"Harry Potter und der Feuerkelch" - читать интересную книгу автора (Rowling Joanne K.)

Das Haus der Riddles

In Little Hangleton nannten sie es immer noch das»Riddle-Haus«, obwohl die Familie Riddle schon seit vielen Jahren nicht mehr dort wohnte. Das Haus stand auf einem Hügel mit Blick über das Dorf, einige Fenster waren mit Brettern vernagelt, das Dach war löchrig, und der Efeu rankte sich ungezügelt an den Mauern entlang. Das einst schöne Anwesen der Riddles, das mit Abstand großzügigste und beeindruckendste Haus im ganzen Umkreis, war nun feucht, heruntergekommen und menschenleer.

In Little Hangleton waren sich alle einig: das Haus war ihnen»nicht geheuer«. Ein halbes Jahrhundert zuvor war hier etwas Merkwürdiges, etwas Entsetzliches geschehen, über das die Älteren im Dorf immer noch zu munkeln pflegten, wenn es sonst wenig zu klatschen und zu tratschen gab. Sie hatten die Geschichte so oft aufgewärmt und an so vielen Stellen weitergestrickt, daß keiner mehr so recht wußte, was nun in Wahrheit geschehen war. Doch wer auch immer die Geschichte erzählte, sie begann unweigerlich am selben Ort: Vor fünfzig Jahren – damals führten die Riddles noch einen stattlichen Haushalt – war ein Hausmädchen bei Anbrach eines schönen Sommermorgens in den Salon getreten und hatte alle drei Riddles tot vorgefunden.

Schreiend war das Mädchen den Hügel hinab ins Dorf gestürzt und hatte die halbe Einwohnerschaft aus dem Schlaf gerissen.

»Da oben liegen sie mit offenen Augen! Eiskalt! Und haben noch ihre Abendgarderobe an!«

Die Polizei wurde gerufen und in ganz Little Hangleton breitete sich eine Mischung aus ängstlicher Neugier und kaum verhohlener Erregung aus. Niemand gab sich sonderliche Mühe so zu tun, als wäre er besonders traurig über den Tod der Riddles, denn sie waren ausgesprochen unbeliebt gewesen. Mr und Mrs Riddle, die älteren Herrschaften, galten als reich, hochnäsig und grob, und ihr erwachsener Sohn Tom hatte sie darin noch übertroffen. Die Menschen im Dorf wollten einzig und allein wissen, wer der Mörder war – denn natürlich fielen drei offenbar gesunde Menschen nicht eines Abends einfach tot um.

Im Gehängten Mann, dem Dorfpub, ging es an diesem Abend hoch her; alles, was Beine hatte, war gekommen, um über die Morde zu spekulieren. Und es hatte sich gelohnt, die heimischen Kaminfeuer zu verlassen, denn plötzlich tauchte die Köchin der Riddles in ihrer Mitte auf und verkündete dem schlagartig verstummten Publikum mit dramatischer Geste, ein Mann namens Frank Bryce sei gerade verhaftet worden.

»Frank!«, riefen einige Gäste.»Unmöglich!«

Frank Bryce war der Gärtner der Riddles. Er war mit einem stocksteifen Bein und einer großen Abscheu vor Menschenansammlungen und Lärm aus dem Krieg zurückgekehrt und hatte seither immer für die Riddles gearbeitet.

An der Theke gab es jetzt Gedrängel, denn man wollte die Köchin nicht auf dem Trockenen sitzen lassen und Genaueres von ihr hören.

»Mir ist er immer schräg vorgekommen«, verkündete sie nach dem vierten Glas Sherry den begierig lauschenden Dörflern.»Irgendwie unfreundlich. Ich hab ihm mal 'ne Tasse Tee angeboten, aber das hat mir gereicht. Der wollte nichts mit anderen zu tun haben, das hat man gleich gemerkt.«

»Nun ja«, sagte eine Frau an der Bar,»der Krieg war 'ne harte Zeit für Frank, er mag eben gern seine Ruhe. Das ist noch lange kein Grund -«

»Wer sonst hatte denn einen Schlüssel für die Hintertür?«, fauchte die Köchin zurück.»In der Gärtnerhütte hing immer ein Zweitschlüssel, das hab ich selbst gesehen! Gestern Nacht hat jedenfalls keiner die Tür aufgebrochen! Und die Fenster wurden auch nicht eingeschlagen! Frank mußte bloß ins Herrenhaus schleichen, während wir alle schliefen…!«

Die Dörfler wechselten viel sagende Blicke.

