"Transfer" - читать интересную книгу автора (Lem Stanislaw)

VII

Eines Nachts, schon sehr spät, ruhten wir, von der Liebe ermüdet, und Eris seitlich gekehrtes Gesicht lag in der Biegung meines EIlbogens. Wenn ich hochblickte, konnte ich direkt gegenüber, durch das offene Fenster, die Sterne zwischen den Wolken sehen.

Es gab keinen Wind, der Vorhang über der Fensterbank erstarrte zu einem weißen Phantom, aber vom offenen Ozean kam eine tote Welle, und ich hörte ein anhaltendes Dröhnen, das sie ankündigte, dann ein ungleichmäßiges Rauschen, mit dem sie am Strand zerbrach, dann herrschte wieder einige Herzschläge lang Stille, und wieder stürmten die unsichtbaren Gewässer das flache Ufer. Aber ich hörte diese sich regelmäßig wiederholende Erinnerung an die irdische Existenz kaum, schaute mit weitgeöffneten Augen das Kreuz des Südens an, dessen Beta unsere Führerin gewesen war; ich hatte jeden Tag mit ihren Messungen begonnen, so daß ich sie am Ende ganz automatisch und mit anderen Gedanken beschäftigt vornahm; sie führte uns uhbeirrbar, jene nie ausgehende Laterne der Leere. Ich spürte fast in meinen Händen den Druck der Metallgriffe, die ich verschob, um den Leuchtpunkt, die Spitze der Finsternis, ins Zentrum des Blickfeldes einzuführen, wobei die weichen Gummiringe der Brille meine Brauen und Wangen umfaßten. Dieser Stern, einer der entferntesten, hatte sich am Ziel fast gar nicht verändert, während das ganze Kreuz des Südens schon längst zerfiel und für uns zu existieren aufhörte, da wir ins Innere seiner Arme gelangten; und dann hörte jener wei ße Punkt, jener Sternriese auf, das zu sein, was er am Anfang schien: eine Herausforderung; seine Unveränderlichkeit verriet uns ihre wirkliche Bedeutung, war das Zeugnis der Nichtigkeit unseres Tuns, der Gleichgültigkeit der Leere, des Weltalls, mit der sich niemals jemand abfinden wird.

Jetzt aber, zwischen dem Rauschen des Pazifiks, versuchte ich den Atem von Eri zu hören, und glaubte kaum noch an diese Dinge. Ich konnte schweigend wiederholen: „Ich bin wirklich, ja, wirklich dort gewesen“ — aber diese Bestätigung schwächte mein uferloses Staunen durchaus nicht ab. Eri zuckte zusammen. Ich wollte weiterrücken, ihr mehr Platz verschaffen, aber plötzlich spürte ich ihren Blick.

„Schläfst du nicht?“ flüsterte ich. Ich beugte mich über sie, wollte mit meinem Mund den ihrigen berühren, aber sie legte die Fingerspitzen auf meine Lippen. So hielt sie sie eine Weile, glitt dann damit über mein Schlüsselbein bis zur Brust, fuhr um eine harte Vertiefung zwischen den Rippen herum und drückte ihre Handfläche daran.

„Was ist das?“ flüsterte sie.

„Eine Narbe.“

„Was war denn das?“

„Ich hatte einen Unfall.“

Sie verstummte. Ich spürte, daß sie mich ansah. Sie hob den Kopf. Ihre Augen waren nur Dunkelheit, ohne Licht, ich sah kaum den Umriß ihres Armes, atmend und weiß.

„Warum sagst du nichts?“ flüsterte sie.

„Eri…“

„Warum willst du nicht sprechen?“

„Von den Sternen?“ verstand ich plötzlich. Sie schwieg. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte.

„Meinst du, ich würde es nicht verstehen?“

Ich sah sie so nahe an, durch die Dunkelheit, durch das Rauschen des Ozeans, das das Zimmer füllte und wieder verließ, und wußte nicht, wie ich es ihr erklären sollte. „Eri…“

Ich wollte sie in die Arme nehmen. Sie löste sich aber und setzte sich im Bett auf.

„Du brauchst nicht zu sprechen, wenn du nicht willst. Aber sag, warum. „Weißt du es nicht? Wirklich?“

„Jetzt weiß ich es bereits. Du wolltest mich… schonen?“

„Nein. Ich habe ganz einfach Angst.“

„Wovor?“

„Das weiß ich selber nicht so recht. Ich will das alles nicht aufwühlen. Ich lasse da nichts aus. Es wäre auch ganz unmöglich.

Aber sprechen — würde — so scheint mir — bedeuten — sich in all dem einzuschließen. Vor allem vor dem, was es gibt… jetzt…“

„Ich verstehe“, sagte sie leise. Der weiße Flecken ihres Gesichts verschwand, sie ließ den Kopf hängen. „Du meinst, ich halte es für nichts Beson…“

„Nein, nein“, versuchte ich sie zu unterbrechen.

„Warte, jetzt rede ich. Was ich über die Astronautik denke, und auch die Tatsache, daß ich selbst die Erde nie verlassen würde, das ist eine Sache. Dies hat aber mit dir und mir nichts zu tun.

Oder eigentlich schon: denn wir sind ja zusammen. Anders — wären wir es nicht, niemals. Sie ist für mich — du. Daher möchte ich so sehr… aber du mußt nicht. Wenn es so ist, wie du sagst. Wenn du es so empfindest.“

„Ich werde sprechen.“

„Aber nicht heute.“

„Heute.“

„Lege dich bitte hin.“

Ich fiel auf die Kissen. Sie ging auf den Zehenspitzen, weiß in der Dunkelheit. Sie zog die Gardine zu. Die Sterne verschwanden, nur das langgezogene, mit einer toten Hartnäckigkeit wiederkehrende Rauschen des Pazifiks blieb. Ich sah schon fast nichts mehr. Ein Lufthauch verriet ihre Schritte, das Bett gab nach.

