"Matilda" - читать интересную книгу автора (Dahl Roald)




F#252;r Michael und Lucy

Die Leserin

M#252;tter und V#228;ter sind komisch. Ihr eigenes Kind kann eine noch so widerliche kleine Ratte sein – sie bilden sich trotzdem ein, er oder sie seien eine Offenbarung.

Manche Eltern gehen sogar noch weiter. Sie werden aus lauter Liebe so verblendet, da#223; sie an ihrem Kind die Anzeichen eines wahren Genies erkennen.

Das w#228;re ja alles nicht so schlimm. So geht’s eben zu auf der Welt. Nur, wenn diese Eltern auch noch anfangen, uns was vorzuschw#228;rmen von den Wundergaben ihrer eigenen umwerfenden Spr#246;#223;linge, dann kann man wirklich nur keuchen: «Wo ist ein Eimer? Wir m#252;ssen kotzen.»



Lehrer haben unter diesem Gequatsche eingebildeter Eltern ganz sch#246;n zu leiden, aber sie k#246;nnen sich wenigstens r#228;chen, wenn sie Zeugnisse schreiben. Wenn ich Lehrer w#228;re, w#252;rde ich mir f#252;r die Kinder solcher Affeneltern regelrechte Verrisse zusammenbrauen. «Ihr Sohn Maximilian», w#252;rde ich schreiben, «ist ein totaler Waschlappen. Ich hoffe, da#223; Sie #252;ber ein Familienunternehmen verf#252;gen, in dem Sie ihn nach der Schule unterbringen k#246;nnen, denn es ist sonnenklar, da#223; ihn kein denkender Mensch freiwillig bei sich einstellen w#252;rde.» Und wenn ich an dem betreffenden Tage meine dichterische Ader sp#252;rte, w#252;rde ich vielleicht schreiben: «Es klingt zwar merkw#252;rdig, ist aber eine Tatsache, da#223; die H#246;rorgane der Heuschrecken seitlich vom Magen angebracht sind. Nach dem zu urteilen, was Ihre Tochter Vanessa in diesem Schuljahr gelernt hat, scheint sie #252;berhaupt keine H#246;rorgane zu besitzen.»



Kann sein, da#223; ich mich sogar noch eingehender mit der Naturgeschichte befassen und sagen w#252;rde: «Die sich h#228;utende Zikade bleibt im Puppenzustand sechs Jahre lang im Verborgenen und verbringt nicht mehr als sechs Tage als freies Insekt in Licht und Luft. Ihr Sohn hat in dieser Schule sechs Jahre im Puppentiefschlaf zugebracht, aber wir warten noch heute darauf, da#223; er aus seiner Larve schl#252;pft.»

Ein besonders boshaftes kleines M#228;dchen k#246;nnte mich reizen, folgendes zu formulieren: «Fiona zeigt die gleiche k#252;hle Sch#246;nheit wie ein Eisberg, hat jedoch im Gegensatz zu diesem absolut nichts unter der Oberfl#228;che.»



Ich glaube, es w#228;re mir ein reines Vergn#252;gen, die Zeugnisse f#252;r die kleinen Scheusale aus meiner Klasse zu schreiben, aber dies soll gen#252;gen. Wir m#252;ssen weiterkommen.

Gelegentlich st#246;#223;t man auf Eltern, die das genaue Gegenteil darstellen, die sich nicht die Bohne um ihre Kinder k#252;mmern, und die sind nat#252;rlich noch viel schlimmer als diejenigen, die ihre Kinder anbeten. Herr und Frau Wurmwald geh#246;rten in diese Kategorie von Eltern. Sie hatten einen Sohn namens Michael und eine Tochter namens Matilda, und die Eltern behandelten Matilda nicht anders als ein St#252;ck Schorf. Mit Schorf mu#223; man einfach leben, bis die richtige Zeit gekommen ist. Dann kann man ihn abpulen und wegschnippen.

Herr und Frau Wurmwald w#252;nschten geradezu sehnlichst die Zeit herbei, zu der sie ihre kleine Tochter abpulen und wegschnippen konnten, m#246;glichst in die n#228;chste Grafschaft oder noch viel weiter weg.

Es ist schon schlimm genug, wenn Eltern ganz gew#246;hnliche Kinder wie Schorf und Fliegenschi#223; behandeln, aber wenn das betreffende Kind au#223;ergew#246;hnlich ist, und damit meine ich: blitzgescheit und sehr verst#228;ndig, dann ist so etwas am allerschlimmsten. Matilda war beides, aber #252;berwiegend blitzgescheit. Ihr Verstand war so hell und scharf, und sie besa#223; eine so schnelle Auffassungsgabe, da#223; diese Talente selbst den meisten unterbelichteten Eltern aufgefallen w#228;ren. Herr und Frau Wurmwald waren jedoch alle beide so beschr#228;nkt und nur mit ihren kleinen albernen Alltagsdingen befa#223;t, da#223; sie nicht imstande waren, an ihrer Tochter etwas Au#223;ergew#246;hnliches festzustellen. Ehrlich gesagt h#228;tten sie es nicht einmal gemerkt, wenn sie mit einem gebrochenen Bein ins Haus gekrochen w#228;re. Matildas Bruder Michael war ein ganz normaler Junge, aber bei seiner Schwester konnte einem, wie gesagt, der Kinnladen herunterklappen.

Mit anderthalb Jahren redete sie fehlerlos und kannte ebenso viele W#246;rter wie die Erwachsenen. Statt da#223; die Eltern sie lobten, beschimpften sie sie als nervt#246;tende Plappertasche und sagten streng, brave M#228;dchen wolle man sehen, aber nicht h#246;ren.

Im Alter von drei Jahren hatte sich Matilda das Lesen beigebracht, indem sie die Zeitungen und Magazine studierte, die im ganzen Haus herumlagen. Im Alter von vier Jahren konnte sie rasch und flie#223;end lesen und fing nat#252;rlich an, sich sehns#252;chtig nach B#252;chern umzuschauen.

Das einzige Buch in diesem erleuchteten Haushalt war etwas namens «Kochen ist leicht» und geh#246;rte ihrer Mutter. Nachdem Matilda es von vorn bis hinten durchgelesen und alle Rezepte auswendig gelernt hatte, beschlo#223; sie, sich nach etwas Interessanterem umzusehen.



«Vati», sagte sie, «meinst du, da#223; du mir ein Buch kaufen k#246;nntest?»

«Ein Buch?» fragte er. «Wozu brauchst du denn ein verdammtes Buch?»

«Zum Lesen, Vati.»

«Und was hast du gegen das Fernsehen, um Himmels willen? Wir haben einen fabelhaften Fernsehapparat mit einem Riesenbildschirm, und jetzt kommst du und willst ein Buch haben? Du bist ganz sch#246;n verw#246;hnt, mein M#228;delchen!»



An Wochentagen war Matilda fast jeden Nachmittag allein zu Hause. Ihr Bruder, der f#252;nf Jahre #228;lter war als sie, ging in die Schule, ihr Vater zur Arbeit, und ihre Mutter fuhr zum Bingospielen in eine acht Kilometer entfernte Stadt. Frau Wurmwald war geradezu s#252;chtig nach Bingo und spielte es an f#252;nf Nachmittagen in der Woche. An dem Nachmittag, an dem sich ihr Vater geweigert hatte, ihr ein Buch zu kaufen, machte sich Matilda ganz allein auf und ging in die Stadtb#252;cherei. Dort stellte sie sich der Bibliothekarin vor, einer Frau Phelps. Sie fragte, ob sie sich ein bi#223;chen hinsetzen und ein Buch lesen d#252;rfe. Frau Phelps, etwas verwirrt, da#223; so ein kleines M#228;dchen ohne elterliche Begleitung bei ihr auftauchte, erwiderte ihr trotzdem, da#223; sie herzlich willkommen sei.

«Wo sind bitte die Kinderb#252;cher?» erkundigte sich Matilda.

«Sie stehen da dr#252;ben auf den untersten Regalen», erkl#228;rte ihr Frau Phelps. «M#246;chtest du vielleicht gern, da#223; ich dir ein sch#246;nes mit lauter Bildern heraussuche?»

«Nein danke», antwortete Matilda, «ich kann das schon alleine.»

Von nun an bummelte Matilda an jedem Nachmittag, sobald ihre Mutter zum Bingo gefahren war, zur Stadtb#252;cherei hinunter. Der Weg war nur zehn Minuten lang, und so blieben ihr zwei herrliche Stunden, in denen sie friedlich in einer gem#252;tlichen Ecke hockte und ein Buch nach dem anderen verschlang. Nachdem sie alle Kinderb#252;cher gelesen hatte, die es dort gab, begann sie sich auf die Suche nach etwas anderem zu machen.

Frau Phelps, die sie in den vergangenen Wochen gebannt beobachtet hatte, kam nun hinter ihrem Tisch hervor und ging zu ihr.



«Kann ich dir helfen, Matilda?» fragte sie.

«Ich #252;berleg mir gerade, was ich als n#228;chstes lesen soll», antwortete Matilda, «mit den Kinderb#252;chern bin ich durch.»

«Du meinst, du hast dir alle Bilder angeschaut?»

«Ja, aber gelesen hab ich die B#252;cher auch.»

Frau Phelps schaute von ihrer gro#223;en H#246;he zu Matilda hinab, und Matilda blickte geradewegs zu ihr empor.

«Ein paar hab ich ziemlich schwach gefunden», sagte Matilda, «aber ein paar andere waren zu sch#246;n. Am besten hat mir ‹Der geheime Garten› gefallen. Da gab’s soviel Geheimnis drin. Das Geheimnis von dem Raum hinter der verschlossenen T#252;r und das Geheimnis von dem Garten hinter der hohen Mauer.»

Frau Phelps stand da wie vom Donner ger#252;hrt. «Wie alt bist du eigentlich genau, Matilda?» fragte sie.

«Vier Jahre und drei Monate», antwortete Matilda.

Das raubte Frau Phelps erst recht die Fassung, aber sie war vern#252;nftig genug, es nicht zu zeigen. «Was f#252;r ein Buch w#252;rdest du denn gerne als n#228;chstes lesen?» fragte sie.

Matilda erwiderte: «Am liebsten ein wirklich gutes, eins, das Erwachsene lesen. Ein ber#252;hmtes Buch. Ich kenn aber noch nicht die Namen.»

Frau Phelps musterte die B#252;cherreihen und lie#223; sich dabei Zeit. Sie wu#223;te nicht genau, was sie anbieten sollte. Wie w#228;hlt man nur, #252;berlegte sie, ein ber#252;hmtes Erwachsenenbuch f#252;r ein vierj#228;hriges M#228;dchen aus? Ihr erster Gedanke war, ein Jugendbuch herauszuziehen, eine von diesen s#252;#223;lichen Geschichten, die f#252;r f#252;nfzehnj#228;hrige Sch#252;lerinnen geschrieben werden, aber dann merkte sie, wie sie unerkl#228;rlicherweise instinktiv an diesem speziellen Regal vor#252;berging.

«Versuch es einmal mit diesem», sagte sie schlie#223;lich, «es ist sehr ber#252;hmt und sehr gut. Wenn’s zu dick f#252;r dich ist, dann sag mir nur Bescheid, und ich suche dir etwas K#252;rzeres und Leichteres heraus.»

«‹Gro#223;e Erwartungen›», las Matilda, «von Charles Dickens. Da will ich gerne hineinschauen.»

Ich mu#223; verr#252;ckt sein, sagte sich Frau Phelps insgeheim, aber Matilda entgegnete sie: «Das kannst du nat#252;rlich gerne tun.»

Im Lauf der folgenden Nachmittage konnte Frau Phelps kaum die Augen von dem kleinen M#228;dchen l#246;sen, das stundenlang in dem gro#223;en Armsessel im hintersten Winkel des Raumes sa#223; und das Buch auf dem Scho#223; hielt. Es lag ihr n#228;mlich auf dem Scho#223;, weil es viel zu schwer war, als da#223; sie es in der Hand h#228;tte halten k#246;nnen, und das bedeutete, da#223; sie sich vorbeugen mu#223;te, um lesen zu k#246;nnen. Es war ein merkw#252;rdiger Anblick, dieses winzige dunkelhaarige Gesch#246;pf, dessen F#252;#223;e noch l#228;ngst nicht den Boden ber#252;hrten und das vollkommen versunken war in die wunderbaren Abenteuer von Pip und der alten Miss Havisham und ihrem spinnwebenumsponnenen Haus und in den Zauber, den Dickens, der gro#223;e Geschichtenerz#228;hler, mit seinen Worten bewirkt. Die einzige Bewegung des lesenden Kindes bestand darin, da#223; es von Zeit zu Zeit die Hand hob und eine Seite umbl#228;tterte, und Frau Phelps war immer wieder traurig, wenn es f#252;r sie an der Zeit war, in den hintersten Winkel zu gehen und zu sagen: «Es ist zehn vor f#252;nf, Matilda.»

In der ersten Woche von Matildas Besuchen hatte Frau Phelps sie gefragt: «Bringt dich deine Mutter jeden Tag hierher und holt dich dann wieder ab?»

«Meine Mutter f#228;hrt jeden Nachmittag nach Aylesbury und spielt Bingo», hatte Matilda erwidert, «sie wei#223; nicht, da#223; ich herkomme.»

«Aber das ist sicher nicht richtig», wandte Frau Phelps ein, «ich finde, du solltest sie lieber fragen.»

«Das finde ich nicht», antwortete Matilda, «sie h#228;lt nichts vom Lesen. Mein Vater auch nicht.»

«Und was solltest du jeden Nachmittag in einem leeren Haus machen?»

«Nur so rumh#228;ngen und fernsehen.»

«Aha.»

«Es ist ihr eigentlich egal, was ich tue», setzte Matilda etwas betr#252;bt hinzu.

Frau Phelps machte sich immer Sorgen, wie Matilda heil und sicher durch die ziemlich verkehrsreiche Hauptstra#223;e und #252;ber die gro#223;e Kreuzung nach Hause kam, aber sie beschlo#223;, sich nicht einzumischen.

Innerhalb einer Woche hatte Matilda «Gro#223;e Erwartungen» ausgelesen, ein Buch, das in dieser Ausgabe vierhundertelf Seiten hatte. «Das hat mir gut gefallen», sagte sie zu Frau Phelps, «hat Herr Dickens noch andere B#252;cher geschrieben?»

«Ziemlich viele», antwortete die verbl#252;ffte Frau Phelps, «soll ich dir noch eins raussuchen?»

Im Lauf der n#228;chsten sechs Monate las Matilda, stets aufmerksam und liebevoll von Frau Phelps beobachtet, die folgenden B#252;cher:


«Nicholas Nickleby» von Charles Dickens

«Oliver Twist» von Charles Dickens

«Jane Eyre» von Charlotte Bronte

«Stolz und Vorurteil» von Jane Austen

«Eine reine Frau – Tess von D’Urbervilles» von Thomas Hardy

«Kim» von Rudyard Kipling

«Der Unsichtbare» von H. G. Wells

«Der alte Mann und das Meer» von Ernest Hemingway

«Schall und Wahn» von William Faulkner

«Die Fr#252;chte des Zorns» von John Steinbeck

«Die guten Gef#228;hrten» von J. B. Priestley

«Am Abgrund des Lebens» von Graham Greene

«Farm der Tiere» von George Orwell


Das war eine stattliche Liste, und unterdessen platzte Frau Phelps fast vor Staunen und Aufregung, und es war vermutlich nur gut, da#223; sie sich nicht gestattete, vollkommen den Kopf zu verlieren. Fast jeder andere, der die Fortschritte dieses kleinen Kindes verfolgt h#228;tte, w#228;re der Versuchung erlegen und h#228;tte einen ungeheuren Wirbel veranstaltet und das Wunder in der ganzen Stadt heraustrompetet. Nicht so Frau Phelps. Sie geh#246;rte zu den Menschen, die sich nur um die eigenen Angelegenheiten k#252;mmern, und sie hatte schon l#228;ngst entdeckt, da#223; es sich nicht auszahlte, wenn man sich bei anderer Leute Kindern einmischte.



«Herr Hemingway schreibt vieles, was ich nicht verstehe», sagte Matilda zu ihr, «besonders #252;ber M#228;nner und Frauen. Aber es hat mir trotzdem gefallen. So wie er es erz#228;hlt, hab ich das Gef#252;hl, ich w#228;re dabei und schaute zu, wie alles passiert.»

«Dieses Gef#252;hl wird dir ein guter Schriftsteller immer vermitteln», entgegnete Frau Phelps, «und k#252;mmere dich nicht um die Kleinigkeiten, die du nicht verstehen kannst. Lehn dich einfach zur#252;ck und la#223; dich von den W#246;rtern umspielen wie von Musik.»

«Ja, das will ich tun.»



«Hast du gewu#223;t», fuhr Frau Phelps fort, «da#223; du dir in #246;ffentlichen B#252;chereien so wie dieser hier B#252;cher ausleihen und mit nach Hause nehmen kannst?»

«Das hab ich nicht gewu#223;t», entgegnete Matilda, «d#252;rfte ich das auch machen?»

«Nat#252;rlich», sagte Frau Phelps, «wenn du deine Wahl getroffen hast, brauchst du mir das Buch nur zu bringen, dann schreib ich’s auf, und es geh#246;rt dir f#252;r zwei Wochen. Wenn du willst, kannst du dir auch mehr als eins ausleihen.»

Von da an tauchte Matilda nur einmal in der Woche in der Stadtb#252;cherei auf, um sich neue B#252;cher zu holen und die ausgelesenen zur#252;ckzubringen. Ihr eigenes kleines Schlafzimmer verwandelte sich nun in ein Lesezimmer, und dort sa#223; sie an den meisten Nachmittagen und las, wobei oft ein Becher mit hei#223;er Schokolade neben ihr stand. Sie war noch nicht gro#223; genug, um an alles in der K#252;che heranzukommen, aber sie bewahrte sich im Schuppen eine kleine Kiste auf, die sie dann hereinschleppte, um daraufzuklettern und sich das zu holen, worauf sie Lust hatte. Am liebsten machte sie sich Schokolade, indem sie Milch in ein T#246;pfchen go#223; und auf dem Herd erhitzte, bevor sie sie mit dem Pulver verr#252;hrte. Sie nahm meistens Bovril oder Ovaltine. Es war gem#252;tlich, einen hei#223;en Schluck mit hinauf in ihr Zimmer zu nehmen und neben sich zu haben, wenn sie nachmittags in der stillen Stube im leeren Hause sa#223; und las. Die B#252;cher f#252;hrten sie in neue Welten und machten sie mit erstaunlichen Menschen bekannt, die ein aufregendes Leben f#252;hrten. Sie stach mit Joseph Conrad auf altmodischen Segelschiffen in See. Sie folgte Ernest Hemingway nach Afrika und Rudyard Kipling nach Indien. Sie reiste durch die ganze Welt, w#228;hrend sie in ihrem kleinen Zimmer in einem englischen St#228;dtchen sa#223;.



Herr Wurmwald, der gro#223;e Autoh#228;ndler

Matildas Eltern besa#223;en ein recht h#252;bsches Haus mit drei Schlafzimmern im ersten Stock, w#228;hrend es unten ein E#223;zimmer und ein Wohnzimmer und eine K#252;che gab. Ihr Vater war Gebrauchtwagenh#228;ndler, und sein Gesch#228;ft schien ganz gut zu gehen.

«S#228;gemehl», pflegte er stolz zu sagen, «das ist eins der gro#223;en Geheimnisse meines Erfolgs. Und es kostet mich gar nichts. Ich krieg’s gratis aus der Tischlerei.»

«Wozu brauchst du das denn?» fragte ihn Matilda.

«Ha!» sagte der Vater. «Das m#246;chste wohl gerne wissen.»

«Ich kann mir nicht vorstellen, wie dir S#228;gemehl beim Autoverkaufen helfen kann, Vati.»

«Weil du eine dumme kleine Meckerziege bist», antwortete ihr der Vater. Er war in seiner Wortwahl nie sehr zimperlich, aber daran war Matilda gew#246;hnt. Sie wu#223;te auch, da#223; er gern angab, und damit zog sie ihn hemmungslos auf.

«Du mu#223;t wirklich schrecklich klug sein, da#223; du sogar Sachen verwenden kannst, die nichts kosten», sagte sie. «Ich w#252;nschte, das k#246;nnte ich auch.»

«K#246;nnste nie», antwortete der Vater, «du bist zu bl#246;d dazu. Aber dem jungen Mike hier, dem k#246;nnt ich was erz#228;hlen, da h#228;tte ich gar nichts gegen. Eines Tages wird er mich ja sowieso im Gesch#228;ft unterst#252;tzen.» Er tat also, als ob Matilda Luft w#228;re, wandte sich an seinen Sohn und dozierte: «Ich bin jedesmal froh, wenn ich einen Wagen erwische, wo so ‘n Vollidiot die G#228;nge ins Getriebe geknallt hat, da#223; es ganz ausgeleiert ist und klappert wie verr#252;ckt. Die Karre krieg ich billig. Und dann brauch ich nur das Schmier#246;l t#252;chtig mit S#228;gemehl zu vermixen, und schon schnurrt die Kiste wie ein Kater.»

«Und wie lange l#228;uft sie, bis sie wieder anf#228;ngt zu klappern?»

«Gerade so lange, da#223; mir der K#228;ufer weit genug von der Hucke ist», sagte der Vater und grinste, «so ungef#228;hr hundert Kilometer.»

«Aber das ist unehrlich, Vati», sagte Matilda, «das ist Betrug.»

«Mit Ehrlichkeit ist noch keiner reich geworden», entgegnete der Vater. «Kunden sind dazu da, da#223; man sie #252;ber den L#246;ffel halbiert.»

Herr Wurmwald war ein kleiner Kerl, der wie eine Ratte aussah und Raffz#228;hne unter seinem d#252;nnen rattenhaarigen Schnurrbart hatte. Er bevorzugte gro#223;karierte Jacketts in schreienden Farben und hatte eine Leidenschaft f#252;r Krawatten in Gelb oder Bla#223;gr#252;n. «Und dann zum Beispiel der Kilometerz#228;hler», fuhr er fort. «Jeder der einen Gebrauchtwagen kauft, will zuerst wissen, wieviel Kilometer er auf dem Buckel hat. Stimmt’s?»

«Stimmt», sagte der Sohn.

«Ich kaufe also eine alte Rostlaube, die ungef#228;hr hundertf#252;nfzigtausend auf dem Buckel hat. Die krieg ich billig. Aber mit so einem Kilometerstand kauft sie mir keiner ab, oder? Und heutzutage kann man den Kilometerz#228;hler leider nicht mehr wie vor zehn Jahren einfach ausbauen und an den Zahlen rumfummeln. Die stehen sturmfest wie Eichen, hat gar keinen Sinn, damit die Zeit zu vertr#246;deln, au#223;er du bist so ‘n verflixter Uhrmacher oder so was #196;hnliches. Also, was kann ich da machen? Ich benutz meinen Hirnkasten, mein Junge, das ist es.»

«Wie?» fragte der junge Michael gespannt.

Er schien die v#228;terliche Vorliebe f#252;r krumme Dinger geerbt zu haben.

«Ich setz mich hin und frage mich, wie kann ich einen Kilometerstand von einhundertf#252;nfzigtausend so in nur zehntausend verwandeln, ohne da#223; ich den Z#228;hler auseinandernehmen mu#223;? Also, wenn ich den Wagen lange genug r#252;ckw#228;rts laufen lie#223;e, dann m#252;#223;t es wohl klappen, liegt doch klar auf der Hand, nich? Aber wer w#252;rde denn so eine verdammte Karre tausend und aber tausend Kilometer r#252;ckw#228;rts fahren? Das geht doch gar nicht.»

«Nee, das geht nicht», stimmte der junge Michael zu.

«Also hab ich mich am Kopf gekratzt», fuhr der Vater fort, «und hab meinen Hirnkasten angestrengt. Wenn einem so ein schlauer Kopf gegeben ist, wie ich ihn hab, dann mu#223; man ihn auch nutzen. Und pl#246;tzlich hab ich die Antwort gehabt. Ich kann dir sagen, ich hab mich genauso gef#252;hlt, wie sich dieser andere schlaue Kerl gef#252;hlt haben mu#223;, als er das Penicillin entdeckt hat. Eureka! hab ich geschrien. Ich hab’s!»

«Und was hast du gemacht, Vati?» fragte ihn der Sohn.

«Der Kilometerz#228;hler», erkl#228;rte Herr Wurmwald, «h#228;ngt an einem Kabel, das mit einem der Vorderr#228;der verbunden ist. Ich hab deshalb als erstes das Kabel da abgeklemmt, wo es am Vorderrad sitzt. Als n#228;chstes hab ich mir eine von diesen Bohrmaschinen besorgt, und dann hab ich das Kabel so an den Bohrer angeschlossen, da#223; es r#252;ckw#228;rts l#228;uft, wenn sich der Bohrer dreht. Kapiert? Kannste mir soweit folgen?»

«Ja, Vati», antwortete der junge Michael.

«Diese Bohrmaschinen laufen ja mit enormer Geschwindigkeit», sagte der Vater. «Wenn ich den Bohrer also anschalte, dann rasen die Zahlen wie wahnsinnig zur#252;ck. Mit meiner Superbohrmaschine hau ich dir f#252;nfzigtausend Kilometer im Handumdrehen weg. Und am Ende hat die Karre nur zehntausend drauf und ist fix und fertig f#252;r den Verkauf. Sie ist so gut wie neu, sag ich dem Kunden, keine zehntausend gelaufen. Hat einer alten Dame geh#246;rt, die damit nur einmal in der Woche zum Einkaufen gefahren ist.»

«Kannst du den Kilometerstand wirklich mit einer Bohrmaschine zur#252;ckdrehen?» fragte der junge Michael.

«Ich verrate dir Gesch#228;ftsgeheimnisse», antwortete der Vater. «La#223; dir nur ja nicht einfallen, mit wem anders dr#252;ber zu reden. Du willst mich doch nicht ins Kittchen bringen, oder?»

«Keiner Seele werd ich davon erz#228;hlen», sagte der Junge. «Haste das mit vielen Wagen gemacht, Vati?»

«Jeder einzelnen Karre, die durch meine H#228;nde geht, verpa#223; ich die Behandlung», erwiderte der Vater, «Eh sie zum Verkauf angeboten werden, frisier ich ihnen den Kilometerstand auf unter zehn. Wenn ich nur daran denke, da#223; ich das ganz allein erfunden habe!» setzte er stolz hinzu «Es hat mich steinreich gemacht.»



Matilda, die genau zugeh#246;rt hatte, sagte: «Aber Vati, das ist ja sogar noch unehrlicher als das mit dem S#228;gemehl. Es ist gemein. Du betr#252;gst Leute, die dir vertrauen.»

«Wenn’s dir nicht pa#223;t, brauchst du in diesem Hause nichts mehr zu essen», sagte der Vater, «alles ist von dem Profit gekauft.»

«Von schmutzigem Geld», sagte Matilda, «widerlich.»

Auf den Wangen des Vaters tauchten zwei rote Flecken auf. «Verflucht noch mal, was bildest du dir denn ein, wer du bist», schrie er, «der Erzbischof von Canterbury vielleicht, der mir ‘ne Predigt #252;ber Ehrlichkeit h#228;lt? Du bist nichts als ein dummes kleines Fr#228;ulein Naseweis, und du hast keinen Schatten einer Ahnung, wovon du redest!»

«Vollkommen richtig, Harry», sagte die Mutter und zu Matilda: «Sei nicht so frech zu deinem Vater. Und jetzt klapp deinen vorlauten Mund zu, damit wir in Ruhe fernsehen k#246;nnen.»

Sie sa#223;en im Wohnzimmer und a#223;en ihr Abendbrot vor dem Fernsehapparat. Es bestand aus einem Fernsehmen#252; in wabbeligen Aluminiumbeh#228;ltern mit verschieden gro#223;en Abteilungen f#252;r das gekochte Fleisch, die Salzkartoffeln und die Erbsen.

Frau Wurmwald mampfte die Mahlzeit, ohne die Augen vom Bildschirm und der amerikanischen Familienserie zu l#246;sen. Sie war eine gro#223;e Frau, deren Haare wasserstoffblond gef#228;rbt waren, bis auf den Ansatz, der wieder mausbraun aus den Wurzeln wuchs. Sie war stark geschminkt und hatte eine dieser ungl#252;cklichen auseinanderlaufenden Figuren, bei denen das Fleisch irgendwie an den K#246;rper geschnallt zu sein scheint, damit er nicht auseinanderf#228;llt.



«Mami», sagte Matilda, «darf ich mit meinem Abendbrot ins E#223;zimmer gehen, damit ich lesen kann?»

Der Vater warf ihr einen strengen Blick zu. «Kommt nicht in Frage!» schnauzte er sie an. «Beim Abendbrot versammelt sich die ganze Familie, und vorm letzten Bissen verl#228;#223;t keiner den Tisch!»

«Aber wir sitzen ja gar nicht am Tisch», erwiderte Matilda, «das tun wir doch nie. Wir essen immer von den Knien und sehen fern.»



«Und was hast du dagegen? W#252;rdest du mir das vielleicht einmal verraten?» fragte der Vater. Seine Stimme klang pl#246;tzlich sanft und gef#228;hrlich.

Matilda traute sich nicht, ihm zu antworten, deshalb hielt sie den Mund. Sie sp#252;rte aber, wie der Zorn in ihr kochte. Sie wu#223;te, da#223; es nicht recht war, seine Eltern so zu hassen, aber es fiel ihr sehr schwer, es nicht zu tun. Ihre Lekt#252;re hatte ihr Einblicke ins Leben vermittelt, die ihre Eltern nie gewonnen hatten. Wenn sie nur ein bi#223;chen Dickens oder Kipling l#228;sen, dann w#252;rden sie rasch verstehen, da#223; das Leben aus mehr besteht als aus Gaunertricks und Fernsehen.



Und noch etwas. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn man ihr unaufh#246;rlich einredete, sie sei dumm und d#228;mlich, obgleich sie genau wu#223;te, da#223; sie keins von beiden war. Die Wut in ihrem Bauch h#246;rte nicht auf zu kochen, und als sie an diesem Abend gl#252;cklich im Bett lag, fa#223;te sie einen Entschlu#223;. Jedesmal wenn ihr Vater oder ihre Mutter gemein zu ihr waren, wollte sie es ihnen auf irgendeine Art und Weise heimzahlen. Ein kleiner Sieg, vielleicht sogar zwei mu#223;ten ihr helfen, den elterlichen Schwachsinn zu ertragen, ohne den Verstand zu verlieren. Ihr d#252;rft nicht vergessen, sie war erst knapp f#252;nf Jahre alt, und f#252;r eine so Kleine ist es nicht leicht, zu Pluspunkten gegen die allm#228;chtigen Erwachsenen zu kommen. Sie war aber trotzdem entschlossen, den Versuch zu wagen. Nach dem, was an diesem Abend vorm Fernsehapparat geschehen war, stand ihr Vater zuoberst auf der Liste.


Der Hut und der Sekundenkleber

Am n#228;chsten Morgen huschte Matilda, kurz bevor der Vater zu seiner widerw#228;rtigen Gebrauchtwagenwerkstatt aufbrach, in die Garderobe und nahm sich den Hut, den er t#228;glich zur Arbeit trug. Um ihn vom Haken zu angeln, mu#223;te sie sich auf die Zehenspitzen stellen und einen Spazierstock zu Hilfe nehmen, und selbst so h#228;tte sie es fast nicht geschafft. Der Hut war einer von diesen flachen weichen, die wie eine Schweinefleischpastete aussehen. Herr Wurmwald war sehr stolz darauf und hatte sich eine Eichelh#228;herfeder hinters Hutband gesteckt. Er fand, da#223; ihm der Hut ein verwegenes und k#252;hnes Aussehen verlieh, besonders wenn er ihn sich zu seiner gro#223;karierten Jacke und seiner gr#252;nen Krawatte schief auf den Kopf setzte.

Matilda hielt den Hut in der einen und eine d#252;nne Tube Sekundenkleber in der anderen Hand und begann, den Kleber in einer feinen Wurst s#228;uberlich und pr#228;zise innen aufs Schwei#223;leder zu quetschen. Dann h#228;ngte sie den Hut mit Hilfe des Spazierstocks wieder vorsichtig auf den Haken. Sie hatte sich den Zeitpunkt dieser Operation sehr genau ausgerechnet, den Klebstoff also erst in dem Augenblick aufgetragen, in dem der Vater vom Fr#252;hst#252;ckstisch aufstand.



Als sich Herr Wurmwald den Hut aufsetzte, merkte er gar nichts. Aber als er in der Garage war, konnte er ihn nicht abnehmen. Sekundenkleber wirkt rasch und klebt Hautteile in Sekunden fest. Wenn man dann zu kr#228;ftig zerrt, rei#223;t man sich die Haut ab. Herr Wurmwald wollte nicht gern skalpiert werden, und deshalb mu#223;te er den Hut den ganzen Tag auf dem Kopf behalten, selbst als er S#228;gemehl ins Schmier#246;l mengte und mit seiner Bohrmaschine den Kilometerstand der Wagen frisierte. Um sich nicht l#228;cherlich zu machen, zog er ein gleichg#252;ltiges Gesicht und hoffte, seine Angestellten glaubten, da#223; er den Hut aus Jux und mit voller Absicht den ganzen Tag lang auf dem Kopf behielte, so wie die Gangster in Filmen.

Als er am Abend nach Hause kam, konnte er den Hut immer noch nicht abnehmen. «Sei nicht albern», sagte seine Frau, «komm her. Ich setz ihn dir ab.»

Sie ri#223; einmal kr#228;ftig an dem Hut. Herr Wurmwald jaulte so laut auf, da#223; die Fensterscheiben klirrten. «Aua, au, au, au!» heulte er. «La#223; das! La#223; los! Du rei#223;t mir ja die halbe Haut von der Stirn!»



Matilda, die es sich in ihrem angestammten Sessel gem#252;tlich gemacht hatte, beobachtete dieses Ereignis mit einer gewissen Anteilnahme #252;ber den Rand ihres Buches hinweg.

«Was ist denn los, Vati?» fragte sie. «Ist dir dein Sch#228;del geschwollen oder was?»

Der Vater starrte die Tochter mit m#246;rderischem Mi#223;trauen an, gab aber keine Antwort. Was h#228;tte er auch sagen sollen? Frau Wurmwald bemerkte: «Das mu#223; Schnellkleber sein. Kann gar nichts anderes sein. Das sollte dich lehren, mit diesem scheu#223;lichen Zeugs vorsichtiger umzugehen. Wahrscheinlich hast du dir noch eine Feder an den Hut stecken wollen.»

«Ich hab das verdammte Zeug nicht anger#252;hrt!» br#252;llte Herr Wurmwald. Er drehte sich um und starrte abermals Matilda an, die seinen Blick mit gro#223;en unschuldigen braunen Augen erwiderte.

Frau Wurmwald sagte zu ihm: «Man sollte immer zuerst die Gebrauchsanweisung auf der Tube lesen, eh man anf#228;ngt, mit so gef#228;hrlichen Sachen herumzuwirtschaften. Man braucht sich nur an die Gebrauchsanweisungen zu halten.»

«Wovon schwafelst du denn, verflixt noch mal, du dumme Kuh?» schrie Herr Wurmwald und packte die Krempe seines Hutes, damit keiner mehr daran zerren konnte. «H#228;ltst du mich f#252;r so bl#246;de, da#223; ich mir dieses Ding mit Absicht auf den Kopf klebe?»

Matilda sagte: «Da unten an der Stra#223;e wohnt ein Junge, der hat ein bi#223;chen Sekundenkleber an den Finger gekriegt, ohne es zu merken, und dann hat er den Finger in die Nase gesteckt.»



Herr Wurmwald fuhr zusammen. «Und was ist mit ihm passiert?» stotterte er.

«Der Finger ist in seiner Nase festgeklebt», antwortete Matilda, «und er hat eine Woche lang so herumlaufen m#252;ssen. Die Leute haben immer zu ihm gesagt: Bohr doch nicht in der Nase, aber er konnte nichts dran machen. Er hat schrecklich albern ausgesehen.»

«Geschieht ihm recht», sagte Frau Wurmwald, «warum hat er auch den Finger in die Nase gesteckt. Das ist eine h#228;#223;liche Angewohnheit. Wenn alle Kinder Sekundenkleber an den Fingern h#228;tten, w#252;rden sie bald damit aufh#246;ren.»



Matilda sagte: «Erwachsene tun das aber auch, Mami. Ich hab gestern in der K#252;che gesehen, wie du in der Nase gebohrt hast.»

«Das reicht jetzt», sagte Frau Wurmwald und lief rosa an.

Herr Wurmwald mu#223;te seinen Hut w#228;hrend des Abendessens vorm Fernsehapparat aufbehalten. Er sah l#228;cherlich aus, und er verhielt sich ziemlich still.

Als er hinaufging, um schlafen zu gehen, versuchte er abermals, das Ding loszuwerden, und seine Frau versuchte es ebenfalls, aber der Hut dachte gar nicht daran, sich auch nur zu r#252;hren. «Wie soll ich mich denn duschen?» fragte Herr Wurmwald.

«Das mu#223;t du eben lassen, was denn sonst», sagte seine Frau. Und sp#228;ter, w#228;hrend sie ihren klapprigen kleinen Mann in seinem lilagestreiften Pyjama mit dem Pastetenhut auf dem Kopf tr#252;bselig durch das Schlafzimmer schleichen sah, fiel ihr auf, wie einf#228;ltig er aussah. Kaum einer von den M#228;nnern, von denen eine Ehefrau tr#228;umt, gestand sie sich ein.



Herrn Wurmwald fiel jedoch auf, da#223; das Schlimmste an einem Dauerhut auf dem Kopf die Notwendigkeit war, damit schlafen zu m#252;ssen. Es war unm#246;glich, sich gem#252;tlich aufs Kissen zu legen. «Gib endlich Ruhe», sagte seine Frau, nachdem er sich ungef#228;hr eine Stunde lang hin und her geworfen hatte. «Morgen fr#252;h ist er sicher lose, und dann rutscht er dir ganz leicht ab.»

Nichts war am Morgen lose, und nichts rutschte ganz leicht ab.

Deshalb nahm Frau Wurmwald eine Schere und schnitt ihm das Ding vom Sch#228;del, St#252;ck f#252;r St#252;ck, zuerst den Deckel und dann die Krempe. Wo ihm das Schwei#223;band an den Schl#228;fen und am Hinterkopf festklebte, mu#223;te sie ihm die Haare dicht #252;ber der Haut stutzen, so da#223; er zum Schlu#223; mit einem kahlen, wei#223;en Kranz um den Kopf dasa#223; wie ein M#246;nch. Vorn jedoch, wo das Schwei#223;band direkt auf der nackten Haut klebte, blieben eine ganze Reihe von kleinen Lederflecken haften, die sich nicht abwaschen lie#223;en, so oft er es auch versuchte.



Beim Fr#252;hst#252;ck sagte Matilda zu ihm: «Du mu#223;t wirklich versuchen, diese Flecken von deiner Stirn zu kriegen, Vati. Jetzt sieht das so aus, als ob lauter kleine braune Insekten auf dir herumkrabbeln. Die Leute werden denken, du h#228;ttest L#228;use.»

«Still!» fuhr sie der Vater an. «Und halt deinen vorlauten Mund gef#228;lligst geschlossen, verstanden!»

Alles in allem ein h#246;chst befriedigendes Probeunternehmen. Aber es w#228;re sicher vermessen, sich jetzt schon der Hoffnung hinzugeben, der Vater h#228;tte eine dauerhafte Lehre daraus gezogen.



Das Gespenst

Nach der Sache mit dem Schnellkleber herrschte bei den Wurmwalds ungef#228;hr eine Woche lang ein gem#228;#223;igter Frieden. Diese Erfahrung hatte Herrn Wurmwald ganz offensichtlich einen D#228;mpfer verpa#223;t, und er schien vor#252;bergehend seine Vorliebe f#252;rs Angeben und Anschnauzen verloren zu haben.

Dann schlug er pl#246;tzlich wieder zu. Vielleicht hatte er einen schlechten Tag in der Werkstatt gehabt und nicht genug Rostlauben verkauft. Es gibt vielerlei Kleinigkeiten, die einen Mann nerv#246;s machen, wenn er abends von der Arbeit nach Hause kommt, und eine kluge Frau sp#252;rt meistens die Sturmsignale und l#228;#223;t ihn in Ruhe, bis er nur noch leise blubbert.

Als Herr Wurmwald an diesem betreffenden Abend aus seiner Garage nach Hause kam, dr#228;ute sein Antlitz d#252;ster wie eine Gewitterwolke, und es war klar, da#223; es ziemlich bald jemandem an den Kragen gehen w#252;rde. Seine Frau erkannte die Alarmzeichen sofort und machte sich d#252;nn. Er aber schlenderte ins Wohnzimmer. Dort hatte sich Matilda gerade in dem Lehnsessel in der Ecke eingerollt und war vollkommen in ein Buch versunken. Herr Wurmwald stellte den Fernsehapparat an. Der Bildschirm wurde hell. Die Sendung pl#228;rrte los. Herr Wurmwald starrte Matilda an. Sie hatte sich nicht einmal geregt. Sie hatte sich unterdessen angew#246;hnt, ihre Ohren vor dem Get#246;se der Glotze vollkommen zu versperren. Sie las also einfach weiter, und aus einem unerkl#228;rlichen Grunde versetzte das ihren Vater in helle Wut. Vielleicht n#228;hrte es seinen #196;rger noch, da#223; er sah, wie sie aus etwas Vergn#252;gen gewann, das seinen Horizont #252;berstieg.

«Mu#223;t du denn immerzu lesen?» fuhr er sie an.

«Oh, hallo Vati», sagte sie freundlich, «hast du einen guten Tag gehabt?»

«Was ist das denn f#252;r ein Mist?» fragte er und ri#223; ihr das Buch aus den H#228;nden.

«Das ist kein Mist, Vati, das ist sch#246;n. Es hei#223;t ‹Der rote Pony›, von John Steinbeck, einem amerikanischen Schriftsteller. Warum schaust du nicht einmal hinein, es w#252;rde dir gefallen.»

«Dreck», sagte Herr Wurmwald. «Wenn es von einem Ami stammt, ist es ganz bestimmt Dreck. #220;ber was anderes schreiben die gar nicht.»



«Nein, Vati, es ist sch#246;n, ganz ehrlich. Es handelt von...»

