"Harry Potter und der Stein der Weisen" - читать интересную книгу автора (Rowling Joanne. K.)Der Hüter der Schlüssel BUMM, BUMM. Wieder klopfte es. Dudley schreckte aus dem Schlaf »Wo ist die Kanone?«, sagte er dumpf. Hinter ihnen hörten sie ein lautes Krachen. Onkel Vernon kam hereingestolpert. In den Händen hielt er ein Gewehr – das war also in dem langen, schmalen Paket gewesen, das er mitgebracht hatte. »Wer da?«, rief er. »Ich warne Sie – ich bin bewaffnet!« Einen Augenblick lang war alles still. Dann - Die Tür wurde mit solcher Wucht getroffen, daß sie glattweg aus den Angeln sprang und mit einem ohrenbetäubenden Knall auf dem Boden landete. In der Türöffnung stand ein Riese von Mann. Sein Gesicht war fast gänzlich von einer langen, zottigen Haarmähne und einem wilden, struppigen Bart verdeckt, doch man konnte seine Augen erkennen, die unter all dem Haar schimmerten wie schwarze Käfer. Dieser Riese zwängte sich in die Hütte, den Rücken gebeugt, so daß sein Kopf die Decke nur streifte. Er bückte sich, stellte die Tür aufrecht und setzte sie mit leichter Hand wieder in den Rahmen ein. Der Lärm des Sturms draußen ließ etwas nach. Er wandte sich um und blickte sie an. »Könnte 'ne Tasse Tee vertragen. War keine leichte Reise…« Er schritt hinüber zum Sofa, auf dem der vor Angst versteinerte Dudley saß. »Beweg dich, Klops«, sagte der Fremde. Dudley quiekte und rannte hinter den Rücken seiner Mutter, die sich voller Angst hinter Onkel Vernon zusammenkauerte. »Und hier ist Harry«, sagte der Riese. Harry blickte hinauf in sein grimmiges, wildes Gesicht und sah, daß sich die Fältchen um seine Käferaugen zu einem Lächeln gekräuselt hatten. »Letztes Mal, als ich dich gesehen hab, warst du noch 'n Baby«, sagte der Riese. »Du siehst deinem Vater mächtig ähnlich, aber die Augen hast du von deiner Mum.« Onkel Vernon gab ein merkwürdig rasselndes Geräusch von sich. »Ich verlange, daß Sie auf der Stelle verschwinden!«. sagte er. »Das ist Hausfriedensbruch!« »Aach, halt den Mund, Dursley, du Oberpflaume«, sagte der Riese. Er streckte den Arm über die Sofalehne hinweg, riß das Gewehr aus Onkel Vernons Händen, verdrehte den Lauf – als wäre er aus Gummi – zu einem Knoten und warf es in die Ecke. Onkel Vernon gab abermals ein merkwürdiges Geräusch von sich, wie eine getretene Maus. »Dir jedenfalls, Harry«, sagte der Riese und kehrte den Dursleys den Rücken zu,»einen sehr herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag. Hab hier was für dich – vielleicht hab ich zwischendurch mal draufgesessen, aber er schmeckt sicher noch gut.« Aus der Innentasche seines schwarzen Umhangs zog er eine etwas eingedellte Schachtel. Harry öffnete sie mit zitternden Fingern. Ein großer, klebriger Schokoladenkuchen kam zum Vorschein, auf dem mit grünem Zuckerguß Herzlichen Glückwunsch, Harry geschrieben stand. Harry sah zu dem Riesen auf Er wollte eigentlich danke sagen, aber auf dem Weg zum Mund gingen ihm die Worte verloren, und statt dessen sagte er:»Wer bist du?« Der Riese gluckste. »Wohl wahr, hab mich nicht vorgestellt. Rubeus Hagrid, Hüter der Schlüssel und Ländereien von Hogwarts.« Er streckte eine gewaltige Hand aus und schüttelte Harrys ganzen Arm. »Was ist nun eigentlich mit dem Tee?«, sagte er und rieb sich die Hände. »Würd nicht nein sagen, wenn er 'n bißchen stärker wär, wenn du verstehst, was ich meine.