„Hast du schon einmal ein Raumschiff von der Klasse des „Prometheus“ gesehen?“ „Nein.“

„Es ist sehr groß. Auf Erden würde es ein Gewicht von über dreihunderttausend Tonnen haben.“ „Und ihr wart nur so wenige?“

„Zwölf. Tom Arder, Olaf, Arne, Thomas — die Piloten. Na, und dann ich. Und sieben Wissenschaftler. Aber wenn du meinst, es wäre dort leer gewesen, dann irrst du. Neun Zehntel der Masse — war der Antrieb. Die Photoaggregate. Die Lager, die Vorräte, die Reservevorrichtungen — der Wohnteil ist dort nicht groß. Jeder von uns hatte seine Kabine, ohne noch die gemeinsamen mitzuzählen. In der Rumpfmitte — die Zentrale und kleine Landungsraketen und Sonden, noch kleiner, zur Entnahme von Koronaproben… „Warst du über Arkturus — in einer solchen Sonde?“

„Ja. Mit Arder.“

„Warum seid ihr nicht zusammen geflogen?“

„In einer Rakete? Weil das die Chance verringert.“

„Wieso?“

„Die Sonde ist die Kühlung, weißt du. Sie ist wie — wie ein fliegender Kühlschrank. Sovi el Platz nur, daß man sitzen kann. Man steckt in einem Eispanzer. Dieses Eis taut von außen her und erstarrt wieder auf den Röhren. Die Kompressoren können kaputtgehen. Es reicht ein Augenblick, ein Verschlucken, denn außerhalb gibt es acht-, zehn-, oder gar zwölftausend Grad. Wenn diese Vorrichtungen also in einer Doppelrakete aussetzen, dann müssen zwei umkommen. Und so — nur einer. Verstehst du?“

„Ja, ich verstehe.“ Sie hielt ihre Hand an die gefühllose Stelle auf meiner Brust. „Ist das… dort geschehen?“

„Nein. Eri… vielleicht erzähle ich dir etwas anderes?“

„Gut.“

„Denk bloß nicht… Dies weiß ja niemand.“

„Dies?“

Die Narbe veränderte sich unter der Wärme ihrer Finger — als ob sie wieder zu leben anfing. „Ja.“

„Wie ist denn das möglich? Und Olaf?“

„Auch Olaf nicht. Niemand. Ich habe sie belogen. Eri. Jetzt muß ich es dir schon erzählen, habe ich mich zu weit vorgewagt. Eri…

dies war im sechsten Jahr. Wir kamen schon zurück, aber innerhalb einer Wolke kommt man nicht schnell voran. Es ist ein herrliches Bild: je schneller das Schiff, desto heftiger wird die Lumineszenz der Wolke — hinter uns zog sich ein Schweif, nicht wie ein Kometenschweif, eher wie das Polarlicht, zerweht auf beiden Seiten und in die Tiefe des Himmels, zu Eridan-Alpha über tausend und aber tausend Meilen… Arder und Ennesson gab es schon nicht mehr. Venturi lebte auch nicht. Ich wachte immer um sechs Uhr früh auf, das Licht veränderte sich dann und wurde weiß statt blau. Ich hörte die Stimme von Olaf, er sprach von der Steuerkabine. Er hatte etwas Interessantes bemerkt. Ich ging hinunter. Der Radar zeigte einen kleinen Fleck, etwas abseits vom Kurs. Für einen Meteor war er zu groß, außerdem sind Meteore nie allein. Thomas kam auch hinzu, und wir überlegten, was es wohl sein könnte. Auf alle Fälle verminderten wir die Geschwindigkeit noch mehr. Das weckte die anderen. Als auch sie kamen, scherzte Thomas, das weiß ich noch, daß es wohl ein Schiff sein. Man sprach da oft so. Im Weltall mußte es Schiffe anderer Systeme geben, aber eher würden schon zwei Mücken zusammentreffen, die von den entgegengesetzten Seiten der Erdkugel angeflogen kamen. Wir waren schon beim Ende dieser kalten Nebelwolke, der Staub wurde so dünn, daß man mit dem bloßen Auge die Sterne sechster Größe sah. Dieser kleine Fleck erwies sich als ein Planetoid. So etwas wie Vesta. Ungefähr eine Viertelbillion von Tonnen, vielleicht mehr. Außergewöhnlich regelmäßig, fast kugelförmig. Das ist selten. Wir hatten ihn am Bug m zwei Milliparsek. Er ging die Kosmische — wir hinterher. Thurber fragte, ob wir näher kommen könnten. Ich sagte ja, auf ein Viertel Nanoparsek.

Wir kamen auch näher. Im Teleskop sah das Ding wie ein Igel aus — eine Kugel mit Nadeln gespickt. Eine Sehenswürdigkeit.

