"Die Gefangenen des Korallenriffs" - читать интересную книгу автора (Кузнецов Юрий Николаевич)
Erster Teil: Gespenster aus dem ElmenlandEIN HAUS VOLLER GESPENSTER Es war Herbst auf dem Planeten Irena und häßliches, verregnetes Wetter. Vi und Ol, die Eltern des Mädchens Viola, hatten heute frei und zogen es vor, an solch einem Tag zu Hause zu bleiben. Sie wollten es sich gemütlich machen und setzten sich auf das kleine Sofa vor dem Kamin, das ihnen beiden genügend Platz bot. »Hier wäre sogar noch ein Eckchen für unsere Tochter frei«, begann Ol, biß sich jedoch gleich auf die Zunge. Er war mit seiner Frau stillschweigend übereingekommen, nicht von Viola zu sprechen, weil ihnen das nur Kummer bereitet hätte. Die beiden hatten das Mädchen nämlich auf einem Erdenstützpunkt zurücklassen müssen, als sie selbst Hals über Kopf zur Irena zurückbeordert worden waren. »Heute läuft ein spannender Film im Fernsehen«, murmelte Vi, als hätte sie die Worte ihres Mannes nicht gehört. »Etwas mit einem Gespensterschloß.« Ol war erleichtert. »Aber ja«, erwiderte er leicht spöttisch, »ein Märchen für Schulkinder: ein bißchen Grusel, ein bißchen was zum Lachen, und am Ende siegt das Gute.« »Bist du wirklich überzeugt, daß es keine Gespenster gibt?« fragte Vi. »Und was ist mit den Elmen?« »Gewiß existieren rätselhafte Erscheinungen, für die wir noch keine Erklärung haben, aber Gespenster…« Ol zuckte die Achseln. »Die Elme jedenfalls könnte man höchstens Geister nennen, wenn man schon Ausdrücke aus dem Jenseits gebraucht.« Draußen rauschte eintönig der Regen. Beide schwiegen und hingen ihren Gedanken nach, die der Tochter galten. Dabei hatten sie noch nicht mal eine Ahnung von den Dingen, die nach ihrer Abreise passiert waren. Denn zwischen der Erde und dem Planeten Irena gab es eine Reihe geheimnisvoller Tunnel, die eine direkte Verbindung zur jeweils anderen Welt ermöglichten. Die Erdenbewohner wußten nur nichts davon. Sie wunderten sich zwar, wenn an manchen Stellen der Ozeane, wie zum Beispiel in dem berühmten Bermudadreieck, immer wieder Schiffe mit all ihren Passagieren spurlos verschwanden, schoben das aber auf die unergründliche Natur. Doch die eigentliche Schuld trugen die Massaren, eine bestimmte Menschengruppe auf der Irena. Sie hatten die Macht auf ihrem Planeten und nutzten diese Schächte, um die Erde zu erforschen, ja, um sie später sogar zu erobern. Durch einen dummen Zufall war nun Viola in so einen Tunnel und in eine Zwischenwelt, das sogenannte Elmenland, gelangt. Sie und ihre Eltern gehörten nicht zu den Massaren, sondern zu den Vitanten, die den Menschen Gutes wollten, aber keine Macht besaßen. Im Elmenland herrschte ein wüstes Durcheinander von Dingen und Erscheinungen. Die Menschen verloren dort ihre körperliche Gestalt und wurden zu durchscheinenden Wesen, die aus elektromagnetischen Wellen bestanden. Diese Wesen, die Elme, hatten einen Doppelgänger, mit dem sie nur noch lose verbunden waren. Ohne ihn vermochten sie nicht wieder aus dem Tunnel zu gelangen. Nichtsdestoweniger lebten sie, konnten sich bewegen, unterhalten und nach Belieben ihre Form verändern. Zum Glück war Viola im Elmenland nicht allein, sie hatte einen Jungen von der Erde getroffen. Kostja wollte seinen Papierdrachen fliegen lassen und war dabei gleichfalls in so einen Schacht geraten. Auch Viktor Stepanowitsch, ein Geologe, und sein Begleiter, der Jäger Kusmitsch, befanden sich im Elmenland. Viola und Kostja hätten sich nie aus ihrer schlimmen Lage befreien können, wären nicht diese beiden Männer und der Krake Prim gewesen, der über hypnotische Kräfte verfügte. Der Krake war ein selbstloser Freund. Er opferte schließlich seinen einzigen Schatz, eine wunderbare Haliotisperle, um den Kindern zu helfen. Von all den Geschehnissen im Elmenland war bisher nichts zu den Eltern Violas gedrungen. Sie wußten nicht, daß zwei Massaren die Tochter und den Jungen Kostja verfolgt hatten, um sie an der Flucht zu hindern, und daß die Kinder weitere Unterstützung von Kau-Ruck und Ilsor bekamen. Die beiden stammten von der Rameria, einem dritten Planeten. Vi und Ol saßen also da, sehnten sich nach ihrem Töchterchen und hörten plötzlich ein Geräusch aus dem Kinderzimmer. Das Geräusch wiederholte sich, und nun schlichen beide leise, auf Zehenspitzen, zum Kinderzimmer, öffneten lautlos die Tür. Das Bild, das sich ihnen bot, war mehr als erstaunlich. In der Mitte des Raumes, wo auf dem Fußboden eine Kindereisenbahn aufgebaut war, sauste ein Zug dahin; er ratterte über die Schwellen, und jedesmal, wenn er eine Weiche passierte, klingelte leise ein Glöckchen. Auf den Bahnhöfen und Vorortstationen aber warteten Puppen und andere Spielzeuggestalten auf ihren Zug, um zum Spaß mitzufahren. Auch Figuren von der Erde waren darunter. So hatten die Eltern einmal eine Strohpuppe mitgebracht, die dem berühmten Scheuch aus der im Zauberland gelegenen Smaragdenstadt nachgebildet war. Das Zauberland, vor vielen Jahrhunderten durch den großen Zauberer Hurrikap geschaffen, lag in der Nähe des nordamerikanischen Staates Kansas. Doch nicht nur der Scheuch, auch ein mächtiger geflügelter Drachen im Zimmer schien gleichfalls aus diesem Land voller Fabelwesen zu stammen. Daneben gab es bei Viola aber auch noch Spielzeug, an das sich die Eltern nicht erinnerten. Zum Beispiel einen riesigen Kraken, wie sie in den Tiefen der Erdenmeere leben, und einen Flugmolch von der Irena, eine hier recht bekannte Tierart. »Ist hier jemand?« fragte Ol laut. Keine Antwort. Die beiden suchten das Zimmer ab, konnten aber keinen Menschen entdecken. »Laß uns noch einmal ganz gründlich nachschaun«, schlug Vi vor. Sie stöberten in sämtlichen Ecken, schauten unter den Tisch, in die Schränke. Umsonst! Da war niemand. Blieb nur noch die Möglichkeit, daß sich die Eisenbahn zufällig angeschaltet hatte. Sie waren noch mitten beim Suchen, als erneut ein leises Klingen ertönte. Der Zug drehte abermals seine Runden! Plötzlich bemerkte Ol, daß der Sensorschalter aufleuchtete, als wäre er gerade erst betätigt worden. Aber von wem? Vi oder er hatten ihn auf keinen Fall berührt. Ol sah, daß seine Frau ebenfalls auf den Schalter starrte und ein leichtes Zittern nicht unterdrücken konnte. Er ging zu ihr, um ihr beruhigend über den Kopf zu streichen. Doch zwischen seinen Fingern und ihren Haaren tanzten auf einmal Funken. »Meine Güte, du bist ja elektrisch aufgeladen wie ein Kugelblitz«, sagte Ol. »Du wirst uns noch die Wohnung abbrennen.« Der spaßhafte Ton ihres Mannes beruhigte Vi ein wenig, ihre Erstarrung löste sich. Dann aber zog sie ihn am Ärmel und legte den Finger auf die Lippen: »Psst! Da ist jemand im Wohnzimmer!« Sie schlichen zum Korridor, und Ol öffnete vorsichtig die Tür. Im Wohnzimmer unterhielt sich der große Fernsehsessel mit einem Polsterstuhl. Sie standen sich gegenüber, berührten einander fast mit den Armlehnen und wackelten freudig hin und her. Es sah aus, als wären sich zwei Freunde begegnet. Vi war blaß geworden. Ol faßte seine Frau behutsam am Ellbogen und flüsterte aufmunternd: »Die beiden haben sich offenbar jede Menge zu sagen, findest du nicht? Der Stoff, mit dem sie bezogen sind, ist derselbe. Bestimmt stammen sie aus einer Garnitur.« Obwohl Ol ganz leise gesprochen hatte, schienen die Sitzgelegenheiten seine Worte zu hören, denn sie hielten mitten im Satz inne. Nun betrat Ol entschlossen das Zimmer, zog Vi fast gewaltsam hinter sich her. »Ich hoffe, wir stören Sie nicht allzu sehr?« wandte er sich höflich an Stuhl und Sessel. »Falls Sie sich aber allein weiter unterhalten wollen, können wir auch solange nach oben ins Schlafzimmer gehen.« Die beiden Möbel schwiegen. »Nicht? Dann dürften Sie kaum etwas dagegen haben, wenn wir hier unten Platz nehmen.« Ol steuerte seinen geliebten Sessel an. »Warte doch, Ol«, sagte Vi flehend, »wir wollen uns lieber nicht da reinsetzen. Ich… ich habe Angst. Ich glaube beinahe, sie sind… nun ja, lebendig.« »Unsinn!« widersprach Ol. »Das fehlte noch, daß wir vor unseren eigenen Stühlen Angst haben! Weißt du, was ich denke? Bis wir ins Zimmer kamen, haben einfach andere Leute drauf gesessen, die wir aus irgendeinem Grund nicht sehen konnten. Und nun haben sie den Platz für uns frei gemacht.« Stuhl und Sessel knarrten zustimmend. Sie glitten eifrig auf sie zu und boten ihnen ihre weichen Polster an. Vi wich ein Stück zurück. Sie stolperte und wäre um ein Haar hingefallen. Doch der Sessel veränderte blitzschnell seinen Standort und fing sie mit seiner Sitzfläche auf. Ol nahm mit dem Stuhl vorlieb. »Na, das nenn ich Komfort!« Er wandte sich seiner Frau zu und streckte behaglich die Beine aus. Vi dagegen fühlte sich wie auf einem glühenden Rost. Sie krallte krampfhaft die Finger in die Armlehnen und saß auf der vordersten Kante, bemüht, so wenig wie möglich mit dem Sessel in Berührung zu kommen. Dabei stöhnte sie leise. »Du solltest dich schämen, Vi«, tadelte Ol scheinbar vorwurfsvoll. »Unsere Gäste müssen ja annehmen, du hättest das Vergnügen mit so einem Gespenstersessel zum ersten Mal.« Das Wort vom Gespenstersessel erschreckte seine Frau erneut, so daß sie, wie von der Tarantel gestochen, wieder aufsprang. Doch die Schwerkraft siegte über ihre wackligen Knie, und sie sank in die weichen Polster zurück. »Wenn sie sich doch mal zu erkennen geben würden!« rief Vi aus. »Oder mit uns reden wollten!« sagte Ol. Bei diesen letzten Worten hatten beide den Eindruck, daß jemand im Zimmer seufzte. Aber nein, es waren einfach die Sesselfedern gewesen. DIE GESPENSTER STELLEN SICH VOR Dennoch sollte der Wunsch von Vi und Ol kurz darauf in Erfüllung gehen. Die Tür des Kinderzimmers öffnete sich – und eine ganze Abordnung der größten Puppen und sonstigen Gestalten kam gelaufen, gekrochen oder sogar geflogen! Zuerst erschien, den Hut verwegen auf dem Kopf, der bereits erwähnte Scheuch aus dem Erdenzauberland. Er kam so stolz daher wie seinerzeit, als er mit dem Mädchen Elli aus Kansas, mit dem Eisernen Holzfäller und dem Tapferen Löwen in die Smaragdenstadt eingezogen war und sie später gegen die Holzsoldaten des bösen Urfin verteidigt hatte. Mit seinen blauen Augen im runden Strohgesicht schaute er Vi und Ol freundlich an. Erschrockener waren sie deshalb eigentlich über einen riesigen Kraken, der ihm folgte und seine Fangarme kreisförmig über den Boden gleiten ließ. Dabei gab es ein Geräusch, als würden die Schaufelräder eines alten Dampfers durchs Wasser scharren. Vi, die nicht wissen konnte, daß es sich um den Doppelgänger Prims aus dem Elmenland handelte, saß da, wie zur Salzsäule erstarrt. Auch der nächste Besucher flößte einigen Respekt ein. Es war ein Drache, dessen langgestreckter Körper auf kräftigen Beinen ruhte. Die gewaltigen Flügel waren gewiß nicht für die Wohnung gedacht, weshalb auch sofort eine hübsche Kristallvase daran glauben mußte. Der Geflügelte hätte ein Vetter des Zauberdrachen Oicho sein können, der zusammen mit Elli und ihrem Sohn Chris aus Kansas eine Menge Abenteuer erlebt hatte. Der Flugmolch dagegen, der als letzter hereinflatterte, stammte eindeutig von der Irena und hatte, gewissermaßen als Einheimischer, den anderen nur den Vortritt gelassen. Dieses Amphibienwesen erinnerte an einen großen Teigkringel und wirkte im Wohnzimmer gleichfalls ein wenig fehl am Platz. Vi machte Anstalten, angesichts dieser Invasion die Flucht zu ergreifen, Ol dagegen erholte sich ziemlich schnell von seiner Verwunderung. Er trat einen Schritt nach vorn und stellte sich schützend vor seine Frau. »Womit können wir dienen, Herrschaften?« fragte er. Der Scheuch nahm seinen Hut vom Kopf und verbeugte sich ungelenk: »Ich heiße Kostja und bin ein Junge von der Erde«, sagte er stockend. Vis Augen wurden kugelrund: »Na, ich weiß ja nicht – einen Jungen von der Erde stell ich mir anders vor!« »Trotzdem stimmt es«, erwiderte Kostja-Scheuch. »Aber wenn Sie wollen, kann ich auch in die Haut eines Löwen schlüpfen. Im Kinderzimmer gibt es ja einen…« »Nein, bloß nicht!« wehrte Vi erschrocken ab und dachte daran, daß der riesige Höhlenlöwe mit den gelben furchteinflößenden Augen in der Ecke von Violas Zimmer plötzlich zum Leben erwachen könnte. »Nein«, wiederholte sie, »so bist du mir wirklich sympathischer!