war.

Allday, hinter ihm, lächelte erleichtert. Diese wohlbekannte Bewegung, die offensichtliche Überraschung Bolithos, jedesmal wenn er die Narbe berührte, hatte immer etwas Beruhigendes. Er wartete noch, bis Bolitho das Halstuch locker geschlungen hatte, dann brachte er Uniformrock und Degen.

«Sind Sie bereit, Captain?»

Einen Arm im Rock hielt Bolitho inne und musterte ihn. Seine grauen Augen waren wieder völlig unbewegt.

«Bereit bin ich immer«, entgegnete er lächelnd.»Ich hoffe, Gott ist uns heute gnädig.»

Allday grinste und blies die Laterne aus.»Amen darauf, kann ich nur sagen.»

Beide gingen zusammen in die kühle Dunkelheit hinaus.

«An Deck: Land voraus!«Überlaut klang die Stimme des Ausgucks durch die klare Luft.»Einen Strich an Steuerbord!»

Bolitho hielt in seinem Auf- und Abgehen inne und spähte durch die schwarzen Linien des Riggs. Hinter dem langsam kreisenden Bugspriet und dem flappenden Klüver breitete sich der erste Schimmer der Morgenröte über die Kimm. Dort, ein bißchen nach Steuerbord, hob sich etwas ab, das wie eine lange, schmale, scharfkonturierte Wolke aussah; doch es war, wie er wußte, der Kamm eines fernen Berges, der, von der noch unsichtbaren Sonne gerötet, sichtbar wurde.

Er zog seine Uhr und hielt sie dicht ans Auge. Es wurde bereits heller, und wenn alles gutgegangen war, würde die Valorous jetzt beidrehen, ihre Marine-Infanteristen würden in die Boote klettern und zur Küste rudern. Hauptmann Giffard von der Euryalus hatte das Kommando, und er tat Bolitho jetzt schon leid. Es war schlimm genug, zweihundert Seesoldaten mit ihren schweren Stiefeln und Musketen durch rauhes, unbekanntes Gelände zu führen, aber wenn die Sonne erst stieg, würde es eine Tortur sein. Marine-Infanteristen waren gedrillt und diszipliniert wie Landsoldaten, aber da war es mit der Ähnlichkeit auch schon vorbei. Sie waren an ihr seltsames Bordleben gewohnt, der enge Raum bot ihnen wenig Bewegungsmöglichkeit, und daher waren sie einem Gewaltmarsch nicht gewachsen.

«Ich kann die Tanais sehen, Sir«, sagte Keverne.

Bolitho nickte. Der rote Schein lag auf der Großrah des Vierundsiebzigers wie Feenglanz in den Wäldern von Cornwall, dachte er. Seine Hecklaterne verblaßte bereits; und als er zum Verklicker der Euryalus emporsah, glänzte das Großmarssegel feucht im Frühtau, und mit jeder Sekunde vertiefte sich der Widerschein der Morgenröte auf seiner Fläche.

Man hörte leichte Schritte, und Keverne flüsterte:»Der Admiral,

Sir.»

Broughton schritt zum Achterdeck und starrte auf den fernen Berg. Bolitho machte seine dienstliche Meldung.

«Klar zum Gefecht, Sir. Die Rahen sind angekettet, die Schutznetze aufgeriggt.»

Bei dem Krach, mit dem diese Vorbereitungen verbunden waren — Zwischenwände abreißen, die Zurrings von den Kanonen nehmen, das Tappen nackter Füße, wenn die Matrosen sich selbst und ihr Schiff kampffähig machten — mußte auch Broughton das wissen. Aber Meldung mußte nun einmal gemacht werden.

«Haben wir schon Sichtverbindung mit dem Geschwader?«knurrte Broughton.

«Mit der Tanais, Sir. Aber wir werden bald mit allen direkte Signalverbindung aufnehmen können.»

Der Admiral ging zur Leeseite und spähte zum Land hinüber. Es war nicht mehr als ein dunkler Schatten, über dem der Berggipfel frei im Raum zu hängen schien.»Ich bin froh«, sagte er,»wenn das Geschwader über Stag gehen kann. Ich hasse es, vor einer Leeküste zu stehen, wenn die Sicht so schlecht ist.»

Er fiel wieder in Schweigen, und Bolitho hörte schwere regelmäßige Schritte auf dem Steuerborddecksgang; es klang, als schlüge jemand mit einem Hammer gegen einen Baumstamm.

«Sagen Sie diesem Offizier, er soll nicht so laut sein, hol ihn der Teufel«, blaffte Broughton.

Keverne gab diesen plötzlichen Ausbruch des Unwillens an den Schuldigen weiter, und Bolitho hörte Meheux rufen:»Bitte um Entschuldigung, Sir Lucius!«Aber es klang trotzdem ganz vergnügt. Bolitho hatte ihn von der Navarra zurückberufen, damit er wieder seine geliebte obere Batterie von Zwölfpfündern übernahm, und Me-heux grinste beinahe unaufhörlich, seit er wieder an Bord war.

Immerhin war das ein Zeichen, daß es Broughton nicht recht wohl bei dem ganzen Unternehmen war.

«Ich habe den Gefangenen ins Orlopdeck[27] bringen lassen, Sir Lucius.»

Der Admiral schnob verächtlich.»Dieser verdammte Witrand! Der sollte lieber hier oben bleiben — würde ihm guttun!»

Bolitho lächelte.»Eines ist jedenfalls sicher: er weiß über diese Gegend besser Bescheid, als ich zuerst dachte. Als Keverne ihn nach unten bringen wollte, war er schon fertig angezogen und durchaus darauf vorbereitet — jemand, der von militärischen Dingen nichts versteht, wäre zumindest überrascht gewesen.»

«Das war umsichtig von Keverne«, entgegnete Broughton, aber es klang nur ganz beiläufig. Vermutlich dachte er nach wie vor daran, was dort drüben hinter den Schatten lag.

Wieder waren laute Schritte an Deck zu vernehmen, und Broughton fuhr herum: Calvert stolperte ungeschickt über die Taljen eines Geschützes.

«Passen Sie gefälligst auf Ihre Füße auf! Sie machen ja mehr Krach als ein Blinder mit 'nem Holzbein!»

Im Halbdunkel murmelte Calvert irgend etwas, und Bolitho sah, wie die Männer der nächstliegenden Geschützbedienung einander wissend angrinsten. Calverts prekäres Verhältnis zum Admiral mußte im ganzen Schiff bekannt sein.

