"Harry Potter und der Gefangene von Askaban" - читать интересную книгу автора (Rowling Joanne K.)

Joanne K. Rowling
Harry Potter und der Gefangene von Askaban

Eulenpost

Harry Potter war in vielerlei Hinsicht ein höchst ungewöhnlicher Junge. So haßte er zum Beispiel die Sommerferien mehr als jede andere Zeit des Jahres. Zudem wollte er in den Ferien eigentlich gern für die Schule lernen, doch er war gezwungen, dies heimlich und in tiefster Nacht zu tun. Und außerdem war er ein Zauberer.

Es war schon fast Mitternacht und er lag bäuchlings im Bett, die Bettdecke wie ein Zelt über seinen Kopf gezogen, eine Taschenlampe in der Hand und ein großes, in Leder gebundenes Buch (Geschichte der Zauberei von Adalbert Schwahfel) ans Kopfkissen gelehnt. Mit zusammengezogenen Brauen fuhr er mit der Spitze seiner Adlertintenfeder über die Buchseiten, auf der Suche nach etwas Brauchbarem für seinen Aufsatz:»Die Hexenverbrennung im vierzehnten Jahrhundert war vollkommen sinnlos. Erörtern Sie die These«.

Am Beginn eines viel versprechenden Absatzes hielt die Feder inne. Harry schob die Brille mit den runden Gläsern die Nase hoch, hielt die Taschenlampe näher an das Buch und las:

Im Mittelalter hatten besondere nichtmagische Menschen (besser bekannt als Muggel) Angst vor der Zauberei, während sie zugleich kaum fähig waren, sie' zu erkennen. In den seltenen Fällen, da sie eine echte Hexe oder einen Zauberer zu fassen bekamen, hatte die Verbrennung keinerlei Wirkung. Die Hexe oder der Zauberer übte einen einfachen Flammengefrier-Zauber aus und schrie dann wie am Spieß, während sie oder er in Wahrheit nur ein angenehmes Kitzeln spürte. Tatsächlich kam Wendeline die Ulkige dermaßen auf den Geschmack, daß sie sich nicht weniger als siebenundvierzig Mal in verschiedenen Verkleidungen fangen und verbrennen ließ.

Harry steckte die Feder zwischen die Zähne und kramte unter dem Kopfkissen nach seinem Tintenfaß und einer Pergamentrolle. Langsam und sehr vorsichtig schraubte er das Tintenfaß auf, tauchte die Feder hinein und begann zu schreiben, dabei hielt er ab und zu inne, um zu lauschen. Wenn einer der Dursleys auf dem Weg ins Badezimmer das Kratzen der Feder hörte, würden sie ihn vermutlich für den Rest des Sommers im Schrank unter der Treppe einsperren.

Die Familie Dursley im Ligusterweg Nummer vier war der Grund, weshalb Harry seine Sommerferien nie genießen konnte. Onkel Vernon, Tante Petunia und ihr Sohn Dudley waren Harrys einzige noch lebende Verwandte. Sie waren Muggel und hatten eine ausgesprochen mittelalterliche Einstellung zur Zauberei. Über Harrys tote Eltern, die selbst Hexe und Zauberer gewesen waren, fiel unter dem Dach der Dursleys niemals auch nur ein Wort. jahrelang hatten Tante Petunia und Onkel Vernon gehofft, wenn sie Harry nur immer unter der Knute hielten, würden sie ihm die Zauberei schließlich austreiben. Zu ihrer großen Verbitterung hatte es nicht geklappt. Und heute lebten sie in ständiger Angst davor, jemand könnte herausfinden, daß Harry seit zwei Jahren nach Hogwarts ging, auf die Schule für Hexerei und Zauberei. Alles, was sie tun konnten, war, Harrys Zauberbücher, Zauberstab, Kessel und Besen zu Beginn der Sommerferien wegzuschließen und ihm zu verbieten, mit den Nachbarn zu sprechen.