Fast museumsreif. Thurber stritt mit Biel, ob sie wohl tektonischer Herkunft sei. Thomas fügte hinzu, daß man es feststellen könnte. Kein Energieverlust dabei, weil wir noch keinen richtigen Anlauf hatten. Er fliegt hin, nimmt ein paar Krümel davon und kommt zurück. Gimma war unentschlossen. Mit der Reserve an Zeit reichte es — wir hatten sie immer noch. Endlich stimmte er zu. Wohl deshalb, weil ich dabei war. Obwohl ich kein Wort sprach. Aber vielleicht gerade deswegen. Denn unsere Beziehungen waren so geworden… aber darüber ein anderes Mal. Wir stoppten; ein solches Manöver dauert schon etwas; das winzige Planetchen entfernte sich in dieser Zeit, aber wir hatten es ja auf den Radarschirmen. Ich war unruhig, denn seit Beginn unserer Rückkehr hatten wir lauter Pech. Ganz dumme, aber schwer zu beseitigende Havarien — und das auch noch ohne einen vernünftigen Grund. Ich halte mich nicht für abergläubisch, obwohl ich an das Gesetz der Serie schon glaube. Am Ende fehlten mir da aber Argumente. Es sah wie ein Kinderspiel aus — trotzdem überprüfte ich selbst den Motor von Thomas und sagte ihm, daß er achtgeben sollte. Auf den Staub.“ „Auf was?“

„Auf den Staub. Innerhalb einer kalten Wolke wirken nämlich die Planetoiden wie Staubfänger, weißt du? Sie holen den Staub aus dem Raum, in dem sie kreisen, und Zeit haben sie dazu genug.

Der Staub setzt sich auf ihnen schichtweise ab, derart, daß er sie in der Größe verdoppeln kann. Aber es genügt, mit dem Auspuff zu pusten oder gar etwas fester aufzutreten, und schon erhebt sich eine Staubwolke und bleibt einfach hängen. Eine Kleinigkeit, scheinbar, aber dann sieht man ja nichts. Also sagte ich es ihm.

Er wußte es übrigens auch selbst, genauso wie ich. Dann schoß ihn Olaf von der Bordrampe ab, und ich ging nach oben, in den Meßraum, und fing an, ihn zu führen. Ich sah ihn herankommen, manövrieren, das Geschoß auf den Planetoiden herabgleiten.

Dann, natürlich, verlor ich ihn aus den Augen. Es waren doch immerhin, nach der irdischen Skala, an die drei Meilen…“

„Hast du ihn auf dem Radar gesehen?“

„Nein, auf der Optischen, das heißt durch das Fernrohr. Infrarotes. Aber ich sprach mit ihm die ganze Zeit. Per Funk. Und in dem Moment, als ich dachte, schon lange beim Thomas eine derart sorgfältige Landung nicht gesehen zu haben — wir alle fingen an, irgendwie aufmerksamer zu werden, als die Rückkehr begann… — , sah ich ein kleines Aufleuchten und einen dunklen Fleck, der auf der Scheibe des Planetoiden zu zerfließen begann.

Gimma, der neben mir stand, stieß einen Schrei aus. Er dachte, Thomas hätte im letzten Augenblick, um seinen Fall zu bremsen, mit der Flamme zugeschlagen. So nennt man es nämlich, weißt du. Man gibt einen einzigen Düsenschlag, selbstverständlich aber nicht unter diesen Umständen. Und ich wußte auch, daß Thomas es nie getan hätte. Es mußte ein Blitz gewesen sein.“ „Ein Blitz? Dort?“

„Ja. Denn — siehst du, jeder Körper, der sich mit einer großen Geschwindigkeit in einer Wolke bewegt, wird durch die Reibung mit statischer Elektrizität aufgeladen. Zwischen dem „Prometheus“ und dem Kleinplaneten herrschte ein Unterschied der Potentiale. Es konnten Milliarden von Volt sein. Sogar noch mehr.

Als Thomas landete, da sprang ein Funke über. Das war dieses Aufleuchten: Von der plötzlichen Hitze kam der Staub hoch, und nach einer Minute war die ganze Scheibe durch die Wolke verdeckt. Wir hörten ihn nicht mehr — sein Radio knatterte nur. Ich war stockwütend, am meisten gegen mich selbst, daß ich das zu wenig beachtet habe. Die Rakete hatte besondere, spitzenförmige Blitzableiter, und die elektrische Ladung hätte ganz leise wie Elmsfeuer abfließen müssen. Tat es aber nicht. Übrigens kommen da schon Entladungen vor, aber nicht solche. Diese war von einer ungewöhnlichen Stärke. Gimma fragte mich nach meiner Meinung, wenn sich wohl die Wolke legen würde. Thurber stellte keine Fragen, es war ja klar, daß Tage vergehen mußten.

Und Nächte.“

„Tage und Nächte?“

„Ja. Denn die Gravitation ist äußerst gering. Ein aus der Hand losgelassener Stein fällt manchmal einige Stunden lang. Und erst der Staub, der Hunderte von Metern hochgewirbelt wurde! Ich sagte Grimma, er solle sich um seinen eigenen Kram kümmern, wir müßten warten.“

„Und konnte man da nichts tun?“

„Nein. Das heißt, hätte ich mit Sicherheit annehmen können, daß Thomas in der Rakete steckte, dann konnte ich etwas riskieren. Ich konnte den „Prometheus“ dann wenden und aus nächster Nähe mit vollem Schub so blasen, daß sich dieser ganze Dreck auf die gesamte Galaxis verteilt hätte. Aber diese Gewißheit hatte ich eben nicht. Und ihn suchen?… Die Oberfläche dieses Miniplaneten glich ihrer Größe nach der von — weiß ich — vielleicht von Korsika. Außerdem konnte ich in der Staubwolke ganz nah an ihm vorbeigehen, ohne ihn überhaupt gesehen zu haben. Es gab nur eine Lösung. Sie lag in seiner Hand. Er konnte starten und zurückkehren.“