«Guten Morgen, Gentlemen!«Draffen kam unter der Kampanje heraus. Er trug ein plissiertes weißes Hemd und eine dunkle Kniehose, in deren Gürtel eine Pistole stak, und wirkte wohlausgeruht, wie soeben aus tiefem, traumlosem Schlaf erwacht.

«Die Zeus in Sicht, Sir!«rief Midshipman Tothill.

Bolitho schritt zur Achterdecksreling und spähte nach vorn. Stetig wuchs die Tanais aus dem Schatten heraus, und hinter ihr, etwas nach Backbord, konnte er eben noch den führenden Vierundsiebziger ausmachen; die oberen Rahen schimmerten bereits im Widerschein des Morgenrots.

Der Rand der Sonne stieg langsam und gleichmäßig über die Kimm, das warme Licht erreichte beide Seiten des Bugs, rührte an die lebhaften Wogenkämme, breitete sich weiter aus.

«Da ist ja Land, Sir!«schrie Tothill plötzlich.

Das war nun kaum eine vorschriftsmäßige Sichtmeldung, aber sie waren alle viel zu aufgeregt, um diesen Formfehler zu bemerken. Und in Anbetracht von Broughtons Gereiztheit war das auch besser so, dachte Bolitho.»Danke, Mr. Tothill«, antwortete er kühl.»Sie merken auch alles.»

Im rasch zunehmenden Sonnenlicht konnte man sehen, daß der Midshipman rot anlief, aber er war klug genug, den Mund zu halten.

Bolitho wandte sich um und beobachtete, wie das Land immer deutlicher aus dem zurückweichenden Schatten hervortrat: langgestreckte Hügel, jetzt noch grau und purpurn, aber schon wurden die kahlen Abhänge sichtbar, in deren dunkleren Flächen sich Schluchten und tiefe Spalten verbargen.

«Die Valorous ist in Sicht, Sir. «Lucey, der Fünfte Offizier, der auch die Achterdeck-Neunpfünder unter sich hatte, meldete es mit gedämpfter Stimme.»Sie hat die Bramsegel gesetzt.»

Bolitho ging die Deckschräge zur Luvseite hinan und starrte über die Hängemattsnetze. Der Vierundsiebziger, das letzte Schiff der Reihe, bot ein schönes Bild, wie es stürmisch hinter den langsameren Schiffen aufkam; die Mars- und Bramsegel schimmerten wie polierte Muscheln, während der Rumpf sich noch im Schatten verbarg. Bald schon würde ein Ausguck die Fregatte weit draußen auf See sichten können, und dann auch die kleine Restless, die sich näher an die Küste heranschlich, und endlich auch das letzte Schiff, das die Finsternis freigab: ihre Prise, die Navarra, sollte auf Signaldistanz bleiben, aber nicht näher kommen. Es konnte nichts schaden, wenn die Verteidiger von Djafou dachten, daß Broughton mindestens noch ein weiteres Kriegsschiff zur Verfügung hätte. Bolitho hatte sogar vorgeschlagen, daß der Steuermannsmaat, der zur Ablösung Meheux' hinübergeschickt worden war, irgendwelche beliebigen Signale hissen sollte, damit der Eindruck entstünde, hinter der Kimm befänden sich noch mehr Schiffe.

Es hing so viel von der ersten Attacke ab. Der Widerstandswille der Spanier würde rascher erlahmen, wenn sie nach einem ersten Angriff, der bereits erheblichen Schaden verursacht hatte, noch mit einem größeren Schiffsverband rechnen mußten.

Bolitho zwang sich dazu, langsam an der Luvseite auf und ab zugehen. Der Admiral blieb regungslos am Fuß des Großmastes stehen.

Kampanje und Netze wirkten seltsam nackt ohne die gewohnten scharlachroten Reihen der Seesoldaten, die immer ein gewisses Gefühl der Sicherheit gaben. Aber davon abgesehen, war sein Schiff kampfbereit. Auf dem Oberdeck, neben den beiden Reihen der Geschütze, warteten bereits die halbnackten Bedienungen auf den Feuerbefehl. Die Männer hatten bunte Tücher um die Ohren gebunden, damit ihr Trommelfell durch das Krachen der Kanonen nicht beschädigt wurde. Oben in den Masten waren, wie er durch die Schutznetze sehen konnte, die Drehbassen geladen; weitere Matrosen, die zur Zeit nichts zu tun hatten, warteten an den Brassen und Fallen auf Kommandos vom Achterdeck.

Partridge schneuzte sich heftig in ein grünes Taschentuch und erstarrte unter dem wütenden Blick des Admirals. Aber Broughton sagte nichts; der weißhaarige Master steckte das anstoßerregende Tuch in die Manteltasche und grinste Tothill verlegen zu.

Bolitho hatte die Hand auf dem Degengriff. Das Schiff war lebendig, ein vitales, vielschichtiges Kriegsinstrument. Er dachte an den Kampf auf der Navarra, den harten Kontrast zwischen dieser geschulten, geordneten Welt und der primitiven Mann-gegen-Mann-Verteidigung dort drüben. An die Spanier, deren anfängliche Angst sich in blutrünstige Wildheit verwandelt hatte; an die halbnackten Frauen, die schweißglänzend von ihrer schweren Arbeit an den Pumpen ausruhten. An Meheux' Fluchen, als er auf dem Blut des spanischen Kapitäns ausrutschte, und an Ashtons helle Knabenstimme, die sich über den Kampfeslärm erhob, als er die Geschützbedienungen in seinem unbeholfenen Spanisch anfeuerte, schneller zu laden.

Und an den kleinen Pareja. Der sich solche Mühe gegeben hatte. Der, vielleicht zum erstenmal in seinem Leben, das Gefühl hatte, wirklich gebraucht zu werden. Auch an seine Witwe dachte er. Was würde sie wohl jetzt tun? War sie noch böse auf ihn, weil sie seinetwegen den Mann verloren hatte? Oder auf die Umstände, durch die sie überhaupt nach Spanien gekommen war? Schwer zu sagen. So eine seltsame Frau war ihm noch nie begegnet: sie trug die Kleidung, den Schmuck einer vornehmen Dame mit der kühnen, feurigen Arroganz einer Frau, die ein weit lustigeres Leben gewohnt war, als Pareja ihr geboten hatte.

