"Milliarden Jahre vor dem Weltuntergang" - читать интересную книгу автора (Strugazki Arkadi, Strugazki Boris)

Fünftes Kapitel

10.

… hockte ein fremder Mann und klaubte die Scherben eines Kognakglases auf. Außerdem war ein Junge in der Küche, etwa fünf Jahre alt. Die Hände unterm Podex, saß er auf dem Hocker am Tisch, baumelte mit den Beinen und sah zu, wie die Scherben aufgesammelt wurden.

„Mensch, Alter!“ rief Waingarten ungestüm, als er Maljanow kommen sah.

„Wo hast du gesteckt?“ Seine riesigen Wangen glühten lila, die Augen, schwarz wie Oliven, glänzten, das starre pechschwarze Haar stand nach allen Seiten ab. Anscheinend hatte er schon tüchtig getankt. Auf dem Tisch prangte eine halbleere Flasche Export-Stoli— tschnaja nebst allen möglichen leckeren Happen vom Bestelldienst.

„Reg dich ab und las fünf grade sein“, fuhr Waingarten fort.

„Am Kaviar haben wir uns nicht vergriffen. Haben auf dich gewartet.“ Der Fremde hatte die Scherben aufgelesen und erhob sich. Es war ein baumlanger schöner Mann mit Norwegerbart und Bäuchlein. Er lächelte verlegen.

„Sososo!“ sagte Maljanow, die Küche betretend, wobei er fühlte, wie sein Herz wieder aus dem Magen stieg und seinen angestammten Platz ein nahm.

„Mein Heim ist meine Festung — heißt es nicht so?“

„Im Sturm erobert, Vater, im Sturm!“ röhrte Waingarten.

„Mensch, woher hast du den Wodka? Und die Fressalien?“

Maljanow reichte dem Fremden die Hand, und der streckte ihm seine entgegen, die jedoch voller Glasscherben war. Ein Augenblick leichter Verlegenheit.

„Wir haben hier ohne Sie gehaust“, sagte der Fremde konfus.

„Das hier war ich.“

„Macht nichts, macht nichts. Hier hinein bitte, in den Eimer.“

„Der Onkel ist feige“, sagte plötzlich laut und deutlich der junge.

Maljanow zuckte zusammen. Und die anderen anscheinend auch.

„Ei, ei — schön artig sein“, belehrte der Fremde den jungen und drohte ihm ziemlich hilflos mit dem Finger.

„Knabe!“ sagte Waingarten.

„Du hast Schokolade

gekriegt. Also sitz und iss. Und sei nicht so vorlaut.“

„Wieso bin ich feige?“ fragte Maljanow, sich setzend.

„Warum beleidigst du mich?“

„Ich beleidige dich doch nicht“, widersprach der junge und betrachtete Maljanow wie ein exotisches

Tier.

„Ich sage bloß, wie du bist.“

Inzwischen hatte sich der Fremde der Scherben entledigt, reinigte mit dem Taschentuch die Hand und reichte sie Maljanow.

„Sachar“, stellte er sich vor.

Sie tauschten den vorgeschriebenen Händedruck.

„Zur Sache, kommt zur Sache!“ rief Waingarten, sich die Hände reibend.

„Schaff noch zwei Gläser her.“

„Hört mal, Jungs“, sagte Maljanow.

„Wodka trink ich nicht.“

„Na dann Wein“, schlug Waingarten vor.

„Da sind noch zwei Flaschen weißer.“

„Nein, lieber Kognak. Sachar, angeln Sie Kaviar und Butter aus dem Kühlschrank… Und was sonst

noch da ist. Bin mordshungrig.“

Maljanow ging zur Bar, nahm eine Flasche Kognak und Gläser, zeigte dem Sessel, in dem unlängst

der Tonton Macoute gesessen hatte, die Zunge und kehrte in die Küche zurück. Der Tisch bog sich unter den Leckerbissen. Ich befress und besauf mich, dachte Maljanow voll grimmiger Freude. Prächtig von den Jungs, daß sie da sind. Aber alles kam anders. Kaum hatten sie ein Gläschen intus, kaum hatte sich Maljanow mit Geknurr über eine riesige Kaviarstulle hergemacht, als Waingarten stocknüchtern erklärte:

„Und jetzt, Vater, las hören, was mit dir passiert ist.“

Maljanow verschluckte sich fast.

