"Die Stadt der Verlorenen" - читать интересную книгу автора (Хольбайн Вольфганг)

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Hohlbein, Wolfgang: Kapit#228;n Nemos Kinder / Wolfgang Hohlbein. - Wien: Ueberreuter. Die Stadt der Verlorenen. – 1998

ISBN 3-8000-2529-9

J 2339/1

Alle Urheberrechte, insbesondere das Recht der Vervielf#228;ltigung, Verbreitung und #246;ffentlichen Wiedergabe in jeder Form, einschlie#223;lich einer Verwertung in elektronischen Medien, der reprografischen Vervielf#228;ltigung, einer digitalen Verbreitung und der Aufnahme in Datenbanken, ausdr#252;cklich vorbehalten. Umschlagillustration von Doris Eisenburger Copyright (c) 1998 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien Printed in Austria

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Autor: Wolfgang Hohlbein,geboren in Weimar, lebt heute mit seiner Familie in der N#228;he von D#252;sseldorf. F#252;r sein Erstlingswerk »M#228;rchenmond«, ein phantastischer Roman, den er gemeinsam mit seiner Frau Heike schrieb, erhielt er 1982 den ersten Preis des vom Verlag Ueberreuter veranstalteten Wettbewerbs zum

Thema Science Fiction und Phantasie. Au#223;erdem erhielt dieser Titel 1983 den »Phantasie-Preis der Stadt Wetzlar« und den »Preis der Leseratten«. In der Reihe »Kapit#228;n Nemos Kinder« bisher erschienen: Die Vergessene Insel Das M#228;dchen von Atlantis Die Herren der Tiefe Im Tal der Giganten

Das Meeresfeuer

Die Schwarze Bruderschaft

Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt der Verbannten

Weitere B#228;nde in Vorbereitung.

Kurzbeschreibung:

Mike arbeitet in einer Strafkolonie der Unterwasserstadt Lemura. Er hat seine Erinnerungen verloren. Nur manchmal

taucht ein Bild oder ein Gedankenfetzen zu seinem fr#252;heren

Leben auf. Eines Tages erscheint ein seltsames, mit schwarzem Fell bedecktes Tier, das reden kann. Mike kann die Worte in seinem Kopf h#246;ren. F#252;r Sekundenbruchteile kehrt die Erinnerung an seine Freunde, an Abenteuer wieder zur#252;ck. Als Mike auf einmal einem Mitglied der Kriegerkaste gegen#252;bersteht, wei#223; er, dass das nur eines bedeuten kann -den sichern Tod...

»He! Du da! Du sollst nicht

Maulaffen feilhalten, sondern arbeiten!« Die Peitsche des Aufsehers pfiff so dicht #252;ber Mikes R#252;cken hinweg, dass er den Luftzug sp#252;ren konnte, und der Knall, mit dem die geflochtenen Lederb#228;nder zur#252;ckschnalzten, lie#223; ihn erschrocken zusammenzucken und rasch wieder nach der Hacke greifen. Er hatte sie wirklich nur f#252;r einen Moment sinken lassen, um sich einmal zu recken und seine verspannten Muskeln zu dehnen, aber den aufmerksamen Blicken des Aufsehers entging nichts.

Dabei hatte Mike noch Gl#252;ck gehabt. Der Mann war der am wenigsten schlimme der vier Sklaventreiber, die abwechselnd im Korallenbruch Dienst taten. H#228;tte ihn einer der drei anderen dabei erwischt, wie er seine Arbeit vernachl#228;ssigte, so h#228;tte er die Peitsche wirklich zu schmecken bekommen. Es w#228;re nicht das erste Mal. Mikes R#252;cken schmerzte noch immer von den Hieben, die er vor ein paar Tagen, wegen einer noch viel geringeren Verfehlung kassiert hatte ...

Mike f#252;hlte den Blick des Aufsehers noch immer auf sich ruhen, verscheuchte jeden anderen Gedanken und beeilte sich schneller zu arbeiten. Wenn man in den Korallenbr#252;chen #252;berleben wollte, war es vor allem wichtig nicht aufzufallen.

Seine Hacke fuhr in den Boden und l#246;ste gro#223;e Brocken der harten, gr#252;nbeigen Korallenmasse, in die sich das Dutzend Arbeiter hineinw#252;hlte wie ein Trupp gro#223;er, zweibeiniger Maulw#252;rfe. Sie hatten vor zwei Wochen angefangen an dieser Stelle zu arbeiten – wobei eine Woche in der Strafkolonie aus zehn Tagen bestand, die sich wiederum aus zehn Stunden pausenloser Arbeit und nur f#252;nf Stunden Schlaf zusammensetzten; und Mike hatte das sichere Gef#252;hl, dass eine Stunde unter dem gr#252;nen Himmel Lemuras deutlich l#228;nger dauerte als die Zeitspanne, die er bisher unter diesem Begriff gekannt hatte.

Trotzdem hatten sie die Grube schon nahezu ausgebeutet. Zwischen den Korallenbrocken, die sie mit ihren Hacken aus dem Boden schlugen, fanden sich jetzt immer #246;fter Steine und Felstr#252;mmer. Bald schon w#252;rden sie diese Stelle aufgeben und einen neuen Platz suchen m#252;ssen, um das kostbare Baumaterial zu sch#252;rfen; m#246;glicherweise an einem noch unzug#228;nglicheren Ort.

Oder einem Gef#228;hrlicheren ...

Die Peitsche des Aufsehers war nicht die einzige Gefahr, die ihnen drohte. Und auch nicht die gr#246;#223;te. Erst vor zwei Tagen war einer der Arbeiter von einer Raubkrabbe, die unversehens aus einem Spalt zwischen den Felsen herausgesprungen war, angegriffen und dabei so schwer verletzt worden, dass er wohl nicht #252;berleben w#252;rde, und eine Woche zuvor hatte es in einer anderen Grube einen Wassereinbruch gegeben, dem man nur mit M#252;he und Not hatte Herr werden k#246;nnen. Irgendwann, davon war Mike #252;berzeugt, w#252;rde es einmal zu einem Wassereinbruch kommen, der zu schlimm war, um ihn stopfen zu k#246;nnen, und dann w#252;rde die ganze untere Ebene Lemuras im Meer versinken. Vielleicht sogardie ganze Stadt. Das war das Verr#252;ckte an dem, was sie taten: Es war notwendig f#252;r das #220;berleben der Stadt und zugleich war jedes St#252;ck, das sie aus dem Boden gruben, ein sicherer Schritt zu ihrem Untergang.

Manchmal schien es Mike, als m#252;sse es einen anderen Weg geben den Fortbestand der Stadt zu sichern.Aber immer wenn er an diesem Punkt seines #220;berlegens angelangt war, begannen sich seine Gedanken zu verwirren.

Solche #220;berlegungen waren zu kompliziert f#252;r ihn.

Und es war auch nicht seine Aufgabe, sich den Kopf #252;ber solcherlei Dinge zu zerbrechen. Er war ein einfacher Arbeiter, dessen Leben darin bestand, Korallen abzubauen, und seine Zeit in der Strafkolonie war vorbei. Wenn er sich keine weiteren Verfehlungen erlaubte, konnte er wieder in sein normales Leben zur#252;ckkehren – das sich allerdings nicht allzu sehr von dem unterschied, das er jetzt f#252;hrte; allenfalls, dass er einige Stunden weniger am Tag arbeiten musste und nicht mit Peitschenhieben bestraft wurde, wenn er sein Soll nicht erf#252;llte.

Auch das waren Gedanken, die manchmal wie zusammenhangslose und vollkommen absurde Bilder in seinem Kopf aufblitzten: Er hatte dann das Gef#252;hl, nicht immer dieses Leben gelebt zu haben, sondern ein ... nun,vollkommen andereseben. Ein Leben ohne die schwere Arbeit in den Korallenbr#252;chen, ohne Hunger und Schl#228;ge, ja, selbst unter einem anderen Himmel; einem Himmel, der nicht immer gleich und von einem sanftgr#252;nen Licht erf#252;llt war, sondern –

»Verdammt, Bursche, ich habe gesagt, du sollst arbeiten, nicht tr#228;umen!«

Die Peitsche traf seinen R#252;cken. Mike presste die Z#228;hne zusammen. Der Schmerz war so heftig, dass ihm die Tr#228;nen in die Augen schossen, aber er verbiss sich jeden Laut und arbeitete sogar rascher.

Ein Stein kollerte vor seinen F#252;#223;en davon, dann noch einer, ohne dass seine Hacke ihn ber#252;hrt hatte, und pl#246;tzlich flitzte etwas Schwarzes, Pelziges zwischen seinen Beinen hindurch.

Mike schrie erschrocken auf und lie#223; seine Hacke fallen und auch einige der anderen Arbeiter stie#223;en erschrockene Laute aus und hielten in ihrem Tun inne. Sofort war der Aufseher heran und hob seine Peitsche. Aber er schlug nicht zu, sondern erstarrte ebenfalls mitten in der Bewegung, als er das sonderbare Tier sah, das Mike aufgescheucht hatte.

Es war nicht besonders gro#223; – nicht einmal so gro#223; wie eine Raubkrabbe –, sah aber vollkommen anders aus als jedes Tier, das Mike jemals zu Gesicht bekommen hatte. Es war pechschwarz und hatte langes, seidig gl#228;nzendes Fell. An den Enden der vier Pfoten, auf denen es sich bewegte, blitzten gef#228;hrlich aussehende Krallen und obwohl sein Maul nicht sehr gro#223; war, sahen die spitzen Z#228;hne darin durchaus so aus, als k#246;nnten sie geh#246;rigen Schaden anrichten. Spitze Ohren und ein buschiger Schwanz, der fast so lang wie der gesamte K#246;rper war, vervollst#228;ndigten den exotischen Eindruck. Das Wesen hatte nur ein einziges Auge, das andere war vernarbt, was ihm ein noch wilderes Aussehen verlieh.

Aber es war seltsam – obwohl Mike ganz sicher war, ein solches Gesch#246;pf noch niemals zu Gesicht bekommen zu haben, hatte sein Anblick trotzdem etwas Vertrautes ...

»Was steht ihr da und glotzt?«, schrie der W#228;chter. »Fangt das Vieh ein!« Er selbst schwang unverz#252;glich seine Peitsche und schlug damit nach der Kreatur, die dem Hieb jedoch mit einer eleganten Bewegung auswich. Zwei, drei der anderen st#252;rzten sich ebenfalls auf das Pelztier. Den meisten konnte es einfach zwischen den H#228;nden hindurchschl#252;pfen, denn es entwickelte eine geradezu unglaubliche Schnelligkeit, und einem versetzte es einen Krallenhieb, der blutige Kratzer auf seiner Hand hinterlie#223;.

»Packt das Biest!«, schrie der Aufseher. Er schlug wieder mit seiner Peitsche zu, doch das Felltier wich dem Hieb im letzten Moment aus und die Lederschnur traf einen der Arbeiter, der heulend zu Boden ging. Zwei weitere knallten heftig mit den K#246;pfen zusammen, als sie sich gleichzeitig nach dem Tier b#252;ckten, das ihnen aber geschickt zwischen den Fingern hindurchschl#252;pfte und mit einem unerwartet kraftvollen Satz direkt im Gesicht des Aufsehers landete, das es unverz#252;glich mit seinen Krallen zu bearbeiten begann. Der Aufseher kreischte vor Schmerz und Wut und lie#223; seine Peitsche fallen und einer der Arbeiter sprang hinzu und schlug mit der Faust nach dem Felltier. Das ein#228;ugige Gesch#246;pf schien die Gefahr jedoch zu sp#252;ren, denn es lie#223; sich im letzten Moment einfach fallen und die geballte Faust des Arbeiters landete schwungvoll auf der Nase des Sklaventreibers. Der Mann heulte schrill auf, prallte zur#252;ck und schlug beide H#228;nde vor das Gesicht. Seine Nase begann heftig zu bluten.

Indessen ging die Jagd fr#246;hlich weiter. Au#223;er Mike beteiligten sich mittlerweile alle Arbeiter an der Jagd und schlie#223;lich hatten es die M#228;nner doch in die Enge getrieben und bildeten einen dicht geschlossenen Kreis, in dessen Mitte sich der fauchende D#228;mon aufhielt. Einige hatten ihre Hacken und Schaufeln gehoben, um das Gesch#246;pf damit zu bedrohen, es sich aber gleichzeitig auch damit vom Leibe zu halten, und niemand wagte es noch einmal nach ihm zu greifen.

»Ihr sollt das Vieh packen!«, schrie der Aufseher, der inzwischen wieder auf die Beine gekommen war. »Und bringt es mir lebendig!« Seine Stimme war schrill vor Wut, klang aber zugleich auch fast komisch

– was daran liegen mochte, dass seine Nase mittlerweile unf#246;rmig angeschwollen war und immer heftiger blutete. »Na los, oder ihr bekommt alle die Peitsche zu sp#252;ren!«

Diese Drohung wirkte. Gleich drei M#228;nner st#252;rzten sich auf das Felltier. Den ersten empfing es mit zwei, drei blitzschnellen Tatzenhieben, die ihn keuchend zur#252;ckspringen lie#223;en, und der zweite verfehlte es, verlor die Balance und landete mit dem Gesicht voran in den Korallen. Der dritte aber bekam es zu fassen. Sofort vergrub das Felltier die Z#228;hne in seiner Hand. Er schrie vor Schmerz, lie#223; aber trotzdem nicht los, sondern packte das Gesch#246;pf nun auch noch mit der anderen Hand im Nacken und riss es in die H#246;he. Es fauchte und schlug mit allen vier Pfoten um sich, war aber hilflos. F#252;r einen Moment sah es aus seinem einzelnen, gelben Auge direkt auf Mike.

Und etwas durch und durch Unheimliches geschah: Mike h#246;rte das Tiersprechen!

Es waren nicht wirklich Worte. Er h#246;rte die Stimme direkt in seinem Kopf:Verdammt noch mal, Bl#246;dmann! H#228;ttest du vielleicht die G#252;te mir zu helfen?! Dieser grobe Kerl bricht mir ja glatt das Genick!

Mike konnte nicht anders. Er war viel zu entsetzt #252;ber das, was er erlebte, als dass er auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte, und so reagierte er einfach ohne nachzudenken: Blitzschnell warf er sich auf den Mann, der das Felltier gepackt hatte, und schlug ihm die geballte Faust auf das Handgelenk. Der Arbeiter lie#223; das Gesch#246;pf mit einem #252;berraschten Keuchen fallen. Elegant drehte es sich in der Luft, kam auf allen vier Pfoten auf und flitzte im Zickzack zwischen den Beinen der M#228;nner hindurch. Nur einen Moment sp#228;ter hatte es den Rand der Grube erreicht und war mit einem Satz dar#252;ber verschwunden.

Dar#252;ber reden wir noch, mein Lieber!erklang die Stimme in Mikes Kopf.

Mike starrte dem schwarzen Felltier fassungslos nach. Es fiel ihm schwer zu glauben, was er gerade erlebt hatte; und noch schwerer zu glauben, was er gerade getan hatte!

Aber es musste wohl so sein, denn nicht nur der Mann, dem er das Felltier aus den H#228;nden geschlagen hatte, starrte ihn ungl#228;ubig an. Auch alle anderen blickten zum Teil fassungslos, zum Teil aber auch w#252;tend in seine Richtung und der Aufseher br#252;llte mit #252;berschnappender Stimme: »Du! Was ist in dich gefahren, Kerl? Was f#228;llt dir ein?!« »Ich ... ich musste es tun!«, stammelte Mike.

»Was sagst du da?« Die Augen des Aufsehers wurden schmal.

»Es ist die Wahrheit«, verteidigte sich Mike. »Ich konnte nicht anders, wirklich! Es hat es mir befohlen!«

»Es?«, wiederholte der Aufseher lauernd. »Wer – es?«

»Das Felltier«, antwortete Mike. Er hatte das Gef#252;hl, dass das keine besonders kluge Antwort war. Eine Sekunde lang starrte ihn der Aufseher auch nur fassungslos an – dann holte er aus und schlug ihm so heftig ins Gesicht, dass Mike auf der Stelle das Bewusstsein verlor.

Er erwachte mit furchtbaren Kopfschmerzen, dem Geschmack von Blut auf der Zunge und in Ketten. Trotzdem sp#252;rte er sofort, dass er gebunden war; vielleicht, weil er l#228;ngst nicht zum ersten Mal mit Ketten an H#228;nden und F#252;#223;en erwachte oder auch einschlief. Zum Leben in der Strafkolonie Lemuras geh#246;rte das praktisch dazu.

Was nicht immer dazugeh#246;rte, das war der Anblick eines pelzigen runden Gesichts, das sich unmittelbar vor dem seinen befand und ihn aus einem einzelnen, bernsteingelben Auge anstarrte.

Mike fuhr mit einem keuchenden Schrei in die H#246;he und sank gleich darauf mit einem zweiten Schrei wieder zur#252;ck, denn er war nicht nur in Ketten, sondern diese Ketten waren zus#228;tzlich an einem schweren Eisenring im Boden angebracht, sodass er mit einem harten Ruck zur#252;ckgerissen wurde.

Er bemerkte den Schmerz kaum, sondern starrte das Pelztier vor sich aus hervorquellenden Augen und mit klopfendem Herzen an und einen Moment sp#228;ter erklang hinter seiner Stirn eine Stimme:

Wenn du noch ein bisschen lauter schreist, bekommen wir bald Besuch.

Es war dieselbe sp#246;ttische Stimme, die er schon einmal geh#246;rt hatte. Und diesmal konnte er sich nicht einreden, sie sich nur eingebildet zu haben.

»Was ...«, keuchte er. »Wer bist du? Was willst du von mir?!«

Nicht so laut!sagte die Stimme in seinem Kopf noch einmal.Wieso schreist du hier so rum? Willst du unbedingt die Wachen alarmieren?

»Du sprichst mit mir?«, sagte Mike verst#246;rt – zwar leiser, f#252;r den Geschmack des Felltiers aber offensichtlich immer noch zu laut, denn es brachte das Kunstst#252;ck fertig, sein pelziges

Gesicht zueinerfast menschlich wirkenden Grimasse zuverziehen.Verdammtnochmal,du sollst nicht so schreien!

Drau#223;en steht eine Wache! Du musst nicht laut reden. Es reicht vollkommen, wenn du nur denkst!

»Nur ... denken?«, murmelte Mike. »Du ... du meinst, du kannst meine Gedanken lesen?«

Jeder in ganz Lemura kann sie h#246;ren, wenn du noch ein bisschen lauter wirst,fl#252;sterte die sp#246;ttische Stimme hinter seinen Schl#228;fen.Hast du denn alles vergessen, um Gottes willen?

»Vergessen? Aber ... aber was denn?«, fl#252;sterte Mike. Diesmal h#246;rte er etwas wie ein gedankliches Seufzen.

Ja, du hast alles vergessen. Na, das kann ja heiter werden. Da suche ich monatelang nach dir und dann finde ich einen halb toten Dummkopf, der weniger Grips als eine Mohrr#252;be in der Birne hat. Was haben sie mit dir gemacht? Dir auch noch das letzte bisschen Verstand aus der R#252;be gepr#252;gelt?

Vielleicht stimmte das sogar. Mike war n#228;mlich gar nicht sicher, ob er das alles wirklich erlebte oder ob er vielleicht im Fieber dalag und fantasierte. Nicht nur, dass er sich Auge in Auge mit einem Gesch#246;pf sah, von dem in ganz Lemura noch nie jemand geh#246;rt hatte – dieses Wesen sprach auch noch mit ihm! Das war vollkommen unm#246;glich!

Ich dachte, das h#228;tten wir schon seit ein paar Jahren hinter uns,seufzte das Felltier. So,und jetzt rei#223; mal deine letzten f#252;nf Gehirnzellen zusammen und h#246;r mir genau zu. Wir haben n#228;mlich eine Menge zu besprechen und nicht sehr viel Zeit. Ich w#252;rde dich ja befreien, auch wenn du es bestimmt nicht verdient hast, aber ich f#252;rchte, ich kriege die Ketten nicht auf.

Es war seltsam: So unglaublich Mike die Situation auch vorkam ... Irgendwie hatte sie trotzdem etwas Vertrautes. Und er hatte nicht die Spur von Angst vor diesem Gesch#246;pf und das war eigentlich das Seltsamste #252;berhaupt, denn wenn man auf der untersten Ebene Lemuras eines lernte, dann, allem Unbekannten zu misstrauen und lieber einmal zu oft Angst zu haben, als einmal zu wenig. Wenn man gegen diesen ehernen Grundsatz verstie#223;, lebte man hier nicht lange.

Stell dir vor, das habe ich auch schon gemerkt,sp#246;ttelte die lautlose Stimme in seinem Kopf.Ich w#228;re ein Dutzend Mal fast gefressen worden, w#228;hrend ich dich gesucht habe. Ich sch#228;tze, wir haben da ein kleines Problem. Was zum Teufel haben sie blo#223; mit dir gemacht?

»Gemacht?«, murmelte Mike. »Ich verstehe nicht, wovon du #252;berhaupt redest.«

Stell dir vor, das glaube ich dir auf Anhieb,h#246;hnte das Felltier.Also los, jetzt lass uns mal #252;berlegen, wie wir deine Ketten abkriegen.

»Meine Ketten?«, wunderte sich Mike. »Du meinst, du ... du willst mir helfen?«

Auch wenn du es nicht verdient hast.

»Aber warum?«, fragte Mike. »Ich meine ... auch ohne Ketten

– wo sollte ich denn hin?«Na, weg von hier, Dummkopf!sagte das Felltier. »Weg? Du meinst weg von dieser Ebene?« Mike sch#252;ttelte

verwirrt den Kopf. »Und dann?«

In dem runden Pelzgesicht war tats#228;chlich ein Ausdruck von Fassungslosigkeit zu sehen. H#228;tte das FelltierzweiAugen besessen, Mike war sicher, es h#228;tte sie verdreht.Au weia,seufzte es.Ich f#252;rchte, da hilft nur noch eines. Ich hoffe blo#223;, meine Kraft reicht aus. Und unsere Zeit.

Es bewegte sich ein paar Schritte r#252;ckw#228;rts und wandte den Kopf nach rechts und links, wie um sich zu #252;berzeugen, dass sie auch wirklich allein und ungest#246;rt waren. Was hatte es vor?

Sieh mich an!befahl die Stimme in seinem Kopf.

Das wollte Mike nicht. Aus irgendeinem Grund wusste er zwar mit unersch#252;tterlicher Sicherheit, dass er dem Felltier vorbehaltlos vertrauen konnte, aber trotzdem hatte er ziemlich gro#223;e Angst vor dem, was das Gesch#246;pf vorhatte.

Aber er hatte keine Wahl. Die lautlose Stimme verlangte erneut, dass er das Felltier ansehen sollte, und pl#246;tzlich war sie von einer solchen zwingenden Macht erf#252;llt, dass er ihr einfach nicht widerstehen konnte. Das einzige, gelbe Auge des Gesch#246;pfes schien pl#246;tzlich riesengro#223; zu werden, f#252;llte sein gesamtes Sichtfeld aus und...

Mit dem ersten Licht des neuen Tages kehrten sie auf die NAUTILUS zur#252;ck. Sie konnten den Weg beinahe trockenen Fu#223;es hinter sich bringen, denn die Ebbe hatte ihren tiefsten Stand erreicht, sodass das Schiff nun nahezu zur H#228;lfte aus dem Wasser herausragte und in deutlicher Schr#228;glage auf dem Strand lag. Die beiden Atlanter hatten kein einziges Wort der Erkl#228;rung mehr von sich gegeben und auch Argos hatte sich in Schweigen geh#252;llt und war ihnen allen ausgewichen, so gut es ging. Der dritte Mann,den sie aus dem gesunkenen Frachtschiff geborgen hatten, blieb auf der Insel zur#252;ck. Argos’ Kr#228;ftehatten entweder nicht mehr ausgereicht, auch ihn aus seinem ewigen Schlaf zu wecken, oder sie waren in diesem Fall zu sp#228;t gekommen.

Tarras und Vargan jedoch schienen allemal auszureichen, nicht nur Argos, sondern die gesamte Besatzung der NAUTILUS in Schach zu halten. Es war nicht das erste Mal, dass sie in einer gef#228;hrlichen Situation waren; nicht einmal das erste Mal, dass sie sich mit M#228;nnern konfrontiert sahen, die bewaffnet waren und auch durchaus bereit, von diesen Waffen Gebrauch zu machen. Und so hatte sich Mike in den ersten Minuten noch der schwachen Hoffnung hingegeben, dass es schon einen passenden Moment geben w#252;rde, um die beiden Atlanter zu #252;berw#228;ltigen, ohne Serena dadurch in zu gro#223;e Gefahr zu bringen. Aber dieser Moment kam nicht. Die Atlanter waren entweder ausgebildete Soldaten oder sie hatten einige Erfahrung mit Situationen wie dieser, denn sie lie#223;en ihnen nicht einmal die geringste Chance einen Befreiungsversuch zu starten. Eine halbe Stunde, nachdem die Sonne aufgegangen war, fanden sie sich alle im Salon der NAUTILUS wieder. An ihrer Lage hatte sich nicht viel ge#228;ndert. Tarras deutete zwar jetzt nicht mehr direkt mit seiner Waffe auf Serena, aber sein Kumpan und er standen hinter dem Steuerpult und hielten Serena als lebenden Schutzschild vor sich, w#228;hrend Mike und die anderen am entgegengesetzten Ende des gro#223;en Raumes Aufstellung nehmen mussten.

Argos hatte sich auf die Bank unter dem Fenster gesetzt und starrte ins Leere. Der betroffene Ausdruck war nicht aus seinem Gesicht gewichen. Aber Mike empfand zumindest in diesem Moment noch keine Spur von Mitleid mit ihm.

»Das also ist die sagenumwobene NAUTILUS«, sagte Tarras, nachdem er sich eine Weile in dem Salon umgesehen hatte. Er hatte die Pistole unter den G#252;rtel geschoben, hielt die rechte Hand aber immer griffbereit in ihrer N#228;he, sodass nicht die geringste Chance bestand, ihn zu #252;berw#228;ltigen, bevor er sie ziehen konnte. Er warf einen weiteren nachdenklichen Blick in die Runde und sch#252;ttelte dann den Kopf. »Ich h#228;tte sie mir etwas besser in Schuss vorgestellt. Andererseits ... wenn man bedenkt, wie alt sie ist.«

»Sie ist in diesen Zustand geraten, weil wir diesen verr#228;terischen Mistkerl da retten wollten«, grollte Mike mit einer Geste auf Argos.

Tarras l#228;chelte. »Das ist sehr nobel von euch, mein Junge. Aber keine Sorge. Wenn wir erst einmal zu Hause sind und ein wenig Zeit und Arbeit investiert haben, dann sieht sie wieder aus wie neu.«

»Ist es das, was Sie wollen?«, fragte Trautman. »Nach Hause?«

Tarras nickte. »Was sonst?«

»Dann ist es nicht n#246;tig, dass Sie uns mit Gewalt dazu

zwingen«, sagte Mike. »Lassen Sie Serena frei und ich verspreche

Ihnen, dass wir Sie hinbringen, wo immer Sie wollen.«

»Und dieses Wort gilt auch f#252;r uns andere«, f#252;gte Trautman hinzu. »Ich kann Sie verstehen. Wahrscheinlich haben Sie zu viel mitgemacht, um noch irgendein Risiko eingehen zu wollen, aber ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Kapit#228;n dieses Schiffes, dass wir Sie zu Ihrem Ziel bringen.«

»Wie gesagt: sehr nobel«, sagte Tarras k#252;hl. »Leider kann ich das Risiko nicht eingehen, mich auf IhrEhrenwort zu verlassen, Trautman, oder das irgendeines anderen.«

»K#246;nnen Sie unsere Gedanken lesen?«, fragte Mike. »So wie Argos?«

Tarras sch#252;ttelte den Kopf. »Nein, ich f#252;rchte, diesen Trick beherrscht nur er.«

»Dann fragen Sie ihn«, fuhr Mike fort. »Er wird Ihnen best#228;tigen, dass wir die Wahrheit sagen. Unser Ehrenwort gilt, ganz egal, wem wir es geben und unter welchen Umst#228;nden.«

»Das ist wahr«, sagte Argos leise. »Sie hatten mehrmals die M#246;glichkeit mich einfach im Stich zu lassen. Sie haben es nicht getan. Selbst als ich sie verraten habe, haben sie mir weiter geholfen, um ihr Wort zu halten.«

»Das spielt keine Rolle«, antwortete Tarras. »Wir werden Vorr#228;te und Wasser aufnehmen, falls das n#246;tig ist, und dann in See stechen. So schnell wie m#246;glich.«

»Aber nicht mit unserer Hilfe«, sagte Ben trotzig. »Nehmen Sie unser Angebot an oder versuchen Sie doch allein das Schiff zu lenken. Sie werden sehen, wie weit Sie kommen.«

Tarras seufzte. »Ich k#246;nnte dich so leicht zwingen, zu tun, was

ich will, mein Junge«, sagte er. »Aber wozu? Du hast es ja selbst

gesagt: Wir werden das Schiff alleine steuern.«

»Das k#246;nnen Sie gar nicht!«, versetzte Ben patzig. »Ich f#252;rchte, er kann es«, sagte Argos. Er l#228;chelte traurig. »Vergiss nicht, dass dieses Schiff dort gebaut worden ist, wo wir herkommen. Seine Bedienung ist uns nicht fremd.«

»Richtig«, f#252;gte Tarras hinzu. An Ben gewandt fuhr er fort: »Und jetzt solltest du dein vorlautes Mundwerk halten, mein Junge, bevor ich auf die Idee komme, dich allein hier auf der Insel zur#252;ckzulassen. Wie Argos ganz richtig gesagt hat: Wir brauchen euch nicht, um das Schiff zu steuern.«

»Ich habe ihnen mein Wort gegeben, sie freizulassen, sobald wir zu Hause sind«, sagte Argos, doch Tarras wischte auch diese Worte mit einer fast beil#228;ufigen Bewegung zur Seite. »Dein Wort, du sagst es.«

Er #252;berlegte einen Moment, dann wandte er sich mit einer Frage an Trautman: »Hat jeder von euch hier an Bord eine eigene Kabine?« Trautman nickte.