Tothills Stimme riß ihn aus seinen Gedanken.»Die Tanais gibt ein Signal der Zeus an uns weiter, Sir!«Er kritzelte etwas auf seine Schiefertafel.»gt;Feind in Sichtlt;, Sir.»

«Verdammte Schweinerei!«fluchte Broughton halblaut.

Die Segel der Tanais hatten Rattrays Signal vor dem Flaggschiff verdeckt; und so war durch die Weitergabe von Schiff zu Schiff eine Verzögerung entstanden. Bolitho runzelte die Stirn. Auch aus diesem Grund wäre es besser gewesen, wenn die Euryalus die Führung übernommen hätte. Er konnte sich vorstellen, wie Rattray einem Mids-hipman vom Schlage Tothills seinen Befehl gegeben hatte. Er würde sich seiner Position als erstes Schiff sehr bewußt sein und darauf dringen, daß seine Signale so schnell wie möglich gehißt wurden. Nun stand aber im ganzen Signalhandbuch nichts, was dem Wort Djafou irgendwie nahekam. Der Eile halber, und weil er vermeiden wollte, den Namen auszubuchstabieren, hatte er statt dessen ein geläufigeres Signal genommen. Captain Falcon hätte an seiner Stelle etwas mehr Phantasie entwickelt — oder überhaupt nichts gesagt. Kannte man den Kapitän, so wußte man auch, wie es auf seinem Schiff zuging.

Das Land hatte andere Farben bekommen, während die Sonne sich höher über ihr Spiegelbild im Wasser hob: das Purpurrot war zu einem matten Grünbraun geworden, die grauen Klippen und Schluchten zeichneten sich deutlich ab, wie auf einem Holzstich in der Gazette.[28] Aber im großen und ganzen hatte sich der erste Eindruck nicht verändert: baumlos, ohne ein Zeichen von Leben, die Luft bereits flirrend vor Hitze oder vielleicht auch vor Staub, den der stetige Landwind aufwirbelte. Der westliche Arm der Bucht wurde von dem anderen, schnabelförmigen, noch im tiefen Schatten liegenden Arm überschnitten. Genau voraus lag ein runder Hügel, dessen Vorderseite durch einen Erdrutsch ins Meer gestürzt war. Die Entfernung betrug etwa vier Meilen, doch konnte Bolitho sehen, wie die See in weißen Federn auf dem steinigen Strand auflief und sich einen kleinen Priel an diesem trübseligen Küstenstrich suchte.

Die Zeus würde jetzt in Höhe der nächstgelegenen Landzunge sein und bei dieser klaren Luft gute Sicht auf das Fort haben. Rattray würde sich inzwischen schon selbst ein Bild davon machen können, was ihn in den nächsten Stunden erwartete.

«Die Zeus soll anfangen, die Marine-Infanterie zu landen!«befahl Broughton. Dabei sah er Calvert an.»Kümmern Sie sich um das Signal und versuchen Sie, sich wenigstens ein bißchen nützlich zu ma-

chen!»

Und etwas ruhiger zu Bolitho:»Sobald Rattrays Boote weg sind, signalisieren Sie: gt;Geschwader in Linie halsen!lt; Wir haben dann den äußeren Verteidigungsgürtel gesehen und können den Angriff kalkulieren.»

Bolitho nickte. Das klang vernünftig. Halsen und auf Gegenkurs zurücksegeln war weniger gefährlich, als jetzt gleich anzugreifen, da sie Schiff um Schiff die Öffnung der Bucht kreuzen mußten. Wenn sie beim ersten Blick auf das Fort merkten, daß die Pläne und die flüchtigen Notizen nicht stimmten, dann würden sie immer noch Zeit haben, von der Küste freizukommen. Aufjeden Fall konnte Rattray, wenn die Zeus gehalst hatte und wieder Führungsschiff war, hoffentlich ein wachsames Auge auf Land und Wind haben. Wenn der Wind plötzlich auffrischte oder ausschoß,[29] dann würden sie allesamt reichlich zu tun haben, um von den Felsen klarzukommen, und kaum Zeit finden, sich auf ein Artillerieduell einzulassen. Er beobachtete, wie die Signalflaggen zur Rah aufstiegen und sich im Winde entfalteten; Sekunden später sah er, wie es daraufhin an Deck der Zeus lebendig wurde und sich immer mehr Leinwand an den Rahen bauschte.

Bis jetzt hatte jeder Kommandant genau nach Broughtons Plan gehandelt. Rattray würde vielleicht eine Stunde brauchen, bis alle seine Boote weg waren, und inzwischen konnten die anderen Schiffe vor der Bucht auf ihren Positionen bleiben.

Bolitho sah nach oben, denn von dort kam der Ruf:»Da ist die Coquette, Sir! In Luv, zwei Strich achterlicher als dwars!»

Bolitho zupfte an seinem Hemd. Es war schon ganz naßgeschwitzt, und in Kürze würde es noch erheblich heißer sein. Er mußte trotz seiner trüben Gedanken lächeln: heißer in mehr als einer Hinsicht.

Partridge hatte das flüchtige Lächeln bemerkt. Er stieß den Leutnant in die Seite und flüsterte:»Sehen Sie das? Der Alte ist so kühl wie'n Zofenkuß!»

Leutnant Lucey, normalerweise ein munterer, etwas leichtsinniger junger Mann, hatte Angst vor dem Morgenrot gehabt und vor dem, was es ihm bringen mochte. Als er sah, wie der Kommandant vor sich hin lächelte, wurde ihm ein bißchen besser.

Da waren sie auch schon in Höhe der ersten Landzunge. Nach der langen und langsamen Anfahrt schienen alle überrascht zu sein, daß sie schon da waren. Als sie die Landspitze achteraus hatten, sah er das mächtige Fort blaugrau in der Morgensonne liegen und fühlte sich sonderbar erleichtert: es war genauso, wie er es sich vorgestellt hatte. Ein massiver, kreisrunder Bau, innen ein kleinerer Turm mit einem Fahnenmast, der in der Sonne weiß glänzte. Aber es wehte noch keine Flagge daran, und auch sonst deutete nichts darauf hin, daß Alarm gegeben worden war. Alles sah so still aus, daß es ihn an ein großes, einsames Grabmal erinnerte.

