"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Die Schlacht von Hogwarts

Die verzauberte Decke der Großen Halle war dunkel und mit Sternen übersät, und darunter saßen, an den vier langen Haustischen, zerzaust wirkende Schüler, manche in Reiseumhängen, andere in Morgenmänteln.

Hier und dort leuchteten die perlweißen Gestalten der Schulgespenster.

Jedes Auge, ob lebend oder tot, war auf Professor McGonagall gerichtet, die von dem Podium an der Stirnseite der Halle aus sprach.

Hinter ihr standen die verbliebenen Lehrer, darunter der Palomino-Zentaur Firenze und die Mitglieder des Phönixordens, die gekommen waren, um zu kämpfen.

»... Mr Filch und Madam Pomfrey werden die Evakuierung beaufsichtigen. Vertrauensschüler, wenn ich das Signal gebe, scharen Sie die Schüler Ihres Hauses um sich und führen sie geordnet zum gemeinsamen Treffpunkt.«

Viele der Schülerinnen und Schüler wirkten wie versteinert. Doch während Harry an der Wand entlangging und den Gryffindor-Tisch nach Ron und Hermine absuchte, stand Ernie Macmillan am Hufflepuff-Tisch auf und schrie: »Und was, wenn wir hierbleiben und kämpfen wollen?«

Es gab vereinzelten Beifall.

»Wer volljährig ist, kann bleiben«, sagte Professor McGonagall.

»Was ist mit unseren Sachen?«, rief ein Mädchen am Ravenclaw-Tisch.

»Unseren Koffern, unseren Eulen?«

»Es bleibt keine Zeit, Habseligkeiten einzusammeln«, sagte Professor McGonagall. »Wichtig ist, dass ihr hier sicher rauskommt. «

»Wo ist Professor Snape?«, schrie ein Mädchen vom Slytherin-Tisch.

»Er hat, wie man so schön sagt, die Fliege gemacht!«, antwortete Professor McGonagall, und großer Jubel brach bei den Gryffindors, Hufflepuffs und Ravenclaws aus.

Harry, der immer noch nach Ron und Hermine Ausschau hielt, ging nun am Gryffindor-Tisch entlang durch die Halle. Als er vorbeikam, wandten sich ihm Gesichter zu, und hinter ihm gab es Getuschel.

»Wir haben bereits Schutzzauber um das Schloss herum aufgebaut«, sagte Professor McGonagall gerade, »aber sie werden vermutlich nicht lange halten, wenn wir sie nicht verstärken. Ich muss euch daher bitten, zügig und ruhig hinauszugehen und zu tun, was eure Vertrauensschüler -«

Aber ihre letzten Worte gingen unter, als eine andere Stimme durch den Raum hallte. Sie war hoch, kalt und klar. Woher sie kam, war nicht auszumachen; sie schien aus den Wänden selbst hervorzudringen. Wie das Ungeheuer, das sie einst befehligt hatte, mochte sie vielleicht seit Jahrhunderten dort geschlummert haben.

»Ich weiß, dass ihr euch bereitmacht zum Kampf.« Einige Schüler schrien, manche klammerten sich aneinander und sahen sich voller Entsetzen nach der Herkunft der Stimme um. »Eure Bemühungen sind zwecklos. Ihr könnt mich nicht besiegen. Ich will euch nicht töten. Ich habe Hochachtung vor den Lehrern von Hogwarts. Ich will kein magisches Blut vergießen.«

Jetzt herrschte Stille in der Halle, jene Art von Stille, die gegen das Trommelfell drückt, die zu gewaltig scheint, als dass Mauern sie eindämmen könnten.

»Gebt mir Harry Potter«, sagte Voldemorts Stimme, »und keinem soll ein Leid geschehen. Gebt mir Harry Potter und ich werde die Schule unversehrt lassen. Gebt mir Harry Potter und ihr sollt belohnt werden. – Ihr habt Zeit bis Mitternacht. «

Abermals wurden sie alle von der Stille verschluckt. Sämtliche Köpfe drehten sich, alle Augen in der Halle schienen sich auf Harry gerichtet zu haben und ihn im grellen Licht Tausender unsichtbarer Strahlen zu bannen.

Dann stand eine Gestalt am Slytherin-Tisch auf, und als sie ihren schlotternden Arm erhob, erkannte er Pansy Parkinson, die schrie: »Aber da ist er doch! Potter ist hier! Jemand soll ihn festhalten!«

Ehe Harry etwas sagen konnte, kam gewaltige Bewegung auf. Die Gryffindors vor ihm hatten sich erhoben und blieben nicht Harry, sondern den Slytherins zugewandt stehen. Dann standen die Hufflepuffs auf und fast im selben Moment die Ravenclaws, alle mit dem Rücken zu Harry, und alle blickten nicht zu ihm, sondern zu Pansy, und Harry sah beeindruckt und überwältigt, wie überall Zauberstäbe auftauchten, die aus Umhängen und Ärmeln hervorgezogen wurden.

»Danke, Miss Parkinson«, sagte Professor McGonagall mit schneidender Stimme. »Sie werden die Halle mit Mr Filch zusammen als Erste verlassen. Der Rest Ihres Hauses möge folgen.«

Harry hörte Bänke knarren und dann den Lärm der Slytherins, die auf der anderen Seite der Halle hinausmarschierten.

»Ravenclaws, folgt ihnen!«, rief Professor McGonagall.

Allmählich leerten sich die vier Tische. Der Slytherin-Tisch war vollkommen verlassen, doch einige ältere Ravenclaws verharrten auf ihren Plätzen, während ihre Mitschüler im Gänsemarsch hinauszogen. Von den Hufflepuffs blieben noch mehr zurück, und halb Gryffindor rührte sich nicht, weshalb Professor McGonagall sich genötigt sah, vom Lehrerpodium herabzusteigen und die Minderjährigen davonzuscheuchen.

»Kommt überhaupt nicht in Frage, Creevey, marsch! Und auch du, Peakes!«

Harry eilte hinüber zu den Weasleys, die alle am Gryffindor-Tisch versammelt waren.

»Wo sind Ron und Hermine?«

»Hast du sie nicht gefun-?«, begann Mr Weasley mit besorgtem Blick.

Doch er hielt inne, als Kingsley auf dem Podium nach vorne getreten war, um zu denen zu sprechen, die geblieben waren.

»Wir haben nur noch eine halbe Stunde bis Mitternacht, deshalb müssen wir schnell handeln! Die Lehrer von Hogwarts und der Orden des Phönix haben sich auf einen Schlachtplan verständigt. Die Professoren Flitwick, Sprout und McGonagall werden Gruppen von Kämpfern auf die drei höchsten Türme führen – Ravenclaw, Astronomie und Gryffindor –, dort haben sie einen guten Überblick und eine hervorragende Ausgangsposition, um Zauber auszuführen. Unterdessen werden Remus«, er wies auf Lupin,

»Arthur«, er deutete auf Mr Weasley am Gryffindor-Tisch, »und ich Gruppen ins Gelände führen. Wir brauchen jemanden, der die Verteidigung der Tunneleingänge zur Schule übernimmt -«

»- klingt nach einem Job für uns«, rief Fred, indem er auf sich und George zeigte, und Kingsley nickte zustimmend.

»Nun denn, die Anführer hier hoch, wir teilen die Truppen ein!«

»Potter«, sagte Professor McGonagall und kam rasch auf ihn zu, während Schüler um das Podium strömten, um die besten Plätze rangelten und Anweisungen erhielten, »sollten Sie nicht nach etwas suchen?«

»Was? Oh«, sagte Harry, »ach jaah!«

Fast hatte er den Horkrux vergessen, fast vergessen, dass sie in die Schlacht zogen, damit er nach ihm suchen konnte: Dass Ron und Hermine unerklärlicherweise nicht da waren, hatte vorübergehend alle anderen Gedanken aus seinem Kopf verdrängt.