»Ich hab mir immer schon gedacht, der hat den bösen Blick, sag ich euch«, brummte ein Mann an der Bar.

»Der Krieg hat 'nen komischen Kauz aus ihm gemacht«, sagte der Wirt.

»Hab doch immer gesagt, ich will Frank lieber nicht in die Quere kommen, stimmt's, Dot?«, sagte eine aufgeregte Frau in der Ecke.

»Übles Temperament«, erwiderte Dot und nickte eifrig.»Ich hab ihn schon als Kind gekannt…«

Am nächsten Morgen zweifelte kaum noch jemand in Little Hangleton daran, daß Frank Bryce die Riddles ermordet hatte. Doch drüben im benachbarten Städtchen Great Hangleton, im dunklen und schäbigen Polizeirevier, behauptete Frank hartnäckig, er sei unschuldig. Der einzige Mensch, den er an jenem Tag, als die Riddles getötet wurden, in der Nähe ihres Hauses gesehen hatte, war ein Junge im Teenageralter, ein Fremder mit dunklen Haaren und blassem Gesicht. Im Dorf jedoch hatte kein Mensch diesen Jungen gesehen, und die Polizisten waren sich ziemlich sicher, daß Frank ihn erfunden hatte.

Schließlich, als es für Frank schon bitterernst aussah, traf der Untersuchungsbericht über die Leichen der Riddles ein, und mit einem Schlag änderte sich alles.

Die Polizisten hatten noch nie einen so merkwürdigen Befund gelesen. Ein Ärzteteam hatte die Leichen untersucht und war zu dem Schluß gekommen, daß keiner der Riddles vergiftet, erstochen, erschossen, erwürgt, erstickt oder (soweit sie dies sagen konnten) überhaupt verletzt worden war. Tatsächlich, so hieß es in dem Bericht mit deutlicher Verblüffung weiter, schienen die Riddles alle bei bester Gesundheit zu sein – abgesehen von der Tatsache, daß sie alle tot waren. Allerdings vermerkten die Ärzte, daß allen Toten das Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand – doch einer der ratlosen Polizisten bemerkte dazu nur: Wer hat je von drei Menschen gehört, die zu Tode geängstigt wurden?

Da ein Mord an den Riddles nicht zu beweisen war, mußte die Polizei Frank laufen lassen. Die Riddles wurden auf dem Friedhof von Little Hangleton bestattet und noch eine ganze Zeit lang wurden die Gräber immer wieder von Neugierigen besucht. Daß Frank Bryce in seine Hütte auf dem Anwesen der Riddles zurückkehrte, überraschte dann alle, und es gab viel Gemunkel.

»Wenn ihr mich fragt, dann hat er sie umgebracht, ist mir doch egal, was die Polizei sagt«, verkündete Dot im Gehängten Mann.»Und wenn nur ein Funken Anstand in ihm steckte, dann würde er hier abhauen, wo ihm doch klar ist, daß er uns nichts vormachen kann.«

Doch Frank zog nicht weg. Er blieb, um den Garten für die nächste Familie, die ins Riddle-Haus einzog, zu besorgen, und dann auch für die übernächste – denn keine Familie blieb lange dort wohnen. Vielleicht hatte es etwas mit Frank zu tun, daß jeder neue Besitzer behauptete, dieses Haus verbreite eine düstere Stimmung. Und als keiner mehr dort wohnte, begann das Haus zu verfallen.