„Woraus schließt du…“

„Ich bitte dich!“ sagte Waingarten, der keinesfalls mehr wie ein Pfannkuchen strahlte.

„Wir sind hier

drei, und mit jedem von uns ist was passiert. Also keine falsche Scham. Was hat der Rothaarige zu dir gesagt?“

„Wetscherowski?“

„Aber nein, wieso Wetscherowski? Bei dir war doch so ein feuerroter Wicht, in einem knallengen

schwarzen Anzug… Was hat er gesagt?“

Maljanow bis von seinem Brot so viel ab, wie irgend in den Mund reinpasste, und kaute, ohne was zu

schmecken. Die andern drei sahen ihn an. Sachar betreten, mit zaghaftem Lächeln, den Blick immer

wieder abwendend. Waingarten rollte wie ein Wilder die Augen und war kurz davor loszubrüllen. Der Junge aber, einen belabberten Schokoladenriegel in der Hand, beugte sich so weit vor, als wollte er Maljanow in den Mund springen.

„Leute“, sagte Maljanow schließlich.

„Was denn für Rothaarige? Bei mir waren keine Rothaarigen.

Mich hat’s weit schlimmer erwischt.“

„Na mach schon — erzähl!“ sagte Waingarten ungeduldig.

„Warum denn gerade ich?“ sperrte sich Maljanow.

„Geheimnisse hab ich keine — aber was mimst du hier dauernd den Papst? Erzähl doch selber! Woher weißt du überhaupt, daß mit mir was passiert ist?“

„Erst erzählen — dann erzähl ich meins“, beharrte Waingarten.

„Und Sachar seins.“

„Na dann los, erzählt doch!“ sagte Maljanow und strich sich mit flatternden Händen ein neues Brot.

„Ihr seid zwei und ich bin einer.“

„D u sollst erzählen!“ befahl plötzlich der Junge und wies mit dem Finger auf Maljanow.

„Schön brav sein“, flüsterte Sachar bestürzt.

Waingarten lachte unfroh.

„Ist das Ihrer?“ fragte Maljanow Sachar.

„Vermutlich“, erwiderte Sachar nebulös und schlug die Augen nieder.

„Seiner, seiner“, sagte Waingarten kribblig.

„Übrigens hat das was mit seiner Erzählung zu tun. Los, Dimka, zier dich nicht so.“

Sie brachten Maljanow völlig aus dem Konzept.

Er legte die Stulle auf den Tisch und erzählte.

Restlos alles, von den Telefonanrufen an. Wenn man eine haarsträubende Geschichte innerhalb weniger Stunden zum zweitenmal erzählt, gewinnt man ihr schließlich auch komische Seiten ab. Maljanow merkte gar nicht, wie er in Fahrt geriet. Waingarten wieherte alle naselang, wobei er seine großen gelben Hauer bleckte, und Maljanow überschlug sich fast, um auch den schönen Sachar zum Lachen zu bringen, doch umsonst — der lächelte bloß verstört und nahezu kläglich. Und als Maljanow zum Selbstmord Snegowois kam, verging ihnen allen das Lachen.

„Schwindel!“ keuchte Waingarten. Maljanow zuckte die Achseln.

„Ich wiederhole nur, was man mir erzählt hat“, erwiderte er.

„Und seine Tür ist versiegelt — geh doch hin und sieh’s dir an.“

Eine Weile saß Waingarten stumm da und klopfte mit seinen Wurstfingern auf den Tisch, wobei seine Wangen im Takt schwabbelten. Plötzlich stand er geräuschvoll auf, zwängte sich, ohne jemand an zublicken, zwischen Sachar und dem Jungen durch und klabasterte hinaus.

Sie hörten, wie das Türschloss schnappte, Kohlsuppendunst zog herein.

