"Der Zauberer der Smaragdenstadt" - читать интересную книгу автора (Wolkow Alexander)

Die Säbelzahntiger

An jenem Abend machten sie nach langem Marsch vor einem mächtigen Baum halt, um zu übernachten. Der Eiserne Holzfäller hackte Holz und machte ein großes Feuer an, an dem sich Elli sehr wohl fühlte. Sie rief ihre Freunde, an ihrem Vergnügen teilzuhaben. Der Scheuch lehnte entschieden ab. Er hielt sich in respektvoller Entfernung und paßte auf, daß kein Funke auf seinen Rock fiel.

«Mein Stroh und das Feuer — das sind Dinge, die keine Nachbarn sein mögen», erklärte er.

Auch der Feige Löwe hielt sich dem Feuer fern.

«Wir wilden Tiere haben fürs Feuer wenig übrig», meinte er. «In deiner Gesellschaft, Elli, werde ich mich vielleicht daran gewöhnen, vorläufig aber habe ich zu sehr Angst davor…»

Nur Totoschka fürchtete nicht das Feuer. Er lag auf Ellis Schoß, blinzelte mit seinen kleinen glänzenden Augen und genoß die Wärme. Elli teilte mit ihm das letzte Stück Brot.

«Was werde ich morgen essen?» fragte sie, die Krümel sorgfältig auflesend.

;,Wenn du willst, so fang ich dir einen Hirsch im Wald», erbot sich der Löwe. «Freilich habt ihr Menschen einen schlechten Geschmack, denn ihr zieht gebratenes Fleisch dem rohen vor. Aber du kannst es ja auf den Kohlen rösten.»

«Oh, nur nicht töten!» flehte der Eiserne Holzfäller. «Ich würde um den armen Hirsch so schrecklich weinen, daß kein Öl in der Welt ausreichen würde, mein Gesicht vor Rost zu schützen.»

«Wie ihr wollt», brummte der Löwe und ging in den Wald. Er kam spät zurück, kauerte sich mit sattem Schnurren abseits vom Feuer hin und richtete seine gelben Augen mit den schmalen Pupillen auf die Flamme.

Wozu der Löwe ins Dickicht gegangen war, wußte keiner. Er schwieg, und die anderen fragten ihn nicht danach.

Auch der Scheuch ging in den Wald. Er entdeckte einen Baum, an dem Nüsse hingen, die er mit seinen weichen ungeschickten Fingern pflückte. Sie glitten ihm aber aus der Hand, und er mußte sie im Gras zusammenklauben. Es war finster im Wald wie in einem Keller, doch der Scheuch sah bei Nacht ebensogut wie bei Tag, und die Dunkelheit störte ihn nicht im geringsten. Kaum hatte er aber eine Handvoll Nüsse gesammelt, da fielen sie ihm wieder ins Gras, und er mußte von vorn beginnen. Er tat es dennoch mit Vergnügen, denn er hatte Angst, sich dem Feuer zu nähern. Erst als dieses am Erlöschen war, trat er, den Korb voller Nüsse, auf Elli zu, die ihm herzlich dankte.

Am Morgen aß sie die Nüsse. Sie bot auch Totoschka welche an, doch dieser wandte sich verächtlich ab. Er war sehr früh aufgestanden und hatte eine fette Maus im Wald erbeutet (glücklicherweise sah es der Holzfäller nicht).

Die Wanderer zogen weiter. Der Tag sollte ihnen viele Abenteuer bringen. Es verging kaum eine Stunde, als sie an eine Schlucht kamen, die sich nach links und nach rechts hinzog, soweit das Auge reichte.

Es war eine breite und tiefe Schlucht. Elli kroch auf ihren Rand zu, und als sie hinunterschaute, schwindelte ihr, und unwillkürlich wich sie zurück. Tief unten ragten spitze Felsen, zwischen denen ein Bach rauschte, der nicht zu sehen war.

Die Wände waren sehr steil. Traurig standen die Gefährten da. Sie dachten, daß dieses Hindernis unüberwindlich sei und sie jetzt umkehren müßten. Der Scheuch schüttelte den Kopf, der Eiserne Holzfäller griff sich an die Brust, und der Feige Löwe ließ betrübt die Schnauze hängen.

«Was fangen wir nun an?» fragte Elli verzweifelt.

«Wenn ich's wußte!» erwiderte betrübt der Eiserne Holzfäller, und der Löwe kratzte sich mit seiner Tatze verlegen die Nase.

« Oh, welch ungeheurer Graben!» rief der Scheuch. «Über den können wir nicht springen. Da werden wir nun sitzenbleiben!»

«Ich würde ihn schon überspringen», meinte der Löwe, die Entfernung abschätzend.

«Mit uns natürlich?» fragte der Scheuch.

«Wir können's versuchen», erwiderte der Löwe. «Wer wagt's als erster?»