»Dann gehen Sie, Potter, gehen Sie!«

»In Ordnung – jaah -«

Er spürte, wie ihm Blicke folgten, als er aus der Großen Halle hinaus in die Eingangshalle rannte, wo sich noch viele Schüler drängten, die evakuiert wurden. Er ließ sich in der Menge die Marmortreppe hinauftreiben, doch oben angekommen, eilte er durch einen verlassenen Korridor davon. Angst und Panik vernebelten seine Gedankengänge. Er versuchte sich zu beruhigen, sich auf die Suche nach dem Horkrux zu konzentrieren, doch seine Gedanken schwirrten so hektisch und erfolglos durcheinander wie Wespen, die unter einem Glas gefangen waren. Ohne die Hilfe von Ron und Hermine konnte er seine Ideen scheinbar nicht ordnen. Er ging langsamer und blieb mitten in einem leeren Gang stehen, setzte sich auf den verlassenen Sockel einer Statue und zog die Karte des Rumtreibers aus dem Beutel um seinen Hals. Rons oder Hermines Namen konnte er nirgends darauf ausfindig machen, doch vielleicht, überlegte er, waren die vielen Punkte auf dem Weg zum Raum der Wünsche so dicht beieinander, dass die beiden verdeckt wurden. Er steckte die Karte weg, presste seine Hände auf sein Gesicht, schloss die Augen und versuchte sich zu sammeln ...

Voldemort dachte, ich würde in den Ravenclaw-Turm gehen.

Da war sie: eine handfeste Tatsache, damit konnte er anfangen.

Voldemort hatte Alecto Carrow im Gemeinschaftsraum der Ravenclaws postiert und dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Voldemort befürchtete, dass Harry bereits wusste, dass der Horkrux mit diesem Haus in Zusammenhang stand.

Doch der einzige Gegenstand, den jeder mit Ravenclaw zu verbinden schien, war das verschollene Diadem ... und wie konnte der Horkrux das Diadem sein? Wie war es möglich, dass Voldemort, der Slytherin, das Diadem gefunden hatte, das Generationen von Ravenclaws entgangen war?

Wer konnte ihm verraten haben, wo er suchen musste, wo doch seit Menschengedenken niemand das Diadem gesehen hatte?

Seit Menschengedenken ...

Harry riss unter seinen Fingern die Augen auf. Er sprang von dem Sockel hoch und jagte den Weg zurück, den er gekommen war, nun seiner einzigen, letzten Hoffnung hinterher. Der Lärm Hunderter von Menschen, die zum Raum der Wünsche marschierten, wurde immer lauter, während er zur Marmortreppe zurückkehrte. Vertrauensschüler riefen Anweisungen, versuchten die Schüler ihrer Häuser im Auge zu behalten; es wurde viel geschubst und gedrängelt; Harry sah Zacharias Smith ein paar Erstklässler umstoßen, um an die Spitze der Schlange zu kommen; hie und da waren jüngere Schüler in Tränen aufgelöst, während ältere verzweifelt nach Freunden oder Geschwistern riefen ...

Harrys Blick fiel auf eine perlweiße Gestalt, die unten durch die Eingangshalle schwebte, und er schrie aus Leibeskräften durch den Trubel.

»Nick! NICK! Ich muss Sie sprechen!«

Er bahnte sich einen Weg zurück durch den Schülerstrom und gelangte schließlich zum Fuß der Treppe, wo der Fast Kopflose Nick, das Gespenst des Gryffindor-Turms, auf ihn wartete.

»Harry! Mein lieber Junge!«

Nick schickte sich an, Harrys Hände in seine zu nehmen; Harry hatte das Gefühl, als wären sie in Eiswasser getaucht worden.

»Nick, Sie müssen mir helfen. Wer ist das Gespenst vom Ravenclaw-Turm?«

Der Fast Kopflose Nick wirkte überrascht und ein wenig beleidigt.

»Die graue Dame natürlich; aber wenn du Gespensterdienste wünschst -

»Es muss sie sein – wissen Sie, wo sie ist?«

»Lass mich überlegen ...«

Nicks Kopf eierte leicht auf seiner Halskrause, während er sich hierhin und dorthin wandte und über die Köpfe der Scharen von Schülern hinwegspähte.

»Da drüben ist sie, Harry, die junge Frau mit den langen Haaren. «

Harry blickte in die Richtung, in die Nicks durchsichtiger Zeigefinger wies, und sah ein großes Gespenst, dem auffiel, dass Harry zu ihm herüberblickte, und das mit hochgezogenen Augenbrauen durch eine massive Wand entschwebte.

Harry rannte ihr nach. Sobald er durch die Tür des Korridors getreten war, in dem sie verschwunden war, sah er sie ganz am Ende des Ganges, immer noch zügig vor ihm davongleitend.

»Hey – warten Sie – kommen Sie zurück!«

Sie ließ sich dazu herbei, einige Zentimeter über dem Boden schwebend innezuhalten. Harry nahm an, dass sie schön war, mit ihrem hüftlangen Haar und ihrem Umhang, der ihr bis zu den Füßen reichte, doch sie wirkte auch hochmütig und stolz. Aus der Nähe betrachtet, erkannte er in ihr ein Gespenst, das ihm in den Korridoren mehrmals begegnet war, mit dem er aber nie gesprochen hatte.

»Sind Sie die graue Dame?«

Sie nickte, sagte aber nichts.

»Das Gespenst vom Ravenclaw-Turm?«

»Das ist richtig.«

Ihr Ton war nicht ermutigend.

»Bitte, ich brauche Hilfe. Ich muss alles wissen, was Sie mir über das verschollene Diadem sagen können.«

Ein kühles Lächeln kräuselte ihre Lippen.

»Ich fürchte«, sagte sie und wandte sich ab, um zu entschwinden, »da kann ich Ihnen nicht helfen.«

»WARTEN SIE!«

Er hatte nicht schreien wollen, aber Wut und Panik drohten ihn zu überwältigen. Er blickte auf seine Uhr, während das Gespenst vor ihm schwebte: Noch eine Viertelstunde bis Mitternacht.

»Es ist dringend«, sagte er heftig. »Wenn dieses Diadem in Hogwarts ist, muss ich es finden, und zwar schnell.«

»Sie sind keineswegs der erste Schüler, der das Diadem begehrt«, sagte sie verächtlich. »Generationen von Schülern haben mir zugesetzt – «

»Es geht hier nicht darum, bessere Noten zu kriegen!«, schrie Harry sie an. »Es geht um Voldemort – darum, ihn zu besiegen – oder ist Ihnen das gleichgültig?«

Sie konnte nicht erröten, doch ihre durchsichtigen Wangen verdunkelten sich, und als sie antwortete, klang ihre Stimme erregt: »Natürlich, ich – wie können Sie es wagen, eine solche Unterstellung zu -?«

»Nun, dann helfen Sie mir doch!«

Sie verlor allmählich die Fassung.

»Es – es ist nicht wegen -«, stammelte sie. »Das Diadem meiner Mutter

»Ihrer Mutter?«

Sie schien sich über sich selbst zu ärgern.

»In meinem Leben«, sagte sie steif, »war ich Helena Ravenclaw.«

»Sie sind ihre Tochter? Aber dann müssen Sie wissen, was damit passiert ist!«

»Das Diadem verleiht zwar Weisheit«, sagte sie, sichtlich bemüht, sich zusammenzureißen, »doch ich bezweifle, dass es Ihre Chancen großartig steigern würde, den Zauberer zu besiegen, der sich Lord -«

»Ich habe Ihnen doch eben gesagt, dass ich es gar nicht tragen will!«, entgegnete Harry erbost. »Ich habe keine Zeit, es zu erklären – aber wenn Ihnen Hogwarts am Herzen liegt, wenn Sie Voldemort besiegt sehen wollen, müssen Sie mir alles über das Diadem erzählen, was Sie wissen!«

Sie schwebte völlig reglos in der Luft und starrte auf ihn herab, und ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit überkam ihn. Wenn sie etwas gewusst hätte, dann hätte sie es natürlich Flitwick oder Dumbledore mitgeteilt, die ihr sicher die gleiche Frage gestellt hatten. Kopfschüttelnd wollte er sich gerade abwenden, als sie mit leiser Stimme zu sprechen begann.