«Ich will nicht wissen, wovon es handelt», bellte Herr Wurmwald. «Deine ewige Leserei geht mir sowieso schon auf den Wecker. Such dir doch endlich eine n#252;tzliche Besch#228;ftigung.» Damit begann er pl#246;tzlich in rasender Geschwindigkeit, die Seiten, immer eine ganze Handvoll auf einmal, aus dem Buch zu rei#223;en und sie in den Papierkorb zu schmei#223;en.



Matilda erstarrte vor Schreck. Der Vater w#252;tete weiter, ganz ohne Frage von einer unbestimmten Eifersucht getrieben. Wie konnte sie es wagen, schien er bei jedem Rausri#223; einer Seite zu fragen, wie konnte sie es wagen, sich beim B#252;cherlesen zu am#252;sieren, wenn er nicht dazu imstande war? Wie konnte sie es nur wagen?

«Das ist ein B#252;chereibuch!» schrie Matilda. «Es geh#246;rt mir nicht. Ich mu#223; es Frau Phelps zur#252;ckgeben!»

«Dann wirst du ein neues kaufen m#252;ssen, nicht wahr?» entgegnete der Vater und ri#223; und ri#223; die Seiten raus. «Du wirst dein Taschengeld aufheben m#252;ssen, bis du genug in der Sparb#252;chse hast, um deiner kostbaren Frau Phelps ein neues zu kaufen, nicht wahr?» Damit lie#223; er den unterdessen leeren Einband des Buches in den Papierkorb fallen und marschierte aus dem Zimmer, in dem der Fernsehapparat weiter l#228;rmte.

Die meisten Kinder w#228;ren jetzt an Matildas Stelle in wahre Tr#228;nenschauer ausgebrochen. Sie dachte jedoch gar nicht daran. Sie sa#223; vollkommen reglos und bla#223; und nachdenklich da. Sie schien genau zu begreifen, da#223; ihr weder Trotz noch Geheul etwas einbrachten. Die einzige vern#252;nftige Reaktion auf einen Angriff ist, wie Napoleon einmal sagte, zur#252;ckzuschlagen. Matildas wunderbar wendiger Geist war schon damit besch#228;ftigt, eine neue passende Bestrafung f#252;r dieses gemeingef#228;hrliche Elternteil zu entwerfen. Der Plan, den sie jetzt in ihrem Kopf auszubr#252;ten begann, hing nur von der Frage ab, ob Freds Papagei tats#228;chlich so perfekt sprechen konnte, wie Fred behauptete.

Fred war Matildas Freund. Er war ein kleiner Junge von sechs Jahren, der eben um die Ecke wohnte, und seit Tagen hatte er von nichts anderem als von diesem gro#223;en sprechenden Papagei geredet, den ihm sein Vater geschenkt hatte. Sowie also Frau Wurmwald am kommenden Nachmittag mit ihrem Wagen zur n#228;chsten Bingorunde verschwunden war, brach auch Matilda auf, um in Freds Haus die Lage zu kl#228;ren. Sie klopfte an seine T#252;r und fragte, ob er so gut sein und ihr den ber#252;hmten Vogel zeigen k#246;nne. Fred war entz#252;ckt und f#252;hrte sie hinauf in sein Schlafzimmer, wo ein wirklich prachtvoller blau-gelber Papagei in einem gro#223;en K#228;fig sa#223;.

«Das ist er», verk#252;ndete Fred, «er hei#223;t Hacker.»

«La#223; ihn sprechen», sagte Matilda.

«Man kann ihn nicht sprechen lassen», entgegnete Fred, «man mu#223; geduldig sein. Er redet, wenn er Lust dazu hat.»



Sie hingen also herum und warteten. Pl#246;tzlich sagte der Papagei: «Hallo, hallo, hallo!» Es klang genau wie eine Menschenstimme. Matilda sagte: «Das ist erstaunlich. Was kann er noch sagen?»

«Da klappern mir die Knochen!» sagte der Papagei, wobei er ganz schauerlich eine Geisterstimme nachahmte. «Da klappern mir die Knochen!»

«Das sagt er immer», erkl#228;rte Fred.

«Was kann er noch sagen?» erkundigte sich Matilda.

«Das war’s eigentlich», antwortete Fred, «aber das ist doch doll, findest du nicht?»

«Das ist fabelhaft», sagte Matilda. «Kannst du ihn mir f#252;r eine einzige Nacht leihen?»

«Nein», entgegnete Fred, «ganz ausgeschlossen.»

«F#252;r mein Taschengeld von n#228;chster Woche», sagte Matilda.

Das klang schon anders. Fred dachte ein paar Sekunden dar#252;ber nach. «Na, also gut», sagte er, «wenn du mir versprichst, da#223; du ihn morgen zur#252;ckbringst.»

Matilda wankte, den gro#223;en K#228;fig mit beiden Armen umklammernd, zu ihrem eigenen leeren Haus zur#252;ck. Im E#223;zimmer gab es einen gro#223;en Kamin, und sie schickte sich jetzt an, den K#228;fig in die Esse hinaufzustemmen, so da#223; man ihn nicht mehr sehen konnte. Das war nicht ganz einfach, aber schlie#223;lich schaffte sie es. «Hallo, hallo, hallo!» kreischte der Vogel zu ihr hinunter. «Hallo!»

«Halt den Schnabel, du Idiot!» sagte Matilda, und dann ging sie hinaus, um sich den Ru#223; von den H#228;nden zu waschen.



W#228;hrend an diesem Abend die Mutter, der Vater, der Bruder und Matilda wie #252;blich im Wohnzimmer vor dem Fernsehapparat zu Abend a#223;en, klang eine Stimme laut und klar aus dem E#223;zimmer jenseits der Halle. «Hallo, hallo, hallo!» sagte sie.

«Harry!» rief die Mutter und wurde schneewei#223;. «Es ist jemand im Haus! Ich hab eine Stimme geh#246;rt!»

«Ich auch!» sagte der Bruder. Matilda sprang auf und schaltete den Fernsehapparat aus. «Pst!» machte sie. «H#246;rt doch!»

Sie h#246;rten alle auf zu essen und sa#223;en gebannt und mit gespitzten Ohren da.

«Hallo, hallo, hallo!» erklang die Stimme abermals.

«Da, wieder!» rief der Bruder.

«Das sind Einbrecher!» zischte die Mutter. «Sie sind im E#223;zimmer!»

«Das denk ich auch», sagte der Vater, der still und starr dasa#223;.

«Dann geh doch hin und fang sie, Harry!» dr#228;ngte die Mutter. «Lauf r#252;ber und ertappe sie auf frischer Tat!»

Der Vater r#252;hrte sich nicht. Er schien sich keineswegs beeilen und hin#252;berst#252;rzen und ein Held sein zu wollen. Sein Gesicht hatte eine graue Farbe angenommen.

«Mach doch, los!» zischte die Mutter. «Sie wollen wahrscheinlich das Silber stehlen!»

Der Ehemann wischte sich nerv#246;s mit der Serviette #252;ber den Mund. «Warum gehen wir nicht alle hin#252;ber und schauen nach?» fragte er.

«Na, dann los», sagte der Bruder. «Los, Mami.»

«Sie sind totensicher im E#223;zimmer», wisperte Matilda, «ganz bestimmt.»

Die Mutter packte den Sch#252;rhaken vom Kamin. Der Vater griff nach einem Golfschl#228;ger, der in einer Ecke lehnte. Der Bruder schnappte sich die Tischlampe und ri#223; den Stecker aus der Wand. Matilda nahm das Messer, mit dem sie gegessen hatte, und so schlichen sich die vier zur T#252;r des E#223;zimmers, wobei sich der Vater geh#246;rig hinter den anderen hielt.



«Hallo, hallo, hallo!» erklang die Stimme wieder.

«Los!» schrie Matilda und st#252;rmte in das Zimmer, wobei sie mit ihrem Messer in der Luft herumfuchtelte. «H#228;nde hoch!» schrie sie. «Wir haben euch erwischt!»

Die anderen folgten ihr und schwangen ihre Waffen. Dann hielten sie inne. Sie starrten in alle Ecken. Niemand war da.

«Hier ist keiner», stellte der Vater sehr erleichtert fest.

«Ich hab ihn aber geh#246;rt, Harry!» schrie die Mutter, die immer noch am ganzen Leibe zitterte. «Ich hab doch seine Stimme geh#246;rt! Ganz genau! Und du auch!»

«Sicher, ich hab ihn geh#246;rt!» rief Matilda. «Er mu#223; hier noch irgendwo sein!» Sie begann hinter dem Sofa und hinter den Gardinen rumzust#246;bern.

Dann erklang die Stimme noch einmal, diesmal ganz weich und geisterhaft. «Da klappern mir die Knochen», sagte sie. «Da klappern mir die Knochen.»

Sie zuckten alle zusammen, auch Matilda, die eine recht gute Schauspielerin war. Sie suchten den ganzen Raum mit den Augen ab. Immer noch war keiner da.

«Das ist ein Gespenst», sagte Matilda.

«Der Himmel steh uns bei!» kreischte die Mutter und klammerte sich am Hals ihres Mannes fest.

«Ich wei#223; genau, da#223; es ein Gespenst ist!» sagte Matilda. «Ich hab es hier schon mal geh#246;rt. Das ist ein Gespensterzimmer. Ich dachte, ihr h#228;ttet das gewu#223;t.»

«Hilf Himmel!» schrie die Mutter und erdrosselte fast ihren Gatten.

«Ich will hier raus», sagte der Vater, aschgrauer denn je. Sie st#252;rzten in wilder Flucht hinaus und schlugen die T#252;r hinter sich zu.

Am n#228;chsten Nachmittag gelang es Matilda, einen ziemlich verru#223;ten und m#252;rrischen Papagei wieder aus dem Kamin zu zerren und ungesehen aus dem Haus zu schaffen. Sie schleppte ihn durch die Hintert#252;r und rannte mit ihm die ganze Strecke bis zu Freds Haus.

«Hat er sich gut benommen?» fragte Fred.

«Es war eine reizende Visite», antwortete Matilda, «meine Eltern waren ganz hin.»


Arithmetik

Matilda w#252;nschte sich sehnlichst, da#223; ihre Eltern g#252;tig und liebevoll und verst#228;ndnisvoll und ehrenwert und intelligent w#228;ren. Die Tatsache, da#223; sie keine von diesen Eigenschaften besa#223;en, machte ihr schwer zu schaffen. Es fiel ihr nicht leicht, sich damit abzufinden. Aber das neue Spiel, das sie sich ausgedacht hatte, um einen oder beide jedesmal zu bestrafen, wenn sie gemein zu ihr gewesen waren, machte ihr das Leben mehr oder weniger ertr#228;glich.

Weil sie noch sehr klein und sehr jung war, bestand die einzige Macht, die Matilda in ihrer Familie aus#252;ben konnte, in der ihres Geistes. Mit Hilfe schierer Schlauheit konnte sie die Puppen tanzen lassen. Aber trotzdem war nicht an der Tatsache zu r#252;tteln, da#223; jedes f#252;nfj#228;hrige M#228;dchen in jeder Familie gehorchen und das tun mu#223;, was ihr die anderen sagen, wie idiotisch diese Anordnungen auch sein m#246;gen. So war sie immer gezwungen, ihr Abendbrot von Fernsehtellern aus Aluminium vor der Glotze zu verzehren. An Wochentagen mu#223;te sie nachmittags immer allein bleiben, und wenn ihr jemand befahl, den Mund zu halten, so mu#223;te sie schweigen.

Vor der Verlockung, sich aufzugeben, rettete sie nur das Vergn#252;gen, das sie empfand, wenn sie sich diese herrlichen Strafen ausdachte und austeilte, und das Sch#246;nste war, da#223; sie zu wirken schienen. Wenigstens f#252;r kurze Zeit. Besonders der Vater f#252;hrte sich nach einer Portion von Matildas Wundermedizin ein paar Tage lang sehr viel weniger aufgeblasen und unertr#228;glich auf.

Die Geschichte mit dem Papagei im Kamin hatte ganz entschieden beide Eltern abgek#252;hlt, und #252;ber eine Woche lang behandelten sie ihre kleine Tochter verh#228;ltnism#228;#223;ig normal. Aber ach, das war nicht von Dauer. Der n#228;chste Ausbruch erfolgte eines Abends im Wohnzimmer. Herr Wurmwald war gerade von der Arbeit heimgekehrt. Matilda und ihr Bruder sa#223;en gem#252;tlich im Sofa und warteten darauf, da#223; die Mutter die TV-Mahlzeiten auf einem Tablett hereinbrachte. Die Glotze lief noch nicht.

Herein trat Herr Wurmwald in seinem grellkarierten Anzug mit einer gelben Krawatte. Die auffallend breiten orange und gr#252;nen Karos des Jacketts und der Hosen blendeten den Betrachter fast. Herr Wurmwald sah wie ein letztklassiger Buchmacher aus, der sich f#252;r die Hochzeit seiner Tochter feingemacht hat, und an diesem Abend platzte er fast vor Selbstgef#228;lligkeit. Er setzte sich in einen Sessel, rieb sich die H#228;nde und redete seinen Sohn mit erhobener Stimme an.

«Also, mein Junge», sagte er, «dein Vater hat einen h#246;chst erfolgreichen Tag hinter sich. Heute abend ist er ein gutes St#252;ck reicher, als er heute fr#252;h war. Er hat nicht weniger als f#252;nf Autos verkauft, jedes mit einem sauberen Profit. S#228;gemehl im Getriebe, Bohrmaschine am Kilometerkabel, hie und da ein Klacks Farbe und noch ein paar schlaue kleine Tricks, und schon dr#228;ngeln sich die Idioten an der Kasse.»

Er zog ein St#252;ck Papier aus der Tasche und studierte es. «H#246;r zu, Junge», sagte er, indem er sich nur an den Sohn wandte und Matilda #252;bersah, «da du ja eines Tages den Laden zusammen mit mir f#252;hren wirst, mu#223;t du allm#228;hlich lernen, wie man sich am Ende jeden Tages den Verdienst ausrechnet. Hol dir mal einen Block und einen Bleistift, dann wollen wir mal sehen, wieviel Grips du schon hast.»

Der Sohn lief gehorsam aus dem Zimmer und kam mit den Schreibsachen zur#252;ck.

«Notier dir diese folgenden Zahlen», sagte der Vater, der sie von seinem Zettel ablas. «Wagen Nummer eins ist von mir f#252;r zweihundertachtundsiebzig Pfund gekauft und f#252;r eintausendvierhundertundf#252;nfundzwanzig verkauft worden. Hast du das?»



Der zehnj#228;hrige Junge schrieb die beiden Summen langsam und sorgf#228;ltig auf.

«Wagen Nummer zwei», fuhr der Vater fort, «hat mich einhundertachtzehn Pfund gekostet und ist f#252;r siebenhundertundsechzig weggegangen. Hast du das?»

«Ja, Vati», antwortete der Sohn, «ich hab’s.»

«Wagen Nummer drei hat einhundertundelf Pfund gekostet und ist f#252;r neunhundertundneunundneunzig Pfund und f#252;nfzig Pence verkauft worden.»

«Sag das noch mal», bat der Sohn, «f#252;r wieviel hast du ihn verkauft?»

«Neunhundertundneunundneunzig Pfund und f#252;nfzig Pence», wiederholte der Vater, «das ist #252;brigens noch einer von meinen netten kleinen Tricks, mit denen ich die Kunden reinlege. Nie eine fette runde Summe verlangen. Immer grade drunter bleiben. Niemals eintausend Pfund aussprechen, immer nur sagen neunhundertundneunundneunzigf#252;nfzig. Es klingt nach viel weniger, was aber nicht stimmt. Gerissen, was?»



«Toll», sagte der Sohn, «du bist klug, Vati.»

«Wagen Nummer vier hat sechsundachtzig Pfund gekostet – war ein wahres Wrack – und ist f#252;r sechshundertundneunundneunzig Pfund f#252;nfzig verkauft worden.»

«Nicht so schnell», sagte der Sohn, w#228;hrend er sich die Zahlen aufschrieb. «So, jetzt hab ich’s.»

«Wagen Nummer f#252;nf hat sechshundertundsiebenunddrei#223;ig Pfund gekostet und ist f#252;r sechzehnhundertundneunundvierzigf#252;nfzig verkauft worden. Hast du jetzt all diese Zahlen aufgeschrieben, Sohn?»

«Ja, Vati», erwiderte der Sohn, der sich #252;ber seinen Block beugte und bed#228;chtig schrieb.

«Sehr gut», fuhr der Vater fort, «jetzt rechne dir den Profit aus, den ich bei jedem der f#252;nf Wagen gemacht habe, und addier dann die Gesamtsumme. Dann kannst du mir n#228;mlich sagen, wieviel Geld dein ziemlich kluger Vater heute insgesamt zusammengescharrt hat.»

«Das ist aber eine ganze Masse», bemerkte der Junge.

«Nat#252;rlich ist das eine ganze Masse», antwortete der Vater, «aber wenn du so gro#223; im Gesch#228;ft bist wie ich, dann mu#223;t du auch flink in Arithmetik sein. Ich hab praktisch einen Computer in meinem Kopf. Ich hab nicht mal zehn Minuten gebraucht, um das alles auszurechnen.»

«Willst du damit sagen, da#223; du es im Kopf ausgerechnet hast, Vati?» fragte der Sohn und ri#223; die Augen auf.

«Na, nicht ganz», sagte der Vater, «das schafft keiner. Aber lange hab ich nicht gebraucht. Wenn du fertig bist, dann sag mir, was ich deiner Meinung nach heute verdient habe. Ich hab die Endsumme hier aufgeschrieben, und ich werd dir sagen, ob du richtig gerechnet hast.»

Matilda sagte ruhig: «Vati, du hast genau insgesamt viertausenddreihundertunddrei Pfund und f#252;nfzig Pence verdient.»

«Misch dich nicht ein», sagte der Vater, «dein Bruder und ich sind mit der Hochfinanz besch#228;ftigt.»

«Aber Vati...»

«Halt die Klappe», sagte der Vater, «h#246;r auf, rumzuraten und dich aufzuspielen.»

«Schau doch auf deinen Zettel, Vati», sagte Matilda sanft, «wenn du richtig gerechnet hast, m#252;#223;te da stehen: viertausenddreihundertunddrei Pfund und f#252;nfzig Pence. Hast du das auch rausgekriegt, Vati?»



Der Vater warf einen Blick auf den Zettel in seiner Hand. Er schien zu erstarren. Er wurde ganz still. Tiefes Schweigen herrschte. Dann sagte er: «Wiederhol das noch einmal.»

«Viertausenddreihundertunddrei Pfund f#252;nfzig», sagte Matilda.

Abermals ein tiefes Schweigen. Das Gesicht des Vaters begann dunkelrot anzulaufen.

«Ich bin sicher, da#223; es stimmt», sagte Matilda.

«Du – du kleine Schwindlerin!» schrie der Vater pl#246;tzlich und zeigte mit dem Finger auf sie. «Du hast auf meinen Zettel geguckt! Du hast das abgelesen, was ich mir hier aufgeschrieben habe!»



«Vati, ich bin in der anderen H#228;lfte des Zimmers», sagte Matilda, «wie h#228;tte ich das denn sehen k#246;nnen?»

«Red dich jetzt nicht raus!» rief der Vater. «Nat#252;rlich hast du geguckt. Du mu#223;t geguckt haben. Kein Mensch auf der Welt k#246;nnte das einfach so ausrechnen, besonders kein M#228;dchen. Du bist eine kleine Betr#252;gerin, meine Dame, das will ich dir mal sagen! Ja, das kannst du – l#252;gen und betr#252;gen!»

In diesem Augenblick trat die Mutter ein, die ein gro#223;es Tablett mit den vier Abendessen trug. Diesmal waren es Fisch und Kartoffelchips, die Frau Wurmwald auf dem Heimweg vom Bingo im Fisch- und Chip-Laden gekauft hatte. Die Bingonachmittage schienen sie k#246;rperlich und seelisch so zu ersch#246;pfen, da#223; sie keine Kraft mehr hatte, ein Abendessen zu kochen. Wenn es also keine TV-Mahlzeiten gab, dann Fisch und Kartoffelchips.

«Warum hast du denn so ein rotes Gesicht, Harry?» fragte sie, w#228;hrend sie das Tablett auf dem Couchtisch absetzte.

«Deine Tochter l#252;gt und betr#252;gt», sagte der Vater, nahm sich seinen Teller mit Fisch und stellte ihn auf die Knie. «Schalte den Apparat an und h#246;r auf mit dem Geschwatze.»



Der wasserstoffblonde Mann

Nach Matildas Meinung gab es gar keinen Zweifel daran, da#223; ihr Vater f#252;r seine j#252;ngste Gemeinheit streng bestraft werden mu#223;te, und w#228;hrend sie dasa#223; und ihren gr#228;#223;lichen Fisch mit den Kartoffelchips futterte und dabei Augen und Ohren vorm Fernsehen verschlo#223;, begann ihr Verstand, die verschiedenen M#246;glichkeiten durchzuspielen. Als es dann f#252;r sie Zeit war, ins Bett zu gehen, war sie zu einem Entschlu#223; gekommen.

Am n#228;chsten Morgen stand sie fr#252;hzeitig auf, ging ins Badezimmer und verschlo#223; die T#252;r. Wie wir ja schon wissen, waren Frau Wurmwalds Haare leuchtend blond gef#228;rbt, fast genauso glitzernd und silbrig wie das Kost#252;m einer Seilt#228;nzerin im Zirkus. Das richtige Haarf#228;rben fand zweimal im Jahr beim Friseur statt, aber Frau Wurmwald pflegte in der Zwischenzeit ungef#228;hr alle vier Wochen einmal die Farbe aufzufrischen, indem sie sich die Haare im Waschbecken mit etwas sp#252;lte, das ‹Goldblonde Haarfarbe, extra stark› hie#223;. Diese Prozedur diente dazu, die h#228;#223;lichen nachwachsenden braunen Haarans#228;tze zu bleichen. Die Flasche mit der goldblonden Haarfarbe, extra stark, wurde im Badezimmer aufbewahrt, und auf dem Etikett stand unterhalb der Bezeichnung: Achtung! Enth#228;lt Wasserstoffsuperoxyd. Von Kindern fernhalten. Das hatte Matilda schon oft und fasziniert gelesen.

Matildas Vater besa#223; einen kr#228;ftigen Haarwuchs und scheitelte sich die schwarzen Haare, auf die er sehr stolz war, genau in der Mitte. «Gute feste Haare», sagte er gern, «das bedeutet, da#223; darunter ein guter fester Verstand steckt.»

«Wie bei Shakespeare», hatte Matilda einmal darauf erwidert.

«Wie wer?»

«Shakespeare, Vati.»

«War der gescheit?»



«Sehr, Vati.»

«Und hatte den ganzen Kopf voller Haare, was?»

«Er war kahl, Vati.»

Daraufhin hatte sie der Vater angefahren: «Wenn du nichts Vern#252;nftiges zu sagen hast, dann halt die Klappe.»

Herr Wurmwald tat jedenfalls einiges daf#252;r, um sich die Haare so stark und kr#228;ftig zu erhalten, oder bildete es sich ein, indem er sich jeden Morgen eine kr#228;ftige Portion Haarwasser namens Veilchen#246;l-Haartonikum einmassierte. Eine Flasche dieser duftenden purpurnen Mischung stand immer auf dem Ablagebrett #252;berm Waschbecken im Badezimmer, neben all den Zahnb#252;rsten, und jeden Morgen nach dem Rasieren fand eine wilde Sch#228;delrubbelei statt. Diese Haar- und Kopfmassage wurde stets von lauten m#228;nnlichen Grunzern begleitet, von schwerem Atmen und von lautem Keuchen: «Ah, das ist besser! Das ist r#252;hrig! Kr#228;ftig rein damit, bis in die Wurzeln!», was Matilda in ihrem Schlafzimmer auf der anderen Seite des Korridors noch deutlich h#246;ren konnte.



Nun schraubte Matilda in der Verschwiegenheit des fr#252;hen Morgens im Badezimmer die Kappe von ihres Vaters Veilchen#246;l und kippte drei Viertel des Inhalts in den Ausgu#223;. Dann f#252;llte sie die Flasche wieder mit der ‹Goldblonden Haarfarbe, extra stark› von ihrer Mutter auf. Sie hatte klugerweise genug Haarwasser in der Flasche ihres Vaters gelassen, so da#223; es immer noch einigerma#223;en purpurn aussah, nachdem sie das Ganze t#252;chtig gesch#252;ttelt hatte. Dann stellte sie die Flasche wieder auf die Ablage #252;ber dem Waschbecken und verga#223; auch nicht, die Flasche ihrer Mutter in das Badezimmerschr#228;nkchen zur#252;ckzustellen. So weit, so gut.

Beim Fr#252;hst#252;ck sa#223; Matilda ruhig am E#223;tisch und a#223; ihre Getreideflocken. Ihr Bruder sa#223; ihr mit dem R#252;cken zur T#252;r gegen#252;ber und verdr#252;ckte dicke Brotschnitten, die mit einer Mischung aus Erdnu#223;butter und Erdbeermarmelade bestrichen waren. Die Mutter war im Augenblick nicht zu sehen, weil sie nebenan in der K#252;che stand und das Fr#252;hst#252;ck f#252;r Herrn Wurmwald zubereitete, das stets aus zwei Spiegeleiern auf ger#246;stetem Brot mit drei Schweinsw#252;rstchen, drei Scheiben Speck und ein paar gebratenen Tomaten bestand.

In diesem Augenblick betrat Herr Wurmwald ger#228;uschvoll das Zimmer. Er h#228;tte keinen Raum leise betreten k#246;nnen, besonders nicht zum Fr#252;hst#252;ck. Er mu#223;te stets mit Get#246;se und Get#246;n in Erscheinung treten, und man h#246;rte ihn fast sagen: ‹Ich bin’s! Hier komme ich, der gro#223;e Meister in eigener Person. Der Herr des Hauses, der Geldverdiener, derjenige, dem ihr es alle verdankt, da#223; ihr so herrlich und in Freuden leben k#246;nnt! Nehmt mich wahr und betet mich an!›

An diesem besonderen Tag trat er auf, schlug seinem Sohn auf den R#252;cken und rief: «Also, mein Junge, dein Vater hat das Gef#252;hl, da#223; ihm heute wieder ein sch#246;ner Tag zum Geldverdienen in der Garage bevorsteht! Ich hab ein paar kleine Schmuckst#252;cke, die ich den Idioten heute fr#252;h noch unterjubeln werde. Wo bleibt mein Fr#252;hst#252;ck?»

«Kommt schon, mein Schatz», rief Frau Wurmwald aus der K#252;che.

Matilda hielt den Kopf #252;ber ihre Getreideflocken gebeugt. Sie wagte nicht aufzuschauen. Erstens wu#223;te sie nicht genau, was sie zu sehen bekommen w#252;rde. Und wenn sie zweitens das, was sie zu sehen hoffte, wahrhaftig sah, dann wu#223;te sie nicht, ob sie sich auf ihre unbewegte Miene verlassen konnte. Der Sohn starrte geradewegs aus dem Fenster und stopfte sich mit Erdnu#223;butterbrot und Erdbeermarmelade voll.

Der Vater war gerade im Begriff, sich auf seinen Platz am Ende des Tisches zu setzen, als die Mutter aus der K#252;che mit einem Teller angefegt kam, der hoch mit Spiegeleiern und W#252;rstchen und Speck und Tomaten beladen war. Sie schaute auf. Sie erblickte ihren Gatten. Sie erstarrte. Sie stie#223; einen Schrei aus, der sie senkrecht in die Luft zu katapultieren schien, und sie lie#223; den Teller mit Krach und Klirren auf den Boden fallen. Alle sprangen auf, auch Herr Wurmwald.



«Was zum Teufel ist denn mit dir los, Frau?» schrie er. «Schau dir an, was du f#252;r eine Schweinerei auf dem Teppich gemacht hast!»

«Deine Haare!» schrie die Mutter und deutete mit bebendem Zeigefinger auf ihren Mann. «Schau dir deine Haare an! Was hast du blo#223; mit deinen Haaren gemacht?»

«Was ist denn um des Himmels willen mit meinen Haaren los?» fragte er.

«O mein Gott, Vati, was hast du mit deinem Haar gemacht!» rief der Sohn.

Im Fr#252;hst#252;ckszimmer begann sich die herrlichste Keiferei zu entwickeln.

Matilda sagte gar nichts. Sie sa#223; nur da und bewunderte die prachtvolle Wirkung ihrer eigenen Geschicklichkeit. Der dichte schwarze Haarschopf von Herrn Wurmwald sah jetzt schmutzig silbern aus, diesmal wie das Kost#252;m einer Seilt#228;nzerin, die es seit Anfang der Zirkussaison nicht gewaschen hat.

«Du hast... Du hast... Du hast es gef#228;rbt!» keuchte die Mutter. «Warum hast du denn das gemacht, du Idiot! Es sieht einfach gr#228;#223;lich aus! Ekelhaft! Du siehst aus wie eine Mi#223;geburt!»

«Zum Donnerwetter, von was redet ihr denn?» br#252;llte der Vater und fuhr sich mit beiden H#228;nden in die Haare. «Ich hab sie mir ganz bestimmt nicht gef#228;rbt. Was soll das hei#223;en, ich h#228;tt sie mir gef#228;rbt? Was ist denn damit passiert? Oder ist das ein #252;bler Scherz?» Sein Gesicht nahm allm#228;hlich eine hellgr#252;ne Farbe an, genau wie unreife, saure #196;pfel.

«Du mu#223;t es dir gef#228;rbt haben, Vati», sagte der Sohn, «es hat jetzt genauso eine Farbe wie Mamis, nur, es sieht viel dreckiger aus.»

«Nat#252;rlich hat er’s gef#228;rbt!» schrie die Mutter. «Haare kriegen nicht von ganz alleine eine andere Farbe. Was um des Himmels willen hast du blo#223; damit beabsichtigt, wolltest du sch#246;ner aussehen oder was? Jetzt siehst du aus wie irgendwessen Gro#223;mutter, die den Verstand verloren hat!»

«Her mit einem Spiegel!» heulte der Vater. «Steht hier nicht rum und schreit mich an! Bringt mir einen Spiegel!»

Die Handtasche der Mutter lag auf dem Stuhl am anderen Ende des Tisches. Sie klappte die Handtasche auf und holte eine Puderdose heraus, die innen im Deckel einen kleinen Spiegel hatte. Sie machte die Puderdose auf und reichte sie ihrem Mann. Er griff danach und hielt sie sich vors Gesicht und versch#252;ttete dabei den halben Puder, der vorn auf seine knallbunte Tweedjacke rieselte.

«Pa#223; doch auf!» kreischte die Mutter. «Jetzt sieh doch nur, was du wieder angestellt hast! Das ist mein bester Elizabeth Arden-Gesichtspuder!»

«Allm#228;chtiger!» heulte der Vater und starrte in den kleinen Spiegel. «Was ist denn mit mir passiert! Ich sehe ja schrecklich aus! Genauso, als ob es bei dir schiefgegangen w#228;re. So kann ich nicht in den Betrieb. So kann ich keine Autos verkaufen! Wie konnte das nur passieren?» Er starrte in die Runde, richtete den Blick zuerst auf die Mutter, dann auf den Sohn, schlie#223;lich auf Matilda. «Wie konnte das nur passieren?» rief er.



«Ich k#246;nnte mir denken, Vati»,antwortete Matilda ruhig, «da#223; du nicht genau hingeschaut hast und einfach Mamis Flasche mit dem Haarzeugs vom Regal genommen hast statt deine eigene.»

«Ja nat#252;rlich, so mu#223; es gewesen sein!» st#246;hnte die Mutter. «Also wirklich, Harry, wie kann man nur so bl#246;d sein? Man mu#223; sich doch das Etikett anschauen, eh man sich so was eimerweise auf den Kopf sch#252;ttet! Meins wirkt au#223;ergew#246;hnlich kr#228;ftig. Ich soll nur einen einzigen E#223;l#246;ffel davon in ein ganzes Waschbecken voll Wasser geben, und du sch#252;ttest dir alles direkt auf den Sch#228;del! Pa#223; nur auf, wahrscheinlich gehen dir jetzt alle Haare aus. Sp#252;rst du schon ein Brennen auf dem Kopf, Liebling?»

«Glaubst du, da#223; ich meine ganzen Haare verliere?» jammerte der Ehemann.

«Sicher», antwortete die Mutter, «Wasserstoffsuperoxyd ist eine sehr starke Chemikalie. So was gie#223;t man auch ins Klo, um den Abflu#223; zu desinfizieren, nur da wird es anders genannt.»

«Was sagst du denn da!» schrie der Ehemann. «Ich bin doch kein Klobecken! Ich mu#223; nicht desinfiziert werden!»

«Selbst so verd#252;nnt, wie ich es benutze», fuhr die Mutter fort, «gehen mir davon schon eine ganze Masse Haare aus. Wei#223; also der Himmel, was mit dir passieren wird. Ich w#252;rd mich nicht wundern, wenn dir der halbe Kopf abgeht.»

«Was soll ich denn machen?» heulte der Vater. «Schnell, sag’s mir, ehe es anf#228;ngt auszufallen.»

Matilda sagte: «Ich w#252;rd’s t#252;chtig waschen, Vati, wenn ich du w#228;re, mit Wasser und Seife. Aber beeilen mu#223;t du dich.»

«Wird dann die Farbe wieder zur#252;ckkommen?» fragte der Vater #228;ngstlich.

«Nat#252;rlich nicht, du Dummkopf», sagte die Mutter.

«Was soll ich denn dann machen? Ich kann doch nicht ewig so rumlaufen!»

«Du mu#223;t es wieder schwarz f#228;rben», sagte die Mutter, «aber zuerst wasch es lieber mal, sonst bleibt nichts mehr zum F#228;rben #252;brig.»

«Also gut!» rief der Vater und ergriff wieder die Initiative. «Melde mich sofort bei deinem Friseur zum Haarf#228;rben an! Sag ihnen, da#223; es sich um einen Notfall handelt! Sollen sie eben irgend jemanden von ihren Anmeldungen streichen. Ich geh jetzt rauf und wasch mir die Haare!» Damit st#252;rzte der Mann aus dem Zimmer, und Frau Wurmwald begab sich mit tiefem Seufzen zum Telefon, um in ihrem Sch#246;nheitsinstitut anzurufen.

«Er macht in letzter Zeit wirklich komische Sachen, findest du nicht auch, Mami?» fragte Matilda.

Die Mutter antwortete, w#228;hrend sie die Telefonnummer w#228;hlte: «Ach wei#223;t du, M#228;nner sind nicht immer so gescheit, wie sie sich einbilden. Das wirst du schon noch lernen, wenn du ein bi#223;chen #228;lter wirst, mein M#228;delchen.»



Fr#228;ulein Honig

Matilda war verh#228;ltnism#228;#223;ig sp#228;t in die Schule gekommen. Die meisten Kinder wurden mit f#252;nf oder noch j#252;nger in die Vorschule gebracht, aber Matildas Eltern k#252;mmerten sich in keiner Weise um die Erziehung ihrer Tochter und hatten einfach vergessen, rechtzeitig die entsprechenden Schritte zu unternehmen. Sie war f#252;nf und ein halbes Jahr alt, als sie zum erstenmal die Schule betrat.

Die #246;rtliche Grundschule befand sich in einem d#252;steren Backsteinbau und hie#223; Mahlheim Hall. Sie hatte zweihundertf#252;nfzig Sch#252;ler und Sch#252;lerinnen im Alter von f#252;nf bis knapp zw#246;lf Jahren. Die Schulleiterin, die Chefin, die oberste Befehlshaberin dieses Instituts war eine stattliche Dame mittleren Alters, die Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh hie#223;.

Matilda kam nat#252;rlich in die unterste Klasse, in der achtzehn andere kleine Jungen und M#228;dchen etwa in ihrem Alter waren. Ihre Lehrerin hie#223; Fr#228;ulein Honig, und sie konnte nicht #228;lter als dreiundzwanzig oder vierundzwanzig sein. Sie hatte ein liebliches blasses, ovales Madonnengesicht mit blauen Augen und hellbraune Haare. Sie war so schlank und zerbrechlich, da#223; man das Gef#252;hl bekam, wenn sie hinfiele, m#252;#223;te sie in tausend St#252;cke zerspringen, wie eine Porzellanfigur.

Fr#228;ulein Florentine Honig war eine freundliche und ruhige Person, die niemals die Stimme erhob und die man selten l#228;cheln sah. Aber zweifelsohne besa#223; sie die seltene Gabe, von jedem der Kinder, die ihrer Obhut anvertraut waren, angebetet zu werden. Sie schien vollkommen die Verwirrung und die Angst zu verstehen, die Kinder so oft #252;berf#228;llt, wenn sie das erste Mal im Leben in einen Klassenraum gepfercht werden und gehorchen m#252;ssen. Irgendeine seltsame W#228;rme, die man fast sp#252;ren konnte, leuchtete aus Fr#228;ulein Honigs Gesicht, wenn sie mit einem verwirrten Neuank#246;mmling in der Klasse sprach, der schon Heimweh hatte.

Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh, die Schulleiterin, war vollkommen anders. Sie war ein Riesenweib, ein heiliger Schrecken, ein wildes tyrannisches Ungeheuer, das Kinder und Lehrer gleicherma#223;en in Panik versetzte. Selbst aus der Entfernung hatte sie etwas Drohendes, und wenn sie einem dicht auf den Leib r#252;ckte, konnte man ihre gef#228;hrliche Hitze so wahrnehmen, als ob sie ein St#252;ck gl#252;hendes Eisen w#228;re. Wenn sie marschierte – Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh ging niemals, sondern marschierte immer wie eine Sturmtruppe mit langen Schritten und schwingenden Armen –, wenn sie also einen Korridor entlangmarschierte, konnte man sie tats#228;chlich bei jedem Schritt schnauben h#246;ren, und wenn ihr einmal eine Kinderschar im Wege war, pfl#252;gte sie sich querbeet durch wie ein Panzer, so da#223; die Kleinen nach rechts und links zur Seite spritzten. Gott sei Dank sto#223;en wir auf dieser Welt auf nicht allzu viele ihresgleichen, aber es gibt sie, sie existieren, und keinem von uns wird es erspart, mindestens einmal im Leben auf so eine Person zu sto#223;en. In diesem Fall kann ich euch nur raten, genauso zu verfahren, als ob ihr im Busch einem w#252;tenden Rhinozeros begegnet – rennt zum n#228;chsten Baum, klettert rauf und bleibt dort, bis es weg ist. Es ist fast unm#246;glich, dieses Weib samt all seinen Verr#252;cktheiten zu beschreiben, aber ich werde sp#228;ter noch einmal den schwachen Versuch dazu machen. Jetzt wollen wir sie f#252;r einen Augenblick in Ruhe lassen und zu Matilda zur#252;ckkehren und zu ihrem ersten Tag in Fr#228;ulein Honigs Klasse.

Nachdem Fr#228;ulein Honig wie #252;blich die Namen aller Kinder vorgelesen hatte, teilte sie funkelnagelneue #220;bungshefte aus.

«Ich hoffe, ihr habt alle eure eigenen Bleistifte mitgebracht», sagte sie.

«Ja, Fr#228;ulein Honig», antworteten sie im Chor.



«Gut. Dies ist also euer erster Schultag. Er ist der Anfang von mindestens elf langen Jahren des Lernens, die ihr hinter euch bringen m#252;#223;t. Und sechs von diesen Jahren werdet ihr in Mahlheim Hall verbringen, wo, wir ihr ja wi#223;t, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh eure Rektorin ist. Ich m#246;chte euch zu eurem eigenen Nutzen etwas zu Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh sagen. Sie besteht darauf, da#223; an der ganzen Schule strengste Disziplin herrscht, und wenn ich euch einen Rat geben darf, so w#228;re es nur zu eurem Besten, wenn ihr euch in ihrer Gegenwart musterg#252;ltig benehmt. Kein Trotz. Niemals widersprechen. Immer parieren. Wenn ihr Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh gegen euch aufbringt, dann kann sie euch wie eine Mohrr#252;be durchs Schnitzelwerk treiben. Da gibt’s gar nichts zu lachen, Lavendel. Auch nichts zu grinsen. Ihr solltet euch alle miteinander hinter die Ohren schreiben, da#223; Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh mit jedem, der aus der Reihe tanzt, sehr, sehr streng verfahren wird. Habt ihr das verstanden?»

«Ja, Fr#228;ulein Honig», zirpten achtzehn eifrige kleine Stimmen.

«Ich selber», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «m#246;chte euch soviel wie m#246;glich beibringen, solange ihr in meiner Klasse seid. Ich wei#223; n#228;mlich, da#223; das f#252;r euch die Dinge sp#228;ter leichter machen wird. Ich erwarte zum Beispiel, da#223; jeder bis zum Wochenende das Einmalzwei auswendig lernt. In einem Jahr k#246;nnt ihr dann hoffentlich das ganze Einmaleins bis zum Einmalzw#246;lf. Wenn ihr das schafft, wird es euch ganz ungeheuer weiterbringen. Also, hat einer von euch zuf#228;llig schon das Einmalzwei gelernt?»

Matilda meldete sich. Sie war die einzige.

Fr#228;ulein Honig betrachtete eingehend das kleine M#228;dchen mit den dunklen Haaren und dem runden Gesicht, das in der zweiten Reihe sa#223;.



«Wunderbar», sagte sie, «bitte steh auf und sag es uns auf, so weit du kannst.»

Matilda stand auf und begann das Einmalzwei aufzusagen. Als sie zu zwei mal zw#246;lf ist vierundzwanzig kam, machte sie nicht Schlu#223;. Sie fuhr einfach fort, «zwei mal dreizehn ist sechsundzwanzig, zwei mal vierzehn ist achtundzwanzig, zwei mal f#252;nfzehn ist drei#223;ig, zwei mal sechzehn ist...»

«Halt!» sagte Fr#228;ulein Honig. Sie hatte wie gebannt diesem fehlerlosen Vortrag zugeh#246;rt, und jetzt fragte sie: «Wie weit kannst du denn weiterrechnen?»

«Wie weit?» fragte Matilda. «Das wei#223; ich nicht genau, Fr#228;ulein Honig. Ich glaube, noch ein ganzes St#252;ck.»

Fr#228;ulein Honig brauchte ein paar Augenblicke, um diese merkw#252;rdige Feststellung zu verarbeiten. «Du meinst also», sagte sie, «da#223; du mir sagen k#246;nntest, wieviel zwei mal achtundzwanzig ist?»

«Ja, Fr#228;ulein Honig.»

«Und wieviel ist das?»

«Sechsundf#252;nfzig, Fr#228;ulein Honig.»

«Und wenn wir es etwas schwieriger machen, zum Beispiel zwei mal vierhundertsiebenundachtzig? K#246;nntest du mir das auch ausrechnen?»

«Ich glaube ja», erwiderte Matilda.