« Sein Blick fiel auf einen Korb mit den zusammengeschrumpften Kräcker-Schachteln und er schnaubte. Er beugte sich zur Feuerstelle hinunter; sie konnten nicht sehen, was er tat, doch als er sich einen Moment später aufrichtete, prasselte dort ein Feuer. Es erfüllte die ganze feuchte Hütte mit flackerndem Licht, und Harry fühlte die Wärme über sein Gesicht fließen, als ob er in ein heißes Bad getaucht wäre. Der Riese setzte sich wieder auf das Sofa das unter seinem Gewicht einknickte, und begann dann alle möglichen Dinge aus den Taschen seines Umhangs zu ziehen: einen Kupferkessel, eine platt gedrückte Packung Würstchen, einen Schürhaken, eine Teekanne, einige ineinander gesteckte Becher und eine Flasche mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, aus der er sich einen Schluck genehmigte, bevor der Tee zu kochen begann. Bald war die Hütte erfüllt von dem Duft der brutzelnden Würste. Während der Riese arbeitete, sagte niemand ein Wort, doch als er die ersten sechs fetten, saftigen, leicht angekokelten Würste vom Rost nahm, zappelte Dudley ein wenig. Onkel Vernon fauchte ihn an:»Dudley, du rührst nichts von dem an, was er dir gibt.« Der Riese gab ein dunkles Glucksen von sich. »Dein großer Pudding von einem Sohn muß nicht mehr gemästet werden, Dursley, keine Panik.« Er reichte die Würstchen Harry, der so hungrig war, daß es ihm vorkam, als hätte er noch nie etwas Wundervolleres gekostet, doch immer noch konnte er den Blick nicht von dem Riesen abwenden. Schließlich, da offenbar niemand etwas zu erklären schien, sagte er:»Tut mir Leid, aber ich weiß immer noch nicht richtig, wer du bist.« Der Riese nahm einen großen Schluck Tee und wischte sich mit dem Handrücken den Mund. »Nenn mich Hagrid«, sagte er,»das tun alle. Und wie ich dir schon gesagt hab, bin ich der Schlüsselhüter von Hogwarts – über Hogwarts weißt du natürlich alles.« »Ähm – nein«, sagte Harry. Hagrid sah schockiert aus. »Tut mir Leid«, sagte Harry rasch. »Tut dir Leid?«, bellte Hagrid und wandte sich zu den Dursleys um mit einem Blick, der sie in die Schatten zurückweichen ließ. »Denen sollte es Leid tun. Ich wußte, daß du deine Briefe nicht kriegst, aber ich hätt nie gedacht, daß du nicht mal von Hogwarts weißt, das is ja zum Heulen! Hast du dich nie gefragt, wo deine Eltern das alles gelernt haben?« »Alles was?«, fragte Harry. »ALLES WAS?«, donnerte Hagrid. »Nu mal langsam!« Er war aufgesprungen. In seinem Zorn schien er die ganze Hütte auszufüllen. Die Dursleys kauerten sich an die Wand. »Wollt ihr mir etwa sagen«, knurrte er sie an,»daß dieser Junge – dieser Junge! – nichts von – von NICHTS weiß?« Das ging Harry doch ein wenig zu weit. Immerhin ging er zur Schule und hatte keine schlechten Noten. »Ich weiß schon einiges«, sagte er. »Ich kann nämlich Mathe und solche Sachen.« Doch Hagrid tat dies mit einer Handbewegung ab und sagte:»Über unsere Welt, meine ich. Deine Welt. Meine Welt. Die Welt von deinen Eltern.« »Welche Welt?« Hagrid sah aus, als würde er gleich explodieren. »DURSLEY!«, dröhnte er. Onkel Vernon, der ganz blaß geworden war, flüsterte etwas, das sich anhörte wie »Mimbelwimbel«. Hagrid starrte Harry mit wildem Blick an. »Aber du mußt doch von Mum und Dad wissen«, sagte er. »Ich meine, sie sind berühmt. Du bist berühmt.« »Was? Mum und Dad waren doch nicht berühmt!« »Du weißt es nicht… du weißt es nicht… «Hagrid fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und fixierte Harry mit einem bestürzten Blick. »Du weißt nicht, was du bist?