„Mm-ch-ch“, machte Sachar bedrückt. Sogleich hielt ihm der Junge das belabberte Stück Schokolade hin und forderte:

„Abbeißen!“ Sachar bis gehorsam ab und kaute. Die Tür klappte. Waingarten zwängte sich, wieder ohne jemand anzublicken, zu seinem Stuhl durch, platschte sich Wodka ins Glas und bellte heiser:

„Los, weiter!“

„Nix — weiter. Anschließend bin ich zu Wetsche-rowski gegangen. Die Knilche waren weg, ich hin zu ihm… Von dort komm ich grade.“

„Und der Rothaarige?“ fragte Waingarten ungeduldig.

„Ich sag dir doch, du Kamel — ich weiß nichts von deinem Rothaarigen!“ Waingarten und Sachar tauschten einen Blick.

„Akzeptiert“, sagte Waingarten.

„Und die flotte Biene, Lidotschka — hat sie dir keine Angebote gemacht?“

„Na ja-a… Wie soll ich sagen…“ Maljanow grinste verschämt.

„Also — wenn ich so richtig gewollt hätte…“

„Pfui Deibel, du Trottel! Ich mein doch nicht das!… Na schön, und der Kriminale?“

„Weißt du was, Valka“, sagte Maljanow.

„Ich hab dir alles genau erzählt. Du kannst mich mal… Ehrenwort, das dritte Verhör heute.“

„Valja“, warf Sachar unsicher ein,

„vielleicht ist es bei ihm wirklich anders?“

„Red keinen Stuss, Vater!“ ging Waingarten hoch.

„Was soll denn da anders sein? Er will arbeiten, und man lässt ihn nicht. Wieso ist das anders? Und

außerdem hat man ihn mir genannt!“

„Was, wer hat mich genannt?“ fragte Maljanow, auf neue Heimsuchungen gefasst.

„Pullern!“ verkündete der junge mit schneidend klarer Stimme.

Alle wandten sich ihm zu. Er blickte sie der Reihe nach an, rutschte vom Hocker und sagte zu Sachar:

„Mitgehen!“

Sachar lächelte schuldbewusst, erwiderte:

„Na komm“, und sie verschwanden im Lokus. Man hörte,

wie sie Kaljam aus dem Klobecken scheuchten.

„Wer hat mich genannt?“ fragte Maljanow Waingarten.

„Was soll denn das schon wieder?“ Mit gesenktem Kopf lauschte Waingarten den Geräuschen, die aus der Toilette drangen.

„Gubar sitzt in der Scheiße!“ sagte er mit trauriger Genugtuung.

„Bis an die Ohren!“

Maljanow kam eine verschwommene Erinnerung.

„Gubar?“

„Na ja, Sachar. Du weißt doch, der Krug geht so lange zu Wasser…“

Da fiel es Maljanow wieder ein.

„Ist er bei den Raketentruppen?“

„Wer? Sachar?“ staunte Waingarten.

„Ach wo, glaub ich nicht… Ingenieur ist er, mit goldenen

Händen. Baut Flöhe, mit elektronischer Steuerung… Aber nicht da liegt der Hund begraben. Sein Pech ist, daß er ein Sklave seiner Wünsche ist. Wie er sich selber ausdrückt. Und das stimmt, Vater.

Hundertprozentig.“

Der junge kehrte in die Küche zurück und kraxelte auf den Hocker. Sachar folgte ihm.

„Wissen Sie, Sachar“, sagte Maljanow zu ihm,

„mir war doch völlig entfallen: Snegowoi hat mich nach Ihnen gefragt.“

Da sah Maljanow zum erstenmal mit eigenen Augen, wie ein Mensch die Farbe verlor, buchstäblich

kreidebleich wurde.

„Nach mir?“ fragte Sachar, lautlos die Lippen bewegend.

„Ja… Gestern abend.“ Maljanow erschrak. Solche Reaktion kam ihm dann doch unerwartet.

„Nanu, hast du ihn etwa gekannt?“ fragte Waingarten leise Sachar.