«Bist du ganz sicher?»

«Aber ja, Fr#228;ulein Honig, ich bin ziemlich sicher.»

«Wieviel ist also zwei mal vierhundertsiebenundachtzig?»

«Neunhundertvierundsiebzig», erwiderte Matilda wie aus der Pistole geschossen. Sie sprach ruhig und h#246;flich und ohne die geringste Spur von Angabe.

Fr#228;ulein Honig starrte Matilda vollkommen fassungslos an, aber als sie den Mund wieder aufmachte, klang ihre Stimme gefa#223;t. «Das ist wirklich fabelhaft», sagte sie, «aber mit zwei zu multiplizieren, ist nat#252;rlich viel leichter als mit h#246;heren Zahlen. Wie steht’s denn mit dem Rest vom Einmaleins? Kannst du da noch etwas?»

«Ich glaube schon, Fr#228;ulein Honig. Ich glaube ja.»

«Was denn, Matilda. Wie weit bist du gekommen?»

«Ich... Ich wei#223; nicht genau», entgegnete Matilda, «ich wei#223; nicht, was Sie meinen.»

«Ich wollte nur wissen, ob du zuf#228;llig auch das Einmaldrei kannst?»

«Ja, Fr#228;ulein Honig.»

«Und das Einmalvier?»

«Ja, Fr#228;ulein Honig.»

«Also, wie viele Einmaleinse kannst du denn, Matilda? Alle bis zum Einmalzw#246;lf?»

«Ja, Fr#228;ulein Honig.»

«Wieviel ist sieben mal zw#246;lf?»

«Vierundachtzig», antwortete Matilda.



Fr#228;ulein Honig hielt inne und lehnte sich in ihrem Stuhl hinter dem einfachen Tisch zur#252;ck, der mitten vor der Klasse stand. Sie war durch dieses Frage- und Antwort-Spiel ziemlich durcheinander, aber sie h#252;tete sich, es zu zeigen. Sie war noch nie auf eine F#252;nfj#228;hrige, ja, nicht mal auf eine Zehnj#228;hrige gesto#223;en, die mit solcher Leichtigkeit multiplizieren konnte.

«Ich hoffe, da#223; ihr andern gut zugeh#246;rt habt», sagte sie zur Klasse. «Matilda ist ein wahrer Gl#252;ckspilz. Sie hat wunderbare Eltern, die ihr schon das Malnehmen beigebracht haben. Ist es deine Mutter gewesen, Matilda?»

«Nein, Fr#228;ulein Honig, die war’s nicht.»

«Dann mu#223;t du einen gro#223;artigen Vater haben. Er mu#223; ein erstklassiger Lehrer sein.»

«Nein, Fr#228;ulein Honig», antwortete Matilda ruhig, «mein Vater hat mir nichts beigebracht.»

«Willst du damit sagen, da#223; du dir alles selber beigebracht hast?»

«Ich wei#223; nicht genau», antwortete Matilda aufrichtig, «ich finde einfach nur, es ist gar nicht schwer, eine Zahl mit der anderen malzunehmen.»

Fr#228;ulein Honig holte tief Luft und stie#223; sie langsam wieder aus.

Sie betrachtete sich abermals das kleine M#228;dchen mit den lebhaften Augen, das so verst#228;ndig und gelassen neben seinem Pult stand. «Du sagst, du findest es nicht schwer, eine Zahl mit der anderen zu multiplizieren», sagte Fr#228;ulein Honig. «K#246;nntest du versuchen, das ein wenig zu erkl#228;ren.»

«Ach du liebe Zeit», entgegnete Matilda, «ich wei#223; wirklich nicht.»

Fr#228;ulein Honig wartete. Die Klasse war vollkommen still, alle hatten die Ohren gespitzt.

«Wenn ich dich zum Beispiel», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «darum b#228;te, vierzehn mit neunzehn malzunehmen... Nein, das ist zu schwer...»

«Das ist zweihundertundsechsundsechzig», sagte Matilda leise.

Fr#228;ulein Honig starrte sie an, dann griff sie nach einem Bleistift und rechnete sich das Ergebnis rasch auf einem St#252;ck Papier aus. «Wieviel, hast du gesagt?» fragte sie und schaute auf.

«Zweihundertundsechsundsechzig», wiederholte Matilda.

Fr#228;ulein Honig legte den Bleistift hin, nahm die Brille ab und begann, die Gl#228;ser mit einem Papiertaschentuch blankzureiben. Die Klasse sa#223; m#228;uschenstill, beobachtete sie und wartete darauf, was als n#228;chstes k#228;me. Matilda stand schweigend neben ihrem Pult.

«Jetzt sag mir einmal, Matilda», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, w#228;hrend sie weiterpolierte, «versuch mir einmal genau zu beschreiben, was in deinem Kopf vorgeht, wenn du so eine Multiplikation ausf#252;hrst. Du mu#223;t es ja irgendwie ausrechnen, aber du scheinst fast sofort zu deinem Ergebnis zu kommen. Nimm mal die Aufgabe, die ich dir grade gegeben habe, vierzehn mal neunzehn.»

«Ich... ich... Ich merk mir einfach die Vierzehn und nehm sie mit Neunzehn mal», antwortete Matilda. «Es tut mir leid, aber ich wei#223; nicht, wie ich es anders erkl#228;ren soll. Ich hab mir immer gedacht, wenn das so ein kleiner Taschenrechner kann, warum sollte ich’s nicht auch zustande bringen?»

«Ja, wirklich», sagte Fr#228;ulein Honig, «das menschliche Hirn ist etwas Wunderbares.»



«Ich finde, es ist viel besser als ein St#252;ckchen Metall», sagte Matilda, «und mehr ist ein Rechner ja nicht.»

«Wie recht du hast», sagte Fr#228;ulein Honig. «Taschenrechner sind #252;brigens an dieser Schule verboten.» Fr#228;ulein Honig f#252;hlte sich ganz zitterig. Sie zweifelte nicht daran, da#223; sie auf einen wahrhaft au#223;ergew#246;hnlichen mathematischen Verstand gesto#223;en war, und Begriffe wie fr#252;hreifes Wunderkind, Begabung und Auslese schossen ihr durch den Kopf. Sie wu#223;te, da#223; Wunder dieser Art von Zeit zu Zeit in der Welt auftauchen, aber nur ein- oder zweimal in hundert Jahren. Mozart war schlie#223;lich auch erst f#252;nf, als er mit seinen Kompositionen f#252;r Klavier begann, und man braucht sich nur anzuschauen, was aus ihm geworden ist.

«Das ist nicht gerecht», sagte Lavendel. «Wieso kann sie das und wir nicht?»

«Keine Angst, Lavendel, du holst sie bald ein», tr#246;stete sie Fr#228;ulein Honig mit einer Notl#252;ge.

Und nachdem sie schon so weit gekommen war, konnte Fr#228;ulein Honig der Versuchung nicht widerstehen, den Verstand dieses erstaunlichen Kindes noch etwas weiter zu pr#252;fen. Sie wu#223;te, da#223; sie sich auch dem Rest der Klasse widmen sollte, aber sie war viel zu aufgeregt, um die Angelegenheit schon ruhen zu lassen.

«Also», sagte sie, indem sie so tat, als ob sie sich an die ganze Klasse richtete, «wollen wir die Zahlen mal f#252;r einen Augenblick beiseite lassen und sehen, ob sich einer von euch schon mit dem Buchstabieren besch#228;ftigt hat. H#228;nde hoch, wer Katze buchstabieren kann.»

Drei H#228;nde fuhren in die H#246;he. Sie geh#246;rten Lavendel, einem kleinen Jungen namens Nigel und Matilda.

«Buchstabiere Katze, Nigel.»

Nigel buchstabierte das Wort.

Fr#228;ulein Honig beschlo#223; nun, eine Frage zu stellen, die sie normalerweise nicht mal im Traum an einem ersten Schultag gestellt h#228;tte. «Jetzt m#246;chte ich einmal wissen», fuhr sie fort, «ob einer von euch drei Katzenbuchstabierern auch schon gelernt hat, wie man eine ganze Gruppe von W#246;rtern liest, wenn sie in einem Satz zusammengefa#223;t sind.»

«Hab ich», antwortete Nigel.

«Kann ich auch», sagte Lavendel.

Fr#228;ulein Honig ging zur Tafel und schrieb mit ihrer wei#223;en Kreide den Satz: Ich habe schon zu lernen begonnen, wie man lange S#228;tze liest. Sie hatte den Satz mit Absicht etwas schwierig formuliert, und sie wu#223;te, da#223; es nur ziemlich wenige F#252;nfj#228;hrige gab, die damit zu Rande kamen.

«Kannst du mir sagen, was das hei#223;t, Nigel?» fragte sie.

«Das ist mir zu schwer», antwortete Nigel.

«Lavendel?»

«Das erste Wort hei#223;t ‹Ich›», sagte Lavendel.

«Kann einer von euch den ganzen Satz lesen?» fragte Fr#228;ulein Honig und wartete auf das Ja, das, wie sie sicher wu#223;te, von Matilda kommen w#252;rde.

«Ja», sagte Matilda.



«Dann los», sagte Fr#228;ulein Honig.

Matilda las den Satz ohne das geringste Z#246;gern.

«Das ist wirklich recht gut», stellte Fr#228;ulein Honig fest, wobei sie so wie noch nie in ihrem Leben untertrieb. «Wieviel kannst du denn lesen, Matilda?»

«Ich glaube, da#223; ich die meisten Sachen lesen kann, Fr#228;ulein Honig», antwortete Matilda, «wenn ich auch leider nicht immer verstehe, was die W#246;rter bedeuten.»

Fr#228;ulein Honig stand auf und schritt entschlossen aus dem Klassenzimmer, kam jedoch nach drei#223;ig Sekunden mit einem dicken Buch zur#252;ck. Sie schlug es wahllos auf und legte es auf Matildas Pult. «Dies ist ein Buch mit lustigen Geschichten», erkl#228;rte sie, «probier mal, ob du uns dies vorlesen kannst.»

Ohne zu stocken und ohne eine Pause zu machen, begann Matilda flink und flott vorzulesen:


«Ein Epikur a#223; in Neuhaus

und fand in der Suppe ‘ne Maus.

Rief der Kellner: Gemach!

Kein Geschrei und kein Krach,

sonst wolln n#228;mlich alle so ‘n Graus!»


Einige Kinder verstanden den Witz des Gedichtes und lachten. Fr#228;ulein Honig fragte: «Wei#223;t du, was ein Epikur ist, Matilda?»

«Das ist einer, der beim Essen w#228;hlerisch ist», antwortete Matilda.

«Das ist richtig», entgegnete Fr#228;ulein Honig. «Und wei#223;t du zuf#228;llig auch, wie man diese ganz besondere Art von Gedichten nennt?»

«Das nennt man Limerick», erwiderte Matilda, «und dies ist ein besonders h#252;bscher. Er ist so komisch.»

«Er ist auch ziemlich ber#252;hmt», sagte Fr#228;ulein Honig, nahm das Buch und kehrte zu ihrem Tisch vor der Klasse zur#252;ck. «Einen witzigen Limerick zu verfassen ist sehr schwer», setzte sie hinzu, «sie sehen so leicht aus, sind es aber ganz und gar nicht.»

«Ich wei#223;», sagte Matilda, «ich hab’s schon ein paarmal versucht, aber meine werden nie sehr gut.»

«Ach wirklich?» fragte Fr#228;ulein Honig, deren Verbl#252;ffung immer gr#246;#223;er wurde. «Also, Matilda, ich w#252;rde sehr gerne einen von diesen Limericks h#246;ren, die du, wie du sagst, geschrieben hast. Ob du dich vielleicht f#252;r uns noch an einen erinnern kannst?»

«Also», antwortete Matilda z#246;gernd, «ich hab eben grad versucht, einen auf Sie zu dichten, Fr#228;ulein Honig, w#228;hrend Sie hier gesessen haben.»

«Auf mich!» rief Fr#228;ulein Honig. «Na, den wollen wir doch ganz bestimmt h#246;ren, nicht wahr?»

«Ich wei#223; aber nicht, ob ich ihn sagen mag, Fr#228;ulein Honig.»

«Ach bitte, tu’s doch», bat Fr#228;ulein Honig, «ich versprech dir auch, da#223; ich nichts #252;belnehmen werde.»

«Vielleicht tun Sie das doch, Fr#228;ulein Honig, denn ich habe Ihren Vornamen benutzt, damit sich die Zeilen reimen, und deshalb m#246;chte ich es doch lieber nicht aufsagen.»

«Woher kennst du denn meinen Vornamen?» fragte Fr#228;ulein Honig.

«Ich hab geh#246;rt, wie Sie eine andere Lehrerin gerufen hat, kurz bevor wir hier reinkamen», sagte Matilda, «sie hat Sie Flo genannt.»

«Ich bestehe aber darauf, diesen Limerick zu h#246;ren», sagte Fr#228;ulein Honig, wobei sie #252;bers ganze Gesicht l#228;chelte, was nur sehr selten geschah. «Stell dich hin und sag ihn auf.»

Widerwillig erhob sich Matilda und sagte sehr langsam und zappelig ihren Limerick auf:


«Es fragen sich alle bei Flo

und raten und r#228;tseln nur so:

Gewi#223; gibt es nicht #252;berall ein Gesicht,

das so h#252;bsch ist wie ihrs? Nirgendwo.»


Fr#228;ulein Honigs blasses und freundliches Gesicht wurde puterrot, und sie l#228;chelte abermals. Diesmal aber viel heiterer, so wie man l#228;chelt, wenn man sich wirklich #252;ber etwas freut.

«Danke sch#246;n, Matilda», sagte sie und l#228;chelte immer noch. «Obwohl es nicht stimmt, ist es ein sehr guter Limerick. Ach je, je, den mu#223; ich wirklich auswendig lernen.»

Aus der dritten Bankreihe sagte Lavendel: «Das ist gut. Das gef#228;llt mir.»

«Und stimmen tut es auch», sagte ein kleiner Junge namens Rupert.

«Und ob es stimmt», sagte Nigel.

Die ganze Klasse schw#228;rmte schon f#252;r Fr#228;ulein Honig, obgleich sie kaum ein Kind au#223;er Matilda richtig wahrgenommen hatte.

«Wer hat dir das Lesen beigebracht, Matilda?» fragte Fr#228;ulein Honig.

«Ich hab’s mir irgendwie selbst beigebracht, Fr#228;ulein Honig.»

«Und hast du schon irgendwelche B#252;cher gelesen, ich meine: Kinderb#252;cher?»

«Ich habe alle gelesen, die es in der Stadtb#252;cherei in der Hauptstra#223;e gibt, Fr#228;ulein Honig.»

«Und haben sie dir gefallen?»

«Ein paar fand ich wirklich ganz gut», antwortete Matilda, «aber die meisten waren ziemlich langweilig.»

«Nenn mir eins, das dir gefallen hat.»

‹«Der K#246;nig von Narnia›», sagte Matilda. «Ich finde, da#223; Herr C. S. Lewis ein sehr guter Schriftsteller ist. Er hat nur einen Fehler. In seinen B#252;chern gibt es keine lustigen Stellen.»

«Da hast du recht», entgegnete Fr#228;ulein Honig.

«Und bei Herrn Tolkien gibt es auch nicht viele komische Stellen», sagte Matilda.

«Findest du denn, da#223; alle Kinderb#252;cher etwas Lustiges haben sollten?» fragte Fr#228;ulein Honig.

«Ja», antwortete Matilda, «Kinder sind nicht so ernsthaft wie Erwachsene, und sie lachen gerne.»

Fr#228;ulein Honig war von der Weisheit dieses kleinen M#228;dchens vollkommen verbl#252;fft. Sie sagte: «Und was machst du jetzt, nachdem du alle Kinderb#252;cher ausgelesen hast?»

«Ich lese andere B#252;cher», entgegnete Matilda, «ich leih sie mir aus der Stadtb#252;cherei. Frau Phelps ist sehr nett zu mir. Sie hilft mir bei der Auswahl.»

Fr#228;ulein Honig beugte sich weit #252;ber ihren Arbeitstisch und betrachtete das Kind voller Staunen. Sie hatte den Rest der Klasse vollkommen vergessen. «Was f#252;r andere B#252;cher?» murmelte sie.

«Charles Dickens mag ich besonders gern», sagte Matilda, «er macht mich immer wieder lachen. Besonders Mr. Pickwick.»

In diesem Augenblick schepperte die Glocke und verk#252;ndete das Ende der Schulstunde.


Die Kn#252;ppelkuh

Fr#228;ulein Honig verlie#223; in der Pause den Klassenraum und ging geradewegs zum Arbeitszimmer der Schulleiterin. Sie war vollkommen au#223;er sich. Sie war auf ein kleines M#228;dchen gesto#223;en, das hochbegabt war oder das ihr wenigstens so vorkam. Sie hatte noch nicht feststellen k#246;nnen, wie der genaue Grad dieser Begabung war, hatte aber genug mitgekriegt, um zu dem Schlu#223; zu kommen, da#223; in dieser Sache so bald wie m#246;glich etwas geschehen mu#223;te. Es w#228;re geradezu l#228;cherlich, wenn man solch ein Kind bei den Abc-Sch#252;tzen lie#223;e.

Normalerweise versp#252;rte Fr#228;ulein Honig eine heilige Angst vor der Schulleiterin und hielt sich m#246;glichst fern von ihr, aber in diesem Augenblick hatte sie das Gef#252;hl, da#223; sie es mit jedem aufnehmen k#246;nnte. Sie klopfte an die T#252;r des gef#252;rchteten privaten Arbeitszimmers.

«Herein!» dr#246;hnte die tiefe und gef#228;hrliche Stimme von Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. Fr#228;ulein Honig trat ein.

Schulleiter bekommen ihre Stellung meistens deshalb, weil sie #252;ber eine Anzahl von hervorragenden Eigenschaften verf#252;gen. Sie verstehen Kinder, und nichts liegt ihnen so am Herzen wie die Interessen dieser Kinder. Sie sind liebensw#252;rdig. Sie sind gerecht, und sie besch#228;ftigen sich eingehend mit Erziehungsfragen. Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh besa#223; jedoch keine dieser Eigenschaften, und wie sie zu ihrer augenblicklichen Stelle gekommen war, blieb ein ewiges Geheimnis.

Sie war zudem ein gewaltiges Weib. Fr#252;her war sie eine bekannte Athletin gewesen, und ihre Muskeln fielen einem heute noch auf. Man konnte sie auf ihrem Stiernacken erkennen, den breiten Schultern, den dicken Armen, den sehnigen Handgelenken und an den m#228;chtigen Beinen. Beim Anblick von Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh bekam man sofort das Gef#252;hl, jemanden vor sich zu haben, der Eisenstangen verbiegen und Telefonb#252;cher quer durchrei#223;en konnte. Auf ihrem Gesicht zeigte sich leider nicht die geringste Spur von Sch#246;nheit, noch war es ein erfreulicher Anblick. Sie besa#223; ein eigensinniges Kinn, einen grausamen Mund und kleine hochm#252;tige Augen. Und was ihre Kleider anbelangt... Sie waren zumindest au#223;ergew#246;hnlich sonderbar. Sie steckte immer in einem braunen Baumwollkittel, der um die H#252;ften von einem breiten Lederg#252;rtel zusammengehalten wurde. Dieser war vorn mit einer riesigen Silberschnalle verschlossen. Die fetten H#252;ften, die unter dem strammen G#252;rtel hervorquollen, steckten in merkw#252;rdigen Reithosen aus grobem K#246;perstoff in einem flaschengr#252;nen Farbton. Diese Hosen reichten bis knapp #252;ber die Knie, und dazu trug sie mit Vorliebe gr#252;ne Str#252;mpfe, die oben einmal umgeschlagen wurden und ihre Wadenmuskeln in aller Deutlichkeit zeigten. Ihre F#252;#223;e steckten in flachen braunen Haferlschuhen. Sie sah also, kurz gesagt, eher wie ein ziemlich verr#252;ckter und blutd#252;rstiger J#228;ger hinter der Meute scharfer Jagdhunde aus als wie die Leiterin einer netten Grundschule.



Als Fr#228;ulein Honig das Arbeitszimmer betrat, stand Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh mit ungeduldiger und finsterer Miene neben ihrem gewaltigen Schreibtisch. «Ja, Fr#228;ulein Honig», sagte sie, «was wollen Sie? Sie sehen ja heute fr#252;h vollkommen aufgel#246;st aus. Was ist los mit Ihnen? Haben diese kleinen Stinker Sie mit Papierk#252;gelchen beschossen?»

«Nein, Frau Rektorin, keineswegs.»

«Was ist es denn dann? Heraus damit. Ich bin eine besch#228;ftigte Frau.» W#228;hrend sie sprach, griff sie nach einem Krug, der immer auf ihrem Schreibtisch stand, und go#223; sich ein Glas Wasser ein.

«Ich habe in meiner Klasse ein kleines M#228;dchen namens Matilda Wurmwald...» begann Fr#228;ulein Honig.

«Das ist die Tochter von dem Mann, dem Wurmwald-Motoren in der Stadt geh#246;rt», bellte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. Sie sprach fast niemals mit normaler Stimme. Sie bellte entweder, oder sie br#252;llte. «Guter Mann, der Wurmwald», fuhr sie fort, «bin erst gestern bei ihm gewesen. Hat mir einen Wagen verkauft. Fast neu. Nur zehntausend Kilometer drauf. Hat einer alten Dame geh#246;rt, die den Wagen h#246;chstens einmal im Jahr aus der Garage holte. Da hab ich ein Mordsgesch#228;ft gemacht. Ja, Wurmwald gef#228;llt mir. Eine wahre S#228;ule unserer Gesellschaft. Hat mir gesagt, seine Tochter sei allerdings ein schlimmes St#252;ck. Ich sollte ein wachsames Auge auf sie haben. Er hat gesagt, wenn in der Schule jemals was passierte, so steckte bestimmt seine Tochter dahinter. Ich hab die kleine Ratte noch nicht zu sehen gekriegt, aber ich werd sie schon erkennen, wenn es soweit ist. Ihr Vater sagt, sie sei ein richtiges Fr#252;chtchen.»

«O nein, Frau Rektorin, das kann nicht stimmen!» rief Fr#228;ulein Honig.



«O ja, Fr#228;ulein Honig, und ob das stimmt! Wenn ich n#228;mlich richtig dar#252;ber nachdenke, so geh ich jede Wette ein, da#223; sie es war, die mir heute fr#252;h eine Stinkbombe unter den Tisch gelegt hat. Das Zimmer hat wie eine Kloake gerochen! Nat#252;rlich ist sie das gewesen! Das werd ich ihr heimzahlen, passen Sie nur auf! Wie sieht sie aus? Wahrscheinlich wie ein widerlicher kleiner Wurm. Ich habe n#228;mlich in meiner langen Karriere als Lehrerin herausgefunden, Fr#228;ulein Honig, da#223; ein schlimmes M#228;dchen weitaus gef#228;hrlicher ist als ein schlimmer Junge. Und dann kommt noch hinzu, sie sind viel schwerer fertigzumachen. Ein schlimmes M#228;dchen zu erledigen, das ist so, als ob man versuchte, eine Schmei#223;fliege zu zerquetschen. Man haut drauf, und weg ist das verdammte Ding. Abscheuliche schmutzige Dinger diese M#228;dchen. Ich bin nur froh, da#223; ich nie eins war.»



«Oh, aber einmal m#252;ssen Sie doch auch ein kleines M#228;dchen gewesen sein, Frau Rektorin. Ganz bestimmt.»

«Wenigstens nicht lange», bellte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh und grinste, «bin im Handumdrehen eine Frau geworden.»

Sie ist v#246;llig verr#252;ckt, sagte sich Fr#228;ulein Honig, knatschverr#252;ckt. Sie blieb entschlossen vor der Schulleiterin stehen. Ein einziges Mal wollte sie sich nicht abweisen und unterdr#252;cken lassen. «Ich mu#223; Ihnen erkl#228;ren, Frau Rektorin», sagte sie, «da#223; Sie ganz und gar im Irrtum sind, wenn Sie meinen, Matilda h#228;tte eine Stinkbombe unter Ihren Schreibtisch gelegt.»

«Ich irre mich nie, Fr#228;ulein Honig.»

«Aber Frau Rektorin, es ist der erste Schultag des Kindes, und es ist direkt in den Klassenraum...»

«Um Himmels willen, keine Widerworte, Weib! Diese kleine miese Matilde, oder wie sie hei#223;t, hat nur mein Arbeitszimmer stinkbombardiert! Daran gibt’s nichts zu drehen und zu deuteln! Besten Dank, da#223; Sie mich darauf hingewiesen haben.»

«Aber ich habe Sie nicht darauf hingewiesen, Frau Rektorin.»

«Aber nat#252;rlich haben Sie das getan! Also, was haben Sie noch auf dem Herzen, Fr#228;ulein Honig? Warum verplempern Sie meine Zeit?»

«Ich wollte mich mit Ihnen #252;ber Matilda unterhalten, Frau Rektorin. Ich mu#223; Ihnen etwas ganz Au#223;ergew#246;hnliches #252;ber dieses Kind berichten. Darf ich Ihnen bitte erz#228;hlen, was gerade eben in der Klasse geschehen ist?»

«Hat wahrscheinlich Ihren Rock in Brand gesteckt und Ihre Unterhosen angesengelt!» schnaubte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh.

«Nein, aber nein!» rief Fr#228;ulein Honig aus. «Matilda ist ein Genie.»

Bei der Erw#228;hnung dieses Wortes lief Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuhs Gesicht purpurrot an, und ihr ganzer Leib schien sich aufzubl#228;hen und zu schwellen wie bei einem Ochsenfrosch. «Ein Genie!» br#252;llte sie. «Was f#252;r einen Quatsch versuchen Sie mir da einzureden, meine Dame? Sie m#252;ssen den Verstand verloren haben! Ich habe das Wort ihres Vaters, da#223; dieses Kind ein Gangster ist!»

«Ihr Vater irrt sich, Frau Rektorin.»

«Seien Sie doch nicht albern, Fr#228;ulein Honig! Sie haben dieses kleine Biest eine halbe Stunde vor der Nase gehabt, ihr Vater kennt sie ihr ganzes Leben!»

Fr#228;ulein Honig war jedoch so fest entschlossen, diesmal das zu sagen, was sie auf dem Herzen hatte, da#223; sie einfach anfing, von Matildas erstaunlichen Rechenkunstst#252;cken zu erz#228;hlen.

«Dann hat sie also ein paar Einmaleinse auswendig gepaukt. Na und?» bellte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. «Das, meine Liebe, macht doch noch kein Genie aus ihr! H#246;chstens einen Papagei!»

«Aber Frau Rektorin, sie kann lesen

«Das kann ich auch», fauchte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh.

«Ich bin der Ansicht», sagte Fr#228;ulein Honig, «da#223; Matilda aus meiner Klasse genommen und sofort in die letzte Klasse zu den Elfj#228;hrigen versetzt werden sollte.»

«Ha!» schnaubte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. «Sie wollen sie also loswerden, was? Sie werden also nicht mit ihr fertig? Sie wollen sie also der ungl#252;ckseligen Plimbim in der letzten Klasse aufb#252;rden, wo sie noch mehr Unheil stiften wird?»

«Nein, nein!» rief Fr#228;ulein Honig. «Das sind ganz und gar nicht meine Beweggr#252;nde!»

«Und ob sie das sind!» br#252;llte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. «Ich habe Ihre kleine j#228;mmerliche List von Anfang an durchschaut, meine Liebe. Und meine Antwort lautet: nein! Matilda bleibt, wo sie ist, und Sie sind daf#252;r verantwortlich, da#223; sie sich benimmt.»

«Aber Frau Rektorin, bitte...»

«Kein Wort mehr!» br#252;llte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. «Au#223;erdem herrscht hier in meiner Schule die Regel, da#223; alle Kinder in ihrer eigenen Altersgruppe bleiben, ohne R#252;cksicht auf Begabung. Grundg#252;tiger, ich denke gar nicht daran, eine kleine f#252;nfj#228;hrige Gaunerin zu den #228;ltesten Jungen und M#228;dchen zu versetzen. Wo gibt’s denn so was?»

Fr#228;ulein Honig stand vor dieser m#228;chtigen, stiernackigen Riesin hilflos da. Es gab noch viel, was sie gern gesagt h#228;tte, aber sie wu#223;te, da#223; es zwecklos war. So sagte sie leise: «Nun gut, es ist ihre Entscheidung, Frau Rektorin.»

«Und ob es das ist», bellte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh, «und vergessen Sie nicht, meine Beste, da#223; wir es mit einer kleinen Schlange zu tun haben, die mir eine Stinkbombe unter meinen Tisch...»

«Das hat sie nicht getan, Frau Rektorin!»

«Aber nat#252;rlich!» dr#246;hnte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. «Und ich will Ihnen mal was verraten. Ich w#252;nschte zum Himmel, da#223; ich noch die Birkenrute und den G#252;rtel benutzen d#252;rfte wie in der guten alten Zeit. Ich w#252;rde Matilda so den Hintern versohlen, da#223; sie einen Monat lang nicht mehr sitzen k#246;nnte!»

Fr#228;ulein Honig wandte sich ab und ging aus dem Arbeitszimmer, ziemlich niedergeschlagen, aber keineswegs besiegt. Ich werde etwas f#252;r dieses Kind unternehmen, schwor sie sich insgeheim. Ich wei#223; nicht, was das sein kann, aber ich werde einen Weg finden, wie ich ihr doch noch helfen kann.


Die Eltern

Als Fr#228;ulein Honig aus dem Zimmer der Schulleiterin trat, befanden sich die meisten Kinder drau#223;en auf dem Schulhof. Ihr erster Schritt bestand darin, da#223; sie die Runde machte bei den verschiedenen Lehrern, die in der obersten Klasse unterrichteten, und sich von ihnen eine Reihe von Lehrb#252;chern auslieh, f#252;r Algebra, Geometrie, Franz#246;sisch, Literatur und so weiter. Dann suchte sie Matilda und bat sie ins Klassenzimmer. «Es hat keinen Sinn», begann sie, «da#223; du hier herumsitzt und D#228;umchen drehst, w#228;hrend ich den anderen das Einmalzwei beibringe und wie man Katze und Ratte und Maus buchstabiert. Ich werde dir also in jeder Stunde eins von diesen Lehrb#252;chern geben, mit denen du dich besch#228;ftigen kannst. Am Ende der Stunde kannst du zu mir kommen, und falls du irgendwelche Fragen hast, werde ich versuchen, dir zu helfen. Was meinst du dazu?»

«Vielen Dank, Fr#228;ulein Honig», sagte Matilda, «das finde ich gut.»

«Ich bin fest davon #252;berzeugt», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «da#223; wir es schaffen werden, dich sp#228;ter ein paar Klassen #252;berspringen zu lassen, aber im Augenblick w#252;nscht die Schulleiterin, da#223; du bleibst, wo du bist.»

«Gut, Fr#228;ulein Honig», sagte Matilda, «und vielen Dank, da#223; Sie mir diese B#252;cher besorgt haben.»

Was ist sie doch f#252;r ein nettes Kind, dachte Fr#228;ulein Honig. Es ist mir schnuppe, was ihr Vater #252;ber sie gesagt hat, mir kommt sie sehr ruhig und sanft vor und kein bi#223;chen aufgeblasen trotz all ihrer Gescheitheit. Im Grunde genommen scheint sie sich dessen gar nicht bewu#223;t zu sein.

Als sich die Kinder wieder in der Klasse versammelten, ging Matilda zu ihrem Pult und begann, ein Geometriebuch zu studieren, das ihr Fr#228;ulein Honig gegeben hatte. Die Lehrerin behielt sie die ganze Zeit mit im Auge und verfolgte, wie sich das Kind ziemlich rasch v#246;llig in das Buch vertiefte. Sie schaute w#228;hrend der ganzen Stunde kein einziges Mal auf.

Fr#228;ulein Honig kam unterdessen zu einem zweiten Entschlu#223;. Sie nahm sich vor, sobald wie m#246;glich selber zu Matildas Eltern zu gehen und sich mit ihnen unter sechs Augen zu unterhalten. Sie wollte sich einfach nicht damit abfinden, alles so zu lassen, wie es war. Die ganze Angelegenheit war einfach l#228;cherlich. Sie mochte es nicht glauben, da#223; die Eltern die bemerkenswerten Eigenschaften ihrer Tochter noch gar nicht wahrgenommen hatten. Schlie#223;lich war Herr Wurmwald ein erfolgreicher Autoh#228;ndler, deshalb nahm sie an, da#223; er selber ganz gescheit sein mu#223;te. Auf jeden Fall neigten Eltern niemals dazu, die F#228;higkeiten ihrer eigenen Kinder zu untersch#228;tzen. Ganz im Gegenteil. Manchmal war es einem Lehrer fast unm#246;glich, den stolzen Vater oder die Mutter davon zu #252;berzeugen, da#223; ihr geliebter Spr#246;#223;ling ein v#246;lliger Versager war. Fr#228;ulein Honig war sicher, da#223; es ihr keine Schwierigkeiten machen w#252;rde, Herrn und Frau Wurmwald davon zu #252;berzeugen, da#223; Matilda wirklich etwas ganz Besonderes war. Das Problem lag vermutlich eher darin, ihre Begeisterung zu bremsen.

Und dann begannen Fr#228;ulein Honigs Hoffnungen noch h#246;her zu steigen. Sie #252;berlegte, ob sie sich nicht von den Eltern die Erlaubnis erbitten sollte, Matilda nach der Schule Privatunterricht zu geben. Die Aussicht, ein so helles Kind wie dieses zu f#246;rdern, regte ihren Berufsinstinkt als Lehrerin ganz ungeheuer an. Und pl#246;tzlich beschlo#223; sie, schon an diesem Abend Herrn und Frau Wurmwald zu besuchen. Sie wollte nicht allzu fr#252;h zu ihnen gehen, erst zwischen neun und zehn Uhr, wenn Matilda bestimmt schon im Bett war.

Und genauso machte sie es auch. Sie besorgte sich die Anschrift aus den Schulakten, und kurz nach neun machte sie sich auf den Weg zum Haus der Wurmwalds. Sie entdeckte es in einer h#252;bschen Stra#223;e, in der die kleinen Eigenheime durch ein St#252;ckchen Garten voneinander getrennt standen. Es war ein modernes Backsteinhaus, das nicht billig gewesen sein konnte, und der Name #252;ber der Gartent#252;r lautete LAUSCHIGER WINKEL. L#228;rmige Hinkel h#228;tte besser gepa#223;t, dachte Fr#228;ulein Honig. Sie hatte eine Schw#228;che f#252;r solche Wortspiele. Sie ging den Gartenweg entlang und l#228;utete an der Haust#252;r, und w#228;hrend sie dastand und wartete, konnte sie drinnen den Fernsehapparat pl#228;rren h#246;ren.

Die T#252;r wurde von einem kleinen Mann mit einem Rattengesicht und einem d#252;nnen Rattenschnurrb#228;rtchen ge#246;ffnet, der ein Sportsakko mit orangefarbenen und roten Streifen trug. «Ja?» fragte er und blinzelte zu Fr#228;ulein Honig hinaus. «Wenn Sie Lotterielose verkaufen, ich will keine.»

«Das tue ich nicht», antwortete Fr#228;ulein Honig, «und bitte verzeihen Sie mir, da#223; ich so hereinplatze. Ich bin Matildas Lehrerin, und es ist wichtig, da#223; ich mich mit Ihnen und Ihrer Frau unterhalte.»

«Hat schon #196;rger gemacht, was?» fragte Herr Wurmwald und blockierte den Eingang. «Also, daf#252;r sind jetzt Sie verantwortlich. Sie m#252;ssen mit ihr fertig werden.»

«Sie hat nicht im geringsten #196;rger gemacht», sagte Fr#228;ulein Honig. «Ich bin mit guten Nachrichten #252;ber sie gekommen. Ganz erstaunlichen Nachrichten, Herr Wurmwald. Meinen Sie, da#223; ich ein paar Minuten hereinkommen und mit Ihnen #252;ber Matilda sprechen k#246;nnte?»

«Wir sind gerade dabei, uns eine unserer Lieblingssendungen anzuschauen», sagte Herr Wurmwald, «das pa#223;t jetzt gar nicht. Warum kommen Sie nicht ein andermal wieder?»

Fr#228;ulein Honig begann die Geduld zu verlieren. «Herr Wurmwald», sagte sie, «wenn Sie finden, da#223; irgendein schwachsinniges Fernsehprogramm wichtiger ist als die Zukunft Ihrer Tochter, dann h#228;tten Sie nicht Vater werden sollen! Warum stellen Sie das verflixte Ding nicht ab und h#246;ren mir zu?»

Das brachte Herrn Wurmwald vollkommen durcheinander. Er war nicht daran gew#246;hnt, da#223; man so mit ihm sprach. Er be#228;ugte mi#223;trauisch die schlanke, zerbrechliche Frau, die so entschlossen vor seiner Schwelle stand. «Na, also gut», fuhr er sie an, «rein mit Ihnen, damit wir’s schnell hinter uns bringen.»



Fr#228;ulein Honig trat energisch ein.

«Frau Wurmwald wird Ihnen daf#252;r nicht sehr dankbar sein», sagte er, w#228;hrend er sie ins Wohnzimmer f#252;hrte, wo eine f#252;llige wasserstoffblonde Frau hingerissen auf den Bildschirm starrte.

«Wer ist das?» fragte die Frau, ohne sich umzudrehen.

«‘ne Lehrerin», antwortete Herr Wurmwald. «Sie sagt, sie mu#223; mit uns #252;ber Matilda reden.» Er ging zum Fernsehger#228;t und stellte den Ton ab, lie#223; aber das Bild weiterlaufen.

«La#223; das doch, Harry!» rief Frau Wurmwald aus. «Hans-Joachim ist gerade dabei, Angelika einen Heiratsantrag zu machen!»

«Kannst ja zugucken, w#228;hrend wir reden», sagte Herr Wurmwald. «Dies ist Matildas Lehrerin. Sie sagt, sie h#228;tte irgendwelche Neuigkeiten f#252;r uns.»

«Mein Name ist Florentine Honig», sagte Fr#228;ulein Honig. «Guten Abend, Frau Wurmwald.»

Frau Wurmwald glotzte sie an und fragte: «Was ist denn los?»



Niemand lud Fr#228;ulein Honig zum Sitzen ein, deshalb suchte sie sich einen Stuhl aus und nahm unaufgefordert Platz. «Heute», sagte sie, «war der erste Schultag Ihrer Tochter.»

«Das wissen wir», sagte Frau Wurmwald ziemlich gereizt, weil sie ihre Sendung verpa#223;te. «Ist das alles, was Sie uns zu sagen haben?»

Fr#228;ulein Honig starrte in die feuchten grauen Augen der anderen Frau, und sie lie#223; das Schweigen sich so lange ausdehnen, bis es Frau Wurmwald unbehaglich wurde. «W#252;nschen Sie, da#223; ich den Grund meines Kommens erkl#228;re?» fragte Fr#228;ulein Honig.

«Schie#223;en Sie los», sagte Frau Wurmwald.

«Sie wissen sicher», begann Fr#228;ulein Honig, «da#223; man von Kindern, die gerade eingeschult werden, nicht erwartet, da#223; sie schon lesen oder buchstabieren oder mit Zahlen umgehen. F#252;nfj#228;hrige k#246;nnen das nicht. Matilda aber kann das alles. Und wenn ich ihr glauben darf...»

«W#252;rd ich nie», sagte Frau Wurmwald. Sie war immer noch w#252;tend, weil sie den Ton im Fernsehen nicht mitkriegte.

«Hat sie etwa gelogen», fragte Fr#228;ulein Honig, «als sie mir sagte, da#223; ihr keiner das Multiplizieren oder das Lesen beigebracht hat? Hat sie einer von Ihnen unterrichtet?»

«Was unterrichtet?» fragte Herr Wurmwald.

«Lesen. B#252;cher lesen», sagte Fr#228;ulein Honig. «Vielleicht haben Sie sie ja unterrichtet. Vielleicht hat sie geschwindelt. Vielleicht ist Ihr ganzes Haus voller B#252;cher und B#252;cherregale. Das kann ich nicht wissen. Vielleicht sind Sie beide ja gro#223;e Leser.»

«Nat#252;rlich lesen wir», antwortete Herr Wurmwald. «Reden Sie doch keinen Kokolores. Ich lese jede Woche das ‹Auto› und ‹Der Motor› von vorne bis hinten durch.»

«Das Kind hat bereits eine erstaunliche Anzahl an B#252;chern gelesen», fuhr Fr#228;ulein Honig fort. «Ich wollte nur in Erfahrung bringen, ob sie aus einer Familie kommt, in der gute Literatur gesch#228;tzt wird.»

«Also vom B#252;cherlesen halten wir nicht viel», sagte Herr Wurmwald. «Man kann’s zu nichts bringen, wenn man nur auf seinen vier Buchstaben hockt und Geschichtenb#252;cher liest. So was haben wir nicht im Hause.»



«Aha», sagte Fr#228;ulein Honig, «nun, ich wollte Ihnen nur berichten, da#223; Matilda hochbegabt ist. Aber das wissen Sie vermutlich schon l#228;ngst.»

«Da#223; sie lesen kann, das wei#223; ich schon», sagte die Mutter, «sie steckt Tag und Nacht oben in ihrem Zimmer und vergr#228;bt sich in irgendwelchen bl#246;den B#252;chern.»

«Aber ist es Ihnen nicht aufgefallen», fragte Fr#228;ulein Honig, «da#223; ein kleines f#252;nfj#228;hriges Kind dicke B#252;cher f#252;r Erwachsene von Dickens und Hemingway liest? Rei#223;t Sie das nicht vor Aufregung aus dem Sessel?»

«Eigentlich nicht», antwortete die Mutter. «Von Blaustr#252;mpfen halt ich nicht viel. Ein M#228;dchen sollte #252;ber sein Aussehen nachdenken und wie es attraktiv wird, damit es sp#228;ter einen guten Mann erwischt. Das Aussehen ist viel wichtiger als B#252;cher, Fr#228;ulein Marmelade...»

«Mein Name ist Honig», sagte Fr#228;ulein Honig.

«Also schauen Sie doch mich an», fuhr Frau Wurmwald fort, «und dann schauen Sie sich an. Sie haben sich f#252;r die B#252;cher entschieden. Ich f#252;rs gute Aussehen.»

Fr#228;ulein Honig betrachtete sich die dicke dumme Person mit dem Puddinggesicht, die ihr gegen#252;bersa#223;. «Was haben Sie gesagt?» fragte sie.