«, sagte er schließlich. Onkel Vernon fand plötzlich seine Stimme wieder. »Aufhören«, befahl er,»hören Sie sofort auf, Sir! Ich verbiete Ihnen, dem Jungen irgendetwas zu sagen!« Auch ein mutigerer Mann als Vernon Dursley wäre unter dem zornigen Blick Hagrids zusammengebrochen; als Hagrid sprach, zitterte jede Silbe vor Entrüstung. »Du hast es ihm nie gesagt? Ihm nie gesagt, was in dem Brief stand, den Dumbledore für ihn dagelassen hat? Ich war auch dabei! Ich hab gesehen, wie Dumbledore ihn dort hingelegt hat, Dursley! Und du hast ihn Harry all die Jahre vorenthalten?« »Was vorenthalten?«, fragte Harry begierig. »AUFHÖREN! ICH VERBIETE ES IHNEN!«, schrie Onkel Vernon in Panik. Tante Petunia schnappte vor Schreck nach Luft. »Aach, kocht eure Köpfe doch im eigenen Saft, ihr beiden«. sagte Hagrid. »Harry, du bist ein Zauberer.« In der Hütte herrschte mit einem Mal Stille. Nur das Meer und das Pfeifen des Winds waren noch zu hören. »Ich bin ein was?« »Ein Zauberer, natürlich«, sagte Hagrid und setzte sich wieder auf das Sofa, das unter Ächzen noch tiefer einsank. »Und ein verdammt guter noch dazu, würde ich sagen, sobald du mal 'n bißchen Übung hast. Was solltest du auch anders sein, mit solchen Eltern wie deinen? Und ich denk, 's ist an der Zeit, daß du deinen Brief liest.« Harry streckte die Hand aus und nahm endlich den gelblichen Umschlag, der in smaragdgrüner Schrift adressiert war an Mr. H. Potter, Der Fußboden, Hütte-auf-dem-Fels, Das Meer. Er zog den Brief aus dem Umschlag und las: HOGWARTS-SCHULE FÜR HEXEREI UND ZAUBEREI Schulleiter: Albus Dumbledore (Orden der Merlin, Erster Klasse, Großz., Hexenmst. Ganz hohes Tier, Internationale Vereinig. d. Zauberer) Sehr geehrter Mr. Potter, wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, daß Sie an der Hogwarts-Schule für Hexerei und Zauberei aufgenommen sind. Beigelegt finden Sie eine Liste aller benötigten Bücher und Ausrüstungsgegenstände. Das Schuljahr beginnt am 1. September. Wir erwarten Ihre Eule spätestens am 31. Juli. Mit freundlichen Grüßen Minerva McGonagall Stellvertretende Schulleiterin Wie ein Feuerwerk explodierten Fragen in Harrys Kopf, und er konnte sich, nicht entscheiden, welche er zuerst stellen sollte. Nach ein paar Minuten stammelte er:»Was soll das heißen, sie erwarten eine Eule?« »Galoppierende Gorgonen, da fällt mir doch ein… «, sagte Hagrid und schlug sich mit solcher Wucht die Hand gegen die Stirn, daß es einen Brauereigaul umgehauen hätte. Aus einer weiteren Tasche im Innern seines Umhangs zog er eine Eule hervor. eine echte, lebende, recht zerzaust aussehende Eule – wie einen langen Federkiel und eine Pergamentrolle. Mit der Zunge zwischen den Lippen kritzelte er eine Notiz. Für Harry standen die Buchstaben zwar auf dem Kopf, dennoch konnte er sie lesen: Sehr geehrterN1r. Dumbledore, ich habe Harry seinen Brief überreicht. Nehme ihn morgen mit, um seine Sachen einzukaufen. Wetter ist fürchterlich. hoffe, Sie sind wohlauf Hagrid Hagrid rollte die Nachricht zusammen, übergab sie der Eule, die sie in deren Schnabel klemmte, ging zur Tür und schleuderte die Eule hinaus in den Sturm. Dann kam er zurück und setzte sich, als hätte er nur mal kurz telefoniert. Harry bemerkte, daß ihm der Mund offen stand, und klappte ihn rasch zu. »Wo war ich gerade?«, sagte Hagrid, doch in diesem Augenblick trat Onkel Vernon, immer noch aschfahl, doch sehr zornig aussehend, in das Licht des Kaminfeuers. »Er bleibt hier«. sagte c. Hagrid grunzte. »Das möchte ich sehen, wie ein so großer Muggel wie du ihn aufhalten will, sagte er. »Ein was?