"Das Testament der Götter" - читать интересную книгу автора (Жак Кристиан)

Sehet, was die Ahnen vorausgesagt haben, ist eingetreten: Das Verbrechen hat sich ausgebreitet, Gewalt ist in die Herzen eingezogen, das Unheil zieht durch das Land, Blut flie#223;t, der Dieb bereichert sich, das L#228;cheln ist erloschen, die Geheimnisse sind allen preisgegeben, die B#228;ume sind entwurzelt, die Pyramide ist gesch#228;ndet worden, die Welt ist so tief gesunken, da#223; eine kleine Zahl von Toren sich des K#246;nigtums bem#228;chtigt hat und die Richter davongejagt wurden. Doch entsinne dich der Achtung der Maat, der rechten Folge der Tage, der gl#252;cklichen Zeit, in der die Menschen Pyramiden bauten und Haine f#252;r die G#246;tter gedeihen lie#223;en, jener gesegneten Zeit, in der eine einfache Matte die Bed#252;rfnisse eines jeden befriedigte und ihn gl#252;cklich machte.
Mahnworte des Weisen Ipu-we

Prolog

Eine mondlose Nacht umh#252;llte die Gro#223;e Pyramide mit einem Mantel aus Finsternis. Verstohlen schlich sich ein Sandfuchs in den Friedhof der Vornehmen, die auch im Jenseits noch fortf#252;hren, PHARAO zu verehren. Wachen beh#252;teten das prachtvolle Baudenkmal, das allein Ramses der Gro#223;e einmal im Jahr betrat, um Cheops, seinem glorreichen Ahn, die Ehre zu erweisen; es wurde geraunt, die Mumie des Sch#246;pfers der h#246;chsten Pyramide w#228;re von einem Sarkophag aus Gold gesch#252;tzt, welcher selbst von unglaublichen Reicht#252;mern bedeckt w#228;re. Doch wer h#228;tte es je gewagt, sich an einem derart gut bewachten Schatz zu vergreifen? Niemand, mit Ausnahme des herrschenden Regenten, konnte die steinerne Schwelle #252;berschreiten und sich im Labyrinth des gewaltigen Bauwerks zurechtfinden. Der zu seinem Schutz abgestellte Sonderverband der Streitkr#228;fte scho#223; ohne Vorwarnung mit dem Bogen; mehrere Pfeile h#228;tten den Unvorsichtigen oder den Neugierigen augenblicklich durchbohrt. Ramses’ Reich war vom Gl#252;ck gesegnet; reich und friedlich strahlte #196;gypten auf die Welt. PHARAO erschien als der Bote des Lichts, die H#246;flinge dienten ihm mit Ehrfurcht, das Volk pries seinen Namen. Die f#252;nf Verschw#246;rer traten zugleich aus einer Arbeiterh#252;tte, in der sie sich den Tag #252;ber versteckt hatten; hundertmal waren sie ihren Plan mit der Gewi#223;heit durchgegangen, nichts dem Zufall #252;berlassen zu haben. Sollten sie Erfolg haben, w#252;rden sie fr#252;her oder sp#228;ter Herren des Landes werden und ihm ihr Siegel aufdr#252;cken.

Mit Obergew#228;ndern aus grobem Leinen bekleidet, gingen sie, fiebrige Blicke hin#252;ber zur gro#223;en Pyramide werfend, die Hochebene von Gizeh entlang. Die Wache unmittelbar anzugreifen, w#228;re Irrsinn gewesen; wenn auch andere vor ihnen daran gedacht hatten, sich des Schatzes zu bem#228;chtigen, bisher war es keinem gelungen.

Einen Monat zuvor war der Gro#223;e Sphinx aus einem durch mehrere St#252;rme aufget#252;rmten Sandbett befreit worden. Der Riese mit seinen gen Himmel erhobenen Augen wurde nicht sonderlich bewacht. Sein Name, »lebendes Abbild«, und der Schrecken, den er einfl#246;#223;te, gen#252;gten durchaus, das gemeine Volk fernzuhalten. Als vor urdenklichen Zeiten aus dem Kalkgestein gehauener Pharao mit L#246;wenk#246;rper lie#223; der Sphinx die Sonne aufgehen und wu#223;te um die Geheimnisse der Welt. F#252;nf Altgediente bildeten seine Ehrenwache. Zwei von ihnen, die r#252;cklings an der #228;u#223;eren Umfriedungsmauer gegen#252;ber den Pyramiden lehnten, schliefen den Schlaf der Gerechten. Sie w#252;rden nichts sehen und nichts h#246;ren. Der schmalste der Verschw#246;rer erklomm die Umfriedungsmauer; behende und lautlos erdrosselte er den Soldaten, der nahe der rechten Flanke des steinernen Raubtiers schlief, beseitigte dann dessen neben der linken Schulter in Stellung gegangenen Waffenbruder.