Der reiche Mann, dem das Riddle-Haus inzwischen gehörte, lebte nicht hier und nutzte es auch nicht; im Dorf hieß es, er würde es aus»steuerlichen Gründen«unterhalten, doch keiner wußte so recht, was das heißen sollte. Der reiche Besitzer entlohnte Frank jedoch regelmäßig für seine Arbeit im Garten. Frank war jetzt fast siebenundsiebzig, er war auf einem Ohr taub und sein schlimmes Bein war noch steifer geworden, doch bei schönem Wetter konnte man ihn in den Blumenbeeten harken und schnippeln sehen, auch wenn ihm das Unkraut allmählich die Beine hochkroch.

Doch Unkraut war nicht das Einzige, womit Frank sich herumärgern mußte. Jungs aus dem Dorf kamen öfter herauf und warfen Steine durch die Fenster des Riddle-Hauses. Sie fuhren mit ihren Fahrrädern über den Rasen, den Frank so mühsam hegte und pflegte. Und wenn sie übermütig wurden, brachen sie auch schon mal ins Haus ein. Sie wußten, daß der alte Frank sich mit Leib und Seele dem ganzen Anwesen verschrieben hatte, und sie lachten ihn aus, wenn er durch den Garten humpelte, mit seinem Stock fuchtelte und sie krächzend beschimpfte. Frank wiederum glaubte, die Jungen würden ihn belästigen, weil sie ihn, wie ihre Eltern und Großeltern, für einen Mörder hielten. So dachte sich Frank nichts weiter, als er in einer Augustnacht erwachte und oben am alten Haus etwas recht Merkwürdiges sah. Die Jungs, so glaubte Frank, waren eben noch einen Schritt weiter gegangen, um ihn zu zermürben.

Geweckt hatte ihn sein schlimmes Bein; so stark hatte es noch nie geschmerzt, selbst jetzt im Alter nicht. Er stand auf und humpelte nach unten in die Küche, um seine Wärmflasche aufzufüllen, mit der er seinem steifen Knie ein wenig Linderung verschaffen konnte. Er stand am Waschbecken und füllte den Kessel, als sein Blick zum Herrenhaus hochwanderte. In den oberen Fenstern glommen Lichter. Frank war nicht sonderlich überrascht. Die Jungs waren wieder mal ins Haus eingebrochen, und nach dem flackernden Licht zu schließen hatten sie ein Feuer entfacht.

Frank hatte kein Telefon, und der Polizei vertraute er ohnehin nicht mehr, seit sie ihn nach dem Tod der Riddles zum Verhör mitgenommen hatten. Er ließ den Kessel stehen, hastete, so rasch sein schlimmes Bein es ihm erlaubte, nach oben und brauchte nicht lange, um sich anzuziehen und in die Küche zurückzukehren. Er griff nach einem rostigen alten Schlüssel am Türhaken, packte seinen Stock und machte sich auf in die Nacht.

Die Tür des Riddle-Hauses war offenbar nicht aufgebrochen worden und auch die Fensterscheiben waren noch ganz. Frank humpelte um das Haus herum zu einem Eingang, der fast völlig von Efeu verborgen war, zog den alten Schlüssel aus der Tasche, steckte ihn ins Schloß und öffnete lautlos die Tür.

Sie führte ihn in eine große, gewölbeartige Küche. Frank hatte sie seit Jahren nicht mehr betreten; zwar war es stockdunkel, doch er wußte noch, wo die Tür zum Flur lag. Er tastete sich an der Wand lang, modriger Geruch stieg ihm in die Nase, und er spitzte die Ohren, um ja keine Schritte oder Stimmen von oben zu überhören. Er gelangte in den Flur, wo es dank der großen Sprossenfenster zu beiden Seiten der Haustür ein wenig heller war, und betrat die Treppe. Er konnte von Glück reden, denn die dicke Staubschicht auf den Steinstufen erstickte die Geräusche seiner Schritte und seines Stocks.