«, fragte Harry neugierig. »Ein Muggel«, sagte Hagrid,»so nennen wir Leute wie ihn, die nicht zu den Magiern gehören. Und es ist dein Pech, daß du in einer Familie der größten Muggel aufgewachsen bist, die ich je gesehen habe.« »Als wir ihn aufnahmen, haben wir geschworen, diesem Blödsinn ein Ende zu setzen«, sagte Onkel Vernon,»geschworen, es ihm auszubläuen! Zauberer, in der Tat!« »Ihr habt es gewußt?«, sagte Harry,»ihr habt gewußt, daß ich ein – ein Zauberer bin?« »Gewußt!«, schrie Tante Petunia plötzlich auf,»gewußt! Natürlich haben wies gewußt! Wie denn auch nicht, wenn meine vermaledeite Schwester so eine war? Sie hat nämlich genau den gleichen Brief bekommen und ist dann in diese – diese Schule verschwunden und kam in den Ferien jedes Mal mit den Taschen voller Froschlaich nach Hause und hat Teetassen in Ratten verwandelt. Ich war die Einzige, die klar erkannt hat, was sie wirklich war – eine Mißgeburt. Aber bei Mutter und Vater, o nein, da hieß es Lily hier und Lily da, sie waren stolz, eine Hexe in der Familie zu haben!« Sie hielt inne, um tief Luft zu holen, und fing dann erneut an zu schimpfen. Es schien, als ob sie das schon all die Jahre hatte loswerden wollen. e Dann hat sie diesen Potter an der Schule getroffen, und sie sind weggegangen und haben geheiratet und haben dich bekommen, und natürlich wußte ich, daß du genau so einer sein würdest, genauso seltsam, genauso – unnormal, und dann, bitte schön, hat sie es geschafft, sich in die Luft zu jagen, und wir mußten uns plötzlich mit dir herumschlagen!« Harry war ganz bleich geworden. Sobald er seine Stimme gefunden hatte, sagte er:»In die Luft gejagt? Du hast mir erzählt, daß sie bei einem Autounfall gestorben sind!« »AUTOUNFALL!«, donnerte Hagrid und sprang so wütend auf, daß die Dursleys sich in ihre Ecke verdrückten. »Wie könnten Lily und James Potter in einem Auto ums Leben kommen? Das ist eine Schande! Ein Skandal! Harry Potter kennt nicht mal seine eigene Geschichte, wo doch jedes Kind in unserer Welt seinen Namen weiß!« »Warum eigentlich? Was ist passiert?«, fragte Harry drängend. Der Zorn wich aus Hagrids Gesicht. Plötzlich schien er etwas zu fürchten. »Das hätte ich nie erwartet«, sagte er mit leiser, besorgter Stimme. »Als Dumbledore sagte, du könntest in Schwierigkeiten geraten, hatte ich keine Ahnung, wie wenig du weißt. Ach, Harry, vielleicht bin ich nicht der Richtige, um es dir zu sagen – aber einer muß es tun – und du kannst nicht nach Hogwarts gehen, ohne es zu wissen.« Er warf den Dursleys einen finsteren Blick zu. »Nun, es ist am besten, wenn du so viel weißt, wie ich dir sagen kann – aber natürlich kann ich dir nicht alles sagen, es ist ein großes Geheimnis, manches davon jedenfalls… « Er setzte sich, starrte einige Augenblicke lang ins Feuer und sagte dann:»Es fängt, glaube ich, mit – mit einem Typen namens – aber es ist unglaublich, daß du seinen Namen nicht kennst, in unserer Welt kennen ihn alle -« »Wen?« »Nun ja, ich nenn den Namen lieber nicht, wenn's nicht unbedingt sein muß. Keiner tut's.« »Warum nicht?« »Schluckende Wasserspeier, Harry, die Leute haben immer noch Angst. Verflucht, ist das schwierig. Sieh mal, da war dieser Zauberer, der… böse geworden ist. So böse, wie es nur geht. Schlimmer noch. Schlimmer als schlimm. Sein Name war… « Hagrid würgte, aber kein Wort kam hervor. »Könntest du es aufschreiben?