« »Dagegen haben wir hier, wenn ich mich nicht irre, einen echten Tiefseekraken?« wandte sich Ol an den Achtfüßer, um abzulenken. Der Octopus nickte zur Bestätigung und gab so etwas wie ein Schnalzen von sich. »Ich bin der Jäger Kusmitsch!« meldete sich nun polternd der Drache zu Wort. »Bitte entschuldigen Sie vielmals, daß ich die Vase zerbrochen habe.« Und indem er mit dem Flügel auf den in der Luft hängenden Molch zeigte: »Ich wollte den Professor auf seinem Erkundungsgang zum Todeskap begleiten, und dort hat es uns erwischt.« »Viktor Stepanowitsch, Geologe und sehr an Exkursionen interessiert«, stellte sich daraufhin der Flugmolch selbst vor. Dann glitt er elegant auf den Fußboden herab und war ab da um Zurückhaltung bemüht. Als Gelehrter fühlte er sich äußerst unwohl in der Hülle dieses Flattergeschöpfs. Ol, der begriffen hatte, daß es sich hier um Doppelgänger aus dem Elmenland handeln mußte, sagte erleichtert: »Nun ja, damit hätten wir dann wohl Bekanntschaft geschlossen. Der erste Kontakt fällt immer am schwersten, weil man nicht weiß, was man voneinander zu halten hat.« »Wie sind Sie denn hierher auf die Irena gekommen?« fragte Vi, die sich endlich gefaßt hatte. »Ja, wenn wir das so genau wüßten«, erwiderte der Geologe. »Wir stammen aus ganz verschiedenen Gegenden der Erde und sind auf völlig unerklärliche Weise zu Ihnen gelangt. Nur eins ist bei allen gleich: Jeder von uns geriet in die Nähe eines großen Felsbrockens von graublauer Farbe, der ihn unwiderstehlich in sich einsog. Jetzt jedenfalls vereint uns die Tatsache, daß wir in eine fremde Gestalt schlüpfen müssen, wenn wir nicht unsichtbar bleiben wollen. Wir sind sonst nur Menschen mit Tarnkappen. Daher auch unser merkwürdiges Aussehen. Bestimmt ist unser Auftauchen für Sie nicht gerade angenehm.« Vi und Ol schauten sich verlegen an. »Wir haben uns noch nicht so richtig an unser Dasein als Gespenster gewöhnt und uns deshalb ziemlich dumm benommen«, fuhr Viktor Stepanowitsch fort. »Bitte entschuldigen Sie…« »Aber nicht doch, da gibt’s nichts zu entschuldigen!« fiel Ol ihm ins Wort. »Wir freuen uns immer über Gäste. Fühlen Sie sich wie zu Hause, und bleiben Sie hier, solange Sie wollen. Gewiß, im ersten Moment hat uns Ihr Aussehen schon ein bißchen schockiert, oder genauer die Tatsache, daß nichts davon zu entdecken war. Auch jetzt ist Ihr Äußeres… nun ja, recht ungewöhnlich. Doch da wir uns inzwischen miteinander bekanntgemacht haben, spielt das keine Rolle mehr.« »Eben weil wir nicht mehr unsichtbar bleiben, sondern uns richtig vorstellen wollten, sind wir in die Hüllen der erstbesten Spielsachen im Kinderzimmer geschlüpft«, erklärte der Geologe. »Da hat es der Krake wohl am besten getroffen«, sagte Vi. »Er brauchte gar nicht erst aus seiner Haut heraus.« Der Junge Kostja lachte: »Ich beklage mich ebenfalls nicht. Diese Vogelscheuche sieht doch ganz lustig aus.« »Und wie fühlst du dich, Kusmitsch?« fragte der Geologe seinen Gefährten. »Hast dir ja nicht gerade ein bequemes Kostüm ausgesucht.« »Ein armer Wicht beschwert sich nicht«, scherzte der Jäger. Dann fügte er hinzu: »Aber der Drache ist schon in Ordnung. Er macht was her und steht dem Herrn der Taiga – dem Bären – in nichts nach.« Kusmitsch drückte sich so aus, weil er aus Sibirien in Rußland stammte, wo es noch Bären in freier Wildbahn gab. »Außerdem scheint er genauso tolpatschig zu sein wie du«, fügte Viktor Stepanowitsch hinzu: »Zu Hause zerschlägst du ja auch das Geschirr.« »Scherben bringen Glück«, sagte Vi lächelnd. »Nun ja, und für mich ist in der Eile nur die Gestalt des Flugmolchs geblieben«, schloß der Geologe. »Aber wie heißt es doch so schön bei uns: Besser den ganzen Kringel als bloß das Loch davon!« Diese Worte erinnerten die Gäste wieder an die Erde und ihre verhängnisvollen Erlebnisse dort. Kostja war in der sogenannten Todesschlucht von seinem Papierdrachen mitgerissen worden und abgestürzt. Ein gewaltiger Stein, der aus dem Flüßchen Smorodinka ragte, hatte ihn eingesogen, so daß er in einen Tunnel gelangte. Dann spürte er, wie er mit einemmal körperlos wurde und sich gewissermaßen in zwei Jungen aufteilte. Der eine Junge blieb zurück, er aber wurde zur Irena katapultiert. »Ich sauste durch den Tunnel«, erzählte er, »doch der Ort, an dem ich schließlich herauskam, gefiel mir überhaupt nicht. Er war fast kreisförmig und glich einer riesigen Müllkippe mit einem Durchmesser von mehreren Kilometern. Ja wirklich! Dort herrschte ein schreckliches Durcheinander von Steinen, Häuserruinen, Eisenteilen, verrosteten Maschinen und anderem Zeug. Ein Gemisch aus Grau und Grün, denn dazwischen wuchsen auch Bäume, Büsche und Gras. Da ich, wie bereits erwähnt, keinen Körper mehr besaß, schwebte ich über diesem Gewirr und war alles andere als begeistert. Schließlich entdeckte ich ein Stück abseits ein Haus und einen kleinen Teich. Dort würde es mir eher gefallen, dachte ich, und siehe da – schon war mein Wunsch erhört. Eine unsichtbare Kraft trug mich zu dem Haus im Grünen. Ich staunte nicht schlecht. Wie sich herausstellte, konnte ich fliegen, wohin ich wollte! Andererseits sah ich nichts mehr von mir, spürte meine Glieder nur noch. Immerhin vermochte ich Arme, Beine und den Kopf ganz normal zu bewegen. Mit einem Wort, ich kam mir vor wie im Märchen: Jeder meiner Wünsche ging in Erfüllung, ich besaß Tarnkappe, Siebenmeilenstiefel und fliegenden Teppich in einem!« Kostja schwieg einen Augenblick, während die anderen gespannt auf die Fortsetzung seines Berichts warteten. »Nun ja, leider bekam meine gute Laune gleich darauf einen Dämpfer. Mir fiel voller Schrecken ein, daß ich nicht die geringste Ahnung hatte, wo ich mich eigentlich befand und wie ich von hier wieder wegkommen sollte. Deshalb sagte ich mir: Fürs erste wäre es nicht schlecht, zu dem Tunnel zurückzufinden. Und schon im nächsten Moment spürte ich, daß ich erneut durch die Luft getragen wurde. Hurra, es funktionierte, und so zweifelte ich nicht daran, durch den Schacht nach Hause zurückkehren zu können. Doch wie sich bald herausstellte, hatte ich mich zu früh gefreut. In Tunnelnähe knallte ich nämlich mit voller Wucht gegen ein unsichtbares Hindernis. Es war eine Art straff gespanntes Seil, von dem ich heftig abprallte und weit zur Seite flog. Macht nichts, dachte ich, versuchst du es eben an einer anderen Stelle! Aber so oft ich es auch probierte, wie ich es auch anstellte, meine Bemühungen waren erfolglos. Der Tunnel wollte mich einfach nicht mehr wiederhaben. Ob ich nun kräftig Anlauf nahm oder mich vorsichtig heranpirschte – überall traf ich auf eine anscheinend unüberwindliche Schutzwand. Tja, was sollte ich da tun?« schloß Kostja. »Nachdem ich eine Weile überlegt hatte, erinnerte ich mich an das Häuschen hier, wo ich vielleicht einiges erklärt bekommen könnte. Mein Wunsch, herzufliegen, brachte mich sofort zurück, und so bin ich bei Ihnen im Kinderzimmer gelandet.« Vi und Ol hatten dem Jungen zugehört, ohne ihn zu unterbrechen. Sie lauschten auch den Berichten der anderen Erdenbewohner, die sich nur am Anfang von Kostjas Schilderung unterschieden. Viktor Stepanowitsch und sein Begleiter Kusmitsch hatten einen geheimnisvollen Ort, das Todeskap, erforscht und waren von dort aus auf die Irena geraten, der Krake aber, der Prim hieß, war im Ozean von einem Hai verfolgt worden. Als er bei einem Felsen Schutz suchte, hatte der Steinbrocken ihn plötzlich geschluckt. Sie alle waren zunächst ins Elmenland und als Doppelgänger ihres eigenen Ichs dann hierher gelangt, hatten, genau wie Kostja, die neue Umgebung vom Tunnelausgang aus, dem sogenannten Elming, erkunden wollen und waren dabei auf das Haus von Vi und Ol gestoßen. Die Erzählungen der Gäste dauerten bis in die späte Nacht hinein. Als ihnen vor Müdigkeit schon fast die Augen zufielen, schlug Ol vor, erst einmal schlafenzugehn. Am nächsten Tag wollte er ihnen dann mit frischen Kräften erklären, was es mit der Irena und dem Elmenland eigentlich auf sich hatte. DER BESUCH DER MASSAREN Als Vi und Ol am nächsten Morgen erwachten, wartete eine angenehme Überraschung auf sie: In der Küche war bereits der Frühstückstisch gedeckt. Nach dem Essen baten Violas Eltern ihre Gäste ins Wohnzimmer, und als alle es sich bequem gemacht hatten, begann Ol ein wenig Licht ins Dunkel der Ereignisse zu bringen. »Ob es euch nun gefällt oder nicht«, sagte er, »aber ihr könnt nicht so leicht zurück. Ihr befindet euch auf dem Planeten Irena, einem Gegenstück zur Erde, oder wenn ihr so wollt, in der Antiweit. Unseren Wissenschaftlern ist es gelungen, unsere beiden Himmelskörper durch Schächte miteinander zu verbinden, die wir Synchrotunnel nennen. Sie führen mitten durchs Elmenland, wo die Gestalten körperlos werden, wie ihr ja schon gemerkt habt. Sie teilen sich in zwei völlig gleiche Wesen auf, die aus elektromagnetischen Wellen bestehen und sich wie diese fortbewegen können; deshalb also Kostjas ›Fliegender Teppich‹ und seine ›Siebenmeilenstiefel‹. Von diesen Wesen, die man Elme nennt und die auch als Geister bezeichnet werden könnten, bleibt jeweils eins im Tunnel zurück, das zweite gelangt zu uns auf die Irena. Aber wie gesagt«, Ol kratzte sich den Kopf, »das habt ihr ja alles am eigenen Leibe erfahren! Vi und ich waren übrigens schon öfter auf der Erde. Nur daß wir für die Reise zu euch sogenannte Synchrogleiter benutzen und deshalb als ganz normale Menschen daherkommen. Dort haben wir inzwischen an schwer zugänglichen Orten mehrere Stützpunkte eingerichtet.« »Und wozu dienen diese Stützpunkte?« wollte der Geologe wissen. »Zur Erkundung«, erwiderte Ol. »Unser Planet ist nämlich um vieles älter als die Erde und besitzt kaum noch Rohstoffe. Deshalb sind wir gezwungen, uns anderweitig umzusehen. Und hier wird es nun problematisch…« Ol zögerte und überlegte, ob er die Besucher noch weiter einweihen sollte, doch dann entschloß er sich: »Die Bewohner der Irena haben sich in zwei Lager gespalten. Das eine, vertreten durch die Massaren, ist der Meinung, man sollte die Erde kurzerhand erobern und sich auf diesem jungen, an Bodenschätzen noch reichen Planeten ansiedeln. Das andere Lager bilden die Vitanten, sie sind entschieden gegen ein solches Vorgehen. Wir glauben nämlich«, fuhr Ol fort und machte damit deutlich, zu welchem der beiden Lager er und seine Frau gehörten, »daß die Errichtung der Stützpunkte und eine schrittweise Übersiedlung auf die Erde mit den Bewohnern dort abgesprochen und von ihnen gebilligt werden muß. Doch die Macht liegt leider bei den Massaren«, schloß er betrübt, »sie haben alle wichtigen Posten besetzt und uns Vitanten in den Hintergrund gedrängt. Sie sind jetzt sogar dabei, einen ihrer teuflischsten Pläne in die Tat umzusetzen. Immer mehr Irener werden zu euch gebracht und versuchen, als Erdenmenschen getarnt, ganz allmählich euren Planeten zu unterwerfen. Deshalb ist es gut, daß ihr hier seid und wir euch informieren können. Wir müssen unbedingt eine Möglichkeit finden, euch auf die Erde zurückzuschicken, damit ihr diese Leute enttarnt…« Ol wollte weitersprechen, doch in diesem Augenblick ertönte das kleine melodische Glöckchen an der Gartenpforte. Kurz darauf wurde die Tür zum Wohnzimmer aufgestoßen, und auf der Schwelle standen zwei Irener. »Vorn war nicht abgeschlossen«, erklärte der eine halb entschuldigend. »Guten Tag und herzlich willkommen zu Hause«, sagte der andere. Anscheinend war er gut gelaunt. Ol und Vi erhoben sich. Sie begrüßten die beiden mit einem Kopfnicken. »Für Gäste stehen unsere Türen stets offen«, erwiderte Ol. »Bitte treten Sie doch ein.« Die Männer, beides Massaren, schauten sich neugierig im Zimmer um. Ihr Blick blieb an den großen Spielsachen haften, die so meisterhaft gefertigt waren, daß sie wie lebend wirkten. »Was für Ungeheuer!« sagte der eine Massar und berührte mit der Fußspitze fast angewidert den Kraken an einem seiner Fangarme. »Von draußen haben wir Stimmen gehört und angenommen, wir wären nicht die ersten Gäste nach Ihrer Rückkehr. Mit einer so merkwürdigen Gesellschaft haben wir allerdings nicht gerechnet.