»Gut«, sagte Tarras. »Dann werdet ihr jetzt Wasser und Nahrungsmittel f#252;r drei Tage zusammenpacken und in eure Kabinen gehen. Einzeln und nacheinander. Vargan begleitet euch, w#228;hrend ich auf unser Prinzesschen Acht gebe.«

»Was haben Sie vor?«, fragte Mike aufgebracht. Er machte einen Schritt auf Tarras zu, blieb aber wieder stehen, als ihn ein Blick aus den eisigen Augen des Atlanters traf.

»Ich will nur sichergehen, dass sie keine Dummheiten macht«, sagte Tarras. »Immerhin haben wir eineganze Schiffsbesatzung voller junger Helden hier, nicht wahr? Und die k#246;nnten etwas

Un#252;berlegtes tun. Etwas, das Serena in Gefahr br#228;chte. Und das

wollen wir doch nicht, oder?«

Mike presste w#252;tend die Lippen zusammen, aber er konnte nichts anderes tun als hilflos die F#228;uste zu ballen und wieder in die Reihe der anderen zur#252;ckzutreten.

»Sie wollen uns drei Tage lang einsperren?«, vergewisserte sich Trautman.

»Sie k#246;nnen auch gerne hier auf der Insel zur#252;ckbleiben«, antwortete Tarras. »Ich bin sicher, dass sienicht sehr lange allein sein werden. Unsere wortkargen Freunde sind bestimmt noch in der N#228;he – undich w#252;rde mich nicht darauf verlassen, dass sie ihren Fehlschlag mit einem Schulterzucken hinnehmen und einfach wieder gehen.«

»Davon abgesehen liegt diese Insel weitab von allen bekannten Schiffsrouten«, f#252;gte Argos hinzu. »Esk#246;nnte sein, dass ihr nie gefunden werdet. Ihr k#246;nnt Tarras vertrauen und ihr habt mein Wort, dass ihr frei seid und hingehen k#246;nnt, wohin ihr wollt, sobald wir unser Ziel erreicht haben.«

Trautman antwortete nicht darauf, doch der Blick, den er Argos zuwarf, machte klar, was er von dessen Wort hielt.

Genau so, wie der Atlanter gesagt hatte, kam es. Sein Kamerad begleitete sie einen nach dem anderen in ihre Kabinen. Ben versuchte als Einziger sich zu wehren, hatte aber nat#252;rlich gegen den starken Mann keine Chance. Als Allerletzter erst kam Mike an die Reihe. Auch er widersetzte sich nicht, aber er war tief entt#228;uscht. Er hatte gehofft, dass er sich wenigstens noch von Serena verabschieden durfte, aber Tarras schien solch romantischen Gedanken gegen#252;ber v#246;llig unempf#228;nglich zu sein. Mikes entsprechende Bitte beantwortete er nur mit einer ungeduldigen Geste, sodass Mike sich schlie#223;lich zornig umwandte und vor dem Atlanter den Gang hinunterging.

Vargan f#252;hrte ihn zu seiner Kabine und stie#223; ihn unsanft hinein. Als er die T#252;r schlie#223;en wollte, erklang jedoch drau#223;en Argos’ Stimme und der Atlanter hob noch einmal den Blick.

»Warte noch einen Moment«, bat Argos. »Ich will noch einmal mit ihm reden.«

Vargan z#246;gerte. »Tarras wird das nicht gerne sehen«, sagte er.

»Du musst es ihm ja nicht verraten«, antwortete Argos scharf. Ohne ein weiteres Wort trat er hinter Vargan in Mikes Kabine und der Atlanter schloss die T#252;r hinter ihm und verriegelte sie.

Mike starrte Argos an. Hinter seiner Stirn kreisten die Gedanken wie wild. Er war hin und her gerissen zwischen Wut, Verzweiflung und Trauer, Entt#228;uschung und anderen Gef#252;hlen, die er gar nicht genau beschreiben konnte. Aber das Einzige, was er hervorbrachte, war das gestammelte: »Warum?« »Ichhatte keine andere Wahl, Mike«, antwortete Argos. Er hatte immer noch nicht die Kraft, seinem Blickstandzuhalten, und starrte irgendwo auf den Boden zwischen ihnen. Seine Stimme war sehr leise und sehr traurig, fast nur ein Fl#252;stern, das um Vergebung bat. »Ich verlange nicht, dass du mir glaubst, aberes ist die Wahrheit. Ich wollte nicht, dass es so kommt.« »Und Sie h#228;tten es auch nicht getan, wenn Siegewusst h#228;tten, dass es so kommt, nicht wahr?«, fragte Mike h#246;hnisch.

Argos fuhr unter seinen Worten zusammen wie unter einem Hieb. »Doch«, sagte er nach kurzem Schweigen. »Es geht um viel mehr, als du dir vorstellen kannst. Mein eigenes Leben spielt dabei keine Rolle und auch nicht das der beiden anderen.«

»So wenig wie unsere?«, schnappte Mike. »Ich kann deine Bitterkeit gut verstehen«, murmelte Argos. »Ich will nicht, dass du mir verzeihst. Aber du wirst mich verstehen, wenn wir erst einmal angekommen sind.«

»Wer sind diese M#228;nner?«, fragte Mike. »Stammen sie wirklich aus Atlantis oder sind sie einfach nur L#252;gner?«

»Wie ich?«, fl#252;sterte Argos bitter. »Willst du das damit sagen?« Er sch#252;ttelte den Kopf. »Nein, es ist schon die Wahrheit. Wir ... stammen aus Atlantis. Jedenfalls in gewissem Sinn. Ich kann es dir jetzt nicht erkl#228;ren, aber ich habe nur da gelogen, wo es n#246;tig war.« »Das scheint ziemlich oft gewesen zu sein.« »... #246;fter als ich wollte«, gestand Argos. »Aber warum haben Sie Serena vorgemacht, dass Sie ihr Vater w#228;ren?«, wollte Mike wissen. »Hat es Ihnen Spa#223; gemacht, sie zu qu#228;len? Falsche Hoffnungen in ihr zu wecken?«

»Es war das Leichteste«, antwortete Argos. »Ich habe in ihren Gedanken gelesen und erkannt, dass es ihr gr#246;#223;ter Wunsch war, ihren Vater wieder zu sehen.« Er l#228;chelte schmerzlich. »Ich sehe ihm nicht einmal #228;hnlich, wei#223;t du? Aber es ist so viel Zeit vergangen und Serena hat sich so sehr gew#252;nscht, ihn zu treffen, dass das wohl keine Rolle spielte.«

»O ja und au#223;erdem haben Sie nat#252;rlich alle Antworten auf alle Fragen, die sie stellen konnte, in ihren Gedanken gelesen«, sagte Mike bitter. »Wirklich eine Leistung. Bravo!« Er wartete vergeblich auf eine Antwort. Als er keine bekam, fuhr er fort: »Was geschieht jetzt mit uns? Wirklich, meine ich?«

»Nichts«, antwortete Argos. »Ich verspreche, dass ihr freigelassen werdet.«

»Warum sollte ich Ihnen das glauben?«, schnappte Mike. »Ihre Kameraden glauben unserem Ehrenwort ja auch nicht.«

»O doch, das tun sie«, behauptete Argos. »Sie wollen nur kein Risiko eingehen. Der Weg, der vor uns liegt, ist nicht sehr weit, aber gef#228;hrlich. Und von unserer Mission h#228;ngt so unendlich viel mehr ab, als du dir auch nur vorstellen kannst. Du und die anderen, ihr werdet in euren Kabinen bleiben. Es ist sicherer, f#252;r uns, aber auch f#252;r euch und f#252;r Serena.« »Und was geschieht mit ihr?«, wollte Mike wissen. »Nichts«, antwortete Argos. »Ich gebe dir mein Ehrenwort, dass ich ihr Leben verteidigen werde wie mein eigenes. Niemand wird ihr auch nur ein Haar kr#252;mmen.« »Ach, und Sie glauben, das reicht?«, fragte Mike. »Sie haben ihr viel mehr angetan, als es diese beiden Verbrecher da oben jemals k#246;nnten, ist Ihnen das eigentlich klar?«

»Ja«, antwortete Argos. »Ich wei#223; das. Und es tut mir unendlich Leid. Bitte glaube mir. K#246;nnte ich es ungeschehen machen, w#252;rde ich es tun. Aber das kann ich nicht.« Er seufzte. »Ich werde dich jetzt allein lassen. Wenn alles gut geht, komme ich vielleicht in drei Tagen schon wieder. Kann ich nochirgendetwas f#252;r dich tun?« »Ja«, antwortete Mike. »Warten Sie, bis wir auf dreitausend Metern sind,und dann steigen Sie ohne Taucheranzug aus der Schleuse!«

Argos sah ihn nur noch einen Moment lang traurig an, dann sch#252;ttelte er den Kopf, l#228;chelte bitter und klopfte an die T#252;re, damit sein Kamerad, der drau#223;en Wache stand, ihn hinauslie#223;.

Die drei Tage, von denen Tarras und Argos gesprochen hatten, vergingen qu#228;lend langsam. Mike blieb wie alle anderen

w#228;hrend der gesamten Zeit in seiner Kabine eingesperrt und er wusste schon bald nicht mehr, ob es Tag oder Nacht war, ob er einmal oder zweimal geschlafen hatte und wie viel Zeit wirklich verstrich. Die Maschinen arbeiteten jetzt ununterbrochen mit voller Kraft und der Rumpf dr#246;hnte, knisterte und knirschte unentwegt. Einmal glaubte Mike sogar das explosionsartige Krachen von Nieten zu h#246;ren, die unter der gewaltigen Belastung des Wasserdrucks platzten. Sie mussten also sehr tief unter Wasser sein. Schlie#223;lich ging seine endlose Gefangenschaft zu Ende. Wieder n#228;herten sich Schritte vor der T#252;r. Mike, der auf dem Bett lag, hob den Kopf, machte sich aber nicht einmal mehr die M#252;he aufzustehen. Er war der vergeblichen Hoffnung freigelassen zu werden in den letzten Stunden und Tagen einmal zu oft aufgesessen. Diesmal jedoch war sie nicht vergeblich. Die Schritte hielten vor seiner T#252;r an, dann h#246;rte er, wie der Riegel zur#252;ckgeschoben wurde und einen Augenblick sp#228;ter blickte Vargan zu ihm herein. Er hatte seine zerschlissene englische Seefahreruniform gegen eine der grauen Bordmonturen der NAUTILUS eingetauscht und trug nun ebenfalls eine Pistole im G#252;rtel. Ohne ein Wort zog er die T#252;r ganz auf und trat einen Schritt zur#252;ck. Mike folgte der unausgesprochenen Einladung, erhob sich langsam vom Bett und schlurfte an dem Atlanter vorbei auf den Gang.

Sie waren allein. Alle anderen T#252;ren standen offen. So wie er der Letzte gewesen war, den sie eingesperrt hatten, war er nun auch der Letzte, den sie wieder freilie#223;en. Auf Vargans Wink hin begann er in Richtung Salon zu gehen.

Seine Vermutung erwies sich als richtig. Au#223;er ihm waren alle anderen bereits im Salon versammelt. Zuseiner gro#223;en #220;berraschung und noch gr#246;#223;eren Freude erkannte er, dass die Atlanter selbst Serena freigelassen hatten. Sie sa#223; neben Trautman und Singh auf der Couch am Kartentisch und ein erfreuter Ausdruck huschte #252;ber ihr Gesicht, als sie ihn erkannte. Mike eilte los, schloss sie heftig und kurz in die Arme und wandte sich dann an Trautman: »Was ist passiert? Wo sind wir?«

Trautman hob nur die Schultern. »Ich wei#223; es nicht«, sagte er.

Mike sah zum Fenster. Die Irisblende vor dem gewaltigen Bullauge war geschlossen, sodass er nicht sehen konnte, was drau#223;en war. Vermutlich h#228;tte es ihm aber auch nichts genutzt, w#228;re sie ge#246;ffnet gewesen. Sie mussten unendlich tief unten im Meer sein, in einem Bereich ewiger Finsternis, den niemals ein Sonnenstrahl erreicht hatte.

Nach einigen weiteren Sekunden jedoch beantwortete Argos seine Frage. Er stand zusammen mit den beiden anderen Atlantern am Steuerpult und bediente konzentriert die komplizierten Instrumente, die die NAUTILUS lenkten.

»Wir haben unser Ziel erreicht. Noch wenige Minuten und wir sind da.«

Wie zur Antwort darauf erzitterte die NAUTILUS sanft; es war nicht, als h#228;tte etwas das Schiffgetroffen, sondern mehr, als w#228;re es von einer gro#223;en, unendlich starken Hand ergriffen und ein St#252;ck zur Seite gezogen worden. Vermutlich waren sie in eine unterseeische Str#246;mung geraten.

»Wo sind wir?«, fragte Mike noch einmal. Argos tauschte einen raschen Blick mit Tarras, den dieser nach einem unmerklichen Z#246;gern mit einem Kopfnicken beantwortete. Der Atlanter

bet#228;tigte einen Schalter und die riesige Irisblende begann sich

summend auseinander zu schieben.

Das Erste, was Mike sah, als sich das Fenster ge#246;ffnet hatte, war eine geradezu unglaubliche Anzahl von Haien, die das Schiff in einem dichten Schw#228;rm begleiteten. Nicht einer von ihnen schien kleiner als f#252;nf oder sechs Meter zu sein und er erkannte allein auf den ersten Blick mindestens ein halbes Dutzend jener gigantischen Kolosse, denen sie schon einmal begegnet waren. Dazwischen aber glaubte er auch einige fast menschen#228;hnlich aussehende Gestalten zu erkennen – auch die unheimlichen Haifischmenschen hatten die Verfolgung also noch nicht aufgegeben!

»Sie sind hartn#228;ckig, nicht wahr?«, sagte Tarras lachend. »Aber leider auch ziemlich dumm. Ein paar von den gro#223;en Fischen da drau#223;en k#246;nnten dieses Schiff knacken wie eine Nussschale, aber das werden sie nicht tun, solange ihr an Bord seid.«

»So viel zu der Behauptung, dass Menschen Tieren ethisch #252;berlegen w#228;ren«, sagte Mike hart.

In Tarras’ Augen blitzte es w#252;tend auf, doch nur f#252;r einen Moment, dann hatte er seine Selbstbeherrschung wiedergefunden und lachte. »Ich beginne mich langsam an deinen Humor zugew#246;hnen, mein Junge«, sagte er. »#220;bertreibe es nur nicht, sonst komme ich nachher auf die Idee dich bei mir zu behalten. Vielleicht als Hofnarren. Wo wir doch schon einen ...« Er lachte erneut, diesmal in Argos’ Richtung. »... K#246;nig haben.« Mike sah aus den Augenwinkeln, wie Serena bei diesen Worten heftig zusammenfuhr. Ihre Augen begannen feucht zu schimmern. Fast ohne sein Zutun kroch seine Hand zu ihr und ergriff ihre Finger. »Da!«, rief Chris pl#246;tzlich. »Was ist das?« Aller Aufmerksamkeit wandte sich wieder dem Fenster zu. Die NAUTILUS hatte offensichtlich den Kurs ge#228;ndert, denn nun glitt etwas ins Sichtfeld des Bullauges, das vorher nicht da gewesen war: Licht! Es war ein mattes, dunkelgr#252;n schimmerndes Licht, das in unterschiedlich gro#223;en Flecken direkt aus dem Meeresgrund unter ihnen zu dringen schien. An manchen Stellen waren es nur winzige, stecknadelkopfgro#223;e Punkte, andernorts wieder gro#223;e Bereiche, an denen der gesamte Meeresboden wie unter einem unheimlichen inneren Feuer zu gl#252;hen schien und je weiter sich die NAUTILUS dem Ph#228;nomen n#228;herte, desto klarer erkannte Mike seine Form. Es war eine Kuppel.

Ihre Gr#246;#223;e war nicht zu sch#228;tzen, denn er wusste ja nicht, wie weit sie davon entfernt waren, aber sie musste ungeheuer gro#223; sein; gigantisch genug, um eine ganze Stadt unter sich zu verbergen. Der allergr#246;#223;te Teil der Oberfl#228;che war verkrustet und mit wuchernden Tiefseegew#228;chsen bedeckt, die auch das Licht erstickten, aber der Rest reichte allemal aus, um Mike erkennen zu lassen, wie riesig diese unterseeische Anlage war. Selbst die NAUTILUS wirkte wie ein Zwerg dagegen.

Hier und da erhoben sich weitere, zum Teil geisterhaft beleuchtete Umrisse aus der Kuppel. T#252;rmchen, Auf-und Anbauten, die zwischen den Korallengew#228;chsen und Pflanzen emporragten wie die Zinnen einerfantastischen Burg.

»Unglaublich«, fl#252;sterte Juan. »Was ist das?« Tarras l#228;chelte nur, aber Serena sagte tonlos: »Lemura.«

Und Mike fand sich unversehens in der Wirklichkeit wieder.

Er war nicht mehr allein. Statt in ein einzelnes gelb gl#252;hendes Auge blickte er nun in ein Paar blutunterlaufene Augen, die ihn #252;ber eine zur Gr#246;#223;e einer Kartoffel angeschwollene Nase hinweg anstarrten. Singh, Ben, Trautman, Argos und die anderen waren verschwunden, ebenso wie der Strand und die Palmen, und er war wieder in dem kleinen Verschlag in der unteren Ebene Lemuras, in dem man ihn angekettet hatte.

Im allerersten Moment wusste er allerdings #252;berhaupt nicht, wo er sich befand. Hinter seiner Stirn jagten sich die Gedanken, ohne irgendeinen Sinn zu ergeben. Bilder, Namen, Erinnerungen und Eindr#252;cke purzelten wild durcheinander und alles schien sich immer schneller und schneller im Kreis zu drehen, bis ihm fast schwindelig davon wurde.

»Singh«, murmelte er. »Wo ist Singh? Und Serena?«

»Singh? Serena? Was redest du da f#252;r einen Unsinn, Bursche?« Der Aufseher versetzte ihm einen derben Sto#223; in die Rippen und wandte sich in ver#228;ndertem Ton an jemanden, den Mike nicht sehen konnte: »Seht Ihr, Herr – wie ich es Euch gesagt habe! Er redet wirres Zeug. Anscheinend hat die schwere Arbeit in der Korallengrube seinen Geist verwirrt. Ich sage ja immer, dass man keine Kinder hierher schicken soll! Das hier ist Arbeit f#252;r M#228;nner!«

»Damit hast du wahrscheinlich sogar Recht«, sagte eine Stimme irgendwo im Halbdunkel hinter ihm. Dann trat eine sehr gro#223;e, breitschultrige Gestalt neben ihn.

Mike erschrak bis ins Mark, als er die Kleidung des Mannes erblickte. Der Fremde trug kniehohe Stiefel, einen mit Metall verst#228;rkten Lederrock und einen kupfernen Brustharnisch und an seiner Seite hing ein fast armlanges Schwert. Der wuchtige Helm, der eigentlich zu seiner Uniform geh#246;rte, fehlte zwar, aber Mike wusste nat#252;rlich trotzdem, dass er einem Krieger gegen#252;berstand. Sofort bekam er es mit der Angst zu tun.

Mitglieder der Kriegerkaste gaben sich nie mit dem einfachen Volk ab und taten sie es doch, so bedeutetedas fast immer #196;rger; und nur zu oft den Tod.

»Trotzdem will ich h#246;ren, was er zu sagen hat«, fuhr der Krieger fort, nachdem er eine Zeit lang nachdenklich auf Mike herabgeblickt hatte. »Mach seine Fesseln los.«

»Aber Herr!«, protestierte der W#228;chter. »Davon rate ich Euch dringend ab! Der Bursche ist nicht ganz klar im Kopf! Er behauptet, mit diesem pelzigen Ungeheuer gesprochen zu haben, und jetzt redet er mit Menschen, die gar nicht da sind und von denen noch nie jemand geh#246;rt hat! Singh und Trautman! Was das schon f#252;r Namen sind!«

»Das sind die Namen meiner ...«, begann Mike, sprach aber nicht weiter.

»Ja?«, fragte der Krieger, als Mike auch nach einer ganzen Weile keine Anstalten machte weiterzureden.

»Ich ... ich wei#223; es nicht, Herr«, murmelte Mike. Ein eisiger Schauer lief #252;ber seinen R#252;cken. Seine Worte entsprachen der Wahrheit. Gerade noch hatte er gewusst, zu wem diese Namen geh#246;rten, und pl#246;tzlich war es, als w#228;re ein gewaltiger unsichtbarer Rechen durch seinen Kopf gefahren und h#228;tte alles weggewischt. Er erinnerte sich noch immer an jede Kleinigkeit seines bizarren Traumes, aber diese Erinnerungenbedeutetenihm nichts mehr. Es war ein unheimliches, Angst machendes Gef#252;hl.

»Wie ich es sage, Herr«, sagte der Aufseher. »Der Bursche ist verr#252;ckt! Ihr verschwendet Eure Zeit mit ihm.«

»So, wie er aussieht, habt Ihr ihn wohl eher ein bisschen zu hart geschlagen«, sagte der Krieger zornig. »Muss ich Euch wirklich noch einmal auffordern, ihn loszuketten?«

F#252;r einen Moment blitzte es trotzig in den Augen des W#228;chters auf, aber dann senkte er voll Furcht den Blick. »Ja, Herr«, sagte er dem#252;tig. »Sofort.«

W#228;hrend sich der Aufseher neben Mike auf die Knie niederlie#223;, um seine Ketten zu #246;ffnen, wandte sich der Krieger wieder an Mike. Er l#228;chelte beruhigend.

»Sprich ruhig offen, Junge«, sagte er. »Niemand wird dir etwas tun, das verspreche ich dir.«

Mike hatte M#252;he #252;berhaupt zu reden. Sein Kopf war noch immer voller Bilder, Namen, Gesichter, Worte und Begriffe, die sich immer mehr weigerten, irgendeinen Sinn zu ergeben. Singh. Ben. NAUTILUS ...

»NAUTILUS ...«, murmelte er. Das Wort bedeutete ihm nichts, aber zugleich sp#252;rte er auch, dass es f#252;r etwas von enormer Wichtigkeit stand.

Der Krieger jedenfalls, der sich gerade wieder umgedreht hatte, um etwas zu dem Aufseher zu sagen, fuhr pl#246;tzlich auf dem Absatz herum und starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.»Wassagst du da? «

»Ich wei#223; nicht«, murmelte Mike. »Es ... ist mir einfach so eingefallen.«

»Hast du den Herrn nicht geh#246;rt, Kerl? Was f#228;llt dir ein, ihm nicht zu antworten?!«

Er holte aus, um Mike zu schlagen, aber etwas vollkommen Unerwartetes, ja, regelrecht Unerh#246;rtes geschah: Der Krieger griff blitzschnell zu und packte das Handgelenk des Mannes mit solcher Kraft, dass Mike den Atem anhielt.

»R#252;hr den Jungen nicht an«, sagte er – leise, aber in einem so scharfen, drohenden Ton, dass es der Aufseher nicht einmal wagte, auch nur einen Schmerzlaut hervorzusto#223;en. Zitternd wartete er, bis der Krieger seine Hand losgelassen hatte, dann beeilte er sich Mikes Ketten endg#252;ltig loszumachen und sich hastig zur#252;ckzuziehen.

»Also, Junge ... Mike«, fuhr der Krieger fort. »Versuch dich zu erinnern. Woher kennst du diese Worte?«

»Ich wei#223; nicht«, sagte Mike. Er wagte es nicht, aufzublicken. Sein Herz jagte. Einem Krieger die Antwort zu verweigern war unvorstellbar. Der Mann w#252;rde ihn zweifellos t#246;ten. Aber er wusste es einfach nicht!

Erstaunlicherweise schien seine Antwort den Krieger jedoch nicht w#252;tend zu machen. Er seufzte nur ein wenig entt#228;uscht, richtete sich wieder auf und wandte sich an den Aufseher, der sich mittlerweile zitternd in die entfernteste Ecke des Raumes zur#252;ckgezogen hatte. »Du gibst mir gut auf den Jungen Acht«, sagte er. »Ich bin in wenigen Stunden zur#252;ck. Bis dahin gibst du ihm etwas Anst#228;ndiges zum Essen; und sorge daf#252;r, dass er sich w#228;scht. Er stinkt fast so sehr wie du. Bis ich zur#252;ck bin, darf er mit niemandem reden!« »Ja, Herr«, sagte der W#228;chter dem#252;tig.

In den n#228;chsten Stunden kam sich Mike vor wie im Paradies: Der Aufseher brachte ihm Wasser zum Waschen, saubere Kleider, die ihm zwar nicht ganz passten, aber trotzdem das Sch#246;nste waren, was er jemals besessen hatte, und das beste Essen, das ihm jemals untergekommen war. Der Mann sagte w#228;hrend der ganzen Zeit kein Wort, aber die Blicke, mit denen er Mike ma#223;, waren von einer Mischung aus Zorn und Mitleid erf#252;llt – beides Gef#252;hle, die Mike nur zu gut nachempfinden konnte.

Die Zeit verging, ohne dass der Krieger zur#252;ckkam. Drau#223;en brach die Schlafenszeit an und auch damit stimmte etwas nicht. Mike hatte das Gef#252;hl, einmal eine Schlafenszeit gekannt zu haben, die anders war. Dunkel. Als h#228;tte jemand das Licht am Himmel ausgeschaltet. Was nat#252;rlich vollkommener Unsinn war.

Sie mussten so lange warten, bis er wieder hungrig wurde und der Aufseher ihm eine zweite Mahlzeit brachte, und auch danach vergingen noch einmal einige Stunden. Sp#228;t in der Mitte der Schlafenszeit erst kam der Krieger zur#252;ck.

»Hat er irgendetwas gesagt?«, fragte er sofort, als er den Raum betrat, ohne sich mit einer Begr#252;#223;ung aufzuhalten.

»Nein, Herr«, antwortete der W#228;chter. »Er ist verstockt. Und wenn Ihr mich fragt –«

»Ich kann mich nicht erinnern, dich gefragt zu haben«, fiel ihm der Krieger ins Wort. Dann wandte er sich an Mike und seine Stimme und sein Gesichtsausdruck wurden wieder freundlicher.

»Hast du ein wenig ausruhen k#246;nnen, Mike?«

»Nicht wirklich«, antwortete Mike wahrheitsgem#228;#223;. »Aber das Essen war gut und er war sehr freundlich zu mir.« Er deutete auf den Aufseher. Aus irgendeinem Grund hatte er pl#246;tzlich das Bed#252;rfnis ihn zu verteidigen.

»Das will ich ihm auch geraten haben«, grollte der Krieger. »Es ist schade, dass du nicht ausgeschlafen hast, aber leider nicht zu #228;ndern. Wir haben einen langen Marsch vor uns.«

»Herr?«, fragte Mike verwirrt. Der Aufseher in seiner Ecke wurde hellh#246;rig.

»Ich nehme dich mit«, antwortete der Krieger.

»Aber warum?«, entfuhr es Mike. Die Frage selbst war schon eine Ungeh#246;rigkeit. Es ging ihn nichts an, was der Krieger tat und warum.

»Das erkl#228;re ich dir unterwegs«, antwortete der Krieger. »Wir werden eine Menge Zeit zum Reden haben.« Er wandte sich an den Aufpasser. »Bring einen Mantel und warme Schuhe f#252;r den Jungen. Und beeil dich gef#228;lligst!«

Der Mann rannte regelrecht aus dem Raum. Kaum waren sie allein, da war der gelassene Gesichtsausdruck des Kriegers wie weggeblasen. Er wirkte pl#246;tzlich nerv#246;s und sein Blick irrte immer wieder zur T#252;r. Fast als f#252;rchte er sich vor etwas. Aber nat#252;rlich war auch das Unsinn. Krieger f#252;rchteten sich vor nichts.

Es dauerte nicht lange und der Aufseher kam zur#252;ck, einen warmen Mantel #252;ber dem rechten Arm und ein Paar fester Schuhe in der linken Hand. Mike zog beides an und sie verlie#223;en zu dritt den Raum verlassen.

Drau#223;en hob der Krieger jedoch die Hand und hielt den W#228;chter zur#252;ck. »Du bleibst hier«, sagte er. »Du wirst dieses Haus nicht verlassen, ehe die Schlafenszeit vor#252;ber ist. Und du wirst zu niemandem #252;ber das sprechen, was du geh#246;rt und gesehen hast. Tust du es, kostet es dich dein Leben. Hast du das verstanden? «

»Ja, Herr«, sagte der Aufseher. Er war bleich vor Schrecken.

»Dann versuch es nicht zu schnell zu vergessen«, sagte der Krieger. »Wenn doch, komme ich zur#252;ck, und dann ergeht es dir schlecht.«

Damit verlie#223;en sie das Haus. Mike war #252;ber die Worte des Kriegers h#246;chst verwirt, wagte es aber nat#252;rlich nicht ihn anzusprechen, sondern ging schnell und mit gesenktem Kopf neben ihm her.