Die #252;brigen Verschw#246;rer stie#223;en hinzu. Den dritten Altgedienten aus dem Weg zu r#228;umen, w#252;rde nicht so leicht sein. Der Oberaufseher befand sich vor der Stele von Thutmosis IV[1], die zwischen den Pranken des Sphinx aufgestellt war, um daran zu erinnern, da#223; jener Pharao ihm sein Reich verdankte. Mit einer Lanze und einem Dolch bewaffnet, w#252;rde der Soldat sich zu wehren wissen. Einer der Verschw#246;rer streifte sein Obergewand ab. Nackt trat sie auf den Wachsoldaten zu. Verdutzt starrte er die Erscheinung an. War diese Frau nicht einer der Geister der Nacht, die um die Pyramiden umherschweiften, um die Seelen zu stehlen? L#228;chelnd n#228;herte sie sich ihm. Entsetzt sprang der Altgediente auf und hob drohend seine Lanze; sein Arm zitterte. Sie blieb stehen. »Weiche zur#252;ck, Gespenst, entferne dich!«

»Ich werde dir kein Leid antun. La#223; mich dich mit Z#228;rtlichkeit liebkosen.«

Der Blick des Oberaufsehers blieb auf den nackten K#246;rper, diesen wei#223;en Fleck in der Dunkelheit, geheftet. Wie gebannt trat er einen Schritt auf sie zu. Als der Strick sich um seinen Hals legte, lie#223; der Krieger seine Lanze los, fiel auf die Knie, versuchte vergebens zu schreien und sank zu Boden. »Der Weg ist frei.«

»Ich richte die Lampen her.«

Der Stele gegen#252;ber zogen die f#252;nf Verschw#246;rer ein letztes Mal ihren Lageplan zu Rate und machten dann einander Mut f#252;r die n#228;chsten Schritte, trotz der sie peinigenden Angst. Sie r#252;ckten die Stele zur Seite und erblickten staunend das gesiegelte Tongef#228;#223;, das die Stelle des H#246;llenschlunds, die Pforte zu den Eingeweiden der Erde, anzeigte. »Es war keine M#228;r!«

»La#223;t uns nachsehen, ob es tats#228;chlich einen Zugang gibt.« Unter dem Tongef#228;#223; fand sich eine mit einem Ring versehene Steinplatte. Zu viert gelang es, sie abzuheben.

Ein schmaler, sehr niedriger Gang mit starkem Gef#228;lle bohrte sich in die Tiefe. »Rasch, die Lampen!«

In Schalen aus Dolerit[2] gossen sie sehr fettes, leicht entflammbares Erd#246;l. PHARAO verbot dessen Gebrauch und den Handel damit, da der schwarze Rauch, der beim Verbrennen entstand, die mit der Ausschm#252;ckung der Tempel und Gr#228;ber betrauten Handwerker krank machte und Decken sowie W#228;nde verschmutzte. Die Weisen behaupteten, dieses »Stein#246;l«[3] , wie es die Barbaren nannten, sei ein sch#228;dlicher und gef#228;hrlicher Stoff, eine b#246;sartige, mit Miasmen befrachtete Ausschwitzung der Gesteine. Die Verschw#246;rer scherten sich nicht darum. Tief geb#252;ckt, wobei ihre Sch#228;del oft gegen die kalksteinerne Decke stie#223;en, drangen sie mit hastigen Schritten durch den engen Stollen dem unterirdischen Teil der Gro#223;en Pyramide entgegen. Niemand sprach ein Wort; allen ging die d#252;stere #220;berlieferung durch den Kopf, der zufolge ein Geist jedem, der des Cheops’ Grab zu sch#228;nden versuchte, das Genick br#228;che. Woher sollte man wissen, ob dieser Herrscher sie nicht von ihrem Ziel abbr#228;chte? Falsche Pl#228;ne waren in Umlauf gewesen, um etwaige Diebe in die Irre zu f#252;hren; war der, den sie in H#228;nden hatten, der richtige?