„Und tat er es nicht?“

„Nein.“

„Weißt du, warum?“

„Ich denke, schon. Er hätte dann einen Blindstart machen müssen. Ich sah wohl, daß die Wolke bis — na, sagen wir — eine halbe Meile über die Oberfläche reichte — er aber wußte das nicht. Er hatte bestimmt Angst, mit irgendeinem Überhang, einem Felsen zusammenzustoßen. Er konnte auch ebensogut auf dem Boden eines tiefen Felsspalts landen. Also hingen wir da so herum, einen Tag und noch einen zweiten — Sauerstoff und Vorräte hatte er für sechs Tage mit. Die eiserne Ration. Selbstverständlich war niemand imstande, etwas zu tun. Man ging nur so herum und dachte sich die verschiedensten Möglichkeiten aus, um Thomas aus diesem blöden Schlamassel herauszuholen. Die Emmitoren. Die unterschiedlichen Wellenlängen. Sogar Leuchtkörper haben wir dort hineingeworfen. Aber sie blitzten nicht einmal auf, die Wolke war finster wie ein Grab.

Der dritte Tag-die dritte Nacht. Die Messungen bewiesen, daß die Wolke sank, aber ich war nicht sicher, ob sie innerhalb der siebzig Stunden, die Thomas noch geblieben waren, ganz sinken würde. Ohne Essen konnte er schließlich noch länger sitzen, aber nicht ohne Luft. Plötzlich kam mir eine Idee. Ich überlegte folgendermaßen: Thomas’ Rakete ist vorwiegend aus Stahl. Wenn es auf diesem verfluchten Planetoiden keine Eisenerze gibt, wird es vielleicht gelingen, ihn mit dem Ferroweiser zu finden. Mit so einem Apparat zur Entdeckung eiserner Gegenstände, weißt du.

Wir hatten da einen, der sehr empfindlich war. Reagierte auf einen Nagel aus einer Entfernung von dreiviertel Kilometern. Eine Rakete würde er auf viele Meilen entfernt finden. Wir mußten dann mit Olaf noch dies und jenes in diesem Apparat nachsehen.

Dann sagte ich Gimma Bescheid — und flog los.“

„Allein?“

„Ja.“

„Warum allein?“

„Weil wir ohne Thomas nur noch zwei waren und der „Prometheus“ einen Piloten haben mußte.“

„Und die anderen waren einverstanden?“

Ich lächelte in der Dunkelheit.

„Ich war erster Pilot. Gimma konnte mir nichts befehlen, nur vorschlagen, dann berechnete ich die Chance und sagte ja oder nein. Aber in kritischen Situationen lag die Entscheidung bei mir.“

„Und Olaf?“

„Na, Olaf kennst du schon etwas. Kannst dir also denken, daß ich nicht gleich geflogen bin. Aber am Ende war ich es, der Thomas weggeschickt hatte. Diese Tatsache konnte er nicht leugnen.

Kurz, ich bin also geflogen. Selbstverständlich ohne Rakete.“

„Ohne Rakete?“

„Ja. Im Raumanzug und mit einer Rückstoßpistole. Es hat etwas gedauert, aber nicht so lange, wie es schien. Ich hatte nur Schwierigkeiten mit dem Ferroweiser, denn das war fast eine Kiste, äußerst unhandlich. Dort, natürlich, wog er gar nichts, aber als ich in die Wolke kam, mußte ich scharf aufpassen, um nicht gegen irgend etwas zu stoßen.

Als ich näher kam, hörte ich auf, die Wolke zu sehen, nur die Sterne fingen an zu verschwinden. Erst nur einige, die aus dem Umkreis, dann wurde schon der halbe Himmel finster — ich sah mich um, der „Prometheus“ leuchtete voll und ganz in der Ferne, er hatte so eine Illuminati onsvorrichtung für seinen Panzer. Er sah aus wie ein langer weißer Bleistift — mit einem Pilz am Ende-, das war der Photonenscheinwerfer.

Plötzlich verschwand alles. Dieser Übergang war ganz scharf.

Vielleicht eine Sekunde schwarzer Nebel — dann schon nichts mehr. Mein Radio hatte ich ausgeschaltet, statt dessen sang mir der Ferroweiser in den Kopfhörern. Bis zum Wolkenrand flog ich kaum ein paar Minuten, aber auf die Oberfläche glitt ich länger als zwei Stunden — ich mußte da sehr aufpassen. Meine elektrische Taschenlampe erwies sich als untauglich, was ich übrigens auch erwartet hatte. Ich fing die Suche an. Weißt du, wie die großen Stalaktiten in den Felsenhöhlen aussehen…?“