Im Lager herrschte Totenstille, was aber angesichts der Zeit nur normal war. Das gute Dutzend runder, aus Korallen erbauter H#228;user beherbergte etwa hundert Menschen, von denen der allergr#246;#223;te Teil Arbeiter und nur eine Hand voll W#228;chter waren, und sie alle mussten m#252;de und vollkommen ersch#246;pft von dem hinter ihnen liegenden Arbeitstag sein. Wahrscheinlich hatte noch nicht einmal jemand gemerkt, dass der Krieger zur#252;ckgekommen war.

Es schien ihm auch, als ob sich der Krieger besonders vorsichtig und leise bewegte, fast so, als lege er Wert darauf, dass niemand etwas von seinem Hiersein bemerkte. Auch das konnte nat#252;rlich nicht sein. Ein Krieger musste auf nichts und niemanden R#252;cksicht nehmen.

Sie durchquerten die Siedlung sehr schnell und drangen in den Wald ein, der ihre n#246;rdliche Grenze bildete. Es war die einzige Richtung, in der sie #252;berhaupt gehen konnten – in der anderen gab es nur noch die Korallengruben. Nach drei#223;ig oder vierzig Schritten jedoch blieb der Krieger stehen.

»Du wartest hier«, bestimmte er. »Wenn jemand kommt, dann versteckst du dich. Ich bin bald wieder zur#252;ck.«

Er gab Mike gar keine Gelegenheit zu antworten, sondern fuhr auf dem Absatz herum und verschwand mit schnellen Schritten in der Richtung, aus der sie gekommen waren. Mike fragte sich, ob er vielleicht etwas vergessen hatte. Aber er konnte sich gar nicht erinnern, dass er irgendetwas bei sich gehabt h#228;tte, als er ins Haus gekommen war.

Hinter ihm raschelte etwas. Mike fuhr erschrocken herum und blickte in ein schwarzes, ein#228;ugiges Gesicht, das ihn aus dem Unterholz heraus anstarrte.

Er hat in der Tat etwas vergessen,wisperte die Stimme des Felltiers in seinem Kopf.Es gibt da noch etwas, was er dem W#228;chter geben muss. Es ist ungef#228;hr f#252;nfzig Zentimeter lang und aus Stahl.

Es dauerte einen Moment, bis Mike wirklich begriff, was ihm das Felltier damit sagen wollte. »Du meinst, er will ihn ... t#246;ten?«Du begreifst aber schnell,sagte das Felltier sp#246;ttisch. »Aber warum?«

Damit er auch wirklich Wort h#228;lt und niemandem sagt, dass er hier war und dich mitgenommen hat,

antwortete das Felltier.

Mike schauderte. Nat#252;rlich war ihm klar gewesen, dass der Aufseher kein Stillschweigen wahren w#252;rde – aber das war doch kein Grund, einen Menschen umzubringen!

Hier schon,antwortete das Felltier, das offensichtlich wieder seine Gedanken gelesen hatte.Ein Menschenleben ist nicht viel wert. Hier jedenfalls nicht.

»Aber ... aber sie werden den toten W#228;chter finden!«, murmelte Mike. »Und wenn niemand wei#223;, dass der Krieger mich mitgenommen hat ...« Ein neuer, eisiger Schrecken durchfuhr ihn. »... dann werden sie glauben,ichh#228;tte ihn get#246;tet und w#228;re dann geflohen.«

Stimmt,antwortete das Felltier sp#246;ttisch.Aber glaube mir, das ist im Moment noch das kleinste Problem!

»Was meinst du damit?«, fragte Mike.

Die Tatsache, dass du diese Frage stellst, beweist schon, dass es vollkommen sinnlos w#228;re, sie dir zu beantworten,sagte das Felltier.Junge, Junge, da werde ich noch eine ganze Menge zu tun haben, um deinen k#252;mmerlichen Denkapparat wieder umzukrempeln.

»W#252;rde es dir etwas ausmachen, nicht andauernd in R#228;tseln zu sprechen?«, fragte Mike #228;rgerlich.

Dastue ich doch,antwortete das Felltier. Mike war sicher, ein Grinsen auf seinem Gesicht zu sehen.Ich komme wieder, sobald die Luft rein ist.

Damit verschwand das Tier. Mike blickte noch eine Weile verwirrt in den Wald und versuchte vergeblich seinen Worten irgendeinen Sinn abzugewinnen. Alles war so ... merkw#252;rdig. Und es machte ihm immer mehr Angst.

Nach nicht allzu langer Zeit kam der Krieger zur#252;ck. Er sagte kein Wort und wirkte sogar entspannt, als w#228;re er nur einmal kurz zur#252;ckgegangen, weil er vergessen hatte sich zu

verabschieden. Aber das Schwert, das er an seiner Seite trug,

war blutig.

Sie marschierten bis zum Ende der Schlafenszeit, dann wich der Krieger vom Weg ab und sie drangen ein geh#246;riges St#252;ck weit in den Wald ein. Mike war nicht wohl dabei: Der Wald war gef#228;hrlich. Man konnte sich verirren und es gab gef#228;hrliche Tiere. Ihm fiel aber auch auf, dass der Krieger gro#223;e Sorgfalt darauf verwandte, keinerlei Spuren zu hinterlassen.

Gute f#252;nfhundert Schritt abseits des Waldes fanden sie eine kleine Lichtung, auf der sie sich niederlegten und einige Stunden schliefen. Mike hatte Angst davor einzuschlafen, denn m#246;glicherweise w#252;rden die Tr#228;ume zur#252;ckkommen und die unheimlichen Bilder.

Aber er war ersch#246;pft und sein K#246;rper verlangte sein Recht. Erst lange nach Mittag wachte er wieder auf, ausgeruht und ohne die Erinnerung an irgendwelche Tr#228;ume und mit dem verlockenden Geruch von gebratenem Fleisch in der Nase.

Als er sich aufrichtete, sah er den Krieger mit untergeschlagenen Beinen neben sich sitzen. Vor ihm brannte ein flackerndes Feuer, #252;ber dem unterschiedlich gro#223;e Fleischst#252;cke an einem Stock brieten. Schon der Geruch lie#223; Mike das Wasser im Munde zusammenlaufen. Sein Magen knurrte h#246;rbar.

Das war ihm sehr peinlich, aber der Krieger l#228;chelte nur, nahm eines der Fleischst#252;cke vom Feuer und

reichte es ihm. Z#246;gernd griff Mike zu. Das Fleisch war so hei#223;, dass er sich Finger und Zunge verbrannte, aber es war das K#246;stlichste, was er jemals gegessen hatte. Fleisch war nichts, was man jeden Tag bekam. Und ein so gutes St#252;ck wie dieses hatte er noch nie gehabt.

»Schmeckt es?«, fragte der Krieger am#252;siert. Mike nickte. »Es ist fantastisch«, sagte Mike mit vollem Mund. Bratensaft tropfte an seinem Kinn herab. »So etwas Gutes habe ich noch nie gegessen. Was ist es?« »Raubkrabbe«, antwortete der Krieger. Mike blieb der Bissen im wahrsten Sinne des Wortes im Halse stecken und das Glitzern in den Augen

des Kriegers wurde noch sp#246;ttischer. »Nur keine Hemmungen«, sagte er. »Es gibt keinen Grund, aus dem

sie uns nicht ebenso gut schmecken sollten, wie wir ihnen.« Mike kaute fast widerwillig weiter, aber der Krieger hatte vollkommen Recht: Das Fleisch des Tieres schmeckte k#246;stlich.

»Hast du gut geschlafen?«, fragte der Krieger. »Ja, Herr«, antwortete Mike. Der Krieger verzog das Gesicht. »H#246;r auf, mich Herr zu nennen. Mein Name ist Sarn.« »Sicher, Herr«, sagte Mike, schluckte den Bissen hinunter, an dem er gekaut hatte, und verbesserte sich: »Sarn.«

»Gut«, sagte Sarn. »Wir marschieren weiter, sobald du gegessen hast. Kannst du klettern?« Mike

antwortete nicht gleich. So verr#252;ckt es klang: Er wusste es nicht. »Ich ... hoffe es«, sagte er z#246;gernd. »Nun, wir werden es herausfinden«, sagte Sarn. »Kannst du dich jetzt besser erinnern? An diese seltsamen Namen, von denen du gesprochen hast? Oder das Felltier?«

Astaroth. Der Name stand pl#246;tzlich und so klar in seinem Bewusstsein, dass er sich unwillk#252;rlich umsah, ob das Felltier vielleicht in der N#228;he stand und wieder auf seine unheimliche lautlose Weise mit ihm sprach. Sie waren jedoch allein. Nach einigen Augenblicken sch#252;ttelte er den Kopf.

»Du musst dich erinnern«, sagte Sarn eindringlich. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie wichtig es ist. Nicht nur f#252;r dich.« »Wichtig?«, wiederholte Mike verst#246;rt. Er lachte unsicher. »Wie k#246;nnte jemand wie ich wichtig sein?« »Jemand wie du?«, fragte Sarn mit seltsamer Betonung. »Wer bist du denn? Erz#228;hl mir etwas #252;ber dich.« »Da gibt es nichts zu erz#228;hlen«, antwortete Mike spontan. »Ich arbeite in den Korallenbr#252;chen. Das ist

alles.«

»Und warum?«, wollte Sarn wissen. »Du bist noch sehr jung. Die Arbeit hier unten ist eine harte Strafe. Was hast du getan, dass man dich dazu verurteilt hat?« Mike dachte eine Weile #252;ber diese Frage nach, aber dann zuckte er mit den Schultern. »Du wei#223;t es nicht«, sagte Sarn in einem Ton, als h#228;tte er genau diese Antwort erwartet. »Gut. Dann

erz#228;hl mir etwas #252;ber dich. Wo kommst du her? Wer sind deine Eltern? Was hast du getan, bevor du

hierher geschickt wurdest?« Mike schwieg. Er wusste es nicht. Es war unheimlich. Er konnte sich an nichts erinnern, was l#228;nger als ein paar Wochen

zur#252;cklag. Es war, als h#228;tte sein Leben vorher gar nicht existiert. Und was vielleicht das Unheimlichste #252;berhaupt war: Bevor Sarn seine Fragen gestellt hatte, hatte er

noch nie auch nur dar#252;bernachgedacht.»Das dachte ich mir«, seufzte Sarn. »Du bist einer von denen, nach denen wir suchen.« »Wir?« »Sei mir nicht b#246;se, wenn ich darauf noch nicht antworte«, sagte Sarn. »Du wirst alles erfahren, sobald

wir in Sicherheit sind.« In Sicherheit? Mike hatte bisher noch gar nicht gewusst, dass sie in Gefahr waren. Und er hatte das

sichere Gef#252;hl, dass Sarn nicht von den wilden Tieren und gef#228;hrlichen Pflanzen sprach, die es ringsum im Wald gab.

»Das alles muss dich ziemlich verwirren«, sagte Sarn.

»Aber das kann ich dir nicht ersparen. Du musst dich erinnern, Mike.«

»Aber woran?«

»An dein Leben«, sagte Sarn. »Du hast damit schon angefangen. Versuch es weiter. Jede Kleinigkeit ist wichtig. F#252;r dein Leben und f#252;r die Freiheit vieler Menschen. Vielleicht f#252;r ganz Lemura.«

Er vertilgte sein letztes St#252;ck Fleisch, stand auf und l#246;schte mit gro#223;er Sorgfalt das Feuer. Anschlie#223;end gab er Mike ein Zeichen, sieh ebenfalls zu erheben.

Sie gingen zum Weg zur#252;ck. Sarn gebot ihm am Waldrand zu warten. Mike beobachtete mit wachsender Beunruhigung, dass er den Weg sorgsam auf Spuren untersuchte, ehe er ihm erlaubte ihm zu folgen. Er sagte nichts, aber sein Benehmen machte klar, dass er damit rechnete, verfolgt zu werden. Mike konnte sich nur nicht erkl#228;ren, von wem. Krieger hatten keine Feinde. Es gab in ganz Lemura niemanden, den Sarn h#228;tte f#252;rchten m#252;ssen. Mike wagte es jedoch nicht, eine entsprechende Frage zu stellen.

Zwei, vielleicht auch drei Stunden marschierten sie in scharfem Tempo dahin, dann erreichten sie die Stelle, an der der Weg scharf nach Westen abknickte, um dem Gro#223;en Abgrund auszuweichen und anschlie#223;end zum Aufstieg zur n#228;chsten Ebene zu f#252;hren. Mike erwartete nat#252;rlich, dass sie ihm weiter folgen w#252;rden, und er war nicht wenig #252;berrascht, als Sarn den Kopf sch#252;ttelte und in die entgegengesetzte Richtung wies.

»Dorthin?«, vergewisserte er sich. »Aber dort liegt der Gro#223;e Abgrund!«

»Ich wei#223;«, antwortete Sarn mit einem sanften L#228;cheln. Mehr sagte er nicht und nat#252;rlich wagte es Mike auch nicht, eine weitere Frage zu stellen. Sich #252;berhaupt zu vergewissern, ob die Entscheidung des Kriegers richtig war, ja, seine Entscheidung gewisserma#223;en in Frage zu stellen, grenzte an Selbstmord. Aber indem Sarn ihm gestattet hatte, ihn mit seinem Namen anzureden, hatte er die Distanz zwischen ihnen verringert. Mike war nur nicht sicher, ob ihm das gefiel oder ob es ihm eher Angst machen sollte.

Die Richtung jedenfalls, in der sie sich nun bewegten, gefiel ihm eindeutig nicht. Vor ihnen lagen nur noch dichter Wald, drei, vielleicht vier Wegstunden tief, und danach das Ende der Welt; der Gro#223;e Abgrund. Wohin f#252;hrte ihn Sarn?

Selbst wenn Mike es gewagt h#228;tte, den Krieger danach zu fragen, h#228;tte er w#228;hrend der n#228;chsten Stunden gar keine Gelegenheit dazu gefunden, denn allein das Gehen beanspruchte seine gesamten Kr#228;fte. Der Wald war hier viel dichter als der, in dem sie zuvor geschlafen hatten. Mehr als einmal musste der Krieger sein Schwert zu Hilfe nehmen, um sich einen regelrechten Pfad durch das dichte Unterholz zu hacken, und ein paar Mal schien selbst das nichts mehr zu nutzen. Sie erreichten das Ende des Waldes erst, als die Schlafenszeit fast heran war. Mike war mit seinen Kr#228;ften am Ende und selbst der Krieger wirkte ersch#246;pft und m#252;de. Das wunderte Mike. Er hatte immer geglaubt, dass Krieger keine M#252;digkeit kennen. Konnte es sein, dass die g#246;ttliche Gestalt, neben der er ging, ein paar durchaus menschliche Schw#228;chen hatte?

Sarn gab ihm mit Zeichen zu verstehen, dass er sich setzen und eine Weile ausruhen sollte, schien sich aber selbst noch keine Pause g#246;nnen zu wollen. Mike sah erstaunt zu, wie er sich einen Moment suchend umblickte und dann mit gro#223;em Geschick auf den h#246;chsten Baum stieg, den es in unmittelbarer Umgebung gab. Da die Bl#228;tterkrone des Waldes sehr dicht war, entschwand er schon bald seinen Blicken und Mike war allein.

Er wagte es nicht, Sarns Aufforderung Folge zu leisten und sich zu setzen. Auch wenn sie auf dem Weg hierher nicht viel davon zu Gesicht bekommen hatten, so wusste er doch, dass der Wald voller Leben war. Gef#228;hrlichem Leben. So blieb er angestrengt lauschend und mit heftig klopfendem Herzen stehen, bis Sarn zur#252;ckkehrte.

Der Krieger sah besorgt aus. »Sie sind uns auf den Fersen«, sagte er.

»Sie? Von wem sprichst du?« Mike fuhr erschrocken zusammen, als ihm klar wurde, dass ihm ganz versehentlich das vertraute »du« herausgerutscht war. Der Krieger machte jedoch keine Anstalten, ihm f#252;r diese Verfehlung die Zunge herauszuschneiden, sondern beantwortete seine Frage. Oder auch nicht, denn er sagte kopfsch#252;ttelnd: »Wenn wir Gl#252;ck haben, wirst du das nicht erfahren. Es tut mir Leid, aber wir k#246;nnen keine Rast einlegen. Sie kommen rasch n#228;her. Ich f#252;rchte, sie haben einen Spurensucher bei sich.«

Er machte eine Kopfbewegung nach vorne und Mike erschrak abermals. Vor ihnen lag n#228;mlich kein Wald mehr, sondern der Gro#223;e Abgrund – der streng genommen keinAbgrundwar, sondern eine hundert Mannsl#228;ngen lotrecht aufstrebende Wand aus Fels und Korallen. Den Namen Gro#223;er Abgrund hatten die Menschen Lemuras gepr#228;gt, die oberhalb der Felswand lebten.

Was aber nichts daran #228;nderte, dass Mike allein beim Anblick dieser Wand die Knie schlotterten. Nun, zumindest war ihm jetzt klar, warum Sarn ihn gefragt hatte, ob er klettern konnte ...

»Wir werden vier Stunden brauchen, um dort hochzukommen«, sagte Sarn besorgt. »Wenn nicht mehr. Sie werden uns sehen.«

»Warum warten wir dann nicht, bis es Nacht ist?«, schlug Mike vor. Erst als er die Worte bereits ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, was er gesagt hatte.

Das hei#223;t: Genau genommen wurde es ihmnichtklar. Er blinzelte verwirrt.

»Nacht?«, wiederholte Sarn fragend. »Was meinst du damit?«

»Keine Ahnung«, gestand Mike achselzuckend. »Es ist mir einfach so eingefallen.«

»Offenbar kommen deine Erinnerungen zur#252;ck«, sagte Sarn, aber Mike sch#252;ttelte traurig den Kopf.

»Nur die Worte«, sagte er. »Sie bedeuten mir nichts.«

»Noch nicht.« Sarn machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der Zauber verliert seine Wirkung. Das hatte ich gehofft. Vielleicht kannst du dich in ein paar Tagen bereits wieder an alles erinnern. Aber jetzt m#252;ssen wir daf#252;r sorgen, dass du auch lange genug am Leben bleibst, um dich zu erinnern. Komm!«

Mike folgte dem Krieger; widerwillig, aber sehr schnell. Die Wand kam ihm immer h#246;her vor, je mehr er sich ihr n#228;herte. Als sie an ihrem Fu#223; angelangt waren, schien sie bis zur Himmelskuppel zu reichen, ann#228;hernd drei Meilen #252;ber ihnen.

Z#246;gernd begann er neben Sarn an der Wand emporzusteigen. Anfangs ging es besser, als er erwartet hatte. Die Wand war zwar vollkommen senkrecht, war aber rissig und por#246;s, sodass seine Finger und Zehen genug Halt fanden. Au#223;erdem erwies er sich als geschickterer Kletterer, als selbst Sarn erwartet zu haben schien, denn der Krieger warf ihm #252;berraschte Blicke zu. Er sagte nichts, aber mit Sicherheit hatte er erwartet, auf Mike R#252;cksicht nehmen zu m#252;ssen. Das Gegenteil war der Fall. Zumindest auf den ersten Metern musste Sarn sich bem#252;hen, um mit Mike Schritt zu halten, nicht umgekehrt.

Aber das blieb nicht allzu lange so. Mikes Kr#228;fte erlahmten bald und die scharfkantigen Korallen, aus denen die Wand zum gro#223;en Teil bestand, scheuerten seine Finger wund. Sie hatten noch nicht ein Viertel erstiegen, als sie zum ersten Mal Halt machen mussten.

Sarn hatte einen schmalen Sims ausgemacht, der Platz f#252;r sie beide bot, wenn sie sich ein bisschen quetschten. Er kletterte voraus, half Mike das schmale Felsband ebenfalls zu erklettern und lehnte sich dann mit Schultern und Hinterkopf gegen den Stein, um die Augen zu schlie#223;en. Mike wurde allein bei dem Gedanken #252;bel. Unter ihnen g#228;hnte f#252;nfzig Meter nichts und dann ziemlich harter Korallenboden. Sarn jedoch schien das nichts auszumachen. Mike hatte das Gef#252;hl, dass er diese waghalsige Kletterpartie nicht zum ersten Mal hinter sich brachte.

Es tat ungemein wohl, seinen m#252;den Gliedern endlich ein wenig Erholung g#246;nnen zu k#246;nnen. Mit der Ruhe kam auch die M#252;digkeit zur#252;ck, aber er getraute sich nicht im Sitzen zu schlafen wie Sarn.

Um nicht aus Versehen einzuschlafen, was mit Sicherheit zu einem t#246;dlichen Sturz in die Tiefe gef#252;hrt h#228;tte, lie#223; er seinen Blick aufmerksam #252;ber das gr#252;nbraune Bl#228;tterdach des Waldes tief unter sich schweifen. Nach einer Weile entdeckte er eine Bewegung tief unter ihnen, aber nicht mehr allzu weit vom Fu#223; der Wand entfernt. Zwei, drei, vier Gestalten in schwarzen M#228;nteln und bronzefarbenen Brustharnischen und Helmen bahnten sich mit blitzenden Schwertern einen Weg durch den Wald.

»Das ... das sind ...Krieger!«,entfuhr es ihm.

Sarn #246;ffnete die Augen. Er hatte nicht geschlafen, sondern nur

ausgeruht. »Und zwar die besten«, sagte er leise. »Argos#180;

Palastwache.«

»Aber wieso ... wieso laufen wir vor ihnen davon?«, fragte Mike verst#228;ndnislos.

»Weil sie mich t#246;ten w#252;rden, wenn ich ihnen in die H#228;nde fiele«, antwortete Sarn. »Und ich f#252;rchte, dich auch.«

»T#246;ten? Aber wieso denn? Du bist doch auch ein Krieger! Ein Mann wie sie!«

»Nein!« Sarns Widerspruch kam unerwartet heftig.

»Ich war einmal wie sie, das ist wahr. Aber es ist lange her. Ich geh#246;re zum Widerstand, wei#223;t du?«

Mike hatte keine Ahnung, was derWiderstandwar.

»Bis gestern wusste niemand davon«, fuhr Sarn fort. »Ich habe im Geheimen gearbeitet. Als Krieger im Dienst der Herrschenden war ich dem Widerstand von gro#223;em Nutzen. Aber damit ist es nun vorbei.« Er seufzte und sah Mike an. »Ich hoffe, es war das Opfer wert ... F#252;hlst du dich stark genug, um weiterzuklettern?«

Die ehrliche Antwort auf diese Frage w#228;re ein ganz klares Nein gewesen. Aber dann sah Mike wieder nach unten. Die Krieger waren schon n#228;her gekommen. Nicht mehr lange und sie w#252;rden ebenfalls damit beginnen, an der Wand emporzuklettern.

»Ich bin nicht sicher, ob ich es bis oben schaffe«, sagte er.

»Das musst du auch nicht«, antwortete Sarn geheimnisvoll. »Wir haben schon mehr als die H#228;lfte. Komm, weiter!«

Sie setzten ihren Aufstieg fort. Die kurze Rast hatte nicht gereicht, seine Kr#228;fte wirklich wieder zu erneuern. Seine H#228;nde

bluteten mittlerweile und jeder Muskel in seinem K#246;rper tat weh.

Aber Sarn trieb ihn unbarmherzig an.

Stunden, wie es Mike vorkam, kletterten sie weiter, ohne dass das Ende der Felswand sichtbar n#228;her zu kommen schien. Mike hatte l#228;ngst den Punkt #252;berwunden, an dem er der Meinung war, einfach nicht mehr weiter zu k#246;nnen, aber Sarn gestattete ihm nicht die geringste Pause. Als Mike einmal zuf#228;llig einen Blick in die Tiefe warf, da wurde ihm nicht nur sofort schwindelig, er verstand auch, wieso Sarn ihn so unbarmherzig antrieb.

Unter ihnen kletterten vier Gestalten in wehenden schwarzen M#228;nteln die Wand empor und bewegten sich deutlich schneller als sie.

»Wir haben es fast geschafft«, keuchte Sarn. »Sie werden uns nicht einholen, hab keine Angst.«

Mike sah verwirrt nach oben. Sie hatten etwas mehr als die H#228;lfte der Wand hinter sich. Die Anstrengung musste Sarns Sinne verwirrt haben! Trotzdem kletterte er verbissen weiter. Zur#252;ck ging es nicht mehr und vielleicht w#252;rden die Kr#228;fte der Verfolger ja irgendwann einmal erlahmen.

Pl#246;tzlich war Sarn #252;ber ihm einfach verschwunden, doch bevor Mike auch nur richtig erschrecken konnte, tauchten Kopf, Schultern und rechter Arm des Kriegers wieder auf. Er winkte aufgeregt mit der Hand.

»Schnell!«, rief er. »Noch ein kleines St#252;ck und du hast es geschafft!«

Mike mobilisierte seine letzten Kr#228;fte. Trotzdem musste Sarn nach unten greifen und ihm auf dem letzten St#252;ck helfen.

Schwer atmend und so ersch#246;pft, dass ihm vor Schw#228;che fast #252;bel wurde, fand sich Mike schlie#223;lich in einem schmalen, schr#228;g in den Fels hineinf#252;hrenden H#246;hleneingang wieder. Das Licht reichte nur einige Schritte weit; danach herrschte absolute Finsternis. Aber Mike sp#252;rte, dass der Stollen noch sehr tief in den Felsen hineinreichen musste.

»Was ist –«, begann er, nachdem er wieder halbwegs zu Atem gekommen war, aber Sarn unterbrach ihn mit einer hastigen Bewegung.

»Keinen Laut!«, zischte er. »Und keine schnellen Bewegungen. Wenn sie uns entdecken, ist es aus.«

Sie? dachte Mike erschrocken. Wovon sprach Sarn? Vorsichtig drehte er sich herum und blickte angestrengt in die Dunkelheit der H#246;hle hinein. Sie war nicht so total, wie er im ersten Augenblick angenommen hatte. An den W#228;nden gab es unterschiedlich gro#223;e Fl#228;chen gr#252;ner Leuchtalgen. Wenn sich ihre Augen erst einmal umgestellt hatten, w#252;rden sie wahrscheinlich wenigstens genug sehen k#246;nnen, um nicht #252;ber ihre eigenen F#252;#223;e zu stolpern. Irgendetwas bewegte sich in diesem gr#252;nen Zwielicht. Mike konnte nicht genau erkennen, was, aber in Verbindung mit Sarns Worten machte es ihm Angst. Als er einige Augenblicke gelauscht hatte, h#246;rte er ein unheimliches Kratzen und Schaben.

Sarn warf einen Blick nach drau#223;en, nickte dann zufrieden und richtete sich sehr behutsam auf. Ebenso langsam griff er unter seinen Mantel und zog einen ledernen Beutel hervor. Mike sah verwirrt zu, wie er mit der Hand hineingriff und eine graue, unappetitlich riechende und nicht besonders h#252;bsch aussehende Paste herausnahm, mit der er sich sorgf#228;ltig Gesicht, Arme und Oberschenkel einrieb. Als er fertig war, gab er den Beutel an Mike weiter.

»Hier! Reib dich damit ein. Aber gr#252;ndlich.«

Mike warf einen missmutigen Blick in den Beutel. »Es stinkt«, sagte er.

Sarn nickte. »Was meinst du, wieduerst stinkst, wenn du ein paar Tage tot bist«, sagte er. »Nun mach schon.«

Was blieb Mike schon anderes #252;brig als Sarn zu gehorchen? Angeekelt griff er in den Beutel, nahm eine Hand voll der stinkenden Masse heraus und rieb sich gr#252;ndlich jedes bisschen sichtbare Haut damit ein. Als er fertig war, stank er wie ein toter Fisch. Ein schon ziemlich lange toter Fisch.

Sarn verstaute seinen Beutel sorgsam wieder, hielt sich mit der linken Hand am Felsen fest und beugte sich wieder vor, um nach den Verfolgern zu sehen. Dann tat er etwas, was Mike einfach nicht verstand.

»Heda!«, br#252;llte Sarn, so laut er konnte. »Kommt ruhig her, wenn ihr euch traut! Wir werden euch entsprechend empfangen!«

Jetzt zweifelte Mike wirklich an seinem Verstand. Nicht nur, dass Sarn ihm gerade selbst eingesch#228;rft hatte, nur ja leise zu sein – Mikes Meinung nach hatten ihre Chancen gar nicht so schlecht gestanden, dass die Verfolger die schmale Felsplatte einfach #252;bersahen. Er selbst jedenfalls h#228;tte sie nicht einmal bemerkt, w#228;re Sarn nicht praktisch vor seiner Nase darin verschwunden. Jetzt gab es diese M#246;glichkeit nat#252;rlich nicht mehr.

Sarn machte jedoch durchaus den Eindruck, als wisse er, was

er tat. Mit einem zufriedenen Ausdruck im Gesicht drehte er sich

zu Mike herum.

»Jetzt werden sie uns finden!«, sagte Mike.

»Na, das will ich doch hoffen«, antwortete Sarn. Er deutete in die gr#252;ne D#228;mmerung hinter Mike. »Folge mir. Beweg dich ganz langsam und gib keinen Laut von dir, ganz egal, was passiert!«

Er ging los, mit kleinen, sehr vorsichtigen Schritten, und Mike folgte ihm auf dieselbe Weise. Sein Herz klopfte. Er glaubte jetzt immer deutlicher eine huschende, unheimliche Bewegung vor sich wahrzunehmen, konnte aber immer noch nicht genau erkennen, worum es sich handelte.

Als er es dann endlich sah, war er #252;berrascht, aber nicht wirklich erschrocken.