Sachar schüttelte stumm den Kopf, fingerte nach einer Zigarette, verschüttete dabei die halbe Schachtel auf dem Fußboden und sammelte die Zigaretten hastig wieder ein. Waingarten räusperte sich, brummte:

„Auch das noch…“und goss allen wieder ein.

Da sagte der Junge:

„Große Sache! Was besagt das schon!“

Maljanow zuckte abermals zusammen, Sachar jedoch straffte sich ein wenig und blickte den Sohn mit leiser Hoffnung an.

„Ist doch bloß Zufall“, fuhr der Junge fort.

„Guckt mal ins Telefonbuch: da gibt es acht Gubars…“

11. …kannte Maljanow von der sechsten Klasse an. In der siebenten hatten sie sich angefreundet und waren dann bis zum Abitur Banknachbarn gewesen. Die Jahre vergingen, aber Waingarten änderte sich nicht, nahm lediglich an Umfang zu. Seit jeher war er lustig, dick, sinnlich, seit jeher sammelte er was: Briefmarken, Münzen, Poststempel, Flaschenetiketts. Ja, einmal — da war er bereits Biologe — kam er auf die Schnapsidee, Exkremente zu sammeln: weil ihm Shenka Sidorzew aus der Antarktis Walfischkot mitgebracht hatte und Sanja Shitnjuk aus Pendshikent menschliche Fäkalien, und zwar keine einfachen, sondern versteinerte, aus dem neunten Jahrhundert. Ewig behelligte er alle, sie sollten ihm ihr Kleingeld zeigen — wegen irgendwelcher beson— deren Kupfermünzen. Und ewig war er auf fremde Briefe erpicht und schnorrte Kuverts mit Stempeln. Bei alldem verstand er was von seinem Fach. Im Institut für Pflanzenschutz bei der Akademie der Wissenschaften war er längst Arbeitsgruppenleiter, er mixte in zwanzig verschiedenen Kommissionen mit, heimischen und internationalen, trieb sich fort während im Ausland auf irgendwelchen Kongressen rum und war überhaupt schon fast Doktor habil. Von all seinen Bekannten achtete er Wetscherowski am meisten, da dieser Preisträger war und er, Waingarten, geradezu danach fieberte, Preisträger zu werden. Hundertmal hatte er Maljanow vor geschwärmt, wie er sich dann die Medaille anstecken und zum Rendezvous gehen würde. Aufschneiden konnte er schrecklich. Er war ein glänzender Erzähler, nichtssagende Vorfälle verwandelten sich in seinem Munde in Dramen ä la Graham Greene oder Le Carre. Aber so seltsam es auch klingen mag, er schwindelte fast nie und schämte sich in Grund und Boden, wenn man ihn bei einer seiner seltenen Schwindeleien ertappte. Irka mochte ihn nicht — unbegreiflich, weshalb. Maljanow nahm stark an, daß Waingarten in jüngeren Jahren, noch vor Bobkas Geburt, Irka nachgestellt und dabei irgend etwas verpatzt hatte. An sich war er ein Frauenheld sondergleichen, aber durchaus nicht von der fiesen, primitiv geilen Art, sondern fröhlich-draufgängerisch, in Siegen wie in Nieder lagen gleichermaßen geübt. Für ihn war jedes Stell— dichein ein Abenteuer, egal wie es endete. Swetka, eine ungewöhnlich schöne, doch zur Melancholie neigende Frau, hatte sich längst mit allem abgefunden, um so mehr, als er nichts auf sie kommen ließ und sich dauernd ihretwegen in aller Öffentlichkeit prügelte. Überhaupt prügelte er sich gern, und mit ihm in Gaststätten zu gehen war eine Strafe. Kurzum, er lebte fröhlich und ausgeglichen, hatte Erfolg und ließ sich durch nichts sonderlich erschüttern.