«Ich sagte, Sie h#228;tten B#252;cher gew#228;hlt und ich das Aussehen», wiederholte Frau Wurmwald. «Und wer hat das Bessere erwischt? Ich nat#252;rlich. Ich sitze gem#252;tlich in einem h#252;bschen Haus mit einem erfolgreichen Gesch#228;ftsmann, und Sie m#252;ssen sich abschuften, um einer Horde von gr#228;#223;lichen kleinen Rangen das Abc einzubleuen.»

«Ganz recht, Zuckerpfl#228;umchen», sagte Herr Wurmwald und bedachte seine Frau mit einem so affektierten und dreckigen Grinsen, da#223; es ein Pferd zum Kotzen h#228;tte bringen k#246;nnen.



Fr#228;ulein Honig kam zu dem Schlu#223;, da#223; sie ihre Beherrschung nicht verlieren durfte, wenn sie mit diesen Leuten zu irgendeinem Ergebnis gelangen wollte. «Ich habe Ihnen noch nicht alles berichtet», sagte sie. «So weit ich es in diesem fr#252;hen Stadium #252;bersehen kann, ist Matilda auch eine Art mathematisches Genie. Sie kann in Blitzgeschwindigkeit hohe Zahlen miteinander multiplizieren.»

«Was hat das f#252;r einen Sinn, wenn’s #252;berall Taschenrechner zu kaufen gibt?» fragte Herr Wurmwald.

«Ein M#228;dchen kriegt keinen Mann, wenn es auf gescheit macht», stellte Frau Wurmwald fest. «Schauen Sie sich zum Beispiel diese Filmstars an», setzte sie hinzu, indem sie auf den schweigenden Bildschirm deutete, wo ein weibliches Wesen mit schwellendem Busen im Mondschein von einem markigen Mimen umarmt wurde. «Bilden Sie sich etwa ein, den h#228;tt sie sich geschnappt, wenn sie ihm was vormultipliziert h#228;tte? Also wirklich nicht. Und jetzt wird sie heiraten, das werden Sie schon sehen, und dann lebt sie in einem Herrenhaus mit einem Butler und ganzen Scharen von Dienstm#228;dchen.»

Fr#228;ulein Honig konnte kaum glauben, was sie da h#246;rte. Sie hatte zwar schon davon gelesen, da#223; es solche Eltern im ganzen Lande gab und da#223; sich ihre Kinder zu Verbrechern und Taugenichtsen entwickelten, aber es wirkte wie ein Schock, so ein Elternpaar in Fleisch und Blut zu treffen.

«Das Problem f#252;r Matilda», setzte sie noch einmal an, «liegt darin, da#223; sie allen anderen in ihrer Umgebung so weit voraus ist. Daher w#252;rde es sich vielleicht lohnen, #252;ber so etwas wie private F#246;rderstunden nachzudenken. Wenn sie richtig angeleitet w#252;rde, so glaube ich in allem Ernst, da#223; sie innerhalb von zwei oder drei Jahren zur Universit#228;tsreife gebracht werden k#246;nnte.»

«Universit#228;t?» schrie Herr Wurmwald und fuhr in seinem Sessel hoch. «Wer will denn um des Himmels willen auf die Universit#228;t? Alles was sie da lernen ist Faulenzen und Randalieren.»

«Das stimmt nicht», widersprach Fr#228;ulein Honig. «Wenn Sie in diesem Augenblick einen Herzinfarkt h#228;tten und nach einem Arzt riefen, so h#228;tte dieser Arzt eine Universit#228;t absolviert. Wenn Sie #196;rger kriegten, weil Sie jemandem einen miserablen Gebrauchtwagen verkauft haben, so m#252;#223;ten Sie sich einen Rechtsanwalt nehmen, und auch der h#228;tte an einer Universit#228;t studiert. Sie d#252;rfen gebildete Menschen nicht verachten, Herr Wurmwald. Aber ich sehe schon, da#223; wir uns nicht einigen werden. Es tut mir leid, da#223; ich so bei Ihnen hereingeplatzt bin.» Fr#228;ulein Honig erhob sich und schritt aus dem Zimmer.

Herr Wurmwald folgte ihr bis zur Haust#252;r und sagte: «Nett von Ihnen, da#223; Sie gekommen sind, Fr#228;ulein Hering, oder war es Fr#228;ulein H#252;hnchen?»

«Keins von beiden», entgegnete Fr#228;ulein Honig, «aber das macht nichts.» Und damit entschwand sie.


Hammerwurf

Das Nette an Matilda war: wenn man sie zuf#228;llig traf und sich mit ihr unterhielt, h#228;tte man sie f#252;r ein vollkommen normales f#252;nfeinhalbj#228;hriges Kind gehalten. Fast nichts deutete auf ihre Begabung hin, und sie gab auch niemals an. «Das ist ein sehr vern#252;nftiges und ruhiges kleines M#228;dchen», h#228;ttest du dir gesagt. Und wenn du sie nicht aus irgendeinem Grunde in eine Diskussion #252;ber Literatur oder Mathematik verwickelt h#228;ttest, so w#228;re dir das Ausma#223; ihres Verstandes gar nicht klargeworden.

Es fiel Matilda deshalb leicht, sich mit anderen Kindern anzufreunden. Alle in ihrer Klasse mochten sie gern. Sie wu#223;ten nat#252;rlich, da#223; sie «klug» war, weil sie das in dem Gespr#228;ch mit Fr#228;ulein Honig am ersten Schultag geh#246;rt hatten. Und sie wu#223;ten auch, da#223; sie w#228;hrend des Unterrichts schweigend mit einem Buch dasitzen durfte und nicht auf die Lehrerin zu achten brauchte. Aber Kinder in diesem Alter gehen den Dingen nicht genau auf den Grund. Sie sind so sehr mit ihren eigenen kleinen Problemen befa#223;t, da#223; sie sich nicht sonderlich darum k#252;mmern, was die anderen treiben und warum.

Unter Matildas neuen Freunden war ein M#228;dchen namens Lavendel. Schon am allerersten Schultag hatten die beiden begonnen, in der kleinen und in der gro#223;en Pause miteinander auf den Schulhof zu gehen. Lavendel war f#252;r ihr Alter au#223;ergew#246;hnlich klein, eine zarte d#252;nne Elfe mit dunkelbraunen Augen und dunklen Haaren, die ihr in Simpelfransen #252;ber die Stirn fielen. Matilda mochte sie gern, weil sie Schwung und Mut besa#223; und Abenteuer liebte. Und genau aus denselben Gr#252;nden mochte Lavendel Matilda.

Schon in der ersten Woche ihrer Schulzeit begannen sich bei den Abc-Sch#252;tzen gr#228;#223;liche Geschichten #252;ber Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh, die Direktorin, zu verbreiten. Als Matilda und Lavendel am dritten Tag in der kleinen Pause in einem Winkel des Schulhofs standen, n#228;herte sich ihnen eine schlampige Zehnj#228;hrige, die Hortensia hie#223; und einen Pickel auf der Nase hatte. «Neuer Nachschub, was?» bemerkte Hortensia und schaute von ihrer gro#223;en H#246;he zu ihnen hinab. Sie sch#252;ttelte eine extragro#223;e T#252;te Kartoffelchips und stopfte sich das Zeugs mit vollen H#228;nden in den Mund. «Willkommen in der Besserungsanstalt f#252;r jugendliche Schwerverbrecher», setzte sie hinzu, und dabei stoben die Kr#252;mel wie Schneegest#246;ber aus ihrem Mund.

Die beiden Kleinen wahrten im Angesicht dieser Riesin ein wachsames Schweigen.

«Seid ihr schon an die Kn#252;ppelkuh geraten?» fragte Hortensia.

«Wir haben sie beim Morgengebet gesehen», antwortete Lavendel, «aber getroffen haben wir sie noch nicht.»

«Na, da habt ihr ja noch was Sch#246;nes vor euch», sagte Hortensia. «Kleine Kinder kann sie nicht ausstehen. Deshalb findet sie die erste Klasse zum Kotzen. Sie findet, F#252;nfj#228;hrige sind Maden oder Raupen, die noch nicht ausgeschl#252;pft sind.» Rein mit der n#228;chsten Hand Kartoffelchips und, als sie den Mund wieder aufklappte, raus das n#228;chste Kr#252;melgest#246;ber. «Wenn ihr das erste Jahr hier #252;berlebt, dann schafft ihr’s vielleicht grade, euch durch den Rest eurer Zeit hier durchzumogeln. Aber viele #252;berleben erst gar nicht. Sie werden auf Bahren rausgetragen, heulend und schreiend. Hab ich oft gesehen.» Hortensia hielt inne, um zu #252;berpr#252;fen, wie diese Bemerkungen auf die beiden Fliegengewichte wirkten. Sie kamen ihr ziemlich unger#252;hrt vor. Also beschlo#223; die Gro#223;e, sie mit weiteren Informationen zu f#252;ttern.

«Wahrscheinlich wi#223;t ihr ja, da#223; die Kn#252;ppelkuh in ihrer Wohnung einen verschlossenen Schrank hat, den man den Luftabschneider nennt. Habt ihr schon vom Luftabschneider geh#246;rt?»

Matilda und Lavendel sch#252;ttelten den Kopf und starrten unverwandt zu der Riesin empor. Weil sie so klein waren, neigten sie dazu, allen Gesch#246;pfen zu mi#223;trauen, die sie #252;berragten, vor allem #228;lteren Schulm#228;dchen.



«Der Luftabschneider», fuhr Hortensia fort, «ist ein sehr hoher, aber ganz schmaler Schrank. Der Boden ist knapp einen halben Meter breit, man kann sich also nicht hinsetzen und hinhocken auch nicht. Man mu#223; stehen. Und drei von den W#228;nden sind aus Zement mit lauter Glasscherben, die #252;berall rausragen, man kann sich also nicht anlehnen. Wenn man da eingesperrt wird, mu#223; man die ganze Zeit stehen, kerzengerade stehen. Das ist f#252;rchterlich.»

«Kann man sich nicht an die T#252;r lehnen?» fragte Matilda.

«Sei nicht so bl#246;d», sagte Hortensia. «Die T#252;r ist mit tausend scharfen Nagelspitzen gespickt. Sie sind von drau#223;en durchgeh#228;mmert, wahrscheinlich h#246;chstpers#246;nlich von der Kn#252;ppelkuh.»

«Bist du da schon mal dringewesen?» fragte Lavendel.

«In der ersten Klasse sechsmal», antwortete Hortensia, «zweimal einen ganzen Tag und die andern Male jedesmal zwei Stunden. Aber zwei Stunden sind schon schlimm genug. Es ist stockfinster, und man mu#223; kerzengerade stehen und darf sich nicht r#252;hren, und wenn man wackelt, zerfleischt man sich entweder an den Glasscherben in den W#228;nden oder an den N#228;geln in der T#252;r.»

«Warum bist du denn eingesperrt worden?» fragte Matilda. «Was hast du gemacht?»

«Beim erstenmal», erz#228;hlte Hortensia, «hab ich eine halbe Dose Ahornsirup auf den Sitz von dem Stuhl gekippt, auf dem die Kn#252;ppelkuh beim Morgengebet immer sitzt. Es war wunderbar. Als sie sich auf dem Stuhl niedergelassen hat, da gab’s so ein Quatschen, wie es ein Rhinozeros macht, wenn es mit seinen F#252;#223;en in den Uferschlamm des Flusses Limpopo hineinstampft. Aber ihr seid ja zu klein und zu dumm, als da#223; ihr schon die ‹Geschichten f#252;r den allerliebsten Liebling› von Kipling gelesen h#228;ttet. Stimmt’s?»

«Ich hab sie gelesen», antwortete Matilda.

«Du bist eine Hochstaplerin», sagte Hortensia freundlich, «du kannst ja noch nicht einmal lesen. Aber was soll’s. Als sich also die Kn#252;ppelkuh auf den Ahornsirup setzte, schmatzte der Quatsch ganz wunderbar, und als sie wieder aufsprang, klebte der Stuhl sozusagen am Hosenboden dieser grauenhaften gr#252;nen S#228;cke fest, die sie immer tr#228;gt, und stieg mit ihr ein paar Sekunden in die H#246;he, bis der z#228;he Sirup langsam nachgab. Und dann fuhr sie mit den H#228;nden an ihr Hosenhinterteil, und schon hatte sie sich alle beiden H#228;nde mit dem Kleisterzeugs verschmiert. Ihr h#228;ttet mal h#246;ren sollen, wie sie geheult hat.»



«Aber woher hat sie denn gewu#223;t, da#223; du das warst?» fragte Lavendel.

«Ein kleiner Mistkerl namens Ole Sumpfblase hat mich verpfiffen», antwortete Hortensia. «Ich hab ihm die Vorderz#228;hne eingeschlagen.»

«Und die Kn#252;ppelkuh hat dich f#252;r einen ganzen Tag im Luftabschneider eingesperrt?» fragte Matilda mit gro#223;en Augen.

«Den ganzen Tag lang», entgegnete Hortensia. «Ich war fix und fertig, als sie mich rauslie#223;. Ich hab wie ein Idiot ger#246;chelt und gesabbert.»

«Und was war das andere, wof#252;r du in den Luftabschneider gesteckt worden bist?» fragte Lavendel.

«Ach, an alles kann ich mich gar nicht erinnern», sagte Hortensia. Sie redete wie ein alter Krieger, der so viele Schlachten geschlagen hat, da#223; ihm Heldenmut ganz selbstverst#228;ndlich ist. «Das ist alles so lange her», setzte sie hinzu und warf sich eine neue Ladung Kartoffelchips in den Mund. «Ah ja, eins f#228;llt mir noch ein. Also, da ist folgendes passiert. Ich hab mir genau den Zeitpunkt ausgesucht, wo ich gewu#223;t hab, die Kn#252;ppelkuh war weg und aus dem Weg und gab in der sechsten Klasse Unterricht, da hab ich mich also gemeldet und gefragt, ob ich mal austreten darf. Aber statt da#223; ich dahingegangen bin, hab ich mich ins Zimmer von der Kn#252;ppelkuh geschlichen. Dann hab ich gesucht, in rasender Eile, und hab auch die Schublade gefunden, in der sie all ihre Turnhosen aufbewahrt.»

«Weiter», sagte Matilda gebannt, «was ist dann passiert?»

«Ja, wei#223;t du, ich hab mir bei so einer Versandfirma ein besonders kr#228;ftiges Juckpulver bestellt», sagte Hortensia, «es war ganz sch#246;n teuer, und es hat der Haut-Aufheizer gehei#223;en. In der Beschreibung stand, da#223; es aus den gemahlenen Z#228;hnen von Giftschlangen besteht, und sie haben einem garantiert, da#223; es auf der Haut Blasen macht, so gro#223; wie Waln#252;sse. Also, ich hab dieses Pulver in alle Hosen gestreut, die in der Schublade waren, und dann hab ich sie wieder sch#246;n und ordentlich zusammengefaltet.» Hortensia machte eine Pause, um sich wieder Kartoffelchips in den Mund zu stopfen.



«Hat es gewirkt?» fragte Lavendel.

«Tja», sagte Hortensia, «ein paar Tage sp#228;ter, grad beim Gebet, hat die Kn#252;ppelkuh pl#246;tzlich angefangen, sich wie verr#252;ckt am Hintern zu kratzen. Aha, hab ich zu mir gesagt, jetzt geht’s los, sie hat also das Turnzeug schon drunter. Es war einfach wunderbar, so dazusitzen und alles genau verfolgen zu k#246;nnen und zu wissen, da#223; ich der einzige Mensch in der ganzen Schule war, der haargenau gewu#223;t hat, was da in den Hosen von der Kn#252;ppelkuh vor sich geht. Und ich hab mich au#223;erdem bombensicher gef#252;hlt. Ich hab gewu#223;t, keiner konnte mich schnappen. Und dann ist die Kratzerei schlimmer geworden. Sie konnte gar nicht mehr aufh#246;ren. Sie mu#223; gedacht haben, sie h#228;tte ein Wespennest da unten drin, und dann ist sie mitten im Vaterunser aufgesprungen, hat sich den Hintern festgehalten und ist aus der Aula gest#252;rzt.»

Matilda und Lavendel waren alle beide wie verzaubert. Es war ihnen vollkommen klar, da#223; sie in diesem Augenblick vor einer Meisterin standen. Hier war jemand, der die Kunst der Gemeinheit in Vollendung beherrschte und dar#252;ber hinaus bereit war, bei ihrer Aus#252;bung Kopf und Kragen zu riskieren. Sie starrten diese G#246;ttin voller Ehrfurcht an, und pl#246;tzlich war selbst der Pickel auf ihrer Nase nicht mehr l#228;cherlich, sondern ein Abzeichen des Mutes.

«Aber wie hat sie dich denn erwischt?» fragte Lavendel fast atemlos vor Bewunderung.

«Hat sie gar nicht», antwortete Hortensia, «aber ich hab trotzdem einen Tag im Luftabschneider verpa#223;t gekriegt.»

«Warum denn?» fragten beide wie aus einem Mund.

«Die Kn#252;ppelkuh», erkl#228;rte Hortensia, «hat eine widerw#228;rtige Art, den Nagel auf den Kopf zu treffen. Wenn sie nicht wei#223;, wer der Schuldige ist, dann r#228;t sie einfach drauflos, und es ist ein Jammer, wie recht sie meistens hat. Ich war diesmal die Hauptverd#228;chtige wegen der Sache mit dem Sirup, und obwohl sie genau wu#223;te, da#223; sie nicht den geringsten Beweis hatte, konnte ich sagen, was ich wollte, es half mir nichts. Ich schrie die ganze Zeit: ‹Wie h#228;tt ich das denn machen k#246;nnen, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh? Ich hab ja nicht mal eine Ahnung, da#223; Sie Ihre Ersatzunterhosen in der Schule aufbewahren! Ich wei#223; erst recht nicht, was Juckpulver ist! Ich hab noch nie davon geh#246;rt!› Aber das Leugnen hat mir nichts gen#252;tzt. Trotz meines ganzen Theaters. Die Kn#252;ppelkuh hat mich einfach am Ohr gepackt und hat mich Hals #252;ber Kopf zum Luftabschneider geschleift und hineingesto#223;en und die T#252;r verrammelt. Das war mein zweiter ganzer Tag im Kasten. Es war eine regelrechte Folter. Als ich wieder rauskam, war ich am ganzen Leibe zerschlitzt und zerschnitten.»

«Das ist ja wie Krieg», sagte Matilda fassungslos.

«Da hast du verdammt recht, das ist wie Krieg», schrie Hortensia, «und die Verluste sind ungeheuerlich. Wir sind die Kreuzfahrer, die todesmutige Armee, wir k#228;mpfen um unser Leben, fast v#246;llig ohne Waffen, und die Kn#252;ppelkuh ist der F#252;rst der Finsternis, die heimt#252;ckische Schlange, der feuerspeiende Drache, ihr stehen alle Waffen zur Verf#252;gung. Es ist ein hartes Leben. Jeder von uns versucht, dem andern Beistand zu leisten.»

«Auf uns kannst du dich verlassen», sagte Lavendel und streckte ihre ein Meter zwanzig in die H#246;he, so hoch es ging.

«Nein, das kann ich nicht», entgegnete Hortensia, «ihr seid nur kleine Krabben. Aber man wei#223; schlie#223;lich nie. Kann sein, da#223; wir eines Tages irgendeine Untergrundarbeit f#252;r euch haben.»

«Erz#228;hl uns noch ein bi#223;chen mehr davon, was sie so macht», bettelte Matilda, «bitte.»

«Ihr seid ja noch keine Woche hier, ich darf euch keinen zu gro#223;en Schrecken einjagen», antwortete Hortensia.

«Tust du auch nicht», antwortete Lavendel. «Wir sind z#228;h, wenn wir auch noch klein sind.»



«Na, dann h#246;rt zu», fuhr Hortensia fort, «erst gestern hat die Kn#252;ppelkuh einen Jungen erwischt, den Julius Rottwinkel, der in der Sch#246;nschreibstunde Lakritze gelutscht hat. Sie hat ihn einfach am Arm gepackt und hochgehoben und aus dem offenen Fenster geworfen. Unser Klassenzimmer ist im ersten Stock, und wir haben Julius Rottwinkel wie eine Frisbeescheibe #252;ber den Garten segeln sehen, bis er mit einem Plumps mitten im Salat gelandet ist. Dann hat sich die Kn#252;ppelkuh an uns gewandt und hat gesagt: ‹Von jetzt an fliegt jeder aus dem Fenster, den ich beim Kauen erwische.›»

«Hat sich dieser Julius Rottwinkel die Knochen gebrochen?» fragte Lavendel.

«Nur ein paar», antwortete Hortensia. «Du darfst nicht vergessen, da#223; die Kn#252;ppelkuh mal bei der Olympiade in der britischen Mannschaft gewesen ist, als Hammerwerferin. Deshalb ist sie so stolz auf ihren rechten Arm.»

«Was ist denn Hammerwurf?» fragte Lavendel.

«Der Hammer», erkl#228;rte Hortensia, «ist eigentlich eine verdammt schwere Kanonenkugel am Ende von einem langen St#252;ck Draht, und der Hammerwerfer wirbelt sie immer um seinen oder ihren Kopf herum und rum und rum und immer schneller, und dann l#228;#223;t er sie los. Du mu#223;t dazu wahnsinnig stark sein. Die Kn#252;ppelkuh wirft und wirbelt alles durch die Gegend, um den Arm in Form zu halten, und ganz besonders gerne Kinder.»

«Du meine G#252;te», sagte Lavendel.

«Ich hab sie mal sagen h#246;ren», fuhr Hortensia fort, «da#223; ein gro#223;er Junge ungef#228;hr das gleiche Gewicht besitzt wie ein olympischer Hammer und da#223; man deshalb mit ihm besonders gut #252;ben kann.»

In diesem Augenblick geschah etwas Merkw#252;rdiges. Der Schulhof, auf dem bis eben noch die Schreie und Rufe der spielenden Kinder erschollen waren, wurde pl#246;tzlich so still wie ein Grab.

«Pa#223;t auf!» zischte Hortensia.

Matilda und Lavendel schauten sich um und sahen die Riesengestalt von Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh, die sich mit drohenden Schritten durch die Schar der Jungen und M#228;dchen dr#228;ngte. Die Kinder wichen hastig zur#252;ck, um sie vorbeizulassen, und so #228;hnelte ihr Marsch #252;ber den Asphalt dem von Moses durchs Rote Meer, vor dem sich die Wasser geteilt hatten. Auch sie war in ihren gr#252;nen Hosen und ihrem Kittel mit dem G#252;rtel eine bemerkenswerte Figur. Unterhalb der Kniekehlen w#246;lbten sich die Wadenmuskeln in den wollenen Str#252;mpfen so rund und prall wie Grapefruits. «Amanda Tripp!» rief sie. «Komm hierher, Amanda Tripp!»

«Jetzt haltet euch fest», fl#252;sterte Hortensia.

«Was wird denn passieren?» fl#252;sterte Lavendel zur#252;ck.

«Diese bl#246;de Amanda», erkl#228;rte Hortensia, «hat sich die Haare in den Schulferien noch l#228;nger wachsen lassen, und ihre Mutter hat sie ihr zu Z#246;pfen geflochten. V#246;llig schwachsinnig, so was zu machen.»

«Warum schwachsinnig?» fragte Matilda.

«Wenn’s eins gibt, was die Kn#252;ppelkuh nicht ausstehen kann, so sind das Z#246;pfe», antwortete Hortensia.

Matilda und Lavendel sahen die Riesin in den gr#252;nen Kniehosen auf ein M#228;dchen von etwa zehn Jahren zuschreiten, dem ein Paar goldblonde Z#246;pfe auf dem R#252;cken hingen. Jeder Zopf war mit einer blauen Seidenschleife zugebunden, und das sah alles in allem sehr niedlich aus. Das M#228;dchen mit den Z#246;pfen, Amanda Tripp, stand mucksm#228;uschenstill da und beobachtete die nahende Riesin. Den Ausdruck auf ihrem Gesicht h#228;tte man auch auf dem eines Menschen entdecken k#246;nnen, der sich in einem kleinen Gatter allein mit einem w#252;tenden Stier eingesperrt findet, der gerade zum Angriff ansetzt. Das M#228;dchen war vor Schreck wie festgenagelt. Es bebte. Die Augen quollen ihm aus dem Kopf, und es wu#223;te, da#223; ihm endlich der Tag des J#252;ngsten Gerichtes anbrach.

Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh hatte unterdessen das Opfer erreicht und blieb dar#252;bergebeugt stehen. «Ich will, da#223; diese zerzausten Z#246;pfe verschwunden sind, wenn du dich morgen hier in der Schule wieder blicken l#228;#223;t!» bellte sie. «Schneid sie ab und schmei#223; sie in den M#252;lleimer, hast du mich verstanden?»



Amanda, starr vor Angst und Schrecken, konnte nur noch stottern: «Meine Mammamamami mag sie aber. Sie flicht sie mir jeden Morgen.»

«Bei deiner Mami piept’s!» bellte die Kn#252;ppelkuh. Sie deutete mit einem Finger, so dick wie eine Salami, auf den Kopf des Kindes und kreischte: «Du siehst aus wie eine Ratte, der der Schwanz aus dem Kopf kommt!»

«Meine Mammamamami findet, ich sehe h#252;bsch aus, Fr#228;ulein Kn#252;kn#252;kn#252;ppelkuh», stotterte Amanda und zitterte wie ein Wackelpudding.

«Was deine Mami denkt, k#252;mmert mich einen feuchten Kehricht!» heulte die Kn#252;ppelkuh und beugte sich bei diesen Worten vor. Mit ihrer rechten Faust packte sie Amandas Z#246;pfe und ri#223; das M#228;dchen einfach vom Boden hoch. Dann fing sie an, sie um den Kopf herumzuwirbeln, herum und herum und immer schneller, und Amanda schrie wie am Spie#223;, und die Kn#252;ppelkuh br#252;llte: «Ich werd dich Z#246;pfe flechten lehren, du kleine Ratte!»

«Wie bei der Olympiade», murmelte Hortensia. «Sie nimmt jetzt Geschwindigkeit auf, genauso wie sie es mit dem Hammer gemacht hat. Zehn zu eins, da#223; sie Amanda wirft.»

Und nun lehnte sich die Kn#252;ppelkuh zur#252;ck, gegen das Gewicht des wirbelnden M#228;dchens, drehte sich gekonnt auf den Zehenspitzen um die eigene Achse, wirbelte weiter herum, und bald kreiste Amanda Tripp so schnell durch die Luft, da#223; sie nur noch ein Farbfleck war, und pl#246;tzlich lie#223; die Kn#252;ppelkuh die Z#246;pfe mit einem wilden Grunzen fahren, und Amanda scho#223; wie eine Rakete hoch #252;ber den Drahtzaun des Schulhofs in den Himmel hinauf.

«Guter Wurf, Meister!» rief jemand drau#223;en vorm Schulhof, und Matilda, die die ganze Wahnsinnsangelegenheit gebannt beobachtet hatte, sah, wie Amanda Tripp in einem langen anmutigen Bogen dr#252;ben auf dem Sportplatz niederging. Sie landete auf dem Rasen, prallte dreimal auf und kam schlie#223;lich zum Stillstand. Dann richtete sie sich erstaunlicherweise auf. Sie wirkte etwas benommen, was man ihr wirklich nicht vorwerfen konnte, aber nach ungef#228;hr einer Minute war sie wieder auf den F#252;#223;en und trottete zum Schulhof zur#252;ck. Dort stand die Kn#252;ppelkuh und klopfte sich den Staub von den H#228;nden. «Nicht schlecht», bemerkte sie, «wenn man bedenkt, da#223; ich eigentlich nicht im Training bin. Gar nicht so schlecht.» Damit schlenderte sie davon.



«Sie ist verr#252;ckt», sagte Hortensia.

«Aber beschweren sich die Eltern denn nicht?» fragte Matilda.

«W#252;rden deine das tun?» fragte Hortensia dagegen. «Meine w#252;rden sich nicht mucksen, das wei#223; ich ganz genau. Sie behandelt die M#252;tter und V#228;ter genauso wie die Kinder, und sie haben alle einen Heidenrespekt vor ihr. Ich seh euch sicher wieder, ihr beiden.»

Damit h#252;pfte sie davon.



Theo Torfkopp und die Torte

«Wie kann sie damit durchkommen?» fragte Lavendel Matilda. «Wenn die Kinder nach Hause gehen, erz#228;hlen sie doch sicher ihren Eltern davon. Ich wei#223; bestimmt, mein Vater w#252;rde einen f#252;rchterlichen Wirbel machen, wenn ich ihm erz#228;hlte, da#223; mich die Schulleiterin bei den Haaren gepackt und #252;ber den Schulzaun geschleudert h#228;tte.»

«Nee, das wird er nicht machen», antwortete Matilda, «und ich will dir auch sagen warum. Er w#252;rde dir einfach nicht glauben.»

«Aber nat#252;rlich wird er das.»

«Wird er nicht», sagte Matilda, «und der Grund daf#252;r ist klar. Deine Geschichte w#252;rde so verr#252;ckt klingen, da#223; sie keiner glaubt. Und das ist der gro#223;e Trick der Kn#252;ppelkuh.»

«Was f#252;r ein Trick?» fragte Lavendel.

Matilda antwortete: «Wenn man mit etwas durchkommen will, darf man keine halben Sachen machen. Du mu#223;t unversch#228;mt sein und immer mit vollem Dampf voraus. Und du mu#223;t darauf achten, da#223; alles, was du anstellst, so absolut wahnsinnig ist, da#223; es keiner glaubt. Kein Vater und keine Mutter werden diese Zopfgeschichte schlucken, auch nicht in einer Million Jahren. Meine ganz bestimmt nicht. Sie w#252;rden sagen, l#252;g nicht so.»

«Wenn das so ist», sagte Lavendel, «wird Amandas Mutter ihr auch nicht die Z#246;pfe abschneiden.»

«Nein, sie bestimmt nicht», antwortete Matilda, «das mu#223; Amanda selber tun. Du wirst schon sehen, was passiert.»

«Glaubst du, da#223; sie verr#252;ckt ist?» fragte Lavendel.

«Wer?»

«Die Kn#252;ppelkuh.»

«Nein, da#223; sie verr#252;ckt ist, glaube ich nicht», entgegnete Matilda, «aber sie ist sehr gef#228;hrlich. Wenn man in diese Schule geht, dann ist es genauso, als ob man zusammen mit einer Kobra in einem K#228;fig steckt. Man mu#223; ziemlich flink sein.»

Am folgenden Tag erlebten sie wieder, wie gef#228;hrlich die Schulleiterin werden konnte. W#228;hrend der gro#223;en Pause wurde angek#252;ndigt, da#223; sich die ganze Schule gleich danach in der Aula versammeln und hinsetzen sollte.

Nachdem sich alle ungef#228;hr zweihundertundf#252;nfzig Jungen und M#228;dchen in der Aula niedergelassen hatten, kam die Kn#252;ppelkuh auf die B#252;hne marschiert. Keiner der anderen Lehrer begleitete sie. In der rechten Hand trug sie eine Reitpeitsche. Sie baute sich in ihren gr#252;nen Hosen mit gespreizten Beinen mitten auf der B#252;hne auf, den Reitstock in der Hand, und starrte in das Meer der zu ihr emporgewandten Gesichter.

«Was passiert denn jetzt?» fl#252;sterte Lavendel.

«Keine Ahnung», fl#252;sterte Matilda zur#252;ck.

Die ganze Schule wartete gespannt auf das, was nun kommen w#252;rde.

«Theo Torfkopp!» bellte die Kn#252;ppelkuh pl#246;tzlich. «Wo steckt Theo Torfkopp?»

Mitten zwischen den Kindern fuhr eine Hand in die H#246;he.

«Komm hier rauf!» schrie die Kn#252;ppelkuh, «und ein bi#223;chen hopp hopp!»

Ein elfj#228;hriger Junge, der ausgesprochen wohlgen#228;hrt war, stand auf und watschelte rasch nach vorn. Er kletterte auf die B#252;hne.

«Stell dich hierher!» befahl die Kn#252;ppelkuh und deutete mit dem Finger auf die Stelle. Der Junge stellte sich neben sie. Er wirkte nerv#246;s. Er wu#223;te sehr wohl, da#223; er nicht hier heraufgerufen worden war, um einen Preis entgegenzunehmen. Er beobachtete die Schulleiterin mit wachsendem Mi#223;trauen und schuffelte mit kleinen Schritten immer weiter beiseite, so wie vielleicht eine Ratte vor einem Terrier zur#252;ckweicht, der sie von der anderen Seite des Zimmers aus beobachtet. Sein rundes Mopsgesicht war vor angstvoller Erwartung grau geworden. Seine Socken rutschten ihm #252;ber die Kn#246;chel.



«Dieser Dummkopf», dr#246;hnte die Rektorin und deutete mit dem Reitstock wie mit einem Degen auf ihn, «dieser widerliche Pickel, diese Pestbeule, diese Giftwarze, die ihr hier vor euch seht, ist nichts anderes als ein verachtenswerter Verbrecher, ein B#252;rger der Unterwelt, ein Mitglied der Mafia!»

«Wer, ich?» fragte Theo Torfkopp ehrlich verbl#252;fft.

«Ein Dieb!» kreischte die Kn#252;ppelkuh. «Ein Hehler. Ein Seer#228;uber! Ein Stra#223;enr#228;uber! Ein Beutelschneider!»

«Also aber wirklich», sagte der Junge, «ich wollte sagen, das k#246;nnen Sie vergessen, Frau Rektorin.»

«Leugnest du etwa, du hinterlistiger kleiner Giftzwerg? Behauptest du, nicht schuldig zu sein?»

«Ich hab ja gar keine Ahnung, wovon Sie reden», sagte der Junge, der immer verwirrter wurde.



«Ich werd dir sagen, wovon ich rede, du ekelhafter kleiner Fettfleck!» schrie die Kn#252;ppelkuh. «Gestern vormittag bist du in der Pause wie eine Schlange in die K#252;che geschlichen und hast dir eine Scheibe von meinem privaten Schokoladenkuchen von meinem Teetablett gestohlen! Dieses Tablett war gerade ganz speziell f#252;r mich von der K#246;chin vorbereitet worden. Es war mein Vormittagsimbi#223;. Und was den Kuchen anbelangt, so stammte er aus meinen privaten Vorr#228;ten! Das war kein Kuchen f#252;r euch Knaben! Du bildest dir wohl keine Sekunde lang ein, da#223; ich den Fra#223; auch nur anr#252;hre, den ich euch geben lasse? Dieser Kuchen war eine Torte, und der Teig enthielt echte Butter und wirkliche Sahne! Und er, dieser Bandit und Wegelagerer, dieser Safeknacker, dieser R#228;uber, der da dr#252;ben mit seinen Rutschestr#252;mpfen steht, er hat die Torte gestohlen und verschlungen!»



«Hab ich nicht!» rief der Junge aus und wurde leichenbla#223; statt grau.

«L#252;g mich nicht an, Torfkopp», bellte die Kn#252;ppelkuh, «die K#246;chin hat dich gesehen! Und nicht nur das, sie hat auch gesehen, wie du gekaut hast.»

Die Kn#252;ppelkuh hielt inne, um sich einen Flocken Schaum von den Lippen zu wischen.

Als sie abermals zu reden begann, klang ihre Stimme pl#246;tzlich milde und geschmeidig, und sie beugte sich mit einem L#228;cheln zu dem Knaben hinab. «Hat dir meine ganz spezielle Schokoladentorte gut geschmeckt, Torfkopp? Ist sie nicht k#246;stlich? Schmeckt sie nicht lecker, Torfkopp?»

«Ja, sehr lecker», murmelte der Junge. Die Worte waren ihm entschl#252;pft, ehe er sich beherrschen konnte.

«Du hast recht», antwortete die Kn#252;ppelkuh, «sie ist #252;beraus lecker. Deshalb bin ich der Ansicht, da#223; du der K#246;chin gratulieren solltest. Wenn ein Herr eine besonders gute Mahlzeit genossen hat, Torfkopp, dann l#228;#223;t er dem K#252;chenchef immer seine Komplimente ausrichten. Das hast du nicht gewu#223;t, nicht wahr, Torfkopp? Aber diejenigen, die sich in der Unterwelt der Verbrecher heimisch f#252;hlen, zeichnen sich selten durch gute Manieren aus.»

Der Junge verharrte in Schweigen.

«K#246;chin!» rief die Kn#252;ppelkuh und wandte den Kopf zur T#252;r. «Herein mit Ihnen, K#246;chin! Torfkopp m#246;chte Ihnen sagen, wie gut er Ihren Schokoladenkuchen findet.»

Die K#246;chin, eine gro#223;e verschrumpelte Frau, die so aussah, als ob ihr schon vor langer Zeit der ganze Lebenssaft in einem hei#223;en Backofen verdampft w#228;re, trat in einer schmutzigen wei#223;en Sch#252;rze auf die B#252;hne.

Ihr Auftritt war ganz offensichtlich vorher von der Schulleiterin arrangiert worden.

«Also los, Torfkopp», dr#246;hnte die Kn#252;ppelkuh, «sag der K#246;chin, was du von ihrem Schokoladenkuchen h#228;ltst.»

«Sehr gut», murmelte der Junge. Man konnte genau erkennen, wie er sich den Kopf zerbrach, auf was dieses alles hinauslief. Das einzige, was er genau wu#223;te, war: das Gesetz verbot der Kn#252;ppelkuh, ihn mit der Reitgerte zu verpr#252;geln, mit der sie sich ununterbrochen gegen die Schenkel schlug. Das war ein gewisser Trost, wenn auch ein schwacher, denn die Kn#252;ppelkuh war vollkommen unberechenbar. Man wu#223;te nie, was sie als n#228;chstes unternehmen w#252;rde.

«Na also, K#246;chin», rief die Kn#252;ppelkuh, «Torfkopp hat Ihre Torte geschmeckt. Er betet Ihre Torte an. Haben Sie nicht vielleicht noch ein bi#223;chen Torte #252;brig, die Sie ihm geben k#246;nnten?»

«Das habe ich in der Tat», antwortete die K#246;chin. Sie schien diesen Satz auswendig gelernt zu haben.

«Dann holen Sie sie rasch. Und bringen Sie auch ein Messer mit, damit man sie anschneiden kann.»

Die K#246;chin verschwand. Doch fast im Handumdrehen war sie wieder da und wankte unter dem Gewicht einer gewaltigen runden Schokoladentorte auf einem Tortenteller aus Porzellan. Der Kuchen ma#223; einen guten halben Meter im Durchmesser und war mit dunkelbrauner Schokoladenglasur #252;berzogen. «Stellen Sie sie dort auf den Tisch», befahl die Kn#252;ppelkuh.

Auf der B#252;hne befand sich ein kleiner Tisch, hinter dem ein Stuhl stand. Die K#246;chin stellte die prachtvolle Torte vorsichtig auf dem Tisch ab.

«Setz dich, Torfkopp», sagte die Kn#252;ppelkuh, «setz dich hierher.»

Der Junge schob sich vorsichtig zum Tisch und setzte sich hin. Er starrte den riesenhaften Kuchen an.

«Da hast du’s nun, Torfkopp», sagte die Kn#252;ppelkuh, und ihre Stimme bekam abermals den sanften, #252;berredenden, fast z#228;rtlichen Ton. «Das ist alles f#252;r dich, bis zum letzten Bissen. Weil dir die eine Scheibe, die du gestern gegessen hast, so gut geschmeckt hat, hab ich der K#246;chin befohlen, eine extragro#223;e Torte ganz allein f#252;r dich zu backen.»

«Oh, danke sch#246;n», sagte der Junge vollkommen verst#246;rt.

«Du mu#223;t der K#246;chin danken, nicht mir», sagte die Kn#252;ppelkuh.

«Vielen Dank, K#246;chin», sagte der Junge.

Die K#246;chin stand wie ein zusammengeschnirrter Schn#252;rsenkel da, Lippen fest zusammengepre#223;t, feindselig, mi#223;g#252;nstig. Sie sah so aus, als ob sie in eine Zitrone gebissen h#228;tte.



«Also los», sagte die Kn#252;ppelkuh, «warum schneidest du dir nicht eine sch#246;ne dicke Scheibe ab und kostest die Torte erst einmal?»

«Was? Jetzt?» fragte der Junge mi#223;trauisch. Er wu#223;te, da#223; die Sache irgendeinen Haken hatte, nur nicht wo. «Kann ich sie nicht einfach mit nach Hause nehmen?» fragte er.

«Das w#228;re unh#246;flich», antwortete die Kn#252;ppelkuh mit einem boshaften Grinsen. «Du mu#223;t der K#246;chin hier doch zeigen, wie dankbar du ihr f#252;r all die Arbeit und M#252;he bist, die sie auf sich genommen hat.»



Der Junge regte sich nicht.

«Also hopp jetzt, fang an», sagte die Kn#252;ppelkuh. «Schneid dir eine Scheibe ab und bei#223; rein. Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit.»

Der Junge hob das Messer auf und war schon im Begriff, in die Torte zu schneiden, als er innehielt. Er be#228;ugte die Torte. Dann schaute er zur Kn#252;ppelkuh empor, dann zu der langen d#252;rren K#246;chin mit ihrem Zitronensaftmund. Alle Kinder in der Aula sahen gespannt zu und warteten darauf, da#223; irgend etwas geschah. Denn das, hatten sie das Gef#252;hl, war unvermeidlich. Die Kn#252;ppelkuh geh#246;rte nicht zu den Menschen, die einem eine ganze Schokoladentorte aus reiner N#228;chstenliebe schenkten. Einige tippten darauf, da#223; sie mit Pfeffer oder Rizinus#246;l gef#252;llt war oder irgendeine Zutat enthielt, die so ekelerregend schmeckte, da#223; der Junge wie ein Reiher w#252;rde kotzen m#252;ssen. Es konnte auch Arsen sein, und dann w#252;rde er in genau zehn Sekunden tot umfallen. Oder vielleicht war es eine Scherztorte, und das ganze Ding flog in die Luft, sowie man es anschnitt, wobei Torfkopp mitgerissen w#252;rde. Alles das trauten die Sch#252;ler der Kn#252;ppelkuh zu, ohne mit der Wimper zu zucken.

«Ich m#246;chte nichts davon essen», sagte der Junge.

«Du probierst sie, du Lausel#252;mmel», sagte die Kn#252;ppelkuh, «du beleidigst die K#246;chin.»

Da begann der Junge sehr zimperlich und vorsichtig, sich eine d#252;nne Scheibe aus der Riesentorte zu schneiden. Dann hob er die Scheibe heraus. Er legte das Messer hin und nahm das klebrige St#252;ck in die Hand und begann es langsam zu essen.

«Lecker, nicht wahr?» fragte die Kn#252;ppelkuh.