«Wahrscheinlich ich», sagte der Scheuch. «Wenn Elli abstürzt, bricht sie sich das Genick, und auch dem Eisernen Holzfäller könnte es schlimm ergehen. Mir aber geschieht bestimmt nichts, darauf könnt ihr euch verlassen!»

«Ich weiß selber nicht, ob ich mich fürchte oder nicht!» unterbrach der Löwe unwirsch das Geschwätz des Scheuchs. «Da uns aber nichts anderes übrigbleibt, werd ich eben springen. Komm!»

Der Scheuch stieg auf den Rücken des Löwen, der hart am Rand der Schlucht zum Sprung ansetzte.

«Warum nimmst du keinen Anlauf?» fragte Elli.

«Das ist bei uns Löwen nicht der Brauch. Wir springen aus dem Stand.»

Mit einem mächtigen Satz flog er über den Abgrund und landete wohlbehalten auf der anderen Seite. Alle freuten sich. Der Löwe setzte den Scheuch ab und sprang sofort zurück.

Die nächste war Elli. Mit einer Hand umklammerte sie Totoschka, mit der anderen hielt sie sich an der struppigen Mähne des Löwen fest. Als sie sich emporgehoben fühlte, da schien ihr, als sause sie wieder mit dem Tötenden Häuschen durch die Lüfte. Doch ehe sie erschrak, stand sie bereits wieder auf den Füßen.

Als letzter folgte der Eiserne Holzfäller, der während des Sprungs seinen Trichterhut fast verloren hätte.

Nachdem der Löwe etwas verschnauft hatte, zogen die Wanderer weiter auf dem gelben Backsteinweg. Elli nahm mit Recht an, daß die Schlucht von einem Erdbeben herrühre, welches sich nach dem Bau der Straße in die Smaragdenstadt ereignet habe. Elli hatte schon früher gehört, daß sich nach Erdbeben Risse in der Erde bilden. Freilich hatte Vater John ihr von solch ungeheuren Schluchten niemals erzählt. Goodwins Land aber war etwas ganz Besonderes, und dort konnte eben nicht alles so sein wie in der übrigen Welt.

Jenseits der Schlucht wurde der Wald zu beiden Seiten des Weges noch dichter. Es dunkelte. Aus dem Dickicht drang dumpfes Schnauben und anhaltendes Gebrüll. Es grauste den Wanderern. Totoschka klammerte sich geradezu an die Pranken des Löwen, den er jetzt für stärker hielt als den Eisernen Holzfäller. Der Feige Löwe teilte seinen Gefährten mit, daß Säbelzahntiger in diesem Walde hausten.

«Was sind das für Tiere?» fragte der Holzfäller.

«Schreckliche Ungeheuer», flüsterte der

Löwe ängstlich. «Sie sind viel größer als die gewöhnlichen Tiger in anderen Teilen des Landes. Aus ihrem Rachen ragen Hauer, die wie Säbel aussehen. So ein Tiger könnte mich glatt durchstoßen, als wär ich eine Katze. Ich hab furchtbare Angst vor den Säbelzahntigern.»

Alle schwiegen beklommen und gaben sich Mühe, so leise wie möglich aufzutreten.

Elli flüsterte:

«Ich hab in einem Buch gelesen, daß es bei uns in Kansas einst Säbelzahntiger gab, die dann aber ausgestorben sind. Hier scheinen sie noch immer zu leben.»

«Ja, leider», sagte der Feige Löwe. «Ich sah einmal von weitem einen und erschrak so sehr, daß ich krank wurde…»

Über das Gespräch merkten sie gar nicht, daß sie plötzlich wieder vor einer Schlucht standen, die breiter und tiefer war als die erste. Der Löwe weigerte sich, über sie zu springen, dies ginge über seine Kräfte, erklärte er. Alle standen schweigend da und wußten nicht, was sie tun sollten. Da sagte der Scheuch:

«Am Abgrund steht ein hoher Baum. Der Holzfäller könnte ihn so umlegen, daß er über die Schlucht zu fallen kommt und uns als Brücke dient.»

«Ein guter Einfall!» sagte der Löwe anerkennend. «Man könnte meinen, du hättest ein Gehirn im Kopf.»

«O nein», wehrte der Scheuch bescheiden ab, wobei er, wie um sich zu vergewissern, seinen Kopf betastete. «Ich hab mich bloß erinnert, daß der Eiserne Holzfäller das schon einmal getan hat, als wir Elli vom Menschenfresser erretteten.»

Mit ein paar wuchtigen Schlägen hieb der Eiserne Holzfäller eine tiefe Kerbe in den Baum, und dann stemmten sich alle, auch Totoschka, gegen den Stamm — mit Händen, Tatzen, Pfoten oder Stirn -, und der Baum fiel dröhnend über die Schlucht.

«Hurra!» schrien alle wie aus einem Munde.

Sie bewegten sich, an den Zweigen Halt suchend, vorsichtig den Stamm entlang, als eingedehntes Heulen aus dem Walde drang. Auf die Schlucht zu sausten zwei ungeheuerliche Tiere, aus deren Rachen, blanken Säbeln gleich, weiße Hauer ragten.