Die seltsamen Verwicklungen hatten, wie sich herausstellte, bereits vor zwei Wochen eingesetzt, als die im vorigen Jahr aufgenommene Versuchsserie plötzlich völlig unerwartete, ja sensationelle Ergebnisse zeitigte. (

„Ihr versteht das nicht, Väter, das hat was mit umgekehrter Transkriptase zu tun, das ist die RNS-abhängige DNS-Polymerase, also ein fach eine Revertase, ein bestimmtes Ferment in der Substanz der Krebsviren, und das, Väter, riecht verdammt nach Nobelpreis…“) In Waingartens Labor erkannte keiner außer ihm selber den Wert der Resultate. Den meisten war das alles wie immer schnuppe, die übrigen meinten, die Serie sei gescheitert. Es war übrigens gerade Sommer, und alle hatten nur ihren Urlaub im Kopf. Aber Waingarten dachte nicht daran, ihnen die Urlaubsscheine zu unterschreiben! Im Nu war der Knatsch perfekt: Anwürfe, Gewerkschaftskomitee, Parteileitung. Und als die Wogen am höchsten schlugen, teilte man Waingarten auf einer Sitzung offiziös mit, es gebe folgende Idee: den Genossen Waingarten, Valentin Andrejewitsch, zum Direktor des brandneuen, hypermodernen biologischen Zentrums in Dobroljubow einzusetzen, dessen Bau kurz vordem Abschluß stehe.

Von dieser Mitteilung schwirrte V. A. Waingarten der Kopf, dennoch erkannte er, daß der Direktorposten erstens noch eine Taube auf dem Dach war und zweitens, falls er sich in einen Spatzen in der Hand verwandelte, seiner, V. A. Weingartens, schöpferischen Arbeit für mindestens anderthalb bis zwei Jahre einen Riegel vorschob. Aber der Nobelpreis, Väter, bleibt eben der Nobelpreis. Daher bat sich Waingarten erst einmal Bedenkzeit aus und kehrte ins Labor zu seiner mysteriösen umgekehrten Transkriptase und seinem nicht verebbenden Knatsch zurück. Keine zwei Tage verstrichen — da ließ ihn der Abteilungsleiter kommen, erkundigte sich nach dem Fortgang der Arbeit (

„Ich hielt den Mund, Väter, war vorsichtig bis zum Gehtnichtmehr…“) und riet ihm, diesen fragwürdigen Nonsens fallenzulassen und sich dem und dem Thema zu widmen, das große volkswirtschaftliche Bedeutung habe und daher unerschöpfliche materielle und geistige Vorteile verspräche, wofür er als Chef und Akademiemitglied seine Hand ins Feuer lege.

Total überwältigt von all diesen sich urplötzlich auftuenden Horizonten, war Waingarten so leicht fertig, zu Hause anzugeben, und zwar nicht schlecht hin zu Hause, sondern angesichts seiner Schwiegermutter, die er stets Käpt’n nannte, weil sie tatsächlich Fregattenkapitän im Ruhestand war. Und schon ballten sich dicke Wolken über ihm zusammen. (

„Väter, seit dem Abend ging es bei uns zu wie in einem Sägewerk. Dauernd sägten sie an mir herum, ich sollte gleich und sofort ja sagen zu allem…“).

Das Labor indes förderte allem Kladderadatsch zum Trotz unentwegt Resultate zutage, die eins überraschender als das andere waren. Da plötzlich segnete eine Tante das Zeitliche, eine Verwandte väterlicherseits um x Ecken, und bei der Auflösung des Haushalts entdeckte Waingarten auf dem Dach boden ihres Hauses in Kawgolowo eine ganze Kiste mit sowjetischen Münzen, die einundsechzig aus dem Verkehr gezogen worden waren. Wer Waingarten kennt, weiß: Kaum hatte er diese Kiste gefunden, da verlor er jegliches Interesse an allen übrigen Phänomenen des Lebens, den heranreifenden Nobelpreis inbegriffen. Er verschanzte sich zu Hause, sortierte vier Tage lang den Inhalt der Kiste und blieb allen Anrufen aus dem Institut und dem sägenden Käpt’n gegenüber taub und stumm. Die Kiste enthielt bemerkenswerte Stücke. O ja — groß artige! Aber nicht das war es. Als er nach der Münzendurchsicht ins Labor zu rückkehrte, sah er sofort, daß die Entdeckung so zusagen aus dem Ei geschlüpft war. Natürlich war noch vieles unklar, musste alles erst in die richtige Form gebracht werden — keine geringe Arbeit übrigens, aber es bestand kein Zweifel mehr: Die Entdeckung war reif. Nun legte sich Waingarten voll ins Zeug. Stante pede machte er Schluss mit dem Knatsch im Labor (