« »Nun ja, wir haben ein paar besonders originelle Spielsachen von der Erde mitgebracht«, erwiderte Vi, verlegen lächelnd. »Für Viola. Wir haben lange überlegt, was ihr gefallen könnte, und vorhin ein regelrechtes Puppentheater mit ihnen veranstaltet. Die Stimmen waren unsere.« »Mein Geschmack wären die Viecher jedenfalls nicht«, sagte der andere Massar. »Wenn eure Tochter nachts über sie stolpert, wird sie zu Tode erschrecken.« »Aber nein, Sie kennen Viola nicht! Ihr kann es nicht ausgefallen genug sein! Geht’s ihr übrigens dort auf dem Stützpunkt gut? Haben Sie neue Nachrichten von der Basis?« Vi wechselte geflissentlich das Thema. »Ja, erst heute morgen ist wieder ein Synchrogleiter von der Erde zurückgekehrt. Mit Viola ist alles in Ordnung! Sie soll sich sogar mit einem Jungen von der Erde angefreundet haben, der jetzt jedoch im Elmenland ist. Wir wissen gar nicht, wie er dorthin kommt.« Der Massar stieß unwirsch die Strohpuppe vom Stuhl, die wie ein Lumpensack herunterklatschte. »Aber er wird bestimmt bald in der Nähe des Tunnelausgangs auftauchen. Sollte Ihnen etwas davon zu Ohren kommen, geben Sie das bitte sofort ins Zentrum durch. Wir müssen ihn einfangen und in die Isolierzelle sperren, damit er hier kein Unheil anrichtet.« Der Mann wollte sich auf den freigewordenen Stuhl setzen, doch der rückte plötzlich unmerklich zur Seite. Der Irener krachte mit dem Hinterteil auf den Fußboden, seine Beine spießten lächerlich in die Luft. Mit dem Wegschieben des Stuhls hatte sich Kostja für die unfreundliche Behandlung des Scheuchs gerächt. Der Massar sprang hastig auf und rieb sich den Hintern, wobei er den hinterhältigen Stuhl argwöhnisch beäugte. Der aber stand da, als wäre nichts geschehen. »Haben Sie sich auch nicht weh getan?« fragte Ol scheinbar teilnahmsvoll. Natürlich hatte er Kostjas Streich sofort durchschaut. »Schon gut, nicht der Rede wert!« murmelte der Massar. »Ich hab wohl nicht richtig hingeguckt.« Er warf dem Stuhl erneut einen scheelen Blick zu, wagte es aber nicht, sich ein zweites Mal zu setzen. »Wir sind im Grunde nur auf einen Sprung hier, wollen uns nach Ihrem Befinden erkundigen. Außerdem sollen wir Ol bitten, morgen ins Zentrum zu kommen. Wir haben eine interessante Aufgabe für Sie! Wir sind dabei, einen neuen Typ von Synchrogleitern zu erproben, den sogenannten Kristallskaphander, mit dem man… Nun ja, Genaueres erfahren Sie morgen.« »Gut, ich bin morgen früh da«, versicherte Ol. »Selbstverständlich kommt er«, bestätigte auch Vi. »Je eher wir hier die Arbeit erledigt haben, desto schneller sind wir wieder bei unserer Kleinen auf dem Stützpunkt.« »Weil Sie noch mal den Stützpunkt erwähnen«, griff der Massar die Bemerkung auf. »Wenn Sie das Experiment mit dem Zeitskaphander durchführen, bekommen Sie jeden Wunsch erfüllt. Dann kann Viola umgehend nach Hause zurückkehren.« Nach diesen Worten machte er abrupt kehrt und verließ das Zimmer. Sein Gefährte, der die ganze Zeit neben ihm gestanden hatte, wollte ihm folgen. Doch nun hatte Vi wandte sich ab, um nicht vor Lachen loszuprusten, Ol aber stürzte zu ihm und half ihm wieder auf die Beine. »Was ist denn heute mit Ihnen los, meine Herren?« fragte er ein bißchen scheinheilig. »Haben Sie Gleichgewichtsprobleme?« Er begleitete die Besucher liebenswürdig zur Haustür und streckte ihnen zum Abschied die Hand hin. Doch die Massaren kamen nicht dazu, sie zu schütteln: Ein jäher Windstoß erfaßte die geöffnete Tür und schlug sie voller Wucht gegen die beiden Männer. Ehe sie sich’s versahen, wurden sie seitlich von der Vortreppe hinunter in die Büsche geschleudert, die den Gartenweg säumten. Auf den ersten Blick wirkten diese Sträucher in ihrem Grün samtweich, doch sie waren stachlig wie Rosengehölz. Als sich die zwei dort wieder herausgerappelt hatten, machten sie einen beklagenswerten Eindruck. Statt der eleganten Herren von vorhin standen abgerissene Lumpen vor Ol, übersät mit Kratzern und blauen Flecken. »Bitte entschuldigen Sie«, Ol breitete bestürzt die Arme aus, »hier zieht es immer so. An manchen Tagen heult der Wind um die Ecken wie ein Rudel hungriger Wölfe. Aber Ihnen ist ja bestimmt nicht entgangen, daß die Fenster unseres Hauses direkt zum Elming zeigen. Vielleicht rührt der Wind von daher?« »Wir werden schon herausfinden, woher bei Ihnen der Wind weht!« knurrte einer der Massaren wütend. »Auf Wiedersehen!« Dann trollten sich die beiden wie geprügelte Hunde. Ol kehrte zurück ins Wohnzimmer und wurde so von Lachen geschüttelt, daß ihm die Tränen in die Augen traten. Auch Vi und ihre Gäste stimmten in das Gelächter ein. »Das hast du großartig gemacht, Kusmitsch«, gluckste der Geologe. »Wie du die beiden von der Treppe gefegt hast!« »Ich hab doch nur ein bißchen mit dem Flügel gewedelt«, erwiderte spitzbübisch der Jäger. Der Krake Prim, vergnügt seine Tentakel nach vorn werfend, bewegte sich wie ein großes Rad durchs Zimmer. Nur der Scheuch lag leblos neben dem Stuhl, der vorhin den Massaren genarrt hatte. Ol ging zu ihm und hob ihn auf. Die Strohpuppe ließ es teilnahmslos geschehen. »Hallo, Kostja«, sagte Vi, »hast du gehört? Dein Doppelgänger hat Freundschaft mit Viola geschlossen!« Schweigen. »Kostja ist nicht mehr hier!« rief Viktor Stepanowitsch erschrocken. »Kein Grund zur Sorge«, beruhigte ihn Ol. »Wahrscheinlich hat er sich entschlossen, die beiden Massaren zum Zentrum zu begleiten. Damit es ihnen nicht zu langweilig wird«, fügte er verschmitzt hinzu. Doch dann wurde er unvermittelt ernst: »Hoffentlich hört Kostja mit seinen Streichen auf. Ich glaube, die Massaren haben durchschaut, daß es bei all ihren Mißgeschicken nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Wenn sie nur keinen Verdacht schöpfen!« IM SYNCHRONAUTIKZENTRUM Die Massaren hatten das Haus von Ol und Vi kaum verlassen, als ihre vorgetäuschte Freundlichkeit wie weggeblasen war. »Wir werden ja sehen, woher bei denen der Wind weht«, wiederholte der eine von ihnen seine drohenden Worte von vorhin. »Vielleicht liegt es wirklich am Elming, nur in ganz anderem Sinn, als sie behaupten. Bestimmt steckt der Doppelgänger von diesem Bengel dahinter. Ich konnte den Stuhl gar nicht verfehlen!« »Und ich bin nie und nimmer von allein über diese widerlichen Fangarme des Kraken gestolpert!« bestätigte der andere. »Ich habe deutlich gemerkt, daß einer seiner Tentakel sich um mein Bein geschlungen und daran gezogen hat. Ganz zu schweigen von der Tatsache, daß sie uns schlicht und einfach von der Vortreppe ins Gebüsch befördert haben. Mein schöner Anzug!« Der Massar sah wütend an sich herunter. »Wenn dieser Ol nicht so wichtig für das Zentrum wäre, könnte er sich auf was gefaßt machen. Dann würden wir ihn nicht so glimpflich davonkommen lassen.« »Und weshalb ist er so wichtig für uns?« fragte der erste Massar, der noch nicht lange im Zentrum arbeitete. »Oh, er ist ein ausgezeichneter, sehr bekannter Synchronaut! Du weißt ja, daß es außerordentlich schwierig ist, die Tunnel so anzulegen, daß man zum vorgesehenen Zeitpunkt auf der Erde anlangt. Auch der Ankunftsort spielt eine große Rolle. Bei der Suche danach besitzt Ol langjährige Erfahrungen. Außerdem beherrscht er mehrere Fremdsprachen und versteht sich glänzend darauf, Kontakte mit den Erdenmenschen zu knüpfen. Er bewirkt wahre Wunder. Der Beruf eines Synchronauten ist sehr gefährlich. Er stößt ja in unerforschtes Gebiet vor, und es kann durchaus passieren, daß er im Falle einer Havarie für immer irgendwo zwischen Raum und Zeit steckenbleibt.« Die beiden, ins Gespräch vertieft, merkten nicht, daß Kostja ihnen unsichtbar folgte. Ich will versuchen, zusammen mit den Massaren ins Zentrum zu gelangen, dachte der Junge. Vielleicht kann ich Genaueres über ihre Pläne in Erfahrung bringen. Das Gebäude des Synchronautikzentrums erinnerte an eine große, auf den Kopf gestellte Kristallvase. Zur Verwunderung des Jungen war es aber nur zwei Stockwerke hoch. Kostja wußte nämlich noch nicht, daß sich der überwiegende Teil des Hauses unter der Erde befand. Dort lagen die Forschungslabors, die Werkhallen, in denen die Synchrogleiter hergestellt wurden, und all die anderen Räumlichkeiten, die man für die schwierigen Aufgaben brauchte. Die Massaren mußten einen Passierschein vorzeigen, um in das Gebäude zu kommen. Kostja folgte ihnen heimlich zum Lift. Allerdings besaß dieser Fahrstuhl nicht die geringste Ähnlichkeit mit den ramponierten Kästen, die er von zu Hause her kannte. Die ihm vertrauten Fahrstühle hatten die Angewohnheit, zur unpassendsten Zeit zwischen den Stockwerken steckenzubleiben, und sie taten das besonders gern, wenn er ohnehin zu spät dran war. Der Lift, mit dem sie hier fuhren, besaß dagegen überhaupt keine Knöpfe. Man nannte ihm einfach die entsprechende Etage oder gab sie auch nur durch Gedanken ein. Diese Supertechnik wandte sich jetzt jedoch gegen die Massaren. Während die beiden den Fahrstuhl in Gedanken anwiesen, ins 27. Untergeschoß zu fahren, wo ihre Arbeitsräume lagen, hatte Kostja automatisch seinen sechsten Stock zu Hause im Sinn. Weil er aber den Männern mit seinem Wunsch ein paar Sekunden voraus war, glitt der Lift gehorsam nach oben. Und da es in einem zweistöckigen Gebäude keine sechste Etage geben kann, blieb er direkt unterm Dach hängen, in einem großen Gewirr von unterschiedlichen Rohren, die das Zentrum mit Wasser, Frischluft, Wärme und anderen notwendigen Dingen versorgten. Der Lift öffnete weit seine Türen, wie es sich für einen höflichen Gastgeber geziemt, die Massaren verließen ihn und standen erschrocken da. Statt in ihrem vertrauten halbrunden Korridor, sahen sie sich in diesem Durcheinander von Rohrleitungen, die wie Schlangen in alle Richtungen davonkrochen. »Himmel, wohin hat’s uns denn hier verschlagen?!« rief der erste Massar und riß weit die Augen auf. Die beiden drehten sich hastig um, denn sie wollten in den Fahrstuhl zurück. Dabei stolperten sie jedoch über eines der Rohre und landeten ziemlich unsanft im Innern der Kabine. Kostja entging einem heftigen Zusammenstoß nur, weil er körperlos, das heißt ein Elm war. Der Fahrstuhl hielt seinen Auftrag für erfüllt, schloß sacht die Türen und setzte sich wieder in Bewegung. Das neuerliche Mißgeschick aber machte die Massaren noch unsicherer. »Ich möchte bloß wissen, warum wir heute dauernd auf die Nase fallen«, sagte der eine, ohne freilich groß auf eine Antwort zu hoffen. »Vorhin, in Ols Haus, hatten wir ja noch einen bestimmten Verdacht, doch ins Zentrum können die Elme auf gar keinen Fall gelangt sein!« Der zweite Massar schwieg, obwohl man ihm ansah, daß er eine solche Möglichkeit keineswegs ausschloß. Immerhin waren sie nicht auf eigenen Wunsch zum Dachboden hochgefahren! »27. Untergeschoß«, befahl er, diesmal schon laut. Kostja hatte natürlich längst begriffen, daß er der Urheber dieses Tohuwabohus gewesen war, und so verlief die Fahrt in die Tiefe ohne weitere Abenteuer. Der Lift langte wohlbehalten im genannten Stockwerk an und öffnete, wie schon vorher, bereitwillig seine Tür. Die Massaren warfen zunächst einen ängstlichen Blick nach draußen, sie vergewisserten sich, daß sie diesmal in der gewünschten Etage waren. Doch beim Aussteigen zögerten sie ein bißchen zu lange. Die Türflügel, die sich lautlos schlossen, klemmten einem der Massaren die Jacke ein, als er schon auf dem Flur stand und sich gerade in Bewegung setzen wollte. Der Unglücksrabe fühlte sich von einer Geisterhand festgehalten, und sein Schrei gellte durch alle Korridore des Zentrums. Man hörte das Zerreißen von Stoff und den Schnappton der Türflügel, die, zwei Kiefern gleich, die Beute nur widerwillig hergaben. Als wären der Leibhaftige oder ein Ungeheuer hinter ihnen her, das sie gar zu gern verspeist hätte, stürzten die beiden davon. Das aber mit soviel Schwung, daß sie gegen die Tür ihres Labors krachten, wo sie erst einmal liegenblieben. Ein Laborant erkannte seine Kollegen und sagte reichlich verwundert: »Ach, ihr seid das! Was macht ihr denn für Faxen? Der Chef wartet schon seit einer Stunde auf euch.