«Die Säbelzahntiger…», hauchte der Löwe, an allen Gliedern bebend.

«Ruhe!» gebot der Scheuch. «Geht weiter!»

Der Löwe, der den Zug schloß, wandte sich zu den Tigern um und brüllte so furchtbar, daß Elli vor Schreck beinahe in die Schlucht gefallen wäre. Die Tiger stutzten und blickten den Löwen verblüfft an. Sie konnten nicht begreifen, wie ein so unscheinbares Tier so laut brüllen konnte.

Diese Pause ermöglichte es unseren Wanderern, die andere Seite der Schlucht zu erreichen. Mit drei Sätzen holte der Löwe sie ein. Die Säbelzahntiger, die sich die Beute nicht entgehen lassen wollten, traten gleichfalls auf den Stamm. Sie setzten vorsichtig eine Tatze vor die andere, hielten nach jedem Schritt inne, knurrten drohend und bleckten ihre

weißen Zähne. Ihr Anblick war so furchtbar, daß der Löwe zu Elli sagte:

«Wir sind verloren! Lauft, so schnell ihr könnt, ich will die Bestien aufzuhalten versuchen. Leider bin ich nicht dazu gekommen, mir bei Goodwin ein bißchen Mut zu holen! Ich werde aber trotzdem bis zum letzten Atemzug kämpfen!»

Der Strohkopf des Scheuchs hatte an jenem Tag glänzende Einfälle. Er stieß den Holzfäller mit dem Ellbogen an und schrie:

«Hau den Baum durch!»

Der ließ sich's nicht zweimal sagen. Er schwang seine Riesenaxt so ungestüm, daß die Spitze des Baumes nach drei Hieben abbrach und der Stamm donnernd in die Tiefe stürzte. Die Ungeheuer sausten hinab und zerschellten an den spitzen Felsen des Abgrunds.

«Hu!» atmete der Löwe erleichtert auf und reichte dem Scheuch feierlich die Tatze. «Schönen Dank! Also werden wir weiterleben. Ich glaubte schon, das Zeitliche segnen zu müssen. Es wäre kein Vergnügen, solchen Ungeheuern zwischen die Zähne zu kommen. Hört, wie mein Herz hämmert!»

«Ach», seufzte der Eiserne Holzfäller, «wie wünschte ich mir, daß mein Herz so schlage!»

Die Freunde wollten den düsteren Wald so schnell wie möglich verlassen, denn sie fürchteten, daß noch andere Säbelzahntiger auftauchen könnten. Aber Elli war so müde und verängstigt, daß sie einfach nicht weiter konnte. Der Löwe setzte sie und den kleinen Totoschka auf seinen Rücken, und sie schritten schneller aus. Bald sahen sie zu ihrer großen Freude, daß sich der Wald mehr und mehr lichtete. Die Sonne schien hell auf den Weg hinab, und bald kamen die Wanderer an einen breiten, reißenden Strom.

«Jetzt brauchen wir uns nicht mehr zu fürchten», sagte der Löwe. «Die Tiger verlassen niemals ihren Wald, diese Bestien scheuen aus irgendeinem Grunde die weite Flur…»

Allen wurde es leichter ums Herz, aber da stellten sich schon neue Sorgen ein.

«Wie kommen wir nun ans andere Ufer?» fragten Elli, der Eiserne Holzfäller, der Feige Löwe und Totoschka fast gleichzeitig und hefteten ihre Augen auf den Scheuch.

Durch die allgemeine Aufmerksamkeit geschmeichelt, setzte dieser eine wichtige Miene auf und preßte den Finger an die Stirn. Er dachte aber nicht lange nach.

«Wasser ist nicht Land, und Land ist nicht Wasser», sagte er belehrend. «Über einen Fluß kann man nicht gehen, folglich…»

«Folglich?» wiederholte Elli.

«Folglich muß der Eiserne Holzfäller ein Floß zimmern, das uns über den Fluß trägt.»

«Wie gescheit du doch bist!» riefen alle bewundernd.

«Ihr seid sehr liebenswürdig!» Der Scheuch verneigte sich.

Der Holzfäller legte Bäume um und schleppte sie mit dem starken Löwen zum Fluß hin. Elli setzte sich ins Gras, um auszuruhen. Der Scheuch, der wie gewöhnlich nicht untätig sein konnte, ging am Ufer entlang und entdeckte Bäume mit reifen Früchten.

Die Wanderer beschlossen, hier zu übernachten. Elli aß die schmackhaften Früchte und schlief bald ein, von ihren wackeren Freunden behütet. Im Traum sah sie die wunderliche Smaragdenstadt und Goodwin, den Großen Zauberer.