Unbeirrt kreuzte das Schiff die träge Küstendünung, und er konnte jetzt tiefer in die Bucht hineinsehen. Ein kleines Fahrzeug lag vor Anker, wahrscheinlich eine Brigg, und ein paar Dhaus. Wie mochten Giffard und seine Marine-Infanteristen wohl vorangekommen sein? Würden sie den Fährdamm einnehmen können?

Er sah, wie die Restless vorsichtig seewärts kreuzte. Gott sei Dank hatte Poate, ihr junger Kommandant, zwei Lotgasten in die Rüsten beordert. Der Meeresboden fiel hier sehr steil ab, aber es war immerhin möglich, daß jemand bei der letzten Kartenkorrektur eine Sandbank oder ein Riff übersehen hatte.

Da die andere Landzunge weiter vorstieß, passierten sie sie in wesentlich kürzerer Entfernung, und als sie den stillen Bau des Forts verdeckte, rief Keverne aus:»Sehen Sie mal, Sir! Da ist jemand wach!»

Bolitho nahm ein Teleskop und stellte es auf die Schräge der schnabelförmigen Landzunge ein. Zwei Reiter, reglos wie aus Stein; nur manchmal schlugen die Pferde mit den Schweifen oder die langen weißen Burnusse wehten im Wind. Sie sahen auf die Schiffe hinunter, die da weit vor ihnen langsam im zunehmenden Sonnenlicht segelten. Dann, wie auf Signal, wendeten beide ihre Pferde und verschwanden hinter der Kante, ohne Eile, ohne Zeichen von Erregung.

«Jetzt sagen sie denen Bescheid, daß wir da sind, Jungs«, bemerkte jemand.

Bolitho warf einen Blick auf Broughton, doch der starrte auf den leeren Abhang, als ob die beiden Reiter noch da wären.

Bis auf die normalen Geräusche von See und Wind war alles ruhig-zu ruhig; das Gefühl, auf etwas zu warten, war stärker geworden, und das machte nervös. Giffard hatte sogar die Musiker seiner MarineInfanteristen mitgenommen; Bolitho dachte flüchtig daran, den Schiffsfiedler irgendeinen geläufigen Shanty spielen zu lassen, den die

Matrosen mitsingen konnten. Aber Broughton schien nicht in der Stimmung für solche Zerstreuung zu sein, und so ließ er den Gedanken wieder fallen.

Von Broughtons geradem Rücken ging sein Blick zu ein paar Matrosen bei den Neunpfündern. Sie standen und starrten über die Netze auf die langsam vorüberziehende Mauer aus Felsen und Steinen. Wie seltsam das den meisten vorkommen mußte! Sie wußten vielleicht nicht einmal, wo sie sich befanden, oder warum sie wegen eines so armseligen Hafendorfes ihre gesunden Knochen, ja sogar ihr Leben riskieren mußten. Und Broughton — der hatte wahrscheinlich ebenso seine Zweifel darüber, warum er überhaupt hier war, doch konnte er sie und seine Spannung mit niemandem teilen.

Bolitho drehte sich um — er wollte sehen, was Draffen machte; aber der war bereits unter Deck gegangen und wollte anscheinend das Weitere den Experten überlassen. Langsam schritt er wieder nach Luv hinüber. Im Kriege, das wußte er aus bitterer Erfahrung, gab es keine Experten. Man hörte nie auf zu lernen — es sei denn, man fiel.

«Die Zeus ist dicht unter der Landzunge, Sir!«Bolitho ging zur Luvseite des Achterdecks.»Danke, Mr. Tothill. «Es kostete ihn Anstrengung, so gelassen und ruhig zu sprechen. Das Schlußmanöver: das Sammeln des Geschwaders, dann das Halsen und nochmalige Absegeln des gleichen leeren, dürren Küstenstrichs hatten viel länger gedauert als gedacht. Das Absetzen von Rattrays Booten war ziemlich schnell gegangen; aber als sie etwas tiefer in die Bucht kamen, war deutlich zu sehen, daß die Männer an den Riemen große Schwierigkeiten hatten, die überladenen Fahrzeuge zu den vorgesehenen Landestellen zu bringen. Dicht unter der Wasseroberfläche lagen Klippen, und außerdem war da eine bisher unbekannte Grundströmung, die die Boote herumwarf wie Blätter in einem Mühlteich, wobei die Riemen zeitweise völlig aus dem Takt gerieten und wild in der Luft fuchtelten.

Selbst Broughton hatte zugegeben, daß sie mehr Zeit benötigten, und als jetzt die Zeus mehr Segel setzte, um ihre Station an der Spitze des Geschwaders wieder einzunehmen, konnte er kaum seine Nervosität verbergen.

Die Korvette hatte so dicht, wie sie es riskieren konnte, unter der großen schnabelförmigen Landzunge geankert; in der starken Dünung quirlten ihre Mastspitzen in der Luft, daß es schon grotesk wirkte, und gegen den massiven schwarzen Fels wirkte ihr schlanker Rumpf beinahe winzig.

Aber jetzt segelten sie wieder die Bucht an. Die Zeus passierte die vor Anker liegende Restless so dicht, daß es von weitem aussah, als hätte es eine Kollision gegeben. Alle Schiffe lagen auf Backbordbug, die Rahen vollgebraßt, um den frischen Wind möglichst auszunutzen. Die beiden vordersten Schiffe hatten bereits die Backbordgeschütze ausgerannt, und im Teleskop konnte Bolitho sogar erkennen, daß die untere Batterie der Zeus maximale Erhöhung hatte — man konnte meinen, die Doppellinie der schwarzen Mündungen striche direkt an der schwarzen Landzunge entlang. Das war natürlich nur eine optische Täuschung durch die Entfernung. Sie war noch gute zwei Kabellängen von Land entfernt. Hoffentlich hatte Rattray einen erfahrenen Rudergänger, der im Notfall sehr schnell reagieren konnte.

Tothill rief:»Signal von der Restless, Sir! Die Marine-Infanterie hat die Spitze der Landzunge erreicht!»

Bolitho fuhr herum und sah die große blaue Flagge an der Großrah der Korvette flattern; als er das Glas etwas hob, bekam er einige Marine-Infanteristen ins Blickfeld, die um einen Hügelvorsprung rannten und in der hellen Sonne wie ein Schwärm scharlachroter Sandkäfer aussahen.