In dem gr#252;nen D#228;mmerlicht tauchte ein sonderbares Gesch#246;pf auf. Es war nicht einmal so gro#223; wie seine Hand und #228;hnelte einer Krabbe, besa#223; aber acht Beine anstelle von sechs und zwei unterschiedlich gro#223;e Scheren. Die eine war winzig und sah fast so aus wie eine zweifingerige Hand, die andere daf#252;r umso gr#246;#223;er, eine f#252;r ein so kleines Gesch#246;pf m#228;chtige Waffe, der Mike es durchaus zutraute, einem Menschen einen Finger abzuknipsen. Das Tier hatte einen gr#252;nbraunen, ziemlich massiv aussehenden Panzer und bewegte sich seitw#228;rts, statt geradeaus zu gehen. Es sah sonderbar aus, aber nicht sehr bedrohlich.

Sarn schien das anders zu sehen, denn er erstarrte regelrecht zur Salzs#228;ule. Das Tier hielt eine Handbreit vor seinen F#252;#223;en an, bewegte unsicher die gr#246;#223;ere Schere und musterte Sarn dabei aus seinen grotesken, auf langen Stielen sitzenden Augen. Nach einigen Sekunden trippelte es wieder seitw#228;rts davon und verschwand in der Dunkelheit, aus der es gekommen war.

Als Mike ihm mit Blicken folgte, stockte ihm fast der Atem. Und pl#246;tzlich verstand er nur zu gut, warum Sarn sich so verhielt.

Die W#228;nde waren schwarz von kleinen Krabbentieren.

Es mussten nicht Hunderte, sondern im wahrsten Sinne des Wortesunz#228;hligesein. Sie krabbelten einzeln #252;ber den Boden, hingen in gro#223;en Trauben an den W#228;nden, krochen #252;bereinander her und flitzten manchmal sogar an der Decke entlang. Nicht allen gelang es. Eines der Tiere verlor den Halt und fiel nur ein kleines St#252;ck vor Sarns F#252;#223;en herab, richtete sich aber sofort wieder auf und verschwand. Sein Panzer schien #228;u#223;erst stabil zu sein.

Die Zahl der Tiere nahm noch zu, je weiter sie in die H#246;hle eindrangen. Die W#228;nde waren jetzt total von gr#252;nen Leuchtalgen bedeckt; trotzdem bewegten sie sich eine Zeit lang durch fast v#246;llige Dunkelheit, weil die Masse der Krabbentiere das Licht einfach verschluckte. Und mit jedem Schritt, den sie taten, hatte Mike mehr das Gef#252;hl, aus unheimlichen Augen angestarrt zu werden.

Sarn blieb immer wieder stehen, wenn eines der Tiere seinen Weg kreuzte oder ihm nahe kam.

Auf diese Weise brauchten sie eine geraume Weile, bis sie das Ende des Stollens erreicht hatten. Der Fels bildete hier eine regelrechte Treppe aus unterschiedlich hohen asymmetrischen Stufen, auf denen die Zahl der Krabbentiere abnahm. In dem dahinter liegenden Teil der H#246;hle herrschte wieder helleres Licht. Dort bedeckten keine Krabben die W#228;nde.

Er zitterte am ganzen Leib, als sie das obere Ende des Absatzes erreicht hatten. Er wollte weitergehen, aber Sarn sch#252;ttelte den Kopf und lie#223; sich unmittelbar an der Kante niedersinken.

»Warte«, fl#252;sterte er schwer atmend. »Nur einen Moment.«

Mike war davon nicht begeistert. Sie waren aus dem Tunnel der Krabben heraus, aber er hatte ja selbst gesehen, wie schnell sich die kleinen Gesch#246;pfe bewegen konnten. Die Treppe w#252;rde sie nur Sekunden aufhalten.

Sie mussten sich nicht allzu lange gedulden. Das Ende des Tunnels, durch das sie selbst hereingekommen waren, war als m#252;nzgro#223;er Lichtfleck in der Entfernung zu sehen. Nach kaum f#252;nf Minuten tauchte der Umriss des ersten Verfolgers darin auf, dann der zweite, dritte, vierte. Mike konnte sehen, dass sich die M#228;nner aufrichteten und umsahen.

»Wir sollten sie warnen«, fl#252;sterte Mike.

Sarn nickte. »Ganz wie du meinst.« Dann richtete er sich auf, bildete mit den H#228;nden einen Trichter vor dem Mund und schrie, so laut er konnte: »He! Geht nicht weiter! Es ist euer sicheres Verderben!«

Mike keuchte. Sarns Worte schallten als vielfach gebrochenes Echo von den W#228;nden zur#252;ck und sie l#246;sten auch ein sichtbares Echo unter den Krabben aus. Die Tiere bewegten sich unruhig. Ein zischelndes Rasseln erklang; wie Millionen Kieselsteine, die #252;bereinander rollten.

Der erhoffte Erfolg blieb jedoch aus. Die M#228;nner vorne am H#246;hleneingang machten nicht kehrt, sondern kamen im Gegenteil rasch auf sie zu. Von der Gefahr, in die sie sich begaben, hatten sie offenbar keine Ahnung.

»Bleibt stehen, ihr Dummk#246;pfe!«, schrie Sarn. »Ihr lauft in den Tod!«

Diesmal begannen einige der Krabben tats#228;chlich in ihre Richtung zu kriechen. Sarn nahm jedoch keinerlei Notitz davon, sondern sah zu, wie die M#228;nner rasch n#228;her kamen. Die zwei, drei Krabben, die vor ihnen #252;ber die Kante gekrochen kamen, schleuderte er mit Fu#223;tritten in die Tiefe zur#252;ck.

Dann jedoch b#252;ckte er sich pl#246;tzlich, hob eine der Krabben auf und schleuderte sie mit einer m#228;chtigen Bewegung in den Tunnel hinein. Das Tier traf einen der M#228;nner an der Schulter und prallte ab. Der Mann stolperte mit einem #252;berraschten Schrei zur#252;ck – und in dem von tr#252;bgr#252;nem Licht erf#252;llten Tunnel unter ihnen brach die H#246;lle los.

Die gesamten W#228;nde gerieten in Bewegung. Es schien, als ob sich der Tunnel selbst auf die M#228;nner st#252;rzte und sie einfach verschlang. Gellende Schreie erklangen und das Zischeln und Rasseln steigerte sich zu gewaltiger Lautst#228;rke.

Sarn packte Mike an der Schulter, wirbelte ihn herum und riss ihn einfach mit sich.

»Du hast sie ... umgebracht!« Mikes Stimme zitterte noch immer, obwohl es gute zehn Minuten her war, seit sie diesen Teil der H#246;hlen erreicht und sich zum Ausruhen auf den Felsen niedergelassen hatten. Sie waren nicht mehr in Gefahr; die Krabben waren zwar schnell, aber nicht sehr ausdauernd; die Tiere hatten sie einige Schritte weit verfolgt und dann aufgegeben, wahrscheinlich, um sich ihren viel bequemer erreichbaren Opfern weiter vorne im Stollen zuzuwenden. Seither war ihnen kein lebendes Wesen mehr begegnet. Trotzdem h#228;mmerte Mikes Herz noch immer zum Zerrei#223;en und er war nach wie vor von einem kalten, l#228;hmenden Entsetzen erf#252;llt. Nur dass es jetzt einen vollkommen anderen Grund hatte.

»Du hast sie einfach umgebracht!«, sagte er noch einmal, als Sarn nicht antwortete. »Vier Menschen!«

»Vier M#228;nner der Palastgarde«, antwortete Sarn hart.

»Jeder von ihnen hat mindestens ein Dutzend Menschenleben auf dem Gewissen.« »Das ist doch kein Grund, sie einfach umzubringen!«, emp#246;rte sich Mike in scharfem Ton.

F#252;r einen Moment verfinsterte sich Sarns Gesicht vor Zorn und Mike konnte sehen, wie sich die Muskeln in seinen Schultern und Oberarmen spannten; als w#252;rde er zum Schlag ausholen. Dann aber seufzte er nur tief und sch#252;ttelte den Kopf. »H#228;tte ich noch einen Beweis gebraucht, dass du einer von denen bist, nach denen wir suchen, dann h#228;tte ich ihn jetzt«, sagte er. »Niemand w#252;rde es wagen, so mit einem Krieger zu sprechen.«

Mike erschrak bis ins Mark. F#252;r einen Moment hatte er einfach vergessen, wem er gegen#252;berstand. Und f#252;r einen weiteren Moment war er ganz sicher, dass Sarn ihn jetzt augenblicklich t#246;ten w#252;rde.

Sarn tat jedoch nichts dergleichen. Er wurde nicht einmal w#252;tend, sondern sagte im Gegenteil in fast vers#246;hnlichem Ton: »Ich h#228;tte sie nicht retten k#246;nnen, glaub mir. Sie waren im selben Moment verloren, in dem sie die H#246;hle betraten. Die Fangkrebse h#228;tten sie auf jeden Fall get#246;tet. Sie vernichten alles, was ihnen in den Weg kommt.«

»Uns haben sie auch verschont«, widersprach Mike.

Sarn fuhr sich mit den Fingern #252;ber das Gesicht und hielt sie Mike entgegen. »Wir hatten die Salbe«, sagte er. »Sie verdeckt unseren K#246;rpergeruch. Und wenn man sich langsam und vorsichtig bewegt, #252;bersehen sie einen manchmal. Aber nur manchmal. Ich war nicht sicher, ob wir es schaffen.«

»Wovon leben diese Tiere?«, fragte Mike. »Es m#252;ssen Tausende sein!«

»Sie gehen auf die Jagd«, antwortete Sarn. »Diese H#246;hlen hier sind ihr Jagdrevier. Deshalb k#246;nnen wir auch nicht lange bleiben. Wenn sie ausschw#228;rmen, dann ist nichts vor ihnen sicher ... Aber keine Angst.

Im Moment sind sie satt. Wir haben also ein wenig Zeit.«

Mike fand die letzte Bemerkung ziemlich geschmacklos. Deshalb ging er auch nicht weiter darauf ein, sondern fragte: »Wohin bringst du mich?«

»An einen geheimen Ort«, antwortete Sarn. »Die F#252;hrer des Widerstands wollen dich sehen. Ich und andere haben seit Wochen nach dir gesucht.« Er stand auf. »Und nun komm weiter. Die Fangkrebse sind nicht die einzige Gefahr, die in diesen H#246;hlen lauert.«

Sie marschierten weiter. Der Weg erwies sich tats#228;chlich als gef#228;hrlich, obgleich ihnen nicht ein einziges lebendes Wesen

begegnete, geschweige denn ein Raubtier. Doch was als kaum

sichtbarer Spalt im Fels begonnen hatte, das erwies sich mehr und mehr als gewaltiges unterirdisches Labyrinth, in dem sich Mike alleine schon nach wenigen Minuten hoffnungslos verirrt h#228;tte. Es war ihm ein R#228;tsel, wie Sarn hier die Orientierung behielt.

Doch selbst mit einem ortskundigen F#252;hrer grenzte es an ein Wunder, dass sie den Weg zur Oberfl#228;che hinauf schafften. Mehr als einmal mussten sie sich durch Spalten und Felsritzen quetschen, die kaum gro#223; genug schienen, einen Arm hindurchzustrecken, und ein paar Mal f#252;hrte der Weg durch gewaltige Hohlr#228;ume oder vorbei an Abgr#252;nden, die eine Meile oder mehr in die Tiefe f#252;hren mussten.

Als sie endlich wieder Tageslicht vor sich erblickten, hatte Mike kaum noch die Kraft, sich auf den F#252;#223;en zu halten. Sarn musste ihn auf den letzten Metern beinahe tragen.

Nach endlosen Stunden, die sie sich nur im blassen Schein der Leuchtalgen bewegt hatten, blendete ihn das im Grunde nicht einmal sehr intensive Licht der Himmelskuppel Lemuras fast. Er konnte nicht viel erkennen. Rings um sie herum war immer noch Wald, aber sie mussten sich wohl auf der oberen Ebene Lemuras aufhalten, denn weit hinter der gr#252;nen Mauer des Dschungels konnte er die schimmernden T#252;rme des K#246;nigspalastes erkennen.

»K#246;nnen wir jetzt ... ausruhen?«, murmelte er, w#228;hrend er mit h#228;ngenden Schultern an Sarn vorbeischlurfte.

»Sicher«, sagte Sarn. »Wir sind jetzt –warte!«

Das letzte Wort hatte er in einem erschrockenen Fl#252;stern hervorgesto#223;en. Gleichzeitig fuhr er herum, duckte sich halb und griff nach seinem Schwert.

»Was ist?«, fragte Mike alarmiert.

Sarn hob warnend die linke Hand und zog mit der anderen sein Schwert. »Still!«, sagte er. »H#246;rst du nichts?«

Mike lauschte, konnte aber keinen Laut vernehmen. »Jemand kommt«, sagte Sarn. »Zwei oder drei Mann. Schnell!«

Er st#252;rmte los und gab Mike ein Zeichen ihm zu folgen, aber er kam nur wenige Schritte weit. Pl#246;tzlich teilte sich das Unterholz vor ihm und ein Mann in der Kleidung eines Kriegers trat hervor. Einen Moment sp#228;ter raschelte es erneut und ein zweiter und dann ein dritter Mann traten aus dem Wald. Alle waren mit Schwertern und gro#223;en, runden Schilden bewaffnet.

Sarn schrie w#252;tend auf, riss seine Klinge in die H#246;he und attackierte den vor ihm stehenden Mann. Aber die stundenlange Flucht durch die H#246;hlen hatte ihren Preis gefordert: Der Mann musste sich nicht einmal anstrengen, um Sarns Hieb auszuweichen. Sarn stolperte an ihm vorbei und fiel auf die Knie. Der Krieger schlug ihm die flache Seite der Klinge in den Nacken. Sarn st#252;rzte, lie#223; seine Waffe fallen und rollte schwerf#228;llig auf den R#252;cken.

Einen Moment sp#228;ter war der Angreifer #252;ber ihm und setzte ihm das Schwert an die Kehle. »Begeh jetzt keinen Fehler, Sarn«, sagte er. »Ich m#246;chte dich nicht t#246;ten. Noch nicht.«

Eine starke Hand legte sich auf Mikes Schulter und einer der anderen Krieger trat neben ihn. Der dritte gesellte sich zu dem,

der Sarn #252;berw#228;ltigt hatte. Vielleicht trauten sie der

vermeintlichen Schw#228;che des Kriegers doch nicht so ganz.

»Du entt#228;uschst mich, Sarn«, sagte der erste Krieger kopfsch#252;ttelnd. »Du entt#228;uschst mich wirklich sehr. Ich habe dich f#252;r einen meiner besten M#228;nner gehalten. Und du hintergehst mich auf eine so schm#228;hliche Weise.« Er trat einen Schritt zur#252;ck und machte gleichzeitig eine auffordernde Bewegung mit seinem Schwert.

Sarn gehorchte, wenn auch erst nach kurzem Z#246;gern. Sein Blick wanderte zwischen den Gesichtern seiner ehemaligen Kameraden und Mike hin und her. In seinen Augen stand eine unendlich tiefe Entt#228;uschung geschrieben, aber er verzog keine Miene.

Nachdem er vergeblich auf eine Antwort gewartet hatte, trat der Kommandant kopfsch#252;ttelnd zur#252;ck und wandte sich zu Mike um. »Du bist also der Junge, um dessentwillen Sarn und der gesamte Widerstand ein solches Risiko eingehen«, sagte er.

»Davon wei#223; ich nichts«, antwortete Mike – und taumelte im n#228;chsten Moment zwei Schritte zur#252;ck. Sein Gesicht brannte so heftig, dass ihm die Tr#228;nen in die Augen schossen. Der Krieger hatte ihn ohne Vorwarnung geohrfeigt.

»Was f#228;llt dir ein, das Wort an mich zu richten, ohne dass ich dich dazu aufgefordert habe!«, fauchte er. »Tu es noch einmal und ich lasse dir die Zunge herausschneiden!«

Mike h#252;tete sich irgendetwas dazu zu sagen, sondern senkte hastig den Blick. Der Krieger starrte ihn noch einen Moment zornig an, dann fuhr er auf dem Absatz herum und deutete auf Sarn.

»Bindet ihn!«, befahl er. »Macht es gr#252;ndlich und passt auf.

Sarn ist gef#228;hrlich, selbst mit gebundenen H#228;nden. Und beeilt euch. Argos erwartet uns auf der Burg, noch ehe die Schlafenszeit beginnt!«

Mike wurde gepackt und grob herumgesto#223;en. Er war so m#252;de, dass er im Gehen h#228;tte einschlafen k#246;nnen.

Aber darauf nahmen die drei M#228;nner nat#252;rlich keine R#252;cksicht.

Es musste wohl wirklich so gewesen sein, dass er im Gehen eingeschlafen war, denn das N#228;chste, was er bewusst wahrnahm, war, dass er heftig gegen den R#252;cken seines Vordermannes prallte und dann noch heftiger zur#252;ckstolperte und zu Boden fiel, als dieser herumfuhr und ihn ohrfeigte.

Halb benommen st#252;rzte er zu Boden, blieb einen Moment liegen und rappelte sich dann hastig wieder hoch.

»Pass gef#228;lligst auf, wo du hinl#228;ufst, du T#246;lpel!«, knurrte der Mann, den er angerempelt hatte, und versetzt ihm einen unsanften Knuff in die Seite. »Das n#228;chste Mal kommst du nicht so glimpflich davon!«

Mike war klug genug, nichts zu sagen, aber er spuckte ein bisschen Blut aus. Ganz so glimpflich kam es ihm gar nicht vor...

»Lasst ihn in Ruhe«, mischte sich Sarn ein. »Ihr seht doch, dass der Junge vollkommen ersch#246;pft ist. Wollt ihr ihn als Leiche bei Argos abliefern?«

Etwas klatschte. Mike sah nicht hin, aber er nahm an, dass man nun auch Sarn geschlagen hatte, und dieselbe Stimme, die auch ihn angefahren hatte, sagte in h#228;mischem Ton: »Genau genommen sollen wir nur dich lebendig abliefern, Verr#228;ter. Ich wei#223; nur nicht, ob du dich dar#252;ber freuen solltest. Weiter jetzt!«

Mike wurde erneut grob vorw#228;rts gesto#223;en. Nachdem sich das Dr#246;hnen in seinem Kopf ein wenig gelegt hatte, begriff er, dass er wohl eine geraume Zeit mehr schlafend als wach hinter den M#228;nnern hergeschlurft sein musste, denn ihre Umgebung hatte sich stark ver#228;ndert. Statt durch dichten Wald marschierten sie nun einen gewundenen, sanft ansteigenden Weg entlang, zu dessen Seiten sich gro#223;e, offensichtlich gerade abgeerntete Felder erstreckten. Hier und da erhoben sich kleine, aus Fels und Korallenbruch erbaute H#252;tten und ungef#228;hr eine halbe Meile vor ihnen endete der Pfad vor einer gut zehn Meter hohen, bunt bemalten Wand; der Stadtmauer Lemuras, der Hauptstadt und gleichzeitig aber aucheinzigen Stadt des unterirdischen Reiches. #220;ber der Mauerkrone konnte Mike die D#228;cher der H#228;user erkennen und weit dar#252;ber wiederum die T#252;rme der schimmernden Burg, in denen Argos und die herrschende Kaste lebten. Er hatte kein sehr gutes Gef#252;hl. Seine Erinnerungen waren noch immer blockiert, aber allein beim Klang des Namens Argos lief ihm ein kalter Schauer #252;ber den R#252;cken. Und er empfand ein starkes Gef#252;hl von Entt#228;uschung.

Sie passierten das Stadttor, ohne aufgehalten zu werden. Der Hauptmann hob nur kurz die Hand und winkte einer der beiden Wachen am Tor zu und sie durften passieren.

Offensichtlich waren sie erwartet worden.

Mike sah sich neugierig um, als sie die Stadt betraten. Lemura war nicht besonders gro#223;, aber daf#252;r umso einzigartiger. Die H#228;user waren nach den Regeln einer fremdartigen Architektur erbaut und die Stra#223;en waren schmal. Viele T#252;ren waren mit kostbaren Schnitzereien verziert und hier und da sah er auch abbl#228;tterndes Gold oder gar Edelsteine, die in die Reliefarbeiten eingelassen waren. Aber er sah auch eine Menge Besch#228;digungen, geborstene T#252;ren, gesplitterte Fensterscheiben und eingesunkene D#228;cher, die nie repariert worden waren. Lemurajedenfalls der Teil, durch den sie gingen – machte den Eindruck von verblichener Pracht, und die Menschen, die ihnen entgegenkamen, passten dazu. Die meisten waren #228;rmlich gekleidet und wirkten ausgezehrt und krank und sie bewegten sich mit gesenkten K#246;pfen und kleinen, schleppenden Schritten, als tr#252;gen sie eine unsichtbare Last mit sich herum. Mike hatte das Gef#252;hl sich durch eine Stadt voller Sklaven zu bewegen. Der Anblick der schimmernden, perlmuttbesetzten T#252;rme #252;ber ihren D#228;chern wirkte wie der pure Hohn.

»Sieh dich ruhig um«, sagte Sarn, dem seine Blicke nicht entgangen waren. »So leben die Menschen in Lemura, damit die Herrscher ein m#246;glichst angenehmes Leben f#252;hren k#246;nnen!«

Mike antwortete nicht, aber der Kommandant sagte: »Ich an deiner Stelle w#252;rde mir #252;berlegen, was ich rede. Argos wird von solchen Spr#252;chen nicht begeistert sein.«

»Und?«, fragte Sarn. »Ihr t#246;tet mich doch sowieso!«

»Das ist wahr«, antwortete der Kommandant. »Die Frage ist nur, ob schnell oder m#246;glichst langsam und qualvoll. Also schweig jetzt lieber.«

Sarn lachte, folgte dem Rat seines ehemaligen Vorgesetzten aber trotzdem und schwieg, w#228;hrend sie weiter durch die schmalen Stra#223;en in Richtung Schloss gingen.

Sie #252;berquerten eine Art Marktplatz, der den Eindruck noch untermauerte, den Mike von dieser Stadt auf dem Meeresgrund hatte: Die wenigen Buden waren #228;rmlich und heruntergekommen und die feilgebotenen Waren luden nicht zum Kauf ein: verschlissene Stoffe, rostiges Metall und gr#246;#223;tenteils fremdartiges Gem#252;se und Obst, das nicht besonders appetitlich aussah.

Nachdem sie den Marktplatz #252;berquert hatten, bogen sie in eine weitere, noch schmalere Gasse ein. Zwei oder drei M#228;nner mit gesenkten H#228;uptern und unansehnlichen grauen M#228;nteln kamen ihnen entgegen und in mehreren T#252;ren lehnten Gestalten, die ihnen mit gelangweilten Blicken nachsahen.

Irgendetwas stimmte nicht. Mike hatte pl#246;tzlich ein intensives Gef#252;hl von Gefahr. Er blieb stehen und sah sich alarmiert um.

Er schien nicht der Einzige zu sein, dessen Sinne Alarm schlugen. Auch die drei Krieger hatten angehalten und die H#228;nde auf ihre Schwerter gesenkt. Der Hauptmann sah sich aufmerksam um. Aber es war zu sp#228;t.

Die drei M#228;nner, die ihnen entgegenkamen, machten keine Anstalten, ihnen in der schmalen Gasse Platz zu machen, sondern schlugen im Gegenteil pl#246;tzlich ihre M#228;ntel zur#252;ck. Darunter kamen zerschrammte R#252;stungen, blitzende Schwerter und Dolche zum Vorschein. Auch hinter ihnen polterten pl#246;tzlich schwere Schritte auf der Gasse und im selben Augenblick flogen zu beiden Seiten ein Dutzend Fenster auf und M#228;nner mit Armbr#252;sten und Bogen erschienen darin.

»Ein Hinterhalt!«, keuchte der Hauptmann. Er zog sein Schwert.

»Ganz recht«, sagte Sarn ruhig. »Und ich an deiner Stelle w#252;rde die Waffe wieder einstecken. Oder m#246;chtest du unbedingt sterben?« Er lachte. »Ich kann dir allerdings versprechen, dass es sehr schnell und schmerzlos sein wird.«

Der Hauptmann presste die Lippen aufeinander. Sein Blick irrte nerv#246;s #252;ber die Gestalten, die die Stra#223;e vor ihnen versperrten. Offensichtlich wog er seine Chancen ab.

»Versuch es erst gar nicht«, sagte Mike. »Sie werden euch nichts tun, wenn ihr uns gehen lasst.«

»Wer sagt das?«, fragte Sarn.

»Ich!« Mike sah ihn herausfordernd an. Ein bisschen komisch kam er sich schon dabei vor, sich pl#246;tzlich f#252;r die M#228;nner einzusetzen, die ihm vermutlich noch vor zehn Minuten kaltbl#252;tig die Kehle durchgeschnitten h#228;tten. Trotzdem fuhr er fort: »Niemand hat etwas von ihrem Tod. Wenn das da deine Freunde sind, dann haben sie ihr Ziel erreicht, wenn wir frei sind. Es ist nicht n#246;tig, hier ein Gemetzel anzurichten.«

Nicht nur Sarn sah ihn #252;berrascht an. Vor allen sein fr#252;herer Kommandant sah regelrecht fassungslos drein und auch die meisten Widerstandsk#228;mpfer – denn um nichts anderes konnte es sich bei den M#228;nnern handeln, die so pl#246;tzlich aus dem Nichts aufgetaucht waren – wirkten verwirrt. Aber schlie#223;lich sagte Sarn: »Ihr habt den Jungen geh#246;rt. Entwaffnet sie – und bindet sie gut. Wir brauchen Zeit, um zu verschwinden.«

W#228;hrend er sprach, hatte einer der M#228;nner bereits seine Handfesseln gel#246;st. Drei weitere waren dabei, die Krieger zu entwaffnen und ihre H#228;nde auf dem R#252;cken zu fesseln. Die Krieger leisteten keinen Widerstand, aber der Hauptmann sah Mike unverwandt und noch immer fassungslos an.

Nachdem die M#228;nner gebunden worden waren, f#252;hrte man sie in eines der H#228;user. Sarn zeigte auf ein Haus auf der anderen Stra#223;enseite: »Dort hinein. Und schnell. Sie werden sehr bald merken, dass wir verschwunden sind, und dann schickt Argos wahrscheinlich seine gesamte Armee hierher.«

Mike setzte sich in Bewegung. Die T#252;r, auf die er zuging, wurde von innen ge#246;ffnet und eine Hand griff heraus und zerrte Mike in das Haus. Sarn und zwei der anderen so pl#246;tzlich aufgetauchten M#228;nner folgten ihm, aber noch bevor sich seine Augen an das tr#252;be Licht gew#246;hnen konnten, wurde die T#252;r wieder zugeschlagen und er fand sich in nunmehr vollkommener Dunkelheit wieder.

»Was ist das hier?«, fragte Mike.

»Still!«, zischte Sarns Stimme aus der Dunkelheit. Offenbar an einen anderen gewandt, fuhr der abtr#252;nnige Krieger fort: »Schnell jetzt! Jemand hat bestimmt die Palastwache alarmiert! Sie werden jeden Moment hier sein!«

Mike konnte h#246;ren, wie M#246;bel ger#252;ckt wurden, dann knarrte etwas und pl#246;tzlich erf#252;llte roter Fackelschein den Raum. Es reichte nicht aus, um viele Einzelheiten zu erkennen, aber immerhin konnte Mike sehen, dass sich im Boden eine Klappe ge#246;ffnet hatte, unter der h#246;lzerne Stufen steil in die Tiefe f#252;hrten. Der Fackelschein kam von dort unten.

Ohne dass es einer weiteren Aufforderung bedurft h#228;tte, folgte er Sarn und den beiden anderen M#228;nnern in die Tiefe. Kaum hatten sie die Treppe betreten, da fiel die Klappe #252;ber ihnen zu und sie fanden sich erneut in einem schier endlosen, unterirdischen Labyrinth wieder. Gang folgte auf Gang, sie liefen #252;ber Treppen, Ger#246;llhalden oder auch von der Hand der Natur geformte Rampen und Mike war sicher, dass er schon nach wenigen Schritten hoffnungslos die Orientierung verloren h#228;tte. Sarn jedoch bewegte sich mit nahezu traumwandlerischer Sicherheit vorw#228;rts.

Schlie#223;lich wurde es auch vor ihnen hell und nach einigen weiteren Augenblicken betraten sie eine gro#223;e, von einem guten Dutzend Fackeln erhellte H#246;hle, in der sich zahlreiche M#228;nner und Frauen aufhielten. Herumgedrehte F#228;sser und Kisten dienten als Tische und St#252;hle und der Duft von gebratenem Fleisch erf#252;llte die Luft. Etliche der Anwesenden sahen hoch, als Mike und seine Begleiter die H#246;hle betraten, und an ihren Mienen wurde Mike klar, dass ihre Ankunft offenbar ungeduldig erwartet worden war. Sarn trieb ihn jedoch unbarmherzig weiter und deutete auf einen Durchgang am jenseitigen Ende der H#246;hle.

»Unser Anf#252;hrer will dich sehen«, sagte er. »Mit allen anderen kannst du dich sp#228;ter bekannt machen.«

Etwas an der Art, in der Sarn das sagte, gefiel Mike nicht. Und pl#246;tzlich f#252;hlte er sich nicht mehr besonders wohl in seiner Haut. Er hatte erlebt, wie hart und r#252;cksichtslos diese Menschen sein konnten, wenn es sein musste. Was, wenn er ihrem geheimnisvollen Anf#252;hrer gegen#252;bertrat und dieser zu dem

Schluss kam, dass ernichtder war, den er erwartet hatte?

Mit klopfendem Herzen trat er in die angrenzende H#246;hle. Sie war viel kleiner als die erste, und da sich mindestens ein Dutzend M#228;nner darin aufhielt, wirkte sie noch winziger. Es gab kein Mobiliar, sondern nur einen gro#223;en Tisch, auf dem sich Karten und eng beschriebene Pergamente stapelten. Vier oder f#252;nf M#228;nner standen #252;ber die Karten gebeugt da, sahen bei ihrem Eintreten aber alle auf. Einer von ihnen sagte etwas, aber Mike h#246;rte die Worte gar nicht.