«Sehr gut», antwortete der Junge, w#228;hrend er kaute und schluckte. Er a#223; das St#252;ck auf.

«Nimm dir noch eins», sagte die Kn#252;ppelkuh.

«Ich hab genug, vielen Dank», murmelte der Junge.

«Ich hab gesagt, nimm dir noch eins», wiederholte die Kn#252;ppelkuh, und jetzt erklang ein sehr viel sch#228;rferer Ton in ihrer Stimme. «I#223; die zweite Scheibe! Tu was man dir sagt!»

«Ich mag kein zweites St#252;ck», sagte der Junge.

Pl#246;tzlich explodierte die Kn#252;ppelkuh. «I#223;!» schrie sie und schlug sich mit der Reitgerte gegen die Schenkel. «Wenn ich dir sage, da#223; du essen sollst, dann wirst du essen. Du hast Torte gewollt! Du hast Torte gestohlen! Und jetzt hast du Torte gekriegt! Nicht nur das, du wirst sie auch essen. Du verl#228;#223;t diese B#252;hne nicht, und keiner verl#228;#223;t die Aula, bis du die ganze Torte aufgegessen hast, die vor dir steht. Habe ich mich deutlich ausgedr#252;ckt, Torfkopp? Hast du verstanden, was ich meine?»

Der Junge schaute die Kn#252;ppelkuh an. Dann schaute er auf die Riesentorte.

«I#223;! I#223;! I#223;!» schrie die Kn#252;ppelkuh.

Z#246;gernd schnitt sich der Junge ein zweites St#252;ck ab und begann es zu essen.

Matilda war fasziniert. «Glaubst du, da#223; er es schafft?» fl#252;sterte sie Lavendel zu.

«Nein», fl#252;sterte Lavendel zur#252;ck. «Das ist unm#246;glich. Es wird ihm #252;bel sein, eh er die H#228;lfte verputzt hat.»

Der Junge kaute weiter. Als er das zweite St#252;ck aufgegessen hatte, z#246;gerte er und schaute zur Kn#252;ppelkuh.

«I#223;!» schrie sie. «Gierige kleine Diebe, die gerne Kuchen m#246;gen, m#252;ssen Kuchen kriegen! I#223; schneller, Junge! I#223; schneller! Wir wollen hier nicht den ganzen Tag rumsitzen! Und keine Pausen so wie jetzt! Wenn du noch einmal eine Pause machst, eh du ganz und gar fertig bist, geht’s geradewegs in den Luftabschneider, und ich werde h#246;chstpers#246;nlich die T#252;r verschlie#223;en und den Schl#252;ssel in den Brunnen werfen!»

Der Junge schnitt sich eine dritte Scheibe ab und begann sie zu verzehren. Er war damit rascher als mit den ersten beiden fertig, und sofort griff er nach dem Messer und schnitt sich die n#228;chste Scheibe ab. Er schien auf eine merkw#252;rdige Art und Weise zu seinem eigenen Rhythmus zu kommen.

Matilda, die wie gebannt zuschaute, erkannte an dem Jungen noch keine Anzeichen von Verzweiflung. Er schien vielmehr in dem Ma#223;e Zuversicht zu gewinnen, in dem er weitermachte.

«Er kommt gut voran», fl#252;sterte sie Lavendel zu.

«Es wird ihm schon bald #252;bel werden», fl#252;sterte Lavendel zur#252;ck. «Das wird grauenhaft sein.»

Als Theo Torfkopp die erste H#228;lfte dieser Riesentorte verdr#252;ckt hatte, hielt er nur f#252;r ein paar Sekunden inne und holte ein paarmal tief Luft.



Schon stand die Kn#252;ppelkuh mit den H#228;nden auf den H#252;ften neben ihm und schaute ihn drohend an. «Vorw#228;rts! Weiter!» rief sie. «Aufessen!»

Pl#246;tzlich lie#223; der Junge einen gigantischen R#252;lpser fahren, der wie Donner durch die Aula rollte. Viele Sch#252;ler fingen an zu kichern.

«Ruhe!» br#252;llte die Kn#252;ppelkuh.

Der Junge schnitt sich abermals ein dickes St#252;ck ab und fing an, es mit gro#223;er Geschwindigkeit zu verschlingen. Es waren ihm noch immer weder Ersch#246;pfung noch #220;belkeit anzumerken. Er sah ganz und gar nicht so aus, als m#252;#223;te er abbrechen und ausrufen: «Ich kann nicht mehr, ich kann keinen einzigen Bissen mehr! Ich mu#223; mich #252;bergeben!» Er war immer noch im besten Schwung.

Und nun bahnte sich bei den zweihundertundf#252;nfzig Kindern, die ihm in der Aula zuschauten, ein leiser Wandel an. Zu Beginn hatten sie ein drohendes Unheil gewittert. Sie hatten sich auf eine unerfreuliche Szene eingestellt, in der der ungl#252;ckselige Junge, bis zu den Kiemen mit Schokoladentorte vollgestopft, aufgeben und um Gnade flehen m#252;#223;te, und dann h#228;tten sie zuschauen m#252;ssen, wie die triumphierende Kn#252;ppelkuh mehr und immer mehr Torte in den Mund des keuchenden Jungen stopfte.

Aber so verlief die Sache ganz und gar nicht. Theo Torfkopp hatte sich zu drei Vierteln durchgefuttert und zeigte immer noch keine Schw#228;che. Man hatte vielmehr das Gef#252;hl, da#223; es ihm allm#228;hlich fast Spa#223; machte. Er mu#223;te einen Berg erklimmen, und er war fest entschlossen, den Gipfel zu erreichen oder dabei umzukommen. Und er war sich unterdessen seiner Zuschauer sehr bewu#223;t geworden und wie sie ihm stillschweigend alle den Daumen dr#252;ckten. Dies war ja nichts anderes als ein Entscheidungskampf zwischen ihm und der m#228;chtigen Kn#252;ppelkuh.

Pl#246;tzlich schrie einer: «Weiter, Theo! Du schaffst es!»

Die Kn#252;ppelkuh fuhr herum und heulte: «Ruhe!»

Die Zuschauer verfolgten alles wie gebannt. Der Wettkampf hatte sie gepackt. Sie sehnten sich danach, Theo anzuspornen, aber sie wagten es nicht.

«Ich glaube, er schafft es», fl#252;sterte Matilda.

«Ich glaub’s fast auch», fl#252;sterte Lavendel zur#252;ck. «Ich h#228;tte nie im Leben geglaubt, da#223; jemand eine Torte von dieser Gr#246;#223;e ganz allein aufessen k#246;nnte.»

«Die Kn#252;ppelkuh hat das auch nicht geglaubt», fl#252;sterte Matilda, «schau sie doch an. Sie wird immer r#246;ter. Wenn er gewinnt, wird sie ihn erschlagen.»

Der Junge wurde jetzt langsamer, es war nicht zu bezweifeln. Aber er stopfte sich das Zeug mit der verbiesterten Ausdauer eines Langstreckenl#228;ufers in den Mund, der schon die Ziellinie sieht und wei#223;, er mu#223; nur einfach noch durchhalten. Als der allerletzte Happen verschwand, erhob sich in der Aula ein ohrenbet#228;ubender Jubel, die Kinder sprangen von ihren St#252;hlen auf und jubelten und klatschten und riefen: «Bravo, Theo! Gut gemacht, Theo! Du hast eine Goldmedaille gewonnen, Theo!»



Die Kn#252;ppelkuh stand reglos auf der B#252;hne. Ihr gro#223;es Pferdegesicht hatte die Farbe von geschmolzener Lava angenommen, und ihre Augen funkelten vor Wut. Sie starrte Theo Torfkopp an, der wie eine fette, #252;berf#252;tterte Made auf seinem Stuhl sa#223;, zum Platzen voll, halb bet#228;ubt, unf#228;hig, sich zu r#252;hren oder zu reden. Feine Schwei#223;perlen glitzerten auf seiner Stirn, aber auf seinem Gesicht lag ein triumphierendes Grinsen.

Pl#246;tzlich griff die Kn#252;ppelkuh nach vorn und packte die gro#223;e leere Porzellanplatte, auf der die Torte gewesen war. Sie hob sie hoch in die Luft und lie#223; sie genau auf den Sch#228;del des ungl#252;cklichen Theo Torfkopp knallen, da#223; es nur so klirrte und die Scherben auf der ganzen B#252;hne herumflogen.



Der Junge war aber so mit Torte angef#252;llt, da#223; er einem Sack voll nassem Zement glich, und man h#228;tte ihn nicht einmal mit einem Schmiedehammer etwas anhaben k#246;nnen. Er sch#252;ttelte also nur ein paarmal den Kopf und grinste weiter.

«Fahr zur H#246;lle!» kreischte die Kn#252;ppelkuh und marschierte von der B#252;hne. Die K#246;chin folgte ihr auf den Fersen.


Lavendel

Mitten in der ersten Woche von Matildas erstem Schuljahr sagte Fr#228;ulein Honig zur Klasse:

«Ich habe einige wichtige Mitteilungen f#252;r euch, h#246;rt also genau zu. Du auch, Matilda. Leg das Buch einen Augenblick beiseite und pa#223; mit auf.»

Lauter kleine emsige Gesichter schauten auf, und alle h#246;rten zu.

«Es ist die Gewohnheit der Schulleiterin», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «die Klasse in jeder Woche f#252;r eine Schulstunde zu #252;bernehmen. Sie macht das in allen Klassen in der Schule, und jede Klasse kommt an einem ganz bestimmten Tag und zu einer ganz bestimmten Zeit an die Reihe. Bei uns ist das immer zwei Uhr am Donnerstagnachmittag, unmittelbar nach dem Mittagessen. Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh wird also morgen um zwei eine Stunde von mir #252;bernehmen. Ich werde selbstverst#228;ndlich auch dasein, aber nur als stumme Zuh#246;rerin, habt ihr das verstanden?»

«Ja, Fr#228;ulein Honig», zirpten sie.

«Noch eine Warnung f#252;r euch alle», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «die Frau Rektorin ist mit allem sehr streng. Achtet also darauf, da#223; eure Kleider sauber sind, da#223; eure Gesichter sauber sind und da#223; eure H#228;nde sauber sind. Redet nur, wenn ihr angesprochen werdet. Wenn sie euch eine Frage stellt, so steht auf, bevor ihr die Antwort gebt. La#223;t euch nie auf einen Streit mit ihr ein. Widersprecht ihr niemals. Versucht niemals, witzig zu sein. Das macht sie #228;rgerlich, und wenn die Frau Rektorin #228;rgerlich wird, m#252;#223;t ihr ganz geh#246;rig auf der Hut sein.»

«Das kann man wohl sagen», murmelte Lavendel.

«Ich bin fest davon #252;berzeugt», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «da#223; sie pr#252;fen wird, was ihr in dieser Woche habt lernen sollen, n#228;mlich das Einmalzwei. Ich rate euch also dringend, es noch einmal sch#246;n zu #252;ben, wenn ihr nachher zu Hause seid. Bittet eure Mutter oder euren Vater, euch abzuh#246;ren.»



«Worin wird sie uns denn noch pr#252;fen?» erkundigte sich jemand.

«Im Buchstabieren», antwortete Fr#228;ulein Honig. «Versucht euch gut an alles zu erinnern, was ihr in diesen letzten paar Tagen gelernt habt. Und noch etwas. Es mu#223; hier immer ein Krug Wasser und ein Glas auf dem Tisch stehen, wenn die Frau Rektorin eintritt. Ohne das erteilt sie niemals Unterricht. Wer will also die Verantwortung #252;bernehmen und darauf achten, da#223; alles vorhanden ist?»

«Ich», antwortete Lavendel sofort.

«Sehr gut, Lavendel», sagte Fr#228;ulein Honig, «es wird nun deine Aufgabe sein, kurz vor Beginn der Stunde in die K#252;che zu gehen und den Krug zu holen und mit Wasser zu f#252;llen und hier auf diesen Tisch neben ein sauberes leeres Glas zu stellen.»

«Und was, wenn der Krug nicht in der K#252;che ist?» erkundigte sich Lavendel.

«Es gibt in der K#252;che Dutzende von Kr#252;gen und Gl#228;sern, die der Frau Rektorin geh#246;ren», antwortete Fr#228;ulein Honig, «sie werden #252;berall in der Schule gebraucht.»

«Ich werde es nicht vergessen», sagte Lavendel. «Ich verspreche, da#223; ich es nicht vergesse.»

Schon begann Lavendels planender Verstand sich mit den M#246;glichkeiten zu befassen, die sich durch diese Wasserkrugsache f#252;r sie er#246;ffneten. Sie war ganz versessen darauf, eine wahre Heldentat zu vollbringen. Sie betete das #228;ltere M#228;dchen Hortensia fast an wegen seiner wagemutigen Streiche, die es hier in der Schule gespielt hatte. Sie bewunderte auch Matilda, die ihr unter dem Siegel der Verschwiegenheit von der Papageiengeschichte erz#228;hlt hatte, die sie zu Hause durchgef#252;hrt hatte, und auch von dem gro#223;en Haarwasserstreich, dem ihr Vater die blonden Haare verdankt hatte. Jetzt war sie an der Reihe, eine Heldin zu werden, sie mu#223;te sich nur einen fabelhaften Plan zurechtlegen.

Als sie an diesem Nachmittag von der Schule nach Hause ging, begann sie die verschiedenen M#246;glichkeiten zu erw#228;gen, und als sie schlie#223;lich den Keim einer blendenden Idee erwischte, hegte und pflegte sie ihn, lie#223; ihn wachsen und gedeihen und arbeitete ihren Schlachtplan genauso sorgf#228;ltig aus wie der Herzog von Wellington vor der Schlacht von Waterloo. Wenn der Feind in diesem Fall auch nicht Napoleon war, so h#228;tte man in Mahlheim Hall doch keinen getroffen, der zugegeben h#228;tte, da#223; die Schulleiterin ein weniger gef#228;hrlicher Gegner als der ber#252;hmte Franzose w#228;re. Lavendel sagte sich, da#223; sie mit gro#223;em Geschick vorgehen und tiefes Schweigen bewahren m#252;#223;te, wenn sie diese Unternehmung bei lebendigem Leibe #252;berstehen wollte.

Am Ende von Lavendels Garten gab es einen verschlammten Teich, der eine Kolonie von Wassermolchen beherbergte. Der Molch, obgleich in englischen Teichen und Seen recht verbreitet, zeigt sich den Menschen nur selten, weil er ein scheues Gesch#246;pf ist, das im Schatten lebt. Er ist ein unbeschreiblich h#228;#223;liches Tier, sieht eklig aus, ungef#228;hr wie ein Krokodilbaby, nur mit einem k#252;rzeren Kopf. Er ist vollkommen harmlos, was man ihm aber nicht ansieht. Er ist etwa zwanzig Zentimeter lang und ziemlich glitschig, die Haut auf seinem R#252;cken ist gr#252;nlichgrau und die unten auf dem Bauch orangefarben. Er geh#246;rt, ganz korrekt gesagt, zu den Amphibien, die im Wasser und auf dem Trockenen leben k#246;nnen.

An diesem Abend ging Lavendel hinten in den Garten und war fest entschlossen, einen Molch zu fangen. Molche sind sehr flinke Tiere, und sie lassen sich nicht leicht erwischen.

Lavendel lag lange Zeit auf der Lauer und wartete geduldig, bis sie einen wahren Mordskerl ausmachte. Da schlug sie zu, indem sie ihren Schulhut als Fangnetz benutzte, und erwischte den Molch. Sie hatte ihren Griffelkasten schon vorsorglich als Beh#228;ltnis f#252;r das Tier mit Gras ausgef#252;ttert, stellte nun aber fest, da#223; es gar nicht so einfach war, den Molch aus dem Hut und in den Griffelkasten zu bugsieren. Er zippelte und zappelte wie Quecksilber, und der Kasten war nur so lang, da#223; er gerade hineinpa#223;te. Als sie ihn schlie#223;lich drinnen hatte, mu#223;te sie aufpassen, da#223; sie ihm den Schwanz nicht einklemmte, als sie den Deckel zuschob. Ein Junge in der Nachbarschaft, der Rupert Einwinkel hie#223;, hatte ihr erz#228;hlt, da#223; der abgehackte Schwanz eines Molches lebendig blieb und aus sich heraus einen neuen Molch wachsen lie#223;, der zehnmal gr#246;#223;er war als der erste. Er konnte ganz gut so gro#223; wie ein Alligator werden. Lavendel glaubte das zwar nicht ganz, wollte jedoch dieses Risiko vermeiden.

Schlie#223;lich gelang es ihr, den Deckel des Griffelkastens richtig zuzuschieben, und damit hatte sie den Molch. Dann fiel ihr aber etwas ein, und sie schob den Deckel ein winziges bi#223;chen auf, damit das Tier auch atmen konnte.



Am n#228;chsten Tag transportierte sie ihre Geheimwaffe im Ranzen in die Schule. Sie platzte fast vor Aufregung. Sie h#228;tte am liebsten Matilda in ihren ganzen Schlachtplan eingeweiht. Am allerliebsten h#228;tte sie es der ganzen Klasse erz#228;hlt. Aber sie kam schlie#223;lich zu dem Entschlu#223;, keinem etwas zu sagen. So war es besser, denn dann konnte keinem ihr Name entschl#252;pfen, selbst wenn die h#228;rteste Folter angewandt wurde.

So kam die Zeit f#252;r die Mittagspause. Es gab heute W#252;rstchen und gebackene Bohnen, Lavendels Lieblingsessen, aber sie konnte keinen Bissen herunterbringen.

«Geht’s dir nicht gut, Lavendel?» fragte Fr#228;ulein Honig vom Tischende.

«Ich hab so viel gefr#252;hst#252;ckt», antwortete Lavendel, «ich kann wirklich noch nichts wieder essen.»

Sofort nach dem Essen st#252;rzte sie in die K#252;che und nahm sich einen der ber#252;hmten Kn#252;ppelkuh-Kr#252;ge. Es war ein gro#223;es dickes Ding aus blauglasiertem Steingut. Lavendel f#252;llte den Krug halb mit Wasser voll, trug ihn mit einem Glas ins Klassenzimmer und stellte ihn auf den Lehrertisch. Blitzgeschwind holte Lavendel ihren Griffelkasten aus dem Ranzen und schob den Deckel nur ein klitzekleines bi#223;chen auf. Der Wassermolch lag reglos da. Da hob sie den Kasten mit gro#223;er Vorsicht #252;ber die Schnauze des Kruges, zog den Deckel ganz und gar auf und kippte den Molch hinein. Es platschte, als er im Wasser landete, und dann fuhr er ein paar Sekunden lang wie wild herum, ehe er sich in dem Krug einrichtete. Und damit er sich dort auch richtig wie zu Hause f#252;hlte, beschlo#223; Lavendel, ihm auch das Gr#252;nzeug aus dem Griffelkasten ins Wasser zu geben.



Damit war die Tat getan. Alles war fertig und vorbereitet. Lavendel packte ihre Bleistifte wieder in den ziemlich feuchten Griffelkasten und stellte diesen auf seinen angestammten Platz auf ihrem eigenen Pult. Dann lief sie hinaus und gesellte sich zu den anderen auf dem Schulhof, bis es Zeit f#252;r die n#228;chste Unterrichtsstunde war.


Wochenpr#252;fung

Schlag zwei Uhr versammelte sich die Klasse wieder, Fr#228;ulein Honig eingeschlossen, die sich davon #252;berzeugte, da#223; der Wasserkrug und das Glas an ihrem Platz standen. Dann nahm sie den ihren ein und stellte sich hinten in das Zimmer. Und schon nahte die gewaltige Gestalt der Schulleiterin in ihrem geg#252;rteten Kittel und den gr#252;nen Kniehosen und marschierte herein.

«Guten Tag, Kinder», bellte sie.

«Guten Tag, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh», zirpten sie.

Die Schulleiterin stellte sich vor der Klasse auf, Beine gespreizt, H#228;nde auf den H#252;ften, und funkelte die kleinen Buben und M#228;dchen an, die voller Unruhe vor ihr an ihren Pulten sa#223;en.

«Kein sehr erfreulicher Anblick», sagte sie. Ihre Miene dr#252;ckte tiefsten Ekel aus, als ob sie etwas betrachtete, was ein Hund mitten auf dem Fu#223;boden erledigt hatte. «Was seid ihr nur f#252;r eine Horde von kotzw#252;rdigen kleinen Kr#246;psen.»

Alle waren vern#252;nftig genug, um mucksm#228;uschenstill zu bleiben.

«Ich m#246;chte mich #252;bergeben», fuhr sie fort, «wenn ich nur daran denke, da#223; ich mich in den n#228;chsten sechs Jahren mit so einem Haufen M#252;ll in meiner Schule befassen mu#223;, wie ihr es seid. Aber ich werde schon daf#252;r sorgen, da#223; m#246;glichst viele rausfliegen, und zwar ein bi#223;chen pl#246;tzlich, sonst w#228;r’s ja nicht zum Aushalten.» Sie hielt inne und schnaubte ein paarmal. Das war ein merkw#252;rdiges Ger#228;usch. Man kann die gleichen T#246;ne h#246;ren, wenn man einmal beim F#252;ttern durch einen Pferdestall geht. «Ich nehme an», fuhr sie fort, «da#223; euch eure M#252;tter und V#228;ter einblasen, ihr w#228;ret wunderbar. Also, ich bin hier, um euch das Gegenteil zu sagen, und ihr solltet lieber mir glauben. Alle Mann aufgestanden!»

Sie stellten sich geschwind auf ihre F#252;#223;e.

«Jetzt die H#228;nde nach vorne gestreckt. Und wenn ich an euch vorbeigehe, dann w#252;nsche ich, da#223; ihr sie umdreht, damit ich pr#252;fen kann, ob sie von beiden Seiten sauber sind.»

Die Kn#252;ppelkuh begann einen langsamen Marsch zwischen den Bankreihen hindurch und inspizierte die H#228;nde. Alles ging gut, bis sie zu einem kleinen Jungen in der zweiten Reihe kam.

«Dein Name?» bellte sie.

«Nigel», antwortete der Junge.

«Nigel was?»

«Nigel Hicks», sagte der Junge.

«Nigel Hicks was?» bellte die Kn#252;ppelkuh. Sie bellte so laut, da#223; sie den kleinen Kerl fast durchs Fenster gepustet h#228;tte.

«Das ist alles», antwortete Nigel, «au#223;er Sie wollen meinen zweiten Vornamen auch noch wissen.» Er war ein tapferer kleiner Junge, und man konnte sehen, da#223; er versuchte, sich nicht in Angst und Schrecken versetzen zu lassen von der Menschenfresserin, die da vor ihm aufragte.

«Ich bin nicht im geringsten an deinem zweiten Vornamen interessiert, du Wanze!» bellte die Menschenfresserin. «Wie lautet mein Name?»

«Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh», antwortete Nigel.

«Dann benutz ihn gef#228;lligst, wenn du mit mir sprichst! Also los, wollen wir es noch mal versuchen. Wie hei#223;t du?»

«Nigel Hicks, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh», entgegnete Nigel.

«Schon besser», knurrte die Kn#252;ppelkuh. «Deine H#228;nde starren vor Dreck, Nigel! Wann hast du sie das letzte Mal gewaschen?»

«Also, da mu#223; ich mal nachdenken», sagte Nigel. «Es ist ziemlich schwer, sich genau daran zu erinnern. Es k#246;nnte gestern gewesen sein, oder vielleicht auch vorgestern.»

Der ganze K#246;rper der Kn#252;ppelkuh samt ihrem Gesicht schienen so anzuschwellen, als ob sie jemand mit der Fahrradpumpe aufgepumpt h#228;tte. «Wu#223;te ich’s doch!» bellte sie. «Ein Blick auf dich, und ich hab genau gewu#223;t, da#223; du nichts als ein St#252;ck Dreck bist. Was tut dein Vater, karrt er den M#252;ll weg?»



«Er ist Arzt», antwortete Nigel, «und ein richtig guter. Er sagt, wir sind alle miteinander so voll von Bazillen, da#223; einem ein bi#223;chen Extradreck auch nicht viel schadet.»

«Da bin ich nur froh, da#223; er nicht mein Hausarzt ist», sagte die Kn#252;ppelkuh. «Und wenn ich fragen d#252;rfte, warum klebt dir eine gebackene Bohne vorne am Hemd?»

«Die gab’s zu Mittag, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh.»

«Und schmierst du dir immer dein Mittagessen vorne aufs Hemd, Nigel? Hat dir das dein ber#252;hmter Arzt-Vater beigebracht?»

«Gebackene Bohnen lassen sich schlecht essen, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. Sie fallen mir immer von der Gabel.»

«Du bist ekelhaft!» fauchte die Kn#252;ppelkuh. «Du bist eine wandelnde Bazillenfabrik! Ich w#252;nsche nicht, dich heute noch einmal zu sehen. Los, stell dich in die Ecke, und zwar auf einem Bein und mit dem Gesicht zur Wand!»

«Aber Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh...»

«Keine Widerworte, Junge. Sonst la#223; ich dich Kopfstand machen! Also tu, was ich dir gesagt habe!»

Nigel schlich davon.

«Jetzt bleib, wo du bist, Junge, w#228;hrend ich deine Rechtschreibung pr#252;fe, um zu sehen, ob du in dieser Woche #252;berhaupt etwas gelernt hast. Und dreh dich nicht um, wenn du mit mir sprichst. La#223; dein scheu#223;liches kleines Gesicht an der Wand. Und jetzt los, buchstabier Pferd.»

«Welches denn?» fragte Nigel. «Das, was der Wagen tut, oder das, was den Wagen zieht?» Er war zuf#228;llig ein ungew#246;hnlich aufgewecktes Kind, und seine Mutter hatte ihm schon zu Hause ziemlich viel Lesen und Schreiben beigebracht.

«Das, was den Wagen zieht, du Holzkopf!»

Nigel buchstabierte das Wort fehlerfrei, was die Kn#252;ppelkuh verbl#252;ffte. Sie hatte sich eingebildet, sie h#228;tte ihm ein Wort mit besonders vielen Fu#223;fallen gegeben, eins, das er vielleicht noch gar nicht gehabt hatte, und es verdarb ihr die Laune, da#223; er die Aufgabe richtig gel#246;st hatte.

Da sagte Nigel, der immer noch auf einem einzigen Bein balancierte und die Klassenwand anschaute: «Fr#228;ulein Honig hat uns gestern beigebracht, ein ganz langes neues Wort zu buchstabieren.»



«Und was ist das f#252;r ein Wort gewesen?» fragte die Kn#252;ppelkuh mit milder Stimme. Je milder ihre Stimme wurde, desto gr#246;#223;er wurde die Gefahr. Aber das konnte Nigel noch nicht wissen.

«Kapuziner», antwortete Nigel, «jetzt k#246;nnen alle in der Klasse Kapuziner buchstabieren.»

«Was f#252;r ein Unfug!» bemerkte die Kn#252;ppelkuh. «So lange W#246;rter sollt ihr fr#252;hestens mit acht oder neun lernen. Du kannst mir also nicht vormachen, da#223; jeder in der Klasse dieses Wort buchstabieren kann. Du l#252;gst mir ins Gesicht, Nigel.»

«Fragen Sie doch wen», sagte Nigel in einem Anfall von Tollk#252;hnheit, «fragen Sie, wen Sie wollen.»

Die gef#228;hrlich glitzernden Augen der Kn#252;ppelkuh wanderten gem#228;chlich durch die Klasse. «Du», sagte sie und deutete auf ein winziges und ziemlich d#228;mliches kleines M#228;dchen namens Paula, «buchstabier Kapuziner.»

Verbl#252;ffenderweise buchstabierte Paula das Wort wie aus der Pistole geschossen und ohne einen Fehler.

Die Kn#252;ppelkuh war v#246;llig baff. «Hm», schnaubte sie, «soll ich also annehmen, da#223; Fr#228;ulein Honig eine ganze Unterrichtsstunde vergeudet hat, nur um euch beizubringen, wie man ein einziges Wort buchstabiert?»



«O nein, ganz und gar nicht», piepste Nigel. «Fr#228;ulein Honig hat es uns in drei Minuten so beigebracht, da#223; wir es nie wieder vergessen. Sie hat uns viele W#246;rter in drei Minuten beigebracht.»

«Und worin beruht diese Zaubermethode, Fr#228;ulein Honig?» fragte die Schulleiterin.

«Ich werd’s Ihnen vormachen», piepste wieder der tapfere Nigel, um Fr#228;ulein Honig zu retten. «Darf ich bitte mein Bein wieder runternehmen und mich umdrehen, wenn ich’s Ihnen vormache?»

«Weder noch!» fuhr ihn die Kn#252;ppelkuh an. «Bleib wie du bist und wo du bist und mach’s mir trotzdem vor.»

«Na sch#246;n», antwortete Nigel, der wie betrunken auf seinem einen Bein hin und her schwankte. «Fr#228;ulein Honig bringt uns zu jedem Wort ein kleines Liedchen bei, und dann singen wir’s alle zusammen und haben im Handumdrehen das Buchstabieren gelernt. M#246;chten Sie vielleicht gerne unser Kapuziner-Lied h#246;ren?»

«Ich kann mich kaum zur#252;ckhalten», s#228;uselte die Kn#252;ppelkuh mit einer Stimme, die vor Hohn und Spott nur so triefte.

«Das geht so», sagte Nigel:


«K, a – ka

p, u – pu

apu – kapu – z

apuziner Kapuziner –

Das ist nett.


So buchstabiert man Kapuziner.»

«So etwas Idiotisches!» schnaubte die Kn#252;ppelkuh. «Und so ein Durcheinander! Au#223;erdem sollt ihr keine Gedichte lernen, wenn Rechtschreibung auf dem Stundenplan steht. Das wird in Zukunft gestrichen, Fr#228;ulein Honig.»

«Aber es hilft ihnen so gut, einige von den schwereren W#246;rtern richtig zu behalten», murmelte Fr#228;ulein Honig.

«Keine Widerworte, Fr#228;ulein Honig», donnerte die Schulleiterin. «Sie tun, was ich Ihnen sage! Ich werde die Klasse jetzt im Malnehmen pr#252;fen, mal sehen, ob Fr#228;ulein Honig imstande gewesen ist, euch wenigstens in dieser Hinsicht etwas beizubringen.» Die Kn#252;ppelkuh hatte wieder ihren Platz vor der Klasse eingenommen, und ihr teuflischer Blick schweifte langsam durch die Reihen ihrer kleinen Sch#252;ler. «Du!» bellte sie und deutete auf einen kleinen Jungen namens Rupert in der ersten Reihe. «Wieviel ist zwei mal sieben?»

«Sechzehn», antwortete Rupert dummerweise, ohne richtig dar#252;ber nachzudenken.

Die Kn#252;ppelkuh begann sich langsam und auf leisen F#252;#223;en an Rupert anzuschleichen wie eine Tigerin, die ein kleines Beutetier gewittert hat. Rupert wurde sich pl#246;tzlich der drohenden Gefahr bewu#223;t und versuchte, sich schnell zu verbessern. «Achtzehn!» schrie er. «Zwei mal sieben ist achtzehn, nicht sechzehn!»

«Du schwachsinnige kleine Schnecke!» zischte die Kn#252;ppelkuh. «Du hirnloser Hornochse! Du hohlk#246;pfiger Hamster! Du dummerhaftiger Dreckskerl!» Sie hatte sich unterdessen direkt hinter Rupert aufgepflanzt, und pl#246;tzlich streckte sie eine Hand von der Gr#246;#223;e eines Tennisschl#228;gers aus und grub die Finger in Ruperts Haare. Rupert hatte einen #252;ppigen goldblonden Haarschopf, der seiner Mutter so gut gefiel, da#223; sie ihn hegte und pflegte und zu ihrem eigenen Entz#252;cken relativ lang wachsen lie#223;. Der Kn#252;ppelkuh waren nun langhaarige Knaben ebenso zuwider wie M#228;dchen mit Z#246;pfen und Rattenschw#228;nzen, und sie schickte sich an, diesen Widerwillen praktisch zu beweisen. Sie ballte ihre gewaltige Faust fest in Ruperts langen goldenen Locken und hob ihren muskelstrotzenden rechten Arm, so da#223; der hilflose Junge schwups aus seiner Bank gehoben wurde und in der Luft schwebte.

Rupert schrie. Er zappelte und strampelte, fuhr mit den F#252;#223;en in der Luft herum und kreischte wie ein abgestochenes Schwein, w#228;hrend Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh r#246;hrte: «Zwei mal sieben ist vierzehn! Zwei mal sieben ist vierzehn! Ich la#223; dich nicht los, bis du das kapiert hast!»



Aus dem Hintergrund der Klasse rief Fr#228;ulein Honig: «Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh! Lassen Sie ihn bitte los! Sie tun ihm doch weh! Sie k#246;nnen ihm die Haare ausrei#223;en!»

«Und ob das passieren kann, wenn er so weiter zappelt!» schnaubte die Kn#252;ppelkuh. «Halt still, du winselnder Wurm!»

Es war wirklich ein ganz au#223;erordentlicher Anblick, wie diese riesenhafte Lehrerin den kleinen Jungen hoch in der Luft baumeln lie#223;, w#228;hrend dieser wie ein H#228;ufchen Ungl#252;ck am Ende einer Strippe zu h#228;ngen und sich um sich selbst zu drehen schien und sich dabei die Seele aus dem Leibe schrie.

«Sprich mir nach!» bellte die Kn#252;ppelkuh. «Sag, zwei mal sieben ist vierzehn! Und ein bi#223;chen Beeilung, sonst fang ich an, dich auf- und abzusch#252;tteln, und dann rei#223;en dir die Haare wahrscheinlich wirklich aus, und das wird reichen, um ein ganzes Sofa damit zu polstern. Also vorw#228;rts, Junge! Sag, zwei mal sieben ist vierzehn, dann la#223; ich dich los!»

«Zweizweizwei... zwei mal siesie... sieben ist viervier... vierzehn», keuchte Rupert, woraufhin die Kn#252;ppelkuh, getreu ihrem Versprechen, einfach die Faust #246;ffnete und ihn buchst#228;blich loslie#223;. Er hatte noch ziemlich hoch #252;ber dem Boden geschwebt, als sie ihn befreite, und er st#252;rzte ab, knallte auf den Boden und prallte wie ein Fu#223;ball ab und in die H#246;he.

«Stell dich hin und h#246;r auf zu heulen!» befahl die Kn#252;ppelkuh.

Rupert stand auf und ging zu seinem Pult zur#252;ck, wobei er sich mit beiden H#228;nden den Sch#228;del rieb. Die Kn#252;ppelkuh baute sich wieder vor der Klasse auf. Die Kinder sa#223;en wie gebannt. So etwas hatten sie noch nie erlebt. Das war eine fabelhafte Vorstellung, viel besser als eine Pantomime, allerdings mit einem gro#223;en Unterschied. Hier in diesem Zimmer ragte eine gewaltige menschliche Bombe vor ihnen auf, die in jedem Augenblick explodieren und irgendeinen in der Luft zerrei#223;en konnte. Die Kinder lie#223;en die Schulleiterin nicht aus den Augen. «Kleine Leute kann ich nicht ausstehen», sagte sie gerade, «kleine Leute sollten unsichtbar bleiben. Man sollte sie wie Haarnadeln und Kn#246;pfe in K#228;sten sperren. Aus den Augen, aus dem Sinn. Mir ist wirklich schleierhaft, warum Kinder so lange zum Wachsen brauchen. Ich werd das Gef#252;hl nicht los, da#223; sie mit Absicht so herumtr#246;deln.»

Ein zweiter tollk#252;hner kleiner Junge in der ersten Bank ergriff das Wort und sagte: «Aber Sie sind doch sicher auch einmal ein kleines Kind gewesen, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh, nicht wahr?»

«Ich bin niemals klein gewesen», fuhr sie ihn an, «ich bin immer schon gro#223; gewesen, mein ganzes Leben lang. Und ich seh nicht ein, warum die andern das nicht genauso k#246;nnen.»

«Aber Sie m#252;ssen doch auch als S#228;ugling angefangen haben», sagte der Junge.

«Ich! Ein S#228;ugling!» schrie die Kn#252;ppelkuh. «Wie kannst du es nur wagen, so etwas zu behaupten! Was f#252;r eine Frechheit! Was f#252;r eine infernalische Ignoranz! Wie hei#223;t du, Junge? Und steh auf, wenn du mit mir sprichst!»

Der Junge stand auf. «Mein Name ist Erich Tinte, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh», antwortete er.

«Erich was?» rief die Kn#252;ppelkuh.

«Tinte», sagte der Junge.

«Benimm dich nicht so albern, Junge! So hei#223;t man nicht!»

«Sie brauchen nur im Telefonbuch nachzuschlagen», sagte Erich, «da finden Sie meinen Vater unter Tinte.»

«Na gut», sagte die Kn#252;ppelkuh, «dann hei#223;t du also Tinte, junger Mann, aber ich will dir mal etwas verraten. In der Tinte sitzt du schon, und ich werd dich in die Tinte tauchen, wenn du noch einmal versuchst, derartig unversch#228;mt zu sein. Buchstabiere Grie#223;.»

«Dies?» stotterte Erich. «Was denn, wen denn?»

«Grie#223;, du Idiot, nicht dies! Also: Buchstabier Grie#223;!»

«G... R... I... S», antwortete Erich ein wenig zu hastig.

Ein unheilschwangeres Schweigen breitete sich aus.

«Du kannst es noch einmal versuchen», sagte die Kn#252;ppelkuh, ohne sich zu regen.

«Ach ja, ich wei#223; schon», sagte Erich. «Da mu#223; noch ein E rein. G...R...I...E...S. Das ist ja ganz klar.»

Mit zwei gewaltigen Schritten stand die Kn#252;ppelkuh hinter Erichs Pult und blieb dort stehen, eine Salzs#228;ule, die wie das r#228;chende Schicksal selbst #252;ber dem hilflosen Jungen aufragte.

Erich warf #252;ber die Schulter einen #228;ngstlichen Blick auf das Ungeheuer. «Es war doch richtig, nicht?» murmelte er unruhig.

«Falsch war’s!» kr#228;chzte die Kn#252;ppelkuh. «Du scheinst mir eine von diesen pickeligen Pockennarben zu sein, die alles falsch machen! Du sitzt falsch! Du siehst falsch aus! Du redest falsch! Du bist am ganzen Leibe falsch! Ich geb dir noch eine allerletzte Gelegenheit, es richtig zu machen. Los, buchstabier Grie#223;!»

Erich z#246;gerte. Dann sagte er sehr langsam: «Es ist nicht G...R...I...S, und es ist auch nicht G...R...I...E...S. Aha, ich wei#223; schon. Es mu#223; also G...R...I...E...Z sein.»

Die Kn#252;ppelkuh, die immer noch hinter Erich stand, griff sich den Jungen bei seinen beiden Ohren, wobei sie mit jeder Hand eines packte und sie zwischen Daumen und Zeigefinger zwickte und zwirbelte.

«Auatsch», rief Erich, «aua! Sie tun mir weh!»

«Damit hab ich noch gar nicht angefangen», sagte die Kn#252;ppelkuh kurz angebunden. Bei diesen Worten packte sie ihn noch fester bei den Ohren, hob ihn buchst#228;blich von seinem Platz und lie#223; ihn in der Luft schweben.



Erich heulte genauso auf wie vor ihm Rupert und schrie, da#223; die W#228;nde wackelten.

Aus dem Hintergrund des Klassenraums rief Fr#228;ulein Honig:

«Nicht doch, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh! Lassen Sie ihn bitte wieder los! Sie rei#223;en ihm ja die Ohren ab!»

«Die rei#223;en nicht ab», rief die Kn#252;ppelkuh zur#252;ck, «darin hab ich eine lange Erfahrung, Fr#228;ulein Honig, und ich habe festgestellt, da#223; den kleinen Jungen die Ohren ziemlich fest am Sch#228;del sitzen.»

«Lassen Sie ihn los, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh, bitte», bat Fr#228;ulein Honig, «Sie k#246;nnten ihn verletzen, ganz bestimmt. Sie k#246;nnten sie ihm abrei#223;en!»

«Ohren sitzen bombenfest!» rief die Kn#252;ppelkuh. «Sie ziehen sich ganz erstaunlich in die L#228;nge, wie es diese jetzt schon tun, aber abrei#223;en, das kann ich Ihnen versichern, abrei#223;en werden sie nie.»

Erich heulte noch lauter als zuvor und strampelte mit den Beinen in der Luft.

Matilda hatte noch niemals einen Jungen oder #252;berhaupt einen Menschen gesehen, der nur an den Ohren in der Luft hing. Sie war genauso wie Fr#228;ulein Honig fest davon #252;berzeugt, da#223; die Ohren durch das Gewicht, das an ihnen zog, in jedem Augenblick abrei#223;en mu#223;ten.

Die Kn#252;ppelkuh schrie: «Das Wort Grie#223; wird G...R...I... E... S... Z geschrieben. Buchstabier’s mir nach, du L#252;mmel.»

Erich z#246;gerte keine Sekunde.

Er hatte aus dem, was er vor ein paar Minuten bei Rupert beobachtet hatte, sofort die Lehre gezogen: Je schneller man antwortet, desto schneller wird man befreit. «Grie#223; buchstabiert man: G...R...I...E...S...Z», heulte er.

Die Kn#252;ppelkuh senkte ihn an beiden Ohren wieder auf seinen Platz hinter dem Pult. Dann marschierte sie vor die Klasse zur#252;ck und klopfte sich die H#228;nde ab, als ob sie gerade etwas Schmutziges angefa#223;t h#228;tte.

«So bringt man sie zum Lernen, Fr#228;ulein Honig», bemerkte sie. «Glauben Sie mir, es hat #252;berhaupt keinen Zweck, wenn man es ihnen nur vorpredigt. Man mu#223; es ihnen richtiggehend einbleuen. Es geht nichts #252;ber ein paar Kniffe und P#252;ffe. Das hilft ihrem Ged#228;chtnis auf die Spr#252;nge. Das bringt sie dazu, sich pr#228;chtig zu konzentrieren.»

«Sie k#246;nnten ihnen aber einen bleibenden Schaden zuf#252;gen, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh», rief Fr#228;ulein Honig aus.

«Das hab ich ganz bestimmt schon getan», antwortete die Kn#252;ppelkuh mit einem Grinsen. «In den letzten paar Minuten haben sich Erichs Ohren todsicher ein betr#228;chtliches St#252;ck gedehnt. Sie sind jetzt ein ganzes St#252;ck l#228;nger als vorher. Aber das ist nicht schlimm, Fr#228;ulein Honig. Es wird ihm f#252;r den Rest seines Lebens eine hochinteressante #196;hnlichkeit mit einem Gartenzwerg geben.»