« Und wie um seine Worte zu bestätigen, ertönte eine Stimme über den Lautsprecher: »Nel und Din werden dringend gebeten, zum Chef zu kommen!« Die beiden sprangen hastig auf und versuchten, ihre arg mitgenommene Kleidung in Ordnung zu bringen. Der Kollege beobachtete skeptisch ihre Bemühungen: »Man könnte meinen, ihr seid ins Zentrum gerobbt und hättet euch zwischendurch noch im Gebüsch gewälzt«, sagte er kopfschüttelnd. Nel, der dabei war, den halb abgerissenen Jackenschoß mit Hilfe einer Sicherheitsnadel zu befestigen, knurrte etwas von Elmen, die der verdammte Ol ihnen auf die Fersen gehetzt hätte. Din hatte es aufgegeben, seinen Anzug wieder einigermaßen in Form zu bringen. Er war inzwischen ins Labor gerannt und mit zwei blütenweißen Arbeitskitteln zurückgekehrt. Die Massaren berichteten ihrem Chef Or von dem Besuch bei Vi und Ol und von der Unterhaltung mit ihnen, vergaßen auch nicht, die seltsame Spielzeugsammlung Violas zu erwähnen. Zum Schluß schilderten sie, was ihnen im Haus der Vitanten und auf dem Weg hierher ins Zentrum zugestoßen war. Dabei stellten sie das Ganze freilich als einen ungleichen Kampf mit dem unsichtbaren Gegner dar, bei dem sie angeblich großen Mut bewiesen hatten. Um ihre Worte zu bestätigen, knöpften sie sogar ihre Arbeitskittel auf, zeigten die unzähligen Risse und die blauen Flecke am Körper. Kostja, der sich ebenfalls im Raum befand, konnte über dieses Geprahle nur lautlos lachen. Der Chef tat, als würde er den beiden jedes Wort glauben, und gab ihnen für den Rest des Tages frei. Nun mußte sich Kostja blitzschnell entscheiden: Sollte er Din und Nel folgen oder lieber hier im Zentrum bleiben? Er zog das letztere vor, denn er hoffte, so noch etwas über die Pläne der Massaren zu erfahren. Or erhob sich, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und begann, während er im Zimmer auf und ab lief, laut zu überlegen. »Meine Männer haben ziemlich dick aufgetragen«, murmelte er, »doch eins geht aus ihrem Bericht deutlich hervor: In der Nähe des Zentrums, wenn nicht gar hier drin, geschehen Dinge, die auf die Anwesenheit eines Elmenmenschen hindeuten. Durchaus möglich, daß es sich dabei um jenen Jungen handelt, den unsere Leute im Tunnel aufgespürt haben. Wir müssen unbedingt herausfinden, ob der Bengel mit Ol und Vi in Kontakt getreten ist. Ja, genau, wir müssen ihr Haus überwachen und auch die Sicherheitskontrollen im Zentrum verstärken!« Bei diesen letzten Worten spitzte Kostja die Ohren. Schließlich betrafen sie seine Freunde und ihn selbst. Es wird höchste Zeit für mich, von hier zu verschwinden, dachte er. Natürlich wär’s nicht schlecht, einen kurzen Blick auf die berühmten Synchrogleiter zu werfen, doch wer weiß, wie stark die bewacht werden? Vielleicht haben sie dort einen ähnlichen Schutzschild installiert wie am Tunnelausgang, und wenn sie ihn dann einschalten, komme ich überhaupt nicht mehr weg! Or schien die Gedanken des Jungen erraten zu haben. Er drückte einen Knopf auf dem Tisch und befahl: »Sicherheitsstufe im Zentrum ab sofort auf E-2! Wachposten um den Elming zusammenziehen!« Stufe E-2 bedeutete das Einschalten eines zweiten elektrischen Schutzschildes. Auf diese Weise konnte kein Elm mehr durch den Tunnel auf die Irena gelangen oder umgekehrt, von der Irena zurück ins Elmenland. Auch ein Verlassen des Zentrums wurde unmöglich. Kostja spürte, daß ihm das Wasser gleich bis zum Hals stehen würde. »Bloß weg hier«, flüsterte er. »Ich möchte ganz schnell wieder zu Ol und Vi!« Sein Wunsch war so stark, daß sich seine elektromagnetischen Wellen wie zu einem Blitz bündelten: In Sekundenschnelle sauste er durch alle siebenundzwanzig Stockwerke, wobei er auf seinem Weg eine kaum wahrnehmbare Brandspur zurückließ. Noch bevor der Schutzschild E-2 in Kraft trat, gelang es ihm, das Zentrum wieder zu verlassen. AM ELMING Nachdem Kostja verschwunden war, schaltete Vi den Fernseher wieder ein und zog die Vorhänge zu. Der Ansager kündigte die nächste Folge vom »Gespensterschloß« an. Alle schauten gebannt auf den Bildschirm, nur die Strohpuppe Scheuch, die vorher Kostja beherbergt hatte, lag teilnahmslos am Boden. Die düsteren Gemäuer eines Schlosses, das aus riesigen behauenen Findlingen zusammengefügt war, boten sich den Blicken der Zuschauer. Ganz oben auf der Schloßmauer zeichnete sich zwischen den Zinnen schwach eine weiße Gestalt in langem Hemd ab. Es flatterte im Wind, der in Böen heranbrauste. Die Gestalt wurde größer, kam näher und nahm schon bald den ganzen Bildschirm ein. Erneut zerrte eine heftige Sturmbö an dem ausgeblichenen Gewand und bauschte es auf. Darunter aber war nichts als schauerliche Leere. Der unerträglich grelle Schein eines Blitzes ließ für Sekunden einen durchsichtigen Schädel erkennen. Ein Strahl schoß gleißend aus den leeren Augenhöhlen, blendete für Sekunden die Zuschauer. Die Grabesstille wurde von einem verspäteten Donnerhall unterbrochen. Plötzlich erlosch der Bildschirm. Gleichsam als Reflex jenes Strahls sirrte eine phosphoreszierende Leuchtspur durchs Zimmer, und mitten im Raum wuchs auf einmal eine verschwommene Gestalt aus dem Nichts. Sie schwankte sacht hin und her, als wollte sie ihre Standfestigkeit prüfen. Dann schritt sie auf die noch halb geblendeten und vom Donnerkrachen tauben Zuschauer zu. Alle erstarrten zur Salzsäule, und der Drache Kusmitsch versuchte, sich mit einer plumpen Bewegung seines Flügels zu bekreuzigen. Auf einmal sagte eine in dieser angespannten Stille besonders hell klingende Stimme: »Da bin ich wieder! Aber weshalb ist es bei euch finster wie im Schuppen meines Großvaters?« Kostja war zurückgekehrt und wieder in die Hülle des Scheuchs geschlüpft. »Mal im Ernst«, sagte er, »bei meiner Flucht aus dem Zentrum wär ich beinahe verglüht. Wie ein Meteorit, wenn er in die Erdatmosphäre eintaucht. Ich bin, mit dem Kopf voran, durch die Decken und Böden aller siebenundzwanzig Stockwerke gesaust. Diese Leistung könnte man direkt ins Guinnessbuch der Rekorde eintragen, falls es bei den Elmen so etwas gibt.« Kostjas Bericht machte Ol sehr nachdenklich. Die Geschichte schien eine böse Wendung zu nehmen. Die Massaren waren aufgescheucht, was für die Gäste von der Erde eine ernste Gefahr bedeutete. Womöglich würde man sie nicht wieder auf ihren Heimatplaneten zurück lassen. »Vielleicht kannst du erst mal unser Licht wieder in Ordnung bringen, Ol«, sagte Vi zu ihrem Mann. »Das Licht, natürlich, das Licht!« Ol schlug sich vor die Stirn. »Wenn Kostja mit seinem Kraftakt schon bei uns die Sicherungen durchknallt, was muß er da erst im Zentrum angerichtet haben! Wahrscheinlich ist dort jetzt die ganze Stromversorgung lahmgelegt!« »Genau, das ist eure Chance!« rief Vi. »Es ist die letzte Gelegenheit für euch, von hier wegzukommen! Mit aller Wahrscheinlichkeit ist auch die Schutzbarriere am Tunnelausgang außer Kraft gesetzt. Ihr müßt auf der Stelle dorthin zurück, vielleicht ist es noch nicht zu spät!« Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da waren ihre Gäste auch schon wie vom Erdboden verschluckt. Ol und Vi aber hatten für Sekunden den Eindruck, ihr Haus sei in einen Meteoritenschwarm geraten oder würde von mehreren bunten Leuchtkugeln durchquert. Es roch auch gleich ein bißchen brandig. »Was meinst du«, fragte Ol nach einer Weile und schnupperte beunruhigt, »ob sie’s geschafft haben?« »Ich denke schon«, erwiderte seine Frau, »sonst wären sie längst wieder hier.« Die vier aber waren tatsächlich ungehindert in den Elming gelangt, zu dieser chaotischen Ansammlung aller möglichen Gegenstände. Wie bereits vermutet, war der elektrische Schutz vorübergehend außer Kraft gesetzt. Im ersten Moment dachten Kostja und die anderen: bloß ab nach Hause! Doch da sie sich nun innerhalb des Sperrgürtels befanden und jederzeit den Tunnel benutzen konnten, beschlossen sie, sich vorher noch etwas umzuschauen. Sie hatten ja das Elminggebiet bisher nur ganz kurz gesehen. Der Eindruck von früher allerdings bestätigte sich schnell. Der Elming war eine Art großer städtischer Müllkippe. Hier lag aufgetürmt, was sich im Laufe der Jahre, in denen die Erde mit Hilfe der Synchrotunnel erforscht worden war, auf der Irena angefunden hatte. Zunächst blieben die vier zusammen, doch bald zerstreuten sie sich, weil jeden etwas anderes interessierte. Bevor sie sich trennten, vereinbarten sie aber einen Treffpunkt, an dem sich alle wieder einfinden sollten. Der Krake Prim blieb gleich dort. Er empfand, wie wohl alle Meeresbewohner, eine instinktive Abneigung gegen das Festland. DIE ATLANTER UND DER LÖWE Kostja tastete sich vorsichtig zum Zentrum des Elmings vor. Wer weiß, was für Gefahren in diesem Labyrinth lauern, dachte er. Hier kann sich sogar ein Geist verirren. Plötzlich standen, wie aus dem Erdboden gestampft, zwei andere »Gespenster« vor ihm, zwei Jungen, die höchst seltsam anmuteten. Ihre kriegerische Haltung mit den geballten Fäusten verhieß nichts Gutes. Die Jungen waren etwa gleich groß und in Kostjas Alter. Ihre Kleidung bestand lediglich aus einem Lendenschurz und so etwas wie Boxhandschuhen, wobei auf jeden nur ein Handschuh entfiel. Sie waren braungebrannt, doch spielte ihre Hautfarbe kräftig ins Rötliche wie bei den amerikanischen Indianern. Ihr halblanges, brünettes Haar reichte bis auf die Schultern. Die beiden sahen Kostja aus großen, leicht schrägstehenden Augen herausfordernd an. Kostja war zunächst verblüfft, dann nahm auch er eine kampflustige Pose ein. Gleich darauf sagte er sich aber, daß die Übermacht eindeutig auf der anderen Seite lag, und streckte friedfertig seine Arme aus. Er hielt die Handflächen nach oben, denn bei den Indianern war das ja ein Zeichen dafür, daß man keine feindlichen Absichten hegte. Diese Geste zeitigte ihre Wirkung. Die Fäuste der Jungen entspannten sich, und ihre ganze Haltung wurde lockerer. Kostja bemerkte es mit Genugtuung und sagte, ohne große Hoffnung, verstanden zu werden: »Ich heiße Kostja Talkin und komme von der Erde.« »Wir stammen ebenfalls von der Erde und heißen Mo und No«, erwiderte einer der vermeintlichen Indianer, offenbar der Wortführer. Er war ein bißchen größer als sein Gefährte. »Wir sind Atlanter!« fügte stolz der zweite hinzu. Kostja wollte schon losprusten, dachte aber an die Boxhandschuhe und verkniff sich noch rechtzeitig das Lachen. In seiner Vorstellung waren Atlanter große kräftige Männer mit Bärten, die an den Riesen Atlas erinnerten und auf deren Schultern vom Einsturz bedrohte Paläste ruhten. Doch dann fiel ihm ein, daß die Jungs jene sagenumwobene Insel meinten, die vor Urzeiten im Meer versunken war und bis zum heutigen Tag erfolglos irgendwo im Atlantischen Ozean gesucht wurde. Kostja betrachtete die beiden nun mit allergrößtem Respekt. Angeblich vor drei- bis viertausend Jahren mit ihrem Eiland untergegangen, fanden sie sich plötzlich auf der Irena ein. »Wie hat es denn euch hierher verschlagen?« fragte er. No, der Ältere, lud ihn mit einer Handbewegung ein, auf einem Balken Platz zu nehmen, der sich bei genauerem Hinschauen jedoch als Bruchstück einer Säule erwies. »Unsere Heimat war die Insel Atlantis«, begann Mo, der Kleinere. »Sie war das schönste Stück Land unterm Himmelszelt, das es je gegeben hat.« Na, na, nun übertreibt mal nicht, dachte Kostja. »Atla, die Hauptstadt, war durch eine Steinmauer geschützt, deren metallene Zinnen wie Feuer in der Sonne funkelten«, erzählte Mo weiter. »Sie nahm ihren Anfang am Meer, führte um die ganze Stadt herum und endete wieder am Ozean, direkt neben dem Hafen. An den mehrstöckigen, mit Stuck verzierten Häusern, den gepflasterten Straßen, den türkisfarbenen Kanälen quer durch die Stadt konnten sich alle Atlanter erfreuen. Doch das eigentliche Wunder war der Kaiserpalast mit dem Poseidontempel, den man zu Ehren des Meeresgottes errichtet hatte. Die Außenwände des Tempels bestanden aus Silber, seine Eckpfeiler aus Gold und die Decke aus Elfenbein. Im Innern aber befand sich eine goldene Gottesstatue.