»Ich habe das Diadem meiner Mutter gestohlen.«

»Sie – Sie haben was? «

»Ich habe das Diadem gestohlen«, wiederholte Helena Ravenclaw flüsternd. »Ich wollte mich klüger machen, wichtiger als meine Mutter. Ich bin damit ausgerissen.«

Er wusste nicht, wie er es geschafft hatte, ihr Vertrauen zu gewinnen, und er fragte auch nicht nach. Er hörte ihr einfach genau zu, als sie fortfuhr:

»Meine Mutter, so heißt es, gab nie zu, dass das Diadem verschwunden war, sondern tat so, als besäße sie es noch. Sie verschleierte den Verlust, meinen schrecklichen Verrat, selbst gegenüber den anderen Gründern von Hogwarts.

Dann wurde meine Mutter krank – sterbenskrank. Trotz meiner Treulosigkeit wollte sie mich unter allen Umständen noch einmal sehen.

Sie schickte einen Mann aus, mich zu suchen, der mich lange geliebt, dessen "Werben ich jedoch zurückgewiesen hatte. Sie wusste, er würde nicht ruhen, bis er mich gefunden hätte.«

Harry wartete. Sie holte tief Luft und warf ihren Kopf zurück.

»Er folgte meiner Spur bis zu dem Wald, in dem ich mich versteckt hielt. Als ich mich weigerte, mit ihm zurückzukehren, wandte er Gewalt an.

Der Baron war schon immer ein jähzorniger Mann. Wütend, weil ich mich weigerte, neidisch auf meine Freiheit, erstach er mich.«

»Der Baron? Sie meinen -?«

»Den Blutigen Baron, ja«, sagte die graue Dame, hob ihren Umhang zur Seite und offenbarte eine einzelne dunkle Wunde auf ihrer weißen Brust.

»Als er sah, was er getan hatte, ergriff ihn Reue. Er verwendete die Waffe, die mir das Leben genommen hatte, um sich selbst zu töten. Nach all diesen Jahrhunderten trägt er seine Ketten immer noch, um Buße zu tun ... und das zu Recht«, fügte sie bitter hinzu.

»Und ... und das Diadem?«

»Es blieb dort, wo ich es versteckt hatte, als ich hörte, dass der Baron durch den Wald auf mich zustolperte. In einem hohlen Baum verborgen. «

»Einem hohlen Baum?«, wiederholte Harry. »Was für einem Baum?

Wo war das?«

»In einem Wald in Albanien. An einem entlegenen Ort, weit außerhalb der Reichweite meiner Mutter, wie ich glaubte.«

»Albanien«, wiederholte Harry. Wie durch ein Wunder schälte sich aus dem Durcheinander etwas heraus, das Sinn ergab, und nun begriff er, warum sie ihm erzählte, was sie Dumbledore und Flitwick vorenthalten hatte. »Sie haben diese Geschichte schon mal jemandem erzählt, oder?

Einem anderen Schüler?«

Sie schloss die Augen und nickte.

»Ich hatte ... keine Ahnung ... er hat mir ... geschmeichelt. Er schien ...

zu verstehen ... mitzufühlen ...«

Ja, dachte Harry, Tom Riddle hatte Helena Ravenclaws Verlangen nach sagenhaften Gegenständen, auf die sie wenig Anrecht hatte, gewiss verstanden.

»Nun, Sie waren nicht die Erste, der Riddle etwas abgeluchst hat«, murmelte Harry. »Er konnte charmant sein, wenn er wollte ...«

Also hatte es Voldemort geschafft, der grauen Dame zu entlocken, wo sich das verschollene Diadem befand. Er war zu diesem weit entfernten Wald gereist und hatte es aus seinem Versteck geholt, vielleicht gleich nachdem er Hogwarts verlassen, noch ehe er seine Arbeit bei Borgin und Burkes aufgenommen hatte. Und waren Voldemort jene abgelegenen albanischen Wälder nicht wie eine hervorragende Zuflucht erschienen, als er sehr viel später einen Platz brauchte, wo er sich zehn lange Jahre ungestört versteckt halten konnte?

Aber sobald das Diadem einmal zu seinem wertvollen Horkrux geworden war, blieb es nicht in diesem schlichten Baum ... nein, das Diadem wurde heimlich in sein wahres Zuhause zurückgebracht, Voldemort musste es dort hinterlegt haben -

»- an dem Abend, als er eine Stelle verlangte!«, sagte Harry und beendete damit seinen Gedankengang.

»Verzeihung bitte?«

»Er versteckte das Diadem im Schloss, an dem Abend, an dem er Dumbledore bat, ihn an der Schule unterrichten zu lassen!«, sagte Harry.

Erst indem er es laut aussprach, konnte er sich einen Reim auf all das machen. »Er muss das Diadem auf dem Weg hinauf zu Dumbledores Büro versteckt haben, oder als er wieder hinunterging! Aber es war immerhin einen Versuch wert, diese Stelle zu bekommen – denn dann hätte er vielleicht die Gelegenheit gehabt, auch noch Gryffindors Schwert zu klauen

– danke, vielen Dank!«

Harry ließ sie schwebend dort zurück, mit vollkommen verdutzter Miene. Als er wieder in Richtung Eingangshalle um die Ecke bog, sah er auf seine Uhr. Es war fünf Minuten vor Mitternacht, und obwohl er jetzt wusste, was der letzte Horkrux war, hatte er immer noch nicht herausgefunden, wo er steckte ...

Generationen von Schülern war es nicht gelungen, das Diadem zu finden; das ließ vermuten, dass es nicht im Ravenclaw-Turm war – aber wenn nicht dort, wo dann? Welches Versteck hatte Tom Riddle im Schloss Hogwarts ausfindig gemacht, von dem er glaubte, es würde für immer ein Geheimnis bleiben?

Tief versunken in verzweifelte Spekulationen, bog Harry um eine Ecke, doch er war nur wenige Schritte den neuen Korridor entlanggegangen, als links von ihm mit einem ohrenbetäubenden, enormen Krach ein Fenster zerbarst. Er sprang zur Seite, und ein riesiger Körper flog durch das Fenster und schlug an die gegenüberliegende Wand. Etwas Großes und Pelziges löste sich jaulend von dem Neuankömmling und stürzte sich auf Harry.

»Hagrid!«, brüllte Harry, während er die Zudringlichkeiten von Fang, dem Saurüden, abwehrte, und die gewaltige bärtige Gestalt rappelte sich auf. »Was zum -?«

»Harry, du hier? Du hier!«

Hagrid bückte sich und bedachte Harry mit einer flüchtigen Umarmung, die ihm fast die Rippen brach, dann ging er eilends zurück zu dem zerschmetterten Fenster.

»Braver Junge, Grawpy!«, brüllte er durch das Loch in der Scheibe.

»Wir sehn uns gleich, sei schön brav!«

Hinter Hagrid konnte Harry draußen in der dunklen Nacht Lichtgarben in der Ferne sehen, und er hörte einen unheimlichen, klagenden Schrei. Er blickte auf seine Uhr: Es war Mitternacht. Die Schlacht hatte begonnen.

»Mensch, Harry«, keuchte Hagrid, »jetzt is' es so weit, was? Zeit zu kämpfen?«

»Hagrid, wo kommst du denn her?«

»Hab Du-weißt-schon-wen oben in unsrer Höhle gehört«, sagte Hagrid grimmig. »Durchdringende Stimme, nich wahr? gt;Ihr habt bis Mitternacht, um mir Potter zu geb'n.lt; Hab gewusst, dass du hier sein musst, hab gewusst, dass das passier'n würd. Platz, Fang. Da kommen wir doch un'

machen mit, ich un' Grawpy un' Fang. Harn uns durch die Grenze am Wald geschlag'n, Grawpy hat uns getragen, Fang un' mich. Hab ihm gesagt, er soll mich am Schloss runterlassen, da hat er mich durchs Fenster geschubst, der Gute. War nich genau das, was ich meinte, aber – wo sin' Ron un'

Hermine?«

»Das«, sagte Harry, »ist eine wirklich gute Frage. Komm mit.«

Sie hasteten zusammen den Korridor entlang, Fang sprang neben ihnen her. Harry konnte hören, dass in den Gängen rundum Bewegung herrschte: rasche Schritte, Schreie; durch die Fenster sah er weitere Lichtblitze auf dem dunklen Gelände.