Daß Harry nicht an die Zauberbücher herankam, war ein erhebliches Problem, denn die Lehrer in Hogwarts hatten ihm für die Ferien eine Menge Arbeit aufgegeben. Einer der Aufsätze, ein besonders kniffliger über Schrumpftränke, war für Professor Snape, den Lehrer, den Harry am wenigsten leiden konnte und der sich über jeden Grund freuen würde, Harry einen Monat Arrest aufzubrummen. Deshalb hatte Harry in der ersten Ferienwoche eine Gelegenheit beim Schopf gepackt: Während Onkel Vernon, Tante Petunia und Dudley im Vorgarten waren, um Onkel Vernons neuen Firmenwagen zu bewundern (So laut, daß sämtliche Nachbarn nicht umhinkonnten, ebenfalls Notiz zu nehmen), schlich sich Harry nach unten, stocherte mit einer Nadel das Schloß am Treppenschrank auf, griff sich ein paar Bücher und versteckte sie in seinem Zimmer. Solange er keine Tintenflecke auf der Bettwäsche hinterließ, würden die Dursleys nie erfahren, daß er nachts Zauberei büffelte.

Gerade jetzt wollte Harry Ärger mit dem Onkel und der Tante um jeden Preis vermeiden, denn sie waren ohnehin noch schlechter auf ihn zu sprechen als gewöhnlich schon, einzig und allein deshalb, weil er in den ersten Ferientagen einen Anruf von einem befreundeten Zauberer bekommen hatte.

Ron Weasley, der beste Freund Harrys in Hogwarts, kam aus einer richtigen Zaubererfamilie. Das hieß, daß er zwar einiges mehr über Zauberei wußte als Harry, jedoch noch nie ein Telefon benutzt hatte. Zu allem Unglück war es auch noch Onkel Vernon, der ans Telefon ging.

»Vernon Dursley am Apparat.«

Harry, der zufällig im Zimmer war, erstarrte, als er Rons Stimme antworten hörte.

»Hallo? Hallo? Können Sie mich hören? Ich – möchte – mit – Harry – Potter – sprechen!«

Ron schrie so laut, daß Onkel Vernon zusammenzuckte, den Hörer eine Handbreit von seinem Ohr weghielt und ihn mit einer Mischung aus Zorn und Furcht anstarrte.

»Wer ist da?«, dröhnte er in Richtung Sprechmuschel.»Wer sind Sieh«

»Ron – Weasley!«, brüllte Ron zurück, als ob er und Onkel Vernon sich quer über ein Fußballfeld hinweg unterhalten würden.»Ich – bin – ein – Schulfreund – von – Harry -«

Onkel Vernons kleine Augen funkelten Harry an, der immer noch wie angewurzelt dastand.

»Es gibt hier keinen Harry Potter!«, polterte Onkel Vernon und hielt den Hörer nun weit von sich weg, als ob der gleich explodieren würde.»Ich weiß nicht, von welcher Schule Sie reden! Ich verbitte mir weitere Belästigungen! Und kommen Sie ja nicht in die Nähe meiner Familie!«

Er warf den Hörer auf die Gabel, als wollte er eine Giftspinne abschütteln.

Darauf folgte ein ganz häßlicher Krach.

»Wie kannst du es wagen, diese Nummer Leuten – Leuten wie deinesgleichen zu geben!«, polterte Onkel Vernon und besprühte Harry mit mächtig viel Spucke.

Ron hatte offenbar begriffen, daß er Harry in Schwierigkeiten gebracht hatte, denn er rief nicht mehr an. Auch Harrys beste Freundin in Hogwarts, Hermine Granger, meldete sich nicht. Harry vermutete, daß Ron ihr gesagt hatte, sie solle lieber nicht anrufen. jammerschade, denn Hermine war die Beste in Harrys Jahrgang, hatte Muggeleltern, wußte sehr wohl, wie man ein Telefon benutzte, und wäre wahrscheinlich so umsichtig, nicht zu erwähnen, daß sie nach Hogwarts ging.