Er starrte vollkommen fassungslos in das Gesicht des dunkelhaarigen Mannes, den er sofort und ohne den geringsten Zweifel als den F#252;hrer des Widerstandes erkannte.

»Singh!«, keuchte er.

Und die Erinnerung brach wie eine Flutwelle #252;ber ihn herein...

Mike sah aus den Augenwinkeln, wie Tarras #252;berrascht aufblickte und ein erschrockener Ausdruck auf seinem Gesicht erschien. Vargan zeigte keinerlei Reaktion, w#228;hrend Argos regelrecht entsetzt dreinsah.

»Lemura?« Trautman sch#252;ttelte verwirrt den Kopf. »Das habe ich noch nie geh#246;rt. Was soll das sein?« Serena antwortete nicht, sondern wandte sich direkt an Tarras. »Es ist so, nicht wahr?«

Tarras nickte widerstrebend. »Du bist kl#252;ger, als ich dachte. Ja. Es ist Lemura. Aber jetzt haben wir genug geredet. Ich muss mich konzentrieren, um das Schiff in die Schleuse zufahren. Also halt den Mund.«

Der Ausdruck auf Serenas Gesicht war pures Entsetzen. Mike verstand das nicht. Auch er hatte diesesWort noch nie geh#246;rt, weder von Trautman noch von Serena, die ihm wei#223; Gott genug von ihrerversunkenen Heimat erz#228;hlt hatte.

Er drehte sich wieder zu Serena herum und machte eine fast herrische Geste, als alle anderen sie auf einmal mit Fragen zu best#252;rmen begannen. »Lasst sie in Ruhe«, sagte er. »Sie wird uns schon erz#228;hlen, was sie wei#223;, wenn sie es m#246;chte.«

Serena sch#252;ttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie. »Sie haben ein Recht es zu erfahren.«

»Was zu erfahren?«, fragte Ben.

»Das da drau#223;en –« Serena deutete mit einer ersch#246;pft wirkenden Kopfbewegung zum Fenster. »– ist Lemura. Ich habe davon geh#246;rt, aber ich ... ich dachte, es w#228;re eine Legende. Nur ein M#228;rchen, um kleine Kinder zu erschrecken.«

»Offensichtlich nicht«, sagte Ben.

Mike warf ihm einen #228;rgerlichen Blick zu, den Ben mit einem herausfordernden Grinsen quittierte, und Serena fuhr nach einem kurzen Moment und in ver#228;ndertem Tonfallfort:

»Ich h#228;tte es wissen m#252;ssen. Wieso ist es mir nicht gleich aufgefallen? Alles ist so klar. So deutlich!«

»Was?«

»Die W#228;chter«, murmelte Serena. »Die Haie und ... ihre Herren. Ich habe davon geh#246;rt, aber ich ... ich habe mich einfach nicht daran erinnert!«

»Warum auch?«, sagte Mike, in dem vergeblichen Bem#252;hen, sie zu tr#246;sten. »Es war schlie#223;lich nur ein M#228;rchen.«

»Aber alles war so deutlich!«, beharrte Serena. »Es hei#223;t in der Legende, dass Lemura von einer Armee von Haifischen bewacht wird, den gef#228;hrlichsten R#228;ubern der Meere. Und von Wesen, die eigens geschaffen wurden, um sie zu lenken.«

»Geschaffen?«, fragte Juan zweifelnd. »Soll das hei#223;en, dein Volk war in der Lage, Lebewesen zu erschaffen?«

»Das spielt jetzt keine Rolle.« Trautman brachte ihn mit einer Geste zum Verstummen. »Was ist dieses Lemura, Serena?« »Der Stolz ihres Volkes«, sagte Tarras vom Steuerpult her. Offensichtlich war er doch nicht ganz so konzentriert auf seine Arbeit, wie er behauptete hatte, denn er schien jedes Wort geh#246;rt zu haben. »Und der ganz besondere Stolz ihres Vaters. Er hat es erbauen lassen. Ist es nicht witzig, dass uns ausgerechnet seine einzige Tochter den Schl#252;ssel zu seinen Toren geliefert hat?«

»Ein Gef#228;ngnis«, sagte Serena.

»Ein Gef#228;ngnis?«, #228;chzte Mike. Er hatte keinen Grund, an Serenas Worten zu zweifeln, aber dieBehauptung erschien ihm im ersten Moment trotzdem unglaublich – schon angesichts derungeheuerlichen Gr#246;#223;e der Unterwasserkuppel. Die NAUTILUS glitt immer noch dar#252;ber hinweg und es war kein Ende abzusehen.

Serena nickte. »Ja. Ein Ort, an den alle Verbrecher unseres Volkes verbannt wurden.«

»Ach, hat er dir das erz#228;hlt, dein Herr Vater?«, fragte Tarras b#246;se. »Nun, nach allem, was ich #252;ber ihn geh#246;rt habe, passt das zu ihm.«

»Und nach dem, was wir mit Ihnen erlebt haben, scheint es die Wahrheit zu sein«, versetzte Ben giftig.Tarras grinste nur zur Antwort und bet#228;tigte einen Schalter.

Ein Zittern lief durch den Rumpf der NAUTILUS und das

Schiff wurde langsamer und begann gleichzeitig tiefer auf die

unterseeische Kuppel herabzusinken.

»Aber ein Gef#228;ngnis von so ungeheurer Gr#246;#223;e«, murmelte Trautman kopfsch#252;ttelnd.

»Mein Vater war ein gro#223;herziger Mann«, antwortete Serena. »Wir halten nichts davon, Verbrecher f#252;r den Rest ihres Lebens in einen winzigen Raum einzusperren, in dem sie allm#228;hlich den Verstand verlieren. Das macht niemanden besser und es macht kein geschehenes Unheil wieder gut. Also lie#223; er diese Stadt bauen. Eine ganze Stadt auf dem Meeresgrund, die gro#223; genug war, dass sie dort in Ruhe und Frieden ihr eigenes Leben leben konnten.«

Tarras lachte schrill. »Ja, das hat er dir erz#228;hlt, nicht wahr? Aber hast du es jemals selbst gesehen?«

»Nein«, sagte Serena.

»Nun«, erkl#228;rte Tarras, mit einem breiten Grinsen, »das wirst du. Vielleicht denkst du anschlie#223;end #252;ber die Gro#223;z#252;gigkeit deines Vaters etwas anders.«

»Sie reden, als ob Sie ihn gekannt h#228;tten«, sagte Mike.

»Kaum«, erwiderte Tarras. »Dieses Vergn#252;gen hatte ich leider nicht. Und wenn, dann w#228;re es f#252;r einen von uns beiden ein sehr kurzer Spa#223; gewesen, das schw#246;re ich dir.«

»Wenn es nicht so ist, wie Serena sagt, wie war es dann?«, wollte Juan wissen.

»In einem Punkt hat sie die Wahrheit gesagt«, antwortete Tarras. Er machte eine w#252;tende Geste auf die riesige unterseeischen Kuppel, die ganz langsam zu dem Schiff emporzusteigen schien. »Es war ihr Vater, der dieses Monstrum erbauen lie#223;. Aber nicht f#252;r gew#246;hnliche Verbrecher. Unsere Vorfahren waren keine R#228;uber und Diebe, wie sie euch glauben machen will.«

»Was dann?«

»Es waren Menschen, die nur ihre Freiheit wollten«, antwortete Argos an Tarras’ Stelle. Seine Stimmewar sehr leise und sehr traurig. »Ihr einziges Verbrechen bestand darin, die Herrschaft des K#246;nigs von is nicht anzuerkennen. Sie haben sich gegen seine Tyrannei aufgelehnt. Er lie#223; diesen Aufstand blutigniederschlagen, aber die, die #252;berlebten, h#246;rten nicht auf gegen ihn zu k#228;mpfen. Also befahl er sie in Ketten zu legen und Lemura zu erbauen. Die meisten von ihnen starben w#228;hrend dieser Arbeit, denn sie dauerte fast ein Menschenleben lang. Und die, die sie #252;berlebten, wurden in dem Gef#228;ngnis, das sie selbst errichtet hatten, ausgesetzt und ihrem Schicksal #252;berlassen.«

»Das ist nicht wahr!«, protestierte Serena. »Mein Vater war kein Tyrann!«

»Warte nur noch einige Minuten und du wirst sehen, welches Paradies dein Vater f#252;r uns erschaffen hat«, sagte Tarras. Auch seine Stimme wurde bitter, aber es war ein harter Klang darin, den Argos nicht gehabt hatte. »Es war die H#246;lle und das ist es immer noch. Der K#246;nig versprach ihnen, regelm#228;#223;igNahrungsmittel und Dinge des t#228;glichen Bedarfs zu schicken, aber nach einer Weile h#246;rten dieLieferungen auf. Von hunderttausend, die dort ausgesetzt wurden, #252;berlebten am Ende weniger als f#252;nfhundert! Er hat sie einfach ihrem Schicksal #252;berlassen, dieser gro#223;herzige K#246;nig.«

»Ihr tut ihm Unrecht«, sagte Mike. »Atlantis ging unter, als

Serena zw#246;lf Jahre alt war. Deshalb wurden diese Leute

vergessen.«

»Das spielt keine Rolle«, antwortete Tarras zornig. »Dass sie nicht alle starben, grenzt an ein Wunder. Und das haben wir nicht dem K#246;nig von Atlantis zu verdanken oder irgendwem, sondern nur dem Mut und der Z#228;higkeit jener tapferen M#228;nner und Frauen.«

»Sie waren unsere Vorfahren«, erg#228;nzte Argos. »Tausende von Jahren lang k#228;mpften sie um das nackte#220;berleben, bis sich wieder so etwas wie eine Zivilisation bildete. Wir – Tarras, Varan und die anderen, die auf dem Schiff waren – waren die ersten, denen es gelang, Lemura zu verlassen und zur Oberfl#228;che hinaufzukommen. Das war vor zehn Jahren. Seither suchen wir nach einem Weg, um auch den Rest unseres Volkes wieder an die Erdoberfl#228;che hinaufzuschaffen.«

»Habt ihr ihn gefunden?«, fragte Trautman. Argos sch#252;ttelte stumm den Kopf, w#228;hrend Tarras #252;berhaupt nichts sagte, sondern sich wieder auf seine Instrumente konzentrierte.

»Sie werden euch niemals entkommen lassen«, sagte Serena. »Die W#228;chter wurden eigens geschaffen, um Lemura zu bewachen.«

»Uns haben sie auch nicht get#246;tet«, sagte Tarras.

»Ja, weil ihr mich als Geisel hattet«, antwortete Serena w#252;tend. »Aber lieber sterbe ich, ehe ich zusehe, wie–«

»Red nicht so einen Unsinn«, unterbrach sie Mike. Er wandte sich an Tarras. »Sie hat Recht«, sagte er. »Die Haie haben euch ziehen lassen, weil ihr uns hattet, aber ich glaube nicht, dass sie auch weiter noch auf unsere Leben R#252;cksicht nehmen werden, wenn ihr alle zu entkommen droht.«

»Das werden wir sehen. Schweig jetzt.«

Mike gehorchte. Schon weil Tarras’ scharfer Tonfall klarmachte, dass er ihm sowieso nicht mehr antworten w#252;rde.

Au#223;erdem hatte die NAUTILUS die riesige Kuppel mittlerweile fast erreicht. Das Schiff n#228;herte sich jetzt rasch dem k#252;nstlichen Meeresboden. Kurz bevor es ihn ber#252;hren konnte, begann der Sand pl#246;tzlich zu zittern wie unter einem Seebeben, dann bildete sich ein langer, schnurgerader Riss, der rasch zu einer Spalte und schlie#223;lich zu einem gewaltigen Kanal wuchs, gro#223; genug, um f#252;nf Schiffe von den Abmessungen der NAUTILUS aufzunehmen.

Das Schiff glitt lautlos in diesen Spalt hinab, h#246;rte auf zu sinken und f#252;r eine ganze Weile trieben sie durch absolute Dunkelheit dahin. Dann schimmerte vor ihnen wieder jenes seltsame gr#252;ne Licht, das sieschon von oben gesehen hatten. Diesmal war es jedoch sehr viel intensiver.

Sie konnten von ihrer Position aus nicht erkennen, wohin die NAUTILUS fuhr, aber das Licht wurde heller und heller und schlie#223;lich brach es sich an einem schimmernden zerbrochenen Wasserspiegel #252;ber ihnen. Mike hielt staunend den Atem an, als die NAUTILUS aufzutauchen begann und nach wenigen Augenblicken die Wasseroberfl#228;che durchbrach. Das Fenster f#252;hrte auf einen breiten, offenbar k#252;nstlich angelegten See mit gemauerten R#228;ndern hinaus.

Tarras bet#228;tigte noch einige Schalter, dann legte die NAUTILUS am Ufer an und das Ger#228;usch der Motoren erlosch. »Wir sind da.« Tarras machte eine einladende Geste. »Wenn ich euch bitten d#252;rfte.«

Niemand r#252;hrte sich.

»Was soll das?«, fragte Trautman. »Sie haben versprochen, uns gehen zu lassen, sobald Sie zu Hause sind!«

Tarras sch#252;ttelte den Kopf und sah ihn strafend an. »Wer wird denn so unh#246;flich sein, mein lieber Herr Kapit#228;n? Sie werden doch unsere Gastfreundschaft nicht ausschlagen, nach allem, was wir Ihnen zu verdanken haben! Lassen Sie mich Ihnen zumindest unsere Heimat zeigen, bevor Sie wieder in Ihre furchtbar trockene Welt zur#252;ckkehren.«

Der zynische Unterton in seiner Stimme war nun nicht mehr zu #252;berh#246;ren und er gab sich auch gar keine M#252;he mehr, in irgendeiner Form #252;berzeugend zu l#252;gen. Als Trautman jedoch noch z#246;gerte, sich in Bewegung zu setzen, zuckte er mit den Achseln, zog seine Pistole aus dem G#252;rtel und richtete sie auf ihn.

»Bitte, Kapit#228;n. Ich war lange von zu Hause fort. Und Sie wissen ja, wie das mit Seeleuten ist: Sie k#246;nnen es kaum erwarten, nach einer langen Reise ihre Familien wieder zu sehen.«

»Aber ... aber Sie haben versprochen uns freizulassen!«, protestierte Chris.

Mike lachte bitter. »Glaubst du wirklich, das h#228;tte er auch nur eine Sekunde lang wirklich vorgehabt, duDummkopf?«, fragte er. »#220;berleg doch mal selbst. Erinnerst du dich nicht, was er gesagt hat? Sie haben endlich die M#246;glichkeit, aus ihrem Gef#228;ngnis zu fliehen. Und wir haben ihnen den Schl#252;ssel geliefert. Was glaubst du, was dieser Schl#252;ssel ist? Die NAUTILUS!«

Keiner der anderen antwortete darauf. Nach einer Weile drehte sich Trautman langsam herum und verlie#223; den Salon und nach einem kurzen Z#246;gern folgten ihm auch die anderen.

Mike und Serena waren die Letzten, die den Salon verlie#223;en, Hand in Hand und Schutz suchend aneinander geklammert, mit klopfenden Herzen und einem ungewissen Schicksal entgegen.

Mike fragte sich, was sie erwarten mochte.

Oben, unter dem immer gleich bleibenden, leuchtend gr#252;nen Himmel Lemuras, musste die Schlafenszeit gekommen und wieder gegangen sein. Mike war so m#252;de, dass sein Kopf dr#246;hnte und seine Augen brannten, aber sie redeten noch immer; und Singh und die anderen machten keine Anstalten, ihm eine Pause zu g#246;nnen.

Nat#252;rlich h#228;tte er sowieso keinen Schlaf gefunden. Singhs Anblick hatte die Barriere, die vor seinen Erinnerungen gewesen war, schlagartig und endg#252;ltig niedergerissen. Er wusste jetzt eindeutig wieder, wer er war und wie er und alle anderen hierher gekommen waren.

Mehr aber auch nicht.

Als h#228;tten seine Gedanken eine Dreht#252;r durchschritten, waren all seine Erinnerungen an sein Leben inLemuravollkommen ausgel#246;scht. Er erinnerte sich an den Moment, in dem er die NAUTILUS verlassen hatte, und dann wieder an den Augenblick, in dem er Astaroth wieder gesehen hatte. Alles, was sich dazwischen abgespielt hatte, war wie ausgel#246;scht.

»Deine Erinnerungen werden zur#252;ckkehren«, beruhigte ihn Singh, als er eine entsprechende Frage stellte. »Es wird nur eine Weile dauern.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte Mike.

»Weil es bei mir genauso war«, antwortete der Inder. Er versuchte zu l#228;cheln, aber es gelang ihm nicht ganz. Seine Lippen verzogen sich, doch es war kein wirkliches L#228;cheln. Mike hatte Singh noch nie so ernst und besorgt erlebt wie jetzt. Und seine n#228;chsten Worte unterstrichen dieses Gef#252;hl noch.

»Ich hoffe nur, uns bleibt noch so lange Zeit«, sagte der Sikh leise. »Argos wird die NAUTILUS zerst#246;ren, wenn er so weitermacht.«

Mike erschrak. »Wieso?«

»Das ist eine lange Geschichte«, seufzte Singh. Er warf Mike einen raschen, aber vielsagenden Blick zu. Offensichtlich gab es Dinge, die nicht f#252;r die Ohren der anderen bestimmt waren. Trotzdem fuhr er fort: »Ich f#252;rchte nur, dass wir es kaum noch verhindern k#246;nnen.«

»Dann greifen wir ihn an!«, sagte Sarn. »Wir haben genug Verb#252;ndete! Die Bev#246;lkerung steht auf unserer Seite! Es braucht nur ein Signal und –«

»– wir zetteln eine Revolution an?«, unterbrach ihn Singh in scharfem Ton. Obwohl er so m#252;de sein musste wie sie alle, blitzten seine Augen pl#246;tzlich vor Zorn. »Richten wir ein Blutbad an! Lassen wir Hunderte sterben, vielleicht Tausende! Ist es das, was du willst?«

Sarn hielt seinem Blick einige Sekunden lang stand. Aber er widersprach nicht und schlie#223;lich drehte er den Kopf mit einem hastigen Ruck zur Seite und starrte die Wand an.

»Es ist sp#228;t geworden«, sagte Singh. »Wir sind alle m#252;de und gereizt. Lasst uns ein paar Stunden schlafen und das Gespr#228;ch danach fortsetzen.«

Sarn zog die Unterlippe zwischen die Z#228;hne. Seine Augen blitzten immer noch trotzig, aber er widersprach nicht, sondern funkelte Singh nur weiter an.

»Singh hat v#246;llig Recht«, sagte Mike hastig. »Ich bin m#252;de. Lasst uns sp#228;ter weiterreden ... habt ihr irgendwo ein Bett f#252;r mich?«

»Selbstverst#228;ndlich«, sagte Singh. »Sarn – bring ihn in mein Quartier. Und dann such dir selbst einen Schlafplatz. Du hast Gro#223;artiges geleistet. Jetzt ruh dich wenigstens ein bisschen aus. Die Welt k#246;nnen wir auch morgen noch retten!«

Der sanfte Spott in seiner Stimme war mit Sicherheit vers#246;hnlich gemeint, aber Mike sah an Sarns Miene, dass der Krieger ihn nicht so verstand. Fast hastig sprang er hoch und wandte sich direkt an Sarn.

»Singh hat Recht. Ich breche gleich zusammen.«

Sarn starrte ihn einen Moment lang zornig an, aber dann nickte er und drehte sich mit einem Ruck herum. Mike tauschte noch einen raschen Blick mit Singh, dann folgte er Sarn.

Der Krieger geleitete ihn in eine weitere, spartanisch eingerichtete H#246;hle, die von einer heftig ru#223;enden Fackel erhellt war. Wortlos deutete er auf das Bett und Mike lie#223; sich ebenso wortlos darauf niedersinken.

Kaum hatte sein Kopf das harte Kissen ber#252;hrt, da musste er auch schon mit aller Gewalt gegen den Schlaf ank#228;mpfen. Er wusste, dass er sich trotz allem noch keine Ruhe g#246;nnen konnte; Singh w#252;rde zweifellos in wenigen Augenblicken kommen, um

allein mit ihm zu reden. Trotzdem kostete es ihn all seine Wil

lenskraft nicht einzuschlafen.

Er wurde auch nicht entt#228;uscht. Es verging nicht viel Zeit, da wurde der Vorhang vor der T#252;r zur#252;ckgeschlagen und der Inder kam herein. »Schl#228;fst du schon?«, fragte er leise.

»Tief und fest«, antwortete Mike. »Aber ich habe einen furchtbaren Albtraum. Er dauert schon ziemlich lange und ich wei#223; nicht, wie ich daraus aufwachen soll.«

»Es ist sch#246;n, dass du deinen Humor nicht verloren hast«, sagte Singh, ohne dass sich auch nur die Spur eines L#228;chelns auf seinem Gesicht gezeigt h#228;tte. Er warf noch einen suchenden Blick durch den Vorhang nach drau#223;en, wie um sich zu #252;berzeugen, dass sie auch tats#228;chlich nicht belauscht wurden, dann kam er auf Mike zu, machte aber eine abwehrende Bewegung, als Mike sich erheben wollte.

»Bleib liegen«, sagte er. »Du brauchst Ruhe. Und ich werde nicht lange bleiben. Es gibt nur ein paar Dinge, die ich dir sagen muss.«

»Ohne dass die anderen es h#246;ren«, vermutete Mike. »Ich h#228;tte mir eigentlich denken k#246;nnen, dass du der F#252;hrer des Widerstandes bist.«

»Ich habe mich nicht darum gerissen«, sagte Singh.

»Und wie bist du es geworden?«

»Ich war Sklave wie du«, antwortete Singh. »Auch meine Erinnerungen waren vollkommen ausgel#246;scht – ich nehme an, dass es den anderen ebenso ergeht.«

»Also hat Argos uns belogen«, sagte Mike. »Belogen?« Singh l#228;chelte bitter und sch#252;ttelte den Kopf. »Er hat uns nur versprochen, uns am Leben zu lassen, nicht mehr. Nicht, uns

unsere Erinnerungen zu lassen.« »Was ja auch ein riesiger Unterschied ist«, sagte Mike mit zynischem Unterton. »Ich meine: Wenn ich mein ganzes Leben vergesse und sogar, wer ich selbst bin, dann bin ich ja eigentlich so gut wie tot, oder? «

»Eine interessante Frage«, sagte Singh. »Aber ich bin nicht hierher gekommen, um mit dir zu philosophieren – obwohl du wahrscheinlich Recht hast.«

»Weshalb dann?« »Es geht um die NAUTILUS«, antwortete Singh. In seiner Stimme war ein ungewohnter, noch gr#246;#223;erer Ernst als bisher. »Du darfst in Gegenwart der anderen nicht mehr #252;ber sie reden.«

»Warum?«, fragte Mike.

»Ich erkl#228;re es dir, aber nicht jetzt«, antwortete Singh. »Ich kann nicht lange bleiben. Sarn und die anderen trauen mir nicht. Ich will ihr Misstrauen nicht noch mehr sch#252;ren.« »Sie trauen dir nicht? Ich dachte, du bist ihr Anf#252;hrer?« »Nur so lange sie es wollen. Und was Sarn angeht, er wollte nicht wirklich. Im Grunde ist er der

Anf#252;hrer dieser Menschen. All das hier hat er geschaffen, wei#223;t du? Die Widerstandsbewegung istsein

Werk.« »Warum f#252;hrt er sie dann nicht an?« »Bisher konnte er das nicht«, antwortete Singh. »Bis gestern Morgen war er Mitglied der Kriegerkaste. Er konnte nur im Verborgenen agieren. Jetzt, wo er die Maske fallen gelassen hat, wird er #252;ber kurz oder lang sein Recht fordern.«

»Und?«, fragte Mike. »Macht es dir etwa Spa#223;, den Widerstandsk#228;mpfer zu spielen?« »Nat#252;rlich nicht.« Singh wirkte ein bisschen ver#228;rgert. Er sah wieder nerv#246;s zum Eingang. »Vertrau mir

einfach. Rede nicht mehr #252;ber die NAUTILUS und wundere dich nicht, wenn ich vielleicht ... sonderbare Befehle gebe.«

»Sonderbare Befehle?« »Ich wei#223;, wo Chris und Ben sind«, sagte Singh. »Und ich glaube, dass ich auch herausfinden kann, wo sie Trautman hingebracht haben.«

»Dann befreien wir sie!«, sagte Mike impulsiv.

»So einfach ist das nicht«, erwiderte Singh. »Ben und Chris sind in die Eisengruben gebracht worden. Der Weg dorthin ist weit und die Gefangenen werden streng bewacht. Wir brauchen Sarns Hilfe, um sie zu befreien. Und die seiner Leute.«

»Und zum Dank willst du sie betr#252;gen«, sagte Mike. Singh sah ihn eine Sekunde lang ausdruckslos an. Dann sagte er ruhig: »Ich habe bef#252;rchtet, dass du so reagierst. Es ist nicht so, wie du glaubst. Ich werde dir alles erkl#228;ren, aber nicht jetzt. Ich bin schon viel zu lange hier. Schlaf dich jetzt aus und danach #252;berlegen wir, wie wir Chris und Ben befreien.«

»Und was ist mit den anderen?«, fragte Mike. »Juan? Und ...« Er z#246;gerte, fast als h#228;tte er Angst, die Frage ganz auszusprechen. »Serena?«

»Ich wei#223; es nicht«, sagte Singh. »Vielleicht erfahren wir mehr, wenn wir Chris und Ben befreit haben.«

Er ging. Mike starrte den geschlossenen Vorhang hinter ihm noch lange an. Ein sonderbares Gef#252;hl von Verwirrung machte

sich in ihm breit. Nat#252;rlich war er immer noch erleichtert,

einen seiner Freunde wieder gefunden zu haben. Aber Singh benahm sich ganz und gar nicht so, wie er erwartet hatte.

Und er hatte das sichere Gef#252;hl, dass das noch l#228;ngst nicht die letzte unangenehme #220;berraschung sein w#252;rde, die auf ihn wartete.

Am n#228;chsten Morgen lernte er die meisten anderen Mitglieder des Widerstandes kennen. Es waren etwa vierzig, vielleicht f#252;nfzig M#228;nner und Frauen – die Unzufriedensten der Unzufriedenen und die wenigen, die den Mut gefunden hatten, sich wenigstens im Geheimen gegen Argos’ Tyrannei und die Unterdr#252;ckung der herrschenden Kaste aufzulehnen.

»Es f#228;llt mir schwer, das zu glauben«, sagte Mike, als Sarn, der ihn gemeinsam mit Singh zu einem reichhaltigen Fr#252;hst#252;ck erwartet hatte, mit der Aufz#228;hlung seiner Verb#252;ndeten zu Ende gekommen war.

»Was?«, fragte Sarn. »Dass wir schon so viele sind? Es gibt den Widerstand erst seit einigen Jahren.«

»Ganz im Gegenteil«, antwortete Mike. Er fing einen warnenden Blick Singhs auf, den er aber ignorierte. Sarn war an diesem Morgen wie ausgewechselt: sehr freundlich, gut aufgelegt und ohne die Spur von Misstrauen. Vielleicht war es ja Singh, der zu misstrauisch war, und nicht der Krieger.

»Im Gegenteil?«, fragte Sarn. »Was meinst du damit?«

»Ich habe ein paar Monate hier gelebt«, erinnerte ihn Mike. »Ich meine: Ich habe zwar das meiste davon vergessen, aber ich wei#223; trotzdem, wie es den Menschen hier geht. Die meisten werden behandelt wie Sklaven!«

»Deshalb haben wir uns zusammengetan«, best#228;tigte Sarn. »Um die Tyrannei der herrschenden Kaste zu brechen.«

»Wie viele Menschen leben in Lemura?«, fragte Mike. Sarn blinzelte. »Vielleicht ... zwanzigmal tausend«, sagte er. »Warum?«

»Zwanzigtausend«, sagte Mike. »Und vierzig oder f#252;nfzig davon begehren nur gegen die Tyrannei auf!«

»Nicht alle wagen es, sich uns offen anzuschlie#223;en«, sagte Sarn. »Wir haben viele Sympathisanten. Hunderte!«

»Hunderte, von zwanzigtausend!« Mike sch#252;ttelte heftig den Kopf. »In meiner Welt w#228;ren es Tausende, glaub mir.«

»Vielleicht ist deine Welt ja besser als unsere«, antwortete Sarn spitz. »Oder eure Menschen sind tapferer.«

»Bitte!« Singh hob beruhigend die H#228;nde. In Sarns Stimme war pl#246;tzlich wieder derselbe scharfe Ton wie am vergangenen Abend. Seine Augen blitzten kampflustig.

»Es hat nichts damit zu tun, welche Welt besser oder schlechter ist, Sarn«, fuhr der Inder fort. »Es ist Argos’ Magie. Sie verhindert, dass den Menschen hier ihre Lage auch nur bewusst wird.«

Mike sah Singh #252;berrascht an. Er h#228;tte niemals damit gerechnet, das Wort Magie ausgerechnet aus dem Mund des Inders zu h#246;ren. Trotz seiner geschichtstr#228;chtigen Herkunft war der Sikh einer der rationalsten Menschen, die er kannte.