Oben auf dem Treppenabsatz wandte sich Frank nach rechts und sah sofort, wo die Eindringlinge steckten: ganz am Ende des Ganges stand eine Tür offen, ein flackerndes Licht fiel durch den Spalt und warf einen langen goldenen Streifen auf den schwarzen Fußboden. Frank umklammerte mit aller Kraft seinen Stock und schlich näher heran. Kurz vor der Tür konnte er ein schmales Stück von dem Zimmer dahinter einsehen.

Jetzt erkannte er, daß das Feuer im Kamin entfacht worden war. Das überraschte ihn. Er blieb stehen und lauschte angestrengt, denn drinnen begann ein Mann zu sprechen; seine Stimme klang schüchtern und ängstlich.

»Es ist noch ein Rest in der Flasche, Herr, wenn Ihr noch hungrig seid.«

»Später«, sagte eine zweite Stimme. Auch sie war die eines Mannes – doch klang sie merkwürdig hoch und kalt wie ein jäher eisiger Windstoß. Etwas an dieser Stimme ließ die spärlichen Haare auf Franks Nacken zu Berge stehen.»Rück mich näher ans Feuer, Wurmschwanz.«

Frank wandte sein rechtes Ohr zur Tür hin, um mehr zu verstehen. Er hörte das Klirren einer Flasche, die auf etwas Hartem abgestellt wurde, und dann das dumpfe Kratzen eines schweren Stuhls, der über den Boden gezogen wurde. Frank erhaschte einen kurzen Blick auf einen kleinen Mann, der mit dem Rücken zu ihm den Stuhl zum Kamin schob. Er trug einen langen schwarzen Umhang und hatte einen kahlen Fleck am Hinterkopf. Dann war er nicht mehr zu sehen.»Wo ist Nagini?«, sagte die kalte Stimme.»Ich – ich weiß nicht, Herr«, sagte die erste Stimme nervös.»Ich glaube, sie erkundet das Haus…«

»Du wirst sie melken, bevor wir uns zurückziehen, Wurmschwanz«, sagte die zweite Stimme.»Ich brauche heute Abend Nahrung. Die Reise hat mich sehr erschöpft.«Mit gerunzelter Stirn neigte Frank sein gutes Ohr noch ein wenig näher Richtung Tür und lauschte gebannt. Ein kurzes Schweigen trat ein und dann sprach erneut der Mann namens Wurmschwanz.

»Herr, darf ich fragen, wie lange wir hier bleiben werden?«

»Eine Woche«, sagte die kalte Stimme.»Vielleicht länger. Hier läßt es sich einigermaßen aushaken und mit dem Plan können wir noch nicht fortfahren. Es wäre eine Dummheit, wenn wir loslegten, bevor die Quidditch-Weltmeisterschaft zu Ende ist.«

Frank steckte sich einen knochigen Finger ins Ohr und fing an zu quirlen. Er hatte das Wort»Quidditch«gehört, zweifellos, weil sich so viel Ohrenschmalz angesammelt hatte, denn»Quidditch«war überhaupt kein Wort.

»Die… die Quidditch-Weltmeisterschaft, Herr?«, fragte Wurmschwanz. (Frank bohrte den Finger noch energischer ins Ohr.)»Verzeiht mir, aber – ich verstehe nicht – warum sollten wir warten, bis die Quidditch-Weltmeisterschaft vorbei ist?«

»Weil zu ebendieser Stunde Zauberer aus aller Herren Länder ins Land strömen, du Dummkopf, und alle Kleinkrämer aus dem Zaubereiministerium ausgeschwärmt sind, um nach ungewöhnlichen Vorkommnissen Ausschau zu halten und jeden doppelt und dreifach zu überprüfen. Die haben nur noch eins im Kopf, nämlich sicherzugehen, daß die Muggel von allem nichts mitkriegen. Deshalb warten wir ab.«

Frank gab es auf, sein Ohr zu putzen. Er hatte klar und deutlich die Wörter»Zaubereiministerium«,»Zauberer«und»Muggel«gehört. Natürlich bedeuteten all diese Ausdrücke etwas Geheimes, und Frank fielen nur zwei Sorten von Leuten ein, die eine Geheimsprache gebrauchten – Spione und Verbrecher. Frank umklammerte seinen Stock noch fester und spitzte die Ohren.