Harry erfuhr also fünf lange Wochen nichts von seinen Zaubererfreunden und dieser Sommer erwies sich als fast so schlimm wie der letzte. Nur einen kleinen Lichtblick gab es: Nachdem er den Dursleys geschworen hatte, daß er Hedwig keine Briefe für die Freunde in den Schnabel stecken würde, hatten sie ihm erlaubt, seine Eule nachts herauszulassen. Onkel Vernon hatte nachgegeben wegen des Höllenlärms, den Hedwig veranstaltete, wenn sie die ganze Zeit in ihrem Käfig eingeschlossen blieb.

Harry unterbrach seine Arbeit über Wendeline die Ulkige und lauschte in die Nacht hinein. Die Stille im dunklen Haus wurde nur vom fernen, grunzenden Geschnarche seines massigen Vetters Dudley gestört. Es mußte sehr spät sein. Harrys Augen juckten vor Müdigkeit. Vielleicht sollte er den Aufsatz besser morgen Nacht fertig schreiben…

Er schraubte das Tintenfaß zu, zog einen alten Kissenbezug unter dem Bett hervor, steckte die Taschenlampe, die Geschichte der Zauberei, Aufsatz, Feder und Tinte hinein, stieg aus dem Bett und versteckte die Sachen unter einem losen Dielenbrett unter dem Bett. Dann richtete er sich auf, streckte sich und warf einen Blick auf das leuchtende Zifferblatt des Weckers auf dem Nachttisch.

Es war ein Uhr morgens. Harrys Herz machte einen kleinen Hüpfer. Eine Stunde schon war er, ohne es bemerkt zu haben, dreizehn Jahre alt.

Doch ein weiterer ungewöhnlicher Zug an Harry war, daß er sich so wenig auf seine Geburtstage freute. Noch nie im Leben hatte er eine Geburtstagskarte bekommen. Die Dursleys hatten seine letzten beiden Geburtstage völlig ignoriert und er hatte keinen Grund zu erwarten, daß es diesmal anders sein würde.

Harry ging durch das dunkle Zimmer, vorbei an Hedwigs großem, leerem Käfig, hinüber zum offenen Fenster. Er lehnte sich gegen den Fensterrahmen und nach so langer Zeit unter der Bettdecke strich die kühle Luft angenehm über sein Gesicht. Hedwig war jetzt schon zwei Nächte lang weg. Harry sorgte sich nicht ihretwegen; sie war schon öfter so lange fort gewesen, doch er hoffte, sie bald wieder zu sehen – immerhin war sie das einzige Lebewesen in diesem Haus, das bei seinem Anblick nicht zusammenschreckte.

Harry, wenn auch immer noch recht klein und mager für sein Alter, war im letzten Jahr um ein paar Zentimeter gewachsen. Sein rabenschwarzes Haar jedoch war wie immer – widerborstig verstrubbelt, da konnte er machen, was er wollte. Die Augen hinter seiner Brille waren hellgrün und auf der Stirn, durch die Haare deutlich zu sehen, hatte er eine schmale Narbe, die aussah wie ein Blitz.

Unter all den ungewöhnlichen Merkmalen Harrys war diese Narbe wohl das außergewöhnlichste. Sie war nicht, wie die Dursleys jahrelang geschwindelt hatten, das Überbleibsel eines Autounfalls, bei dem Harrys Eltern umgekommen seien. Lily und James Potter waren nicht bei einem Unfall gestorben. Sie wurden ermordet, ermordet von Lord Voldemort, dem gefürchtetsten schwarzen Magier seit Hunderten von Jahren. Harry war diesem Angriff mit nichts weiter als einer Narbe auf der Stirn entkommen, wobei Voldemorts Fluch, anstatt ihn zu töten, gegen seinen Urheber zurückgeprallt war. Voldemort, fast zu Tode entkräftet, war geflohen…

Doch Harry war ihm in Hogwarts wieder begegnet. Während er am Fenster stand und sich an das letzte Zusammentreffen erinnerte, mußte er sich eingestehen, daß er von Glück reden konnte, überhaupt seinen dreizehnten Geburtstag zu erleben.