„Ja.“

„Also etwas in der Art, nur unheimlicher. Ich spreche darüber, was ich später sah, als die Wolke bereits gesunken war. Denn während dieser Sucherei — nichts, als ob jemand die Sichtscheibe meines Raumanzuges mit Teer begossen hätte. Die Kiste trug ich an Trägern. Ich mußte die kleine Antenne bewegen, horchen, mit ausgestreckten Armen gehen — nie in meinem ganzen Leben bin ich so oft hingefallen wie dort. Unschädlich war es nur infolge der geringen Gravitation, und könnte man da nur ein klein wenig sehen, könnte der Mensch natürlich auch zehnmal sein Gleichgewicht wiedergewinnen. Aber so — einem, der das nicht kennt, läßt es sich nur schwer erzählen… Dieser Miniplanet bestand aus angehäuften Nadelfelsen und balancierenden Felsbrocken — ich stellte einen Fuß hin und fing plötzlich an, irgendwohin zu fliegen, konnte mich selbstverständlich nirgendwo abstoßen — flog mit dieser trunkenen Langsamkeit — sonst aber wäre ich eine Viertelstunde lang wieder nach oben gestiegen. Ich mußte ganz einfach warten, versuchte nur immer weiterzugehen, dann aber bewegten sich die Steinmassen unter mir. Diese Trümmer, Säulen, Steinstücke, all das war kaum miteinander verbunden, denn nur eine äußerst geringe Kraft hielt sie zusammen — was ja nicht bedeutet, daß ein Riesenbrocken, auf den Menschen fallend, ihn nicht erschlagen konnte… denn dann wirkt doch die Masse, nicht das Gewicht, nur hat man da immer Zeit, zur Seite zu springen, natürlich wenn man diesen Steinfall, diesen Absturz sieht… oder zumindest hört. Aber dort gab es ja keine Luft, also konnte ich mich nur nach den Felsbewegungen unter meinen Sohlen richten und begreifen, daß ich wohl schon wieder irgendein Felsengemach aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Nur warten, ob aus diesem Teer da nicht ein Brocken kommt, der nun anfängt, mich zu zermalmen… Kurz, so wanderte ich eben herum, stundenlang, und hatte schon längst aufgehört, meine Idee mit dem Ferroweiser für genial zu halten… Auf jeden Schritt mußte ich auch deshalb achten, weil i ch unvorsichtigerweise schon einige Male in der Luft, also in der Schwebe hängengeblieben war… wie in einem närrischen Traum. Endlich fing ich das Signal auf. Ich verlor es dann wieder so an die achtmal, weiß es nicht mehr genau, jedenfalls, als ich di e Rakete fand, war auf dem „Prometheus“ schon Nacht.

Sie stand schräg, zur Hälfte in diesem höllischen Staub vergra — ben. Das ist etwas äußerst Weiches, äußerst Zartes — das Feinste auf der ganzen Welt —, weißt du? Eine fast unberührbare Substanz… der leichteste Daunen leistet auf Erden einen weit größeren Widerstand. Die Teilchen sind so unwahrscheinlich winzig… Ich schaute hinein — er war aber nicht in der Rakete. Ich sagte, daß sie schrägstand; ich war dessen aber durchaus nicht sicher; ein Mensch konnte dort die senkrechte Lage nicht ohne Spezialapparate bestimmen, und das hätte dann_ sowieso ungefähr eine Stunde gedauert. Ein einfaches Gewicht, federleicht, würde am Ende einer Schnur wie eine Fliege herumsausen, statt diese redlich zu spannen… Also war ich auch nicht erstaunt, daß er keinen Start versucht hatte. Ich kroch hinein. Sofort sah ich, daß er eine präzise Senkrechte zusammenzubasteln versucht hatte, aus Dingen, die er unter den Händen fand, und daß es ihm nicht gelungen war. Eßvorräte gab es sogar noch genug, dafür aber keinen Sauerstoff mehr. Er mußte wohl alles, was er noch hatte, in die Flasche seines Raumanzugs gepumpt haben, und stieg dann aus.“ „Warum?“

„Ja, die Frage habe ich mir auch gestellt. Er war dort schon drei Tage lang. In so einer Rakete gibt es nur einen Sessel, einen Bildschirm, einige Hebel und eine Klappe hinter dem Rücken. Ich saß dort eine Weile. Ich begriff bereits, daß ich ihn nicht finden würde. Eine Sekunde lang dachte ich, er wäre gerade dann ausgestiegen, als ich angeflogen kam, hätte die Rückstoßpistole benutzt, um zum „Prometheus“ zurückzukehren, und säße schon dort, während ich in diesen trunkenen Trümmern herumkroch…

Ich sprang so energisch aus der Rakete, daß es mich wieder hochtrug und ich fliegen mußte. Gar kein Orientierungsgefühl, nichts. Weißt du, wie es ist, wenn man in der völligen Finsternis einen Funken sieht? Wie die Augen dann über ihn zu phantasieren anfangen? Was für Strahlen und Visionen sie darin erblicken — na also, mit dem Gleichgewichtssinn… das ist so ähnlich. Dort, wo es überhaupt keine Gravitation mehr gibt, ist es noch halb so schlimm, wenn sich der Mensch daran gewöhnt. Aber wenn die Gravitation nur äußerst schwach ist, wie eben auf diesem Scherbenhaufen da — wird der Gehörkanal gereizt und reagiert eben auf diese Art — fehlerhaft, um nicht zu sagen — verrückt. Einmal kommt dir vor, du fliegst hoch wie eine Kerze, dann fällst du wie der runter in einen Abgrund und so immerfort. Dazu gibt es noch das Herumwirbeln und die gegenseitige Verschiebung von Armen, Beinen, Rumpf — als ob die alle ihre Stellen vertauscht hätten, als ob der Kopf nicht mehr an dem richtigen Platz säße…

So flog ich denn, bis ich gegen irgendeine Wand schlug, mich abstieß, an etwas hängenblieb, zusammengerollt wurde. Ich hatte aber noch Zeit, mich an einem hervorstehenden Felsbrocken zu klammern. Jemand lag dort. Thomas.“

Sie schwieg. In der Dunkelheit rauschte der Stille Ozean.

„Nein. Nicht das, was du denkst. Er lebte. Setzte sich auch gleich auf. Ich schaltete das Radio ein. Bei einer so kleinen Entfernung konnten wir uns ausgezeichnet verständigen. „Bist du das?“ meldete er sich.

„Ja. Ich bin’s“, sagte ich. Eine Szene wie aus einer miesen Komödie, ei gentlich unmöglich. Aber so war es. Wir standen beide auf.