DIE FAHRT ÜBER DEN FLUSS


Die Nacht verlief ruhig. Am Morgen baute der Eiserne Holzfäller das Floß zu Ende, hieb zwei lange Stöcke für sich und den Scheuch ab und hieß die Gefährten Platz nehmen. Elli, mit Totoschka auf den Armen, setzte sich in die Mitte des Floßes. Als der Feige Löwe sich hinaufschwang, legte sich das Floß auf die Seite und kenterte beinahe. Elli stoß einen Schrei des Entsetzens aus, doch im gleichen Augenblick sprangen der Eiserne Holzfäller und der Scheuch auf die andere Seite und stellten das Gleichgewicht wieder her. Sie trieben das Floß dem anderen Ufer zu, wo herrliche grüne Haine zu sehen waren, die im hellen Sonnenschein leuchteten. Alles ging glatt bis zur Mitte des Flusses, wo die schnelle Strömung das Floß erfasste und mitriß. Die Stoßstangen reichten nicht bis auf den Grund des Wassers. Verwirrt blickten sich die Wanderer an.

«Schlimme Lage!» sagte der Eiserne Holzfäller. «Die Strömung treibt uns in das Violette Land, und dort wird uns die böse Hexe zu Sklaven machen.»

«Dort bekomme ich kein Gehirn!» rief der Scheuch.

«Und ich keinen Mut!» klagte der Löwe.

«Und ich kein Herz!» sagte der Eiserne Holzfäller. «Wir werden unser Kansas niemals wiedersehen!» stießen Elli und Totoschka hervor.

«Mitnichten! Wir müssen die Smaragdenstadt unbedingt erreichen!» rief der Scheuch und stemmte sich mit allen Kräften gegen die Stange.

Zum Unglück war das Wasser an dieser Stelle sehr seicht, und die Stange versank tief im Schlamm. Ehe sich's der Scheuch versah, glitt ihm das Floß unter den Füßen weg, und er blieb mitten im Fluß an seiner Stange hängen.

«Auf Wiedersehen!» konnte er den Gefährten noch zurufen.

Seine Lage war verzweifelt. 'Hier ist es für mich noch viel schlimmer als vor der Begegnung mit Elli', dachte der Ärmste. 'Dort konnte ich wenigstens die Krähen scheuchendas war immerhin eine Beschäftigung. Was aber soll ich mitten im Fluß anfangen? Ich werde wahrscheinlich niemals zu einem Gehirn kommen!'

Das Floß schoß den Strom hinab, und bald war der Scheuch hinter einer Krümmung verschwunden…

«Ich werde ins Wasser steigen müssen», sagte der Feige Löwe, an allen Gliedern zitternd. «Wie ich mich davor fürchte, wenn ihr wüßtet! Hätte mir Goodwin Mut gegeben, dann brauchte ich jetzt keine Angst vor dem Wasser zu haben… Es gibt aber keinen anderen Ausweg, irgendwie müssen wir das Ufer erreichen. Ich will schwimmen, haltet euch an meinem Schwanz fest.»

Der Löwe schwamm, vor Anstrengung keuchend, und der Eiserne Holzfäller umklammerte das Ende seines Schwanzes. Es war keine leichte Arbeit, das Floß zu ziehen, aber der Löwe kam trotzdem vorwärts. Bald wurde das Wasser seichter, und Elli konnte mit dem Stab nachhelfen. Völlig erschöpft erreichten sie das Ufer, sehr weit von der Stelle, wo sie die Überfahrt angetreten hatten.

Der Löwe streckte sich rücklings im Gras aus, damit sein nasser Bauch trockne.

«Wohin gehen wir jetzt?» fragte er, in die Sonne blinzelnd.

«Zurück, wo unser Freund geblieben ist», antwortete Elli. «Wir können doch nicht weiter ziehen, ehe wir den braven Scheuch gerettet haben.»

Sie gingen gesenkten Blickes am Ufer flußaufwärts. Es war ein langer Weg. Ihre Füße verhedderten sich im dichten Gras, und der Gedanke an ihren Freund, der im Fluß stak, erfüllte sie mit Kummer. Plötzlich schrie der Eiserne Holzfäller:

«Schaut, schaut!»

Sie erblickten den Scheuch, der sich tapfer an seiner Stange mitten im Strom hielt. Er sah von weitem so verlassen, so klein und traurig aus, daß seinen Gefährten die Tränen in die Augen traten. Der Eiserne Holzfäller war mehr als alle anderen aufgeregt. Sinnlos lief er am Ufer auf und ab, machte Anstalten, ins Wasser zu steigen, wich aber gleich wieder zurück. Dann riß er den Trichter vom Kopf, setzte ihn an den Mund und schrie, daß es weithin hallte:

«Scheuch, lieber Freund! Halte dich! Halt dich uns zuliebe und fall nicht ins Wasser!»

Der Eiserne Holzfäller verstand höflich zu bitten.

Vom Fluß drang es leise herüber:

«… lte mich!… niem… üde…«

Was bedeuten sollte: «Ich halte mich! Ich werde niemals müde!»