Er suchte den sternfunkelnden Himmel nach einem Zeichen von Hedwig ab, die vielleicht in Windeseile mit einer toten Maus im Schnabel auf der Rückreise zu ihm war und dafür Lob erwartete. Gedankenverloren ließ er seinen Blick über die Dächer schweifen, und es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, was er da vor Augen hatte.

Vom goldenen Mondlicht umflutet und jeden Moment größer werdend, sah er ein Ungetüm mit merkwürdiger Schlagseite auf sich zuflattern. Reglos stand er da und beobachtete, wie es immer tiefer sank – für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er, die Hand am Fenstergriff, und fragte sich, ob er es zuschlagen sollte – doch dann surrte das ungeheure Geschöpf über eine der Straßenlaternen des Ligusterwegs, und Harry, der nun erkannte, was es war, sprang zur Seite.

Durchs Fenster schwebten drei Eulen herein, zwei davon hielten eine dritte, die ohnmächtig schien, in den Krallen. Mit einem leisen Flumphh landeten sie auf Harrys Bett und die mittlere Eule, groß und grau, kippte sofort um und blieb reglos liegen. An ihre Beine war ein großes Päckchen gebunden.

Harry erkannte die ohnmächtige Eule sofort – ihr Name war Errol und sie gehörte der Familie Weasley. Mit einem Satz war er am Bett, entknotete die Schnüre um Errols Beine, nahm das Päckchen und trug Errol hinüber zu Hedwigs Käfig. Errol öffnete ein trübes Auge, fiepte ein Dankeschön und würgte ein paar Schlucke Wasser hinunter.

Harry wandte sich den beiden anderen Eulen zu. Eine davon, die große weibliche Schnee-Eule, war seine Hedwig. Auch sie trug ein großes Päckchen und sah höchst zufrieden mit sich aus. Sie kniff Harry liebevoll ins Ohr, während er ihr die Last abnahm, und flog dann quer durchs Zimmer hinüber zu Errol.

Die dritte Eule, ein hübscher Waldkauz, erkannte Harry nicht, doch er wußte sofort, woher sie kam, denn außer einem dritten großen Päckchen trug sie auch einen Brief mit dem Siegel von Hogwarts. Als Harry dieser Eule die Last abgenommen hatte, raschelte sie bedeutungsschwer mit den Federn, spreizte die Flügel und flatterte durch das Fenster hinaus in die Nacht.

Harry setzte sich aufs Bett, nahm Errols Päckchen in die Hand, riß das braune Papier ab und entdeckte ein in Goldpapier eingewickeltes Geschenk und die erste Geburtstagskarte seines Lebens. Zwei Blätter fielen heraus – ein Brief und ein Zeitungsausschnitt.

Der Ausschnitt stammte offensichtlich aus der Zaubererzeitung, dem Tagespropheten, denn die Menschen auf den Schwarzweißfotos bewegten sich. Harry hob das Blatt hoch, glättete es und las:

Beamter des Zaubereiministeriums gewinnt Großen Preis

Arthur Weasley, Chef der Abteilung gegen den Mißbrauch von Muggelartefakten im Zaubereiministerium, hat den jährlich vergebenen Großen Goldpreis des Tagespropheten gewonnen

Der entzückte Mr Weasley sagte gegenüber dem Tagespropheten:»Wir werden das Gold für einen Sommerurlaub in Ägypten ausgeben, wo unser ältester Sohn, Bill, als Fluchbrecher für die Gringotts-Zaubererbank arbeitet.«

Die Familie Weasley wird einen Monat in Ägypten verbringen und zu Beginn des neuen Schuljahres in Hogwarts, das gegenwärtig fünf ihrer Kinder besuchen, zurückkehren.

Harry warf einen Blick auf das sich bewegende Foto und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Alle neun Weasleys standen da vor einer großen Pyramide und winkten ihm begeistert zu. Die fällige kleine Mrs Weasley, der große, zur Glatze neigende Mr Weasley, sechs Söhne und eine Tochter, allesamt (auf dem Schwarzweißfoto natürlich nicht zu sehen) mit flammend roten Haaren. In der Mitte des Bildes war Ron, groß und schlaksig, seine Hausratte Krätze auf der Schulter und den Arm um seine kleine Schwester Ginny gelegt.