»Eure Lordschaft ist also immer noch entschlossen?«, sagte Wurmschwanz leise.

»Natürlich bin ich entschlossen, Wurmschwanz.«In der kalten Stimme war jetzt eine leise Drohung zu spüren.

Eine kurze Stille trat ein – und dann sprach Wurmschwanz. Die Worte stolperten ihm hastig aus dem Mund, als ob er sich zwingen müßte, sie auszusprechen, bevor ihn der Mut verließ.

»Es könnte auch ohne Harry Potter gehen, Herr.«Wieder trat Schweigen ein, es hielt ein wenig länger an, und dann -

»Ohne Harry Potter?«, hauchte die zweite Stimme kaum vernehmlich.»Ich verstehe…«

»Herr, ich sage dies nicht aus Sorge um den Jungen!«, sagte Wurmschwanz mit hoher, quiekender Stimme.»Der Junge bedeutet mir nichts, überhaupt nichts! Nur, wenn wir einen anderen Zauberer oder eine Hexe nehmen – irgendjemanden -, könnten wir die Sache sehr viel schneller erledigen! Wenn Ihr mir erlauben würdet, Euch für kurze Zeit zu verlassen – Ihr wißt, daß ich mich ganz wirksam tarnen kann -, dann könnte ich in zwei Tagen mit einer geeigneten Person zurück sein -«

»Ich könnte einen anderen Zauberer nehmen«, sagte die zweite Stimme leise,»das ist wahr…«

»Es wäre das Beste, Herr«, sagte Wurmschwanz und klang dabei ausgesprochen erleichtert.»Harry Potter in die Hände zu bekommen wäre so schwierig, er ist sehr gut geschützt«

»Und deshalb meldest du dich freiwillig und willst mir einen Ersatz besorgen? Merkwürdig… vielleicht ist dir die Aufgabe, mich zu pflegen, lästig geworden, Wurmschwanz? Kann dieser Vorschlag, den Plan aufzugeben, denn etwas anderes sein als der Versuch, mich im Stich zu lassen?«

»Herr! Ich… ich habe nicht den Wunsch, Euch zu verlassen, keineswegs -«

»Belüg mich nicht!«, zischte die zweite Stimme.»Mir entgeht nichts, Wurmschwanz! Du bereust, daß du überhaupt zu mir zurückgekommen bist. Bei mir wird dir übel. Ich sehe dich zusammenzucken, wenn du mich ansiehst, ich spüre, wie es dich schaudert, wenn du mich berührst…«»Nein! Meine Hingabe für Eure Lordschaft -«»Deine Hingabe ist nichts weiter als Feigheit. Du wärst nicht hier, wenn du eine andere Zuflucht hättest. Wie soll ich ohne dich überleben, wenn du mich alle paar Stunden füttern mußt? Wer soll Nagini melken?«

»Aber Ihr scheint mir deutlich kräftiger geworden, Herr -«»Lügner«, keuchte die zweite Stimme.»Ich bin nicht kräftiger geworden, und ein paar Tage auf mich allein gestellt würden reichen, um mich des wenigen an Kraft zu berauben, die ich unter deiner tölpelhaften Pflege gewonnen habe. Schweig!«

Wurmschwanz, der zusammenhanglose Worte hervorgesprudelt hatte, verstummte sofort. Ein paar Sekunden lang konnte Frank nichts weiter als das Knistern des Feuers hören. Dann sprach der zweite Mann erneut, mit einem Flüstern, das fast ein Zischen war.