« Mo hatte das alles in einem Singsang berichtet, als wäre es auswendig gelernt. Und No fügte schwärmerisch hinzu: »Du kannst dir nicht vorstellen, was für einen Spaß es machte, hinter den Antilopen im Tal herzujagen, auf den Felsen herumzuklettern, die ganz unterschiedlich gefärbt waren, an den Ufern der Kanäle zwischen roten Lilien Rast zu machen und den Flug der Schwalben zu beobachten.« Beide verstummten, als wären sie in Gedanken wieder zu Hause, als würden ihre Herzen, ungeachtet der vergangenen Jahrtausende und der unermeßlichen Entfernungen, noch immer dort weilen. »No und ich«, sagte Mo in plötzlich nüchternem Tonfall, wodurch er wohl das Ende der Geschichte ankündigte, »spielten innerhalb der Schutzmauern, als es passierte.« No nickte zur Bestätigung und deutete mit einer Kopfbewegung auf die Handschuhe. Sag doch gleich, daß ihr euch prügeln wolltet, dachte Kostja spöttisch. »Ich hatte gerade den entscheidenden Schlag mit der Rechten geführt«, ergänzte No, »als die Erde unter mir plötzlich erzitterte und ich das Gleichgewicht verlor. Wahrscheinlich hat mich seine Linke erwischt, dachte ich…« »Genauso war es«, entgegnete Mo ärgerlich, weil der Freund nach all den Jahrtausenden noch immer daran zu zweifeln schien. »Na, ich weiß nicht«, sagte No. »Jedenfalls lagen wir beide Sekunden später auf dem Boden, wurden aber gleich darauf weit in den Himmel geschleudert, so daß wir von oben unsere ganze schöne Insel überblicken konnten. Sie zerbarst vor unseren Augen in tausend Stücke…« »Was danach mit uns geschah, wissen wir nicht«, fuhr Mo fort. »Wir haben nur von den Irenern gehört, daß unsere Insel für immer im Wasser versunken sein soll. Wenn das stimmt, müssen wir bis in alle Ewigkeit auf diesem Planeten bleiben. Der Himmel«, Mo deutete vage über sich, »nimmt uns offenbar nicht zurück.« »Aus diesem Grund haben Mo und ich beschlossen, uns so gut es geht im Elming einzurichten. Hier gibt es wenigstens einige Gegenstände, die uns an die Heimat erinnern. Wer weiß, vielleicht sehen wir sie ja doch noch mal wieder.« No strich liebevoll über das Bruchstück der Säule, auf dem sie saßen. Da klammern sie sich ja an etwas, dachte Kostja verblüfft, und das nach viertausend Jahren! »Und ihr lebt ganz allein hier?« fragte er. »Wieso denn allein!« No lächelte geheimnisvoll. Wie zur Bestätigung seiner Worte ertönte hinter ihnen plötzlich ein ohrenbetäubendes Brüllen, das allmählich in ein dumpfes Grollen überging: »G-r-r-r-a-u-u-u!« Kostja drehte sich erschrocken um und sprang dann blitzschnell über das Stück Säule. Von hinten kam in seiner ganzen urweltlichen Pracht und Schönheit ein riesiger Höhlenlöwe auf sie zu! Sein gewaltiger Rachen, in dem der Kopf eines Menschen ohne weiteres Platz gehabt hätte, die dichte Mähne und die mächtigen Tatzen flößten mehr als Respekt ein. Erstaunt sah Kostja zu, wie die beiden Atlanter ohne Umschweife auf den Löwen zurannten und ihm lässig die Mähne kraulten. No schwang sich sogar rittlings auf seinen Rücken. »Noch nicht einmal die Irener können sich erklären, wie dieses nette Urtier zu ihnen auf den Planeten gelangt ist«, erklärte No. Kostja näherte sich vorsichtig dem großen Tier, das auf den Namen Grau hörte und ihm wohlerzogen die Tatze hinhielt. Der Junge drückte sie ein wenig ängstlich, kam sich zugleich aber vor wie im siebenten Himmel. Wem unter seinesgleichen war es schon vergönnt, die Bekanntschaft eines richtigen Höhlenlöwen zu machen! Kostja war so begeistert, daß er ganz seine Freunde im Elming vergaß, die gewiß schon am vereinbarten Treffpunkt auf ihn warteten. Als sie ihm endlich wieder einfielen, bot er an, sie seinen neuen Bekannten vorzustellen. Der Löwe und die Jungen aus Atlantis stimmten erfreut zu. Es war immer eine angenehme Abwechslung, wenn jemand Neues im Elming auftauchte. EIN GLÜCKLICHER ZUFALL Viktor Stepanowitsch und Kusmitsch waren inzwischen ebenfalls auf interessante Dinge gestoßen. Sie waren gemeinsam auf Erkundung gegangen, denn auf diese Art hatten sie bei ihren geologischen Expeditionen schon viele Jahre die Taiga durchstreift. Es war ihnen längst zur Gewohnheit geworden, wie Alpinisten am Seil beieinanderzubleiben. Sie liefen im »Gänsemarsch« – Kusmitsch voran, der Geologe in seiner Spur – um Kräfte zu sparen. Das gewaltige Durcheinander im Elming erinnerte sie an die unwegsamen Wälder Sibiriens, nur daß die Hindernisse diesmal in Gestalt gewaltiger Steinbrocken, Erdaufschüttungen und mit Wasserpflanzen vermengtem Schlick auftraten. Eine große ovale Steinplatte mit eigentümlichen Inschriften weckte das Interesse des Geologen. Er blieb stehen, versuchte zu entziffern, was darauf geschrieben stand, konnte jedoch nichts herausfinden und setzte seinen Weg in Begleitung Kusmitschs fort. Die beiden Männer wollten schon kehrtmachen, als ihre Aufmerksamkeit plötzlich durch einen seltsamen Lichtschein am Himmel gefesselt wurde. Zunächst erinnerte dieses Leuchten an einen großen Stern – doch was konnte es mitten am Tage für Sterne geben! Dann wurde der helle Punkt größer und bekam Ähnlichkeit mit einem Kometen; man sah deutlich Kopf und Schweif. Erst ganz zum Schluß kam ihnen die Erkenntnis, daß dieses fliegende Etwas… ein Mensch war! Genauso mußten sie selber ausgesehen haben, als sie durch den Synchrotunnel zur Irena gelangten. Die Leuchtfackel kam immer näher, und nun waren die Umrisse einer menschlichen Gestalt deutlich auszumachen. Kurz darauf landete sie ziemlich plump direkt vor ihrer Nase. Es gab nun keinen Zweifel, daß der Neuankömmling von der Erde stammte! Ein nicht mehr ganz junger Mann, der Seemannskleidung trug. »Bei allen Klippen und Sandbänken, diesmal bin ich nun wirklich ertrunken!« rief der Seemann. Es klang allerdings mehr erstaunt als so bedauernd, wie man das von jemandem erwarten könnte, dem gerade ein solches Unglück widerfahren war. »Ich wette um tausend Teufel, daß ich auf direktem Kurs in die Hölle gefahren bin! Denn ich bin ein eingefleischter Sünder! Selbst die Aussicht, später auf ewig und für alle Zeit im Feuer zu schmoren, konnte mich nicht davon abhalten, immer mal ein Gläschen Gin zu kippen und mir ein Pfeifchen anzuzünden… Na, wie’s aussieht, hab ich das Fegefeuer bereits hinter mir, hab schließlich nicht von ungefähr geleuchtet wie eine Teerfackel in einer Südseenacht… He, Jungs!« er hatte die beiden Männer gesichtet, die ihn erstaunt musterten. »Wer ist denn hier der Letzte in der Schlange vor dem Bratrost? Obwohl mich nicht mal Beelzebub persönlich je hat einschüchtern können, bin ich doch gut genug erzogen, um mich nicht vorzudrängein! Eile ist nur geboten, wenn ein Sturm aufzieht und die Segel gerafft werden müssen!« Der Fremde humpelte auf Viktor Stepanowitsch und seinen Begleiter zu und stellte sich vor: »Kapitän der amerikanischen Handelsflotte Charlie Black in höchsteigener Person!« Dann bedachte er die beiden mit einem flüchtigen Blick und fügte hinzu: »Bei meinem Holzbein, mein scharfes Seemannsauge trügt mich nicht, ihr seid Prachtkerle! Es wird mir ein Vergnügen sein, gemeinsam mit euch hier zu schmoren! Was für ein glücklicher Zufall!« Mit diesen Worten stellte sich Charlie Black neben sie, als wollte er sich tatsächlich in die Schlange zur Hölle einreihen. Kusmitsch und Viktor Stepanowitsch, die ihre Verblüffung über diesen hartgesottenen »Ertrunkenen« überwunden hatten, brachen in schallendes Gelächter aus. Der Seemann starrte sie zunächst verständnislos an, mußte dann aber selber lächeln und stimmte schließlich in ihr Lachen ein. Als sie sich nach einer Weile beruhigt hatten, sagte er befriedigt: »Es freut mich, daß ich euch richtig eingeschätzt habe. So in der Hölle lachen können nur echte Sünder wie ich. Zum Teufel mit dem Paradies!« Der Geologe betrachtete diesen energischen, offenbar unverwüstlichen Gesellen mit sichtlicher Sympathie. Er konnte nicht wissen, daß Charlie mit dem Scheuch und anderen Gestalten aus dem Zauberland bereits vor Jahren gegen alle möglichen Gefahren gekämpft hatte. Der Seemann, breitschultrig und sehnig, mit braunem, windgegerbtem Gesicht und kühnen grauen Augen, erinnerte an den Silvester aus Stevensons »Schatzinsel«, nur daß der Papagei mit seinem berühmten »Piaster, Piaster!« auf seiner Schulter fehlte. Charlie ließ seinen Blick neugierig in die Runde schweifen und sagte dröhnend: »Bei allen Schildkröten der Kuru-Kusu-Inseln! Hol’s der Teufel, aber ich kann nirgends die Kessel mit kochendem Schwefel entdecken! Sind sie inzwischen etwa veraltet, so daß Luzifer sich etwas Effektiveres hat einfallen lassen?!« Viktor Stepanowitsch beeilte sich, den Irrtum aufzuklären: »Nur mit der Ruhe, mein Freund, man wird Sie hier weder auf dem Rost grillen noch in einem Kessel mit kochendem Schwefel schmoren lassen. Sie sind nicht in der Hölle!« »Die Erde soll mich verschlingen, dann bin ich also doch ins Paradies gekommen?!« rief Charlie bestürzt aus. »Aber ganz ehrlich, darauf bin ich gar nicht vorbereitet. Ich kann weder Harfe spielen noch irgendwelche Psalmen singen. Außerdem erwarten mich meine Kumpel von einst bestimmt woanders!« »Es ist auch nicht das Paradies«, beschwichtigte ihn Viktor Stepanowitsch. »Das hier ist einfach ein anderer Planet aus einer anderen Welt. Wenn Sie schon einen Vergleich zum Jenseits ziehen wollen, dann sind Sie so etwas wie ein Geist oder Gespenst geworden, falls Ihnen das recht ist.« »Na meinetwegen, dann bin ich eben ein Gespenst«, willigte Charlie Black friedfertig ein, »das ist noch nicht die schlimmste Variante. Wenigstens bleib ich mein eigener Herr: Ich sing mein Lied, so oft ich will, heul mal als Wolf, mal bin ich still.« Es dauerte eine ganze Weile, bis Viktor Stepanowitsch dem Seemann erklärt hatte, wohin er in diesem Fall geraten war, doch am Ende zeigte Charlie Black sich befriedigt und freute sich sogar ein bißchen. »Na, wer sagt’s denn«, rief er, »da bin ich also gar nicht gestorben! Bei meinem Holzbein, was für ein glücklicher Zufall! Nicht von ungefähr heißt es ja: Wem beschieden ist, gehängt zu werden, der kann nicht ertrinken. Wenn es denn so ist, geht die Sache klar. Schließlich hab ich es geschafft, mit den Menschenfressern von Kuru-Kusu ins Einvernehmen zu kommen, da werd ich mit den hiesigen Leuten wohl erst recht eine gemeinsame Sprache finden. Ich denke, nicht alle Bewohner dieses Planeten sind uns so feindlich gesonnen wie die Massaren, von denen ihr gesprochen habt. – Ach, ich alter Räucherhering«, rief er plötzlich und klopfte sich begeistert ans Holzbein. »Da werd ich ja irgendwann meine Nichten Elli und Ann wiedersehen! Und meinen Großneffen Chris Tall aus Kansas in Amerika. Allerdings muß ich dem Lausebengel gehörig die Leviten lesen! Der hat sich nämlich auch auf so ein Abenteuer eingelassen. Ist durch irgendeinen Tunnel auf den Planeten Rameria gelangt. Zu den Arsaken und Menviten, die anfangs genauso zerstritten waren wie die Massaren und Vitanten hier. Na, inzwischen sind sie längst Freunde. Die Welt ist eben so eingerichtet, überall gibt es gute und schlechte Menschen!« »Du kannst von Glück reden, daß du uns am Tunnelausgang getroffen hast«, sagte Kusmitsch, der bis dahin geschwiegen hatte. »Wären wir nicht gewesen, hättest du wahrscheinlich nicht haltgemacht, sondern wärst sonstwohin gesaust. Dann hättest du lange darauf warten können, wieder nach Hause zu kommen und deine Enkel zu treffen. Aber jetzt wird’s Zeit für uns, denn hier gibt’s gleichfalls einen Jungen, der deinem Chris Tall in nichts nachzustehen scheint.« »Was denn, ihr habt auch so einen Bengel bei euch?« rief der Seemann beglückt. »Das wird ja immer besser, ich liebe Kinder! Mit denen wird’s einem wenigstens nicht langweilig.« Sie traten den Rückweg an. Diesmal kamen sie freilich nur sehr langsam voran, weil Charlie Black mit seinem Holzbein nicht so schnell folgen konnte. Plötzlich hatte der Geologe eine Erleuchtung: »Wieso quälen wir uns eigentlich auf diese altertümliche Weise ab?« sagte er. »Sind wir nun Gespenster oder nicht?« Und er erklärte dem Seemann, daß sie sich als Elme im Nu an jeden beliebigen Ort versetzen könnten, wenn sie nur den Wunsch dazu hätten. »Und wie soll ich mich zu einem Ort wünschen, von dem ich keine Vorstellung habe?