«. schlug Harry vor. »Nöh – kann ihn nicht buchstabieren. Na gut – Voldemort.« Hagrid erschauerte. »Zwing mich nicht, das noch mal zu sagen. Jedenfalls, dieser – dieser Zauberer hat vor etwa zwanzig Jahren begonnen, sich Anhänger zu suchen. Und die hat er auch bekommen – manche hatten Angst, manche wollten einfach ein wenig von seiner Macht, denn er verschaffte sich viel Macht, das muß man sagen. Dunkle Zeiten, Harry. Wußten nicht, wem wir trauen sollten, wagten nicht, uns mit fremden Zauberern oder Hexen anzufreunden… Schreckliche Dinge sind passiert. Er hat die Macht übernommen. Klar haben sich einige gewehrt – und er hat sie umgebracht. Furchtbar. Einer der wenigen sicheren Orte, die es noch gab, war Hogwarts. Vermute, Dumbledore war der Einzige, vor dem Du-weißt-schon-wer Angst hatte. Hat es nicht gewagt, die Schule einzusacken, damals jedenfalls nicht. Nun waren deine Mum und dein Dad als Hexe und Zauberer so gut, wie ich noch niemanden gekannt hab. Zu ihrer Zeit die Klassenbesten in Hogwarts! Für mich ist es ein großes Rätsel, warum Du-weißt-schon-wer nie versucht hat, sie auf seine Seite zu bringen… Hat wohl gewußt, daß sie Dumbledore zu nahe waren, um etwas mit der dunklen Seite zu tun haben zu wollen. Vielleicht hat er geglaubt, er könne sie überreden… Vielleicht hat er sie auch nur aus dem Weg haben wollen. Alles, was man weiß, ist, daß er in dem Dorf auftauchte, wo ihr alle gelebt habt, an Halloween vor zehn Jahren. Du warst gerade mal ein Jahr alt. Er kam in euer Haus und – und -« Hagrid zog plötzlich ein sehr schmutziges, gepunktetes Taschentuch hervor und schneuzte sich laut wie ein Nebelhorn die Nase. »Tut mir Leid«, sagte er. »Aber es ist so traurig – hab deine Mum und deinen Dad gekannt, und nettere Menschen hast du einfach nicht finden können, jedenfalls – Du-weißt-schon-wer hat sie getötet. Und dann – und das ist das eigentlich Geheimnisvolle daran – hat er versucht, auch dich zu töten. Wollte reinen Tisch machen, denk ich, oder hatte inzwischen einfach Spaß am Töten. Aber er konnte es nicht. Hast du dich nie gefragt, wie du diese Narbe auf der Stirn bekommen hast? Das war kein gewöhnlicher Schnitt. Das kriegst du, wenn ein mächtiger, böser Fluch dich berührt – hat sogar bei deiner Mum und deinem Dad geklappt – aber nicht bei dir, und darum bist du berühmt, Harry. Keiner hat es Überlebt, wenn er einmal beschlossen hat, jemanden zu töten, keiner außer dir, und er hatte einige der besten Hexen und Zauberer der Zeit getötet – die McKinnons, die Bones, die Prewetts – und du warst nur ein Baby, aber du hast überlebt.« In Harrys Kopf spielte sich etwas sehr Schmerzhaftes ab. Als Hagrid mit der Geschichte ans Ende kam, sah er noch einmal den blendend hellen, grünen Blitz vor sich, deutlicher als jemals zuvor – und er erinnerte sich zum ersten Mal im Leben an etwas anderes – an ein höhnische, kaltes, grausames Lachen. Hagrid betrachtete ihn traurig. »Hab dich selbst aus dem zerstörten Haus geholt, auf Dumbledores Befehl hin. Hab dich zu diesem Pack hier gebracht… « »Lauter dummes Zeug«, sagte Onkel Vernon. Harry schreckte auf, er hatte fast vergessen, daß die Dursleys auch noch da waren. Onkel Vernon hatte offenbar seine Courage wiedergewonnen. Die Fäuste geballt, sah er Harry mit finsterem Blick an. »Jetzt hörst du mir mal zu, Kleiner«, schnauzte er. »Mag sein, daß es etwas Seltsames mit dir auf sich hat, vermutlich nichts, was nicht durch ein paar saftige Ohrfeigen hätte kuriert werden können – und was diese