«Gut!«sagte Broughton.»Wenn sie diese Höhe nehmen und halten, kann uns von da keiner beschießen. «Er trat zur Achterdecksreling und sah auf Meheux herab, der langsam die Reihe der Backbordgeschütze abschritt.

«Sie können jetzt ausrennen lassen, Mr. Keverne!«befahl Bolitho.»Und sagen Sie zum unteren Batteriedeck durch, Mr. Bickford soll jedes Geschoß genau prüfen. Sein Kaliber ist heute das schwerste, das wir einsetzen.»

Keverne faßte an den Hut und winkte den Midshipmen, die als Läufer für die Batteriedecks eingeteilt waren. Während er sich über die Reling lehnte und ihnen mit leiser, aber scharfer Stimme die entsprechenden Anweisungen gab, sah Bolitho sie sich genau an. Ashton wirkte unter seinem Kopf verband immer noch bleich. Dann der kleine Drury, mit dem unvermeidlichen Schmutzfleck auf dem runden Gesicht, und Lelean vom unteren Batteriedeck, ganz jung noch, und mit der pickligsten Haut, die Bolitho je gesehen hatte.

Sie liefen los; Keverne schrie:»Ausrennen!«und als auf allen Decks die Bootsmannspfeifen schrillten, erbebte das ganze Schiff im

Rumpeln der Zugvorrichtungen; mit lauten Rufen feuerten die Stückmeister ihre Leute an, die schweren Kanonen das krängende Deck hinan und in die offenen Pforten zu ziehen.

Urplötzlich erzitterte die Luft unter der langsamen, gemessenen Kanonade der Zeus, deren Echo rollend von der Landzunge zurückkam. Das erste Schiff lag in einem großen Rauchring, und die schwarzen Mündungen waren nicht mehr zu sehen, weil die Bedienungen bereits in höchster Eile die Rohre für eine neue Breitseite ausputzten.

Der Qualm rollte landeinwärts und wurde unterwegs von irgendeiner verrückten Wirbelströmung tief aufs Wasser heruntergedrückt. Sollte die Besatzung der spanischen Garnison noch irgendwelche Zweifel gehabt haben, dachte Bolitho, so wußte sie jetzt ganz bestimmt, was los war.

Noch eine Breitseite, wieder geschlossen abgefeuert; die Kanonen bleckten ihre langen gelbroten Feuerzungen, das aufgegeite Großsegel zuckte heftig in der aufsteigenden Heißluft.

Alle Teleskope waren auf die tanzenden, weißbemähnten Brecher rings um das führende Vierundsiebzig-Kanonen-Schiff gerichtet. Aber noch war kein Abschuß vom Kastell zu sehen, überhaupt kein Anzeichen feindlicher Tätigkeit.

«Das klappt ja«, knurrte Broughton,»das klappt sogar sehr gut.»

Bolitho sah verstohlen zu ihm hin. Vielleicht wollte der Admiral seinen Flaggkapitän immer noch testen. Wollte irgendwelche Vorschläge von ihm, die er dann entweder akzeptieren oder voll Arroganz zurückweisen konnte. Aber bis jetzt hatte Bolitho noch nichts zu bieten, womit Broughton etwas anfangen konnte. Dazu war es noch zu früh.

«Da! Eine Kugel!«schrie jemand.»Knapp am SteuerbordAchterdeck der Zeus vorbei!«Bolitho setzte sein Glas wieder ans Auge, beobachtete den Flug des Geschosses und zählte die Sekunden, während die weiße Schaumfeder bösartig von Woge zu Woge sprang, bis sie schließlich eine gute Meile jenseits der Zeus einen eiszapfen-förmigen Geyser hoch jagte.

«Ach du lieber Gott, viel zu weit!«flüsterte Leutnant Lucey dem Master zu.

Dann kam noch ein Schuß, fast genau auf derselben Linie wie vorher, und von gleichem Kaliber.

«Nur ein Geschütz, Bolitho«, bemerkte Broughton.»Wenn das alles ist, was sie haben, dann brauchen wir nicht mehr lange zu warten.»

«Signal von der Zeus, Sir. «Tothill hing in den Leewanten, um das erste Schiff besser beobachten zu können.»gt;Setze mich ab zur Wen-delt;.»

Bolitho sah Partridge an.»Wie lange hat das gedauert?»

Der Master sah auf seine Tafel.»Zehn Minuten, Sir.»

Zehn Minuten, um das Schußfeld des Kastells zu kreuzen, das in dieser Zeit nur zweimal gefeuert hatte.

«Die Tanais schließt auf, Sir. «Keverne stützte sein Teleskop auf den Unterarm.»In ein, zwei Minuten ist sie feuerbereit.»

Bolitho antwortete nicht. Er hielt den Atem an, bis der große schwarz-rote Signalwimpel» Habe freies Schußfeld «von der Marsrah der Tanais flatterte. Falcon wartete nicht so lange wie Rattray; fast im selben Moment spien seine Geschütze Feuer und Rauch.

Broughton rieb sich befriedigt die Hände.»Ein paar Zentner Eisen — da kriegen die Dons blutige Köpfe, wie?»

Doch der Feind schwieg immer noch, und Bolitho sagte hastig:»Ich glaube, die Spanier haben feststehende Geschütze, Sir. Auf die Zeus haben sie nur gefeuert, um sich einzuschießen, aber jetzt…»

Er brach ab, denn rollend hallte der Kanonendonner aus der Bucht. Und dann kam das schreckliche Geräusch von splitternd berstendem Holz. Eilig trat er an die Reling: Von der Kampanje der Tanais stieg Rauch empor, ein schwarzes Gewirr gebrochener Stage fiel über Bord ins Meer. Mindestens zwei Treffer, dachte Bolitho, und ein Fehlschuß, der die Wogenkämme wie ein wütender Delphin auseinanderblies. Mit verzweifeltem Aufstöhnen mußten sie ohnmächtig zusehen, wie die Kugeln auf die Tanais einhämmerten und zu beiden Seiten ihres Rumpfes Holzstücke in die See wirbelten.

Falcons Männer erwiderten das Feuer noch einmal, aber der Rhythmus war weg; mehrfach erkannte Bolitho in der Reihe der Pforten ein schiefstehendes Rohr, was bedeutete, daß das betreffende Geschütz keine Bedienung mehr hatte, oder gar eine leere Stückpforte, die deutlicher als mit Worten beschrieb, was dahinter lag.