»Ich habe meine Gründe, den Jungen zu verwenden, wie ich dir schon erklärt habe, und ich werde keinen anderen nehmen. Dreizehn Jahre habe ich gewartet. Ein paar Monate mehr schaden da auch nicht. Was den Schutz angeht, mit dem der Junge umgeben ist, so glaube ich, daß mein Plan funktionieren wird. Alles, was ich brauche, ist ein wenig Mut deinerseits, Wurmschwanz – und diesen Mut wirst du aufbringen, wenn du nicht das ganze Ausmaß von Lord Voldemorts Zorn spüren willst -«

»Herr, hört mich an!«, sagte Wurmschwanz, und Panik lag jetzt in seiner Stimme.»Während unserer Reise bin ich den Plan immer wieder durchgegangen – Bertha Jorkins' Verschwinden wird nicht lange unbemerkt bleiben, Herr, und wenn wir fortfahren, falls ich also tatsächlich den Fluch -«

»Falls?«, flüsterte die zweite Stimme.»Falls du den Plan befolgst, Wurmschwanz, braucht das Ministerium nie zu erfahren, daß noch jemand verschwunden ist. Du wirst es in aller Stille und ohne Aufsehen erledigen; ich wünschte nur, ich könnte es selbst tun, doch in meinem jetzigen Zustand… komm schon, Wurmschwanz, ein Hindernis mußt du noch beseitigen, und unser Weg zu Harry Potter ist frei. Ich verlange ja nicht, daß du es alleine machst. Bis dahin wird mein treuer Diener wieder zu uns gestoßen sein -«

»Ich bin Euer treuer Diener«, sagte Wurmschwanz, mit kaum vernehmlichem Trotz in der Stimme.

»Wurmschwanz, ich brauche jemanden mit Verstand, jemanden, der immer unerschütterlich zu mir gestanden hat, und du erfüllst diese Forderung leider nicht.«

»Ich habe Euch gefunden«, sagte Wurmschwanz, und nun war die Widerspenstigkeit in seiner Stimme deutlich zu hören.»Ich war es, der Euch gefunden hat. Ich habe Euch zu Bertha Jorkins gebracht.«

»Das stimmt.«Der zweite Mann klang belustigt.»Ein brillanter Zug, den ich von dir nie erwartet hätte, Wurmschwanz – allerdings, um der Wahrheit die Ehre zu geben, du wußtest doch nicht, wie nützlich sie sein würde, als du sie gefangen hast, nicht wahr?«

»Ich… ich dachte, sie könnte nützlich sein, Herr -«

»Lügner«, sagte die zweite Stimme nun mit unverhohlen grausamer Häme.»Allerdings bestreite ich nicht, daß ihr Wissen unschätzbar war. Ohne es hätte ich nie unseren Plan auf die Beine stellen können und dafür wirst du belohnt werden, Wurmschwanz. Ich werde dir erlauben, eine wichtige Aufgabe für mich zu erledigen, um die sich viele meiner Anhänger geradezu reißen würden…«

»W-wirklich, Herr? Was -?«Wieder schwang Angst in Wurmschwanz' Stimme mit.

»Aah, Wurmschwanz, du willst doch nicht, daß ich dir die Überraschung verderbe? Dein Auftritt kommt ganz am Schluß… aber ich verspreche dir, du wirst die Ehre haben, genauso nützlich zu sein wie Bertha Jorkins.«

»Ihr… Ihr…«Wurmschwanz klang plötzlich heiser, als wäre sein Mund völlig ausgetrocknet.»Ihr… werdet… auch mich töten?«

»Wurmschwanz, Wurmschwanz«, sagte die kalte Stimme schmeichlerisch,»warum sollte ich dich töten? Ich habe Bertha getötet, weil ich mußte. Nachdem ich sie ausgehorcht hatte, taugte sie zu nichts mehr, sie war überflüssig. Jedenfalls wären peinliche Fragen gestellt worden, wenn sie zurück ins Ministerium gegangen wäre und verkündet hätte, sie hätte im Urlaub dich getroffen. Zauberer, die angeblich tot sind, tun gut daran, unterwegs nicht in irgendwelchen Spelunken Hexen aus dem Zaubereiministerium zu treffen…«

Wurmschwanz murmelte etwas, so leise, daß Frank es nicht verstand, doch der zweite Mann fing an zu lachen – ein gänzlich freudloses Lachen, kalt wie seine Stimme.