Geschichte mit deinen Eltern angeht, nun, sie waren eben ziemlich verrückt, und die Weit ist meiner Meinung nach besser dran ohne sie. Haben's ja nicht anders gewollt, wenn sie sich mit diesem Zaubererpack eingelassen haben – genau was ich erwartet hab, ich hab immer gewußt, daß es mit ihnen kein gutes Ende nehmen würde -« Doch in diesem Augenblick sprang Hagrid vom Sofa und zog einen zerfledderten rosa Schirm aus seinem Umhang. Wie ein Schwert hielt er ihn Onkel Vernon entgegen und sagte:»Ich warne dich, Dursley – ich warne dich – noch ein Wort… « Nun, da Onkel Vernon Gefahr lief, vom Schirm eines bärtigen Riesen aufgespießt zu werden, verließ ihn der Mut wieder; er drückte sich gegen die Wand und verstummte. »Schon besser so«, sagte Hagrid schwer atmend und setzte sich aufs Sofa zurück, das sich diesmal bis auf den Boden durchbog. Harry lagen unterdessen immer noch Fragen auf der Zunge, hunderte von Fragen. »Aber was geschah mit Vol-, 'tschuldigung – ich meine Du-weißt-schon-wer?« »Gute Frage, Harry. Ist verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Noch in der Nacht als er versucht hat, dich zu töten. Macht dich noch berühmter. Das ist das größte Geheimnis, weißt du… Er wurde immer mächtiger – warum hätte er gehen sollen? Manche sagen, er sei gestorben. Stuß, wenn du mich fragst. Weiß nicht, ob er noch genug Menschliches in sich hatte, um sterben zu können. Manche sagen, er sei immer noch irgendwo dort draußen und warte nur auf den rechten Augenblick, aber das glaub ich nicht. Leute, die auf seiner Seite waren, sind zu uns zurückgekommen. Manche sind aus einer Art Trance erwacht. Glaub nicht, daß sie es geschafft hätten, wenn er vorgehabt hätte zurückzukommen. Die meisten von uns denken, daß er immer noch irgendwo da draußen ist, aber seine Macht verloren hat. Zu schwach, um weiterzumachen. Denn etwas an dir, Harry, hat ihm den Garaus gemacht. In jener Nacht geschah etwas, mit dem er nicht gerechnet hatte – weiß nicht, was es war, keiner weiß es -, aber etwas an dir hat er nicht gepackt, und das war7s.« Hagrid betrachtete Harry voller Wärme und Hochachtung, doch Harry fühlte sich nicht froh und stolz deswegen, sondern war sich ganz sicher, daß es sich hier um einen fürchterlichen Irrtum handeln mußte. Ein Zauberer? Er? Wie sollte das möglich sein? Sein Leben lang hatte er unter den Schlägen Dudleys gelitten und war von Tante Petunia und Onkel Vernon schikaniert worden; wenn er wirklich ein Zauberer war, warum hatten sie sich nicht jedes Mal, wenn sie versucht hatten, ihn in den Schrank einzuschließen, in warzige Kröten verwandelt? Wenn er einst den größten Hexer der Welt besiegt hatte, wie konnte ihn dann Dudley immer herumkicken wie einen Fußball? »Hagrid«, sagte er leise,»du mußt einen Fehler gemacht haben. Ich kann unmöglich ein Zauberer sein.« Zu seiner Überraschung gluckste Hagrid. »Kein Zauberer, was? Nie Dinge geschehen lassen, wenn du Angst hattest oder wütend warst?« Harry blickte ins Feuer. Nun, da er darüber nachdachte… Alle seltsamen Dinge, die Onkel und Tante auf die Palme gebracht hatten, waren geschehen, als er, Harry, aufgebracht oder zornig gewesen war… Auf der Flucht vor Dudleys Bande war er manchmal einfach nicht zu fassen gewesen… Manchmal, wenn er mit diesem lächerlichen Haarschnitt partout nicht hatte zur Schule gehen wollen, hatte er es geschafft, daß sein Haar rasch nachwuchs… Und das letzte Mal, als Dudley ihn gestoßen hatte, da hatte er doch seine Rache bekommen, ohne auch nur zu wissen, was er tat? Hatte er nicht eine Boa constrictor auf ihn losgelassen? Harry wandte sich erneut Hagrid zu und lächelte, und er sah, daß Hagrid ihn geradezu anstrahlte. »Siehst du?