«Aber Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh...»

«Ach, halten Sie doch die Klappe, Fr#228;ulein Honig! Sie sind genauso ein Jammerlappen wie die anderen. Wenn Sie hier mit Ihrer Arbeit nicht zu Rande kommen, dann k#246;nnen Sie ja k#252;ndigen und sich in irgendeiner windelweichen Privatschule f#252;r verzogene reiche Fratzen eine neue Stellung suchen. Wenn Sie erst einmal so lange unterrichtet haben wie ich, dann werden Sie schon merken, da#223; es #252;berhaupt keinen Sinn hat, zu Kindern freundlich zu sein. Lesen Sie einmal ‹Nicholas Nickleby›, Fr#228;ulein Honig, von Charles Dickens. Lesen Sie von diesem bewundernsw#252;rdigen Schulleiter von Dotheboys Hall. Der hat gewu#223;t, wie man mit diesen kleinen Verbrechern umspringen mu#223;, das kann man wohl sagen! Er hat genau gewu#223;t, wie man die Birkenrute zu benutzen hat, das kann man erst recht behaupten! Er hat ihre Hinterteile immer so gl#252;hend warm gehalten, da#223; man sich ein Spiegelei mit Speck darauf h#228;tte braten k#246;nnen. Wirklich, ein hervorragendes Buch. Aber ich glaube nicht, da#223; diese Horde von Hohlk#246;pfen, die hier vor uns versammelt sind, es jemals lesen k#246;nnen wird, denn so wie die aussehen, werden sie #252;berhaupt nicht lesen lernen.»

«Ich hab’s gelesen», sagte Matilda in aller Seelenruhe.

Die Kn#252;ppelkuh fuhr mit dem Kopf herum und musterte das kleine M#228;dchen mit den dunklen Haaren und den tiefbraunen Augen, das in der zweiten Reihe sa#223;, genau und gr#252;ndlich. «Was hast du gesagt?» fragte sie scharf.

«Ich habe gesagt, ich hab’s gelesen, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh.»

«Was gelesen?»

«‹Nicholas Nickleby›, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh.»

«Du l#252;gst mir ins Gesicht, mein Fr#228;ulein!» schrie die Kn#252;ppelkuh und glotzte Matilda an. «Ich bezweifle stark, da#223; es in der gesamten Schule auch nur ein einziges Kind gibt, das dieses Buch gelesen hat, und dann willst du hier, noch nicht trocken hinter den Ohren und in der untersten Klasse, mir so einen ungeheuerlichen B#228;ren aufbinden! Was bildest du dir denn ein? Du mu#223;t mich ja f#252;r eine Idiotin halten! H#228;ltst du mich f#252;r eine Idiotin, Kind?»

«Also...» begann Matilda, z#246;gerte dann jedoch. Sie h#228;tte am liebsten gesagt: ‹Ja, und ob ich das tue›, aber das w#228;re Selbstmord gewesen. «Also...» wiederholte sie immer noch widerstrebend, immer noch nicht willens, einfach ‹nein› zu sagen.

Die Kn#252;ppelkuh ahnte, was im Kopf des Kindes vorging, und das behagte ihr gar nicht. «Steh auf, wenn du mit mir redest», fauchte sie. «Wie hei#223;t du?»

Matilda stand auf und antwortete: «Mein Name ist Matilda Wurmwald, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh.»

«Aha, Wurmwald?» wiederholte die Kn#252;ppelkuh. «In diesem Fall mu#223;t du die Tochter des Mannes sein, dem die Wurmwald-Werkstatt geh#246;rt.»

«Ja, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh!»

«Das ist vielleicht ein Gauner!» schrie die Kn#252;ppelkuh. «Vor einer Woche hat er mir einen Gebrauchtwagen verkauft und behauptet, er w#228;re so gut wie neu. Da hab ich ihn noch f#252;r einen schlauen Kerl gehalten. Aber als ich heute fr#252;h durch die Stadt gefahren bin, ist mir der ganze Motor aus dem Auto und auf die Stra#223;e gefallen. War voll bis obenhin mit S#228;gesp#228;nen! Dieser Mann ist ein Dieb und ein R#228;uber! Ich werde ihm das Fell #252;ber die Ohren ziehen lassen, darauf kannst du dich verlassen!»



«Er ist ein guter Gesch#228;ftsmann, sehr gescheit!» sagte Matilda.

«Gescheit! Da#223; ich nicht lache!» br#252;llte die Kn#252;ppelkuh. «Fr#228;ulein Honig hat mir gesagt, da#223; du auch gescheit sein sollst! Also, mein Fr#228;ulein, gescheite Leute kann ich ganz und gar nicht ausstehen! Heimt#252;cker sind das alle! Und du bist ganz bestimmt eine Heimt#252;ckerin! Bevor ich mich mit deinem Vater erz#252;rnt habe, hat er mir ein paar ziemlich h#228;#223;liche Geschichten #252;ber dein h#228;usliches Benehmen erz#228;hlt! Da#223; du mir ja nicht versuchst, hier in dieser Schule so etwas anzustellen, junge Dame. Ich werde von jetzt an ein wachsames Auge auf dich haben. Setz dich hin und halt den Mund.»


Das erste Wunder

Matilda nahm wieder an ihrem Pult Platz, und die Kn#252;ppelkuh lie#223; sich hinter dem Lehrertisch nieder. Es war das erste Mal, da#223; sie sich in dieser Stunde hingesetzt hatte. Als n#228;chstes streckte sie die Hand aus und griff nach ihrem Wasserkrug. W#228;hrend sie ihn festhielt, aber noch nicht anhob, sagte sie: «Ich habe nie begreifen k#246;nnen, warum kleine Kinder so widerw#228;rtig sind. Sie sind der Nagel zu meinem Sarg. Sie sind wie Insekten. Man sollte sie so fr#252;h wie m#246;glich vernichten. Fliegen wird man los mit Insektenspray und indem man Fliegenf#228;nger aufh#228;ngt. Ich habe immer schon ein Mittel gegen kleine Kinder erfinden wollen. W#228;re das wunderbar, wenn ich einfach nur mit einer gro#223;en Fliegenspritze in diese Klasse zu treten und dann nur noch zu pumpen brauchte! Ein paar breite Streifen Leimpapier w#228;ren nat#252;rlich noch besser. Ich w#252;rde sie #252;berall in der Schule aufh#228;ngen, und ihr w#252;rdet samt und sonders dran h#228;ngenbleiben, und dann w#228;re es aus mit euch. W#228;re das nicht eine gute Idee, Fr#228;ulein Honig?»

«Wenn das ein Scherz sein soll, Frau Rektorin, so halte ich ihn nicht f#252;r sehr gelungen», antwortete Fr#228;ulein Honig hinten im Klassenraum.

«So, so, so, Fr#228;ulein Honig. Das halten Sie also nicht f#252;r komisch», antwortete die Kn#252;ppelkuh, «aber ich habe nicht beabsichtigt, einen Scherz zu machen. In meiner Vorstellung von einer vollkommenen Schule, Fr#228;ulein Honig, kommen #252;berhaupt keine Kinder vor. Und irgendwann werde ich eine solche Schule gr#252;nden. Ich glaube, da#223; sie ein gro#223;er Erfolg werden wird.»

Das Weib hat den Verstand verloren, sagte sich Fr#228;ulein Honig. Sie ist jenseits von Gut und B#246;se. Sie ist diejenige, die man loswerden m#252;#223;te.

Die Kn#252;ppelkuh hob nun den gro#223;en blauen Krug und go#223; sich etwas Wasser in ihr Glas. Und pl#246;tzlich schl#252;pfte mit der Fl#252;ssigkeit ein langer schlanker schleimiger Molch ins Glas, schlups!

Die Kn#252;ppelkuh stie#223; einen Schrei aus und fuhr von ihrem Stuhl in die H#246;he, als ob darunter eine Silvesterrakete losgegangen w#228;re. Und jetzt sahen auch die Kinder das lange schlanke schleimige eidechsenartige Wasserwesen, das sich mit seinem gelben Bauch im Glas drehte und wandte, und sie kreischten und sprangen ebenfalls in die H#246;he und schrien: «Was ist das? Oh, wie gr#228;#223;lich! Das ist eine Schlange! Das ist ein kleines Krokodil! Ein Alligator!»



«Passen Sie auf, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh!» rief Lavendel. «Das bei#223;t bestimmt!»

Die Kn#252;ppelkuh aber, dieses machtvolle Riesenweib, stand in ihren gr#252;nen Reithosen da und zitterte und bebte wie ein Wackelpudding. Sie kochte vor Zorn, da#223; es jemandem gelungen war, sie so zu erschrecken und schreien zu lassen, denn sie bildete sich etwas auf ihre Unersch#252;tterlichkeit ein. Sie glotzte das Gesch#246;pf an, das in dem Glas zappelte und paddelte. Merkw#252;rdigerweise hatte sie noch nie einen Wassermolch gesehen. Naturkunde war nicht gerade ihre St#228;rke. Sie hatte also keine blasse Ahnung, was das f#252;r ein Wesen war. Es sah auf jeden Fall h#246;chst widerw#228;rtig aus. Langsam lie#223; sie sich wieder auf ihrem Stuhl nieder. In diesem Augenblick wirkte sie f#252;rchterlicher denn je. In ihren kleinen schwarzen Augen loderten die Flammen der Wut und des Hasses.

«Matilda!» bellte sie. «Steh auf!»

«Wer, ich?» fragte Matilda. «Was hab ich denn getan?»

«Steh auf, du widerw#228;rtige Wanze!»

«Ich habe nichts gemacht, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh, ganz bestimmt nicht. Ich habe dies eklige Ding noch nie gesehen!»

«Sofort stehst du auf, du kleiner Drecksack!»

Matilda stellte sich widerstrebend hin. Sie war in der zweiten Reihe. Lavendel sa#223; in der Reihe hinter ihr und sp#252;rte schwache Gewissensbisse. Sie hatte nicht beabsichtigt, ihre Freundin in die Klemme zu bringen. Andererseits war sie felsenfest entschlossen, nichts zuzugeben.

«Du bist ein verschlagenes, heimt#252;ckisches, dickk#246;pfiges, boshaftes kleines Biest!» donnerte die Kn#252;ppelkuh. «Du geh#246;rst gar nicht in diese Schule. Du solltest hinter Gittern sitzen, da geh#246;rtest du hin! Ich werde dich in Schimpf und Schande aus diesem Institut jagen! Ich werde die Lehrer dazu bringen, dich mit Hockeyschl#228;gern durch die G#228;nge und aus dem Schultor zu pr#252;geln. Ich werde dem gesamten Lehrk#246;rper befehlen, dich schwerbewaffnet nach Hause zu begleiten. Und dann werde ich daf#252;r sorgen, darauf kannst du dich verlassen, da#223; sie dich f#252;r mindestens vierzig Jahre in ein Zuchthaus f#252;r jugendliche Schwerverbrecherinnen stecken!»



Die Kn#252;ppelkuh hatte sich so in Wut geredet, da#223; ihr Gesicht wie gekocht aussah und sich Schaum in ihren Mundwinkeln gesammelt hatte. Aber sie war nicht die einzige, die ihre Gelassenheit verlor. Matilda begann ebenfalls rotzusehen. Es k#252;mmerte sie #252;berhaupt nicht, wenn sie f#252;r etwas gescholten wurde, was sie wirklich getan hatte, das entsprach ihrem Sinn f#252;r Gerechtigkeit. Aber f#252;r ein Verbrechen angeklagt zu werden, das sie ganz und gar nicht begangen hatte, war eine vollkommen neue Erfahrung f#252;r sie. Mit diesem Zappelding im Glas hatte sie absolut nichts zu schaffen. Verflixt und zugen#228;ht, dachte sie, das la#223; ich mir von dieser niedertr#228;chtigen Kn#252;ppelkuh nicht anh#228;ngen!

«Ich hab es nicht getan!» schrie sie.

«Und ob du das hast!» keifte die Kn#252;ppelkuh zur#252;ck. «Keiner au#223;er dir h#228;tte so eine Gemeinheit ausbr#252;ten k#246;nnen. Dein Vater hat schon recht gehabt, da#223; er mich vor dir gewarnt hat!»

Die Frau schien jetzt auch das letzte bi#223;chen Selbstbeherrschung verloren zu haben. Sie raste wie eine Wahnsinnige. «Du bist in dieser Schule erledigt, junge Dame!» schrie sie. «Du bist #252;berall erledigt. Ich werde pers#246;nlich daf#252;r sorgen, da#223; man dich in ein so finsteres Loch steckt, da#223; nicht einmal die Kr#228;hen ihren Kot auf dich klackern lassen k#246;nnen. Nie mehr sollst du das Tageslicht sehen!»

«Ich habe Ihnen gesagt, da#223; ich es nicht getan habe!» schrie Matilda. «Ich habe so ein Tier noch nie in meinem Leben gesehen.»

«Du hast ein... ein... ein Krokodil in mein Trinkwasser gesetzt!» kreischte die Kn#252;ppelkuh zur#252;ck. «Es gibt auf der ganzen Welt kein schlimmeres Verbrechen gegen eine Schulleiterin! Also, setz dich hin und mucks dich nicht! Los, los, hingesetzt, aber ein bi#223;chen pl#246;tzlich!»

«Aber ich sage Ihnen doch...» schrie Matilda und dachte gar nicht daran, sich hinzusetzen.

«Und ich sage dir, da#223; du den Mund halten sollst!» br#252;llte die Kn#252;ppelkuh. «Wenn du nicht sofort die Klappe h#228;ltst und dich auf deine vier Buchstaben setzt, dann schnall ich mir den G#252;rtel ab und la#223; dich das Metallende schmecken!»

Langsam lie#223; sich Matilda nieder. Oh, diese Niedertracht! Diese Ungerechtigkeit! Wie konnten sie es wagen, sie f#252;r etwas von der Schule zu werfen, was sie nicht getan hatte!

Matilda sp#252;rte, wie sie immer w#252;tender wurde und noch w#252;tender und noch w#252;tender... So unertr#228;glich w#252;tend, da#223; gleich in ihrem Inneren etwas zerbersten mu#223;te.

Der Molch zappelte immer noch in dem hohen Wasserglas herum. Er sah jedoch so aus, als ob er sich gr#228;#223;lich ungem#252;tlich f#252;hlte. Das Glas war nicht gro#223; genug f#252;r ihn. Matilda starrte die Kn#252;ppelkuh an. Wie sie sie ha#223;te! Sie starrte das Glas an, in dem der Molch schwamm. Wie gern w#228;re sie nach vorn marschiert, h#228;tte das Glas gepackt und den ganzen Inhalt samt Molch und allem Drum und Dran der Kn#252;ppelkuh auf den Kopf gesch#252;ttet. Sie zitterte, wenn sie nur daran dachte, was die Kn#252;ppelkuh ihr antun w#252;rde, wenn sie das wirklich machte.

Die Kn#252;ppelkuh sa#223; hinter dem Lehrertisch und starrte den im Glas strampelnden Wassermolch mit einer Mischung aus Faszination und Schrecken an. Auch Matildas Augen waren auf das Glas gerichtet. Und jetzt begann ein h#246;chst ungewohntes und merkw#252;rdiges Gef#252;hl still und sachte von ihr Besitz zu ergreifen. Dieses Gef#252;hl sa#223; vor allem in den Augen. Es schien sich dort eine Art Elektrizit#228;t anzusammeln. Eine sp#252;rbare Kraft entwickelte sich in ihren Augen, das Gef#252;hl einer gro#223;en Macht nistete sich tief in ihnen ein. Aber da war noch etwas anderes, eine Empfindung, die sie erst recht nicht begreifen konnte. Es zuckte auf wie Blitze, und es zischte in Wellen aus ihren Augen heraus. Ihre Aug#228;pfel wurden regelrecht hei#223; und gl#252;hend, als ob sich irgendwo in ihrem Zentrum eine enorme Energiequelle gebildet h#228;tte. Das war ein fabelhaftes Gef#252;hl. Sie lie#223; ihre Augen unverwandt auf dem Glas ruhen, und jetzt richtete sich die gesamte Kraft auf einen kleinen Punkt in jedem Auge und wurde immer m#228;chtiger, und es f#252;hlte sich so an, als ob Millionen winzig kleiner unsichtbarer Arme, an denen H#228;nde sa#223;en, aus ihren Augen heraus und auf das Glas schossen, das sie anschaute.

«Kippt es um!» fl#252;sterte Matilda. «Kippt es um!»



Sie sah das Glas schwanken. Es neigte sich tats#228;chlich ein wenig zur Seite, richtete sich dann aber wieder auf. Sie fuhr fort, mit all diesen Millionen und aber Millionen unsichtbarer kleiner Arme und H#228;nde, die aus ihren Augen fuhren, dagegen zu sto#223;en, wobei sie st#228;ndig die Kraft f#252;hlte, die aus den beiden kleinen schwarzen Punkten im innersten Inneren ihrer Augen strahlte. «Kippt es um!» fl#252;sterte sie wieder. «Kippt es um!»

Das Glas schwankte abermals. Sie stie#223; noch kr#228;ftiger dagegen, zwang ihre Augen, noch st#228;rkere Kraft herausstrahlen zu lassen. Und da, sehr sehr langsam, so langsam, da#223; sie es kaum verfolgen konnte, begann sich das Glas nach hinten zu neigen, mehr und mehr und immer mehr nach hinten, bis es auf der Kippe stand. Und so schwebte es ein paar Augenblicke lang, ehe es endg#252;ltig umkippte und mit einem scharfen Klirren auf die Tischplatte fiel.



Das Wasser und der zappelnde Molch ergossen sich auf Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuhs gewaltigen Busen. Die Schulleiterin stie#223; einen Schrei aus, der auch den letzten Dachziegel auf dem ganzen Haus zum Klappern gebracht haben mu#223;te, und scho#223; zum zweitenmal in den letzten f#252;nf Minuten wie eine Rakete von ihrem Stuhl. Der Molch klammerte sich verzweifelt an dem Baumwollkittel fest, der den enormen Brustkasten umh#252;llte, und blieb dort mit seinen kleinen feuchten Klauen kleben. Die Kn#252;ppelkuh schaute nach unten, sah ihn, heulte wom#246;glich noch lauter und wischte ihn mit einer einzigen Handbewegung ab, so da#223; das Tier quer durch den Klassenraum flog. Es landete neben Lavendels Pult, die sich geschwind b#252;ckte, es aufhob und zum zweitenmal in ihren Griffelkasten steckte. Es ist doch sehr n#252;tzlich, dachte sie bei sich, immer einen Wassermolch bei der Hand zu haben.

Die Kn#252;ppelkuh, deren Gesicht mehr denn je einem gekochten Schinken #228;hnelte, stand vor der Klasse und zitterte vor Zorn. Ihr gewaltiger Busen hob und senkte sich, und das Wasser, das ihr vorn heruntergelaufen war, hatte einen dunklen feuchten Fleck hinterlassen und sie vermutlich bis auf die Haut durchn#228;#223;t.

«Wer war das?» br#252;llte sie. «Los, los! Raus damit! Tritt heraus! Diesmal entkommst du mir nicht! Wer ist f#252;r diese Schweinerei verantwortlich? Wer hat das Glas umgesto#223;en?»

Keiner gab eine Antwort. Im ganzen Klassenzimmer herrschte Grabesstille.

«Matilda!» rief sie. «Das bist du gewesen! Ich wei#223; es genau, da#223; du es warst!»

Matilda sa#223; auf ihrem Platz in der zweiten Reihe vollkommen reglos da und sagte kein Wort. Ein sonderbares Gef#252;hl tiefer Ruhe und Sicherheit senkte sich #252;ber sie, und pl#246;tzlich merkte sie, da#223; sie sich vor nichts und niemandem auf der Welt mehr f#252;rchtete. Nur mit der Kraft ihrer Augen hatte sie ein Glas Wasser zum Umkippen gebracht, so da#223; sich sein Inhalt auf diese f#252;rchterliche Schulleiterin ergo#223;, und wer das vermochte, der konnte alles.

«Mach den Mund auf, du Eiterbeule!» dr#246;hnte die Kn#252;ppelkuh. «Gib zu, da#223; du es warst!»

Matilda schaute direkt in die funkelnden Augen dieses wutschnaubenden Riesenweibs und sagte in aller Seelenruhe: «Seit Anfang dieser Schulstunde habe ich mich nicht von meinem Pult entfernt, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh. Mehr kann ich dazu nicht sagen.»



Pl#246;tzlich schien sich die ganze Klasse gegen die Schulleiterin zu verb#252;nden. «Sie hat sich nicht ger#252;hrt!» riefen sie. «Matilda hat sich nicht ger#252;hrt. Keiner hat sich ger#252;hrt! Sie m#252;ssen es selber getan haben!»

«Ich habe es ganz bestimmt nicht selber umgesto#223;en!» fauchte die Kn#252;ppelkuh. «Wie k#246;nnt ihr es nur wagen, so was zu behaupten! Und jetzt den Mund aufgemacht, Fr#228;ulein Honig. Sie m#252;ssen alles gesehen haben! Wer hat mein Glas umgesto#223;en?»

«Keins der Kinder, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh», antwortete Fr#228;ulein Honig. «Ich kann beschw#246;ren, da#223; sich keiner von seinem Platz entfernt hat, seitdem Sie die Klasse betreten haben, au#223;er Nigel, und der hat sich in seiner Ecke nicht ger#252;hrt.»

Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh glotzte Fr#228;ulein Honig an. Fr#228;ulein Honig hielt dem Blick stand, ohne mit der Wimper zu zucken. «Ich sage die Wahrheit, Frau Rektorin», fuhr sie fort. «Sie m#252;ssen es umgesto#223;en haben, ohne da#223; Sie es gemerkt haben. So etwas kann einem leicht passieren.»

«Ich hab die Nase voll von dieser Horde von Nichtsnutzen!» br#252;llte die Kn#252;ppelkuh. «Ich denke gar nicht daran, meine kostbare Zeit hier weiter zu verplempern!» Damit marschierte sie aus dem Klassenzimmer und knallte die T#252;r hinter sich zu.

In dem bet#228;ubten Schweigen, das ihrem Abgang folgte, schritt Fr#228;ulein Honig vor die Klasse und stellte sich hinter ihren Tisch. «Puh», sagte sie, «ich glaube, f#252;r heute haben wir genug gelernt, findet ihr nicht auch? Der Unterricht ist zu Ende. Ihr k#246;nnt alle hinaus auf den Schulhof laufen und dort warten, bis euch eure Eltern abholen.»



Das zweite Wunder

Matilda schlo#223; sich nicht ihren Mitsch#252;lern an, die losst#252;rmten und sich aus dem Klassenzimmer dr#228;ngelten. Auch nachdem die anderen Kinder verschwunden waren, blieb sie noch ganz ruhig und in sich versunken vor ihrem Pult sitzen. Sie wu#223;te, da#223; sie jemandem von dem erz#228;hlen mu#223;te, was mit dem Glas geschehen war. Es war ihr unm#246;glich, so ein riesenhaftes Geheimnis in sich zu verschlie#223;en. Sie brauchte nur einen einzigen Menschen, einen klugen und mitf#252;hlenden Erwachsenen, der ihr helfen konnte, die Bedeutung dieser au#223;ergew#246;hnlichen Vorg#228;nge zu begreifen.

Weder ihre Mutter noch ihr Vater w#228;ren in diesem Fall von Nutzen. Selbst wenn sie ihr diese Geschichte glaubten, und daran zweifelte sie sehr stark, w#252;rde ihnen ganz bestimmt entgehen, was f#252;r ein erstaunliches Ereignis an diesem Nachmittag in der Klasse stattgefunden hatte. Einer pl#246;tzlichen Eingebung folgend, erkannte Matilda, da#223; der einzige Mensch, dem sie sich gern anvertrauen w#252;rde, Fr#228;ulein Honig war.

Matilda und Fr#228;ulein Honig waren nun die einzigen, die sich noch im Klassenzimmer befanden. Fr#228;ulein Honig hatte sich an ihren Tisch gesetzt und bl#228;tterte einige Unterlagen durch. Sie blickte auf und sagte: «Nanu, Matilda, willst du nicht mit den anderen hinaus?»

Matilda erwiderte: «Darf ich mich bitte einen Augenblick mit Ihnen unterhalten?»

«Selbstverst#228;ndlich. Was bedr#252;ckt dich denn?»

«Es ist etwas ganz Merkw#252;rdiges mit mir passiert, Fr#228;ulein Honig.»

Fr#228;ulein Honig spitzte sofort die Ohren. Seit den beiden ungl#252;ckseligen Zusammenk#252;nften, die sie k#252;rzlich wegen Matilda gehabt hatte – zuerst mit der Schulleiterin und dann mit dem grauenhaften Ehepaar Wurmwald –, hatte Fr#228;ulein Honig ununterbrochen #252;ber dieses Kind nachdenken m#252;ssen und sich gefragt, wie sie ihm wohl helfen k#246;nnte. Und jetzt sa#223; Matilda mit einer sonderbar entr#252;ckten Miene vor ihr und bat um eine private Unterredung. Fr#228;ulein Honig hatte sie noch nie so #252;berdreht und mit so weit aufgerissenen Augen erlebt.

«Also gut, Matilda», sagte sie, «erz#228;hl mir, was dir Merkw#252;rdiges zugesto#223;en ist.»

«Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh wird mich doch nicht von der Schule werfen, nicht wahr?» fragte Matilda. «Denn ich hab ihr dieses Tier wirklich nicht in den Wasserkrug getan. Ich schw#246;re, da#223; ich’s nicht gewesen bin.»

«Ich wei#223;, da#223; du es nicht warst», sagte Fr#228;ulein Honig.

«Werd ich also rausgeschmissen?»

«Ich glaube nicht», antwortete Fr#228;ulein Honig. «Die Frau Rektorin hat sich nur ein bi#223;chen aufgeregt, das war alles.»

«Gut», fuhr Matilda fort, «aber dar#252;ber wollte ich nicht mit Ihnen reden.»

«Wor#252;ber willst du denn mit mir reden?»

«Ich m#246;chte mit Ihnen #252;ber das Wasserglas reden, in dem das Tier war», sagte Matilda. «Sie haben doch gesehen, wie es auf Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh kippte, nicht wahr?»

«Und ob ich das gesehen habe.»

«Also, Fr#228;ulein Honig, ich habe es nicht anger#252;hrt. Ich bin nicht einmal in seine N#228;he gekommen.»

«Das wei#223; ich», sagte Fr#228;ulein Honig. «Du hast ja geh#246;rt, wie ich der Frau Rektorin gesagt habe, da#223; du es keineswegs gewesen sein kannst.»

«Ja, aber ich bin es gewesen, Fr#228;ulein Honig», sagte Matilda. «Genau dar#252;ber m#246;chte ich mich mit Ihnen unterhalten.»

Fr#228;ulein Honig hielt inne und musterte das Kind gedankenvoll.

«Ich glaube, ich kann dir nicht folgen», sagte sie.

«Ich bin so w#252;tend gewesen, weil sie mir was in die Schuhe schieben wollte, wof#252;r ich nichts kann, da#223; ich es habe passieren lassen.»

«Du hast was passieren lassen, Matilda?»

«Ich hab das Glas umkippen lassen.»

«Ich begreife immer noch nicht ganz, was du damit sagen willst», bemerkte Fr#228;ulein Honig mit sanfter Stimme.

«Ich hab’s mit meinen Augen gemacht», sagte Matilda. «Ich hab es angestarrt und hab mir gew#252;nscht, da#223; es umkippt, und dann sind meine Augen ganz hei#223; und komisch geworden, und so was wie eine Kraft ist aus ihnen hervorgebrochen, und dann ist das Glas einfach umgefallen.»

Fr#228;ulein Honig betrachtete Matilda unverwandt durch ihre Stahlbrille, und Matilda erwiderte ihren Blick ebenso fest und unverwandt.

«Ich kann dir immer noch nicht folgen», sagte Fr#228;ulein Honig. «Meinst du wirklich, da#223; du das Glas mit deinen Augen dazu gebracht hast umzust#252;rzen?»

«Ja», erwiderte Matilda, «mit meinen Augen.»

Fr#228;ulein Honig schwieg einen Augenblick. Sie glaubte nicht, da#223; ihr Matilda einen B#228;ren aufband. Es kam ihr wahrscheinlicher vor, da#223; Matildas lebhafte Einbildungskraft mit ihr durchging. «Willst du damit sagen, da#223; du so wie jetzt an deinem Platz gesessen und dem Glas gesagt hast, es solle umkippen, und es ist wirklich umgekippt?»



«Ja, Fr#228;ulein Honig, irgendwie so.»

«Wenn du das getan hast, dann ist das ungef#228;hr das gr#246;#223;te Wunder, das ein Mensch seit Christi Zeiten bewirkt hat.»

«Ich hab’s aber gemacht, Fr#228;ulein Honig.»

Es ist wirklich erstaunlich, dachte Fr#228;ulein Honig, wie oft kleine Kinder solche Anf#228;lle von Phantasie haben. Sie entschied, die Angelegenheit so leichthin wie m#246;glich zu beenden. «K#246;nntest du das wohl wiederholen?» fragte sie, nicht unfreundlich.

«Ich wei#223; nicht», antwortete Matilda, «aber ich glaube, ich k#246;nnte es schaffen.»

Fr#228;ulein Honig schob das jetzt leere Glas mitten auf den Tisch. «Soll ich Wasser hineingie#223;en?» fragte sie mit einem kleinen L#228;cheln.



«Ich glaube, das spielt keine Rolle», erwiderte Matilda.

«Na gut. Fang an und kipp es um.»

«Vielleicht dauert es aber etwas.»

«La#223; dir soviel Zeit, wie du brauchst», entgegnete Fr#228;ulein Honig, «ich bin nicht in Eile.»

Matilda, die in ihrer zweiten Reihe ungef#228;hr drei Meter von Fr#228;ulein Honig entfernt war, stemmte die Ellbogen auf das Pult und legte das Gesicht in ihre H#228;nde. Diesmal gab sie gleich zu Beginn den Befehl: «Kippe, Glas, kippe!», wobei sie ihre Lippen jedoch nicht bewegte und keinen Laut von sich gab. Sie rief die W#246;rter einfach innen in ihrem Kopf. Und dann konzentrierte sie all ihre Gedanken und ihren Verstand und ihren Willen auf ihre Augen, und abermals, aber viel rascher als zuvor, sp#252;rte sie, wie sich die Elektrizit#228;t zusammenballte, wie die Kraft anschwoll und die Hitze ihr in die Aug#228;pfel stieg, und dann schossen die Millionen winziger unsichtbarer Arme, an denen H#228;nde sa#223;en, aus ihnen heraus und auf das Glas zu, und ohne einen Laut von sich zu geben, schrie sie das Glas an, es solle umkippen. Sie sah, wie es schwankte, sich dann zur Seite neigte und schlie#223;lich einfach umkippte und mit einem leisen Klirren auf die Tischplatte fiel, keine Handbreit von Fr#228;ulein Honigs verschr#228;nkten Armen entfernt.



Fr#228;ulein Honigs Mund klappte auf, und sie ri#223; ihre Augen so weit auf, da#223; man das Wei#223;e ringsum sehen konnte. Sie sagte kein einziges Wort. Sie konnte es einfach nicht. Der Schock, die Zeugin eines Wunders zu sein, hatte ihr die Sprache geraubt. Sie starrte das Glas an und wich zur#252;ck, als ob es etwas Gef#228;hrliches w#228;re. Dann hob sie langsam den Kopf und schaute Matilda an. Sie sah das Kind, sah sein wei#223;es Gesicht, wei#223; wie ein Leintuch, sah, wie es am ganzen Leib bebte und mit starren Augen geradeaus ins Leere schaute und nichts wahrnahm. Sein ganzes Gesicht hatte sich ver#228;ndert, die Augen waren kugelrund und strahlten, und es sa#223; sprachlos da, richtig sch#246;n, in einem Glanz aus Schweigen.

Fr#228;ulein Honig wartete geduldig, sie zitterte und bebte selbst etwas, und sie lie#223; das Kind nicht aus den Augen, w#228;hrend es sich langsam ins Bewu#223;tsein zur#252;ckbewegte. Und dann pl#246;tzlich, klick, erstrahlte eine fast himmlische Ruhe auf seinem Gesicht. «Mir geht’s gut», sagte Matilda und l#228;chelte, «mir geht’s wirklich gut, Fr#228;ulein Honig. Sie brauchen sich nicht zu erschrecken.»

«Es kam mir so vor, als w#228;rst du ganz weit weg gewesen», fl#252;sterte Fr#228;ulein Honig ehrf#252;rchtig.

«Ach, das war ich auch. Ich bin auf silbernen Schwingen weit hinter den Sternen geflogen», sagte Matilda, «es war wunderbar.»

Fr#228;ulein Honig starrte das Kind immer noch in tiefem Staunen an, als ob es die Sch#246;pfung w#228;re, der Anfang der Welt, der erste Morgen.

«Diesmal ging’s viel schneller», bemerkte Matilda ruhig.

«Das ist doch nicht m#246;glich!» keuchte Fr#228;ulein Honig. «Ich kann es nicht glauben! Ich kann es einfach nicht glauben!» Sie kniff die Augen zu und hielt sie ziemlich lange geschlossen, und als sie sie wieder aufschlug, schien sie ihre Fassung zur#252;ckgewonnen zu haben. «W#252;rdest du wohl gerne Tee mit mir in meinem kleinen H#228;uschen trinken?» fragte sie.

«O ja, furchtbar gern», antwortete Matilda.

«Gut. Dann r#228;um deine Sachen zusammen. In ein paar Minuten treffen wir uns drau#223;en.»

«Aber Sie werden doch keinem davon erz#228;hlen... Von dem, was ich gemacht hab, nicht wahr, Fr#228;ulein Honig?»

«Ich denke nicht im Traum daran», antwortete Fr#228;ulein Honig.


Fr#228;ulein Honigs H#228;uschen

Fr#228;ulein Honig gesellte sich drau#223;en vor den Schultoren zu Matilda, und die beiden schritten schweigend die Hauptstra#223;e des Ortes entlang. Sie gingen am Obst- und Gem#252;seladen mit seiner Auslage voll Orangen und #196;pfeln vorbei, am Fleischer mit seinem Angebot von blutigen Fleischst#252;cken und aufgeh#228;ngten gerupften H#252;hnern, an der kleinen Bank, am Lebensmittelladen und am Elektriker, und dann kamen sie am anderen Ende der Stadt bei der schmalen Landstra#223;e heraus, wo kein Mensch mehr zu sehen war und auch kaum Verkehr herrschte.

Und jetzt, wo sie vollkommen allein waren, wurde Matilda pl#246;tzlich wild und ausgelassen. Sie f#252;hrte sich auf, als ob in ihrem Innersten ein Damm gebrochen w#228;re und einen gewaltigen Schwall von Lebenskraft freigegeben h#228;tte. Sie h#252;pfte und hopste wie toll neben Fr#228;ulein Honig her, ihre Finger flatterten in der Luft, als ob sie sie in alle vier Himmelsrichtungen schnicken wollte, und die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, so geschwind wie davonzischende Feuerwerksraketen. Es war Fr#228;ulein Honig dies und Fr#228;ulein Honig das – «Fr#228;ulein Honig, ich glaub ganz bestimmt, da#223; ich fast alles auf der Welt in Bewegung setzen k#246;nnte, nicht nur Wassergl#228;ser und solchen anderen Kleinkram... Ich hab das Gef#252;hl, da#223; ich Tische und St#252;hle umst#252;rzen k#246;nnte, Fr#228;ulein Honig... Selbst wenn noch wer auf den St#252;hlen s#228;#223;e, selbst dann glaub ich sicher, da#223; ich sie umsto#223;en k#246;nnte, und gr#246;#223;ere Sachen auch, viel gr#246;#223;ere Sachen als Tische und St#252;hle... Ich brauch nur einen Augenblick, um meine Augen stark zu machen, und dann kann ich damit zusto#223;en, mit dieser St#228;rke, gegen einfach alles, ich mu#223; es nur lange genug ganz fest anschauen... Ich mu#223; es regelrecht anstarren, Fr#228;ulein Honig, ganz, ganz fest, und dann merke ich, was da alles hinter meinen Augen passiert, und meine Augen werden so hei#223;, als ob sie gl#252;hten, aber das macht mir nichts aus, nicht im geringsten, und, Fr#228;ulein Honig...»



«Beruhig dich doch, Kind, beruhige dich», sagte Fr#228;ulein Honig, «wir wollen uns nicht jetzt schon gleich so aufregen.»

«Aber Sie finden das doch interessant, nicht wahr, Fr#228;ulein Honig?»

«O ja, interessant ist es schon», antwortete Fr#228;ulein Honig, «es ist mehr als interessant. Aber wir m#252;ssen von jetzt an Vorsicht walten lassen, Matilda.»

«Warum m#252;ssen wir Vorsicht walten lassen, Fr#228;ulein Honig?»

«Weil wir mit geheimnisvollen Kr#228;ften spielen, mein Kind, von denen wir nicht das geringste wissen. Ich halte sie nicht f#252;r schlecht, sie k#246;nnen sogar gut sein. Vielleicht sind sie sogar g#246;ttlich. Aber ganz egal, wie sie sind, vorsichtig m#252;ssen wir auf jeden Fall damit umgehen.»

Das waren weise Worte von einer klugen alten Eule, aber Matilda war viel zu aufgekratzt, um die Sache so zu betrachten. «Ich begreif nicht, warum wir so vorsichtig sein m#252;ssen», sagte sie und h#252;pfte immer weiter herum.

«Ich versuche dir ja gerade zu erkl#228;ren», antwortete Fr#228;ulein Honig geduldig, «da#223; wir uns mit etwas Unbekanntem befassen. Es ist etwas Unerkl#228;rliches. Die richtige Bezeichnung daf#252;r lautet: es ist ein Ph#228;nomen.»

«Bin ich auch ein Ph#228;nomen?» fragte Matilda.

«Es k#246;nnte durchaus m#246;glich sein, da#223; du eins bist», sagte Fr#228;ulein Honig. «Aber es w#228;re mir sehr viel angenehmer, wenn du dir in dieser Situation nicht als etwas Besonderes vork#228;mst. Ich hatte mir gedacht, da#223; wir dieses Ph#228;nomen etwas genauer untersuchen k#246;nnten, nur wir beide, aber wir m#252;ssen uns darauf einigen, da#223; wir die Sache mit #228;u#223;erster Vorsicht anpacken.»

«Wollen Sie, da#223; ich noch so was mache, Fr#228;ulein Honig?»

«Das hatte ich im Sinn, dir vorzuschlagen», erwiderte Fr#228;ulein Honig zur#252;ckhaltend.

«Toll», sagte Matilda.

«Ich selber», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «bin wahrscheinlich #252;ber das, was du getan hast, sehr viel mehr aus der Fassung geraten als du, und ich versuche eine vern#252;nftige Erkl#228;rung zu finden.»

«Wie zum Beispiel?» fragte Matilda.

«Ob das zum Beispiel damit zusammenh#228;ngt oder nicht, da#223; du ganz au#223;ergew#246;hnlich fr#252;hreif bist.»

«Und was hei#223;t das genau?» fragte Matilda weiter.

«Ein fr#252;hreifes Kind», erkl#228;rte Fr#228;ulein Honig, «l#228;#223;t schon verh#228;ltnism#228;#223;ig fr#252;h erstaunlich viel Intelligenz erkennen. Du bist ein unglaublich fr#252;hreifes Kind.»

«Wirklich?» fragte Matilda.

«Aber nat#252;rlich. Du mu#223;t das doch merken. Denk doch nur an dein Lesen. Oder an dein Rechnen.»

«Wahrscheinlich haben Sie recht», sagte Matilda.

Fr#228;ulein Honig wunderte sich wieder #252;ber Matildas Mangel an Selbstbewu#223;tsein und Eitelkeit.

«Ich mu#223; immer dar#252;ber nachdenken», sagte sie, «ob diese pl#246;tzliche Gabe, die du nun besitzt, nicht etwas mit deiner Geisteskraft, deinem besonderen Gehirn, zu tun hat.»

«Wollen Sie damit sagen, da#223; es dem Hirn in meinem Sch#228;del zu eng ist und da#223; es sich deshalb rausdr#228;ngelt?»

«So hab ich’s eigentlich nicht gemeint», sagte Fr#228;ulein Honig und l#228;chelte. «Aber was auch passiert, ich mu#223; das noch einmal wiederholen, wir m#252;ssen von nun an sehr vorsichtig damit umgehen. Ich habe nicht vergessen, wie fremd und fern dein Gesicht geschimmert hat, nachdem du das Wasserglas umgekippt hattest.»

«Glauben Sie, da#223; es mir schadet? Glauben Sie das, Fr#228;ulein Honig?»

«Du hast dich ziemlich merkw#252;rdig dabei gef#252;hlt, nicht wahr?»

«Ich hab mich herrlich gef#252;hlt», antwortete Matilda. «Ein oder zwei Augenblicke lang bin ich auf Silberschwingen an den Sternen vorbeigeflogen. Das hab ich Ihnen ja erz#228;hlt. Und soll ich Ihnen noch etwas verraten, Fr#228;ulein Honig? Das zweite Mal ging es leichter, viel, viel leichter. Ich glaube, es ist wie bei allem anderen, je mehr man #252;bt, desto leichter flutscht es.»

Fr#228;ulein Honig ging langsam, so da#223; das kleine Kind mit ihr Schritt halten konnte, ohne zu schnell traben zu m#252;ssen, und jetzt, wo sie den Ort hinter sich gelassen hatten, war es hier drau#223;en auf der Landstra#223;e friedlich und ruhig. Es war einer dieser goldenen Herbsttage, in den Hecken wuchsen Brombeeren und Ziegenbart, und die Fr#252;chte des Schlehdorns begannen rot und reif zu werden f#252;r die V#246;gel, die sie sich im kalten Winter holen w#252;rden. Auf beiden Seiten der Stra#223;e standen hohe B#228;ume, Eichen und Bergahorn und Eschen und hie und da eine echte Kastanie. Fr#228;ulein Honig, die f#252;r den Augenblick das Gespr#228;chsthema wechseln wollte, nannte Matilda alle Namen und erkl#228;rte ihr, wie man sie an der Form ihrer Bl#228;tter und am Borkenmuster erkennen konnte. Matilda nahm das alles in sich auf und legte die Kenntnisse im Geiste sorgf#228;ltig ab.