« fragte Charlie. »Nein, nein, laßt uns ruhig auf die alte Art weitermachen. Allerdings gefällt mir ein Dasein als Gespenst durchaus. Sobald ich mich ein bißchen hier eingelebt habe, werde ich fliegen lernen. Gibt’s bei euch keinen Besenstiel? Ich habe gehört, daß es damit besser geht. Die Hexen zum Beispiel sind ohne Besenstiel undenkbar!« Viktor Stepanowitsch widersprach ihm: »Ich hab noch nie ein Gespenst auf einem Besenstiel reiten sehen. Nein, mein Lieber, so etwas ist nur für Hexen gut, für unsereinen schickt sich das nicht.« So gelangten sie zum vereinbarten Treffpunkt, wo Kostja sie mit den beiden Jungen aus Atlantis und dem Höhlenlöwen bereits erwartete. EINE FREUDE FÜR CHARLIE BLACK Während die drei Jungen auf ihre Gefährten warteten, hatte der Löwe Grau schon mal kurz versucht, sich mit dem Kraken Prim anzulegen. Doch mit seinen vier Pfoten war er den acht Armen des Octopus eindeutig unterlegen. Deshalb tat er, als sei es für einen König der Tiere unter der Würde, sich in einen länger währenden Kampf einzulassen. Hatte es beim ersten Mal nicht geklappt, würde er den Gegner lieber in Gnaden entlassen. Zumal er einem Gast gegenüber nicht mal seine Zähne einsetzen und ihm die Tentakel abbeißen durfte – das wäre unschicklich gewesen. Genau genommen, wäre er binnen weniger Sekunden den festen Umarmungen des Kraken erlegen. Die Begegnung zwischen Grau und den Männern fiel dagegen sehr herzlich aus. Der Jäger Kusmitsch fühlte sich von Anfang an zu dem Löwen hingezogen. Er überlegte insgeheim, ob er ihn bei einer Begegnung in der Taiga wohl würde bezwingen können. Immerhin war Grau ein ganzes Stück größer als ein Bär, da mußte er sich schon tüchtig anstrengen. Charlie Black dagegen wich keinen Schritt von dem Kraken. Was konnte es auch Angenehmeres für einen Seemann geben als eine ihm verwandte Seele, einen Meeresbewohner! Der Geologe Viktor Stepanowitsch wiederum war von den Jungen aus Atlantis angetan. Ohne Zweifel konnten sie ihm einiges über ihre Insel erzählen. Wer wußte, ob sie nicht vielleicht sogar die Inschriften auf jenem Stein zu entziffern vermochten, den er unterwegs gesehen hatte und dessen Schriftzeichen für die Gelehrten der Erde bisher ein Buch mit sieben Siegeln darstellten. Was aber Kostja betraf, so wandte der keinen Blick von Charlie Black. Großvater Grigori hatte ihm früher viele Geschichten aus dem Zauberland erzählt, und nun mußte man sich das mal vorstellen – der Einbeinige Seemann in höchsteigener Person! Der Großonkel von Chris Tall, der Onkel von Elli, der Fee des Tötenden Häuschens, und ihrer Schwester Ann! Jemand, der leibhaftig in der Smaragdenstadt gewesen war, alles dort mit eigenen Augen gesehen, den Bewohnern in ihrem Kampf mit Urfin Juice und der Riesin Arachna geholfen hatte. Da sollte noch einer kommen und behaupten, das wären bloß Märchen! Und Kostja dachte gleich weiter: Vielleicht ließ sich Charlie Black durch einiges Bitten erweichen und nahm ihn mit. Das wäre eine einmalige Gelegenheit, das Zauberland kennenzulernen. Eine klitzekleine Woche würde ihm schon genügen. Es war auch klar, daß die Sympathie auf Gegenseitigkeit beruhte. Charlie Black hatte den Jungen sofort ins Herz geschlossen, denn er erinnerte ihn sehr an seinen Enkel Chris Tall. Die beiden Atlantis-Jungen aber freuten sich über all ihre neuen Bekannten gleichermaßen. Sie hatten es ziemlich satt, die ganze Zeit allein im Elming zu hausen, auch wenn ihnen der Löwe ab und zu etwas Abwechslung verschaffte. Mit einem Wort, der Trupp, der sich da zusammengefunden hatte, verstand sich bestens. Deshalb beschlossen sie, noch einen Tag zu bleiben. Sie unterhielten sich noch, da fiel ihnen plötzlich auf, daß mit Charlie Black etwas Merkwürdiges vor sich ging. Er rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her, erstarrte im nächsten Moment, lauschte in sich hinein und sagte dann polternd: »Bei allen Haien der Weltmeere, seit eins dieser netten Tiere mir das halbe Bein abgerissen hat, hab ich mich noch nie so sonderbar gefühlt! Damals taten mir ständig die Zehen weh, obwohl die ja gar nicht mehr da waren – am Seeigel soll dieser verdammte Fisch ersticken! Und jetzt hab ich auf einmal dieselbe Empfindung. Mir ist, als wäre das Bein wieder dran, als wär es heil und unversehrt.« Der Krake gab ein zufriedenes Grunzen von sich: »Scheint es also zu klappen. Ich hab mir gedacht, wenn der Eidechse ein neuer Schwanz wachsen kann, wieso dann nicht einem Menschen die Gliedmaßen? Ihr wißt ja, daß wir Achtfüßer hypnotische Kräfte besitzen. Die hab ich eingesetzt, um ein bißchen nachzuhelfen. Du kannst deinen Holzstecken künftig ruhig in die Ecke werfen, Charlie! Freu dich an deinen zwei gesunden Beinen!« Prim blähte sich stolz. Und ehe die anderen noch etwas erwidern konnten, fuhr er fort: »Es war eigentlich ziemlich einfach, und weißt du auch, warum? Weil du eine Art Geist bist, ein Elm! Ich hab dir mit all meiner Energie eingegeben, das abgerissene Bein zu vergessen, dich stattdessen daran zu erinnern, wie gut du dich gefühlt hast, als es noch dran war. Ist doch Ehrensache, hab ich mir gedacht, einem Freund wie diesem Seefahrer ein bißchen zu helfen.« »Ein bißchen helfen ist gut!« sagte Charlie gerührt. »Bei allen Klippen und Sandbänken, das werd ich dir nie vergessen! Du mit deinen acht Füßen kannst das ja kaum nachfühlen – einer mehr oder weniger, was macht das schon. Unsereins dagegen… Hör zu, Prim, solltest du jemals eine Zuflucht brauchen: Auf meinem Schoner bist du jederzeit willkommen!« Der Käptn hielt jäh inne, denn ihm fiel ein, daß sein Schiff ja auf ein Riff gelaufen war und nun irgendwo auf dem Meeresgrund ruhte. »Sagen wir mal so«, verbesserte er sich, »auf meinem künftigen Schoner!« »Natürlich, Prim hatte recht«, bestätigte nun auch Viktor Stepanowitsch. »In unserer derzeitigen Daseinsform ist der menschliche Organismus offenbar imstande, verlorene Gliedmaßen zu erneuern.« Er wies auf den Seemann, der jetzt noch kräftiger wirkte als vorher. Anstelle der Holzprothese war ihm ein nagelneues Bein gewachsen! Charlie Black selbst aber starrte geradezu fassungslos auf dieses Wunder. Endlich besann er sich, vollführte einen Luftsprung und sang aus voller Kehle ein Lied, das er aus dem Stegreif erdacht hatte: Einer, dem Orkane fremd sind, Steht vor solchen Stürmen stumm. Doch den Seemann namens Charlie Wirft nicht Wind noch Wetter um! Keine Flüsse – Ozeane Hatte Charlie Black vorm Bug. Er bezwang die wilden Meere, Hat noch immer nicht genug. Wellen brausen, Winde heulen. Donner, Blitz – der Schiffe Schreck! Aber Charlie, dieser Seewolf, Steckt das alles tapfer weg! Charlie Black, der Weltenbummler, Schätzt Verwegenheit und Mut. Denn die Seefahrt ist ihm wichtig, Wichtiger als Hab und Gut! Dabei drehte er sich fröhlich im Kreis, und seine Freunde tanzten begeistert mit. Sie tollten umher, er jedoch übertraf sie alle. Eine ganze Weile herrschten Trubel und Ausgelassenheit. Bis einer von ihnen zu seiner Verblüffung bemerkte, daß Kostja verschwunden war. VIOLAS RÜCKKEHR Statt des Jungen Kostja tauchte plötzlich jemand anderes im Elming auf – ein Mädchen! Sie trug ein rosa Kleid, hatte blonde Locken und etwa Kostjas Alter. Die bunte Gesellschaft war über alle Maßen überrascht, und Viktor Stepanowitsch sagte: »Der eine verschwindet, der andere kommt, hier geht es wirklich gespenstisch zu.« In Wirklichkeit jedoch hatten er und der Jäger Kusmitsch diesen Austausch selber bewirkt. Oder genauer gesagt, es waren ihre Doppelgänger im Elmenland gewesen, die zusammen mit dem Kraken und einer wunderschönen Perle soviel Energie gebündelt hatten, daß Kostja wieder auf die Erde und Viola auf ihren Planeten zurückkehren konnten. Das war ein sehr schwieriges Unterfangen gewesen, von dem der Geologe hier aber noch nichts wußte. Er konnte auch nicht ahnen, daß die Massaren die Rückkehr der Kinder um jeden Preis verhindern wollten. Sie sollten nichts von den Tunneln zur Erde und den gefährlichen Eroberungsplänen der Irener verraten. Das Mädchen indes war in Eile und hielt sich nicht weiter bei der Gruppe auf. Sie verließ den Elming und lief zum Haus ihrer Eltern. Dort jedoch standen bereits einige Wachposten, und so hörte Viola unvermutet den barschen Befehl: »Halt, wer da?!« Sie blieb gehorsam stehen und fragte sich, was das zu bedeuten hatte. War sie vielleicht aus dem Elmenland entkommen, um hier, so kurz vor dem Ziel, wieder gefaßt zu werden? Doch zum Glück ahnte der Wachsoldat nicht, wen er angehalten hatte. Wäre Viola Massaren wie Din und Nel begegnet, die Bescheid wußten, hätte es für sie schlimmer ausgesehen: Die hätten sich nämlich sofort gefragt, wieso ein Mädchen, das sich soeben noch im Elmenland aufgehalten hatte, seelenruhig auf der Irena herumspazierte. Viola schwindelte dem Posten vor, daß sie sich verlaufen hätte und daß bestimmt schon ihre Mama auf sie warte. Der Mann mußte ihr einfach glauben, so überzeugend flunkerte sie. Dann eilte sie weiter, war nun aber auf der Hut. Auch wenn sie sich nicht erklären konnte, weshalb der Elming umstellt war. Endlich erreichte sie das Haus. Die Tür war unverschlossen, und Viola schlüpfte unbemerkt ins Innere. Sie freute sich schon darauf, die Eltern zu überraschen. Weil nicht auszuschließen war, daß sich auch hier Fremde aufhielten, schlich sie zunächst auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer. Ol und Vi saßen in der Küche beim Frühstück, als aus Violas Zimmer erneut das Geräusch der Spieleisenbahn an ihr Ohr drang! »Das muß Kostja sein!« rief Ol aus. »Vielleicht haben sie es nicht geschafft, zu entkommen, und er ist aus dem Elming zurückgekehrt.« Er stürzte ins Kinderzimmer und fand sich dort unverhofft seiner Tochter gegenüber, die er auf der Erde oder im Elmenland wähnte. Gleich darauf war auch Vi zur Stelle, um nachzuschauen, was im Kinderzimmer vor sich ging. Außer sich vor Freude, stürzte sie auf Viola zu, schloß sie in die Arme und überschüttete sie mit Küssen. Auch Ol hatte seine Fassung wiedererlangt. Er umarmte die Tochter gleichfalls und ließ sich alles haarklein erzählen. Viola hatte eine ganze Weile damit zu tun, ihre Erlebnisse zu schildern: wie sie aus Versehen ins Elmenland geraten war und dort den Jungen, die beiden Männer von der Erde sowie den Kraken Prim getroffen hatte. Wie sie danach von zwei Massaren verfolgt worden war und ihnen schließlich entwischen konnte. »Die wunderbaren Kräfte einer Perle haben uns dabei geholfen«, erklärte sie. »Kostja und ich mußten sie fest mit den Händen umschließen und uns dann ganz stark nach Hause wünschen. Die Perle hat sich geteilt. Hier ist meine Hälfte.« Viola zeigte den Eltern das Bruchstück und fügte hinzu: »Sollten Kostja und ich uns irgendwann wiederbegegnen, können wir uns an dieser Haliotisperle erkennen.« Vi merkte, daß ihre Tochter große Sympathie für den Jungen empfand, sagte aber nichts. Nun erzählten die Eltern vom Besuch der eigenartigen Wesen, die in Violas Spielzeugfiguren geschlüpft waren, und es gab keinen Zweifel mehr, daß es sich um die Doppelgänger jener Elme handelte, die ihre Tochter kennengelernt hatte. »Wie Kostja allerdings wirklich aussieht, weiß ich nicht«, sagte Vi nach einer Weile, »ich kenne ihn ja nur als Scheuch. Doch er scheint ein flinker Junge zu sein. Jedenfalls hat er auf Anhieb das gesamte Synchronautikzentrum außer Gefecht gesetzt, die Schutzbarriere um den Elming aufgehoben und mit seinen Freunden fast unser Haus in Brand gesetzt, bevor er verschwand. Wäre er ein bißchen länger geblieben, hätte er gewiß noch viel mehr durcheinandergebracht.« Zum Schluß berichtete Viola noch, daß sie unterwegs von Wachposten aufgehalten worden war. Ol runzelte die Brauen – offenbar versuchten die Massaren um jeden Preis, die Besucher von der Erde aufzuhalten und gefangenzunehmen. Nur deshalb hatten sie den Tunneleingang umstellt und beobachteten vielleicht auch schon ihr Haus. Hoffentlich hatten die Gäste noch rechtzeitig fliehen können… Er war ernstlich besorgt. »Und ich dachte schon, sie hätten es auf mich abgesehen«, sagte Viola fast ein wenig enttäuscht. »Das ist gleichfalls nicht auszuschließen. Wir müssen genau überlegen, was wir mit dir machen. Das beste ist, du bleibst im Haus und verhältst dich zunächst ganz still«, sagte Ol. »Ja, bleib hier, es ist tatsächlich besser, wenn du dich eine Zeitlang nicht draußen blicken läßt«, fügte Vi hinzu. »Gut, dann gehe ich jetzt ins Zentrum und versuche, Näheres in Erfahrung zu bringen. Seid schön vorsichtig, ihr beiden, ich melde mich bald.