« e sagte Hagrid. »Harry Potter und kein Zauberer – wart nur ab, und du wirst noch ganz berühmt in Hogwarts.« Doch Onkel Vernon würde nicht kampflos aufgeben. »Hab ich Ihnen nicht gesagt, der Junge bleibt hier?«, zischte er. »Er geht auf die Stonewall High und wird dafür dankbar sein. Ich habe diese Briefe gelesen, und er braucht allen möglichen Nonsens – und Zauberspruchfibeln und Zauberstäbe und -« »Wenn er gehen will, wird ihn ein großer Muggel wie du nicht aufhalten können«, knurrte Hagrid. »Lily und James Potters Sohn von Hogwarts fernhalten! Du bist ja verrückt. Sein Name ist vorgemerkt, schon seit seiner Geburt. Er geht bald auf die beste Schule für Hexerei und Zauberei auf der ganzen Welt. Nach sieben Jahren dort wird er sich nicht mehr wiedererkennen. Er wird dort mit jungen Leuten seinesgleichen zusammen sein, zur Abwechslung mal, und er wird unter dem größten Schulleiter lernen, den Hogwarts je gesehen hat, Albus Dumbled-« »ICH BEZAHLE KEINEN HIRNRISSIGEN ALTEN DUMMKOPF, DAMIT ER IHM ZAUBERTRICKS BEIBRINGT!«, schrie Onkel Vernon. Doch nun war er endgültig zu weit gegangen. Hagrid packte den Schirm, schwang ihn über seinem Kopf hin und her und polterte:»BELEIDIGE NIE – ALBUS DUMBLEDORE – IN MEINER GEGENWART!« Pfeifend sauste der Schirm herunter, bis die Spitze auf Dudley gerichtet war – ein Blitz aus violettem Licht, ein Geräusch wie das Knallen eines Feuerwerkskörpers, ein schrilles Kreischen – und schon begann Dudley einen Tanz aufzuführen, mit den Händen auf dem dicken Hintern und heulend vor Schmerz. Gerade, als er ihnen den Rücken zuwandte, sah Harry ein geringeltes Schweineschwänzchen durch ein Loch in seiner Hose hervorpurzeln. Onkel Vernon tobte. Er zog Tante Petunia und Dudley in den anderen Raum, warf Hagrid einen letzten, angsterfüllten Blick zu und schlug die Tür hinter sich zu. Hagrid sah auf den Schirm hinab und strich sich über den Bart. »Hätt die Beherrschung nicht verlieren dürfen«, sagte er reuevoll,»aber es hat ohnehin nicht geklappt. Wollte ihn in ein Schwein verwandeln, aber ich denke, er war einem Schwein so ähnlich, daß es nicht mehr viel zu tun gab.« Unter seinen buschigen Augenbrauen hervor blickte er Harry von der Seite an. »Wär dir dankbar, wenn du das niemandem in Hogwarts erzählst«, sagte er. »Ich – ähm – soll eigentlich nicht herumzaubern, um es genau zu nehmen. Ich durfte ein wenig, um dir zu folgen und um dir die Briefe zu bringen und – einer der Gründe, warum ich so scharf auf diesen Job war -« »Warum sollst du nicht zaubern?« »Nun ja – ich war selbst in Hogwarts, doch ich – ähm – man hat mich rausgeworfen, um dir die Wahrheit zu sagen. Im dritten Jahr. Sie haben meinen Zauberstab zerbrochen und alles. Doch Dumbledore hat mich als Wildhüter dabehalten. Großartiger Mann, Dumbledore.« »Warum hat man dich rausgeworfen?« »Es wird spät und wir haben morgen viel zu erledigen«, sagte Hagrid laut. »Müssen hoch in die Stadt und dir alle Bücher und Sachen besorgen.« Er nahm seinen dicken schwarzen Umhang ab und warf ihn Harry zu. »Kannst drunter pennen«, sagte er. »Mach dir nichts draus, wenn's dadrin ein wenig zappelt, ich glaub, ich hab immer noch ein paar Haselmäuse in den Taschen.« |
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