„Wie fühlst du dich?“ fragte ich.

„Ausgezeichnet. Und du?“ Das machte mich etwas stutzig, doch sagte ich: „Danke, sehr wohl. Und daheim sind alle auch gesund.“ Idiotisch war das, aber ich dachte, er täte es absichtlich — um zu zeigen, daß er sich im Zaum hält, verstehst du?“ „Ja.“

„Als er schon ganz nahe bei mir stand, sah ich im Schein meiner am Arm montierten Lampe seine Umrisse, als eine Art von dichterer Finsternis. Ich tastete seinen Raumanzug ab — er war heil.

„Hast du Sauerstoff?“ fragte ich. Das war ja das Wichtigste.

„Ach, das ist unwichtig.“ Ich überlegte, was man nun tun sollte. Mit seiner Rakete starten? Wohl kaum, es war zu riskant. Um die Wahrheit zu sagen, war ich nicht einmal sehr erfreut. Ich hatte Angst — oder war vielmehr unsicher —, es läßt sich schwer erklären. Die Situation war irreal, ich spürte etwas Eigenartiges darin, ohne zu wissen, was es war, und ohne mir darüber ganz im klaren zu sein. Nur daß ich eben durch dieses wundersame Wiederfinden nicht erfreut war.

Ich überlegte, wie man die Rakete retten könnte. Aber das, dachte ich, ist nicht das Wichtigste. Erst mußte ich erfahren, wie es um ihn stand. Inzwischen standen wir so da, in dieser schwarzen Nacht ohne Sterne.

„Was hast du die ganze Zeit hier gemacht?“ erkundigte ich mich.

Ich wollte es wissen, denn es war auch wichtig. Wenn er irgend etwas zu tun versucht hatte, und sei es nur, Mineralstücke abzuschlagen, so wäre das ein gutes Zeichen.

„Verschiedene Dinge“, sagte er. „Und du, Tom?“ „Wieso Tom?“ fragte ich. Mich überlief es kalt, denn Arder lebte schon seit einem Jahr nicht mehr, und er wußte es doch auch geBau.

„Du bist doch Tom, nicht? Ich erkenne dei ne Stimme.“ Ich sagte nichts, und er berührte mit seinem Handschuh meinen Raumanzug, der schepperte, und sagte dann: „Eine verrückte Welt, nicht? Nichts zu sehen, und es gibt hier auch nichts Besonderes. Ich hatte es mir ganz anders vorgestellt. Und du?“ Ich dachte, mit Arder wäre ihm wohl ein Irrtum unterlaufen, schließlich war so etwas schon… mehreren passiert.

„Ja“, sagte ich. „Uninteressante Gegend hier. Wollen wir losziehen, Thomas, wie?“ „Losziehen?“ staunte er. „Ja, wie denn… Tom?“ Ich achtete schon nicht mehr auf diesen Tom.

„Willst du denn hier bleiben?“ fragte ich.

Er macht mich zum Narren, dachte ich, nun aber Schluß mit diesen Blödeleien.

„Nein“, sagte ich. „Wir müssen zurück. Wo ist deine Pistole?“ „Die habe ich verloren, als ich gestorben bin.“ „Was?!“ „Aber ich nahm es mir nicht zu Herzen“, sagte er. „Ein Toter braucht keine Pistole.“ „Na, na“, meinte ich. „Komm, ich lege dir den Gurt um, und dann fahren wir.“ „Bist du denn verrückt, Tom? Wohin?“ „Zum „Prometheus“.“ „Der ist doch nicht hier…“ „Er ist da ein bißchen weiter. Nun komm schon und laß mich dir den Gurt umlegen.“ „Warte.“ Er schob mich weg.

„Du redest ja so komisch. Du bist nicht Tom!“ „Sicher nicht. Ich bin Hal.“ „Also bist du auch gestorben? Wann?“ Jetzt wußte ich schon ungefähr, wie und was, fing also an, mich ihm anzupassen.

„Na“, meinte ich, „schon vor einigen Tagen. Komm, laß mich dir den Gurt umlegen.“ Er aber wollte es nicht zulassen. Und wir fingen an, uns zu zanken, am Anfang wie im Scherz, später schon mehr im Ernst, ich versuchte ihn zu fassen, konnte es aber nicht wegen des Raumanzugs. Was tun? Ich konnte ihn keinen Augenblick allein lassen; denn ein zweites Mal würde ich ihn nicht mehr finden. Ein Wunder geschieht nicht zweimal. Und er wollte dableiben als Toter.

Und so — während unseres Wortwechsels — als mir schon schien, daß ich ihn überzeugt hätte und er mir zustimmte — ließ ich ihn meine Rückstoßpistole halten… Er brachte sein Gesicht ganz nah an meins, so daß ich fast durch die doppelten Gläser sah, dann rief er: „Du Schweinehund! Betrogen hast du mich! Du lebst!“ und schoß auf mich.“

Seit einer längeren Zeit spürte ich schon Eris Gesicht an meine Schulter gepreßt. Bei meinem letzten Wort zuckte sie zusammen, als ob sie einen Schlag erhalten hätte, und verdeckte meine Narbe mit ihrer Hand. Wir schwiegen eine Weile „Es war ein sehr guter Raumanzug“, sagte ich. „Er zersprang nicht, weißt du? Er kam mir nun hierher ganz hinein, hat den Rippenansatz gebrochen, reingestopft, die Muskeln zermalmt, zersprang aber selber nicht. Ich hatte nicht mal das Bewußtsein verloren, nur konnte ich eine Weile den rechten Arm nicht bewegen und fühlte an der Hitze die innere Blutung.