»Meinst du das ... ernst?«, fragte er z#246;gernd. »Ich dachte immer, du glaubst nicht an Zauberei und Magie.«

Singh zuckte mit den Schultern. »Nenn es, wie du willst«, sagte er. »Diese Menschen stammen von den alten Atlantern ab, vergiss das nicht. Die K#246;nige von Atlantis geboten #252;ber gewaltige geistige Macht. Denk nur daran, wozu Serena in der Lage war, bevor sie freiwillig auf ihre Kr#228;fte verzichtete.«

Bei der Erw#228;hnung Serenas fuhr Mike heftig zusammen. Er hatte Singhs Warnung nicht vergessen und bisher mit keinem Wort nach Serena gefragt – aber das #228;nderte nichts daran, dass er praktisch ununterbrochen an sie dachte. Trotzdem war seiner Stimme nichts von seinen wahren Gef#252;hlen anzumerken, als er antwortete: »Das war etwas anderes. Nicht einmal Serena w#228;re in der Lage gewesen, zwanzigtausend Menschen ihren Willen aufzuzwingen. Es muss einen anderen Grund geben.«

»Und um den herauszufinden, bist du hier«, sagte Sarn. »Ich habe nicht das Leben meiner Freunde und mein eigenes riskiert, um mir anzuh#246;ren, was du nicht wei#223;t, Mike.«

»Warum dann?«, fragte Mike.

»Das, was du gestern erz#228;hlt hast, ist vielleicht der Schl#252;ssel zu Lemuras Freiheit«, antwortete Sarn. »Unser Volk lebt seit zehntausend Jahren hier unten, Mike. In einer Welt ohne Sonne, ohne Licht und ohne Himmel. Wir b#252;#223;en f#252;r Verbrechen, die unsere Urahnen begangen haben. Mit diesem Schiff, von dem du erz#228;hlt hast, k#246;nnten wir vielleicht von hier entkommen.«

»Der NAUTILUS?«, fragte Mike #252;berrascht.

»So hei#223;t es wohl, ja«, antwortete Sarn. »Ihr seid damit hierher gekommen. Also k#246;nnen wir damit auch weggehen.«

»Dazu m#252;ssten wir es erst einmal haben«, mischte Singh sich ein. »Argos’ Krieger bewachen es streng. Nicht einmal alle unsere Leute w#252;rden ausreichen, um es zu erobern. Ganz davon abgesehen, dass es nichts nutzen w#252;rde.«

»Wieso?«, fragte Sarn.

»Die NAUTILUS ist eine #228;u#223;erst komplizierte Maschine«, antwortete Singh. »Eigentlich braucht sie eine Besatzung von mindstens drei#223;ig Leuten. Wir haben mehr als ein Jahr gebraucht, um ihre Steuerung zu erlernen. Wir brauchen all unsere Freunde, um sie zu navigieren. Ben, Trautman, Chris, Juan und Serena.«

Sarn starrte ihn durchdringend an. Dann sagte er geradeheraus: »Das klingt nicht sehr #252;berzeugend.«

Das war es auch nicht. Es war ganz und gar nicht die Wahrheit. Die NAUTILUS war ein Wunderwerk atlantischer Technik. Mike h#228;tte sie im Notfall – wenigstens f#252;r eine Weile – ganz allein man#246;vrieren k#246;nnen. Er fragte sich nur, warum Singh Zuflucht zu einer so plumpen L#252;ge suchte, statt Sarn ganz offen zu sagen, dass ihnen nat#252;rlich zuallererst daran gelegen war, ihre Freunde zu retten.

»Wenn du mir nicht glaubst, kannst du ja gerne versuchen, Argos und seine Krieger allein zu #252;berwinden«, sagte Singh k#252;hl.

Sarn setzte zu einer scharfen Antwort an, doch er kam nicht dazu, denn in diesem Moment wurde es drau#223;en in der gro#223;en H#246;hle laut: #252;berraschte Rufe und Schreie drangen zu ihnen herein, das Trappeln hastiger Schritte – und dann flog der Vorhang auf und etwas Kleines, Schwarzes mit struppigem Fell flitzte zu ihnen herein, unmittelbar gefolgt von drei M#228;nnern mit gez#252;ckten Waffen und ziemlich erschrockenen Gesichtern.

»Um Gottes willen, nicht!«, keuchte Mike. Blitzschnell sprang er auf und stellte sich mit sch#252;tzend ausgebreiteten Armen zwischen Astaroth und die drei M#228;nner.

Astaroth fauchte. Einer der Krieger wich erschrocken zur#252;ck, aber die beiden anderen kamen drohend n#228;her. Hinter ihnen waren mindestens ein Dutzend schreckensbleicher Gesichter im Eingang aufgetaucht.

»Halt!«, sagte Sarn.

Seine Stimme war nicht einmal besonders laut, aber was Mikes verzweifelter Schrei nicht bewirkt hatte, das gelang ihm: Die beiden M#228;nner senkten ihre Waffen zwar nicht, blieben aber wenigstens stehen. Ihre Blicke irrten unsicher zwischen Sarn und dem drohend fauchenden ein#228;ugigen Kater hin und her.

Sarn wandte sich an Mike und deutete auf Astaroth. »Ist das das Felltier, von dem der Aufseher gesprochen hat?«

»Das ist Astaroth«, best#228;tigte Mike. »Er geh#246;rt zu uns.«

Sarn wirkte nicht #252;berzeugt. Aber nach einigen weiteren Sekunden nickte er widerstrebend und drehte

sich wieder zu den M#228;nnern um. »Es ist gut. Ihr k#246;nnt gehen. Das Tier ist harmlos.«Wenn er mich noch einmalTiernennt, dann bringe ich ihm eine v#246;llig neue Definition des Wortesharmlosbei,grollte Astaroths lautlose Stimme in Mikes Kopf.

»Das hat er nicht so gemeint«, antwortete Mike. »Er wei#223; nicht, wer du bist. Niemand hier hat ein Wesen wie dich je gesehen.«Dann sollten sie sich an den Anbl –,begann Astaroth, hob mit einem Ruck den Kopf und fuhr dann in erschrockenem Ton fort:

Jemand kommt. M#228;nner! Sie haben Waffen!

Mike erschrak so heftig, dass seine Reaktion auch Sarn nicht verborgen blieb. »Was hast du?«, fragte er. »Argos!«, antwortete Mike. »Seine Krieger sind auf dem Weg hierher!«

Sarns Augen wurden gro#223;. »Woher willst du das wissen? Doch nicht etwa von diesem ... Tier?« Er versuchte zu lachen, aber es klang nicht sehr #252;berzeugend.

»Astaroth sagt die Wahrheit«, sagte Mike. »Sie m#252;ssen jeden Moment hier sein. Ihr m#252;sst verschwinden! Gibt es einen zweiten Ausgang?«

»Dutzende«, antwortete Sarn. Er fragte Mike nicht noch einmal, woher er seine Information hatte. Vielleicht war es der Ernst in Mikes Stimme gewesen, der ihn #252;berzeugte. »Gut. Wir verschwinden. Singh – wir treffen uns im Kristallwald. Schnell jetzt!«

Mike blieb gar keine Zeit mehr, noch etwas zu sagen. Sarn fuhr bereits herum und st#252;rzte aus dem Raum und auch Singh wurde pl#246;tzlich sehr hektisch: Er trat an sein Bett, griff mit beiden H#228;nden danach und warf es kurzerhand um. Darunter kam ein finsterer Schacht zum Vorschein, aus dem das Ende einer roh gezimmerten Leiter ragte.

»Dort hinunter!«, sagte er. »Schnell!«

Niemals! kreischte Astaroth entsetzt. Da geh ich nicht runter! Da gibt es Viecher, die bei#223;en und kneifen!

Mike drehte sich herum, griff nach dem Kater und klemmte ihn sich kurzerhand unter den Arm. Astaroth begann ihn in Gedanken auf unfl#228;tigste Art zu beschimpfen, aber Mike

achtete gar nicht darauf, sondern wirbelte abermals herum

und begann hinter Singh in die Tiefe zu klettern, so schnell er nur konnte.

Wie sich herausstellte, hatten sowohl Sarn als auch Astaroth Recht gehabt: Es gab unter der H#246;hle ein wahres Labyrinth von Stollen und G#228;ngen, durch das sie entkommen konnten, und es wimmelte nur so von unterschiedlich gro#223;en, unterschiedlich h#228;sslichen und unterschiedlich aggressiven Kreaturen, die darin zu wetteifern schienen, sie ununterbrochen zu stechen und zu bei#223;en. Sie waren nicht so gef#228;hrlich wie die M#246;rderkrabben, denen die Krieger auf der untersten Ebene zum Opfer gefallen waren, aber sie sorgten doch daf#252;r, dass sie sich keine Sekunde der Ruhe g#246;nnen konnten.

Mike fragte sich bald vergeblich, wie Sarn es schaffte, in dem ungeheuerlichen Durcheinander aus G#228;ngen und H#246;hlen nicht die Orientierung zu verlieren. Er selbst h#228;tte schon nach wenigen Schritten nicht einmal gewusst, aus welcher Richtung sie gekommen waren, geschweige denn, wohin sie gehen sollten. Singh schien jedoch auf die gleiche, schon fast magische Weise seinen Weg zu finden wie Sarn am Tag zuvor.

Er sch#228;tzte, dass sie ungef#228;hr eine Stunde durch das unterirdische Labyrinth geirrt waren, ehe es vor ihnen endlich wieder hell wurde: ein blasser, gr#252;ner Schein, der kaum heller war als der der Leuchtalgen, die die W#228;nde in unregelm#228;#223;igen Flecken bedeckten, und kaum etwas mit dem gemein hatte, was Mike unter dem Wort Tageslicht verstand. Singh jedoch schien es als solches zu deuten, denn er atmete erleichtert auf und beschleunigte seine Schritte, gab Mike jedoch gleichzeitig mit Gesten zu verstehen, dass er zur#252;ckbleiben und auf ihn warten sollte.

W#228;hrend Singh sich mit schnellen Schritten dem Felsspalt n#228;herte, durch den das Tageslicht hereindrang, lie#223; sich Mike ersch#246;pft auf einen Stein sinken. Astaroth sprang neben ihn und begann all die zahlreichen winzigen Wunden und Schrammen zu lecken, die er im Verlaufe der letzten Stunde davongetragen hatte; wesentlich mehr #252;brigens als Mike und Singh. Manchmal hatte es gewisse Nachteile, kurze Beine zu haben und dem Boden und seinen bissigen Bewohnern damit besonders nahe zu sein.

Du k#246;nntest mich ruhig ein bisschen bedauern,n#246;rgelte Astaroths telepathische Stimme in seinem Kopf.

Diese Biester haben mich fast aufgefressen!»Geschieht dir Recht«, antwortete Mike, dessen Mitgef#252;hl sich tats#228;chlich in engen Grenzen hielt. »Du h#228;ttest uns ruhig ein bisschen fr#252;her warnen k#246;nnen. Dann h#228;tten wir vielleicht Zeit gehabt, auf einem anderen Weg zu verschwinden.«

Astaroth h#246;rte auf sich zu putzen und funkelte ihn aus seinem einzigen Auge w#252;tend an.Witzbold!fauchte er.Es war schwer genug, euch zu finden. Euer Versteck war ziemlich gut.

»Offensichtlich nicht gut genug«, antwortete Mike.

»Sonst h#228;tten Argos’ Leute uns nicht aufgesp#252;rt. Ich verstehe nicht, wie sie uns aufsp#252;ren konnten! Hier unten ist genug Platz, um eine ganze Armee zu verstecken!«

Ganz einfach,antwortete Astaroth.Ihr habt einen Verr#228;ter unter euch.

»Wie?«, fragte Mike ungl#228;ubig.

Es ist die Wahrheit,antwortete Astaroth.Ich habe ein paar der Krieger belauscht. Von ihnen habe ich #252;berhaupt erst erfahren, wo ihr seid.

»Wer ist es?«, fragte Mike.

Astaroth versuchte ein menschliches Achselzucken nachzuahmen. Es war nicht das erste Mal, dass er das versuchte, und das Ergebnis fiel auch diesmal so l#228;cherlich aus wie zuvor.Woher soll ich das wissen?

»Was soll das hei#223;en: Woher soll ich das wissen?«, wiederholte Mike. »Ich denke, du kannst Gedanken lesen?«

Hmm,machte Astaroth.

»Hmm?« Mikes Geduld war endg#252;ltig ersch#246;pft. W#252;tend griff er nach dem Kater, packte ihn mit beiden H#228;nden und sch#252;ttelte ihn wild. »Jetzt h#246;r endlich auf den Geheimnisvollen zu spielen und erz#228;hl mir gef#228;lligst, was hier vorgeht!«

Es w#228;re Astaroth ein Leichtes gewesen, sich aus Mikes Griff zu befreien. Aber er tat es nicht, sondern beschr#228;nkte sich nur darauf, sich mit den Hinterl#228;ufen abzustemmen, damit seine Z#228;hne nicht aufeinander schlugen.

Ich spiele nicht den Geheimnisvollen,protestierte er.Ich habe meine eigenen Probleme. Verdammt, es war schwer genug, dich zu finden! Was glaubst du wohl, warum ich erst nach drei Monaten aufgetaucht bin!

Mike lie#223; den Kater #252;berrascht los. »Wie ... meinst du das?«

Astaroth antwortete nicht gleich, sondern brachte sich hastig aus Mikes Reichweite und be#228;ugte ihn misstrauisch.

Fr#252;her warst du nicht so grob zu mir!beschwerte er sich.

»Fr#252;her waren auch nicht alle meine Freunde verschwunden und die NAUTILUS in den H#228;nden eines verr#252;ckten Tyrannen«, antwortete Mike – allerdings in nicht ann#228;hernd so zornigem Ton, wie er eigentlich vorgehabt hatte. Ganz im Gegenteil meldete sich sein schlechtes Gewissen. Astaroth hatte Recht: Er war nie zuvor handgreiflich gegen#252;ber dem Kater geworden.

Die Wahrheit ist, dass ich keine Gedanken mehr lesen kann,

sagte Astaroth pl#246;tzlich. »Wie?«, fragte Mike erschrocken.

Irgendetwas hier in Lemura nimmt mir meine F#228;higkeiten,best#228;tigte Astaroth zerknirscht.Es ist wie damals auf der Insel. Ich kann die Gedanken der Leute hier ebenso wenig lesen, wie ich die Argos’ lesen konnte. Selbst bei dir habe ich M#252;he. Ich kann dich nur verstehen, wenn ich nahe genug bin.

»Deshalb wei#223;t du auch nicht, wo die anderen sind«, sagte Mike leise.

Ja. Ich habe versucht, Serena zu finden, aber es ist mir nicht gelungen. Danach habe ich mich auf die Suche nach dir gemacht. Es war verdammt schwer. Du hast es ja selbst gesagt: Die Leute hier haben ein Wesen wie mich noch nie zuvor gesehen. Ich musste sehr vorsichtig sein.

»Du hast wirklich keine Ahnung, wo Serena ist?«, fragte Mike.

Wenn ich die h#228;tte, w#228;re ich nicht hier, sondern bei ihr,antwortete Astaroth patzig.Aber ich nehme an, dass Argos sie irgendwo in seinem Palast gefangen h#228;lt.

»Du hast dich nicht davon #252;berzeugt?«

Ich komme nicht hinein,gestand Astaroth kleinlaut.Frag

mich blo#223; nicht, wieso. Jedes Mal, wenn ich versuche, mich ihm auch nur zu n#228;hern ... kann ich es einfach nicht.

Singh kam zur#252;ck. »Die Luft ist rein«, sagte er. »Aber es gibt schlechte Neuigkeiten. Offenbar sind nicht alle entkommen. Ich habe eine Gruppe Krieger gesehen, die Gefangene in Richtung Palast gebracht haben.«

»War Sarn bei ihnen?«, fragte Mike erschrocken.

Singh hob die Schultern. »Das konnte ich nicht erkennen. Ich verstehe einfach nicht, wie sie uns aufsp#252;ren konnten. Sarns Leute benutzen dieses Versteck seit einem Jahr!«

»Es gibt einen Verr#228;ter unter ihnen«, sagte Mike. »Astaroth hat es mir erz#228;hlt.«

Singh blickte den Kater erschrocken an. »Bist du sicher? Konntest du seinen Namen heraus ...« Pl#246;tzlich stockte er und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Wir k#246;nnen sp#228;ter dar#252;ber nachdenken. Lass uns jetzt gehen. Der Weg bis zum Kristallwald ist ziemlich weit.«

Zumindest in dieser Hinsicht hatte Singh #252;bertrieben. Es lag in der Natur Lemuras, dass nichts hier wirklich weit war, und sie hatten sich, w#228;hrend sie durch das unterirdische Labyrinth wanderten, bereits wieder ein gutes St#252;ck von der Stadt entfernt. Sie brauchten jedoch weit mehr als zwei Stunden, um zu ihrem Ziel zu gelangen, denn die Zeit war gegen sie: Nach der Zeitrechnung Lemuras musste ungef#228;hr Mittag sein, was bedeutete, dass sie die meiste Zeit in Geb#252;sche gekauert oder hinter Felsen geduckt dahockten, um nicht entdeckt zu werden. Als sie den Kristallwald endlich erreichten, war der mit Sarn verabredete Zeitpunkt l#228;ngst vorbei. Weder von Sarn noch von irgendeinem der anderen, die sie unten in den H#246;hlen getroffen hatten, war auch nur eine Spur zu sehen.

»Ob sie alle erwischt haben?«, fragte Mike niedergeschlagen.

»Ich hoffe nicht«, antwortete Singh. Dann sch#252;ttelte er den Kopf und sagte lauter und in #252;berzeugterem Ton: »Ich glaube es nicht. Bei den Kriegern, die ich gesehen habe, waren nur einige wenige Gefangene. Die meisten sind bestimmt entkommen. So leicht l#228;sst sich ein Mann wie Sarn nicht einfangen. Wartet hier. Ich sehe mich ein wenig in der Umgebung um. Und gebt Acht, dass euch niemand sieht.«

Mike nickte. Astaroth und er zogen sich in den Schutz eines Geb#252;sches zur#252;ck, w#228;hrend Singh mit schnellen Schritten verschwand, um nach Sarn oder einem der anderen Entkommenen zu suchen.

Mike sah sich mit klopfendem Herzen um. Nach Sarns Worten hatte er sich unter diesem Wald etwas g#228;nzlich anderes vorgestellt. Er wusste nicht, was – ganz gewiss keinen Wald, der wirklich aus Kristallen bestand – aber irgendetwas Besonderes eben. Das kleine Waldst#252;ck, in dem sie sich befanden, sah jedoch ganz normal aus.

»Warum man es wohl Kristallwald nennt?«, murmelte Mike.

Er bekam keine Antwort, aber ihm fiel auf, dass Astaroth nicht einmal in seine Richtung sah. Und das, obwohl der Kater normalerweise nie eine Gelegenheit auslie#223;, um eine seiner geh#228;ssigen Bemerkungen loszulassen. Er sa#223; einfach da, leckte

sich die Vorderpfoten und tat so, als w#228;re Mike gar nicht da. »Astaroth?«, fragte Mike. Astaroth reagierte nicht. »Habe ich dich irgendwie beleidigt?«, fragte Mike. Astaroth reagierte immer noch nicht. Seine Ohren zuckten, aber er fuhr seelenruhig fort, sich die Pfoten

zu lecken. Irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Mike beugte sich vor, streckte die Hand nach dem Kater

aus und ber#252;hrte ihn vorsichtig am Kopf. Astaroth fauchte erschrocken, prallte mit einem Satz zur#252;ck und schlug nach ihm. Seine Krallen hinterlie#223;en lange, blutige Kratzer auf Mikes Hand.

»Au!«, schrie Mike – allerdings weit mehr #252;berrascht als wirklich zornig. Trotzdem f#252;gte er noch hinzu: »Bist du verr#252;ckt geworden?« Er sprang hoch, machte einen Schritt auf Astaroth zu und blieb wieder stehen, als der Kater einen Buckel

machte und fauchend vor ihm zur#252;ckwich. Astaroths Auge funkelte und er hatte die Krallen drohend

ausgefahren. Mikes Verwirrung verwandelte sich in j#228;hen Schrecken, dann in Besorgnis. Astaroth benahm sich wie ausgewechselt. Es war, als ob der Kater nicht einmal mehr w#252;sste, wer er war!

»Astaroth!«, murmelte er. »Was ist denn mit dir los?«

Er bekam keine Antwort. Astaroth fauchte nur noch einmal, dann fuhr er herum und verschwand wie der Blitz im Unterholz. Mike blickte ihm vollkommen verst#246;rt hinterher. Singh kam aus der entgegengesetzten Richtung herangest#252;rmt. Auf seinem Gesicht lag ein erschrockener

Ausdruck und er hatte die Hand auf das Schwert gelegt. »Was ist los?«, rief er. »Du hast geschrien! Was

ist passiert?« »Astaroth.« Mike streckte dem Inder den rechten Arm entgegen. Auf seinem Handr#252;cken prangten drei frische, blutige Schrammen. »Er ist pl#246;tzlich einfach auf mich losgegangen!«

»Er hat dich angegriffen?«, fragte Singh ungl#228;ubig. »Astaroth?«

»Er ist vollkommen durchgedreht!« Mike presste die schmerzende Hand gegen die Seite. »Und zwar vollkommen grundlos ... Hast du Sarn oder einen der anderen gesehen?« Singh sch#252;ttelte den Kopf. »Nein. Und wir sollten auch nicht l#228;nger hier bleiben. Dieser Ort gef#228;llt mir

nicht.«

Mike konnte ihm nicht widersprechen. Der Dschungel ringsum war so dicht, dass nicht einmal daran zu denken war, Astaroth zu folgen. Au#223;erdem wusste er aus langj#228;hriger Erfahrung, was f#252;r ein sinnloses Unterfangen es war, den Kater zu suchen. Wenn Astaroth nicht gefunden werden wollte, dannwurdeer nicht gefunden. Trotzdem fragte er: »Und ... Astaroth?«

Singh zuckte mit den Schultern. »Er wird uns schon finden. Komm jetzt!«

Sie verlie#223;en den kleinen Hain und n#228;herten sich vorsichtig wieder der Stra#223;e, von der sie abgebogen waren. Nach einigen Schritten blieb Mike jedoch noch einmal stehen und sah zur#252;ck. Aus der Entfernung betrachtet wirkte der Kristallwald noch unheimlicher als aus der N#228;he. Es war, als ob ein unsichtbarer Schatten #252;ber den B#228;umen hing; etwas, was nicht zu sehen, aber sehr deutlich zu sp#252;ren war.

»Mach dir keine Sorgen«, sagte Singh. »Dein Kater kommt schon zur#252;ck, wenn er sich beruhigt hat.«

Mike sah den Inder verwirrt an, aber dann sch#252;ttelte er den Kopf. »Das meine ich nicht«, sagte er. »Aber irgendetwas stimmt mit diesem Wald nicht.«

»Was soll damit nicht stimmen?«, fragte Singh. »Aber sp#252;rst du es denn nicht?«, fragte Mike. »Da ist irgendetwas. Ich f#252;hle mich in seiner N#228;he einfach nicht wohl.«

Singh machte eine wegwerfende Geste. »Ich f#252;hle mich in ganz Lemura nicht wohl«, sagte er. »Je schneller wir hier wegkommen, desto besser.« Er machte eine Handbewegung zu dem k#252;nstlichen, in sanftem Gr#252;n schimmernden Himmel #252;ber ihnen. »Der Druck von viertausend Metern Wasser lastet auf dieser Kuppel. Irgendwann wird sie zusammenbrechen. Und dann m#246;chte ich m#246;glichst weit weg sein.« »Zusammenbrechen? Wie kommst du darauf? Sie steht seit zehntausend Jahren.«

»Und das sind wahrscheinlich neuntausend mehr, als ihre Konstrukteure vorgesehen haben«, antwortete Singh. Er sch#252;ttelte heftig den Kopf, als Mike widersprechen wollte, und fuhr mit erhobener Stimme fort: »Lemura ist dem Untergang geweiht, Mike. Die Kuppelstadt ist ein technisches Wunderwerk, zu dem unsere Zivilisation niemals in der Lage w#228;re, aber auch ihr sind Grenzen gesetzt. Und ihre Grenzen sind erreicht, Mike, schon seit langer Zeit. Lemura wird untergehen. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht auch erst in f#252;nf, vielleicht aber auch schon morgen.«

Mike war verwirrt – nicht einmal so sehr #252;ber das, was Singh sagte, sondern #252;ber die Art,wieer es tat. Der Inder war #252;ber die Ma#223;en erregt.

»Du wei#223;t eine Menge #252;ber Lemura«, sagte er vorsichtig.

»Ich habe lange mit Argos gesprochen«, antwortete Singh.

»Wann?«

»Auf dem Weg hierher«, antwortete Singh. »Er hat mich ein paar Mal zu sich gerufen, w#228;hrend du und die anderen in euren Kabinen gefangen wart. Wir haben lange miteinander geredet. Er hat versucht, mich von seiner Sache zu #252;berzeugen ... Ich wei#223; nicht, warum gerade mich. Vielleicht weil er glaubte, mich am ehesten #252;berzeugen zu k#246;nnen.«

»Und wieso?«

Singh hob die Schultern. »Vielleicht, weil ichichbin«, sagte er. »Es ist noch nicht so furchtbar lange her, da war auch ich ein Sklave – ganz wie die meisten Menschen hier.«

»Man k#246;nnte fast glauben, es w#228;re ihm gelungen«, sagte Mike leise. Singh l#228;chelte. »Kaum. Allerdings bin ich nicht mehr der Meinung, dass er und die anderen wirklich so blutr#252;nstige Ungeheuer sind, wie Sarn und viele hier glauben.«

»Das ist doch nicht dein Ernst!«, emp#246;rte sich Mike. »Ich habe als Sklave in den Korallenbr#252;chen gelebt! Ich habe am eigenen Leib gesp#252;rt, wie wenig ein Menschenleben hier z#228;hlt!« »Es ist die einzige Art, auf die sie #252;berleben k#246;nnen, Mike«, sagte Singh ernst.

»Wie bitte?«, keuchte Mike. »Du ... duverteidigstdiese Kerle auch noch?« »Keineswegs«, antwortete Singh ruhig. »Ich versuche nur, es dir zu erkl#228;ren. Lemura war niemals f#252;r so viele Menschen gedacht und niemals f#252;r eine so lange Zeit. Als der Nachschub aus Atlantis ausblieb, da w#228;ren die Menschen hier beinahe alle gestorben. Sie mussten lernen, mit dem zu leben, was die Natur hier unten bietet. Was nicht viel war.«

»So kann man es auch sehen«, sagte Mike d#252;ster.

»Und die herrschende Klasse hat rasch gelernt, es sich auf Kosten der anderen gut gehen zu lassen, nicht wahr?« »Ja«, best#228;tigte Singh. »Und das m#252;ssen sie auch.« Mike riss ungl#228;ubig die Augen auf. »Wie?« »Es sind nur wenige«, sagte Singh. »Aber die wenigen entschieden #252;ber das Weiterleben oder Sterben

aller. Sie sind die Einzigen, die noch mit der alten Technik umgehen k#246;nnen. Ohne Argos und die anderen, die im Palast leben, w#252;rden alle hier binnen k#252;rzester Zeit zugrunde gehen.«

»Das gibt ihnen doch nicht das Recht –« »Es ginge keinem hier wesentlich besser, wenn es die herrschende Kaste nicht g#228;be«, fiel ihm Singh ins Wort. »Und sie sind nicht nur Ausbeuter und Tyrannen. Warum glaubst du wohl, haben Argos und die anderen Lemura verlassen und ihr eigenes Leben dabei aufs Spiel gesetzt?«

»Du hast es vorhin selbst gesagt: Lemura wird untergehen.« »Sie h#228;tten nicht zur#252;ckkommen m#252;ssen«, fuhr Singh fort. »Sie haben fast alles, was von Lemuras alter Technik noch #252;brig war, aufgewandt, um an die Meeresoberfl#228;che zu gelangen. Aber nicht, um ihre

eigenen Leben zu retten, sondern um eine M#246;glichkeit zu finden, wie alle Menschen von hier fortkommen k#246;nnen!« »Die Flugscheibe«, murmelte Mike.

»Anfangs, ja«, antwortete Singh. »Aber dann trafen sie uns.

Deshalb haben sie uns die NAUTILUS weggenommen, Mike: Um mit ihrer Hilfe die Menschen von hier wegzubringen.« »Und warum haben sie uns nicht einfach um Hilfe gebeten?«, fragte Mike. »Wir h#228;tten es doch getan!« »Das musst du Argos und die anderen fragen«, antwortete Singh. »Ich habe ihm dasselbe gesagt, aber er

hat mir nicht geglaubt.« Er zuckte mit den Schultern.