« Mit diesen Worten wandte sich Ol zur Tür und verließ das Haus. DIE OPERATION »E« Im Synchronautikzentrum aber fand schon seit dem frühen Morgen eine wichtige Beratung statt. Daran nahmen die uns bereits bekannten Massaren Nel und Din teil, aber auch Vik und Al, zwei Späher, die eiligst aus dem Elmenland herbeordert worden waren. Sie hatten einen ganzen Monat dort zugebracht und kannten unsere Freunde, einschließlich des Kraken Prim, genau. Nel und Din schilderten ein weiteres Mal, was ihnen am Vortag widerfahren war, und alle kamen zu dem Schluß, daß sich im Haus der Synchronauten Ol und Vi Doppelgänger von der Erde aufgehalten haben mußten. Es war durchaus möglich, daß einer oder auch mehrere von ihnen sich den beiden an die Fersen geheftet, unbemerkt das Zentrum betreten und einen Kurzschluß des gesamten Energiesystems herbeigeführt hatten. »Was ist aber daraus abzuleiten?« fragte Or, der Chef des Zentrums, seine Mitarbeiter. Und da die Antwort nicht gleich kam, gab er sie selber: »Erstens. Es ist durchaus möglich, daß Ol und Vi ihren Gästen geheime Daten über unsere Stützpunkte auf der Erde übermittelt haben, über die Technik dort und sogar über unsere neuesten Synchrogleiter. Zweitens. Wenn die Fremden als Elme in unser Zentrum eingedrungen sind, könnten sie das und noch mehr auch selbst in Erfahrung gebracht haben. Sie hätten dann die Hilfe der Vitanten nicht unbedingt nötig gehabt. Drittens. Wie dem auch sei, wenn es den Erdenmenschen gelingt, auf ihren Planeten zurückzukehren, werden sie ihr Wissen über die Tunnel zwischen der Irena und der Erde, über unsere Stützpunkte dort und die gesamte Technik an ihre Landsleute weitergeben. Unsere Pläne zur Unterwerfung dieses Planeten wären dann aufs höchste gefährdet, ja vielleicht zunichte gemacht. Einzige Möglichkeit: Wir müssen die Erdenbewohner mit allen Mitteln daran hindern, unseren Planeten zu verlassen. Wir müssen sie einfangen, ihnen ihre menschliche Gestalt wiedergeben, damit sie uns nicht mehr narren können, und sie schließlich in Irener verwandeln.« Er wandte sich an Vik und Al: »Um wieviel Elme handelt es sich?« Die beiden Massaren erklärten, daß es zur Zeit vier Erdenbewohner im Elmenland gäbe: einen großen hageren Mann mittleren Alters, der offenbar Wissenschaftler sei, einen schweigsamen Alten mit Bart, der ihm nicht von der Seite weiche, einen Jungen von etwa zwölf Jahren und einen Kraken. »Das wären dann schon alle«, schloß Vik munter. »Und es gibt keine besonderen Vorfälle mit ihnen?« vergewisserte sich Or. Dabei bedachte er die beiden Späher mit einem schnellen, stechenden Blick. »Nein, Chef!« entgegnete Al. »Höchstens unwesentliche Dinge. Nicht der Rede wert.« Er war sehr darauf bedacht, nichts vom Verschwinden Kostjas aus dem Elmenland zu berichten, denn es wäre die Aufgabe der beiden gewesen, das zu verhindern. »In dieser Angelegenheit gibt es keine unwesentlichen Dinge!« erwiderte Or barsch, verzichtete aber auf weitere Fragen. Stattdessen legte er eine bedeutsame Pause ein, um die Anwesenden zu noch größerer Aufmerksamkeit zu zwingen, und fuhr fort: »Deshalb gebe ich jetzt meinen Plan für die Operation ›Elming‹, abgekürzt ›E‹, bekannt. Er sieht vor, daß Vik und Al sich in Elmengestalt zum Tunneleingang begeben und dort jeden Winkel mit dem Ziel durchstöbern, eventuelle Doppelgänger der genannten Erdenbewohner aufzuspüren. Den Kraken könnt ihr ungeschoren lassen, er stellt keine Gefahr für uns dar! Solltet ihr auf die beiden Jungen von der Insel Atlantis treffen, bemüht euch, sie zum Mitsuchen zu bewegen. Versprecht ihnen, sie auf die Erde zurückzubringen, was sie allein ja nicht schaffen können, weil der Synchrotunnel zu ihrem Eiland zerstört ist. Das gleiche gilt für den Löwen, von dem ich allerdings noch immer nicht weiß, wie er zu uns gelangen konnte.« Or unterbrach sich unvermittelt, um über den Lautsprecher, so daß alle im Zentrum mithören konnten, den Sachbearbeiter zu beschimpfen, der für diese Angelegenheit zuständig war. Dann erklärte er: »Um den elektrischen Schutzschild nicht abschalten zu müssen, werdet ihr unseren Geheimgang benutzen. Sobald ihr da seid, nehmt ihr Verbindung zu Nel und Din auf.« Und an diese gewandt: »Nun aber zu eurer Aufgabe. Ihr versteckt euch mit der Elmenfalle in der Nähe des abgesperrten Gebietes. Wenn Vik und Al Signal geben, lassen wir die Elme durch, ihr schnappt sie und bringt sie hierher ins Zentrum. Alles weitere geschieht dann bei uns. Zu eurer Unterstützung werden übrigens noch zusätzlich Posten aufgestellt. Den Befehl dazu habe ich bereits gegeben.« »Noch eine Frage, Chef«, sagte Al bereits im Aufstehen. »Und wenn sie nun schon getürmt sind?« »Wie denn das?!« brauste Or auf. »Ihr habt das Elmenland erst vor einer halben Stunde verlassen, und da waren die Elme doch noch alle beisammen. Oder etwa nicht?« Er sah die beiden lauernd an. »Aber ja, natürlich, Chef!« beeilte sich Al zu versichern. »Trotzdem kann in einer halben Stunde viel passieren.« »Vielleicht hast du recht«, sagte Or etwas besänftigt. »Dennoch müssen wir die Operation ›E‹ wie geplant durchführen. Auch wenn es teuer wird und mich den Kopf kostet, falls sie mißlingt.« Vik konnte sich ein schadenfrohes Grienen nicht verkneifen. »Freu dich nicht zu früh!« blaffte der Chef. »Bevor es meinen Kopf kostet, wird es euch an den Kragen gehen, das verspreche ich euch. Also seht zu, daß ihr niemanden entwischen laßt! Und jetzt ans Werk, wir dürfen keine Zeit mehr verlieren.« Die Operation »E« nahm ihren Anfang. Eine Stunde später hatten alle Posten Stellung bezogen, verbargen sich im Dickicht, das rund um den Elming kräftig gedieh. Nicht weit von ihnen saßen in einem Amphibienfahrzeug, der besagten Elmenfalle, Nel und Din auf der Lauer. Vik und Al aber befanden sich schon mitten im Zentrum des Elmings. Sie hatten ein schlechtes Gewissen, weil sie die Flucht Kostjas aus dem Elmenland verschwiegen hatten. Und nicht nur das, auch das Mädchen Viola war ja entkommen. Hätten sie das zugegeben, wäre es ihnen übel bekommen. Man sah schließlich, daß mit dem Chef nicht gut Kirschen essen war. Im Schutz des herumliegenden Gerümpels hielten die beiden aufmerksam Ausschau. Niemand zu sehen! Lautlos wie die Eidechsen krochen sie dahin, suchten das Gebiet systematisch ab. Vielleicht trafen sie auf die Atlanter oder den Höhlenlöwen. Auf eine Begegnung mit dem Löwen waren sie allerdings gar nicht erpicht – konnte man denn wissen, was so einem Riesenvieh in den Sinn kam?! Als Vik und Al ein Stück vorangekommen waren, entdeckten sie auf einmal am Rand des Elmings die ganze Gruppe. Der Löwe wirkte noch größer, als sie ihn sich vorgestellt hatten. »Ein Glück, daß wir dem nicht schon vorhin begegnet sind«, flüsterte Vik. Aber dann stutzte er. »Moment mal… wer ist denn das? Ich kann ihn nicht richtig erkennen, der Krake ist dazwischen.« »Sag bloß, das ist der Bengel!« Al zeigte sich freudig überrascht. Er kroch hastig über einige Steine hinweg, um Kostja besser sehen zu können. Gleich darauf aber zischte er: »Das ist ja die reinste Hexerei, nun versteh ich gar nichts mehr! Dieser Mann ist uns im Elmenland nie über den Weg gelaufen. Entweder hat sich der Junge in einen alten Kerl in Matrosenkluft verwandelt, oder der Seemann hat sich erst eingefunden, nachdem wir dort weg waren. Doch wo ist dann der Junge? Der Chef reißt uns für diese Geschichte tatsächlich den Kopf ab!« »Hör zu, Al«, flüsterte Vik. »Da wir die Sache vorhin verschwiegen haben, sollten wir dabei bleiben. Wer will uns nachweisen, daß der Kerl nicht Kostja ist? Wir liefern alle vollzählig ab, und basta.« Al war einverstanden. »Wir können’s ja versuchen. Zumal wir nichts riskieren. Wir haben eben die geschnappt, die wir aufspüren konnten. Ich glaube auch nicht, daß der Bengel diesen Zirkus im Zentrum veranstaltet hat. Da schon eher der Hagere dort, der Wissenschaftler. Und von unseren Stützpunkten weiß Kostja nur das, was Viola ihm erzählt hat. Außerdem wird ihm niemand auf der Erde nur das geringste glauben. Sie werden denken, er spinnt.« Vik holte sein Sprechfunkgerät hervor, mit dem er Verbindung zu Nel halten sollte, und flüsterte kaum hörbar: »Drei Elme von der Erde gesichtet, dazu zwei Atlanter, einen Kraken und einen Löwen! Die Gruppe ist komplett. Erbitte weitere Anweisungen! Over!« Ihr Chef, der sowohl mit Vik als auch mit Nel in Verbindung stand, rieb sich zufrieden die Hände: Wenn das kein Erfolg war! Diese Erdenbewohner waren wirklich gewitzt, sie hatten den einzigen Augenblick genutzt, wo der Schutzschild nicht funktionierte, um in den Elming zu schlüpfen. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären endgültig entwischt. Was nur hatte sie davon abgehalten, auf die Erde zurückzukehren? Or konnte sich nicht länger beherrschen und brüllte ins Mikrofon: »Schnappt sie allesamt, Jungs, an Ort und Stelle sehen wir weiter! Wenn ihr die Sache gut durchzieht, gibt’s eine Beförderung und einen Reisescheck ins Vergnügungszentrum!« Nel machte sich hastig an den Schaltknöpfen der Elmenfalle zu schaffen, stellte den Impuls auf Maximum. Die Apparatur war so stark und die Entfernung so gering, daß die Fremden hineinspazieren würden wie die Püppchen. Din hatte das Amphibienfahrzeug nämlich noch näher herangefahren, und die Erdenmenschen verspürten jetzt, wie eine unwiderstehliche Kraft sie zum Rand des Elmings zog. In ihrem Innern vernahmen sie so etwas wie einen Befehl, unverzüglich dem Fahrzeug entgegenzugehen, aber auch eine Art Hilferuf. Sie hatten einfach nicht die Kraft, sich dem zu widersetzen. Kurz darauf kamen zwei Männer aus dem Elming, die ihnen glichen. Sie liefen zielstrebig auf das Signal zu und gaben durch ihr Gebaren zu erkennen, daß Eile geboten war, sonst sei es zu spät. Die beiden waren Vik und Al, und auf ihr Beispiel hin setzte sich auch die Gruppe in Bewegung. Als erster rannte der Löwe Grau los, dessen Willenskraft im Laufe seines Aufenthalts im Elming offenbar geschwächt worden war. Ihm folgten die Jungen von der Atlantis, denn sie wollten sich nicht von ihrem Freund trennen, wollten ihm beistehen, falls er in Not geriet. Schließlich machten sich auch Viktor Stepanowitsch und der alte Kusmitsch auf den Weg. Der Geologe, weil er immer zur Stelle war, wenn Hilfe gebraucht wurde, und der Jäger, weil er seinen Gefährten niemals im Stich ließ. Als letzter marschierte mit deutlichem Zögern der Mann in Seemannskleidung los, den die Massaren noch nicht kannten. Nur der Krake blieb, wo er war. Mal erhob er sich auf all seinen Tentakeln zu voller Größe, mal fiel er wieder in sich zusammen, lag flach auf dem Boden. Da er selber über hypnotische Fähigkeiten verfügte, schleuderte Prim den Massaren seine ganze Willenskraft entgegen und widersetzte sich so dem telepathischen Signal, das auch ihn einfangen wollte. DER KRISTALLSKAPHANDER Ol begab sich auf kürzestem Wege zum Leiter des Synchronautikzentrums, der ihn bereits erwartete. Or war zufrieden mit dem Verlauf der Operation »E« und sagte aufgeräumt: »Hör zu, Ol, du kommst mir vor wie unser geheimnisvoller Höhlenlöwe. Du hast, wie mir scheint, eine ebensogute Witterung. Tauchst immer gerade dann auf, wenn du gebraucht wirst!« Ol war keineswegs um eine Antwort verlegen: »Ich denke, man kann eher Sie mit diesem Löwen vergleichen. Ihre Untergebenen parieren beim Klang Ihrer Stimme einmalig, und wenn trotzdem jemand aus der Reihe tanzt, schnappen Sie auch nicht schlecht zu. Aber weil Sie vom Höhlenlöwen sprechen, ist er denn schon eingefangen?« »Noch nicht, aber es ist eine Sache von Minuten!« rief der Chef. »Die Katze ist so gut wie im Käfig. Und nicht nur sie, wir greifen uns die ganze Gruppe: die zwei Jungen aus Atlantis, die sich seit Urzeiten bei uns aufhalten, und drei Doppelgänger von der Erde.