Sie stie#223;en auf eine Steinwand, die sie mit dem Mei#223;el angingen; gl#252;cklicherweise lie#223;en sich die nicht sonderlich dicken Quader leicht drehen. Die Verschw#246;rer glitten ins Innere einer weiten Kammer mit gestampftem Lehmboden von drei Meter f#252;nfzig in der H#246;he, vierzehn in der L#228;nge und acht in der Breite. In der Mitte war ein Brunnen. »Die Niedrige Kammer … Wir sind in der Gro#223;en Pyramide!«

Es war ihnen gelungen.

Der seit so vielen Menschenaltern vergessene Gang[4]f#252;hrte tats#228;chlich vom Sphinx zu Cheops’ gigantischem Bauwerk, dessen erste Kammer ungef#228;hr drei#223;ig Meter unterhalb der Erdoberfl#228;che lag. Hier, in dieser Geb#228;rmutter, der Beschw#246;rung des Scho#223;es der Mutter Erde, waren die ersten Auferstehungsriten vollzogen worden.


Nun jedoch mu#223;ten sie einen Brunnenschacht #252;berwinden, der durch das Innere des steinernen Kolosses hinaufstieg und auf den Gang traf, der hinter den drei granitenen Verschlu#223;bl#246;cken begann. Der leichteste von ihnen erklomm ihn, indem er sich an die Unebenheiten des Gesteins klammerte und sich mit den F#252;#223;en daran abstemmte; oben angekommen, lie#223; er den um seinen Leib gewickelten Strick hinunter. Aus j#228;hem Luftmangel w#228;re einer der Verschw#246;rer fast ohnm#228;chtig geworden; seine Gef#228;hrten schleiften ihn bis zur Gro#223;en Galerie, wo er wieder zu Atem kam.

Die Erhabenheit der St#228;tte bet#246;rte sie. Welcher Baumeister war aberwitzig genug gewesen, ein solches, aus sieben Steinlagen bestehendes Gef#252;ge zu errichten? Siebenundvierzig Meter lang und acht Meter f#252;nfzig breit, trotzte diese gro#223;e Halle, dieses wegen seiner Ausma#223;e und seiner Lage im Herzen einer Pyramide einzigartige Werk, den Jahrhunderten. Kein Bauk#252;nstler w#252;rde – wie Ramses’ Baumeister bekundeten – jemals wieder eine derartige Gro#223;tat verwirklichen.

Eingesch#252;chtert dachte einer der Verschw#246;rer ans Aufgeben; der Anf#252;hrer der Unternehmung stie#223; ihm heftig in den R#252;cken und n#246;tigte ihn weiterzugehen. So kurz vor dem Ziel aufzugeben w#228;re t#246;richt gewesen; zumal sie sich zu der Genauigkeit ihres gezeichneten Plans nur begl#252;ckw#252;nschen konnten. Ein Zweifel blieb jedoch bestehen: Waren die steinernen Fallgatter zwischen dem oberen Ende der Gro#223;en Galerie und dem eigentlichen Zugang zur Kammer des K#246;nigs heruntergelassen worden? Wenn dem so war, w#252;rde es ihnen nicht gelingen, dieses Hindernis zu umgehen, und sie m#252;#223;ten unverrichteterdinge umkehren.

»Der Durchgang ist frei.«

Bedrohlich leer schienen die Hohlr#228;ume, die dazu bestimmt waren, die ungeheuren Bl#246;cke aufzunehmen. Die f#252;nf Verschw#246;rer b#252;ckten sich, um in die Kammer des K#246;nigs einzudringen, deren Decke von neun Granitmonolithen gebildet wurde, die mehr als vierhundert Tonnen schwer waren. Der ann#228;hernd sechs Meter hohe Saal barg das Herz des Reiches, den Sarkophag des Pharaos, welcher auf einem Silberboden ruhte, der die Reinheit der St#228;tte bewahrte. Sie z#246;gerten.