»Wo gehn wir hin?«, japste Hagrid, der Harry mit wuchtigen Schritten folgte, unter denen die Dielen erzitterten.

»Ich weiß nicht genau«, sagte Harry und bog erneut aufs Geratewohl um eine Ecke, »aber Ron und Hermine müssen hier irgendwo sein.«

Vor ihnen, quer über dem Gang, lagen schon die ersten Opfer der Schlacht: Die beiden steinernen Wasserspeier, die normalerweise den Eingang zum Lehrerzimmer bewachten, waren von einem Fluch zerschlagen worden, der durch ein weiteres zerbrochenes Fenster geflogen war. Ihre Überbleibsel regten sich schwach am Boden, und als Harry über einen der abgeschlagenen Köpfe sprang, stöhnte dieser matt: »Oh, lassen Sie sich durch mich nicht stören ... ich lieg hier bloß und brösel vor mich hin ...«

Sein hässliches Steingesicht erinnerte Harry plötzlich an die Marmorbüste von Rowena Ravenclaw in Xenophilius' Haus, die jenen verrückten Kopfschmuck trug – und an die Statue im Ravenclaw-Turm, mit dem steinernen Diadem auf ihren weißen Locken ...

Und als er das Ende des Ganges erreicht hatte, fiel Harry ein drittes steinernes Bildnis wieder ein: das eines hässlichen alten Zauberers, dem Harry selbst eine Perücke und ein ramponiertes altes Diadem auf den Kopf gesetzt hatte. Der Schock durchfuhr ihn wie das Brennen von Feuerwhisky und er wäre fast gestolpert.

Endlich wusste er, wo der Horkrux auf ihn wartete ...

Tom Riddle, der sich niemandem anvertraute und ganz allein operierte, mochte arrogant genug gewesen sein, davon auszugehen, dass er, und nur er allein, bis in die tiefsten Geheimnisse von Schloss Hogwarts vorgedrungen war. Natürlich, Dumbledore und Flitwick, die beiden Musterschüler, hatten diesen besonderen Ort nie betreten, doch er, Harry, war während seiner Schulzeit das ein oder andere Mal von den gewohnten Wegen abgewichen – hier war endlich ein Geheimnis, das er und Voldemort kannten und das Dumbledore nie entdeckt hatte -

Er wurde von Professor Sprout aufgeschreckt, die an ihm vorbeidonnerte, gefolgt von Neville und einem halben Dutzend anderer, die alle Ohrenschützer aufhatten und etwas trugen, das wie große Topfpflanzen aussah.

»Alraunen!«, brüllte Neville Harry über die Schulter zu, während er vorüberrannte. »Die schmeißen wir über die Mauern – das wird denen gar nicht gefallen! «

Harry wusste jetzt, wo er hinmusste. Er raste los, Hagrid und Fang stürmten ihm hinterher. Sie ließen ein Porträt nach dem anderen hinter sich, und die gemalten Gestalten rannten neben ihnen her; Zauberer und Hexen mit Halskrausen und Bundhosen, in Rüstungen und Umhängen, drängten sich in die Gemälde anderer und tauschten lauthals Neuigkeiten aus verschiedenen Teilen des Schlosses aus. Als sie ans Ende dieses Korridors gelangten, bebte das ganze Schloss, und als eine mächtige Vase mit explosionsartiger Wucht von ihrem Sockel flog, wusste Harry, dass das Schloss im Griff unheilvollerer Zauber war als die der Lehrer und des Ordens.

»Is' schon gut, Fang – is' schon gut!«, rief Hagrid, doch der große Saurüde hatte die Flucht ergriffen, als Porzellansplitter wie Schrapnelle durch die Luft sausten; Hagrid stampfte davon, dem verängstigten Hund nach, und Harry blieb allein zurück.

Er kämpfte sich mühsam durch die bebenden Korridore voran, den Zauberstab bereit, und in einem der Gänge eilte der kleine gemalte Ritter Sir Cadogan mit seiner scheppernden Rüstung von Gemälde zu Gemälde neben ihm her und schrie ihm aufmunternd zu, während sein kleines dickes Pony locker hinterhergaloppierte.

»Prahler und Schurken, Hunde und Halunken, jag sie fort, Harry Potter, scheuch sie von dannen!«

Harry wirbelte um eine Ecke und stieß auf Fred und ein Grüppchen von Schülern, darunter Lee Jordan und Hannah Abbott, die vor einem weiteren leeren Sockel standen, dessen Statue einen Geheimgang verdeckt hatte. Sie hatten die Zauberstäbe gezückt und lauschten an dem verborgenen Loch.

»Hübsche Nacht für so was!«, rief Fred, als das Schloss von neuem erzitterte, und Harry raste vorbei, ermutigt und entsetzt gleichermaßen. Er jagte einen weiteren Korridor entlang, und dann waren überall Eulen, und Mrs Norris fauchte und versuchte mit den Pfoten nach ihnen zu hauen, sicher, um sie an ihren angestammten Platz zurückzuschicken ...

»Potter!«

Aberforth Dumbledore stand vor ihm und versperrte den Korridor, den Zauberstab im Anschlag.

»Hunderte von Kindern rennen durch meinen Pub, Potter!«

»Ich weiß, wir räumen das Schloss«, sagte Harry. »Voldemort -«

»- greift an, weil man dich nicht ausgeliefert hat, ja«, sagte Aberforth,

»ich bin nicht taub, ganz Hogsmeade hat ihn gehört. Und niemand von euch ist der Gedanke gekommen, ein paar Slytherins als Geiseln zu nehmen? Da sind auch Kinder von Todessern unter denen, die ihr gerade in Sicherheit gebracht habt. Wär es nicht ein wenig klüger gewesen, sie hier festzuhalten?«

»Das würde Voldemort nicht stoppen«, sagte Harry, »und Ihr Bruder hätte das niemals getan.«

Murrend machte Aberforth sich in die entgegengesetzte Richtung davon.

Ihr Bruder hätte das niemals getan ... nun, das war die Wahrheit, dachte Harry, als er wieder losrannte; Dumbledore, der Snape so lange verteidigt hatte, hätte niemals Schüler gefangen gehalten, um etwas zu erpressen ...

Und dann schlitterte er um eine letzte Ecke, und erleichtert und zornig zugleich schrie er auf, als er sie sah: Ron und Hermine, beide hatten die Arme voll großer, krummer, schmutzig gelber Gegenstände, und Ron hatte sich einen Besen unter die Achsel geklemmt.

»Wo zum Teufel wart ihr?«, rief Harry.

»Kammer des Schreckens«, sagte Ron.

»Kammer des – was?«, fragte Harry und blieb schwankend vor ihnen stehen.

»Es war Ron, das Ganze war Rons Idee!«, sagte Hermine atemlos. »War es nicht absolut großartig? Als du weg warst, standen wir rum, und ich sagte zu Ron, selbst wenn wir den anderen finden, wie sollen wir ihn loswerden? Wir waren ja noch nicht mal den Becher losgeworden! Und dann kam er auf die Idee! Der Basilisk!«

»Was zum -?«

»Etwas, um Horkruxe zu erledigen«, sagte Ron schlicht.

Harrys Blick fiel auf die Gegenstände, die Ron und Hermine in den Armen hielten: große, krumme Giftzähne, die sie, wie ihm jetzt klar wurde, einem toten Basilisken aus dem Schädel gerissen hatten.