« Ol stutzte. Wieso drei? dachte er. Kostja muß doch entkommen sein, sonst wäre Viola nicht wieder hier. »Ach ja«, fuhr der Chef zufrieden fort, »außerdem gibt es noch einen Kraken, aber der wird uns nicht gefährlich, falls es ihm gelingt, zur Erde zurückzukehren. Er lebt im Meer und kann meinetwegen den Fischen erzählen, was er will. Die sind bekanntlich stumm.« »Was haben Sie denn mit den anderen vor?« fragte Ol. »Mit den Atlantern, zum Beispiel?« »Mit denen ist leider nicht viel anzufangen«, der Chef zuckte die Achseln. »Andererseits, was sollen sie endlos im Elming herumlungern und auf schönes Wetter warten. Ein Zurück gibt es für sie ohnehin nicht mehr. Wir werden ihnen ihren Körper wiedergeben, wie den übrigen Gefangenen auch. Vielleicht schicken wir sie sogar zur Arbeit auf einen unserer Stützpunkte.« »Sollen die anderen Erdenbewohner etwa ebenfalls dorthin?« fragte Ol. »Nicht sofort!« erwiderte Or herrisch. »Sie müssen ja nicht nur die menschliche Gestalt zurückerhalten, sondern auch in Irener verwandelt werden. Schließlich brauchen wir zuverlässige Vertreter auf der Erde. Aber damit lassen wir uns Zeit. Erst mal sehen, was das für Leute sind.« »Aber während Sie das herausfinden, wird man die drei auf der Erde vielleicht vermissen«, wandte Ol ein. »Genau darum geht es«, sagte Or erfreut. »Für diesen Zweck brauchen wir nämlich die Kristallskaphander! Wie du weißt, sind das Gleitanzüge, um in die Zukunft und in die Vergangenheit zu gelangen. Mit ihrer Hilfe ist es uns möglich, die in Irener verwandelten Menschen zu jedem beliebigen Zeitpunkt auf die Erde zu bringen – ein Jahr früher, ein Jahr später, ganz wie wir es brauchen. In diesem Fall sollten sie gleich nach ihrem Verschwinden zurückkehren, so daß ihre Abwesenheit nicht auffällt. Du, Ol, bist aber so ziemlich der einzige, der mit solch einem Skaphander klarkommt. Du kennst dich in der Geschichte genauso gut aus wie in der Technik, findest dich in jeder Epoche zurecht. Wärst du bereit, den Auftrag zu übernehmen?« Ol wurde nachdenklich. Der Kristallskaphander, der nichts anderes darstellte als eine Zeitmaschine, war die neueste Erfindung der Massaren. Bestimmt war er schwierig zu bedienen und der Flug mit ihm nicht immer berechenbar. Auch kam es darauf an, in wessen Hände er geriet, denn wie jede wissenschaftliche Entdeckung konnte er einem guten oder einem bösen Zweck dienen. Wie dem auch sei, dachte Ol schließlich, ich übernehme die Sache, später sehen wir dann weiter. Und so sagte er entschlossen: »Ich bin einverstanden!« »Wunderbar«, entgegnete der Chef, »dann wollen wir keine Zeit verlieren. Du kannst dich sofort mit dem Skaphander vertraut machen.« »In Ordnung, aber ich habe noch eine Bitte.« »Und die wäre?« »Ich möchte, daß Viola zur Irena zurückkommt.« »Gut, ich werde es veranlassen«, erwiderte der Chef, der nichts vom Aufenthalt des Mädchens im Elmenland wußte, und ließ sich sofort mit dem Erdenstützpunkt verbinden. Er gab Anweisung, die Tochter des Synchronauten Ol umgehend zur Irena zurückzuschicken. Etwas später bat Ol um die Erlaubnis, seine Frau anzurufen. Als Vi den Hörer abhob, fragte er ruhig: »Ist Viola schon zu Hause?« Es vergingen ein paar Augenblicke, ehe Viola zum Telefon kam, dann aber schallte ihr fröhliches Lachen über die Lautsprecheranlage durch das Zentrum, und sie fragte, als wäre sie soeben eingetroffen: »Hallo, Papa, bist du es? Ja, ich komme gerade zur Tür herein. Was gibt’s?« »Nichts Besonderes, ich wollte bloß deine Stimme hören. Fein, daß du da bist. Schau dich nur überall im Haus um, du kannst auch in den Garten spielen gehn.« Viola verstand genau, was Ol meinte. Der Chef aber staunte nicht schlecht. Daß sein Befehl so prompt ausgeführt würde, hätte er nie und nimmer erwartet. Diese Kerle können durchaus schnell arbeiten, wenn sie nur wollen, dachte er. Inzwischen hatte Ol sich in die technischen Einzelheiten des Kristallskaphanders vertieft. Dieser Anzug war in der Tat ein Wunder an Perfektion und bestand, wie schon sein Name sagte, aus einem Gewebe feinster Kristallfäden. »Wirst du mit dem Skaphander zurechtkommen?« erkundigte sich der Chef. »Na klar, aber ich drehe erst mal ein paar Proberunden«, warf Ol lässig hin, so als hätte er sein Lebtag nichts anderes getan, als zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hin und her zu pendeln. Doch wer ihn genau kannte, hätte bemerkt, daß er etwas im Schilde führte. Und wirklich hatte Ol sich einen Plan zurechtgelegt, um den Erdenbewohnern zu helfen. Er wollte nämlich ganz einfach eine Stunde zurück in die Vergangenheit fliegen, um seine Freunde zu erreichen, bevor sie in die Falle gingen. Dann würde er ihnen sagen, sie sollten sich schleunigst mit ihrem Doppelgänger im Elmenland vereinigen, damit sie wieder zu ihrem Planeten könnten. Die Atlantisjungen sollten selbst entscheiden, ob sie im Elming blieben oder mit den anderen mitkamen. War nur die Frage, wie er mit dem Löwen verfahren sollte. Aber das konnten sie ja noch an Ort und Stelle festlegen. Ol winkte dem Chef kurz zu und verließ eilig das Zimmer. Seine Rechnung ging auf – er erreichte den Elming gerade noch rechtzeitig. Der Krake Prim, der seine Gefährten vor der Elmenfalle schützen wollte, hatte sich schon völlig verausgabt. Ol schlüpfte, in einen Elm verwandelt, blitzschnell in das Amphibienfahrzeug und schaltete kurzerhand die Apparatur ab. Während Nel und Din fieberhaft nach dem Schaden suchten, erklärte Ol seinen Freunden, was es mit Kostjas Verschwinden auf sich hatte. »Ihr könnt ganz beruhigt sein«, sagte er, »Kostja droht keinerlei Gefahr. Höchstens daß sein Großvater Grigori ihn zur Strafe für sein Wegbleiben ein, zwei Stunden in den dunklen Schuppen sperrt. Das aber dürfte für ihn nach allem, was passiert ist, das reinste Zuckerlecken sein.« Die Jungen aus Atlantis waren nicht allzu betrübt, als sie erfuhren, daß sie Abschied vom Elming nehmen sollten. Umso mehr, als Ol ihnen versprach, sie mit auf seinen Erdenstützpunkt zu nehmen. Da sie sich noch sehr gut an ihre Heimat erinnerten, konnten sie ihm viel Interessantes über die Insel erzählen. Dem Geologen Viktor Stepanowitsch aber mußten sie versprechen, die Geheimnisse der Atlantisschrift zu lüften. »Ich glaube, daß unsere Begegnung der Beginn einer langen Freundschaft ist«, sagte Ol ein wenig feierlich. »Bestimmt werden wir uns auf der Erde oder auf der Irena wiedersehen. Sollten die Massaren aber etwas Böses gegen die Menschen im Schilde führen, so erfahrt ihr es umgehend von uns. Falls wir Vitanten nicht allein mit ihnen fertig werden, kämpfen wir gemeinsam.« Und er fügte scherzhaft hinzu: »Außerdem haben wir ja noch Kostja und Viola. Die beiden schaffen auf unseren Planeten im Handumdrehn Ordnung.« Als Ol dann im Begriff war, sich von jedem einzelnen zu verabschieden, fiel ihm noch der Höhlenlöwe ein. Sollte der arme Kerl wirklich den Rest seines Lebens allein hier verbringen?! Die Lösung kam überraschenderweise von Charlie Black. Der Seemann hatte schon lange ein Auge auf dieses Prachtexemplar geworfen und schlug deshalb vor: »Im Zauberland in Kansas gibt es Artgenossen von ihm – den Tapferen Löwen und die Säbelzahntiger. Vielleicht sollten wir ihn einfach dorthin mitnehmen?« »Ich hab auch schon daran gedacht«, erwiderte Ol, »doch wie sollen wir ihn zur Erde befördern? Der Synchrotunnel nimmt ihn nicht an.« Charlie überlegte eine Weile und sagte plötzlich: »Die Tiere im Zauberland stammen alle vom Planeten Rameria. Ich habe euch ja von Kau-Ruck und Ilsor erzählt, die meinem Enkel Chris Tall geholfen haben, als er dorthin geraten war. Der Zauberer Hurrikap hat die Säbelzahntiger, die Fliegenden Affen und Riesenadler vor vielen tausend Jahren auf die Erde gebracht. Vielleicht kommt auch Grau von der Rameria?« »Das könnte durchaus sein!« Ol, der als Synchronaut diesen Planeten natürlich kannte, begriff sofort, daß nun auch die Rückkehr des Löwen gesichert war. »Da kann Grau ja von Glück reden, daß ich mit meinem Schiff gekentert und hierher gelangt bin«, sagte der Seemann augenzwinkernd. »Sonst hätte er bis zum Sanktnimmerleinstag hier ausharren müssen.« Alle lachten, und auch der Löwe freute sich. Charlie Black aber sagte zu ihm: »Doch mal im Ernst, Grau. Bestimmt hat sich in all der Zeit das Klima auf der Rameria verändert, und Freunde wirst du auch keine mehr treffen. Sollte es dir also dort nicht gefallen oder zu langweilig werden, dann wende dich an den Arsaken Ilsor. Er wird dich zur Erde ins Zauberland bringen. Der Tapfere Löwe, von dem wir gerade sprachen, beklagt sich schon seit langem, daß er alt wird und keinen Nachfolger für sich findet, um die Säbelzahntiger in die Schranken zu weisen. Mit denen hat er nämlich ständig ein Hühnchen zu rupfen. Schon als meine Nichte Elli mit ihm zum Zauberer Goodwin in die Smaragdenstadt aufbrach, mußten sie diese dreisten Gesellen in die Schranken weisen, bei allen Masten und Segeln der Welt!« »Ihr dürft keine Zeit mehr verlieren!« drängte Ol. »Sonst kommt es nie zu einer Begegnung Graus mit den Säbelzahntigern! Din und Nel haben die Elmenfalle bald repariert und werden uns allesamt hopp nehmen, auch mich.« »Ich bin schon weg, mich können die auf der Erde suchen«, Charlie Black lachte. »Dort, wo ich mit meiner Jacht ›Kuru-Kusu‹ auf ein Korallenriff gelaufen bin. Das war bei den Koordinaten X° nördlicher Breite und Y° westlicher Länge. Meine Empfehlung an die Herren Elmenfänger!« »Vielen Dank für den Tip«, sagte noch schnell der Löwe. »Vielleicht kann ich irgendwann auch dir helfen!« Doch Charlie war bereits unterwegs. Kaum verhallte sein »Macht’s gut!«, da sauste er schon als Feuerstreifen in Richtung Synchrotunnel. »Auf Wiedersehen«, verabschiedete sich nun auch Viktor Stepanowitsch von Ol. »Ich erwarte Sie auf der Erde. Und bringen Sie mir den Code für die Atlantisschrift mit!« Kusmitsch drückte dem Irener würdevoll die Hand und eilte hinter seinem Gefährten her. »Moment mal!« rief da Ol plötzlich aufgeregt. »Was hat Charlie eben gesagt – daß er mit seinem Schiff auf ein Korallenriff gelaufen ist?! Aber das bedeutet ja, daß er jetzt genau dorthin zurückkehrt. Das wäre sein Untergang!« »Bestimmt gibt es dort ein nettes kleines Atoll«, vermutete der Krake Prim. »Ein Seemann ist nicht so dumm, hastig seine Beine unter den Arm zu nehmen, wenn ihn nichts als ein gestrandetes Schiff oder der Meeresgrund erwartet.« »Ich hoffe, daß ich die Gelegenheit finde, die Koordinaten dieses Riffs ans Zauberland weiterzugeben, damit man Charlie Black zu Hilfe eilt«, erklärte der Löwe und ward gleichfalls nicht mehr gesehen. Er hatte auf einmal große Sehnsucht nach seiner Heimat, der Rameria. Nun war Ol mit den Atlantern und dem Kraken allein. In diesem Augenblick aber tauchten auch die Massaren Vik und Al wieder auf. Sie bewegten sich vorsichtig und hielten aufmerksam nach allen Seiten Ausschau. Ol und die beiden Jungen duckten sich, um nicht entdeckt zu werden, Prim dagegen erhob sich zu seiner vollen Größe, plusterte sich und heftete starr seinen Blick auf sie. Die Massaren blieben zögernd stehen, dann wechselten sie urplötzlich die Richtung. Sie schritten, wie von einem Magneten angezogen, auf das Fahrzeug von Din und Nel zu, die inzwischen die Elmenfalle wieder eingeschaltet hatten. Auch die beiden Jungen, die nichts dagegen hatten, ihren Körper auf immer zurückzubekommen, bewegten sich nun auf die Elmenfalle zu. Ol dagegen blieb im Einflußbereich des Kraken Prim, so daß er nicht gefangengenommen werden konnte. »Das war knapp«, sagte er erleichtert, als die Gefahr vorüber war. »Um ein Haar hätten sie noch mich erwischt. Die werden nicht schlecht staunen, wenn sie auf Al und Vik treffen.« »Ich hab die beiden bloß nach Hause geschickt«, erwiderte Prim und lachte, wie nur Kraken lachen können. »Sollen sie ruhig ein Weilchen herumrätseln, was da passiert ist. Das ist mein Abschiedsgeschenk für sie und gewiß im Sinne von Charlie Black, dem dieser verdammte Hai einen halben Tentakel abgebissen hat. Leb wohl, Ol!« Mit diesen Worten war als letzter auch der Krake verschwunden. Ol aber war sehr zufrieden, daß alles ein so gutes Ende gefunden hatte. |
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