Bis zu diesem Moment waren sie wie Forscher auf der Suche nach einem unbekannten Land gewesen. Gewi#223;, sie hatten drei Verbrechen begangen, f#252;r die sie sich vor dem Gericht der anderen Welt w#252;rden rechtfertigen m#252;ssen, doch hatten sie nicht f#252;r das Wohl des Landes und des Volkes gehandelt, indem sie die Vertreibung eines Gewaltherrschers vorbereiteten? Wenn sie jedoch den Sarkophag #246;ffneten, wenn sie ihn seiner Sch#228;tze beraubten, w#252;rden sie die Ewigkeit und nicht etwa die eines mumifizierten Menschen, sondern die eines in seinem Leib aus Licht gegenw#228;rtigen Gottes sch#228;nden. Sie w#252;rden ihr letztes Band mit einer jahrtausendealten Zivilisation zertrennen, um eine neue Welt erstehen zu lassen, die Ramses niemals zulassen w#252;rde. Auch wenn sie gegen das Verlangen ank#228;mpfen mu#223;ten, sich davonzumachen, empfanden sie doch ein Gef#252;hl des Wohlbehagens. Durch zwei in die Nord- und die S#252;dwand der Pyramide gehauene Sch#228;chte drang Luft herein, von den Steinplatten stieg eine unsichtbare Strahlung auf, die ihnen eine ungekannte Kraft einfl#246;#223;te.

Auf diese Art und Weise also verj#252;ngte sich PHARAO, indem er die aus dem Stein und der Form des Bauwerks hervorgehende Ausstrahlung in sich aufsog!

»Die Zeit dr#228;ngt.«

»La#223;t uns gehen.«

»Das kommt nicht in Frage.« Zwei traten n#228;her, dann der dritte, schlie#223;lich die beiden letzten. Gemeinsam hoben sie den Deckel des Sarkophags an und stellten ihn auf den Bodenplatten ab.

Eine lichtstrahlende Mumie … eine mit Gold, Silber und Lapislazuli bedeckte Mumie, die so erhaben war, da#223; die Pl#252;nderer ihren Blick nicht ertragen konnten. Mit j#228;hzorniger Bewegung ri#223; der Anf#252;hrer der Verschw#246;rer die Goldmaske herunter; seine Helfershelfer bem#228;chtigten sich des Halsschmucks und des Skarab#228;us aus demselben Metall, welcher auf die Stelle des Herzens gelegt war, der Amulette aus Lapislazuli und des D#228;chsels aus himmlischem Eisen, jenes Schreinerbeitels, der zur #214;ffnung von Mund und Augen in der anderen Welt diente. Diese Wunderwerke schienen ihnen beinahe nichtig beim Anblick des goldenen Krummstabs, welcher das ewige Gesetz versinnbildlichte, dessen alleiniger B#252;rge PHARAO war, vor allem aber angesichts eines kleinen Futterals in Form eines Schwalbenschwanzes. Im Innern: das Testament der G#246;tter. Durch diesen Text empfing PHARAO das Reich zum Erbe und sollte es gl#252;cklich und gedeihend bewahren. Wenn er sein Sed-Fest, sein Verj#252;ngungsfest, begehen w#252;rde, w#228;re er gen#246;tigt, diesen als Beweis der Rechtm#228;#223;igkeit seiner Herrschaft dem Hof und dem Volke vorzuzeigen. W#228;re er au#223;erstande, dieses Schriftst#252;ck zu erbringen, w#252;rde er fr#252;her oder sp#228;ter zur Abdankung gezwungen sein. Ungl#252;ck, Not und Plagen w#252;rden bald #252;ber das Land hereinbrechen. Indem sie das Allerheiligste der Pyramide entweihten, st#246;rten die Verschw#246;rer den wichtigsten Kraftquell des Reiches und beeintr#228;chtigten das Ausstr#246;men des Ka, der k#246;rperlosen Kraft, die jede Form von Leben beseelte.

Die Diebe bem#228;chtigten sich noch einer Kiste mit Barren himmlischen Eisens – ein so seltenes und kostbares Metall wie Gold. Es w#252;rde ihnen dazu dienen, ihre Pl#228;ne zu vollenden. Nach und nach w#252;rde das Unrecht sich in den Gauen[5] ausbreiten, Murren sich gegen PHARAO erheben und eine zerst#246;rerische Flutwelle ausl#246;sen. Nun blieb ihnen nur noch, aus der Gro#223;en Pyramide wieder hinauszugelangen, ihre Beute zu verbergen und ihr Netz zu spinnen.

Bevor sie auseinandergingen, leisteten sie einen Eid: Wer auch immer sich ihnen in den Weg stellte, w#252;rde beseitigt werden. Die Eroberung der Macht forderte diesen Preis.