Harry fiel niemand ein, der einen großen Haufen Gold mehr verdient hätte als die Weasleys, die sehr nett und furchtbar arm waren. Er nahm Rons Brief in die Hand und entfaltete ihn.

Lieber Harry,

herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!

Hör mal, das mit dem Telefonanruf tut mir wirklich Leid. Ich hoffe, die Muggel haben dich in Ruhe gelassen. Ich hab Dad gefragt, und er meint, ich hätte nicht in den Hörer brüllen sollen.

Es ist toll hier in Ägypten. Bill hat uns alle Gräber gezeigt und du glaubst gar nicht, mit welchen Flüchen diese alten ägyptischen Zauberer sie belegt haben. Mum wollte nicht, daß Ginny mit in die letzte Grabkammer geht. Dadrin waren eine Menge komischer Skelette von Muggeln, die das Grab ausrauben wollten und denen neue Köpfe und eklige Sachen gewachsen sind.

Ich konnte nicht fassen, daß Dad den Preis des Tagespropheten gewonnen hat. Siebenhundert Galleonen! Das meiste davon geht für diesen Urlaub drauf, aber sie kaufen mir einen neuen Zauberstab fürs nächste Schuljahr.

Harry erinnerte sich nur zu gut an damals, als Rons alter Zauberstab abgeknackst war. Es war passiert, als das Auto, das er und Ron nach Hogwarts geflogen hatten, gegen einen Baum auf dem Schulgelände gekracht war.

Wir sind eine Woche vor Schulbeginn zurück und fahren dann hoch nach London, um meinen neuen Zauberstab und unsere Bücher zu besorgen. Könnten wir uns dort vielleicht treffen?

Laß dir von den Muggeln nicht die Laune verderben! Versuch doch, nach London zu kommen,

Ron

PS: Percy ist Schulsprecher. Letzte Woche hat er den Brief bekommen.

Erneut musterte Harry das Foto. Percy, im siebten und letzten Schuljahr in Hogwarts, sah besonders schmuck aus mit seinem neuen silbernen Abzeichen, das auf dem Fes schimmerte.

Harry – das ist ein Taschenspickoskop. Wenn jemand in der Nähe ist, dem man nicht trauen kann" soll es aufleuchten und sich drehen. Bill sagt, es ist Plunder, den sie für die Zauberertouristen verkaufen, und man könne sich nicht darauf verlassen, weil es gestern Abend beim Essen ständig aufleuchtete. Aber er hat nicht bemerkt, daß Fred und George Käfer in seine Suppe gemischt haben.

Tschau, Ron

Harry stellte das Taschenspickoskop auf den Nachttisch, wo es auf seinem spitzen Ständer reglos im Gleichgewicht blieb und die Leuchtzeiger seines Weckers spiegelte. Eine Welle betrachtete er es glücklich, dann griff er nach dem Päckchen, das Hedwig gebracht hatte.

Auch darin war ein Geschenk eingewickelt sowie eine Karte und ein Brief, diesmal von Hermine.

Lieber Harry,

Ron hat mir geschrieben und von seinem Anruf bei Onkel Vernon berichtet. Ich hoffe, es geht dir gut und sie haben deine Knochen heil gelassen.

Ich verbringe die Ferien in Frankreich und wußte nicht, wie ich dir diesen Brief schicken sollte – was, wenn sie ihn am Zoll öffnen würden? – Doch dann tauchte Hedwig auf! Ich glaube, sie wollte sichergehen, daß du zur Abwechslung mal was zum Geburtstag bekommst. Ich hab dein Geschenk beim Eulenexpress bestellt, im Tagespropheten war eine Anzeige. (Ich hab ihn abonniert, um mich über die Zaubererwelt auf dem Laufenden zu halten.) Hast du dieses Bild von Ron und seiner Familie gesehen, das sie vor einer Woche gebracht haben? Ich wette, er lernt eine Menge, ich bin ganz neidisch – diese alten ägyptischen Zauberer sind wirklich faszinierend.