Die Freunde erinnerten sich, daß der Scheuch tatsächlich niemals müde wurde, und das gab ihnen neue Hoffnung. Der Eiserne Holzfäller schrie abermals in seinen Trichter:

«Laß den Mut nicht sinken! Wir gehen nicht fort, bis wir dich gerettet haben!»

Und wieder wehte es herüber: «…arte!… acht… ne… orgen.»

Das bedeutete: «Ich warte! Macht euch nur keine Sorgen!»

Der Eiserne Holzfäller schlug den Gefährten vor, aus Baumrinde einen langen Strick zu flechten. Er werde, sagte er, ins Wasser steigen und den Scheuch von der Stange heben; der Löwe solle sie dann mit dem Strick herausziehen. Dieser schüttelte jedoch lächelnd den Kopf:

«Du schwimmst ja nicht besser als deine Axt!»

Der Holzfäller verstummte beschämt.

«Da werd ich anscheinend wieder schwimmen müssen», sagte der Löwe. «Aber wie mach ich's, daß mich die Strömung zum Scheuch trägt?…»

«Ich setz mich auf deinen Rücken und werde dich lenken», schlug Totoschka vor.

Während sich die Wanderer die Sache überlegten, tauchte in der Ferne ein langbeiniger Storch auf, der sie neugierig betrachtete. Er stelzte würdevoll auf sie zu, blieb in sicherer Entfernung stehen, zog das rechte Bein an und verkniff das linke Auge.

«Was seid ihr für Leute?» fragte er.

«Ich heiße Elli, und das sind meine Freunde: der Eiserne Holzfäller, der Feige Löwe und Totoschka. Wir ziehen in die Smaragdenstadt.»

«Da seid ihr auf dem falschen Weg», meinte der Storch.

«Wir kennen den Weg. Aber der Fluß hat uns abgetrieben, und dabei ist uns ein Gefährte abhanden gekommen.»

«Wo ist er denn?»

«Dort», Elli wies mit dem Finger auf den Fluß.

«Was will er dort?»

Der Storch war ein neugieriger Vogel, der alles genau wissen mußte. Elli erzählte ihm, was sich ereignet hatte.

«Ach, wenn du ihm helfen könntest», sagte sie und faltete bittend die Hände. «Wir wären dir so dankbar.»

«Ich will mir's überlegen», erwiderte der Storch mit wichtiger Miene und kniff das rechte Auge zu (wenn ein Storch nachdenkt, schließt er immer das rechte Auge). Das linke Auge hatte er schon vorher zugekniffen.

So stand er nun mit geschlossenen Augen da und wiegte sich auf dem linken Bein, während der Scheuch an seiner Stange überm Fluß hing und im Winde schaukelte. Die Wanderer waren vom Warten schon ganz nervös.

«Ich will mal hören, worüber er nachdenkt», sagte der Holzfäller und trat leise an den Storch heran.

Er hörte aber nur die gleichmäßigen, pfeifenden Atemzüge des Vogels und rief verwundert:

«Er schläft ja!»

Der Storch war tatsächlich beim Nachdenken eingeschlafen.

Da brüllte der Löwe grimmig:

«Ich werd ihn fressen!»

Der Storch, der einen leisen Schlaf hatte, öffnete sofort die Augen.

«Ihr glaubt wohl, ich schlafe?» fragte er schlau. «Gefehlt. Ich dachte nur nach! Eine schwere Aufgabe… Ich würde euren Freund schon ans Ufer tragen, wenn er nicht so groß und schwer wäre.»

«Was redest du da?» rief Elli. «Weißt du denn nicht, daß der Scheuch mit Stroh ausgestopft

und federleicht ist! Sogar ich könnte ihn tragen.»

«Na, dann will ich's versuchen», meinte der Storch. «Damit ihr's aber wißt: ist er zu schwer, so werf ich ihn ins Wasser. Es wäre natürlich besser, ihn vorher auf der Waage abzuwägen, da das aber nicht möglich ist, verzichte ich darauf.»

Der Storch war ein sehr umsichtiger Vogel.

Er breitete seine großen Schwingen aus und flog zum Scheuch hinüber, schlug ihm die starken Krallen in die Schultern, hob ihn dann mühelos auf und trug ihn ans Ufer, wo Elli und die anderen warteten.

Der Scheuch fiel den Freunden um den Hals und wandte sich dann an den Storch mit den Worten:

«Ich dachte schon, ich würde ewig an der Stange mitten im Fluß hängen und die Fische verscheuchen müssen. Nun weiß ich gar nicht, wie ich dir danken soll, denn ich hab doch nur Stroh im Kopf. Aber wenn ich von Goodwin zurückkehre, werde ich dich bestimmt aufsuchen, und dann wirst du sehen, wie einer zu danken weiß, der ein Gehirn hat.»

«Das freut mich sehr», erwiderte der Storch würdevoll. «Ich helfe gern, wenn einer in Not ist, insbesondere, wenn es mich keine große Anstrengung kostet… Aber ich hab schon zu viel Zeit mit euch verschwatzt, Frau und Kinder warten auf mich. Ich wünsche euch, wohlbehalten 1 die Smaragdenstadt zu erreichen und alles zu bekommen, wonach ihr ausgezogen seid!»