»Aber wie seid ihr da reingekommen?«, fragte er und starrte von den Zähnen zu Ron. »Man muss Parsel sprechen!«

»Das hat er getan!«, flüsterte Hermine. »Mach es ihm vor, Ron!«

Ron gab einen fürchterlichen, erstickten Zischlaut von sich.

»Das hast du gemacht, um das Medaillon zu öffnen«, erklärte er Harry kleinlaut. »Ich musste es ein paarmal probieren, bis ich es richtig hinbekam, aber«, er zuckte bescheiden mit den Schultern, »am Ende sind wir doch reingekommen.«

»Er war sagenhaft!«, sagte Hermine. »Sagenhaft!«

»Also ...«, Harry hatte Mühe mitzuhalten. »Also ...«

»Also wieder ein Horkrux erledigt«, sagte Ron und zog unter seiner Jacke die Überreste des zerstörten Hufflepuff-Bechers hervor. »Hermine hat ihn durchbohrt. Ich dachte, sie sollte das machen. Sie hatte noch nicht das Vergnügen.«

»Genial!«, schrie Harry.

»Nicht der Rede wert«, sagte Ron, obwohl er mit sich zufrieden wirkte.

»Und was gibt's bei dir Neues?«

Er hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da ertönte über ihnen eine Explosion: Sie blickten alle drei hoch, Staub rieselte von der Decke, und sie hörten einen Schrei aus der Ferne.

»Ich weiß, wie das Diadem aussieht, und ich weiß auch, wo es ist«, sagte Harry rasch. »Er hat es genau dort versteckt, wo ich mein altes Zaubertrankbuch versteckt habe, wo seit Jahrhunderten alle irgendwelches Zeugs verstecken. Er dachte, er wäre der Einzige, der es entdeckt hat.

Kommt mit.«

Während die Mauern wieder bebten, ging er den anderen beiden voran durch den verborgenen Eingang und die Treppe hinunter in den Raum der Wünsche. Er war fast leer, nur drei Frauen waren noch da: Ginny, Tonks und eine ältere Hexe mit einem mottenzerfressenen Hut, in der Harry sofort Nevilles Großmutter erkannte.

»Ah, Potter«, sagte sie forsch, als hätte sie auf ihn gewartet. »Du kannst uns berichten, was gerade los ist.«

»Alles in Ordnung mit den andern?«, fragten Ginny und Tonks gleichzeitig.

»Soweit wir wissen«, erwiderte Harry. »Sind noch Leute im Tunnel zum Eberkopf?«

Er wusste, dass der Raum sich nicht verwandeln konnte, solange ihn noch jemand benutzte.

»Ich war die Letzte, die durchkam«, sagte Mrs Longbottom. »Ich habe ihn versiegelt, ich halte es für unklug, ihn offen zu lassen, jetzt, wo Aberforth seinen Pub verlassen hat. Hast du meinen Enkel gesehen?«

»Er kämpft«, sagte Harry.

»Natürlich«, sagte die alte Dame stolz. »Entschuldigt mich, ich muss gehen und ihm beistehen.«

Überraschend schnell zockelte sie in Richtung der steinernen Treppe davon.

Harry sah zu Tonks.

»Ich dachte, du wärst mit Teddy bei deiner Mutter?«

»Ich hab es nicht ausgehalten, nichts zu wissen -« Tonks wirkte gequält.

»Sie kümmert sich um ihn – hast du Remus gesehen?«

»Er wollte eine Gruppe von Kämpfern auf das Gelände führen -«

Ohne ein weiteres Wort eilte Tonks davon.

»Ginny«, sagte Harry, »es tut mir leid, aber du musst auch raus. Nur für eine Weile. Dann kannst du wieder reinkommen.«

Ginny schien sich einfach nur darüber zu freuen, dass sie ihre Zufluchtsstätte verlassen konnte.

»Und dann kannst du wieder reinkommen!«, rief er ihr nach, als sie Tonks hinterher die Treppe hochrannte. »Du musst wieder reinkommen!«

»Wart mal einen Moment«, sagte Ron scharf. »Wir haben jemanden vergessen!«

»Wen?«, fragte Hermine.

»Die Hauselfen, die sind sicher alle unten in der Küche, oder?«

»Du meinst, wir sollten sie zum Kämpfen bringen?«, fragte Harry.

»Nein«, erwiderte Ron ernst. »Ich meine, wir sollten ihnen sagen, dass sie weggehen müssen. Wir wollen nicht noch mehr Dobbys, oder? Wir können ihnen nicht befehlen, für uns zu sterben -«

Klappernd flogen die Basiliskenzähne in hohem Bogen aus Hermines Armen. Sie stürzte auf Ron zu, fiel ihm um den Hals und küsste ihn mitten auf den Mund. Ron warf die Zähne und den Besen, die er hielt, beiseite und erwiderte den Kuss so leidenschaftlich, dass er Hermine von den Füßen riss.

»Ist das jetzt der richtige Moment dafür?«, fragte Harry matt, und als nichts geschah, außer dass Ron und Hermine sich noch fester umklammerten und hin und her schwankten, hob er seine Stimme: »HEY!

Hier herrscht Krieg!«

Ron und Hermine lösten sich voneinander, die Arme nach wie vor umeinandergeschlungen.

»Ich weiß, Mann«, sagte Ron, der den Eindruck machte, als hätte er gerade einen Klatscher an den Hinterkopf bekommen, »ebendeshalb, jetzt oder nie, stimmt's?«

»Schon gut, aber was ist mit dem Horkrux?«, rief Harry. »Meint ihr, ihr könntet euch gerade noch – gerade noch zurückhalten, bis wir das Diadem haben? «

»Jaah – gut – 'tschuldigung -«, sagte Ron, und er und Hermine machten sich, beide mit rosa Gesichtern, daran, die Giftzähne aufzusammeln.

Als die drei in den Korridor oben zurückkehrten, war offensichtlich, dass sich die Lage im Schloss während der wenigen Minuten, die sie im Raum der Wünsche gewesen waren, ernstlich verschlechtert hatte: Die Wände und die Decke bebten schlimmer denn je; die Luft war voller Staub, und durch das nächste Fenster sah Harry grüne und rote Lichter so dicht am Fuß des Schlosses aufflammen, dass er wusste, dass die Todesser nahe daran sein mussten, in das Gebäude einzudringen. Er blickte hinunter und sah Grawp, den Riesen, in Schlangenlinien vorbeiwanken, er schwang offenbar einen vom Dach gerissenen steinernen Wasserspeier und brüllte verärgert.

»Hoffentlich tritt er auf ein paar von denen drauf!«, sagte Ron, während ganz in der Nähe weitere Schreie ertönten.

»Solange es nicht jemand von uns ist!«, sagte eine Stimme. Harry wandte sich um und sah Ginny und Tonks mit gezückten Zauberstäben am nächsten Fenster stehen, an dem mehrere Scheiben fehlten. Noch während er hinüberschaute, schickte Ginny einen gut gezielten Fluch nach unten in eine Gruppe von Kämpfern.

»Prima, Mädchen!«, brüllte eine Gestalt, die durch den Staub auf sie zurannte, und Harry sah wieder Aberforth, der mit wehenden grauen Haaren eine kleine Schülerschar vorbeiführte. »Die brechen anscheinend am nördlichen Wehrgang durch, sie haben ihre eigenen Riesen mitgebracht!«

»Hast du Remus gesehen?«, rief Tonks ihm nach.

»Der hat sich gerade mit Dolohow duelliert«, schrie Aberforth, »hab ihn seither nicht mehr gesehen!«

»Tonks«, sagte Ginny, »Tonks, ich bin sicher, ihm geht's gut -«

Aber Tonks war Aberforth hinterhergestürmt und im Staub verschwunden.

Ratlos drehte Ginny sich zu Harry, Ron und Hermine um.

»Die werden es schon schaffen«, sagte Harry, wohl wissend, dass es leere Worte waren. »Ginny, wir sind gleich zurück, geh einfach in Deckung und pass auf dich auf- kommt mit!«, sagte er zu Ron und Hermine, und sie eilten wieder zu dem Stück Wand, hinter dem der Raum der Wünsche daraufwartete, den Befehl des nächsten Eintretenden auszuführen.