Eine Zeitlang war ich wohl benommen, denn als ich aufstand, war Thomas nicht mehr da, und ich hatte keine Ahnung, wann und wo er verschwunden war. Ich suchte ihn blindlings auf allen vieren, statt seiner aber fand ich die Pistole. Er mußte sie gleich nach dem Schuß weggeworfen haben. Na, und mit ihrer Hilfe bin ich dann da rausgekommen.

Sie bemerkten mich gleich, als ich über die Wolke sprang. Olaf brachte das Schiff noch näher, und sie zogen mich hinein. Ich sagte, ich hätte ihn nicht gefunden. Ich hätte nur die leere Rakete entdeckt, und meine Pistole wäre mir aus der Hand gefallen und hätte geschossen, als ich stolperte. Der Raumanzug ist doppelwandig. Ein Stück Verkleidung im i nneren Teil war abgesprungen. Das habe ich hier, unter der Rippe.“

Wieder Schweigen und das anwachsende, langgezogene Dröhnen der Welle, die sich anschickte, einen Sprung über sämtliche Strände zu tun, durch die Niederlagen einer unendlichen Reihe ihrer Vorgängerinnen nicht entmutigt. Flacher werdend, bäumte sie sich auf, zerbrach, man hörte ihr Weiches Stampfen, immer näher und leiser, bis es zu der wiederaufkommenden Stille wurde.

„Seid ihr abgeflogen?“

„Nein. Wir warteten. Nach zwei weiteren Tagen setzte sich die Wolke, und ich flog dann ein zweites Mal hin. Allein. Du verstehst wohl — alle anderen Gründe ausgenommen — warum?“

„Ja, ich verstehe.“

„Ich fand ihn schnell, weil sein Anzug in der Finsternis leuchtete. Er lag unter einem Nadelfelsen. Sein Gesicht war nicht zu sehen, die Glasscheibe war von innen beschlagen. Als ich ihn hochhob, meinte ich, in den Händen nur eine leere Schale zu halten… er wog fast gar nichts. Er war es aber wirklich. Ich ließ ihn da und kam in seiner Rakete zurück. Später untersuchte ich sie dann genau und begriff, warum es passiert war. Seine Uhr — eine ganz ungewöhnliche Uhr — war stehengeblieben, er hatte die Zeitrechnung verloren. Diese Uhr zeigte nämlich sowohl die Stunden als auch die Tage an. Ich habe sie repariert und weitergestellt, so daß niemand dahinterkommen konnte.“

Ich umarmte Eri. Fühlte, wie mein Atem ganz leise ihr Haar zerteilte.

Sie berührte meine Narbe, und plötzlich wurde diese Liebkosung zu einer Frage: „Sie hat eine so sonderbare Form…“

„Ja, nicht wahr? Weil es zweimal genäht werden mußte, beim ersten Mal heilten die Nähte nicht… Thurber hat mich zusammengeflickt. Denn Venturi, unser Arzt, lebte nicht mehr.“

„Der, der dir ein rotes Buch gegeben hat?“

„Ja. Woher weißt du das, Eri? Hab’ ich dir davon erzählt? Nein, unmöglich.“

„Das hast du Olaf gesagt — damals — weißt du noch…“

„Stimmt. Aber daß du das behalten hast! So eine Lappalie. Ach, eigentlich bin ich ein Schwein. Dieses Buch ist mit allen anderen Sachen auf dem „Prometheus“ geblieben.“

„Hast du dort deine Sachen? Auf Luna?“

„Ja. Aber eigentlich lohnt es sich nicht, sie herzuholen.“

„Doch, Hal.“

„Mein Liebes, gleich würde daraus ein Erinnerungsmuseum werden. Und so etwas finde ich gräßlich. Wenn ich sie hole, so nur, um sie zu verbrennen. Ich werde nur ein paar Kleinigkeiten behalten, die ich von den anderen geerbt habe. Dieses Steinchen…“

„Was für ein Steinchen?“

„Ich habe noch mehr davon. Einer ist von Kerenea, einer vom Thomas-Planetoiden — denk aber bloß nicht, daß ich mich da mit irgendwelchen Sammlungen beschäftigt hätte! Die kleinen Steinchen gelangten ganz einfach in die Rillen meiner Schuhsohlen, Olaf klaubte sie wieder heraus, versah sie mit entsprechenden Notizen und verwahrte sie. Diese Idee konnte ich ihm nicht ausreden. Unsinn, aber… das muß ich dir erzählen. Ja, ich soll es sogar tun, damit du nicht denkst, daß dort alles so schrecklich war und außer Todesfällen nichts anderes passierte. Also — stell dir ein Zusammensein der Welten vor. Zuerst rosa, eine Unendlichkeit aus einem ganz, ganz leichten und feinen Rosa, in ihr — und sie durchdringend — dann eine zweite, schon dunklere, und weiter dann ein Rot, fast schon bläulich, dieses aber ganz weit, und rundum die Phosphoreszenz, schwerelos, nicht wie eine Wolke und nicht wie Nebel — anders. Ich finde dafür keine Worte. Wir stiegen beide aus der Rakete aus und schauten. Eri, ich verstehe das nicht. Weißt du, ich spüre sogar jetzt noch ein Würgen in der Kehle, so schön ist das gewesen. Denk bloß: Dort gibt es kein Leben. Es gibt da weder Pflanzen noch Tiere, noch Vögel, nichts, keinerlei Augen, die das sehen könnten. Ich bin ganz sicher, daß es sei t der Erschaffung der Welt niemand je gesehen hat und wir, mit Arder, die ersten waren. Und wäre unser Gravimeter nicht kaputtgegangen, weshalb wir dort landen mußten — um ihn herzurichten, denn der Quarz war zerschlagen und Quecksilber herausgeflossen —, dann wäre bis ans Ende der Welt kein Mensch dort angelangt, keiner hätte es je erblickt. Ist das nicht unheimlich! Man hat direkt Lust — ach, ich weiß nicht… Wir konnten da ganz einfach nicht mehr weg. Wir haben vergessen, weshalb wir gelandet sind, und standen nur so, standen und schauten.“