«Vier Geschütze gleichzeitig, würde ich sagen, Sir«, bemerkte Ke-verne. Er sprach ganz kühl und unbeteiligt. Ein Zuschauer.

«Und ziemlich schweres Kaliber anscheinend«, fügte Lucey hinzu.

Bolitho sah flüchtig zu ihm hin. Lucey war knapp zwanzig und hatte zuerst mächtig Angst gehabt. Bolitho kannte alle Anzeichen: man weiß nicht, was man mit seinen Händen anfangen soll — die vielen, vielen Kleinigkeiten, welche die wachsende Angst eines Mannes verrieten. Doch jetzt tauschte er mit Keverne sachverständig Kommentare aus wie ein uralter Krieger. Um seinetwillen war zu hoffen, dachte Bolitho, daß er diesen Anschein aufrechterhalten konnte.

«Ich kann vor lauter Rauch überhaupt nichts erkennen«, sagte Broughton.»Was tut Falcon?»

Wie aus einem Schornstein wirbelte Qualm aus den Heckfenstern der Tanais, aber es war schwer zu sagen, ob es Brandrauch war oder Pulverqualm der Kanonen. Schießen konnte sie immer noch, aber sie sah schlimm aus. Ihre Segel boten ein gutes Ziel und waren ganz durchlöchert, sowohl von den eigenen Holzsplittern als auch von den feindlichen Geschossen. Lange Strähnen gebrochener Takelage hingen über die Decksgänge, und Bolitho konnte ausmachen, daß bereits gekappt wurde; aus der Entfernung sah es aus, als liefen die Männer mit ihren Äxten so wild durcheinander wie die Ameisen.

Partridge räusperte sich und hielt seine mächtige Taschenuhr vors Auge.»Sie gibt Signal, daß sie durch ist, Sir. Beinahe fünfzehn Minuten diesmal.»

Broughton warf dazwischen:»Ich hoffe, Ihre Zweiunddreißig-pfünder sind ihr Futter wert. «Er lächelte; die straff von den gleichmäßigen Zähnen we ggezogenen Lippen verrieten, welche Anstrengung ihn das kostete.

Aber Bolitho hatte andere Dinge im Kopf. Fünfzehn Minuten, in denen das Schiff nochmals einem gnadenlosen Artilleriebeschuß ausgesetzt war. Die spanischen Kanoniere brauchten nicht einmal die Erhöhung ihrer Geschütze zu ändern. Sie brauchten nur abzuwarten, bis ein Schiff nach dem anderen über diesen Streifen offenen Wassers segelte, und dann zu feuern. Auch gegen die Sonne war das so leicht wie Hühner vom Ast zu schießen.

«Ich schlage vor, Sie signalisieren dem Geschwader gt;Aktion ein-stellenlt;, Sir. «Er hatte ganz leise gesprochen, aber Broughton fuhr hoch, als hätte er ihn gröblich beschimpft. Rasch sprach Bolitho weiter:»Unabhängige Operationen zur Unterstützung der Landungskorps wären…»

Weiter kam er nicht.

«Niemals! Bilden Sie sich ein, ich kneife vor ein paar lausigen

Dons? Bei Gott, ich dachte, Sie hätten ein bißchen mehr Mumm im Leibe!«Wütend, fast verächtlich starrte er Bolitho an.

Der sah an ihm vorbei und rief:»Fock setzen, Mr. Keve rne! Dann Bramsegel!«Fest sah er dem Leutnant in die schreckgeweiteten Augen.»So schnell wie möglich!»

Die Männer schwärmten an den Webeleinen hoch, und Bolitho schritt absichtlich langsam zur Achterdecksreling. Er wußte, daß Broughton hinter ihm herstarrte, aber das war ihm egal. Broughton hatte seine Entscheidung getroffen, und dem Befehl mußte er gehorchen. Aber die Euryalus war sein Schiff, und er würde sie nach bestem Können einsetzen; Broughton mochte denken, was er wollte.

Die große Breitfock bauschte sich knallend, und der Druck des Windes warf die Männer durcheinander. Gischt sprühte über die Gali-onsfigur und den Klüverbaum.

«Voll und bei!«rief er Partridge zu.

«Voll und bei, Sir. West zu Nord liegt an.»

Die dunkle Landzunge glitt schneller vorbei; prall stand die Leinwand im Sonnenlicht. Hoch überm Deck arbeiteten die Toppmatrosen wie die Teufel, und durchs Teleskop sah Bolitho, wie ein paar MarineInfanteristen auf der Landzunge Freudensprünge vollführten und die Musketen schwenkten, als das Flaggschiff die Landenge passierte.

Die andere Seite der Bucht lag jetzt in flimmerndem Dunst, oder vielleicht war es auch der Qualm von der Tanais. Wie blau das Wasser unter diesem fernen Landstreifen war! Blau und unerreichbar. Bolitho fuhr sich mit der Zunge über die knochentrockenen Lippen.

«Mein Gott, mein Gott!«flüsterte Lucey. Wahrscheinlich wußte er gar nicht, daß er etwas sagte.

Im Vorschiff stand Meheux, einen Fuß leicht auf das Gestell der Karronade gestützt, und spähte in die Bucht. Er hatte den Degen gezogen, und jetzt hob er ihn ganz langsam über den Kopf. Reglos stand er in der Sonne, und Bolitho erinnerte sich an ein Kriegerdenkmal, das er irgendwann in Exeter gesehen hatte.»Ziel in Sicht, Sir!«rief Me-heux und schwenkte dabei leicht den Degen.

Bolitho spürte die starre, fast körperlich greifbare Spannung, die ihn umgab.»Feuer frei!«rief er durch die hohlen Hände. Von den Matrosen, die dort hinter ihren Geschützen hockten, sahen einige zu ihm auf, maskenhaft unbewegt. Er zwang seine Lippen zu einem Grinsen und schrie:»Ruft hurra, Jungs! Zeigt ihnen, daß wir kommen!»

Eine Sekunde lang geschah gar nichts, und während das Schiff gleichmäßig an den letzten Klippen vorbeipflügte, dachte Bolitho, sie wären zu verzweifelt, um zu reagieren. Aber dann sprang ein Matrose auf einen Zwölfpfünder und brüllte:»Ein Hurra für die Euryalus! Und Hurra unserm Dick!»