»Wir hätten ihr Gedächtnis ummodeln können? Ein mächtiger Zauberer kann einen Gedächtniszauber brechen, wie ich ja selbst bei ihrem Verhör bewiesen habe. Wenn wir das Wissen nicht nutzten, das ich ihr abgepreßt habe, würden wir doch ihr Gedächtnis beleidigen, Wurmschwanz.«

Draußen im Korridor fiel Frank plötzlich auf, daß seine Hand, mit der er den Stock umklammerte, schweißnaß und glitschig war. Der Mann mit der kalten Stimme hatte eine Frau getötet. Er sprach darüber ohne jede Reue – es belustigte ihn. Er war gefährlich – ein Wahnsinniger. Und er plante noch mehr Morde – dieser Junge, Harry Potter, wer immer er war – er war in Gefahr -

Frank wußte, was er zu tun hatte. Jetzt oder nie, es war höchste Zeit die Polizei zu rufen. Er würde aus dem Haus schleichen und sich schnurstracks auf den Weg zur Telefonzelle im Dorf machen… doch die kalte Stimme sprach erneut, und Frank blieb, wo er war, starr wie ein Eiszapfen, und lauschte mit aller Kraft.

»Ein Fluch noch… mein treuer Diener in Hogwarts… Harry Potter ist so gut wie mein, Wurmschwanz. Es ist beschlossen. Kein Streit mehr. Doch still… ich glaube, ich höre Nagini…«

Und die Stimme des zweiten Mannes veränderte sich. Er gab nun Laute von sich, wie Frank sie noch nie gehört hatte; er zischte und fauchte ohne Luft zu holen. Er muß eine Art Krampf oder Anfall haben, dachte Frank.

Und dann hörte er, wie sich hinter ihm im dunklen Korridor etwas bewegte. Er drehte sich um und erstarrte vor Schreck.

Über den dunklen Boden des Korridors glitt etwas auf ihn zu, und als es sich dem Lichtstreifen des Feuers näherte, erkannte er mit einem Schauder des Entsetzens, daß es eine gigantische, gut vier Meter lange Schlange war. Versteinert vor Angst starrte Frank auf das Tier, das sich in weit ausladenden Wellenlinien durch den dicken Staub auf dem Boden bewegte und immer näher kam – was sollte er tun? Flüchten konnte er nur in das Zimmer, wo die beiden Männer saßen und einen Mord ausheckten, doch wenn er stehen blieb, würde ihn die Schlange gewiß töten -

Doch bevor er sich entschieden hatte, war die Schlange gleichauf, und dann, unglaubliches Wunder, glitt sie an ihm vorbei; sie folgte den fauchenden und zischenden Lauten jener kalten Stimme hinter der Tür, und in sekundenschnelle war die Spitze ihres diamantbesetzten Schwanzes durch den Türspalt verschwunden.

Auf Franks Stirn standen Schweißperlen und seine Hand am Stock zitterte. Drinnen im Zimmer zischte die kalte Stimme weiter, und Frank kam ein merkwürdiger Gedanke in den Sinn, ein unmöglicher Gedanke… Dieser Mann kann mit Schlangen sprechen.

Frank begriff nicht, was geschah. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als mit seiner heißen Wärmflasche behaglich im Bett zu liegen. Das Problem war nur, daß seine Beine keine Anstalten machten, sich zu bewegen. Am ganzen Körper zitternd stand er da und versuchte seine Glieder zu beherrschen, als die kalte Stimme plötzlich wieder Englisch sprach.»Nagini hat interessante Neuigkeiten, Wurmschwanz«, sagte sie.

»T-tatsächlich, Herr?«, sagte Wurmschwanz.

»In der Tat, ja«, sagte die Stimme.»Nagini zufolge steht draußen gleich vor der Tür ein alter Muggel und hört jedes Wort mit, das wir sprechen.«

Frank hatte keine Chance, sich zu verstecken. Er hörte Schritte, dann wurde die Tür zum Zimmer weit aufgestoßen.