Er hielt ihnen, höflich, wie er war, sein rotes, runzliges Storchbein hin, das sie gefühlvoll drückten. Der Scheuch schüttelte es so kräftig, daß er es beinahe ausriß.

Dann flog der Storch davon, und die Wanderer setzten ihren Weg am Ufer fort. Der Scheuch strahlte vor Freude, hüpfte und sang:

«Oho-oho-oho! Ich bin wieder bei Elli!»

Und dann, nach drei Schritten:

«Oho-oho-oho! Ich bin wieder beim Eisernen Holzfäller!»

Und so zählte er alle der Reihe nach auf, Totoschka nicht ausgenommen, um dann wieder von vorn zu beginnen. Es war ein ungereimtes, aber fröhliches Lied, das von Herzen kam.


EIN TÜCKISCHES MOHNFELD


Die Wanderer gingen fröhlich über eine mit herrlichen weißen und blauen Blumen übersäte Wiese. An vielen Stellen wuchs roter Mohn, der viel größer war, als man ihn gewöhnlich zu sehen bekommt, und stark duftete. Es war allen leicht ums Herz: Der Scheuch war gerettet, weder der Menschenfresser noch die Schluchten, noch die Säbelzahntiger oder der stürmische Fluß hatten sie aufhalten können, und alle Gefahren schienen vorbei zu sein.

«Welch herrliche Blumen!» rief Elli.

«Sie sind schön!» seufzte der Scheuch. «Hätte ich ein Gehirn, so würde ich mich natürlich viel mehr über die Blumen freuen als jetzt.»

«Und ich würde sie lieben, hätte ich nur ein Herz», seufzte der Eiserne Holzfäller.

«Ich hab mit den Blumen immer Freundschaft gehalten», sagte der Feige Löwe. «Diese lieblichen, harmlosen Geschöpfe überfallen nie einen aus dem Hinterhalt wie die schrecklichen Säbelzahntiger. In meinem Wald hab ich freilich solche großen, leuchtenden Blumen nicht gesehen.»

Je weiter sie kamen, desto zahlreicher wurden die Mohnblumen auf dem Felde, die alle anderen Blumen überwucherten. Bald sahen sich die Gefährten mitten in einem uferlosen Mohnfeld. Der süßliche Duft des Mohns schläfert ein, doch das wußte Elli nicht, die ihn sorglos einatmete und sich über die großen roten Blumen freute. Doch dann wurden ihr die Lider schwer, und sie fiel vor Müdigkeit fast um. Der Eiserne Holzfäller gestattete ihr jedoch nicht, sich hinzulegen.

«Wir müssen uns beeilen, damit wir noch vor Abend auf den gelben Backsteinweg kommen», sagte er, und der Scheuch stimmte ihm zu.

Nach ein paar hundert Schritten konnte sich Elli des Schlafs jedoch nicht mehr erwehren: Sie sank hin, schloß seufzend die Augen und schlief ein.

«Was fangen wir nun mit ihr an?» fragte der Holzfäller besorgt.

«Wenn Elli hier bleibt, wird sie so lange schlafen, bis sie tot ist», sagte der Löwe, tief gähnend. «Der Duft dieser Blumen ist tödlich. Auch mir fallen die Augen zu, und das Hündchen schläft schon.»

Totoschka lag auf dem Mohnteppich neben seiner kleinen Herrin. Nur dem Scheuch und dem Eisernen Holzfäller konnte der tödliche Duft nichts anhaben; sie waren munter wie immer.

«Lauf!» sagte der Scheuch zum Löwen. «Mach, daß du von diesem gefährlichen Ort fortkommst! Das Mädchen können wir forttragen, wenn du aber einschläfst, werden wir dir nicht zu helfen wissen. Du bist doch zu schwer!»

Der Löwe stürzte davon und war im nächsten Augenblick verschwunden. Der Eiserne Holzfäller und der Scheuch verschränkten die Hände zu einem Kreuzgriff und setzten Elli, der sie Totoschka in die Arme gelegt hatten, darauf. Das schlafende Mädchen klammerte sich unbewußt an das weiche Fell des Hündchens. Der Scheuch und der Eiserne Holzfäller gingen die breite Spur der zerdrückten Blumen entlang, die der Löwe hinterlassen hatte, und es schien ihnen, als ob das Feld kein Ende nehmen werde.

Als sie schließlich Bäume und grünes Gras in der Ferne erblickten, atmeten sie erleichtert auf, denn sie hatten schon befürchtet, daß der lange Aufenthalt in der vergifteten Luft Elli töten würde. Am Rande des Mohnfeldes gewahrten sie den Löwen. Der Duft hatte das mächtige Tier nach der letzten Anstrengung, die rettende Wiese zu erreichen, überwältigt, und jetzt schlief es, die Tatzen ausgestreckt.