Wildes Geschrei fegte über das Deck, die Männer in den vollgestopften unteren Batterien nahmen es auf, und Bolitho schwenkte den Hut für sie alle. Jetzt ging der Irrsinn wieder los. Bis zum nächsten Mal. Und immer wieder.

«Feuer, wenn Ziel erfaßt!«Meheux' Stimme ging in dem Tohuwabohu fast unter.

Die ersten Kanonen im Vorschiff brüllten auf. Bolitho packte die Reling. Das harte Bellen der Oberdeckgeschütze ging im ohrenzerreißenden Dröhnen der Zweiunddreißigpfünder fast unter. Qualm stieg aus den unteren Stückpforten auf, wirbelte um die Decksgänge nach oben; Bolitho rieb sich die tränenden Augen und spähte auf das ferne Kastell, um das die Wassersäulen der ersten Salve hochsprangen. Was da wie weißer Puder aussah, war Schutt von der Festungsmauer, der einzige Schaden, den das Geschwader bisher angerichtet hatte.

«Lieber Gott«, murmelte Keverne heiser,»das ist ja, als wolle man eine Eiche mit 'nem Zahnstocher fällen!»

Das Feuer ging in Dreiergruppen weiter, die Kanonen glitten zurück, wurden ausgeputzt und neu geladen; die Männer waren schon halb betäubt und arbeiteten ganz mechanisch. Putzen, laden und ausrennen — sonst gab es überhaupt nichts mehr: weiterfeuern, ganz gleich, was kam.

Meheux schritt jetzt die Reihe der Kanonen ab, manchmal tippte er mit dem Degen auf ein Verschlußstück oder deutete auf eine bestimmte Stelle des Forts, um dem betreffenden Geschützführer einen Hinweis zu geben. Sein Gesicht war vor Konzentration verzerrt.

«Wo ist die andere Abteilung Marine-Infanterie?«fragte Broughton.»Hauptmann Giffard müßte doch inzwischen den Dammweg erreicht haben.»

Bolitho antwortete nicht. Der Kopf dröhnte ihm vom Kanonendonner, seine Augen bluteten beinahe vor Qualm und Anstrengung; er konzentrierte sich ganz auf das Fort. Er konnte den dunklen Flecken unter der runden Mauer erkennen, wo der Eingang von See lag, und auch die Doppellinie viereckiger Fenster, wie Schießscharten, die anscheinend um den ganzen Bau gingen.

Da blitzte es in zweien dort oben grell auf, und er bildete sich ein, die Kugel über die See direkt auf sich zufliegen zu sehen. Ein dumpfer Schlag gegen die untere Bordwand — die andere Kugel jagte weit vorn eine Schaumfontäne hoch.

Er blickte nach achtern. Das Schiff hatte die Bucht fast zur Hälfte überquert; da alle Segel gut zogen, mußte es in fünf Minuten die andere Landzunge erreicht haben.

Wieder die unheilverkündenden Feuerzungen, und diesmal schmetterten die Kugeln in die Bordwand der Euryalus wie Eisenhämmer in eine hölzerne Schachtel.

Drei Treffer; wie schwer, das wußte er noch nicht. Aber das Kastell war äußerlich unbeschädigt, nur an ein paar Stellen lag etwas Schutt.

Achteraus konnte er erkennen, daß die Masttopps der Valorous die Landzunge rundeten, und konnte sich vorstellen, was Fourneaux denken mochte, wenn er das Flaggschiff im Feuer der schweren Festungsgeschütze liegen sah.

«Kann ich der Valorous signalisieren, daß sie sich heraushalten soll,

Sir?»

«Heraushalten?«Broughtons starre Augen waren jetzt auf ihn gerichtet.»Haben Sie gt;heraushaltenlt; gesagt?«Ein Muskel zuckte auf seiner Wange, als die untere Batterie wieder losdonnerte und die herausschießenden Mündungsflammen den Qualm nach Lee trieben.

Wortlos musterte Bolitho sekundenlang den Admiral. Daß sein Geschwader nicht imstande war, dem Kastell ernsthaften Schaden zuzufügen, schien ihn völlig aus der Fassung zu bringen; oder vielleicht war er auch nur von dem unaufhörlichen Kanonendonner betäubt.

Bolitho nahm jetzt keine Rücksicht mehr.»Hier werden Schiffe ohne Sinn und Zweck geopfert, Sir. «Er fuhr zusammen, denn die Planken unter seinen Füßen ruckten heftig. Wieder ein Treffer, irgendwo unter dem Achterdeck.

Doch da blies der Wind auf einmal den Qualm vom Deck; jetzt erst konnte er Broughtons Gesicht richtig sehen und erkannte blitzartig, daß er sich die ganze Zeit geirrt hatte: Broughton hatte ihn gar nicht testen oder sich ein Bild über seine taktischen Fähigkeiten machen wollen! Wie ein Eiswasserguß über den Rücken kam ihm die Erkenntnis, daß Broughton keine Ahnung hatte, was er tun sollte! Sein Plan war zu starr, und wenn er nicht funktionierte, hatte er keine Alternative parat!

Er sagte:»Im Augenblick können wir nichts weiter tun, Sir.»

Partridge rief:»Acht Minuten, Sir.»

Da nickte Broughton.»Schön. Wenn Sie meinen.»

«Feuer einstellen!«brüllte Bolitho.»Mr. Tothill, Signal an die Valorous: gt;Sofort abdrehen und Aktion einstellend»

Als die Euryalus schwieg, schoß auch das Fort nicht mehr — vermutlich mußte die Besatzung sehr sparsam mit ihrer Munition umgehen. Eine Niederlage hätten sie trotzdem nicht fürchten müssen, dachte er bitter: fast jeder Schuß der Festungsbatterie hatte gesessen.

«Valorous bestätigt, Sir!»

Der Umriß des Zweideckers wurde länger, er begann die Wende und drehte mit fast backschlagenden Segeln durch den Wind.

«Mr. Keverne«, rief Bolitho,»melden Sie Verluste und Schäden!«Und zu Broughton:»Wir müssen die Marine — Infanterie unterstützen, Sir. Sie warten bestimmt auf Hilfe.»

Resigniert blickte der Admiral auf die vorbeigleitende Küstenlinie. Unten schrie und wimmerte jemand; Bolitho spürte das dringende Verlangen, sich erst einmal um seine Männer und sein Schiff zu kümmern.