Schlie#223;lich stie#223;en sie an der linken Stra#223;enseite auf eine L#252;cke in der Hecke, die mit einem Gattertor aus f#252;nf Querbrettern versperrt war. «Hier entlang», sagte Fr#228;ulein Honig, wobei sie das Tor #246;ffnete, Matilda durchlie#223; und es hinter ihr wieder verschlo#223;. Sie gingen jetzt einen schmalen Gartenpfad entlang, der nicht viel mehr als ein ausgefahrener Karrenweg war. Auf beiden Seiten wuchsen hohe Haselnu#223;hecken, und man konnte ganze B#252;schel von reifen braunen N#252;ssen in ihren gr#252;nen H#252;llen sehen. Die Eichh#246;rnchen w#252;rden sich bald ans Einsammeln machen, sagte Fr#228;ulein Honig, und sie sorgsam verstecken f#252;r die kargen Monate, die vor ihnen lagen.

«Hei#223;t das, da#223; Sie hier wohnen?» fragte Matilda.

«Ja», antwortete Fr#228;ulein Honig, ohne jedoch mehr dazu zu bemerken.

Matilda hatte noch nie einen Gedanken darauf verschwendet, wo Fr#228;ulein Honig wohnen mochte. Sie hatte sie immer nur als Lehrerin betrachtet, als eine Person, die aus dem Nichts auftaucht, in der Schule Unterricht gibt und dann wieder verschwindet. H#228;lt sich irgendeins von uns Kindern damit auf, #252;berlegte sie, dar#252;ber nachzudenken, wo unsere Lehrer nach dem Schulschlu#223; bleiben? Denken wir dar#252;ber nach, ob sie alleine wohnen oder ob zu Hause eine Mutter auf sie wartet, eine Schwester oder ein Mann oder eine Frau? «Wohnen Sie ganz alleine, Fr#228;ulein Honig?» fragte sie.



«Ja», antwortete Fr#228;ulein Honig, «ganz alleine.»

Der Weg f#252;hrte an den Karrenspuren im Lehm entlang, die von der Sonne fest und hart gebacken waren, und wenn man sich nicht den Kn#246;chel verknacksen wollte, mu#223;te man gut aufpassen, wohin man die F#252;#223;e setzte. In den Haselnu#223;zweigen h#252;pften ein paar kleine V#246;gel herum, und das war alles.

«Es ist nur eine Kate, die H#252;tte eines Landarbeiters», erkl#228;rte Fr#228;ulein Honig, «du darfst dir nicht zuviel erwarten. Wir sind auch gleich da.»

Sie kamen an eine kleine gr#252;ne Pforte, die rechts halb von der Hecke #252;berwuchert war und sich hinter den #252;berh#228;ngenden Haselnu#223;zweigen fast versteckte. Fr#228;ulein Honig blieb stehen, die eine Hand auf der Pforte, und sagte: «Hier w#228;ren wir. Hier wohne ich.»

Matilda erkannte einen schmalen ungepflasterten Pfad, der zu einem H#228;uschen aus roten Backsteinen f#252;hrte. Es war so klein, da#223; es mehr wie ein Puppenhaus als wie eine menschliche Behausung wirkte. Die Backsteine, aus denen es gemauert war, sahen alt und br#252;chig aus, und ihr Rot war schon sehr verbla#223;t. Die H#252;tte hatte ein graues Schieferdach, einen kleinen Schornstein und vorn zwei kleine Fenster. Jedes Fenster war nicht sehr viel gr#246;#223;er als eine zusammengefaltete Zeitung, und es war klar zu erkennen, da#223; es in diesem Haus keinen ersten Stock gab. Zu beiden Seiten des Gartenwegs wucherten Nesseln und Brombeerranken und hohes braunes Gras wild durcheinander. Eine gewaltige Eiche #252;berschattete die H#252;tte. Ihre kr#228;ftigen, knorrigen #196;ste schienen das winzige H#228;uschen zu umarmen und zu beh#252;ten, vielleicht auch vor dem Rest der Welt zu verbergen.

Fr#228;ulein Honig, deren Hand immer noch auf der Pforte lag, die sie noch nicht ge#246;ffnet hatte, wandte sich zu Matilda und sagte: «Ein Dichter namens Dylan Thomas hat einmal einige Zeilen geschrieben, an die ich immer denken mu#223;, wenn ich diesen Weg entlanggehe.»

Matilda wartete, und Fr#228;ulein Honig begann mit wunderbar langsamer Stimme das Gedicht aufzusagen:


«Nie und nimmer, mein M#228;dchen, herangereist

aus dem Lande der Sagen, im Schlaf fast gesprochen,

darfst du denken und f#252;rchten, der Wolf im schneewei#223;en Schafspelz,

der heult und herumtobt wie toll, k#246;nnte springen, mein Lieb,

meine Liebste,

aus dem Lager aus lockigem Laub, aus dem taufeuchten Jahr,

um dein Herz zu verzehren im Hause aus rosigem Holz.»


Einen Augenblick herrschte Schweigen, und Matilda, die noch niemals gro#223;e romantische Poesie laut gesprochen geh#246;rt hatte, war tief bewegt. «Das ist wie Musik», fl#252;sterte sie.

«Das ist wirklich Musik», antwortete Fr#228;ulein Honig. Und dann, als sei sie erschrocken, einen geheimen Teil ihres Wesens enth#252;llt zu haben, stie#223; sie rasch die Pforte auf und ging den Pfad entlang. Matilda blieb zur#252;ck. Dieser Ort jagte ihr jetzt doch ein bi#223;chen Angst ein. Er schien so unwirklich zu sein, so abgelegen und phantastisch und so endlos weit vom Alltag entfernt. Er wirkte wie eine Illustration zu den M#228;rchen der Br#252;der Grimm oder Hans Christian Andersens. Das war die H#252;tte, in der der arme Holzf#228;ller mit H#228;nsel und Gretel lebte, wo Rotk#228;ppchens Gro#223;mutter wohnte, und es war auch das Haus der sieben Zwerge und drei B#228;ren und aller anderen. Es stammte direkt aus einem M#228;rchenbuch.

«Komm, mein Liebes», rief Fr#228;ulein Honig, und Matilda folgte ihr den Pfad entlang.

Die Haust#252;r war mit gr#252;ner Farbe gestrichen, die abplatzte, und es gab kein Schl#252;sselloch. Fr#228;ulein Honig hob einfach den Riegel, stie#223; die T#252;r auf und trat ein. Obgleich sie keine gro#223;gewachsene Frau war, mu#223;te sie sich b#252;cken, und Matilda lief hinter ihr her und fand sich in einer Art finsterem, engem Tunnel wieder.

«Du kannst gleich mit in die K#252;che durchkommen und mir beim Tee helfen», sagte Fr#228;ulein Honig und f#252;hrte Matilda durch den Tunnel in die K#252;che, wenn man so etwas K#252;che nennen mochte. Sie war nicht viel gr#246;#223;er als ein anst#228;ndiger Kleiderschrank und hatte nur ein einziges kleines Fenster nach hinten hinaus mit einem Sp#252;lstein darunter, #252;ber dem sich jedoch keine H#228;hne befanden. An der anderen Wand war ein Brett, auf dem vermutlich das Essen vorbereitet wurde, und dar#252;ber hing ein einsamer Schrank. Auf dem Brett stand ein Primuskocher, ein Stieltopf und eine halbvolle Flasche Milch. Ein Primuskocher ist ein kleiner Campingherd, den man mit Paraffin f#252;llt, oben anz#252;ndet, und dann mu#223; man pumpen, um f#252;r die Flamme genug Druck zu bekommen.



«Du kannst mir etwas Wasser holen, w#228;hrend ich den Primus anz#252;nde», sagte Fr#228;ulein Honig. «Der Brunnen ist drau#223;en hinterm Haus. Nimm den Eimer hier. Am Brunnen findest du ein Seil. Du brauchst den Eimer nur am Ende des Seils einzuhaken und runterzulassen, aber fall nicht selber rein.»

Matilda war jetzt mehr denn je verwirrt, ergriff aber den Eimer und trug ihn in den Hintergarten hinaus. Der Brunnen hatte ein kleines h#246;lzernes Dach, eine einfache Kurbel und ein Seil, das in einem dunklen, bodenlosen Loch verschwand. Matilda zog das Seil heraus und hakte den Eimergriff am Seilende fest. Dann lie#223; sie ihn hinab, bis sie es planschen h#246;rte und das Seil locker wurde. Sie kurbelte es wieder hoch, und wahrhaftig, im Eimer war Wasser.



«Ist das genug?» fragte sie, nachdem sie es hineingetragen hatte.

«Gerade ausreichend», antwortete Fr#228;ulein Honig. «So etwas hast du wohl noch nie gemacht?»

«Nie in meinem ganzen Leben», antwortete Matilda. «Es macht Spa#223;. Wie kriegen Sie genug Wasser f#252;r Ihr Bad?»

«Ich bade gar nicht», sagte Fr#228;ulein Honig, «ich wasche mich im Stehen. Ich hole mir einen Eimer Wasser, und das mache ich mir hier auf diesem kleinen Herd hei#223;, und dann ziehe ich mich aus und wasche mich von Kopf bis zu den F#252;#223;en.»

«Ehrlich, das tun Sie?» fragte Matilda.

«Nat#252;rlich», sagte Fr#228;ulein Honig, «es ist noch gar nicht lange her, da haben sich alle armen Leute in England so gewaschen. Und sie hatten noch nicht einmal einen Primuskocher. Sie mu#223;ten sich das Wasser auf dem Herdfeuer warm machen.»

«Sind Sie arm, Fr#228;ulein Honig?»

«Ja», antwortet Fr#228;ulein Honig, «ziemlich. Das ist ein guter kleiner Herd, nicht wahr?» Der Primuskocher lie#223; eine starke blaue Flamme r#246;hren, und im Wasser im Topf begannen schon Blasen aufzusteigen. Fr#228;ulein Honig nahm einen Teetopf aus dem H#228;ngeschrank und sch#252;ttete etwas Tee hinein. Sie entdeckte auch noch einen kleinen Laib Schwarzbrot. Sie schnitt zwei d#252;nne Scheiben ab und strich etwas Margarine aus einer Plastikdose auf das Brot.

Margarine, dachte Matilda, sie mu#223; wirklich arm sein.

Fr#228;ulein Honig nahm ein Tablett und stellte die beiden Becher, den Teetopf, die halbe Flasche Milch und einen Teller mit den beiden Brotscheiben darauf. «Es tut mir leid, aber ich habe keinen Zucker», sagte sie, «ich nehme niemals welchen.»

«Ich auch nicht», sagte Matilda. Sie schien sich in ihrer Weisheit vollkommen der heiklen Lage bewu#223;t zu sein und gab sich gro#223;e M#252;he, nichts zu sagen, was ihre Gef#228;hrtin in Verlegenheit bringen k#246;nnte.

«Wir wollen den Tee im Wohnzimmer trinken», schlug Fr#228;ulein Honig vor, nahm das Tablett und ging vor, aus der K#252;che heraus durch den dunklen kleinen Tunnel hin#252;ber in das Vorderzimmer. Matilda folgte ihr, aber in der T#252;r des sogenannten Wohnzimmers blieb sie wie festgenagelt stehen und schaute sich starr vor Staunen um. Der Raum war so klein, rechteckig und kahl wie eine Gef#228;ngniszelle. Das schwache Tageslicht, das hereinschien, kam durch ein winziges Fenster an der Vorderfront, vor dem keine Vorh#228;nge hingen. Die einzigen Gegenst#228;nde in dem ganzen Raum waren zwei umgedrehte Holzkisten, die als St#252;hle dienten, und dazwischen eine dritte Kiste als Tisch. Das war alles. An den W#228;nden hingen keine Bilder, auf dem Boden lag kein Teppich, man sah nur die rohen Dielenbretter, und in den Ritzen dazwischen hatten sich Staubflocken und Dreckkr#252;mel angesammelt. Die Decke war so niedrig, da#223; Matilda nur h#228;tte hochzuspringen brauchen, schon h#228;tte sie sie mit den Fingerspitzen ber#252;hrt. Die W#228;nde waren wei#223;, aber es sah nicht wie Farbe aus. Matilda rieb mit der flachen Hand dar#252;ber, und ein wei#223;er Staub blieb daran haften. Es war T#252;nche, die einfache Kalkmilch, die man zum Wei#223;en von Scheunen, Kuh- und H#252;hnerst#228;llen benutzt.

Matilda war verst#246;rt. Wohnte ihre ordentliche und immer so adrett gekleidete Lehrerin wirklich hier? Mu#223;te sie nach ihrer Tagesarbeit immer hierher zur#252;ckkehren? Das war unglaublich. Und was konnte es f#252;r einen Grund daf#252;r geben? Dahinter mu#223;te etwas ganz Merkw#252;rdiges stecken.

Fr#228;ulein Honig stellte das Tablett auf eine der hochkant gestellten Kisten. «Setz dich, mein Liebes, setz dich doch», sagte sie, «und dann wollen wir eine sch#246;ne Tasse Tee trinken. Nimm dir ein St#252;ck Brot. Die beiden Scheiben sind f#252;r dich. Ich nehme nie etwas zu mir, wenn ich nach Hause komme. Ich greife mittags in der Schule t#252;chtig zu, und das reicht mir dann bis zum n#228;chsten Morgen.»

Matilda lie#223; sich vorsichtig auf einer umgekippten Kiste nieder, griff mehr aus H#246;flichkeit nach einem St#252;ck Margarinebrot und fing an, es zu essen. Zu Hause h#228;tte sie Toast mit Butter und Erdbeermarmelade bekommen und zum Abschlu#223; wahrscheinlich noch ein St#252;ck Biskuittorte. Trotzdem machte ihr dies hier sehr viel mehr Spa#223;. Es gab ein Geheimnis in diesem Haus. Ein gro#223;es Geheimnis, das stand au#223;er Zweifel, und Matilda platzte geradezu vor Neugier. Sie wollte herausfinden, was das f#252;r ein Geheimnis war.

Fr#228;ulein Honig schenkte den Tee ein und go#223; in jede Tasse ein wenig Milch. Es schien ihr nicht das geringste auszumachen, in einem kahlen Raum auf einer umgekehrten Kiste zu sitzen und Tee aus einem Becher zu trinken, den sie auf ihren Knien balancierte.

«Wei#223;t du», sagte sie, «ich habe #252;ber das, was du mit dem Glas gemacht hast, sehr gr#252;ndlich nachgedacht. Du wei#223;t sicher, mein Kind, da#223; dir eine gro#223;e Macht verliehen worden ist.»

«Ja, Fr#228;ulein Honig, das wei#223; ich», antwortete Matilda und kaute ihr Margarinebrot.

«Soviel ich wei#223;», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «hat bis jetzt noch keiner in der Weltgeschichte einen Gegenstand bewegen k#246;nnen, ohne da#223; er ihn ber#252;hrt oder dagegengepustet oder irgendeine andere fremde Hilfe in Anspruch genommen h#228;tte.»

Matilda nickte schweigend.

«Es w#228;re faszinierend», sagte Fr#228;ulein Honig, «wenn man die wirkliche Grenze deiner Kraft herausbekommen k#246;nnte. Ja, ja, ich wei#223;, du bildest dir ein, du k#246;nntest einfach alles in Bewegung setzen, was es gibt, aber gerade da habe ich meine Zweifel.»



«Ich w#252;rde wahnsinnig gerne irgend etwas Riesiges versuchen», sagte Matilda.

«Wie ist es mit der Entfernung?» fragte Fr#228;ulein Honig. «Mu#223;t du immer dicht bei dem Gegenstand sein, den du bewegst?»

«Das wei#223; ich einfach nicht», antwortete Matilda, «aber es w#252;rde mir Spa#223; machen, das auszuprobieren.»


Fr#228;ulein Honigs Geschichte

«Wir sollten das nicht #252;bereilen», sagte Fr#228;ulein Honig, «la#223; uns lieber noch eine Tasse Tee trinken. Und i#223; die zweite Scheibe Brot. Du mu#223;t doch hungrig sein.»

Matilda nahm sich die zweite Schnitte und fing an, sie langsam und bed#228;chtig zu kauen. Die Margarine schmeckte gar nicht so schlecht. Sie bezweifelte, ob sie den Unterschied gemerkt h#228;tte, wenn sie’s nicht gewu#223;t h#228;tte. «Fr#228;ulein Honig», sagte sie pl#246;tzlich, «werden Sie in unserer Schule so schlecht bezahlt?»

Fr#228;ulein Honig warf ihr einen wachsamen Blick zu. «Es geht», sagte sie, «ich bekomme ungef#228;hr genausoviel wie die anderen.»

«Aber wenn Sie so schrecklich arm sind, mu#223; das doch ziemlich wenig sein», sagte Matilda. «Leben alle Lehrer so wie Sie, ohne M#246;bel und Kochherd und Badezimmer?»

«Nein, das nicht», antwortete Fr#228;ulein Honig ziemlich steif, «ich bin nur zuf#228;llig eine Ausnahme.»

«Wahrscheinlich m#246;gen Sie gerne ganz einfach leben», sagte Matilda, indem sie sich noch weiter vorwagte. «Es mu#223; den Hausputz sehr viel einfacher machen, und Sie brauchen keine M#246;bel abzuledern und sich nicht um diese albernen kleinen Nippsachen zu k#252;mmern, die #252;berall rumstehen und die man jeden Tag abstauben mu#223;. Und wenn man keinen K#252;hlschrank hat, dann mu#223; man wahrscheinlich auch gar nicht aus dem Haus gehen und all dieses Zeug kaufen, Eier und Mayonnaise und Eiscreme, um den K#252;hlschrank vollzukriegen. Ja, man kann sich diese ganze Einkauferei sparen.»

An dieser Stelle merkte Matilda, wie sich Fr#228;ulein Honigs Gesicht verkrampfte und einen sonderbaren Ausdruck annahm. Ihr ganzer K#246;rper war angespannt, die Schultern hochgezogen, die Lippen zusammengepre#223;t, so sa#223; sie da, umklammerte mit beiden H#228;nden den Teebecher und starrte so verbissen hinein, als ob sie dort eine Antwort auf diese gar nicht so unschuldigen Fragen suchte.



Es folgte ein ziemlich langes und bedr#252;ckendes Schweigen. Innerhalb von einer halben Minute hatte sich die Atmosph#228;re in dem kleinen Raum vollkommen ver#228;ndert und vibrierte jetzt vor Verlegenheit und Geheimnissen. Matilda sagte: «Bitte verzeihen Sie mir, da#223; ich Sie all das gefragt habe, Fr#228;ulein Honig. Es geht mich ja nichts an.»

Daraufhin ri#223; sich Fr#228;ulein Honig zusammen. Sie straffte die Schultern und stellte den Becher sehr umst#228;ndlich und behutsam auf das Tablett.

«Warum h#228;ttest du nicht fragen sollen?» sagte sie. «Irgendwann h#228;ttest du es ohnehin getan. Du bist viel zu aufgeweckt, um dir keine Gedanken zu machen. Vielleicht wollte ich sogar, da#223; du fragst. Vielleicht habe ich dich nur aus diesem Grund hierher eingeladen. Du bist n#228;mlich der allererste Besucher, seit ich vor zwei Jahren in dieses H#228;uschen eingezogen bin.»

Matilda schwieg. Sie konnte sp#252;ren, wie die Spannung im Raum immer st#228;rker wurde.

«Du bist f#252;r deine Jahre so einsichtsvoll, mein Liebes», fuhr Fr#228;ulein Honig fort. «Das bringt mich immer wieder durcheinander. Du siehst wie ein Kind aus, aber in Wirklichkeit bist du #252;berhaupt kein Kind, weil dein Verstand und deine Geisteskr#228;fte ganz erwachsen zu sein scheinen. Ich glaube, wir sollten dich als ein erwachsenes Kind bezeichnen, wenn du wei#223;t, was ich meine.»

Matilda schwieg noch immer. Sie wartete auf das, was als n#228;chstes kommen mu#223;te.

«Bis jetzt», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «war es mir unm#246;glich, mit einem anderen Menschen #252;ber meine Probleme zu sprechen. Ich hatte Angst vor den Aufregungen, und mir hat immer der Mut gefehlt. Was ich an Mut besessen hatte, das ist mir schon ausgetrieben worden, als ich noch ganz klein war. Aber jetzt habe ich pl#246;tzlich so etwas wie den verzweifelten Wunsch, jemandem alles zu erz#228;hlen. Ich wei#223;, du bist nur ein Kind, ein kleines M#228;dchen, aber irgendwo steckt ein Zauber in dir. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen.»

Matilda wurde pl#246;tzlich sehr aufmerksam. Die Stimme, die sie h#246;rte, rief ganz unverh#252;llt nach Hilfe. Ja, bestimmt. Es konnte gar nicht anders sein.

Dann erhob sich die Stimme wieder. «Willst du noch einen Schluck Tee?» sagte sie. «Ich glaube, es ist noch etwas da.»

Matilda nickte.

Fr#228;ulein Honig schenkte den Tee in die beiden Becher und gab etwas Milch hinzu. Wieder umschlo#223; sie ihren Becher mit beiden H#228;nden und trank mit kleinen Schlucken. Ein ziemlich langes Schweigen entstand, bis sie fragte: «Darf ich dir eine Geschichte erz#228;hlen?»

«Nat#252;rlich», antwortete Matilda.

«Ich bin dreiundzwanzig Jahre alt», sagte Fr#228;ulein Honig, «und als ich geboren wurde, war mein Vater hier am Ort der Arzt. Wir hatten ein h#252;bsches altes Haus, ziemlich gro#223;, aus rotem Backstein. Es liegt ganz verborgen im Wald, hinter den H#252;geln. Ich glaube, du kennst es gar nicht.»

Matilda schwieg.

«Dort bin ich geboren worden», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «und dann ereignete sich die erste Trag#246;die. Meine Mutter starb, als ich zwei Jahre alt war. Mein Vater hatte viel zu tun und brauchte jemanden, der das Haus f#252;hrte und sich um mich k#252;mmerte. Er lud also die unverheiratete Schwester meiner Mutter, meine Tante, ein, zu uns zu ziehen. Sie war einverstanden und kam zu uns.»

Matilda h#246;rte gespannt zu. «Wie alt war die Tante, als sie bei Ihnen einzog?» fragte sie.

«Noch nicht sehr alt», antwortete Fr#228;ulein Honig, «ich w#252;rde sagen, so um die Drei#223;ig. Aber ich hab sie von Anfang an geha#223;t. Ich vermi#223;te meine Mutter entsetzlich, und die Tante war nicht sehr freundlich. Mein Vater wu#223;te das nicht, weil er nur selten da war, aber wenn er auftauchte, f#252;hrte sich meine Tante ganz anders auf.»

Fr#228;ulein Honig hielt inne und trank einen Schluck Tee. «Ich wei#223; wirklich nicht, warum ich dir das alles erz#228;hle», sagte sie verlegen.

«Weiter», sagte Matilda, «bitte.»

«Na gut», sagte Fr#228;ulein Honig. «Dann ereignete sich die zweite Trag#246;die. Als ich f#252;nf Jahre alt war, starb mein Vater ganz pl#246;tzlich. Von einem Tag auf den anderen. Und ich blieb allein mit meiner Tante zur#252;ck. Das Gericht bestimmte sie zu meinem Vormund. Sie hatte also das Sorgerecht f#252;r mich, konnte wie Eltern #252;ber mich bestimmen, und irgendwie wurde sie auch die eigentliche Besitzerin des Hauses.»

«Wie ist Ihr Vater denn gestorben?» fragte Matilda.

«Es ist interessant, da#223; du dich danach erkundigst», sagte Fr#228;ulein Honig. «Ich selbst war damals viel zu klein, um danach zu fragen, aber sp#228;ter habe ich festgestellt, da#223; es betr#228;chtliche Unklarheiten um diesen Tod gegeben hat.»

«Hat man nicht gewu#223;t, woran er gestorben ist?» fragte Matilda.

«Nein, nicht genau», erwiderte Fr#228;ulein Honig z#246;gernd. «Wei#223;t du, es wollte einfach niemand glauben, da#223; er so etwas getan hatte. Er war ein durch und durch gesunder und vern#252;nftiger Mann.»

«Was getan hatte?» fragte Matilda.

«Sich das Leben genommen.»

Das verbl#252;ffte Matilda. «Hat er das wirklich getan?» stie#223; sie hervor.

«So hat es ausgesehen», sagte Fr#228;ulein Honig, «aber wer wei#223;?» Sie zuckte die Schultern und wandte sich ab und starrte zu dem winzigen Fenster hinaus.

«Ich wei#223;, was Sie denken», sagte Matilda, «Sie glauben, da#223; ihn die Tante get#246;tet hat und da#223; sie es so eingerichtet hat, da#223; man denken mu#223;te, er h#228;tte es selber getan.»

«Ich denke gar nichts», erwiderte Fr#228;ulein Honig. «Wenn es keinen Beweis gibt, darf man so etwas nicht denken.»

In der kleinen Stube wurde es totenstill. Matilda merkte, da#223; die H#228;nde, die den Becher umklammerten, leise bebten. «Und was ist danach passiert?» fragte sie. «Was ist mit Ihnen passiert, als Sie mit der Tante alleine waren? War sie nicht nett zu Ihnen?»

«Nett?» sagte Fr#228;ulein Honig. «Sie war ein Teufel. Sobald mein Vater aus dem Wege war, wurde sie ein wahres Schreckgespenst. Mein Leben wurde ein Angsttraum.»

«Was hat sie Ihnen denn angetan?» erkundigte sich Matilda.

«Dar#252;ber m#246;chte ich nicht sprechen», sagte Fr#228;ulein Honig, «es ist zu schrecklich. Aber schlie#223;lich bekam ich solche Angst vor ihr, da#223; ich schon zu zittern anfing, wenn sie nur den Raum betrat. Ich bin niemals so ein starker Charakter wie du gewesen, verstehst du? Ich war immer sch#252;chtern und scheu.»

«Haben Sie denn gar keine anderen Verwandten gehabt?» fragte Matilda. «Irgendwelche Onkel oder Tanten oder Omas, die Sie h#228;tten besuchen k#246;nnen?»

«Soweit ich wei#223;, nicht», antwortete Fr#228;ulein Honig. «Sie waren alle entweder tot oder nach Australien ausgewandert. Und ich f#252;rchte, daran hat sich bis heute nichts ge#228;ndert.»

«Sie sind also alleine mit Ihrer Tante in dem Haus aufgewachsen», sagte Matilda, «aber Sie m#252;ssen doch in die Schule gegangen sein.»

«Nat#252;rlich», erwiderte Fr#228;ulein Honig, «ich bin in dieselbe Schule gegangen, die du jetzt besuchst. Aber gewohnt habe ich eben zu Hause.» Fr#228;ulein Honig hielt inne und starrte in ihren leeren Teebecher. «Also, was ich dir gerade zu erkl#228;ren versuche», fuhr sie fort, «ist wohl, wie ich im Lauf der Jahre von diesem Tantenunget#252;m so vollst#228;ndig geduckt und beherrscht wurde, da#223; ich auf der Stelle gehorchte, gleichg#252;ltig, was sie befahl. So etwas kann passieren, verstehst du. Und als ich gl#252;cklich zehn geworden war, hatte sie mich ganz und gar zu ihrer Sklavin gemacht. Ich erledigte die ganze Hausarbeit. Ich machte ihr Bett. Ich wusch und b#252;gelte f#252;r sie. Ich bereitete alle Mahlzeiten zu. Ich hatte einfach alles gelernt.»

«Aber Sie h#228;tten doch sicherlich irgend jemandem Ihr Herz aussch#252;tten k#246;nnen?» fragte Matilda.

«Wem denn?» fragte Fr#228;ulein Honig. «Und au#223;erdem, ich war viel zu verschreckt, um mich zu beschweren. Ich hab dir doch gesagt, ich war eine Sklavin.»

«Hat sie Sie geschlagen?»

«Wir wollen bitte nicht in die Einzelheiten gehen», sagte Fr#228;ulein Honig.

«Das ist ja einfach grauenhaft», sagte Matilda. «Haben Sie nicht die ganze Zeit geheult?»

«Nur wenn ich alleine war», antwortete Fr#228;ulein Honig. «Vor ihr durfte ich nicht weinen. Aber ich lebte in Angst und Schrecken.»

«Und was ist passiert, als Sie mit der Schule fertig waren?» fragte Matilda.

«Ich war eine gute Sch#252;lerin», sagte Fr#228;ulein Honig, «ich h#228;tte leicht studieren k#246;nnen. Aber das kam gar nicht in Frage.»

«Warum nicht, Fr#228;ulein Honig?»

«Weil ich zu Hause ben#246;tigt wurde, f#252;r die ganze Arbeit.»

«Wie sind Sie denn dann Lehrerin geworden?» fragte Matilda.

«In Reading gibt es ein Lehrerinnenkolleg», sagte Fr#228;ulein Honig. «Dahin f#228;hrt man mit dem Bus nur vierzig Minuten. Ich bekam die Erlaubnis, dorthin zu fahren, allerdings nur unter der Bedingung, da#223; ich jeden Nachmittag geradewegs wieder nach Hause kam, um zu waschen und zu b#252;geln und das Haus zu putzen und das Essen zu kochen.»

«Wie alt sind Sie denn da gewesen?» fragte Matilda.

«Als ich in das Lehrerinnenkolleg ging, war ich achtzehn», antwortete Fr#228;ulein Honig.

«Sie h#228;tten doch einfach packen und weggehen k#246;nnen», sagte Matilda.

«Nicht ohne eine Anstellung», sagte Fr#228;ulein Honig, «und du darfst nicht vergessen, da hatte mich meine Tante noch so unter der Fuchtel, da#223; ich mich gar nicht getraut h#228;tte. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie das ist, wenn man von einer sehr starken Pers#246;nlichkeit so voll und ganz beherrscht wird. Da wirst du wie ein Wackelpudding. Tja, so ist das. Nun kennst du meine tr#252;bselige Lebensgeschichte. Und jetzt hab ich genug geredet.»

«Bitte, h#246;ren Sie nicht auf», sagte Matilda, «Sie sind ja noch nicht fertig. Wie haben Sie es schlie#223;lich doch geschafft, ihr zu entkommen und in diese komische kleine H#252;tte zu ziehen?»

«Ah, das war vielleicht was!» sagte Fr#228;ulein Honig. «Darauf bin ich richtig stolz.»

«Erz#228;hlen!» bat Matilda.

«Nun gut», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «als ich also eine Stelle als Lehrerin bekam, teilte mir die Tante mit, da#223; ich ihr ziemlich viel Geld schuldete. Ich fragte sie warum. Sie sagte: ‹Weil ich dich jahrelang ern#228;hrt habe und weil ich dir die Schuhe und die Kleider gekauft habe!› Sie sagte mir, das sei in die Tausende gegangen, und ich m#252;#223;te ihr das alles zur#252;ckzahlen, indem ich ihr in den n#228;chsten zehn Jahren mein Gehalt g#228;be. ‹Ein Pfund pro Woche gebe ich dir als Taschengeld›, sagte sie, ‹aber dar#252;ber hinaus kriegst du nichts.› Dann hat sie mit der Schulbeh#246;rde abgemacht, da#223; mein Geld direkt auf ihr Bankkonto #252;berwiesen wird. Sie zwang mich, diese Erkl#228;rung zu unterschreiben.»



«Das h#228;tten Sie aber nicht tun sollen», sagte Matilda, «das Gehalt war Ihr Schl#252;ssel zur Freiheit.»

«Ich wei#223;, ich wei#223;», sagte Fr#228;ulein Honig, «aber ich war fast mein ganzes Leben lang von ihr abh#228;ngig gewesen, und ich hatte nicht den Mut oder den Verstand, einfach nein zu sagen. Ich hatte immer noch eine Heidenangst vor ihr. Sie konnte mir immer noch viel B#246;ses antun!»

«Und wie haben Sie’s dann doch geschafft, ihr zu entkommen?» fragte Matilda.

«Ah», sagte Fr#228;ulein Honig und l#228;chelte zum erstenmal, «das war vor zwei Jahren. Und es war mein gr#246;#223;ter Triumph.»

«Ach bitte, erz#228;hlen Sie», bat Matilda.

«Ich stand immer sehr fr#252;h auf und machte einen Spaziergang, w#228;hrend meine Tante noch schlief», sagte Fr#228;ulein Honig, «und da bin ich eines Tages auf diese H#252;tte gesto#223;en. Sie stand leer. Ich kriegte heraus, wem sie geh#246;rte. Das war ein Bauer. Ich suchte ihn auf. Bauern stehen auch ziemlich fr#252;h auf. Er melkte gerade seine K#252;he. Ich fragte ihn, ob ich dieses H#228;uschen mieten k#246;nnte. ‹In dieser Kate kann doch keiner leben!› rief er. ‹Die hat ja keinen Wasseranschlu#223; und kein gar nichts!› – ‹Ich will da wohnen›, sagte ich, ‹ich bin eine Romantikerin. Ich hab mich in die Kate verliebt. Bitte vermieten Sie sie mir.› – ‹Bei Ihnen piept’s wohl›, sagte er, ‹aber wenn Sie drauf beharren, na, dann bitte sch#246;n. Die Miete betr#228;gt zehn Pence pro Woche.› – ‹Hier haben Sie eine Monatsmiete im voraus›, sagte ich und gab ihm vierzig Pence, ‹und auch herzlichen Dank!›»

«Das ist ja super!» rief Matilda. «Da haben Sie ganz pl#246;tzlich ein H#228;uschen f#252;r sich gehabt! Aber woher haben Sie den Mut genommen, es Ihrer Tante beizubringen?»

«Das war ein harter Brocken», sagte Fr#228;ulein Honig, «aber ich habe mich daf#252;r ger#252;stet. Eines Abends habe ich ihr zuerst das Essen gekocht, und dann bin ich hinaufgegangen und hab die paar Sachen, die mir geh#246;rten, in einen Karton gepackt und bin wieder nach unten gegangen und hab verk#252;ndet, da#223; ich sie verlasse. ‹Ich habe ein Haus gemietet›, hab ich gesagt. Meine Tante ist explodiert. ‹Ein Haus gemietet!› hat sie geschrien. ‹Wie kannst du ein Haus mieten, wenn du nur ein Pfund in der Woche zur Verf#252;gung hast?› – ‹Ich hab’s getan›, hab ich gesagt. ‹Und wovon willst du dir das Essen kaufen?› – ‹Das schaff ich schon›, hab ich gemurmelt, und dann bin ich aus der Haust#252;r gest#252;rzt.»

«Das war aber t#252;chtig!» rief Matilda. «So sind Sie schlie#223;lich doch frei gekommen!»

«Ja, schlie#223;lich war ich frei», sagte Fr#228;ulein Honig. «Ich kann dir nicht sagen, wie wunderbar das war.»

«Und Sie haben es wirklich geschafft, hier zwei Jahre lang nur mit einem Pfund pro Woche auszukommen?» fragte Matilda.

«Und ob ich das geschafft habe», sagte Fr#228;ulein Honig. «Zehn Pence zahle ich als Miete, und der Rest reicht gerade aus, f#252;r meinen Kocher und f#252;r meine Lampe Paraffin zu kaufen und dann noch ein bi#223;chen Milch und Tee, Brot und Margarine. Mehr brauche ich wirklich nicht. Und wie ich dir schon gesagt habe, mittags in der Schule lang ich t#252;chtig zu.»

Matilda starrte sie an. Wie war Fr#228;ulein Honig doch tapfer gewesen. Sie wurde in Matildas Augen pl#246;tzlich zur Heldin. «Ist es hier im Winter nicht schrecklich kalt?» fragte sie.

«Ich hab ja meinen kleinen Paraffin-Ofen», sagte Fr#228;ulein Honig. «Du w#228;rst ganz erstaunt, wie mollig ich es mir hier drinnen machen kann.»

«Haben Sie denn ein Bett, Fr#228;ulein Honig?»

«Genaugenommen eigentlich nein», erwiderte Fr#228;ulein Honig und l#228;chelte wieder, «aber man sagt ja, es sei gesund, hart zu schlafen.»

Pl#246;tzlich war Matilda imstande, die ganze Situation in absoluter Klarheit zu erkennen. Fr#228;ulein Honig brauchte Hilfe. Sie konnte so nicht weiter existieren, nicht unbegrenzt lange. «Sie w#252;rden viel besser zurechtkommen, Fr#228;ulein Honig», sagte sie, «wenn Sie Ihre Stelle aufgeben und Arbeitslosengeld beziehen.»

«Ich denke gar nicht daran», sagte Fr#228;ulein Honig, «ich unterrichte f#252;r mein Leben gern.»

«Und diese gr#228;#223;liche Tante», sagte Matilda, «wohnt sie immer noch in Ihrem sch#246;nen alten Haus?»

«Das kann man wohl sagen», entgegnete Fr#228;ulein Honig. «Sie ist erst gerade #252;ber F#252;nfzig. Sie hat wohl noch eine ziemlich lange Zeit vor sich.»

«Und glauben Sie wirklich, da#223; Ihr Vater ihr das Haus zugedacht hat?»

«Ich bin fest davon #252;berzeugt, da#223; er das nicht getan hat», antwortete Fr#228;ulein Honig. «Eltern r#228;umen einem Vormund oft das Recht ein, das Haus f#252;r eine bestimmte Zeit zu bewohnen, aber der kann es immer nur f#252;r das Kind verwalten. Wenn dieses Kind vollj#228;hrig wird, geht es in seinen oder ihren Besitz #252;ber.»

«Dann mu#223; es doch noch Ihr Haus sein?» fragte Matilda.

«Das Testament meines Vaters ist nie gefunden worden», sagte Fr#228;ulein Honig. «Es sieht so aus, als ob es jemand vernichtet h#228;tte.»

«Dreimal darf ich raten wer», sagte Matilda.

«Einmal reicht», meinte Fr#228;ulein Honig.



«Aber wenn es kein Testament gibt, Fr#228;ulein Honig, dann m#252;#223;te das Haus doch automatisch an Sie fallen. Sie sind doch die n#228;chste Verwandte.»

«Das wei#223; ich», sagte Fr#228;ulein Honig, «aber meine Tante konnte einen Zettel vorweisen, der vermutlich von meinem Vater stammte. Auf dem stand, er wolle das Haus seiner Schw#228;gerin vererben zum Dank daf#252;r, da#223; sie sich so freundlich um mich gek#252;mmert h#228;tte. Ich bin sicher, das war eine F#228;lschung. Aber beweisen kann es keiner.»

«K#246;nnten Sie es nicht versuchen?» fragte Matilda. «K#246;nnten Sie nicht einen guten Rechtsanwalt nehmen und darum k#228;mpfen?»

«Daf#252;r habe ich kein Geld», sagte Fr#228;ulein Honig, «und du darfst auch nicht vergessen, da#223; diese Tante von mir eine hochgeachtete Pers#246;nlichkeit in der Stadt ist. Sie besitzt einen betr#228;chtlichen Einflu#223;.»

«Wer ist sie denn?» fragte Matilda.

Fr#228;ulein Honig z#246;gerte einen Augenblick. Dann sagte sie leise: «Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh.»



Die Namen

«Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh!» schrie Matilda und h#252;pfte auf einem Fu#223; im Kreise. «Wollen Sie behaupten, das w#228;r Ihre Tante? Die hat Sie aufgezogen?»

«Ja», sagte Fr#228;ulein Honig.

«Kein Wunder, da#223; Sie soviel Angst hatten!» rief Matilda. «Gestern hab ich gesehen, wie sie ein M#228;dchen bei den Z#246;pfen packte und #252;ber den Zaun vom Schulhof schleuderte!»

«Da hast du noch gar nichts gesehen», sagte Fr#228;ulein Honig. «Nach dem Tod meines Vaters, als ich f#252;nfeinhalb Jahre alt war, befahl sie mir meistens, alleine zu baden. Und wenn sie heraufkam und dachte, ich h#228;tte mich nicht ordentlich gewaschen, dann dr#252;ckte sie mir den Kopf unter Wasser und hielt mich so fest. Aber ich will gar nicht damit anfangen, was sie noch f#252;r Gewohnheiten hatte. Das wird uns #252;berhaupt nicht weiterhelfen.»

«Nein», sagte Matilda, «das hilft nichts.»

«Wir sind hierhergekommen», sagte Fr#228;ulein Honig, «um #252;ber dich zu sprechen, und jetzt hab ich die ganze Zeit nur #252;ber mich geredet. Ich komme mir ganz albern vor. Ich m#246;chte wirklich viel lieber wissen, was du alles mit deinen erstaunlichen Augen ausrichten kannst.»

«Ich kann Gegenst#228;nde bewegen», antwortete Matilda, «das wei#223; ich bestimmt. Und ich kann Gegenst#228;nde umkippen.»

«Was w#252;rdest du denn davon halten», sagte Fr#228;ulein Honig, «wenn wir in aller Vorsicht ein paar Experimente durchf#252;hrten, einfach um festzustellen, wieviel du in Bewegung setzen und umkippen kannst?»

Zu ihrer #220;berraschung erwiderte Matilda: «Wenn Sie nichts dagegen haben, Fr#228;ulein Honig, w#252;rde ich das, glaube ich, lieber nicht tun. Ich m#246;chte jetzt nach Hause gehen und nachdenken, #252;ber alles nachdenken, was ich heute nachmittag geh#246;rt habe.»

Fr#228;ulein Honig stand sofort auf. «Nat#252;rlich», sagte sie, «ich habe dich viel zu lange hier bei mir behalten. Deine Mutter wird schon anfangen, sich Sorgen zu machen.»

«Das macht sie nie», erwiderte Matilda und l#228;chelte, «aber ich w#252;rde jetzt trotzdem gern nach Hause gehen, wenn’s Ihnen recht ist.»

«Also dann komm», sagte Fr#228;ulein Honig. «Es tut mir leid, da#223; du nur so einen erb#228;rmlichen Tee bekommen hast.»

«#220;berhaupt nicht», sagte Matilda, «ich fand es sch#246;n.»

Die beiden legten die ganze Strecke bis zu Matildas Haus in tiefem Schweigen zur#252;ck. Fr#228;ulein Honig sp#252;rte, da#223; es Matilda so am liebsten hatte. Das Kind schien so in Gedanken versunken zu sein, da#223; es kaum darauf achtete, wohin es ging, und als sie die Gartent#252;r von Matildas Haus erreicht hatten, sagte Fr#228;ulein Honig: «Du vergi#223;t am besten alles, was ich dir heute nachmittag erz#228;hlt habe.»

«Das kann ich nicht versprechen», sagte Matilda, «aber ich verspreche, da#223; ich mit keinem dar#252;ber reden werde, nicht einmal mit Ihnen.»

«Das w#228;re, glaube ich, sehr klug», sagte Fr#228;ulein Honig.