«Wir werden ihm nicht helfen können», sagte der Holzfäller betrübt. «Er ist zu groß für uns, jetzt schläft er seinen letzten Schlaf und träumt vielleicht davon, daß er endlich Mut bekommen hat…»

«Er tut mir schrecklich leid», erwiderte der Scheuch. «Er war trotz seiner Feigheit ein guter Kamerad, und es tut mir weh, ihn auf diesem verfluchten Mohnfeld liegenzulassen. Aber komm, wir müssen Elli retten.»

Sie trugen die Schlafende auf eine grüne Wiese, legten sie am Ufer eines Flusses, weit von dem tödlichen Mohn, ins Gras und setzten sich neben sie hin. Sie beschlossen abzuwarten, bis Elli von der frischen Luft erwacht.

Während die Freunde so dasaßen und um sich blickten, raschelte es plötzlich im Gras, und auf die Wiese sprang eine gelbe Wildkatze. Die spitzen Zähne gefletscht und die Ohren an den Kopf gedrückt, jagte sie einem kleinen Tier nach. Der Holzfäller sprang auf und sah, daß es eine graue Feldmaus war. Schon erhob die Katze ihre Pfote mit den scharfen Krallen über der wimmernden Maus, die die Augen schloß. Der Holzfäller bekam Mitleid mit dem wehrlosen Geschöpf und hieb der Wildkatze den Kopf ab. Als die Maus die Augen öffnete und den toten Feind vor sich liegen sah, sagte sie zum eisernen Mann:

«Ich danke Euch. Ihr habt mir das Leben gerettet.»

«Nicht der Rede wert», wehrte der Holzfäller ab. Es tat ihm aufrichtig leid, daß er die Katze hatte töten müssen. «Wissen Sie, ich hab zwar kein Herz, aber ich bin immer bereit, einem Schwachen in der Not zu helfen, sei es auch nur eine gewöhnliche Maus.»

«Eine gewöhnliche Maus?» piepste das Tierchen empört. «Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr! Wißt Ihr, wer vor Euch steht? Ramina, die Königin der Feldmäuse!»

«Tatsächlich?» staunte der Holzfäller. «Bitte tausendmal um Verzeihung, Eure Majestät!»

«Wie dem auch sei, Ihr habt Eure Pflicht getan, als Ihr mir das Leben rettetet», sagte die Königin etwas sanfter.

Im gleichen Augenblick zeigten sich ein paar Mäuse, die atemlos auf die Königin zuliefen.

«Oh, Eure Majestät!» piepsten sie durcheinander, «wir dachten schon, Ihr seid umgekommen, und wollten Euch beweinen. Wer hat die böse Katze getötet?» Dabei verneigten sie sich so tief vor der Königin, daß sie auf den Kopf zu stehen kamen und ihre Hinterpfötchen in der Luft zuckten.

«Das hat dieser wunderliche eiserne Mann vollbracht. Ihr sollt ihm jetzt dienen und seine Wünsche erfüllen», sagte Ramina würdevoll.

«Er mag befehlen!» riefen die Mäuse im Chor.

Aber im nächsten Augenblick stoben sie entsetzt auseinander, die Königin vornean. Totoschka hatte sich nämlich, als er die Augen öffnete und die Mäuse erblickte, mit einem Freudenschrei auf sie gestürzt. Er war schon in Kansas als Mäusejäger berühmt gewesen, der an Gewandtheit jede Katze übertraf. Der Eiserne Holzfäller packte jedoch das Hündchen am Nacken und rief den Mäusen zu:

«Bleibt doch! Ich halte ihn!»

Die Mäusekönigin lugte aus dem Gras und fragte ängstlich:

«Seid Ihr auch sicher, daß er mich und meine Höflinge nicht fressen wird?»

«Beruhigt Euch, Majestät, ich halte ihn!»

Die Mäuse kehrten um, und Totoschka, der sich vergeblich aus der eisernen Umklammerung des Holzfällers zu befreien suchte, gab es schließlich auf. Damit er die Mäuse nicht schreckte, wurde er an einen kleinen Pfahl angebunden.

Das erste Hoffräulein der Mäusekönigin ergriff das Wort.

«Edler Mann! Wie sollen wir Euch für die Rettung unserer Königin danken?»

«Ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich bin so verwirrt», hub der Eiserne Holzfäller an, doch der findige Scheuch unterbrach ihn:

«Rettet unseren Freund, den Löwen! Er liegt auf dem Mohnfeld!»

«Einen Löwen!» schrie die Königin entsetzt. «Er wird uns ja alle fressen!»

«O nein», beruhigte sie der Scheuch, «das ist ein feiger und sehr zahmer Löwe, und außerdem schläft er.»

«Na, dann können wir's versuchen. Aber wie fangen wir's an?»

«Gibt es viele Mäuse in Eurem Königreich?»

«Oh, viele Tausende!»

«Befiehlt, daß sich alle hier versammeln und daß jede einen langen Faden mitbringt.»