Aber er ließ nicht locker.»Ihre Instruktionen, Sir?»

Broughton schien sich zusammenzureißen, und als er antwortete, war seine Stimme wieder fester, jedoch ohne Überzeugungskraft.»Signal an Geschwader: gt;Bei Flaggschiff sammeln!««Seine Lippen arbeiteten, als wollten sie noch einen weiteren Befehl formulieren, doch der kam nicht.

«Mr. Tothill«, sagte Bolitho,»hissen Sie das Signal sofort!»

«Und dann«, fuhr Broughton zögernd fort und schob die Unterlippe vor,»könnten wir noch ein weiteres Landekommando absetzen. Mit ein paar Geschützen, wenn wir eine günstige Stelle finden.»

Bolitho sah ihn nicht an.»Jawohl, Sir. «Schon jetzt war ihm klar, was es für eine ungeheure Anstrengung kosten würde, auch nur einen Zweiunddreißigpfünder an Land und den Hügel hinaufzuschaffen. Nur ein Geschütz von diesem Kaliber konnte gegen das Kastell irgend etwas ausrichten. Man würde dazu hundert Mann oder noch mehr brauchen, und eine beträchtliche Eingreifreserve für den Fall, daß der Feind einen Ausfall machte und angriff. Eine» Lange Neun «wog über hundert Tonnen; und man würde mehr als eine brauchen.

Aber das war immer noch besser, als das Geschwader bei der sinnlosen Prozession über die Bucht in Stücke hauen zu lassen.

Er drehte sich um und fuhr zusammen, denn Tothill hatte ihn angerufen.»Was ist? Haben alle bestätigt?»

«Das meine ich nicht, Sir. «Der Midshipman deutete über die Steuerbordnetze.»Die Coquette verläßt ihre Station und setzt mehr Segel,

Sir.»

Bolitho hob das Teleskop und sah, daß dunkle Knäuel zur Rah der Coquette aufstiegen und sich zu bunten Tupfen entfalteten.

«Signal von Coquette, Sir«, rief Tothill. gt;»Unbekanntes Segel mit Kurs Nordwestlt;.»

Bolitho setzte sein Glas ab und sah Broughton an.»Soll ich die Co-quette die Verfolgung aufnehmen lassen, Sir?»

Tothills Stimme schnitt die Antwort Broughtons ab. »Coquette setzt weiteres Signal. «Eine Pause — wieder sah Bolitho den Muskel an Broughtons Wange scharf und regelmäßig zucken. Dann meldete Tothill wieder:»gt;Fremdes Schiff geht über Staglt;, Sir.»

Ratlos hob Broughton die Arme.»Mindestens eine Fregatte. Da müßte die Coquette mit ihr fertig werden können. «Er blickte Bolitho unsicher an.»Die wird jetzt überall ausposaunen, daß wir hier sind!»

«Ich schlage vor, wir rufen die Marine-Infanterie zurück, Sir. «Bo-litho hatte den Gedanken an das Landen von Geschützen, an das nötige Geschirr und die erforderlichen Boote fallengelassen. Dazu war jetzt keine Zeit mehr, sie konnten von Glück sagen, wenn sie alle ihre Marine-Infanteristen heil zurückbekamen; es konnte ja ein feindliches Geschwader in der Nähe sein.

«Nein. «Broughtons Augen waren steinern. »Ich ziehe mich nicht zurück. Ich habe meine Befehle. Und Sie auch!«Er deutete auf die kahlen Hügel.»Djafou muß genommen werden, ehe feindliche Schiffe hier sind! Muß, verstehen Sie?«Er schrie beinahe; ein paar Matrosen an den Geschützen starrten herauf.

Messerscharf schnitt Draffens Stimme durch die kurze Stille. Wo er während der ganzen Aktion gesteckt hatte, wußte Bolitho nicht; aber jetzt wirkte er sehr ruhig. Seine Augen waren kalt und gelassen wie die eines Jägers kurz vor dem Fangschuß.»Ich mache einen Vorschlag, Sir Lucius.»

Broughton wandte sich zu ihm um, und Draffen fuhr fort:»Denn ich denke, wir haben jetzt mit konventionellen Methoden genügend Zeit verschwendet.»

Einen Moment dachte Bolitho, der Admiral würde wieder aggressiv werden. Doch er sagte nur:»Bitte sprechen Sie, Sir Hugo, ich höre. «Er blickte sich um, als suche er die Kampanjeleiter.»In meiner Kajüte am besten.»

Bolitho sagte:»Ich werde dem Geschwader gt;Kurs Westlt; signalisieren, Sir. Die Restless und die Coquette können vorläufig auf ihren Stationen bleiben.»

Er wartete, denn er sah, daß Broughton nach Worten suchte.»Ja«, brachte er schließlich heraus und wiederholte mit etwas festerer Stimme:»Ja, machen Sie das. «Als sie das Achterdeck verließen, sagte Keverne leise:»Wir sind immer noch besser weggekommen als die Tanais, Sir. Die hat zwanzig Mann verloren. Wir haben sieben Tote und fünf durch Splitter Verwundete.»

Bolitho blickte noch immer zur Kampanje und fragte sich, was Draffen wohl jetzt noch vorschlagen konnte.

«Schäden?»

«Hörte sich schlimmer an, als es ist, Sir. Die Zimmerleute sind schon unten.»

«Gut. Sagen Sie Mr. Grubb, er soll seine Männer so bald wie möglich anfangen lassen.»

Der erste Tote wurde durch das Hauptluk heraufgebracht und zur Bestattung an Deck gelegt. In diesen wenigen Minuten hatten sie sieben Tote gehabt. Ungefähr einen pro Minute. Bolitho preßte die Hände auf dem Rücken zusammen und schritt langsam zur Luvseite. Plötzlich überkam ihn Wut. Die Euryalus war sozusagen der stärkste Trumpf der Seekriegsführung. Und doch war sie gegen ein uraltes Kastell mit ein paar Kanonieren so ohnmächtig wie eine königliche Prunkbark.

«Ich gehe zum Admiral, Mr. Keverne.»

«Sir?»

«Auch ich habe ein paar Ideen, und die will ich ihm sofort vortragen.»

Allday sah ihn vorbeigehen und lächelte bedächtig; Bolitho war also stinkwütend. Höchste Zeit, dachte er, daß der Captain den Oberbefehl übernimmt, sonst geht es uns allen dreckig.