Ein kleiner Mann mit schütterem grauem Haar, spitzer Nase und wäßrigen Augen stellte sich vor Frank auf, mit einer Mischung aus Angst und Mißtrauen in den Augen.

»Bitte ihn doch herein, Wurmschwanz. Wo bleiben deine Manieren?«

Die kalte Stimme kam von dem alten Lehnstuhl am Feuer her, doch Frank konnte nicht sehen, wer da sprach. Die Schlange hingegen hatte sich, wie die grausige Karikatur eines Schoßhündchens, auf dem verrotteten Kaminvorleger eingekringelt.

Wurmschwanz winkte Frank mit einer kleinen Verbeugung ins Zimmer. Frank steckte die Angst zwar immer noch in den Knochen, doch er umklammerte erneut seinen Stock und humpelte über die Schwelle.

Das Feuer war die einzige Lichtquelle im Zimmer; es warf lange, spinnengleiche Schatten an die Wände. Frank starrte auf den Rücken des Lehnstuhls; der Mann darauf schien noch kleiner zu sein als sein Diener, denn Frank konnte nicht einmal seinen Hinterkopf sehen.

»Du hast also alles mitgehört, Muggel?«, sagte die kalte Stimme.

»Warum nennen Sie mich so?«, sagte Frank widerspenstig, denn nun, da er in diesem Zimmer war, nun, da es an der Zeit war zu handeln, fühlte er sich mutiger; schon im Krieg war es so gewesen.

»Ich nenne dich einen Muggel«, sagte die Stimme kühl.»Das bedeutet, daß du kein Zauberer bist.«

»Ich weiß nicht, was Sie mit Zauberer meinen«, sagte Frank mit allmählich festerer Stimme.»Alles, was ich weiß, ist, daß ich heute Nacht was gehört hab, das sicher die Polizei interessieren wird. Sie haben einen Mord begangen und planen noch mehr Morde! Und ich sag Ihnen noch was«, fügte er in einer plötzlichen Eingebung hinzu,»meine Frau weiß, daß ich hier oben bin, und wenn ich nicht zurückkomme -«

»Du hast keine Frau«, sagte die kalte Stimme völlig ungerührt.»Keiner weiß, daß du hier bist. Du hast niemandem etwas gesagt. Belüge Lord Voldemort nicht, Muggel, denn er weiß… er weiß immer…«

»Stimmt das?«, sagte Frank barsch.»Lord, tatsächlich? Nun, ich halte nicht viel von Ihren Manieren, Sie Lord, Sie. Warum drehen Sie sich nicht um und schauen mir ins Gesicht wie ein Mann?«

»Ich bin kein Mann, Muggel«, sagte die kalte Stimme, die sich kaum über das Knistern des Feuers erhob.»Ich bin viel, viel mehr als ein Mann. Allerdings… warum nicht? Ich werde dir ins Gesicht sehen… Wurmschwanz, komm her und drehe meinen Stuhl um.«

Vom Diener her kam ein Wimmern.

»Du hast mich gehört, Wurmschwanz.«

Langsam, mit einer schrecklichen Grimasse, als wäre ihm nichts mehr zuwider als sich seinem Herrn und der vor dem Kamin zusammengerollten Schlange zu nähern, ging der kleine Mann auf den Stuhl zu und begann ihn zu drehen. Die Stuhlbeine streiften leicht den Kaminvorleger und die Schlange hob ihren häßlichen dreieckigen Kopf und zischte leise.

Und dann war der Stuhl auf Frank gerichtet, und er sah, was dort saß. Sein Stock fiel klappernd zu Boden. Er öffnete den Mund und stieß einen Schrei aus. Er schrie so laut, daß er die Worte, die das Etwas auf dem Stuhl sprach, als es seinen Zauberstab erhob, nicht hören konnte. Ein grüner Lichtblitz, ein Brausen, und Frank Bryce brach zusammen. Noch bevor er aufschlug, war er tot.

Dreihundert Kilometer entfernt fuhr der Junge namens Harry Potter erschrocken aus dem Schlaf.