Auch hier in der Gegend haben sie eine spannende Hexereivergangenheit. Ich habe meinen Aufsatz zur Geschichte der Zauberei völlig umgeschrieben und einiges von dem eingebaut, was ich herausgefunden habe. Ich hoffe, er ist nicht zu lang geworden – zwei Rollen Pergament mehr, als Professor Binns verlangt.

Ron sagte, er sei in der letzten Ferienwoche in London. Kannst du auch kommen? Werden dein Onkel und deine Tante es erlauben? Ich hoffe sehr, es klappt – wenn nicht, sehen wir uns am ersten September im Hogwarts-Express. Alles Liebe,

Hermine

PS: Ron schreibt, Percy sei jetzt Schulsprecher. ich wette, der ist ganz aus dem Häuschen. Ron scheint darüber nicht besonders glücklich zu sein.

Schmunzelnd legte Harry Hermines Brief beiseite und nahm ihr Geschenk in die Hand. Es war sehr schwer. Er kannte Hermine und sicher war es ein großes Buch voll schwieriger Zaubersprüche – aber nein. Sein Herz fing mächtig an zu hüpfen, als er das Papier abriß und ein schmales schwarzes Ledertäschchen zum Vorschein kam, auf das silberne Lettern gedruckt waren: Besenpflege-Set.

»Mensch, Hermine!«, flüsterte Harry und zog den Reißverschluß auf

Das Täschchen enthielt eine große Flasche Fleetwoods Hochglanzpolitur, eine silbrig schimmernde Reisig-Knipszange, einen winzigen Messingkompass, den man für lange Reisen an den Besen klemmen konnte, und ein Do-it-yourself-Handbuch der Besenpflege.

Es gab noch etwas außer seinen Freunden, das Harry in den Ferien heftig vermißte, und das war der beliebteste Sport in der Zaubererwelt – Quidditch, hochgefährlich, äußerst spannend und gespielt auf fliegenden Besen. Zudem war Harry ein begnadeter Quidditch-Spieler; er war einer der jüngsten seit hundert Jahren, die für eine der Hausmannschaften von Hogwarts aufgestellt worden waren. Und besonders stolz war er auf seinen Rennbesen, einen Nimbus Zweitausend.

Harry legte das Ledertäschchen beiseite und hob sein letztes Päckchen hoch. Er erkannte das fahrige Gekrakel auf dem braunen Papier sofort – es stammte von Hagrid, dem Wildhüter von Hogwarts. Er riß die obere Lage des Papiers ab und sah darunter etwas Grünes und Ledriges, doch bevor er es richtig auswickeln konnte, begann das Päckchen merkwürdig zu zittern und was immer darin war, schnappte laut – als ob es kräftige Beißwerkzeuge hätte.

Harry erstarrte. Er wußte, daß Hagrid ihm nie absichtlich etwas Gefährliches schicken würde, allerdings hatte der Wildhüter seine eigenen Auffassungen von dem, was gefährlich war. Hagrid hatte sich immerhin schon mit Riesenspinnen angefreundet, heimtückische, dreiköpfige Hunde von zwielichtigen Gestalten in Wirtshäusern gekauft und heimlich verbotene Dracheneier in seiner Hütte ausgebrütet.

Harry klopfte nervös gegen das Päckchen. Aus dem Innern kam erneut ein lautes Schnappen. Er nahm die Lampe vom Nachttisch, packte sie fest mit der einen Hand und hob sie über den Kopf bereit zum Zuschlagen. Dann nahm er das restliche Packpapier in die Hand und riß es herunter.

Und heraus fiel – ein Buch. Harry hatte gerade noch Zeit, einen Blick auf den hübschen grünen Umschlag zu werfen, auf dem in goldenen Lettern der Titel Das Monsterbuch der Monster prangte, da stand es auch schon halb aufgeklappt auf den Rändern und klappte seitlich über das Bett hinweg wie ein widerlicher Krebs.