Ich brauche den Ort, wo alles versteckt ist, flehte Harry den Raum im Stillen an, und als sie zum dritten Mal an der Wand vorbeirannten, erschien die Tür.

Das Schlachtengetümmel erstarb in dem Moment, in dem sie die Schwelle überquerten und die Tür hinter sich schlossen: Es herrschte Stille.

Sie waren an einen Ort gelangt, der so groß war wie eine Kathedrale und den Eindruck einer Stadt vermittelte, mit hoch aufragenden Mauern, aus Gegenständen gebaut, die Tausende längst fortgegangener Schüler hier versteckt hatten.

»Und es wurde ihm nie bewusst, dass jeder hier reinkommen kann?«, sagte Ron und seine Stimme hallte in der Stille.

»Er glaubte, er wäre der Einzige«, sagte Harry. »Pech für ihn, dass ich zu meiner Zeit auch was verstecken musste ... hier lang«, fügte er hinzu,

»ich glaube, es ist da drüben ...«

Er ging an dem ausgestopften Troll und an dem Verschwindekabinett vorbei, das Draco Malfoy im vorigen Jahr mit so verheerenden Folgen repariert hatte, dann zögerte er und spähte links und rechts in Gänge aus Gerümpel hinein; er wusste nicht mehr, wo es jetzt weiterging ...

»Accio Diadem!«, rief Hermine verzweifelt, doch nichts flog durch die Luft auf sie zu. Es sah aus, als ob dieser Raum, wie das Verlies in Gringotts, seine verborgenen Gegenstände nicht so einfach hergeben würde.

»Wir sollten uns aufteilen«, sagte Harry zu den beiden anderen. »Sucht nach der steinernen Büste eines alten Mannes, der eine Perücke und ein Diadem aufhat! Sie steht auf einem Schrank und ist ganz bestimmt irgendwo hier in der Nähe ... «

Sie rasten los in angrenzende Gänge hinein; Harry konnte die Schritte der anderen hören, die zwischen den turmhohen Stapeln von Gerümpel, von Flaschen, Hüten, Körben, Stühlen, Büchern, Waffen, Besen, Schlägern hallten ...

»Irgendwo hier in der Nähe«, murmelte Harry vor sich hin. »Irgendwo

... irgendwo ...«

Immer tiefer drang er in das Labyrinth ein und hielt Ausschau nach Gegenständen, die er von dem einen Besuch her kannte, den er diesem Raum zuvor abgestattet hatte. Sein Atem dröhnte ihm laut in den Ohren und dann schien seine Seele selbst zu erzittern: Da stand er, direkt vor ihm, der mit Blasen überzogene alte Schrank, in dem er sein altes Zaubertrankbuch versteckt hatte, und obenauf der pockennarbige steinerne Zauberer, der eine verstaubte alte Perücke trug und etwas, das wie ein uraltes, angelaufenes Diadem aussah.

Er hatte schon die Hand ausgestreckt, obwohl er noch drei Meter entfernt war, da sagte eine Stimme hinter ihm: »Halt, Potter.«

Er bremste schlitternd ab und drehte sich um. Crabbe und Goyle standen hinter ihm, Schulter an Schulter, die Zauberstäbe direkt auf ihn gerichtet.

Durch die kleine Lücke zwischen ihren höhnischen Gesichtern sah er Draco Malfoy.

»Das ist mein Zauberstab, den du da in der Hand hast, Potter«, sagte Malfoy und deutete mit dem Stab, den er hielt, durch die Lücke zwischen Crabbe und Goyle.

»Das war einmal«, keuchte Harry und umklammerte den Weißdorn-Zauberstab noch fester. »Dem Sieger gehört die Beute, Malfoy. Wer hat dir deinen geliehen?«

»Meine Mutter«, sagte Draco.

Harry lachte, obwohl die Situation nicht besonders komisch war. Er konnte Ron und Hermine nicht mehr hören. Sie schienen außer Hörweite gelaufen zu sein und immer noch nach dem Diadem zu suchen.

»Wieso seid ihr drei eigentlich nicht bei Voldemort?«, fragte Harry.

»Wir kriegen 'ne Belohnung«, sagte Crabbe. Seine Stimme war überraschend leise für eine so riesige Person; Harry hatte ihn kaum jemals sprechen hören. Crabbe lächelte wie ein kleines Kind, dem man eine große Tüte Süßigkeiten versprochen hatte. »Wir sin' dageblieben, Potter. Wir haben beschlossen, dass wir nicht weggehen. Haben beschlossen, dass wir dich zu ihm bringen.«

»Guter Plan«, lobte Harry ihn spöttisch. Er konnte es nicht glauben, dass er seinem Ziel so nahe war und ihm nun Malfoy, Crabbe und Goyle in die Quere kamen. Langsam rückwärtsgehend schob er sich auf die Stelle zu, wo der Horkrux verkehrt herum auf der Büste saß. Wenn er ihn nur in die Hände bekommen könnte, ehe der Kampf losging ...

»Und wie seid ihr hier reingekommen?«, versuchte er sie abzulenken.

»Ich hab praktisch das ganze letzte Jahr im Raum der Verborgenen Dinge gelebt«, sagte Malfoy mit schriller Stimme. »Ich weiß, wie man reinkommt.«

»Wir ham uns draußen im Korridor versteckt«, grunzte Goyle. »Wir können jetzt De-lusionierungszauber! Und dann«, auf seinem Gesicht machte sich ein dümmliches Grinsen breit, »bist du direkt vor uns aufgetaucht und hast gesagt, dass du nach einem Dier-dem suchst! Was ist ein Dier-dem?«

»Harry?« Rons Stimme ertönte plötzlich auf der anderen Seite der Mauer zu Harrys Rechten. »Redest du da mit jemand?«

Mit einer peitschenden Bewegung richtete Crabbe seinen Zauberstab auf den fünfzehn Meter hohen Berg aus alten Möbeln, kaputten Koffern, alten Büchern, Umhängen und undefinierbarem Gerümpel und rief: »Descendo!«

Die Mauer geriet ins Wanken und bröckelte dann in den Nachbargang hinein, wo Ron sich befand.

»Ron!«, brüllte Harry, während Hermine irgendwo außer Sichtweite schrie, und Harry hörte auf der anderen Seite der aus dem Gleichgewicht geratenen Mauer zahllose Gegenstände zu Boden krachen: Er richtete seinen Zauberstab auf den Wall, rief »Finite«, und er stabilisierte sich.

»Nein!«, rief Malfoy und hielt Crabbe, der gerade den Zauber wiederholen wollte, am Arm zurück. »Wenn du den Raum demolierst, geht vielleicht dieses Diadem-Teil verschütt!«

»Ist doch egal, oder?«, sagte Crabbe und zerrte sich los. »Es ist doch Potter, den der Dunkle Lord haben will, wen kümmert da schon ein Dier-dem?«

»Potter kam hier rein, um es zu holen«, sagte Malfoy mit kaum versteckter Ungeduld, weil seine Gefährten so begriffsstutzig waren, »also muss das heißen -«

»gt;Muss das heißenlt;?« Crabbe wandte sich mit unverhohlener Härte gegen Malfoy. »Wen interessiert's schon, was du denkst? Ich nehm keine Befehle mehr von dir an, Draco. Du un' dein Dad, ihr seid erledigt.«

»Harry?«, rief Ron erneut von der anderen Seite der Gerümpelmauer.

»Was ist da los?«

»Harry?«, äffte Crabbe ihn nach. »Was ist da – nein, Potter! Crucio!«

Harry hatte sich auf das Diadem gestürzt; Crabbes Fluch verfehlte ihn, traf aber die steinerne Büste, die in die Luft flog; das Diadem schnellte nach oben und fiel dann außer Sichtweite in das Durcheinander von Gegenständen, wo auch die Büste liegen geblieben war.