»Was ist los mit dir, Singh?«, fragte Mike. »Wieso ... verteidigst du Argos und die anderen pl#246;tzlich? Du ... du bist ja gar nicht mehr du selbst!« »Vielleicht habe ich angefangen, #252;ber gewisse Dinge nachzudenken«, antwortete Singh hart. »Wenn dir

das nicht gef#228;llt, sag es einfach. Ich kann gerne wieder dein Sklave sein wie fr#252;her.« Mike war vollkommen fassungslos. Fr#252;her, lange bevor sie die NAUTILUS gefunden und damit ihr neues, abenteuerliches Leben begonnen hatten, war Singh tats#228;chlich sein Diener und Leibw#228;chter gewesen. Aber er hatte ihn niemals als Dienstboten behandelt oder gar alsSklaven!Singhs Worte

entbehrten nicht nur jeder Grundlage, sie taten weh. Mike antwortete nicht darauf, sondern drehte sich wortlos herum und starrte zu Boden. Hinter ihm raschelte etwas. Mike hob den Blick und erwartete Astaroth wieder zu sehen, der sich

m#246;glicherweise beruhigt hatte und zur#252;ckkam. Statt des Katers jedoch stand pl#246;tzlich Sarn wie aus dem

Boden gewachsen vor ihnen. »Das war ein #228;u#223;erst interessanter Vortrag«, sagte er an Singh gewandt. »Ich beginne mich allm#228;hlich zu fragen, ob unser

Anf#252;hrer nicht in Wirklichkeit auf der Seite unserer Feinde steht.« Singh funkelte ihn zornig an, antwortete aber zu Mikes #220;berraschung nicht darauf, sondern sagte

stattdessen: »Wo warst du so lange?« »Oh, ich bin schon eine ganze Weile hier«, antwortete Sarn. »Ich dachte mir, dass es vielleicht nicht das

D#252;mmste w#228;re, einmal zuzuh#246;ren, was du und dein Freund zu bereden haben, wenn ihr glaubt, alleine zu sein. Wie sich gezeigt hat, zu Recht. Und wir haben dir vertraut!« »Ich habe euch nie versprochen –«, begann Singh, aber Sarn h#246;rte ihm gar nicht mehr zu, sondern

wandte sich an Mike. »War das die Wahrheit, was du gerade zu ihm gesagt hast?«, fragte er. »Was?«

»Dass ihr Argos und den anderen geholfen h#228;ttet, von hier zu entkommen?« »Selbstverst#228;ndlich«, antwortete Mike. Sarn z#246;gerte. Er warf einen raschen, unsicheren Blick in Singhs Richtung, ehe er fortfuhr: »W#252;rdet ihr

dasselbe auch ... auch f#252;r uns tun, wenn wir euch darum bitten w#252;rden?« »Sogar, wenn ihr unsnichtdarum bitten w#252;rdet«, sagte Mike #252;berzeugt. »Versprich nichts, was du nicht halten kannst«, sagte Singh. »Wie stellst du dir das vor? Willst du

zwanzigtausend Menschen an Bord der NAUTILUS schaffen? Dazu ist sie ein bisschen zu klein.« »Dann fahren wir eben mehrmals«, antwortete Mike ver#228;rgert. Was war nur mit Singh los? »Ach, und wie oft? Zehnmal? Zwanzigmal?« »Wenn es sein muss, f#252;nfzigmal!«, erwiderte Mike w#252;tend. »Wir werden schon einen Weg finden! Was

ist los mit dir, Singh?Willstdu diesen Leuten hier nicht helfen?«

»Ich will vor allem keine falschen Hoffnungen erwecken!«, antwortete Singh in ungewohnt scharfem Ton. »Was du vorhast, ist unm#246;glich!« »Wieso?«, fragte Sarn. »Was Mike vorschl#228;gt, ist nicht zu schaffen«, antwortete Singh. »Es hat nichts damit zu tun, ob wir euch

helfen wollen oder nicht. Es geht nicht. Die NAUTILUS ist nicht gro#223; genug, um auch nur einen Bruchteil der Bewohner Lemuras an Bord zu nehmen. Und wir k#246;nnen nicht zehnmal fahren. Du wirst es wahrscheinlich nicht verstehen, aber eure Welt liegt auf dem Grunde des Meeres. Der Wasserdruck in dieser Tiefe ist unvorstellbar. Es ist ein Wunder, dass die NAUTILUS es einmal hier herunter geschafft hat!«

»Und wer sagt dir, dass –«, begann Sarn. Er kam nicht weiter. Irgendetwas ... Gewaltiges geschah. Mike sp#252;rte es den Bruchteil einer Sekunde, bevor es wirklich passierte. Einen Moment sp#228;ter begann der Boden unter ihren F#252;#223;en zu zittern und

dann ert#246;nte ein unheimliches, knirschendes Ger#228;usch, ein Laut, als f#252;hre der gr#246;#223;te Fingernagel der Welt #252;ber eine noch viel gr#246;#223;ere Glasscheibe. Und es kam vonoben!Mike, Singh und der Krieger warfen erschrocken die K#246;pfe in den Nacken. Der Anblick, der sich ihnen

bot, lie#223; Mike das Herz stocken. Der k#252;nstliche Himmel #252;ber ihnen ... bewegte sich! Die gesamte, riesenhafte Kuppel hatte zu zittern begonnen. Teile des ungeheuerlichen Gebildes schoben

sich knirschend gegeneinander, bewegten sich hin und her und dann entstand im Zenit des k#252;nstlichen Himmelsgew#246;lbes ein scheinbar haarfeiner Riss, aus dem rauchiger Dunst quoll.

Mike hatte jedoch keine Sekunde lang die Dimension der Kuppelstadt vergessen. Der k#252;nstliche Himmel befand sich mehrere Kilometer #252;ber ihnen. Was wie ein haard#252;nner Riss aussah, musste in Wahrheit ein meterbreiter Spalt sein, durch den das Wasser mit unvorstellbarer Gewalt hereindrang. Singhs Prophezeiung hatte sich schneller erf#252;llt, als er vermutlich selbst geahnt hatte. Die Kuppel #252;ber Lemura brach zusammen und der Ozean str#246;mte herein!

»Gro#223;er Gott!«, fl#252;sterte Mike. »Sarn! Die Kuppel!« »Warte«, sagte Sarn. Er wirkte angespannt, aber eigentlich nicht in Panik. Er schien nicht einmal wirklich Angst zu haben.

Mike sah wieder nach oben. Was im ersten Moment wie grauer Dunst ausgesehen hatte, war mittlerweile zu einer Sturzflut aus Meereswasser geworden, die sich in der Kuppel verteilte und zu eisigem Regen wurde, ehe sie den Boden erreichte.

Dann jedoch geschah etwas, was Mike noch viel unglaublicher erschien. Der unvorstellbare Wasserdruck, der in dieser Tiefe herrschte, h#228;tte den Riss binnen Sekunden erweitern und die Kuppel zerbersten lassen m#252;ssen. Doch das genaue Gegenteil geschah: Vor Mikes ungl#228;ubig aufgerissenen Augen begann sich der Riss zu schlie#223;en und der Wasserstrom versiegte!

»Aber ... aber wie ist denn das m#246;glich!«, stammelte Mike. Sein Herz jagte und er zitterte am ganzen Leib. Auch wenn es ihm nicht bewusst gewesen war, so hatte er doch in den letzten Sekunden innerlich praktisch mit dem Leben abgeschlossen.

»Die Kuppel repariert sich selbst«, sagte Singh leise. »Ich sagte dir doch: Die Technik der alten Atlanter war der unseren grenzenlos #252;berlegen. W#228;re es anders, h#228;tte die Kuppelstadt kaum zehntausend Jahre lang existiert.«

»Soll das hei#223;en, dass das schon #246;fter passiert ist?«, fragte Mike.

»Dreimal, allein seit ich hier bin«, antwortete Singh.

»Das stimmt«, f#252;gte Sarn leise hinzu. »Und es wird jedes Mal schlimmer.«

»Das ist es, was ich meine«, sagte Singh. Er z#246;gerte eine Sekunde weiterzusprechen, und als er es schlie#223;lich tat, klang seine Stimme h#246;rbar h#228;rter und er sah demonstrativ an Sarn vorbei. »Lemura ist zum Untergang verurteilt und keine Macht der Welt kann daran noch etwas #228;ndern. Auch du nicht.«

»Vielleicht stimmt es«, murmelte Sarn nach einer Weile. Seufzend lie#223; er sich neben Mike auf einen Felsen sinken und starrte ins Leere. »Wir wussten immer, dass Lemura eines Tages untergehen wird. Aber nat#252;rlich haben wir gedacht, dass esirgendwanneinmal geschehen w#252;rde. In der n#228;chsten Generation oder der #252;bern#228;chsten ... nur nicht jetzt.«

Er seufzte erneut, legte den Kopf in den Nacken und sah zu der Stelle im Kuppeldach empor, an der das Wasser eingebrochen war. Der Spr#252;hregen aus Salzwasser hatte wieder aufgeh#246;rt, aber Mike glaubte pl#246;tzlich so deutlich wie nie zuvor das Gewicht der Millionen und Abermillionen Tonnen Wasser zu sp#252;ren, das darauf lastete.

»Es sieht so aus, als h#228;tten wir uns geirrt«, murmelte Sarn.

Die Worte machten Mike w#252;tend, auch wenn er im ersten Moment selbst nicht genau wusste, warum. »Wenn du wirklich so denkst, dann frage ich mich, warum du das alles #252;berhaupt getan hast!«, sagte er scharf. »Warum bist du nicht einfach der Krieger der Palastwache geblieben, der du warst, und hast auf den Tag gewartet, an dem euch der Himmel auf den Kopf f#228;llt?«

Sarn blinzelte. Mikes Zornesausbruch irritierte ihn sichtlich. Aber er sagte nichts.

Nach einer Weile erhoben sie sich schweigend und gingen.

F#252;r mehr als eine Stunde bewegten sie sich in die Richtung zur#252;ck, aus der Mike und Sarn vor zwei Tagen gekommen waren, und Mike begann sich schon zu fragen, ob der Krieger ihn vielleicht wieder geradewegs in die Korallenbr#252;che zur#252;ckbringen w#252;rde, in denen alles begonnen hatte. Dann aber wich Sarn in nahezu rechtem Winkel von seinem Kurs ab und nach kurzer Zeit standen sie vor einer gewaltigen, lotrecht in die H#246;he strebenden Felswand, die sich nahezu am Rande der Kuppelstadt befinden musste.

»Was ist das hier?«, fragte Mike.

»Die Eisengruben.« Es war Singh, der antwortete, nicht Sarn. Er klang ein bisschen verwirrt, aber auch besorgt. Mit einer Handbewegung auf den Boden fuhr er fort: »Sie sch#252;rfen dort unten nach Eisenerz und anderen Metallen. Es ist ziemlich gef#228;hrlich dort unten.« Er wandte sich an Sarn. »Warum hast du uns hierher gebracht?«

»Weil eure Freunde hier sind«, antwortete Sarn. »Ben und Juan ... das waren doch ihre Namen, oder?«

Singh nickte verbl#252;fft. »Ja. Aber woher wei#223;t du ... ?«

»Ich war Mitglied der Palastwache, schon vergessen?«, antwortete Sarn achselzuckend. »Es gibt nicht viele Geheimnisse in Argos’ Palast. Ich wusste die ganze Zeit #252;ber, wo sie waren.«

»Und warum hast du dann mich befreit statt der anderen?«, wollte Mike wissen.

»Weil es einfacher war«, sagte Singh an Sarns Stelle. »In den Eisengruben arbeiten nur Sklaven oder verurteilte Schwerverbrecher. Sie werden streng bewacht. Es ist beinahe unm#246;glich hineinzukommen.«

»Und noch schwerer wieder hinaus«, f#252;gte Sarn grimmig hinzu. »Aber wir werden es schaffen.«

»Was?«, fragte Singh.

»Eure Freunde zu befreien«, antwortete Sarn. »Aus diesem Grund sind wir doch hergekommen, oder?«

»Nat#252;rlich«, sagte Singh. »Aber dort hinunterzugehen ist Wahnsinn. Es wimmelt von Kriegern und bewaffneten Posten!«

»Ein kleines Risiko m#252;ssen wir schon eingehen«, sagte Sarn sp#246;ttisch. Er hob die Hand, als Singh auffahren wollte. »Nur keine Angst. Ich kenne einen Weg, auf dem wir zumindest ungesehen hineinkommen.«

»Wie beruhigend«, sagte Singh h#246;hnisch. »Und #252;ber das Hinaus machen wir uns Gedanken, wenn es so weit ist, wie?«

»Ganz genau«, best#228;tigte Sarn. »Und jetzt sucht euch irgendwo ein Versteck. Ich muss f#252;r eine oder zwei Stunden fort. Das Beste wird sein, wenn ihr ein wenig zu schlafen versucht.«

Und damit verschwand er mit schnellen Schritten im Unterholz, noch bevor Singh oder Mike Gelegenheit fanden, auch nur eine weitere Frage zu stellen.

Es erwies sich als nicht besonders schwer, in dem dichten Unterholz einen Platz zu finden, von dem aus sie ihre Umgebung im Auge behalten konnten, ohne selbst sofort gesehen zu werden. Die Lichtung war klein; trotzdem setzte sich Singh so weit von ihm entfernt hin, wie es nur ging, und wich auch seinem Blick aus und Mike bekam ein weiteres Mal Gelegenheit, dar#252;ber nachzudenken, wie sehr sich Singh doch ver#228;ndert hatte. Und er fragte sich nicht zum ersten Mal, ob sich diese Ver#228;nderung wohl jemals wieder r#252;ckg#228;ngig machen lassen w#252;rde.

Neben ihm raschelte etwas. Mike fuhr erschrocken zusammen, doch zu seiner Erleichterung war es. weder eine Raubkrabbe noch irgendein anderes lemurisches Ungeheuer aus dem Unterholz, sondern eine pechschwarze, ein#228;ugige Katze.

»Astaroth!«, rief er #252;berrascht. »Wo kommst du denn her?!«

Der Kater funkelte ihn aus seinem einzigen Auge an.

Na du machst mir Spa#223;!n#246;rgelte er.Erst lasst ihr zwei T#246;lpel mich mutterseelenallein im Nichts zur#252;ck und dann meckerst du auch noch! Wenn du glaubst, dass ich das komisch finde, dann irrst du dich!

»Wie?«, fragte Mike.

Tu nicht noch so unschuldig,maulte Astaroth.Dein Humor war auch schon mal komischer.

Mike starrte den schwarzen Kater total verdattert an. Im allerersten Moment hatte er geglaubt, dass Astaroth ihn auf den Arm nehmen wollte, aber die Entr#252;stung des Katers wirkte echt. Trotzdem sagte er: »Moment mal!Dubist einfach weggelaufen, als wir im Kristallwald waren!«

Weggelaufen? Ich?!Astaroth fauchte #228;rgerlich.Da h#246;rt sich doch alles auf. Ihr zwei seid einfach verschwunden und ich habe bis jetzt gebraucht, um euch wieder zu finden! Und jetzt machst du dich auch noch #252;ber mich lustig?!

Mike sagte jetzt nichts mehr. Offenbar hatte Astaroth den Zwischenfall im Kristallwald einfach vergessen. Singh war wohl nicht der Einzige hier, der sich sonderbar benahm. Und schlie#223;lich hatte Astaroth ihm ja schon zuvor gesagt, dass seine telepathischen Kr#228;fte hier unten in Lemura nicht besonders gut funktionierten.

Die n#228;chste #220;berraschung stand ihm auch unmittelbar bevor. Mike lie#223; sich zur#252;ck gegen einen Baumstamm sinken und kaum hatte er es getan, da sprang Astaroth auf seinen Scho#223;, rollte sich zusammen und begann wie ein junges K#228;tzchen zu schnurren; ein Benehmen, das er normalerweise als Lichtjahre unter seiner W#252;rde betrachtet h#228;tte. Und er reagierte auch nicht, als Mike ihn mehrmals lautlos in Gedanken ansprach.

Die Zeit, bis Sarn zur#252;ckkam, schien kein Ende zu nehmen. Singh starrte weiter finster ins Leere und auch Astaroths Konversation beschr#228;nkte sich auf ein anhaltendes Schnurren. Irgendetwas stimmte hier nicht. Mike konnte nicht sagen, was,

aber das Gef#252;hl wurde immer deutlicher.

Schlie#223;lich aber kehrte ihr neuer Verb#252;ndeter doch zur#252;ck und er kam nicht allein. In seiner Begleitung befanden sich fast ein Dutzend M#228;nner. Einige Gesichter kamen Mike bekannt vor; offensichtlich geh#246;rten sie zu den M#228;nnern, die er in der H#246;hle unterhalb der Hauptstadt getroffen hatte.

»Habt ihr euch ein wenig ausgeruht?«, fragte Sarn, ohne sich mit einer Begr#252;#223;ung aufzuhalten.

»Ja«, log Mike. Mit einer Geste auf Sarns Begleiter f#252;gte er hinzu: »Es freut mich, dass Argos’ Krieger nicht alle deine Leute geschnappt haben.«

»Die meisten leider schon«, antwortete Sarn d#252;ster. »Wir haben zwei geheime Treffpunkte ausgemacht f#252;r den Fall, dass so etwas wie vergangene Nacht geschieht. Das hier sind alle M#228;nner, die an einem der beiden waren.« Er seufzte tief. »Ich f#252;rchte, die meisten sind in Gefangenschaft geraten. Niemand wei#223;, was Argos und die anderen ihnen antun werden.«

»Wir werden sie befreien«, versprach Mike. »Sobald wir Chris, Ben und Juan herausgeholt haben, befreien wir auch deine Leute.«

Sarns Blick machte sehr deutlich, was er von diesem Versprechen hielt, aber er sagte nichts, sondern zuckte nur die Achseln und deutete auf die Felswand hinter sich. »Wir sollten keine Zeit mehr verlieren.«

»Der Eingang zur Mine liegt in der anderen Richtung«, gab Singh zu bedenken.

»Das stimmt«, sagte Sarn. »Aber wir nehmen nicht den offiziellen Eingang. Dort lungern mir zu viele meiner

ehemaligen Kollegen herum, wei#223;t du?«

Das erschien Mike einleuchtend. Sarn war zwar nicht allein gekommen, aber der Zugang zu den Erzgruben wurde ganz bestimmt gut bewacht und sie waren nicht hier, um Krieg zu f#252;hren. Singh schien aus irgendeinem Grund jedoch gar nicht begeistert von Sarns Vorschlag zu sein. Zu Mikes Erleichterung widersprach er jedoch nicht, sondern machte nur ein m#252;rrisches Gesicht und schloss sich ihnen an. Das hei#223;t: Eigentlich h#228;tte es hei#223;en m#252;ssen, erwurde angeschlossen.Sarns M#228;nner nahmen den muskul#246;sen Sikh-Krieger in einer Bewegung in die Mitte, die wie zuf#228;llig wirkte, es aber ganz bestimmt nicht war. Irgendetwas stimmt hier nicht, dachte Mike. Daf#252;r, dass Singh noch vor einem Tag der Anf#252;hrer des Widerstandes gewesen war, behandelten sie ihn mit einer erstaunlichen Feindseligkeit.

Sie bewegten sich ein paar hundert Meter parallel zur Felswand entlang, dann blieb Sarn pl#246;tzlich stehen und deutete auf den Stein. Mike sah sehr aufmerksam in die angegebene Richtung, konnte aber nicht einmal den winzigsten Riss entdecken. Als Sarn jedoch auf die Felswand zutrat, schienen sich die Schatten irgendwie zu verschieben und mit einem Male standen sie in einer niedrigen, aber sehr weitl#228;ufigen H#246;hle, die vom Licht der Mike bereits wohlbekannten Leuchtalgen in schummeriges Gr#252;n getaucht wurde.

»Wie hast du das gemacht?«, fragte Mike erstaunt. »Das grenzt ja an Zauberei!«

»Nur ein kleiner optischer Trick«, antwortete Sarn. »Aber sprich jetzt nicht mehr. Diese G#228;nge sollten eigentlich sicher

sein, aber die Akustik hier unten ist manchmal seltsam. Wir

d#252;rfen nichts riskieren.«

Mike nickte. Mit klopfendem Herzen sah er sich um. Die H#246;hle wurde weiter hinten noch niedriger und die W#228;nde r#252;ckten n#228;her zusammen, bis die gesamte H#246;hle schlie#223;lich zu einem schmalen Tunnel zu werden schien, der sich in d#252;sterer Entfernung verlor. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, in diesen Tunnel hineinzugehen.

Aber wenn er Ben und die anderen retten wollte, hatte er keine andere Wahl.

Das ungute Gef#252;hl wurde nicht besser, als sie in die Tiefe stiegen. Der Weg war sehr schwierig. Sie trafen zwar auf keine weiteren Monster und auch von Argos’ Soldaten zeigte sich nicht die geringste Spur, aber mehr als einmal mussten sie halsbrecherische Kletterpartien bew#228;ltigen und manchmal wurde der Gang so niedrig, dass sie auf H#228;nden und Knien kriechen mussten. Die Luft wurde immer schlechter.

Mike hatte keine Ahnung, wie tief sie sich mittlerweile unter dem gewachsenen Boden Lemuras befanden, aber es musste sehr tief sein. Der Weg hatte ununterbrochen nach unten gef#252;hrt und er glaubte das ungeheure Gewicht der Felsmassen, unter denen sie sich bewegten, fast k#246;rperlich zu f#252;hlen. Gerade, als er fast so weit war, einfach nicht mehr weiterzuk#246;nnen, gab Sarn das Zeichen zum Anhalten.

»Wartet hier«, fl#252;sterte er. »Ich gehe voraus und schaue mich um. Wir sind dem Bergwerk jetzt ganz nahe, also keinen Laut!«

Noch bevor Mike irgendetwas sagen konnte, wandte er sich um und verschwand mit schnellen Schritten in der gr#252;nen D#228;mmerung. Mike sah ihm mit klopfendem Herzen nach. Er brannte noch immer darauf, Ben, Chris und Juan zu befreien, aber seine Angst wuchs auch in jedem Augenblick. Jeder Quadratzentimeter Boden hier unten machte ihm Angst. Und er wusste nicht einmal, warum.

Weil du es auch sp#252;rst,fl#252;sterte eine Stimme in seinen Gedanken.Irgendetwas ist hier. Und es ist nicht sehr gut.

Mike schrak zusammen. Astaroth hatte sie in das unterirdische Labyrinth begleitet, aber der Kater hatte sich auf seinen weichen Pfoten so lautlos bewegt, dass er seine Anwesenheit einfach vergessen hatte. Er sah den Kater auch jetzt noch nicht, aber er glaubte zu sp#252;ren, wie er sich hinter ihm bewegte.

Wie meinst du das?fragte er nerv#246;s.

Keine Ahnung,antwortete Astaroth.Aber irgendetwas ist hier. Ich wei#223; nicht, was, aber es ist lebendig. Und sehr zornig.

Mike sparte es sich, eine weitere Frage zu stellen. Er wusste, wie sinnlos es war, von dem Kater etwas erfahren zu wollen, #252;ber das dieser nicht sprechen wollte. Und dar#252;ber hinaus hatte er nicht vergessen, dass Astaroth den gr#246;#223;ten Teil seiner telepathischen F#228;higkeiten eingeb#252;#223;t hatte, seit sie in Lemura waren.

Gerade das war es aber auch, was ihn am meisten beunruhigte. Wenn Astaroth die Gefahr, die hier unten lauerte, trotz seiner fast erloschenen Kr#228;fte noch sp#252;rte, dann musste sie gewaltig sein.

Er sagte nichts mehr zu Astaroth, sondern wandte sich stattdessen an Singh. »Wieso liegen diese Minen so tief unter der Erde?«, fragte er. »Und wieso bewachen sie sie so streng?«

»Weil es keine wirklichen Minen sind«, antwortete Singh. »Nicht in dem Sinn, in dem wir das Wort verstehen. Es ist kein Bergwerk, in dem sie das Erz von den W#228;nden brechen.« Er deutete mit dem Zeigefinger der linken Hand auf den Boden. »Unter uns befindet sich eine Art unterirdischer Fluss. Das Erz liegt in gro#223;en St#252;cken auf seinem Grund. Man muss tauchen, um es herauszuholen. Sehr anstrengend und sehr gef#228;hrlich.«

»Aber warum bergen sie es nicht auf die ganz normale Art?«, fragte Mike.

»Weil das hier die ganz normale Art ist«, antwortete Singh. »Es gibt hier kein erzhaltiges Gestein, wie wir es kennen. Das ist einer der Gr#252;nde, aus denen die Atlanter die Strafkolonie genau hier errichtet haben. Sie wollten verhindern, dass die Bewohner Lemuras Metalle herstellen.«

»Damit sie nicht von hier entkommen k#246;nnen«, sagte Mike ernst.

»Vermutlich.« Singh machte ein d#252;steres Gesicht. »Sie wollten eben sichergehen, dass ihre Gefangenen f#252;r alle Zeiten hier unten festsitzen.«

»Und das werdet ihr auch, wenn ihr noch ein bisschen lauter redet«, erklang Sarns Stimme hinter ihnen. Mike sah auf und blickte in das finstere Gesicht des Kriegers, verbiss sich aber jede Antwort und auch Singh belie#223; es bei einem kalten L#228;cheln.

»Eure Freunde sind hier«, fuhr Sarn nach sekundenlangem Schweigen fort. Er sprach sehr leise und in einem gehetzten, fast angsterf#252;llten Fl#252;sterton. »Aber sie werden streng bewacht. Wir m#252;ssen uns etwas einfallen lassen.«

»Na dann viel Spa#223;«, sagte Singh h#228;misch. »Hier unten wimmelt es von Kriegern. Ich dachte, du h#228;ttest einen Plan.«

»Das hatte ich auch!«, verteidigte sich Sarn. »Aber sie scheinen die Wachen verdoppelt zu haben.«

»Und das wundert dich?« Singh deutete mit einer Kopfbewegung auf Mike. »Nachdem du ihn auf so spektakul#228;re Weise befreit hast, rechnen Argos und seine Begleiter nat#252;rlich damit, dass ihr auch seine Freunde herausholen wollt. Sie w#228;ren ja dumm, es nicht zu tun.« Er lachte b#246;se. »Wahrscheinlich laufen wir geradewegs in eine Falle!«

»Hast du eine bessere Idee?«

»H#246;rt auf, euch zu streiten«, mischte sich Mike ein. Er warf sowohl Sarn als auch dem Inder einen #228;rgerlichen Blick zu, dann sah er sich suchend nach Astaroth um und entdeckte den Kater nur wenige Meter hinter sich. Er hockte auf einem Felsen, leckte sich die Vorderpfoten und schien von dem ganzen Streit nichts mitbekommen zu haben. Laut, damit die anderen seine Worte h#246;rten, sagte er: »Astaroth. Bitte geh und sieh nach, ob die Luft rein ist.«

Ist sie nicht,n#246;rgelte Astaroth.Dazu m#252;ssten wir f#252;nftausend Meter weiter nach oben. Aber ich gehe ja schon. Ich bin das gewohnt, wei#223;t du? Ihr hackt zwar st#228;ndig und mit wachsender Begeisterung auf mir herum, tut so, als w#228;re ich gar nicht da, und f#252;ttert mich mit Abf#228;llen, aber wenn es wirklich brenzlig

wird, dann bin ich wieder daf#252;r gut, die Kastanien aus dem Feuer zu holen.

»Was hat er gesagt?«, fragte Sarn.

»Ja«, #252;bersetzte Mike.

Astaroth blinzelte, stand dann beleidigt auf und ging. Sie verfielen wieder in br#252;tendes Schweigen. Niemand sprach. Die meisten M#228;nner starrten einfach nur dumpf vor sich hin, blo#223; Sarn und Singh funkelten einander b#246;se an. Die Feindschaft zwischen den beiden M#228;nnern wurde immer deutlicher. Mike verstand das nicht mehr.

Nach einer Ewigkeit, wie es schien, kam Astaroth zur#252;ck.Singh hat Recht,sagte er.Es ist eine Falle. Sie erwarten uns.

»Was soll das hei#223;en?«, fragte Mike erschrocken.

Kommt mit,antwortete der Kater.Dann zeige ich es euch. Und seid blo#223; leise!

Mike #252;bersetzte in aller Hast, was Astaroth gesagt hatte, dann erhoben sie sich von ihren Pl#228;tzen und folgten dem Kater. Der Weg war tats#228;chlich nicht mehr sehr weit. Sie schlichen durch einen kaum anderthalb Meter hohen, mit Schutt und Ger#246;ll #252;bers#228;ten Gang, der sich nach kaum f#252;nfzig Schritten zu einer riesigen H#246;hle erweiterte. In dem d#228;mmrigen gr#252;nen Licht erkannte Mike eine Anzahl unterschiedlich gro#223;er, runder Teiche, die im gr#252;nen Licht der Leuchtalgen unheimlich schimmerten. Auch der Boden dieser gro#223;en H#246;hle war mit einem Gewirr von Felsbrocken und Tr#252;mmern #252;bers#228;t, sodass sie den Gang verlassen und ungesehen in Deckung huschen konnten.

Sarn deutete auf den am n#228;chsten liegenden See. Eine Anzahl M#228;nner sa#223; oder stand an seinem Ufer und sah einigen weiteren Gestalten zu, die im Wasser schwammen. Etliche der M#228;nner am Ufer h#228;uften gro#223;e, nass gl#228;nzende Brocken in geflochtene K#246;rbe, die wieder andere zum Ausgang trugen. Mike erinnerte sich an das, was Singh gerade erz#228;hlt hatte: Offensichtlich holten die M#228;nner im Wasser die Erzknollen vom Grunde des Sees hinauf, damit sie von den anderen fortgeschafft werden konnten. Eine #228;u#223;erst m#252;hselige – und bestimmt gef#228;hrliche – Art, Erz zu gewinnen. Eisen musste hier unten kostbarer als Gold sein.

Mike sah sich nach den Wachen um, von denen Astaroth gesprochen hatte, konnte aber nur eine einsame Gestalt erkennen, die direkt neben dem Eingang auf einen Speer gest#252;tzt dastand und alle M#252;he zu haben schien, nicht im Stehen einzuschlafen. Andererseits lagen in der weitl#228;ufigen H#246;hle mehr als genug Felsbrocken herum, um eine ganze Armee dazwischen zu verbergen.

Mike wandte sich mit einem fragenden Blick an Astaroth.Wo sind sie? Zwischen den Felsen versteckt?

In seinem Kopf ert#246;nte ein lautloses Lachen.Keineswegs. Sie sind direkt vor deiner Nase. Sieh genau hin.