„Väter, wie ich sie alle in Urlaub scheuchte!“), schaffte binnen vierundzwanzig Stunden den Käpt’n samt Gören auf die Datsche, sagte alle Treffs und Stelldicheins ab und wollte gerade, in seiner Wohnung verschanzt, zum letzten, entscheidenden Schlag ausholen, als der vorgestrige Tag anbrach.

Vorgestern nämlich, kaum daß er sich an die Arbeit gesetzt hatte, war in seiner Wohnung dieser Rothaarige aufgetaucht — ein kleines Männlein mit kupferrotem Schopf und bleichem Gesicht, in einen bis ans Kinn zugeknöpften schwarzen Anzug von uralter Fasson gepfercht. Es trat aus dem Kinderzimmer, und während Waingarten noch sprachlos nach Luft schnappte, saß der Gnom bereits vor ihm auf der Tischkante und redete darauf los. Ohne Umschweife erklärte er, daß eine gewisse außerirdische Zivilisation schon seit langem aufmerksam und besorgt seine, V. A. Waingartens, Experimente verfolge. Dass die letzte Arbeit besagten Waingar-tens sie besonders beunruhige. Dass er, der Gnom also, ermächtigt sei, Waingarten den sofortigen Abbruch besagter Arbeit und die Vernichtung sämtlichen Materials anzuempfehlen. Warum wir das fordern, hat Sie nicht zu interessieren, erklärte der Kupferrote. Wissen sollen Sie nur, daß wir uns bemüht haben, den Fall auf natürlichem Wege zu bereinigen. Sie irren, wenn Sie an nehmen, der Direktorposten und das neue, aussichtsreiche Thema, die Ihnen angetragen wurden, der Münzenfund auf dem Boden und der sattsam bekannte Knatsch in Ihrem Labor — ja, auch der seien Werke des Zufalls. Wir haben versucht, Sie aufzuhalten. Doch wir konnten Sie lediglich bremsen, und das auch nur für kurze Zeit. Darum sahen wir uns zu einer so extremen Maßnahme genötigt wie dieser persönlichen Vorsprache. Nehmen Sie zur Kenntnis: Alle Angebote, die ihnen gemacht wurden, bleiben in Kraft, es steht Ihnen frei, auf jedes von ihnen zurückzugreifen, sobald Sie unserer Forderung nachgekommen sind. Mehr noch, im letztgenannten Fall gedenken wir, auch Ihre kleinen, durchaus verständlichen Wünsche zu erfüllen, die aus den Schwächen erwachsen, die der menschlichen Natur eigen sind. Darf ich Ihnen, gewissermaßen als Unterpfand, dieses bescheidene Präsent überreichen…

Mit diesen Worten griff der Rotkopf buchstäblich aus der Luft ein voluminöses Paket und warf es vor Waingarten auf den Tisch. Wie sich dann erwies, enthielt es herrliche Briefmarken, deren Gesamtwert ein Nicht-Philatelist gar nicht ermessen kann. Waingarten dürfe keinesweges glauben — so fuhr der rothaarige Gnom fort, daß er der einzige Erdenmensch sei, dem das Augenmerk der Superzivilisation gelte. Unter Waingartens Bekannten gebe es mindestens drei, deren Tätigkeit zu gegebener Zeit ebenfalls unterbunden werde. Er, also der Rothaarige, könne Personen nennen wie Maljanow, Dmitri Alexejewitsch, Astronom, Gubar, Sachar Sacharowitsch, Ingenieur, und Snegowoi, Arnold Pawlowitsch, Chemophysiker. Waingarten, V. A., erhielt drei Tage Bedenkzeit, vom nämlichen Moment an, danach würde sich die Superzivilisation befugt sehen, mit „Maßnahmen der Stufe drei“ durchzugreifen.