»STOPP!«, schrie Malfoy Crabbe zu und seine Stimme hallte durch den gewaltigen Raum. »Der Dunkle Lord will ihn lebend -«

»Na und? Bring ich ihn etwa um?«, rief Crabbe und schüttelte Malfoys Arm ab, der ihn behinderte, »aber wenn ich kann, werd ich's tun, der Dunkle Lord will sowieso, dass er tot ist, wo ist da der Untersch-?«

Ein Strahl scharlachroten Lichts jagte nur Zentimeter an Harry vorbei: Hermine war hinter ihm um die Ecke gerannt und hatte einen Schockzauber direkt auf Crabbes Kopf abgefeuert. Er verfehlte ihn nur, weil Malfoy ihn beiseitezog.

»Das ist dieses Schlammblut! Avada Kedavra!«

Harry sah Hermine weghechten, und seine Wut darüber, dass Crabbe hatte töten wollen, fegte alles andere aus seinem Kopf. Er schoss einen Schockzauber auf Crabbe ab, der zur Seite sprang und dabei Malfoy den Zauberstab aus der Hand schlug; er kullerte unter einen Berg von kaputten Möbeln und Kisten und war nicht mehr zu sehen.

»Tötet ihn nicht! TÖTET IHN NICHT!«, schrie Malfoy Crabbe und Goyle zu, die beide auf Harry zielten: Dass sie eine winzige Sekunde lang zögerten, war alles, was Harry brauchte.

»Expelliarmus!«

Goyles Zauberstab flog ihm aus der Hand und verschwand in dem Bollwerk aus Gegenständen neben ihm; Goyle hüpfte albern auf der Stelle umher und versuchte ihn wiederzufinden; Malfoy sprang fort, so dass Hermines zweiter Schockzauber ihn nicht erreichen konnte, und Ron, der plötzlich am Ende des Ganges auftauchte, schoss einen Ganzkörperklammer-Fluch auf Crabbe, der ihn knapp verfehlte.

Crabbe wirbelte herum und schrie wieder: »Avada Kedavra!« Ron stürzte beiseite, um dem grünen Lichtstrahl zu entkommen. Der zauberstablose Malfoy kauerte hinter einem dreibeinigen Kleiderschrank, als Hermine auf sie zustürmte und Goyle im Laufen mit einem Schockzauber traf.

»Irgendwo hier ist es!«, schrie Harry ihr zu und deutete auf den Haufen Gerumpel, in den das alte Diadem gefallen war. »Such es, während ich Ron hei-«

»HARRY!«, schrie sie.

Ein brausendes, loderndes Geräusch gab ihm eine kurze Vorwarnung.

Er drehte sich um und sah Ron und Crabbe, so schnell sie konnten, den Gang entlang auf sie zurennen.

»Mögt ihr's heiß, Kotzbrocken?«, brüllte Crabbe, während er rannte.

Doch er schien das, was er getan hatte, nicht unter Kontrolle zu haben.

Flammen von ungewöhnlicher Größe verfolgten sie und züngelten an den Wänden der Gerümpelwälle hoch, die bei ihrer Berührung zu Ruß zerfielen.

»Aguamenti!«, schrie Harry, doch der Wasserstrahl, der aus der Spitze seines Zauberstabs schoss, verdampfte in der Luft.

»LAUFT!«

Malfoy packte den geschockten Goyle und zerrte ihn mit sich. Crabbe, dem jetzt die Angst im Gesicht stand, ließ sie alle hinter sich; Harry, Ron und Hermine rasten ihm hinterher, und das Feuer verfolgte sie. Es war kein normales Feuer; Crabbe hatte einen Fluch verwendet, mit dem Harry sich nicht auskannte. Während sie um eine Ecke bogen, jagten die Flammen hinter ihnen her, als wären es lebendige, fühlende Wesen, die darauf aus waren, sie zu töten. Nun verwandelte sich das Feuer, bildete eine gigantische Meute lohender Ungeheuer: Flammende Schlangen, Chimäras und Drachen bäumten sich auf, fielen in sich zusammen und bäumten sich wieder auf, und der Abhub von Jahrhunderten, von dem sie sich nährten, wurde in die Luft geworfen, in ihre Mäuler voller Reißzähne, von ihren Klauen hochgeschleudert, ehe das Flammenmeer ihn verschlang.

Malfoy, Crabbe und Goyle waren nicht mehr zu sehen: Harry, Ron und Hermine blieben abrupt stehen; die feurigen Monster umzingelten sie, kamen näher und näher, schlugen mit Klauen und Hörnern und Schwänzen nach ihnen, und die Hitze um sie herum war so fest wie eine Mauer.

»Was machen wir jetzt?«, schrie Hermine durch das ohrenbetäubende Brüllen des Feuers. »Was machen wir jetzt?«

»Hier!«

Harry packte zwei stabil wirkende Besen vom nächsten Gerümpelhaufen und warf einen Ron zu, der Hermine hinter sich hinaufzog. Harry schwang ein Bein über den zweiten Besen, sie stießen sich kraftvoll vom Boden ab und rauschten hoch in die Luft, wobei sie dem gehörnten Schnabel eines flammenden Raubvogels, der mit seinen Kiefern nach ihnen schnappte, nur um Zentimeter entgingen. Der Rauch und die Hitze wurden allmählich unerträglich. Unter ihnen verzehrte das verfluchte Feuer das Beutegut von Generationen gejagter Schüler, die strafbaren Ergebnisse tausend verbotener Experimente, die Geheimnisse zahlloser Seelen, die in diesem Raum Zuflucht gesucht hatten. Harry konnte nirgends eine Spur von Malfoy, Crabbe oder Goyle sehen. Er stieß, so tief er es wagte, zu den tobenden Flammenmonstern hinab, um die beiden vielleicht zu finden, doch da war nichts als Feuer: Welch schreckliche Art zu sterben

... das hatte er nicht gewollt ...

»Raus hier, Harry, lass uns verschwinden!«, brüllte Ron, aber es war durch den schwarzen Rauch unmöglich, zu erkennen, wo die Tür war.

Und dann hörte Harry einen schwachen, kläglichen menschlichen Schrei in dem schrecklichen Durcheinander, im Tosen der alles zermalmenden Flammen.

»Es ist – zu – gefährlich -!«, schrie Ron, doch Harry wirbelte in der Luft herum. Seine Brille bot seinen Augen ein wenig Schutz vor dem Rauch, und er suchte den Feuersturm unter sich ab, suchte nach einem Lebenszeichen, einem Körperglied oder einem Gesicht, das noch nicht verkohlt war wie Holz...

Und er sah sie: Malfoy, die Arme um den bewusstlosen Goyle geschlungen, beide auf einem wackligen Turm rußgeschwärzter Pulte sitzend, und Harry tauchte hinab. Malfoy sah ihn kommen und hob einen Arm, doch als Harry ihn packte, wusste er sofort, dass es keinen Sinn hatte: Goyle war zu schwer und Malfoys schweißbedeckte Hand rutschte gleich wieder aus Harrys Griff -

»WENN WIR FÜR DIE STERBEN, BRING ICH DICH UM,

HARRY!«, brüllte Rons Stimme, und als eine große flammende Chimära sich auf sie herabstürzte, zerrten er und Hermine Goyle auf ihren Besen und stiegen schlingernd und taumelnd wieder hoch, während Malfoy hinter Harry hinaufkletterte.

»Die Tür, flieg zur Tür, zur Tür!«, schrie Malfoy Harry ins Ohr, und Harry beschleunigte, sauste Ron, Hermine und Goyle hinterher durch die schwarzen Rauchschwaden, konnte kaum atmen. Und überall um sie herum wurden die wenigen Gegenstände, die die gefräßigen Flammen noch nicht verbrannt hatten, in die Luft gewirbelt, siegestrunken hochgeschleudert von den Kreaturen des verfluchten Feuers: Pokale und Schilde, eine funkelnde Halskette und ein altes, angelaufenes Diadem -

»Was tust du da, was tust du da? Die Tür ist dort drüben!«, schrie Malfoy, doch Harry machte einen scharfen Schwenk und stieß hinunter.