«Ich kann aber nicht versprechen, da#223; ich aufh#246;re, dar#252;ber nachzudenken, Fr#228;ulein Honig», fuhr Matilda fort. «Ich habe auf dem ganzen R#252;ckweg von Ihrem H#228;uschen dar#252;ber nachgedacht, und ich glaube, ich habe einen allerersten, winzigen Anfang von einer Idee.»

«Das sollst du nicht», sagte Fr#228;ulein Honig, «bitte streich das alles aus deinem Ged#228;chtnis.»

«Ich w#252;rde Ihnen gerne noch drei allerletzte Fragen stellen, ehe ich nicht mehr davon rede», sagte Matilda. «Ob Sie mir die bitte beantworten, Fr#228;ulein Honig?»

Fr#228;ulein Honig l#228;chelte. Es war schon etwas ganz Besonderes, sagte sie sich, wie dieses winzige Wesen sich pl#246;tzlich ihrer Probleme annahm, und noch dazu mit einer solchen Autorit#228;t. «Also», antwortete sie, «das h#228;ngt davon ab, was das f#252;r Fragen sind.»



«Die erste Frage lautet», sagte Matilda, «wie nannte Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh Ihren Vater, wenn sie bei sich zu Hause waren?»

«Ich bin sicher, da#223; sie Magnus zu ihm sagte», antwortete Fr#228;ulein Honig, «das war sein Rufname.»

«Und wie nannte Ihr Vater Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh?»

«Sie hei#223;t Agatha», sagte Fr#228;ulein Honig, «und so wird er sie wohl auch genannt haben.»

«Und als letztes», sagte Matilda, «wie sind Sie von Ihrem Vater und von Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh zu Hause genannt worden?»

«Sie sagten Florentine zu mir», antwortete Fr#228;ulein Honig.

Matilda dachte konzentriert #252;ber diese Antworten nach. «Ich m#246;chte sicher sein, da#223; ich alles richtig behalten habe», sagte sie, «bei Ihnen daheim war Ihr Vater Magnus, Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh Agatha und Sie selber Florentine. Ist das richtig?»

«Das stimmt», sagte Fr#228;ulein Honig.

«Danke sch#246;n», sagte Matilda, «und jetzt werde ich dieses Thema nie mehr anschneiden.»

Fr#228;ulein Honig h#228;tte zu gern gewu#223;t, was im Kopf dieses Kindes vorgehen mochte. «Tu aber nichts Unbedachtes», sagte sie.

Matilda lachte, wandte sich ab, rannte den Weg zu ihrer Haust#252;r entlang und rief dabei: «Auf Wiedersehen, Fr#228;ulein Honig! Und vielen Dank f#252;r den Tee.»


Die praktische #220;bung

Matilda fand das Haus wie #252;blich leer und verlassen vor. Ihr Vater war noch nicht von der Arbeit zur#252;ck, ihre Mutter noch nicht vom Bingo, und wo sich ihr Bruder herumtrieb, mochte der Himmel wissen. Sie ging geradewegs ins Wohnzimmer und zog die Schublade der Anrichte auf, in der, wie sie wu#223;te, ihr Vater eine Kiste Zigarren aufhob. Sie nahm sich eine heraus, trug sie in ihr Schlafzimmer hinauf und schlo#223; die T#252;r hinter sich zu. Jetzt also die praktische #220;bung, sagte sie sich. Es wird ganz sch#246;n haarig sein, aber ich bin fest entschlossen, es mu#223; klappen.

Ihr Hilfsplan f#252;r Fr#228;ulein Honig begann in ihrer Vorstellung die sch#246;nsten Formen anzunehmen. Sie hatte ihn schon fast in allen Einzelheiten fertig, aber am Ende hing alles davon ab, ob sie imstande sein w#252;rde, eine einzige spezielle Sache mit ihrer Augenkraft zu schaffen. Sie wu#223;te genau, da#223; sie es nicht auf Anhieb zustande br#228;chte, aber sie vertraute fest darauf, da#223; es ihr mit der erforderlichen #220;bung und Hartn#228;ckigkeit am Ende schon gelingen w#252;rde. Die Zigarre spielte dabei eine wesentliche Rolle. Sie war vielleicht etwas dicker, als sie sie gern gehabt h#228;tte, aber das Gewicht war genau richtig. Sie w#252;rde gut mit ihr #252;ben k#246;nnen.

In Matildas Schlafzimmer stand ein kleiner Frisiertisch, auf dem ihr Kamm und ihre B#252;rste lagen und zwei B#252;cher aus der Bibliothek. Sie r#228;umte diese Gegenst#228;nde beiseite und legte statt dessen die Zigarre mitten auf den Frisiertisch. Dann ging sie ein paar Schritte weg und lie#223; sich am Fu#223;ende ihres Betts nieder. Sie war jetzt etwa drei Meter von der Zigarre entfernt.

Sie setzte sich zurecht und begann sich zu konzentrieren, und diesmal sp#252;rte sie sehr rasch, wie die Elektrizit#228;t in ihrem Kopf zu str#246;men begann, sich hinter den Augen zusammenballte, wie die Augen hei#223; wurden und wie Millionen von unsichtbaren winzigen H#228;nden wie Funken gegen die Zigarre zu stieben und zu sto#223;en begannen. «Beweg dich!» fl#252;sterte sie, und zu ihrer namenlosen Verbl#252;ffung rollte die Zigarre mit ihrer kleinen rotgoldenen Bauchbinde aus Papier fast sofort quer #252;ber den Frisiertisch und kullerte auf den Teppich.



Das machte Matilda Spa#223;. Sie geno#223; diese #220;bung. Sie hatte das Gef#252;hl gehabt, als ob ihr im Kopf Funken im Kreise herumgejagt und aus den Augen geschossen w#228;ren. Das hatte ihr ein Gef#252;hl der Macht verliehen, das fast unirdisch war. Und wie schnell es diesmal geklappt hatte! Wie einfach es gewesen war!

Sie durchquerte das Schlafzimmer, hob die Zigarre auf und legte sie wieder auf den Tisch.

So, jetzt also zum schwierigen Teil, dachte sie. Denn wenn ich die Kraft zum Schieben habe, mu#223; ich doch auch sicher die zum Heben haben. Das Allerwichtigste ist, da#223; ich lerne, wie man hebt. Ich mu#223; unter allen Umst#228;nden lernen, wie sie sich in die Luft heben und dort halten l#228;#223;t. Es ist ja nichts sehr Schweres, so eine Zigarre.



Sie setzte sich wieder aufs Fu#223;ende des Betts und fing von vorn an. Es fiel ihr jetzt leicht, die Kraft hinter den Augen zu sammeln.

Es war, als dr#252;ckte man auf einen Ausl#246;ser im Gehirn. «Heb dich in die H#246;he!» fl#252;sterte sie. «Hoch! Hoch!»

Zuerst fing die Zigarre wieder an herumzukullern. Doch dann, weil sich Matilda wie verr#252;ckt konzentrierte, hob sich das eine Ende der Zigarre ganz langsam vom Tisch, vielleicht zwei oder drei Zentimeter hoch. Mit einer kolossalen Kraftanstrengung schaffte sie es, sie so etwa zehn Sekunden zu halten. Dann fiel sie wieder zur#252;ck.



«Puh!» keuchte sie. «Aber ich hab’s! Ich fang an, es zu schaffen!»

In der n#228;chsten Stunde #252;bte Matilda ununterbrochen, und schlie#223;lich gelang es ihr, die ganze Zigarre nur durch die Kraft ihrer Augen etwa zwanzig Zentimeter vom Tisch hoch in die Luft zu heben und sie dort fast eine Minute lang in der Schwebe zu halten. Danach war sie pl#246;tzlich so ersch#246;pft, da#223; sie r#252;ckw#228;rts aufs Bett fiel und sofort einschlief.



So fand sie ihre Mutter sp#228;ter am Abend.

«Was ist denn los mit dir?» sagte sie und weckte sie auf. «Bist du krank?»

«Ach, Quatsch», sagte Matilda, richtete sich auf und schaute sich um. «Nein, mir geht’s gut. Ich war ein bi#223;chen m#252;de, das ist alles.»



Von da an schlo#223; sich Matilda jeden Tag nach der Schule in ihrem Zimmer ein und #252;bte mit der Zigarre. Und bald entwickelte sich alles aufs beste. Sechs Tage sp#228;ter, also am folgenden Mittwochnachmittag, war sie nicht nur imstande, die Zigarre in die Luft zu heben, sondern konnte sie auch ganz nach Belieben hin und her bewegen. Es war wunderbar. «Ich kann’s!» schrie Matilda. «Ich kann es wirklich! Ich kann die Zigarre mit meiner Augenkraft einfach aufheben und so durch die Luft sto#223;en und schieben, wie ich will!»

Jetzt mu#223;te sie ihren gro#223;en Plan nur noch in Gang setzen.


Das dritte Wunder

Der folgende Tag war Donnerstag, also der Tag, wie die ganze Klasse von Fr#228;ulein Honig wu#223;te, an dem die Schulleiterin die erste Unterrichtsstunde nach der Mittagspause zu #252;bernehmen pflegte.

Am Morgen hatte Fr#228;ulein Honig zu ihnen gesagt: «Einigen von euch hat es neulich nicht besonders gefallen, als die Frau Rektorin die Klasse #252;bernommen hatte. Deshalb wollen wir heute alle versuchen, uns besonders vorsichtig und vern#252;nftig zu betragen. Was machen denn deine Ohren, Erich, nach diesem letzten Zusammentreffen mit Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh?»

«Sie hat sie ausgeleiert», antwortete Erich. «Meine Mutter hat gesagt, sie sind ganz bestimmt l#228;nger als vorher.»

«Und Rupert?» sagte Fr#228;ulein Honig. «Ich bin sehr erleichtert, weil ich sehe, da#223; du seit dem letzten Donnerstag keine Haare mehr gelassen hast.»

«Mein Kopf hat aber danach ganz sch#246;n gebrannt», antwortete Rupert.

«Und du, Nigel», fuhr Fr#228;ulein Honig fort, «versuch heute bitte nicht wieder, der Frau Rektorin so schlau zu kommen. Du bist in der vergangenen Woche ganz sch#246;n frech gewesen.»

«Ich kann sie nicht ausstehen», antwortete Nigel.

«Zeig das lieber nicht so deutlich», sagte Fr#228;ulein Honig, «es zahlt sich nicht aus. Sie ist eine sehr kr#228;ftige Frau. Sie hat Muskeln wie Stahltrossen.»

«Ich w#252;nschte, ich w#228;re schon gro#223;», sagte Nigel, «dann w#252;rde ich sie umhauen.»

«Ich m#246;chte bezweifeln, da#223; dir das gel#228;nge», sagte Fr#228;ulein Honig, «bis jetzt hat sie noch keiner bezwungen.»

«Was wird sie uns denn heute nachmittag fragen?» erkundigte sich ein kleines M#228;dchen.

«Wohl sicherlich das Einmaldrei», antwortete Fr#228;ulein Honig. «Das habt ihr ja alle seit voriger Woche lernen sollen. Sorgt also daf#252;r, da#223; ihr es k#246;nnt.»

Die Mittagspause kam und ging vor#252;ber.

Nach dem Essen versammelte sich die Klasse wieder. Fr#228;ulein Honig stellte sich seitlich auf, die Kinder nahmen schweigend die Pl#228;tze ein und begannen voll Angst zu warten. Und dann brach die gewaltige Kn#252;ppelkuh in ihren gr#252;nen Hosen und dem Baumwollkittel wie ein Riesenweib aus der Urwelt in die Klasse ein. Sie marschierte geradewegs zu ihrem Wasserkrug, packte ihn am Griff, hob ihn auf und sp#228;hte mi#223;trauisch hinein.

«Ich bin entz#252;ckt», sagte sie, «da#223; diesmal keine schleimigen Gesch#246;pfe in meinem Trinkwasser schwimmen. H#228;tten sie es getan, so w#228;re jedem einzelnen Kind in dieser Klasse etwas besonders Unangenehmes zugesto#223;en. Und das h#228;tte Sie mit eingeschlossen, Fr#228;ulein Honig.»

Die Klasse verhielt sich mucksm#228;uschenstill, alle sa#223;en angespannt da. Sie hatten diese Tigerin unterdessen ein wenig kennengelernt, und keiner wollte sie reizen. «Also gut», dr#246;hnte die Kn#252;ppelkuh, «wollen wir mal sehen, wie gut ihr euer Einmaldrei beherrscht. Oder andersherum, wollen mal sehen, wie miserabel euch Fr#228;ulein Honig das Einmaldrei beigebracht hat.» Die Kn#252;ppelkuh stand vor der Klasse, Beine breit, H#228;nde auf den H#252;ften, und warf einen finsteren Blick auf Fr#228;ulein Honig, die schweigend an der Seite stand.

Matilda, die vollkommen reglos auf ihrem Platz in der zweiten Reihe sa#223;, verfolgte alles sehr genau.

«Du!» schrie die Kn#252;ppelkuh und deutete mit einem Finger von der Gr#246;#223;e einer Nudelrolle auf einen Jungen namens Wilfred. Wilfred sa#223; ganz vorn an der #228;u#223;ersten rechten Seite der Bankreihe.

«Steh auf, du!» schrie sie ihn an.

Wilfred stand auf.

«Sag das Einmaldrei r#252;ckw#228;rts auf!» bellte die Kn#252;ppelkuh.

«R#252;ckw#228;rts?» stammelte Wilfred. «Aber r#252;ckw#228;rts hab ich’s nicht ge#252;bt.»

«Seht ihr!» schrie die Kn#252;ppelkuh triumphierend. «Nichts hat sie euch beigebracht! Fr#228;ulein Honig, warum haben Sie ihnen in der letzten Woche nichts, #252;berhaupt nichts beigebracht?»

«Das ist nicht wahr, Frau Rektorin», sagte Fr#228;ulein Honig, «sie haben ihr Einmaldrei gelernt. Aber ich sehe keinen Sinn darin, es ihnen r#252;ckw#228;rts beizubringen. Es hat #252;berhaupt keinen Sinn, jemandem etwas verkehrt herum beizubringen. Das ganze Leben, Frau Rektorin, ist darauf gerichtet vorw#228;rtszuschreiten. Ich wage auch zu bezweifeln, ob selbst Sie ein so einfaches Wort wie zum Beispiel Kreuzwortr#228;tsel so ohne weiteres r#252;ckw#228;rts buchstabieren k#246;nnten. Das m#246;chte ich wirklich bezweifeln.»

«Werden Sie mir nicht frech, Fr#228;ulein Honig!» fauchte sie die Kn#252;ppelkuh an und wandte sich dann wieder dem ungl#252;ckseligen Wilfred zu. «Also gut, Junge», sagte sie, «dann antworte mir auf diese Frage: Ich habe sieben #196;pfel, sieben Apfelsinen und sieben Bananen. Wie viele Fr#252;chte habe ich dann insgesamt? Und jetzt hopp, hopp, schie#223; los! Raus mit der Antwort!»

«Aber das ist Zusammenz#228;hlen!» schrie Wilfred. «Das ist nicht das Einmaldrei!»

«Du hirnrissiger Idiot!» schrie die Kn#252;ppelkuh. «Du verschimmelter Pilz! Du stinkender Gummifurz! Und ob das das Einmaldrei ist! Du hast drei Mengen von Fr#252;chten, und jede Menge besteht aus sieben St#252;ck. Drei mal sieben ist einundzwanzig. Kannst du das nicht kapieren, du modriger Moormops? Ich werde dir noch eine allerletzte Chance geben. Ich habe acht Kokosn#252;sse, acht Erdn#252;sse und acht so taube N#252;sse, wie du eine bist. Wie viele N#252;sse habe ich insgesamt? Also – her mit der Antwort, flink, flink.»

Der arme Wilfred war vollkommen durcheinander. «Moment!» winselte er. «Bitte warten Sie! Ich mu#223; also acht Kokosn#252;sse und acht Erdn#252;sse zusammenz#228;hlen...» Er fing an, das an seinen Fingern abzuz#228;hlen.

«Du picklige Pestbeule», schrie die Kn#252;ppelkuh mit gellender Stimme, «du mottenzerfressener Murks! Hier wird nicht zusammengez#228;hlt! Hier wird multipliziert! Also drei mal acht! Oder vielleicht acht mal drei? Was ist der Unterschied zwischen drei mal acht und acht mal drei? Antworte mir, du spilleriger Wurzelzwerg, aber pa#223; blo#223; auf!»

Unterdessen war Wilfred so verschreckt und verst#246;rt, da#223; er kein Wort mehr herausbrachte.

In zwei gewaltigen Schritten war die Kn#252;ppelkuh neben ihm, und mit einem einzigen fabelhaften Turnertrick – es konnte genausogut Judo wie Karate gewesen sein – kickte sie mit einem Fu#223; so gegen Wilfreds Waden, da#223; der Junge steil in die H#246;he scho#223; und in der Luft einen Salto schlug. Aber mitten in diesem Schwung erwischte sie ihn am Fu#223;gelenk und hielt ihn so fest, da#223; er wie ein gerupftes Huhn in der Auslage eines Wild- und Gefl#252;gelladens mit dem Kopf nach unten baumelte.



«Acht mal drei», rief die Kn#252;ppelkuh und lie#223; Wilfred am Fu#223;gelenk hin und her pendeln, «acht mal drei ist dasselbe wie drei mal acht, und drei mal acht ist vierundzwanzig! Wiederhole mir das!»

Genau in diesem Augenblick sprang Nigel am anderen Ende des Klassenzimmers auf die F#252;#223;e, fing an, wie verr#252;ckt auf die Tafel zu deuten, und schrie: «Die Kreide! Die Kreide! Schaut euch doch die Kreide an! Sie bewegt sich von ganz alleine!»

Nigels Geschrei klang so hysterisch und schrill, da#223; alle, selbst die Kn#252;ppelkuh, zur Tafel blickten. Und wahrhaftig, dort schwebte ein funkelnagelneues St#252;ck Kreide dicht vor der grauschwarzen Schreibfl#228;che der Tafel.

«Sie schreibt was!» kreischte Nigel. «Die Kreide schreibt was!»

Und wirklich, sie schrieb etwas.

«Was zum Donnerwetter soll denn das?» heulte die Kn#252;ppelkuh.



Sie hatte einen Schreck gekriegt, weil sie sah, wie ihr eigener Vorname von einer unsichtbaren Hand an die Tafel geschrieben wurde. Sie lie#223; Wilfred einfach fallen und schrie, ohne jemand besonderen zu meinen: «Wer macht das denn? Wer schreibt denn da?»

Die Kreide fuhr fort zu schreiben:



Alle Kinder in der Klasse h#246;rten das Keuchen, das aus der Kehle der Kn#252;ppelkuh drang. «Nein!» schrie sie. «Das kann nicht sein! Das kann nicht Magnus sein!»



Fr#228;ulein Honig warf von ihrer Seite aus einen raschen Blick auf Matilda. Das Kind sa#223; kerzengerade an seinem Pult, den Kopf hochgereckt, den Mund zusammengekniffen, die Augen so funkelnd wie zwei Sterne.



Aus irgendeinem Grund schauten alle die Kn#252;ppelkuh an. Das Gesicht der Frau war wei#223; wie Schnee geworden. Ihr Mund klappte auf, sie schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen nach Luft und keuchte unabl#228;ssig, als ob sie erstickte.




Die Kreide h#246;rte auf zu schreiben. Sie schwebte noch ein paar Augenblicke in der Luft, dann fiel sie pl#246;tzlich auf den Boden, klirrte und brach in zwei St#252;cke.



Wilfred, der es unterdessen geschafft hatte, sich wieder auf seinen Platz in der ersten Reihe zu setzen, schrie auf: «Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh ist umgefallen! Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh liegt auf dem Boden!»

Das war die sensationellste Neuigkeit #252;berhaupt, und die ganze Klasse sprang auf, um diesen Anblick voll und ganz zu genie#223;en. Denn da lag sie, die gewaltige Gestalt der Schulleiterin, in voller L#228;nge r#252;cklings auf den Fu#223;boden gestreckt, erledigt und kampfunf#228;hig.

Fr#228;ulein Honig st#252;rzte nach vorn und lie#223; sich neben der gef#228;llten Riesin auf die Knie nieder. «Sie hat das Bewu#223;tsein verloren!» rief sie. «Sie ist hin#252;ber! Einer von euch mu#223; sofort loslaufen und die Hausmutter holen.»

Drei Kinder auf einmal st#252;rzten aus der Klasse.

Nigel, der immer etwas zu tun haben mu#223;te, sprang auf und packte den gro#223;en Wasserkrug. «Mein Vater sagt, kaltes Wasser ist das beste, wenn man wen wieder aufwecken will, der umgekippt ist», sagte er und go#223; bei diesen Worten den gesamten Inhalt des Wasserkrugs der Kn#252;ppelkuh auf den Kopf. Niemand protestierte, nicht einmal Fr#228;ulein Honig.



Was Matilda anbelangte, sie blieb reglos an ihrem Pult sitzen. Sie f#252;hlte sich merkw#252;rdig leicht. Ihr kam vor, als h#228;tte sie etwas ber#252;hrt, was nicht ganz von dieser Welt war, den h#246;chsten Punkt des Himmels, den fernsten Stern. Sie hatte fast wie ein Wunder gesp#252;rt, wie sich die Kraft hinter ihren Augen sammelte, wie sie ihr wie ein warmer Strom durch den Kopf flo#223;, ihre Augen waren gl#252;hendhei#223; geworden, hei#223;er denn je, und es war aus ihren Augenh#246;hlen herausgeschossen, da#223; sich die Schulkreide ganz von allein gehoben und angefangen hatte zu schreiben. Ihr war so, als h#228;tte sie selber kaum etwas getan, alles war ganz einfach gewesen.

Die Hausmutter kam mit einem Gefolge aus f#252;nf Lehrern, drei Frauen und zwei M#228;nnern, in das Klassenzimmer gest#252;rzt.

«Donnerwetter, hat sie endlich doch einer zu Boden gestreckt!» rief einer der M#228;nner und grinste. «Ich gratuliere, Fr#228;ulein Honig!»

«Wer hat das Wasser auf sie gegossen?» fragte die Hausmutter.

«Ich», antwortete Nigel stolz.

«Ausgezeichnet», sagte ein zweiter Lehrer, «sollen wir noch mehr holen?»

«Schlu#223; damit», befahl die Hausmutter, «wir k#246;nnen sie ins Krankenzimmer transportieren.»

Alle f#252;nf Lehrer und die Hausmutter mu#223;ten anpacken, um das gewaltige Weib in die H#246;he zu wuchten und sie, unter ihrem Gewicht schwankend, aus dem Klassenzimmer zu tragen.

Fr#228;ulein Honig sagte zu den Kindern: «Ich glaube, ihr lauft jetzt am besten auf den Hof hinaus und spielt bis zur n#228;chsten Unterrichtsstunde.» Dann drehte sie sich um, ging zur Tafel und wischte die Kreidebuchstaben sorgf#228;ltig ab.

Die Kinder fingen an, nacheinander aus der Klasse zu laufen. Matilda wollte sich ihnen anschlie#223;en, aber als sie an Fr#228;ulein Honig vorbeikam, blieb sie stehen und zwinkerte ihrer Lehrerin zu. Da rannte Fr#228;ulein Honig auf sie zu, schlo#223; das kleine M#228;dchen heftig in die Arme und gab ihr einen Ku#223;.


Ein neues Zuhause

Im Laufe des Tages verbreitete sich die Nachricht, da#223; Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh wieder zu sich gekommen und mit verkniffenem Mund und schneewei#223;em Gesicht aus der Schule marschiert sei.

Am n#228;chsten Morgen lie#223; sie sich dort nicht blicken. In der Mittagspause rief Herr Trilby, der stellvertretende Schulleiter, bei ihr zu Hause an, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Es nahm jedoch niemand den H#246;rer ab.

Als die Schule zu Ende war, beschlo#223; Herr Trilby, etwas gr#252;ndlicher nachzuforschen, und machte sich auf den Weg zu dem Haus, in dem Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh am Rande der Ortschaft lebte. Ein h#252;bsches kleines altes Haus aus rotem Backstein, das deshalb als das Rote Haus bekannt war. Es lag hinter den H#252;geln ganz versteckt im Wald.

Er zog an der Glocke. Keine Antwort.

Er klopfte kr#228;ftig. Keine Antwort.

Er rief laut: «Ist jemand zu Hause?» Keine Antwort.

Er r#252;ttelte versuchsweise an der Klinke und stellte zu seinem Erstaunen fest, da#223; die T#252;r nicht verschlossen war. Er trat ein.

Das Haus lag in tiefem Schweigen und war vollkommen verlassen. Alle M#246;bel standen jedoch an ihrem Platz. Herr Trilby ging hinauf und schaute in das gro#223;e Schlafzimmer. Auch hier schien alles ganz normal zu sein, bis er anfing, Schubladen aufzuziehen und in Schr#228;nke zu blicken. Nirgends mehr fanden sich Kleider oder Unterw#228;sche oder Schuhe. Sie waren samt und sonders verschwunden.

Sie ist verduftet, sagte sich Herr Trilby und machte kehrt, um die Schulverwaltung davon zu informieren, da#223; die Rektorin ganz offensichtlich verschwunden war.

Am #252;bern#228;chsten Morgen erhielt Fr#228;ulein Honig einen eingeschriebenen Brief von einer Rechtsanwaltsfirma. Darin wurde sie davon unterrichtet, da#223; das Testament, der Letzte Wille ihres verblichenen Vaters Dr. Honig, pl#246;tzlich und unter geheimnisvollen Umst#228;nden wiederaufgetaucht sei. Dieses Dokument enth#252;llte nun, da#223; in Wirklichkeit Fr#228;ulein Honig seit dem Tod ihres Vaters die rechtm#228;#223;ige Besitzerin des Anwesens am Stadtrand war, als das Rote Haus bekannt, in dem bis vor kurzem ein gewisses Fr#228;ulein Agatha Kn#252;ppelkuh gewohnt hatte. Dieses Dokument bewies weiterhin, da#223; die Ersparnisse ihres Vaters, die gl#252;cklicherweise immer noch unangetastet und sicher in der Bank ruhten, ihr ebenfalls vermacht worden waren. Der Rechtsanwalt schlo#223; seinen Brief mit der Bitte, Fr#228;ulein Honig m#246;ge ihn doch so bald wie m#246;glich in seiner Kanzlei aufsuchen. Dann k#246;nne er n#228;mlich das Anwesen und das Geld in k#252;rzester Zeit auf ihren Namen umschreiben.

Genauso machte es Fr#228;ulein Honig, und innerhalb von ein paar Wochen war sie in das Rote Haus gezogen, genau an den Ort, an dem sie aufgewachsen war und wo sie gl#252;cklicherweise all die Familienm#246;bel und Bilder noch vorfand.

Von da an war Matilda an jedem Nachmittag nach der Schule ein stets willkommener Gast im Roten Haus, und zwischen der Lehrerin und dem kleinen M#228;dchen begann sich eine innige Freundschaft zu entwickeln.

Auch in der Schule fanden gro#223;e Ver#228;nderungen statt. Sobald es klar wurde, da#223; Fr#228;ulein Kn#252;ppelkuh vollkommen von der Bildfl#228;che verschwunden war, wurde der verdienstvolle Herr Trilby an ihrer Stelle zum Schulleiter ernannt. Und bald danach wurde Matilda in die oberste Klasse versetzt, wo Fr#228;ulein Plimbim ziemlich rasch entdeckte, da#223; dieses erstaunliche Kind in jeder Hinsicht so aufgeweckt war, wie es Fr#228;ulein Honig behauptet hatte.

Ein paar Wochen sp#228;ter trank Matilda eines Nachmittags ihren Tee bei Fr#228;ulein Honig in der K#252;che vom Roten Haus, so wie sie es immer nach der Schule zu tun pflegten, als Matilda pl#246;tzlich sagte: «Mir ist etwas Komisches zugesto#223;en, Fr#228;ulein Honig.»

«Na, dann erz#228;hl’s mir», sagte Fr#228;ulein Honig.

«Heute fr#252;h», sagte Matilda, «hab ich einfach aus Spa#223; probiert, irgend etwas mit meinen Augen in Bewegung zu setzen, und das hab ich nicht geschafft. Nichts hat sich geregt. Ich hab nicht einmal diese Hitze gesp#252;rt, die immer hinter meinen Aug#228;pfeln entsteht. Die Kraft ist weg. ich glaube, ich hab sie ganz und gar verloren.»

Fr#228;ulein Honig bestrich sorgf#228;ltig eine Scheibe Graubrot mit Butter und kleckste etwas Erdbeermarmelade darauf. «Mit so etwas #196;hnlichem hab ich schon gerechnet», sagte sie.

«Ach wirklich? Warum denn?» fragte Matilda.

«Na ja», antwortete Fr#228;ulein Honig, «es ist nur eine Vermutung, aber ich will dir sagen, was ich mir gedacht habe. Solange du in meiner Klasse warst, hast du nichts zu tun gehabt, hast um nichts k#228;mpfen m#252;ssen. Dein Verstand ist dabei vor lauter Langeweile geradezu verr#252;ckt geworden. Es mu#223; in deinem Kopf wie wild geblubbert und gekocht haben, und es haben sich einfach unerme#223;liche Kr#228;fte angesammelt, die kein Ziel und keinen Sinn gehabt haben. Aber irgendwie mu#223; es dir gelungen sein, diese Kraft durch deine Augen zu schie#223;en und sie Gegenst#228;nde bewegen zu lassen. Aber jetzt hat sich die Lage ge#228;ndert. Du bist in der obersten Klasse, und du hast es mit Kindern zu tun, die mehr als doppelt so alt sind wie du. Du brauchst also all deine Geisteskr#228;fte f#252;r die Schule. Dein Verstand ist zum erstenmal richtig gefordert, mu#223; sich anstrengen und wird in Bewegung gehalten, und das ist gro#223;artig. Freilich, das ist nur eine Theorie, vielleicht sogar eine ziemlich dummerhafte, aber mir kommt es doch so vor, als ob sie ziemlich die Wahrheit tr#228;fe.»



«Ich bin froh, da#223; das passiert ist», sagte Matilda, «ich w#228;re nicht gern als Wundert#228;ter durchs Leben gewandert.»

«Du hast auch genug bewirkt», sagte Fr#228;ulein Honig. «Ich kann immer noch nicht richtig glauben, was du alles f#252;r mich getan hast.»

Matilda, die auf einem hohen Hocker am K#252;chentisch sa#223;, kaute bed#228;chtig ihr Marmeladenbrot. Sie geno#223; diese Nachmittage mit Fr#228;ulein Honig aus ganzem Herzen. Sie f#252;hlte sich in ihrer Gegenwart vollkommen entspannt und gl#252;cklich, und die beiden unterhielten sich so miteinander, als ob sie mehr oder weniger gleichgestellt w#228;ren.

«Wissen Sie eigentlich», sagte Matilda, «da#223; ein M#228;useherz sechshundertf#252;nfzigmal in der Minute schl#228;gt?»

«Nein», erwiderte Fr#228;ulein Honig und l#228;chelte, «das ist ja faszinierend. Wo hast du das gelesen?»

«In einem Buch aus der B#252;cherei», antwortete Matilda, «und das bedeutet, es schl#228;gt so schnell, da#223; man die einzelnen Schl#228;ge gar nicht h#246;ren kann. Es mu#223; einfach wie ein Summen klingen.»

«Wahrscheinlich», entgegnete Fr#228;ulein Honig.

«Und wie schnell schl#228;gt Ihrer Meinung nach das Herz eines Igels?» fragte Matilda.

«Verrat es mir», sagte Fr#228;ulein Honig und l#228;chelte wieder.

«L#228;ngst nicht so schnell wie bei einer Maus», erkl#228;rte Matilda, «nur dreihundertmal pro Minute. Aber trotzdem, h#228;tten Sie gedacht, da#223; es so schnell schl#228;gt bei einem Tier, das sich so langsam bewegt, h#228;tten Sie das vermutet, Fr#228;ulein Honig?»

«Ganz gewi#223; nicht», antwortete Fr#228;ulein Honig, «erz#228;hl mir weiter davon.»

«Beim Pferd», sagte Matilda, «da pocht es richtig langsam. Nur vierzigmal in einer Minute.»

Dieses Kind, sagte sich Fr#228;ulein Honig, scheint an allem interessiert zu sein. Wenn man mit ihm zusammen ist, dann kann man sich unm#246;glich langweilen. Wie ich das liebe!

Die beiden blieben noch eine Stunde oder l#228;nger in der K#252;che sitzen und unterhielten sich, und dann, so gegen sechs, sagte Matilda guten Abend und machte sich auf den Heimweg zu ihrem Elternhaus, das etwa acht Minuten entfernt lag.

Als sie vor ihrem Gartentor ankam, sah sie, da#223; ein gro#223;er schwarzer Mercedes davor parkte. Sie k#252;mmerte sich nicht sonderlich darum. Vor dem Haus ihres Vaters standen oft die merkw#252;rdigsten Autos. Als sie jedoch das Haus betrat, platzte sie in eine vollkommen chaotische Szene. Ihre Mutter und ihr Vater waren beide in der Halle und stopften wie die Wilden Kleider und alle m#246;glichen Sachen in Koffer und Taschen.

«Was ist denn um Himmels willen hier los?» rief sie. «Was ist denn passiert, Vati?»

«Wir hauen ab», sagte Herr Wurmwald, ohne aufzuschauen. «In einer halben Stunde geht’s los, zum Flughafen, also fang lieber an zu packen. Dein Bruder ist oben, schon reisefertig. So setz dich doch in Bewegung, M#228;dchen! Mach los!»

«Wegfliegen?» schrie Matilda auf. «Wohin denn?»

«Spanien», sagte ihr Vater. «Hat ein besseres Klima als dieses lausige Land hier.»

«Spanien!» rief Matilda. «Ich will aber nicht nach Spanien! Ich bin gerne hier! Und ich liebe meine Schule!»

«Mach, was ich dir sage, und Schlu#223; mit den Widerworten!» fuhr sie ihr Vater an. «Ich hab schon genug am Hals, da will ich mich nicht auch noch mit dir rum#228;rgern m#252;ssen.»

«Aber Vati...» begann Matilda.



«Halt’s Maul», schrie der Vater, «in drei#223;ig Minuten brechen wir auf. Ich will mein Flugzeug nicht verpassen!»

«Aber f#252;r wie lange denn, Vati?» rief Matilda. «Wann kommen wir denn zur#252;ck?»

«#220;berhaupt nicht», fauchte der Vater, «und jetzt zisch ab! Ich hab zu tun!»

Matilda drehte sich um und ging durch die offene Haust#252;r wieder hinaus. Sobald sie auf der Stra#223;e war, fing sie an zu rennen. Sie sauste geradewegs zu Fr#228;ulein Honigs Haus zur#252;ck und erreichte es in weniger als vier Minuten. Sie flog den Gartenweg entlang, und dann sah sie pl#246;tzlich Fr#228;ulein Honig im Vordergarten, wie sie mitten in einem Rosenbeet stand und irgend etwas mit einer Heckenschere machte. Fr#228;ulein Honig hatte Matildas schnelle Schritte auf dem Kies knirschen h#246;ren, und w#228;hrend das Kind auf sie zust#252;rzte, richtete sie sich auf, drehte sich um und trat aus dem Rosenbeet.

«Du meine G#252;te», sagte sie, «was ist denn um Himmels willen nur los?»

Matilda stand keuchend vor ihr, ganz au#223;er Atem, das kleine Gesicht rot wie eine Pfingstrose.

«Sie gehen weg!» schrie sie. «Sie haben alle den Verstand verloren und stopfen ihre Koffer voll, und in einer halben Stunde brechen sie auf, nach Spanien!»

«Wer denn?» fragte Fr#228;ulein Honig ruhig.

«Mami und Vati und mein Bruder Michael, und sie sagen, ich mu#223; mit ihnen kommen!»

«Du meinst in die Ferien?» fragte Fr#228;ulein Honig.

«F#252;r immer!» schrie Matilda. «Vati sagt, wir kommen nie und nimmer zur#252;ck!»

Nach einer kurzen Pause bemerkte Fr#228;ulein Honig: «Ehrlich gesagt, das #252;berrascht mich nicht.»

«Wollen Sie sagen, Sie h#228;tten gewu#223;t, da#223; sie weggehen?» schluchzte Matilda. «Warum haben Sie mir denn nichts davon gesagt?»

«Nein, Liebes», sagte Fr#228;ulein Honig, «ich habe nicht gewu#223;t, da#223; sie weggehen. Aber die Nachricht verbl#252;fft mich trotzdem nicht.»

«Wieso denn?» rief Matilda. «Sagen Sie mir doch, warum.» Sie war immer noch vollkommen au#223;er Atem von der Rennerei und vor allem vor Schreck.

«Weil dein Vater», sagte Fr#228;ulein Honig, «mit einem Haufen Gauner im Bunde ist. Das wei#223; jeder hier im Ort. Ich vermute, da#223; er gestohlene Autos aus dem ganzen Land abgenommen hat. Er steckt bis #252;ber die Ohren drin.»

Matilda starrte sie mit offenem Mund an.

Fr#228;ulein Honig fuhr fort: «Die Leute haben deinem Vater gestohlene Autos in die Werkstatt gebracht, und er hat dort die Nummernschilder ausgewechselt und die Karosserie mit einer anderen Farbe gespritzt und so weiter. Und jetzt hat ihn wahrscheinlich jemand verpfiffen, und die Polizei sitzt ihm auf den Fersen, und da macht er das, was sie alle machen: er haut ab nach Spanien, wo sie ihn nicht erwischen k#246;nnen. Er wird sicher schon seit Jahren sein ganzes Geld dorthin geschafft haben, und jetzt kann er sich ins gemachte Nest setzen.»

Sie standen auf dem Rasen vor dem sch#246;nen roten Backsteinhaus mit seinen verwitterten alten roten Dachschindeln und den hohen Schornsteinen, und Fr#228;ulein Honig hatte immer noch die Gartenschere in der Hand.

Es war ein milder, goldener Abend, und irgendwo in der N#228;he schlug eine Amsel.

«Ich will nicht mit denen weggehen!» rief Matilda pl#246;tzlich. «Ich will nicht weg mit ihnen.»

«Ich f#252;rchte, du mu#223;t», sagte Fr#228;ulein Honig.

«Ich m#246;chte hier bei Ihnen wohnen», rief Matilda aus. «Ach bitte, erlauben Sie mir doch, bei Ihnen zu wohnen.»

«Ich w#252;nschte wirklich, das ginge», entgegnete Fr#228;ulein Honig, «aber das ist leider nicht m#246;glich. Du kannst deine Eltern nicht einfach so verlassen. Sie haben ein Recht darauf, dich mitzu­nehmen.»

«Aber wenn sie damit einverstanden sind?» rief Matilda aufgeregt. «Wenn sie vielleicht ja sagen, ich k#246;nnte bei Ihnen bleiben? W#252;rden Sie mich dann nehmen?»



Fr#228;ulein Honig sagte leise: «Ach, das w#228;re himmlisch.»

«Also, ich glaube, da#223; sie einverstanden sind!» rief Matilda. «Ehrlich, das glaub ich! Sie k#252;mmern sich in Wirklichkeit keinen Pfifferling um mich!»

«Nicht so schnell!» sagte Fr#228;ulein Honig.

«Aber wir m#252;ssen schnell machen!» rief Matilda. «Sie k#246;nnen jeden Augenblick losfahren! Kommen Sie schon!» rief sie und griff nach Fr#228;ulein Honigs Hand.

«Bitte kommen Sie mit mir mit und fragen Sie sie! Aber wir m#252;ssen uns beeilen! Wir m#252;ssen rennen!»

Im n#228;chsten Augenblick rasten die beiden den Gartenweg ent­lang und dann auf die Stra#223;e hinaus, Matilda immer voraus, wo­bei sie Fr#228;ulein Honig am Handgelenk hinter sich herzerrte, und es war eine wilde und wunderbare Jagd #252;ber die Landstra#223;e und durch den Ort bis zu dem Haus, in dem Matildas Eltern lebten. Der gro#223;e schwarze Mercedes wartete immer noch davor, der Kofferraum und alle T#252;ren standen jetzt sperrangelweit offen, und Herr und Frau Wurmwald und der Bruder wimmelten wie die Ameisen drumherum, als Matilda und Fr#228;ulein Honig angest#252;rzt kamen, und stapelten Koffer hinein.

«Vati und Mami!» platzte Matilda heraus und rang keuchend nach Atem. «Ich will nicht mit euch gehen! Ich m#246;chte hierbleiben und bei Fr#228;ulein Honig wohnen, und sie sagt, ich kann, wenn ihr mir die Erlaubnis gebt! Ach bitte, sagt ja! Los, Vati, sag ja! Sag ja, Mami!»

Der Vater drehte sich um und glotzte Fr#228;ulein Honig an. «Sie sind die Lehrerin, die mal hergekommen ist, was?» fragte er. Dann fuhr er fort, die Koffer in das Auto zu packen.



Seine Frau sagte zu ihm: «Der mu#223; auf den R#252;cksitz. Im Koffer­raum ist kein Platz mehr.»

«Ich w#252;rde Matilda sehr gerne zu mir nehmen», sagte Fr#228;ulein Honig, «ich w#252;rde mit Liebe und Umsicht f#252;r sie sorgen, Herr Wurmwald, und ich w#252;rde f#252;r alles zahlen. Sie w#252;rde Sie keinen Penny kosten. Aber es ist nicht meine Idee gewesen. Es ist Matildas Wunsch. Und ohne Ihre volle und freiwillige Zustimmung kann ich mich nicht einverstanden erkl#228;ren, sie zu mir zu neh­men.»

«Komm schon, Harry», sagte die Mutter und stopfte noch einen Koffer auf den R#252;cksitz, «warum lassen wir sie nicht hier, wenn sie das will. Eine weniger, um die wir uns k#252;mmern m#252;s­sen.»

«Ich hab’s eilig», sagte der Vater, «ich mu#223; ein bestimmtes Flugzeug erwischen. Wenn sie hierbleiben will, dann soll sie doch. Ich hab nichts dagegen.»

Matilda sprang Fr#228;ulein Honig in die Arme und umarmte sie, und Fr#228;ulein Honig gab die Umarmung zur#252;ck, und dann sa#223;en die Mutter, der Vater und der Bruder im Auto, und das Auto raste mit quietschenden Reifen davon. Der Bruder winkte ihr noch durchs R#252;ckfenster zu, aber die anderen beiden schauten sich nicht einmal um. Fr#228;ulein Honig hatte das kleine M#228;dchen immer noch auf dem Arm, und keine von ihnen sagte etwas, w#228;hrend sie dastanden und dem gro#223;en schwarzen Auto nachschauten, das am Ende der Stra#223;e um die Ecke bog und f#252;r immer und ewig in der Ferne entschwand.