Königin Ramina gab den Höflingen Befehl, und diese stoben nach allen Seiten auseinander.

«Na, und du, Freund», wandte sich der Scheuch an den Holzfäller, «bau einen festen Karren, damit wir den Löwen aus dem Mohn herausführen.»

Der Holzfäller ging mit Feuereifer an die Arbeit. Als die ersten Mäuse mit langen Fäden zwischen den Zähnen ankamen, hatte er einen festen Karren mit Rädern aus Holzklötzen fix und fertig gebaut.

Aus allen Richtungen eilten die Mäuse herbei. Es waren ihrer viele Tausend, jeder Größe und jeden Alters. Da konnte man kleine Mäuschen und mittelgroße und ganz große Mäuse sehen. Eine alte hutzlige Maus, die sich mit schwerer Mühe zur Wiese geschleppt hatte, verneigte sich vor der Königin und fiel im nächsten Augenblick rücklings um. Zwei Enkelinnen legten das Großmütterchen auf ein großes Klettenblatt und fächelten ihm mit Grashalmen Luft zu, um es aus der Ohnmacht zu wecken.

Es war kein leichtes, so viel Mäuse vor den Karren zu spannen. Tausende Fäden mußten an der Vorderachse befestigt werden. Dabei hatten es der Holzfäller und der Scheuch sehr eilig, denn sie befürchteten, der Löwe könnte im Mohnfeld sterben, und die Fäden verwirrten sich in einem fort in ihren Händen. Hinzu kam, daß manche junge ausgelassene Mäuschen hin und her hüpften, wodurch sich die Fäden noch mehr verstrickten. Schließlich war aber jeder Faden mit dem einen Ende am Karren und mit dem anderen am Schwanz einer Maus befestigt und die Ordnung wiederhergestellt.

Elli erwachte und blickte staunend auf das Treiben. In wenigen Worten erklärte ihr der Scheuch, was geschehen war, und wandte sich dann an die Königin:

«Eure Majestät! Gestattet, Euch Elli vorzustellen, die Fee des Tötenden Häuschens.»

Die beiden verneigten sich höflich voreinander, wie es hohen Damen geziemt, und es begann ein freundschaftliches Gespräch…

Als die Vorbereitungen zu Ende waren, hoben der Holzfäller und der Scheuch mit großer Mühe den schweren Löwen auf den Karren. Die Mäuschen zogen an, und mit Hilfe der beiden Freunde schleppten sie den Karren schnell aus dem Mohnfeld.

Man brachte den Löwen zu der Stelle, wo Elli, von Totoschka behütet, dasaß. Das Mädchen dankte den Mäusen herzlich für die Rettung des treuen Freundes, den es so liebgewonnen hatte.

Die Mäuse zernagten die Fäden an ihren Schwänzchen und liefen schnell nach Hause. Die Königin reichte Elli beim Abschied eine kleine Silberpfeife.

«Falls ihr mich wieder braucht», sagte Ramina, «so blast in diese Pfeife, ich werde euch zu Diensten stehen. Auf Wiedersehen!»

«Auf Wiedersehen!» erwiderte Elli.

Im gleichen Augenblick riß sich Totoschka vom Pfahl los, und die Mäuse stoben auseinander. Die Königin selber legte eine Behendigkeit an den Tag, die mit ihrer Würde kaum vereinbar war.

* * *

…Die Wanderer warteten geduldig, daß der Löwe erwache. Er hatte zu lange die vergiftete Luft des Mohnfeldes geatmet, doch weil er stark und zäh war, blieb er am Leben. Er öffnete die Augen, gähnte mehrmals tief und versuchte sich zu recken, was ihm aber nicht gelang, weil der Karren zu klein war.

«Wo bin ich? Lebe ich noch?»

Als er seine Freunde erblickte, freute er sich ungemein und wälzte sich vom Karren auf die Erde.

«Sagt, was ist geschehen? Ich lief über das Mohnfeld, so schnell ich konnte, aber mit jedem Schritt wurden mir die Glieder schwerer, dann übermannte mich der Schlaf, und weiter kann ich mich an nichts mehr erinnern.»

Der Scheuch erzählte ihm, wie die Mäuse ihn aus dem Mohnfeld geschleppt hatten.

Der Löwe schüttelte den Kopf.

«Merkwürdig! Und ich dachte immer, ich sei so groß und stark. Aber die Blumen, die so viel kleiner sind als ich, hätten mich beinahe getötet, und jämmerlich winzige Wesen -

Mäuse, auf die ich immer von oben herab blickte haben mich gerettet! Sie konnten es, weil ihrer so viele sind, weil sie zusammenhalten und deshalb stärker sind als ich, der Löwe, der König der Tiere! Und was sollen wir jetzt anfangen, liebe Freunde?»

«Wir werden weiterziehen, in die Smaragdenstadt», erwiderte Elli. «Drei sehnliche Wünsche müssen erfüllt werden, damit ich in die Heimat zurückkehre!»