Das Diadem schien wie in Zeitlupe zu fallen, glitzernd drehte es sich um sich selbst, während es auf den klaffenden Schlund einer Schlange zustürzte, und dann hatte er es, aufgefangen mit seinem Handgelenk -

Harry schwenkte wieder herum, als die Schlange ihn angriff, er stieg in die Höhe und geradewegs auf die Stelle zu, wo, wie er nur beten konnte, die Tür offen stand: Ron, Hermine und Goyle waren verschwunden, Malfoy schrie die ganze Zeit und klammerte sich so fest an Harry, dass es wehtat. Dann sah Harry durch den Rauch einen rechteckigen Fleck an der

"Wand und steuerte mit dem Besen darauf zu, und Sekunden später füllte klare Luft seine Lungen, und sie krachten gegen die dahinterliegende Mauer des Korridors.

Malfoy fiel vom Besen und lag mit dem Gesicht nach unten da, keuchend, hustend und würgend. Harry drehte sich herum und setzte sich auf: Die Tür zum Raum der Wünsche war verschwunden, und Ron und Hermine saßen schwer atmend auf dem Boden neben Goyle, der immer noch bewusstlos war.

»C-Crabbe«, japste Malfoy, sobald er sprechen konnte. »C-Crabbe ...«

»Er ist tot«, sagte Ron barsch.

Stille trat ein, nur das Keuchen und Husten war zu hören. Dann erschütterte eine Reihe von schweren Schlägen das Schloss, und ein mächtiger Reiterzug durchsichtiger Gestalten galoppierte an ihnen vorbei, und ihre Köpfe, die sie unter den Armen trugen, schrien im Blutrausch.

Harry erhob sich schwankend, als die Kopflosenjagd vorbeigezogen war, und blickte sich um: Rund um ihn her tobte nach wie vor die Schlacht. Er konnte noch andere Schreie hören als die der sich zurückziehenden Gespenster. Panik loderte in ihm auf.

»Wo ist Ginny?«, sagte er scharf. »Sie war hier. Sie sollte in den Raum der Wünsche zurückgehen.«

»Verdammt, meinst du, der funktioniert noch nach diesem Feuer?«, fragte Ron, doch auch er stand auf, rieb sich die Brust und hielt nach links und rechts Ausschau. »Sollen wir uns aufteilen und suchen -?«

»Nein«, sagte Hermine und erhob sich ebenfalls. Malfoy und Goyle blieben hoffnungslos zusammengesackt auf dem Boden liegen; keiner von ihnen hatte einen Zauberstab. »Lasst uns zusammenbleiben. Ich denke, wir gehen – Harry, was ist das an deinem Arm?«

»Was? Oh, jaah -«

Er zog das Diadem von seinem Handgelenk und hielt es hoch. Es war immer noch heiß und rußgeschwärzt, doch als er es näher betrachtete, konnte er gerade noch die winzigen Wörter erkennen, die darin eingraviert waren: Witzigkeit im Übermaß ist des Menschen größter Schatz.

Eine blutartige Substanz, dunkel und teerig, schien aus dem Diadem zu sickern. Plötzlich spürte Harry, wie es heftig vibrierte und dann in seinen Händen auseinanderbrach, und dabei glaubte er einen äußerst schwachen, ganz fernen Schmerzensschrei zu hören, der nicht vom Gelände oder vom Schloss herdrang, sondern von dem Ding, das gerade in seinen Fingern zu Bruch gegangen war.

»Das muss das Dämonsfeuer gewesen sein!«, wisperte Hermine, die Augen auf die zerbrochenen Teile gerichtet.

»Wie bitte?«

»Dämonsfeuer – verfluchtes Feuer – das ist eines von den Dingen, die Horkruxe zerstören, aber ich hätte es nie und nimmer gewagt, das zu verwenden, so gefährlich ist es. Woher wusste Crabbe, wie man -?«

»Muss es von den Carrows gelernt haben«, sagte Harry grimmig.

»Schade eigentlich, dass er nicht aufgepasst hat, als die erwähnt haben, wie man es wieder löscht«, sagte Ron, dessen Haare wie die von Hermine angesengt waren und dessen Gesicht schwarz geworden war. »Wenn er nicht versucht hätte, uns alle umzubringen, würd's mir tatsächlich leidtun, dass er tot ist.«

»Aber begreift ihr denn nicht?«, flüsterte Hermine. »Das bedeutet, wenn wir jetzt noch die Schlange kriegen -«

Doch sie unterbrach sich, als Schreie und Rufe und der unverkennbare Lärm von Zweikämpfen den Korridor erfüllten. Harry sah sich um und sein Herz schien stillzustehen: Todesser waren in Hogwarts eingedrungen. Fred und Percy waren gerade mit dem Rücken zu ihnen aufgetaucht, sie duellierten sich mit maskierten Kapuzenmännern.

Harry, Ron und Hermine stürmten vor, um ihnen zu helfen. Lichtblitze flogen in alle Richtungen, und der Mann, der mit Percy kämpfte, wich rasch zurück. Dann rutschte seine Kapuze herunter, und sie sahen eine hohe Stirn und gesträhntes Haar -

»Hallo, Minister!«, brüllte Percy und schickte Thicknesse einen sauber platzierten Fluch direkt entgegen, worauf dieser den Zauberstab fallen ließ und sich an die Brust fuhr, offenbar in schrecklicher Qual. »Hab ich schon erwähnt, dass ich kündige?«

»Du machst Witze, Perce!«, rief Fred, als der Todesser, gegen den er kämpfte, unter der Wucht von drei einzelnen Schockzaubern zusammenbrach. Thicknesse war zu Boden gestürzt, und winzige Stacheln brachen überall aus seinem Körper hervor; er schien zu einer Art Seeigel zu werden. Fred sah Percy fröhlich an.

»Du machst tatsächlich Witze, Perce ... Ich glaub, ich hab keinen Witz mehr von dir gehört, seit du -«

Die Luft explodierte. Sie hatten alle zusammengestanden, Harry, Ron, Hermine, Fred und Percy, die beiden Todesser zu ihren Füßen, der eine geschockt, der andere verwandelt. Und in diesem Bruchteil einer Sekunde, als die Gefahr einstweilig gebannt schien, wurde die Welt auseinandergerissen. Harry spürte, wie er durch die Luft flog, und er konnte nichts weiter tun als so fest wie möglich diesen dünnen Holzstab umklammern, der seine einzige Waffe war, und schützend die Arme über den Kopf halten. Er hörte die Schreie und Rufe seiner Gefährten, hatte keine Hoffnung, zu erfahren, was ihnen zugestoßen war -

Und dann löste sich die Welt in Schmerz und Düsternis auf: Er lag halb begraben unter den Trümmern eines Korridors, der einen schrecklichen Angriff erlitten hatte. Aus dem kalten Luftzug schloss er, dass eine Seite des Schlosses weggesprengt worden war, und etwas Heißes und Klebriges an seiner Wange sagte ihm, dass er stark blutete. Dann hörte er einen schrecklichen Schrei, der an seinen Eingeweiden zerrte, der von Todesqualen kündete, die weder Flammen noch Flüche verursachen konnten, und er stand auf, schwankend, und hatte größere Angst als diesen ganzen Tag lang, größere Angst vielleicht, als er in seinem ganzen Leben gehabt hatte ...

Hermine rappelte sich in dem Schutt mühsam hoch, und dort, wo die Mauer weggesprengt war, gruppierten sich drei rothaarige Männer auf dem Boden. Harry nahm Hermine bei der Hand, und sie taumelten und stolperten über Steine und Holz.

»Nein – nein – nein!«, schrie jemand. »Nein! Fred! Nein!«

Und Percy schüttelte seinen Bruder, und Ron kniete neben ihnen, und Freds Augen starrten, ohne zu sehen, die Spur seines letzten Lachens noch immer auf sein Gesicht gezeichnet.