„Während er mir all das klarmachte“, sagte Waingarten, wobei er fürchterlich die Augen verdrehte und den Unterkiefer vorschob, also, Väter da hab ich bloß immer gedacht: wie ist er in die Wohnung gelangt, der Halunke. Ohne Schlüssel? Wo die Tür auch noch verriegelt war. Am Ende ist es ein Einbrecher, der es nicht länger unter der Couch ausgehalten hat? Na, denk ich, dich lehr ich gleich Mores… Aber wie ich noch so überlegte, war der rothaarige Lump mit seiner Rede fertig und…“ Waingarten machte eine effektvolle Pause.

„… flog — schwupp! — aus dem Fenster!“ zischte Maljanow.

„Hierher fliegt er dir!“ Ohne auf das anwesende Kind Rücksicht zu nehmen, tippte sich Waingarten auf eine unanständige Stelle.

„Er ist nicht weg geflogen. Er ist einfach verschwunden.“

„Valka…“ sagte Maljanow.

„Glaub mir, Alter! So hat er vor mir gesessen, auf dem Tisch… Grade will ich ihm eins in die Fresse hauen, freihändig aus dem Sitz — da ist er plötzlich weg. Wie im Kino.“

Waingarten nahm das letzte Stück Stör und stopfte es sich in den Schlund.

„Moam“, sagte er,

„moam, muam“, würgte den Bissen runter, klapperte mit den feuchtgewordenen Augen und sprach weiter:

„Jetzt hab ich mich ja schon etwas gefasst, Väter, aber an dem Tag, da saß

ich da, die Augen zu, erinnerte mich an seine Worte, und bei mir drin bibberte alles wie beim Ferkel der Schwanz. Ich dachte, mich trifft der Schlag. Noch nie war mir so was passiert. Hab mich in Schwieger-mutters Zimmer geschleppt und Baldrian geschluckt — umsonst. Da seh ich, sie hat Brom stehen. Hab auch noch Brom geschluckt…“

12…„Fälschungen“, sagte Maljanow schließlich. Waingarten schwieg verächtlich.

„Na, dann eben Neudrucke.“

„Dummkopf“, versetzte Waingarten lakonisch und steckte das Album weg.

Maljanow war am Ende seines Lateins. Plötzlich begriff er: Wäre das alles Schwindel oder schlechthin Wahrheit und nicht schreckliche Wahrheit, dann hätte Waingarten es umgekehrt gemacht: Erst die Briefmarken gezeigt und hinterher eine mehr oder minder glaubwürdige Flunkerstory drumrum gerankt.

„Na, und was jetzt?“ fragte Maljanow und fühlte, wie sein Herz wieder absackte. Die anderen hüllten sich in Schweigen. Waingarten goss sich Kognak ein, trank solo und aß den letzten Rollmops nach. Gubar sah stumpfsinnig zu, wie sein merkwürdiger Sohn konzentriert, sehr ernst und bleich im Gesicht, mit Schnapsgläsern spielte. Dann erzählte Waingarten weiter, nun schon völlig witzlos, lasch, kaum die Lippen bewegend. Wie er ans Telefon gestürzt war, um Gubar anzurufen, der sich jedoch nicht gemeldet hatte, wie er danach Maljanow anrief und erfuhr, daß Snegowoi tatsächlich existierte; was für einen Schreck er bekam, als Maljanow zur Tür ging, um Lidotschka einzulassen, und ewig nicht ans Telefon zurückkehrte; wie er nicht schlafen konnte, die ganze Nacht in der Wohnung herumlief und dachte, dachte, dachte, Brom schluckte und weiterdachte; wie er Maljanow heute angerufen hatte und nach den ersten Worten merkte, daß man auch ihn schon am Wickel hatte. Und dann war Gubar zu ihm gekommen, mit seinen Unannehmlichkeiten…