»Urrgh«, murmelte Harry.

Geräuschvoll fiel das Buch vom Bett und schlurfte rasch durch das Zimmer. Harry folgte ihm vorsichtig. Das Buch versteckte sich im Dunkeln unter seinem Schreibtisch. Harry flehte zum Himmel, daß die Dursleys noch tief schlafen mochten, ließ sich auf die Knie nieder und streckte die Hand nach dem Buch aus.

»Autsch!«

Das Buch klatschte zu und klemmte seine Hand ein, dann hoppelte es eilig auf dem Umschlag an ihm vorbei. Harry wirbelte herum, warf sich mit einem Sprung auf das Buch und preßte es flach auf den Boden. Im Zimmer nebenan ließ Onkel Vernon ein lautes, schlaftrunkenes Grunzen ertönen.

Hedwig und Errol beobachteten interessiert, wie Harry das widerspenstige Buch fest unter den Arm klemmte, zur Kommode hinüberstürzte, einen Gürtel herauszog und ihn stramm um das Buch schnürte. Das Monsterbuch zitterte zornig, doch es konnte jetzt nicht mehr klappen und schnappen. Harry warf es aufs Bett und hob Hagrids Karte auf.

Lieber Harry,

herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag! Dachte, du könntest das im nächsten Schuljahr vielleicht nützlich finden. Will hier nicht mehr verraten. Ich sag's dir, wenn wir uns sehen.

Ich hoffe, die Muggels behandeln dich anständig. Alles Gute,

Hagrid

Harry kam es merkwürdig vor, daß Hagrid glaubte, ein beißendes Buch würde ihm nützen, doch er stellte Hagrids Karte neben die Rons und Hermines und grinste noch ein wenig breiter. jetzt war nur noch der Brief aus Hogwarts übrig.

Harry fiel auf, daß der Umschlag viel dicker war als sonst, ritzte ihn auf und zog die erste Seite Pergament heraus:

Sehr geehrter Mr Potter,

bitte beachten Sie, daß das neue Schuljahr am ersten September beginnt. Der Hogwarts-Express fährt am Bahnhof King's Cross ab, elf Uhr, Gleis neundreiviertel.

Drittkläßlern ist es erlaubt, an bestimmten Wochenenden das Dorf Hogsmeade zu besuchen. Bitte geben Sie die beigefügte Zustimmungserklärung zur Unterschrift Ihren Eltern oder Ihrem Vormund.

Anbei auch eine Liste der Bücher für das nächste Schuljahr.

Mit freundlichen Grüßen

Professor M. McGonagall

Stellvertretende Schulleiterin

PS: Professor Dumbledore und ich wünschen Ihnen einen fröhlichen Geburtstag, Harry.

Harry nahm die Zustimmungserklärung für Hogsmeade heraus und las sie durch. Das Grinsen war ihm vergangen. Es wäre toll, an den Wochenenden ins Dorf zu können; er wußte, daß dort nur Zauberer und Hexen lebten, und er war noch nie da gewesen. Doch wie um alles in der Welt sollte er Onkel Vernon und Tante Petunia überreden, die Erlaubnis zu unterschreiben?

Er sah auf den Wecker. Es war jetzt zwei Uhr morgens.

Harry beschloß sich über die Erlaubnis für Hogsmeade Gedanken zu machen, wenn er aufwachte, stieg wieder ins Bett und streckte die Hand aus, um ein weiteres Kreuzchen auf dem Kalender zu machen, den er sich gebastelt hatte, um die verbleibenden Tage bis zur Rückkehr nach Hogwarts zu zählen. Dann nahm er die Brille ab, legte sich hin und sah mit weit geöffneten Augen auf seine drei Geburtstagskarten.

Mochte er auch ein höchst ungewöhnlicher Junge sein, in diesem Augenblick fühlte sich Harry Potter genau wie jeder andere – zum ersten Mal im Leben einfach froh, daß er Geburtstag hatte.