„Was war denn das, Hal?“

„Ich weiß nicht. Als wir wiederkamen und davon erzählten, wollte Biel unbedingt hinfliegen, aber es ging nicht. Wir hatten nicht allzuviel Reservekraft. Wir hatten eine Menge Fotos geknipst, aber aus ihnen ist nichts geworden. Auf den Bildern sah das Ganze wie rosa Milch mit lila Palisaden aus, und Biel faselte über die Phosphoreszenz silihydrogener Ausdünstungen, mir scheint, er glaubte selbst nicht daran, aber vor lauter Verzweiflung, daß er es nicht würde untersuchen können, versuchte er es irgendwie zu erklären. Das war wie… ja, wie nichts eben. Etwas Derartiges kennen wir nicht. Es war auch keinen bekannten Din — gen ähnlich. Hatte eine riesige Tiefe, aber eine Landschaft war es nicht. Ich sagte dir doch schon von diesen Schattierungen, die immer ferner und dunkler wurden, bis die Augen flimmerten.

Eine Bewegung… nein, eigentlich nicht. Es floß und stand zugleich. Veränderte sich, als atmete es, blieb aber stet s gleich. Wer weiß, das Wichtigste daran war vielleicht doch diese Riesengröße.

Als ob hinter der grausamen schwarzen eine zweite Ewigkeit, eine zweite Unendlichkeit existierte, so gesammelt und groß, so hell, daß der Mensch, indem er die Augen schloß, aufhörte, an sie zu glauben. Als wir uns dann ansahen… Du hättest Arder kennen müssen. Ich werde dir sein Bild zeigen. Das war ein Kerl, noch größer als ich, sah so aus, als ob er durch jede Mauer durchkönnte, ohne dabei auch nur bemerkt zu werden. Er sprach immer langsam. Hast du von… diesem Loch auf Kerenea gehört? „Ja.“

„Er steckte dort fest, im Felsen, unter ihm kochte so ein glutheiBer Sumpf, der jede Minute den Siphon, in dem er steckenblieb, ausfüllen konnte, und er sprach dabei: „Hal — warte mal. Ich will mich hier noch umsehen. Könnte vielleicht die Flasche abnehmen — nein. Nehme sie nicht ab, die Gurte haben sich verheddert.

Aber warte du noch.“ Und so weiter. Man könnte meinen, daß er per Telefon aus einem Hotelzimmer sprach. Er posierte durchaus nicht, er war eben so. Der Nüchternste von uns allen. Hat immer alles berechnet. Deshalb flog er dann später mit mir, nicht mit Olaf, der sein Freund war — aber davon hast du ja schon gehört…“ „Ja.“

„Also… Arder. Als ich ihn ansah, dort — da hatte er Tränen in den Augen. Tom Arder. Übrigens schämte er sich dessen überhaupt nicht, weder damals, noch später. Als wir nachher darüber sprachen, und das taten wir noch oft, häufig kamen wir darauf zurück-, wurden die anderen böse. Weil wir dann so — so… fromm wurden. Komisch, nicht wahr? Nun zur Sache. Wir sahen uns also an, und uns kam die gleiche Idee. Obwohl wir nicht wußten, ob wir die Skala dieses Gravimeters richtig hinkriegen würden. Anders konnten wir den „Prometheus“ nicht wiederfinden. Aber wir dachten, daß es sich gelohnt hatte. Nur deswegen, um dort so zu stehen und diese farbige Erhabenheit zu erblicken.“ „Habt ihr auf einem Berg gestanden?“

„Ich weiß nicht, Eri, dort gab es eine ganz andere Perspektive.

Wir schauten so von oben her, aber es war gar kein Abhang.

Warte mal. Hast du den großen Colorado-Canon gesehen?“

„Ja.“

„Stell dir also diesen Canon tausendfach vergrößert vor. Oder millionenfach. Aus rotem und rosa Gold, fast völlig durchsichtig, sämtliche Schichten, Bergmulden, geologischen Sattel seiner Formation, und das alles schwerelos, fließend, und dich fast wie gesichtslos anlächelnd. Nein, nicht das. Mein Liebes, wir beide, Arder und ich gaben uns redlich Mühe, es irgendwie den anderen zu erzählen, aber daraus ist nichts geworden. Dieser kleine Stein stammt eben von dort… Arder nahm ihn als Glücksbringer mit.

Trug ihn immer bei sich. Auch auf Kerenea hat er ihn gehabt. In einer kleinen Schachtel für die Vitamintabletten. Als er zu verwittern anfing, hat er ihn in Watte eingewickelt. Dann — als ich allein zurückkam, fand ich ihn, er lag unter der Koje in seiner Kabine. War ihm wohl herausgefallen. Olaf, scheint mir, dachte, es wäre aus diesem Grunde passiert, traute sich aber nicht, das laut zu sagen, es hätte zu dumm geklungen… Was konnte schon so ein kleiner Stein für einen Zusammenhang mit dem Drähtchen haben, das Arders Radio außer Betrieb setzte?…“