Mike tat, was der Kater verlangte, konnte aber zuerst nichts Auff#228;lliges entdecken. Einige M#228;nner trugen K#246;rbe voller Erzknollen oder luden sie gerade voll, die weitaus meisten aber standen einfach nur herum und warteten, dass sie an die Reihe kamen.

Dann aber fiel ihm doch etwas auf. Die wenigen M#228;nner, die die K#246;rbe trugen, waren ausgemergelt und ersch#246;pft und wirkten zum Umfallen m#252;de oder auch krank, die anderen jedoch machten einen durchaus gesunden, kr#228;ftigen Eindruck. Und es waren eigentlich auch viel zu viele, wenn man bedachte, dass in dem runden See gerade mal zwei oder drei Gestalten schwammen. An keinem der anderen Wasserl#246;cher in der H#246;hle wurde gearbeitet.

Mike machte Singh mit einem Blick auf seine Entdeckung aufmerksam und der Inder nickte grimmig. »Argos’ Krieger«, fl#252;sterte er. »Sie wissen, dass wir kommen.«

»Aber nicht, dass wir schon da sind«, f#252;gte Sarn ebenso leise hinzu. »Wir haben eine gute Chance. Haltet euch bereit.«

Mike sagte nichts dazu, schon weil Sarn erneut heftig gestikulierte still zu sein. Aber er f#252;hlte sich injeder Sekunde weniger wohl. Sarn und seine M#228;nner waren in der #220;berzahl, und sie hatten den Vorteilder #220;berraschung auf ihrer Seite, aber ein Kampf w#252;rde wieder Tote und Verwundete bedeuten.

Da tauchte eine Gestalt aus dem See auf, lie#223; einen kopfgro#223;en Erzbrocken auf das Ufer fallen und zog sich mit einer ersch#246;pften Bewegung aufs Trockene hoch. Als sie den Blick hob, erkannte Mike, dass es sich um niemand anderen als Ben handelte.

Um ein Haar h#228;tte er laut aufgeschrien.

Ben bot einen erbarmungsw#252;rdigen Anblick. Er war immer kr#228;ftig gewesen, aber jetzt war er fast zum Skelett abgemagert. Seine Wangen waren eingefallen und die Augen lagen tief in den H#246;hlen und blickten leer. Seine H#228;nde waren abgesch#252;rft und auch sein K#246;rper war mit zahllosen Schrammen und Kratzern #252;bers#228;t.

Trotzdem g#246;nnte ihm der Mann am Ufer nur wenige Atemz#252;ge, ehe er Ben mit einem derben Fu#223;tritt wieder ins Wasser schleuderte. Noch w#228;hrend er unter heftigem Plantschen und Wellenschl#228;gen unterging, tauchten zwei weitere, mit Erzknollen beladene Gestalten aus dem Wasser auf. Mike war nicht einmal mehr #252;berrascht, als er erkannte, dass es sich um Chris und Juan handelte. Aber er war zutiefst entsetzt. Beide boten einen ebenso ausgezehrten Anblick wie Ben. Was hatten Argos’ Krieger vor? Wollten sie, dass die drei Jungen sich zu Tode arbeiteten?

Sarn schien zu sp#252;ren, wie es in Mike aussah, denn er machte eine bes#228;nftigende Geste. Seine Krieger waren bereits dabei, sich zwischen den Felsen zu verteilen, um in eine vorteilhafte Angriffsposition zu kommen. Mike war nicht wohl bei dem Gedanken, dass hier gleich ein erbitterter Kampf auf Leben und Tod losbrechen w#252;rde. Aber sie mussten Chris und die beiden anderen rausholen. So wie seine drei Freunde aussahen, war er nicht einmal sicher, dass sie die n#228;chste Stunde #252;berleben w#252;rden.

Es kam nicht zu dem Angriff; wenigstens nicht sofort. Sarns M#228;nner schlichen geduckt und von Deckung zu Deckung huschend weiter, doch gerade, als der Krieger nach seinem Schwert griff und das vereinbarte Zeichen geben wollte, begann der Wasserspiegel des Sees zu zittern und nur eine Sekunde sp#228;ter wankte der Boden unter ihren F#252;#223;en.

Und das war erst der Anfang.

Noch bevor Mike #252;berhaupt begriff, was geschah, begann es Steine zu regnen. Die gesamte riesige H#246;hle begann zu schwanken und sich zu bewegen und von der Decke regneten Felsbrocken und Steine, die zu Boden krachten oder mit einem gewaltigen Aufspritzen im Wasser verschwanden. Zwei, drei der M#228;nner am Ufer wurden getroffen und st#252;rzten zu Boden und auch der W#228;chter am Eingang verschwand unter einer gewaltigen Staub- und Tr#252;mmerwolke.

»Jetzt!«Sarn sprang in die H#246;he und riss gleichzeitig sein Schwert aus dem G#252;rtel.»Greift an!«

Auch seine Leute hatten sich mit hastigen Spr#252;ngen vor den niederregnenden Felsbrocken in Sicherheit gebracht, gehorchten seinem Befehl aber trotzdem sofort. Ohne zu z#246;gern st#252;rzten sie sich auf die als Sklaven verkleideten Krieger. Einige von denen versuchten zwar noch, ihre Waffen unter den Kleidern hervorzuziehen, aber sie hatten keine Chance. Der Kampf war nur kurz, aber sehr hart. Zwei von Sarns M#228;nnern und f#252;nf der verkleideten Wachen lagen reglos am Boden, als alles vorbei war. Die H#246;hle bebte noch immer und fallweise regneten auch noch Steine von der Decke, aber das Schlimmste war vor#252;ber.

Mike ignorierte die Gefahr, sprang hinter seiner Deckung hervor und war mit zwei, drei gewaltigen S#228;tzen am Ufer des Wasserloches. Zu seiner Erleichterung schwammen Ben, Juan und Chris noch immer im Wasser herum; unverletzt, aber vollkommen ersch#246;pft. Mike streckte blitzschnell die H#228;nde nach Juan aus, der ihm am n#228;chsten war, packte ihn und riss ihn ohne gro#223;e Anstrengung ans Ufer. Dann angelte er nach Ben, um ihn auf gleiche Weise zu retten.

In diesem Moment begann der Boden wieder heftig zu zittern. Die gesamte H#246;hle schien zu st#246;hnen wieein riesiges, sonderbares Tier. #220;berall rings um ihn herum st#252;rzten Felsbrocken und Steine zu Boden. M#228;nner schrien in Schmerz und Panik auf und auch Mike f#252;hlte einen harten Schlag gegen die Schulter und w#228;re um ein Haar gest#252;rzt.

Auch in den See schlugen die t#246;dlichen Geschosse ein. Rings um Ben und Chris spritzte das Wasser in meterhohen Font#228;nen auf. Und als w#228;re das alles nicht genug, gewahrte Mike pl#246;tzlich etwas, was ihm schier das Blut in den Adern gefrieren lie#223;.

Zwischen Ben und Chris erschien eine riesige, dreieckige Flosse.

Ein Hai!

Mike blinzelte. Eine Sekunde lang glaubte er einfach seinen Augen nicht trauen zu k#246;nnen. Aber es war so: Zu der ersten Flosse gesellte sich eine zweite, dann eine dritte. In dem unterirdischen See waren Haie aufgetaucht!

Auch Ben und Chris mussten die Gefahr bemerkt haben, denn sie schwammen im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben. Immer mehr und mehr Steine lie#223;en das Wasser rings um sie herum aufspritzen. Es grenzte an ein Wunder, dass bisher keiner von ihnen getroffen worden war. Dass auch Mike selbst sich in derselben Gefahr befand, kam ihm in diesem Moment nicht einmal in den Sinn.

Er beugte sich vor, so weit er es wagte, bekam irgendwie Bens Handgelenk zu fassen und riss ihn regelrecht aus dem Wasser. Nur eine halbe Sekunde sp#228;ter durchschnitt eine dreieckige Haiflosse genau dort die Wasseroberfl#228;che, wo Ben gerade noch gewesen war. Nun blieb nur noch Chris. Auch er schwamm mit kr#228;ftigen Z#252;gen auf das rettende Ufer zu und Mike beugte sich noch weiter vor, um den Benjamin der NAUTILUS-Besatzung zu erreichen.

Beinahe h#228;tte er es sogar geschafft.

Seine ausgestreckte Hand war nur noch Zentimeter von Chris’ Fingerspitzen entfernt, als etwas wie ein furchtbarer Faustschlag seinen R#252;cken traf. Mike schrie auf, kippte nach vorne und st#252;rzte halb besinnungslos ins Wasser.

Sekundenlang k#228;mpfte er mit aller Macht darum, nicht g#228;nzlich das Bewusstsein zu verlieren, was sein sicheres Todesurteil gewesen w#228;re. Er wurde herumgewirbelt und sank immer tiefer ins Wasser. Etwas Riesiges, Dunkles streifte seine Schulter und wirbelte ihn noch mehr herum, schubste ihn aber gleichzeitig auch wieder in die H#246;he, sodass sein Kopf die Wasseroberfl#228;che durchbrach. Instinktiv atmete er ein, machte ein paar hastige Schwimmbewegungen und sah sich um. Er war weiter vom Ufer entfernt, als er angenommen hatte. Rings um ihn herum herrschte das nackte Chaos. Die H#246;hle schwankte. Von der Decke regneten noch immer Steine. Und mittlerweile pfl#252;gten f#252;nf oder sechs gro#223;e, dreieckige Haifischflossen durch das Wasser. Mike verstand nicht, warum die Tiere Chris und ihn bisher noch nicht angegriffen hatten.

Sein R#252;cken war noch immer taub vor Schmerz und die Haifische kamen immer n#228;her. Trotzdem warf er sich herum, schwamm mit heftigen Z#252;gen auf Chris zu und versuchte ihn zu packen.

Es gelang ihm nicht. Chris war sichtbar am Ende seiner Kr#228;fte, aber statt seine Hilfe anzunehmen, wich er ihm aus und schlug sogar nach ihm.

»Bist du verr#252;ckt?«, br#252;llte Mike – jedenfalls versuchte er es, schluckte aber so viel Wasser dabei, dass die H#228;lfte des Satzes in einem qualvollen Husten unterging. Statt noch mehr Zeit zu verschwenden, packte er Chris, wirbelte ihn herum und legte ihm von hinten den Arm um den Hals. Wenn es sein musste, w#252;rde er Chris eben mit Gewalt zwingen, sich retten zu lassen. Falls sie beide die n#228;chsten zehn oder zwanzig Sekunden #252;berlebten, hie#223; das ...

Alles ging viel zu schnell, als dass Mike auch nur begriff, was wirklich geschah. Jemand – etwas – packte ihn und Chris und zerrte sie mit brutaler Kraft in die Tiefe. Im selben Moment begann das Wasser ringsum unter den Einschl#228;gen der ersten Steine regelrecht zu kochen. Mike sp#252;rte, wie Chris und er getroffen wurden. Der Schmerz war schlimm, aber schlimmer war, dass die Schl#228;ge ihm die Luft aus den Lungen trieben. Alles begann sich um ihn zu drehen und der Druck auf seine Brust wurde schier unertr#228;glich. Chris, den er noch immer umklammert hielt, hatte aufgeh#246;rt zu zappeln und sich zu wehren, und es ging noch immer weiter und schneller in die Tiefe. In ein paar Sekunden, das wusste er, w#252;rde er endg#252;ltig das Bewusstsein verlieren.

Sein Kopf knallte gegen einen Stein. F#252;r eine Sekunde sah er nur noch bunte Sterne und ihm wurde, schwarz vor den Augen.

Und dann, ganz pl#246;tzlich, wurde es wieder hell um ihn. Mike konnte wieder atmen. Gierig sog er die Luft ein, sp#252;rte nur noch vage, wie er aus dem Wasser und mehr als unsanft zu Boden geworfen wurde, und lie#223; endlich los.

Hustend #246;ffnete er die Augen. Er sp#252;rte, wie seine Gedanken

langsam in einen sich immer schneller drehenden Wirbel hineingezogen wurden, und vielleicht war er sogar schon ohnm#228;chtig und halluzinierte, denn das letzte Bild, das er sah, war so gr#228;sslich, dass es nur aus einem Fiebertraum stammen konnte:

Die Wesen, die ihn und Chris gerettet hatten, waren keine Menschen, sondern –

Mike verlor das Bewusstsein.

Um ihn herum war es hell, als er erwachte. Er lag auf etwas Hartem, das wie tausend spitze Nadeln in seinen R#252;cken stach, und es war erb#228;rmlich kalt. Das war das Erste, was ihm bewusst wurde. Das Zweite war die Erinnerung an eine Grauen erregende Gestalt mit furchtbaren H#228;nden, die sich #252;ber ihn beugte, und sie war so intensiv, dass Mike sich mit einem Schrei aufrichtete und wild umsah. Sein Herz begann schlagartig zu h#228;mmern.

Chris sa#223; angstvoll zusammengekauert ein paar Meter neben ihm und starrte ihn aus gro#223;en Augen an, aber von dem Ungeheuer war keine Spur zu sehen falls es #252;berhaupt je existiert hatte und nicht nur eine Fieberfantasie gewesen war.

Mike sah sich schaudernd ein zweites Mal um. Sie befanden sich am Ufer eines kreisrunden Sees von etwa drei#223;ig Metern Durchmesser. Der Boden bestand aus feinem Sand und scharfkantigen Steinen – das war es, was so schmerzhaft in seinen R#252;cken gestochen hatte – und stieg in einiger Entfernung zu einer Schutthalde an, die fast bis zu der niedrigen H#246;hlendecke hinaufreichte.

Erst dieser Anblick machte Mike klar, dass sie sich nicht mehr in der H#246;hle befanden, in die Sarn sie gebracht hatte.

Er drehte sich wieder herum und Chris fuhr erschrocken zusammen und rutschte noch einen Meter weiter von ihm fort. In seinen Augen flackerte eine Angst, die Mike nur zu gut kannte.

»Tut mir nichts, Herr«, sagte Chris. »Es war nicht meine Schuld.«

»Ich wei#223; zwar nicht genau, was du meinst, aber du brauchst keine Angst vor mir zu haben«, antwortete Mike. Er l#228;chelte, sah aber sofort, dass er damit das genaue Gegenteil dessen zu erreichen schien, was er beabsichtigte: Die Angst in Chris’ Augen verst#228;rkte sich noch.

»Du erinnerst dich nicht an mich, wie?«, fragte er.

»Erinnern?« Chris blickte ihn vollkommen verst#228;ndnislos an und Mike stellte keine weitere Frage. Stattdessen stand er auf und begann die Ger#246;llhalde emporzuklettern; eine Aufgabe, die sich als weitaus einfacher erwies, als er bef#252;rchtet hatte. Nach weniger als zwei Minuten hatte er den Gipfel des kleinen Bergs aus Tr#252;mmern und Ger#246;ll erreicht – und riss ungl#228;ubig die Augen auf, als er sah, was auf der anderen Seite lag.

Er hatte eine weitere H#246;hle erwartet und das war es auch, aber sie war gigantisch. Unter der Decke, die sich unmittelbar #252;ber Mike zu einer gewaltigen H#246;hle aufschwang, erstreckte sich eine sanft gewellte Ebene, die sich Kilometer um Kilometer dahinzog. Das jenseitige Ende dieses unterirdischen Landes war so weit entfernt, dass es blo#223; als Schatten zu erkennen war. Eine Art trockenes Seegras wuchs in gro#223;en B#252;scheln auf dem Boden und weiter entfernt konnte Mike einen gr#252;nen Schatten erkennen, der ganz gut ein Wald sein konnte.

»Was ... was ist das?«, fl#252;sterte Mike ersch#252;ttert.

Er hatte gar nicht gemerkt, dass Chris ihm gefolgt war, aber er sagte unmittelbar neben ihm: »Das verbotene Land. Es gibt Tiere hier und gef#228;hrliche Pflanzen. Ihr solltet nicht dort hinuntergehen, Herr.«

»Vergiss denHerrn«,sagte Mike automatisch. Dann f#252;gte er in verwirrtem Ton hinzu: »Woher wei#223;t du das?«

»Ich war einmal dort«, antwortete Chris. Er sah Mike angstvoll an. »Ich wei#223;, dass wir es nicht d#252;rfen, aber Ben, Juan und ich sind ein paar Mal von den W#228;chtern hergebracht worden. Niemand sonst kommt hierher. Wir konnten ... ausruhen. Werdet Ihr uns verraten?«

»Nein«, antwortete Mike l#228;chelnd. »DieW#228;chter?«

»Die Wesen, die uns gerettet haben.« Chris deutete auf den See hinab. »Sie greifen jeden an. Nur Ben, Juan und mich nicht. Im Gegenteil. Sie sind unsere Freunde.«

Und endlich erinnerte Mike sich wirklich. Das Monster, das er gesehen hatte, war keine Halluzination gewesen. Er war Gesch#246;pfen wie diesem schon mehrmals begegnet – einmal an Bord der NAUTILUS und sp#228;ter am Ufer der kleinen Insel, auf der Argos und die beiden anderen Atlanter sie #252;berw#228;ltigt hatten. Die bizarren Kreaturen, die wie unheimliche Kreuzungen zwischen Menschen und Haifischen aussahen, hatten noch nie jemandem etwas zu Leide getan, aber Argos und die anderen Atlanter f#252;rchteten sie wie den Teufel. Etwas an diesem Gedanken erschien ihm ungeheuer wichtig, aber er bekam ihn nicht richtig zu fassen.

Bevor er intensiver dar#252;ber nachdenken konnte, fuhr Chris neben ihm erschrocken zusammen, und als Mike sich herumdrehte und in dieselbe Richtung sah wie er, erkannte er, dass sich das Wasser des kleinen Sees wieder bewegte. Diesmal tauchte jedoch kein Haifisch-Ungeheuer aus den Wellen auf, sondern ein struppiges schwarzes Etwas, das mit heftigen Schwimmbewegungen zum Ufer paddelte. Chris fuhr erneut zusammen und Mike machte eine beruhigende Geste.

»Keine Angst«, sagte er. »Das ist Astaroth. Ein Freund.«

Sch#246;n, dieses Wort einmal aus deinem Mund zu h#246;ren,maulte Astaroths Stimme in seinen Gedanken.H#228;ltst du es f#252;r eine gute Idee, deine Freunde in Todesangst zu versetzen?

»Todesangst?«, fragte Mike verst#228;ndnislos.

Astaroth sch#252;ttelte sich das Wasser aus dem Fell und kam langsam n#228;her.Ihr seid seit #252;ber einer Stunde verschwunden,sagte er.Sarn und die anderen glauben, dass ihr ertrunken seid. Der See ist fast vollkommen zugesch#252;ttet.

»Und was machst du dann hier?«, fragte Mike laut. Er bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Chris ihn immer verwirrter anstarrte. Wahrscheinlich fragte er sich, was um alles in der Welt Mike da tat. Vielleicht zweifelte er aber auch einfach an dessen Verstand.

Euch suchen!antwortete Astaroth gereizt.Ben und Juan haben so lange herumgen#246;rgelt, bis ich es riskiert habe.

»Riskiert?«

Ich h#228;tte ertrinken k#246;nnen.

»Du?« Beinahe h#228;tte Mike laut gelacht. »Du kannst unter Wasser atmen, Astaroth.« Astaroth blinzelte.Kann ich?fragte er. »Kannst du«, best#228;tigte Mike. Er grinste – aber eigentlich war die Sache gar nicht lustig.Jetzt, wo du es sagst,sagte Astaroth nachdenklich.Komisch. Ich hatte es glatt vergessen.»Was tut Ihr da?«, fragte Chris verwirrt. »K#246;nnt Ihr –« »– mit ihm reden, ja«, sagte Mike ungeduldig. »Astaroth, was ist los mit dir? So etwas kann man doch

nicht vergessen!«Ich lasse mir doch nicht von dir sagen, was ich kann und was nicht,antwortete Astaroth patzig. Hoch

erhobenen Hauptes marschierte er an Mike vorbei, blickte #252;ber den Grat der Ger#246;llhalde – und erstarrte genau so wie Mike vor ein paar Minuten. »Erstaunlich, nicht?«, fragte Mike. »Das ist ein richtiges unterirdisches Land. Und niemand in Lemura

ahnt auch nur etwas davon.«Menschen,murmelte Astaroth.Da sind ... Menschen. Sie beobachten uns.»Menschen?« Mike blickte aufmerksam auf die Ebene hinab, konnte aber nichts Auff#228;lliges entdecken.

Wenn dort Menschen waren, verstanden sie es meisterhaft, sich zu tarnen.Nicht sehr viele,best#228;tigte Astaroth.Sie haben Angst vor uns. Sie glauben, wir geh#246;ren zu Argos.»Dann sollten wir ihnen vielleicht sagen, dass das nicht so ist«, sagte Mike. »Bevor sie etwas tun, was

uns nicht besonders gef#228;llt.«Dazu ist keine Zeit,sagte Astaroth. DasErdbeben ist noch nicht vorbei. Die H#246;hle kann jeden Momenteinst#252;rzen. Au#223;erdem hat Sarn Angst, dass Argos’ Krieger auftauchen k#246;nnten. Lasst uns zur#252;ckgehen.

»Und wie?« Mike warf einen schr#228;gen Blick auf den See hinunter. »Ich meine, du kannst ja unter Wasser atmen...«

Theoretisch schon,sagte Astaroth. Er wich Mikes Blick aus und wirkte pl#246;tzlich ziemlich verlegen.Hab ich aber nicht.

»Wie bitte?!« Die Vorstellung, dass der Kater die Luft angehalten hatte und mit letzter Kraft hierher gekommen war, obwohl er unter Wasser ebenso m#252;helos atmen konnte wie hier oben, erschien Mike so komisch, dass er laut loslachte.

Astaroth schenkte ihm einen giftigen Blick.Immerhin habeichnoch nicht meinen eigenen Namen vergessen,sagte er beleidigt.

Mike grinste noch breiter. »Daran, wie man Luft holt, erinnere ich mich jedenfalls ganz gut.«

Astaroth drehte sich beleidigt herum, stiefelte davon und sprang ohne ein weiteres Wort ins Wasser. Nach einem letzten, nachdenklichen Blick auf die Ebene auf der anderen Seite wandte sich Mike um und folgte dem Kater.

Sie mussten insgesamt dreimal ansetzen, um die Erzgruben wieder zu erreichen. Der Weg, der durch einen schmalen, unterirdischen Gang f#252;hrte, war nicht einmal allzu weit, aber die unter Wasser liegende »Eisengrube« war fast vollkommen versch#252;ttet. Zwischen den kreuz und quer liegenden Felsbrocken waren zum Teil nur schmale L#252;cken geblieben, durch die Astaroth zwar m#252;helos passte, Chris und Mike sich aber nur unter Lebensgefahr hindurchquetschen konnten. Als sie es endlich geschafft hatten, das rettende Ufer zu erreichen, war Mike wieder total ersch#246;pft und erneut am Rande der Bewusstlosigkeit.

Nachdem er wieder halbwegs zu Kr#228;ften gekommen war und sich umsah, erschrak er zutiefst. Astaroth hatte keineswegs #252;bertrieben. Der Boden zitterte noch immer leicht und die ganze, riesenhafte H#246;hle bot einen entsetzlichen Anblick. Sie war mehr als zur H#228;lfte eingest#252;rzt. Zwei oder drei der Seen, aus denen die Sklaven die Erzknollen heraufholten, waren unter Tonnen von Felsen verschwunden und von #252;berall her drang das St#246;hnen von Verletzten an sein Ohr. Singh stand in einiger Entfernung da und redete heftig gestikulierend auf Ben und Juan ein, aber Mike musste nur einen einzigen Blick in ihre Gesichter werfen, um zu erkennen, dass sie kein Wort von dem verstanden, was er ihnen begreiflich zu machen versuchte. Er machte sich jedoch keine allzu gro#223;en Sorgen. Ihre Erinnerungen w#252;rden zur#252;ckkehren, genau wie seine eigenen; sp#228;testens mit Astaroths Hilfe. Im Moment jedoch war keine Zeit daf#252;r.

Mike rappelte sich m#252;hsam hoch, wobei er Sarns hilfreich ausgestreckte Hand ignorierte. »Ich bin froh, dich zu sehen«, sagte Sarn. »Wir dachten schon, ihr w#228;ret ertrunken.«

»Viel h#228;tte auch nicht gefehlt«, antwortete Mike. »Jedenfalls waren wir schon fast in einer Art Paradies ...

Wusstest du, dass nur ein paar Meter unter euren F#252;#223;en

eine riesige fruchtbare H#246;hle liegt? Ich sch#228;tze ... drei-oder

viermal so gro#223; wie Lemura?«

Irrte er sich oder schrak Sarn ein ganz kleines bisschen zusammen, als er die H#246;hle erw#228;hnte?

Dann aber zuckte der ehemalige Krieger nur mit den Schultern und sagte: »Das verbotene Land, ich wei#223;. Wir k#246;nnen nicht dorthin. DieW#228;chtert#246;ten jeden, der es versucht. Niemand, der je dorthin gegangen ist, ist bisher zur#252;ckgekommen.«

»Und woher wisst ihr dann davon?«, fragte Mike. Sarn zuckte erneut mit den Schultern. »Ger#252;chte«, sagte er. »Uralte M#228;rchen. Aber k#246;nnten wir uns dar#252;ber vielleicht sp#228;ter unterhalten – bevor uns der halbe Berg auf den Kopf f#228;llt?«

Er deutete zur H#246;hlendecke hinauf. Wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass sie sich noch immer leicht bewegte. Dann und wann polterte ein Stein zu Boden. Sarn hatte Recht. Sie mussten hier heraus.

»Was ist mit den Verletzten?«, fragte Mike.

Sarns Gesicht verh#228;rtete sich. »Es sind Argos’ Krieger«, sagte er. »Sollen wir unsere eigenen Leben riskieren, um die M#228;nner zu retten, die unseren Tod wollen?«

»F#252;r uns habt ihr euer Leben auch riskiert«, sagte Mike.

»Das war etwas anderes.« Sarn sch#252;ttelte heftig den Kopf. »Und noch einmal: Wenn wir noch lange hier herumstehen und reden, dann war alles umsonst. Ich f#252;rchte, die gesamte H#246;hle steht kurz davor einzust#252;rzen.«

Was das f#252;r Lemura bedeutete, wagte sich Mike gar nicht vorzustellen. Der riesige unterirdische Berg war nicht nur einer der St#252;tzpfeiler, auf denen die gesamte Unterwasserkuppel ruhte, sondern praktisch auch die einzige Quelle f#252;r Eisenerz und andere Rohstoffe.

»Kommt jetzt«, sagte Sarn. »Wir haben einen weiten Weg vor uns.«

Seltsam – aber Mike hatte immer mehr das Gef#252;hl, dass Sarn nicht nur aus Angst, die H#246;hle k#246;nnte einst#252;rzen, so sehr auf den Aufbruch dr#228;ngte, sondern viel mehr um von irgendetwas ganz Bestimmtem abzulenken. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht erkl#228;ren, wovon. Also nickte er nur und ging mit schnellen Schritten zu Singh hin#252;ber. Ben und Juan sahen ihm neugierig, aber auch vollkommen verst#228;ndnislos entgegen. Und er sah in ihren Augen dieselbe tief eingegrabene Angst, die er auch schon bei Chris gesehen hatte.

»Sie erinnern sich an nichts!«, sagte Singh. »Weder an dich noch an mich oder die NAUTILUS ... an gar nichts.«

»Genau wie Chris«, sagte Mike. »Au#223;erdem sind sie in einem furchtbaren Zustand.«

»Argos’ Leute haben anscheinend vorgehabt, sie sich totarbeiten zu lassen«, sagte Singh zornig. »Wusstest du, dass sie das Erz seit Wochen ganz allein aus dem Wasser holen mussten?«

»Wieso?«, fragte Mike erstaunt.

»Weil dieW#228;chteruns nichts getan haben«, antwortete Ben an Singhs Stelle. »Es ist sehr gef#228;hrlich. Sie tauchen immer wieder auf und greifen die M#228;nner an, die die Erzknollen heraufholen. Sie haben viele gepackt und in die Tiefe gerissen. Nur uns nicht. Als die Wachen dies gemerkt haben, haben sie nur noch uns ins Wasser geschickt.«

»DieW#228;chterhaben die M#228;nner angegriffen?«, vergewisserte sich Mike. »Du meinst diese ... Haifischwesen?«

»Sie packen sie und zerren sie in die Tiefe«, best#228;tigte Ben. »Niemand ist je wieder aufgetaucht.«

Nicht sehr weit entfernt krachte ein Felsbrocken von der Gr#246;#223;e eines kleinen Hauses zu Boden und lie#223; die gesamte H#246;hle erbeben. Es h#228;tte des b#246;sen Blickes, den Sarn ihnen zuwarf, gar nicht mehr bedurft, um ihn nun endg#252;ltig zur Eile anzuspornen.

Der Weg nach oben erwies sich als weit m#252;hseliger und schwieriger, als Mike erwartet hatte. Er hatte halbwegs damit gerechnet, von Argos’ Kriegern verfolgt zu werden oder dass sie sich gar den Weg freik#228;mpfen mussten. Von den Kriegern des lemurischen Herrschers zeigte sich jedoch keine Spur. Vermutlich hatten sie Hals #252;ber Kopf die Flucht ergriffen, als der Boden zu schwanken begonnen hatte.

Trotzdem wurde der R#252;ckweg zu einem lebensgef#228;hrlichen Abenteuer. Der Weg, den sie gekommen waren, war unpassierbar geworden und auch der offizielle Abstieg in die Eisengruben hinab war zum Teil versch#252;ttet, sodass sie zu m#252;hseligen und kr#228;ftezehrenden Klettereien gezwungen wurden. Noch immer l#246;sten sich Steine von der Decke oder den W#228;nden und ein weiterer Mann trug eine schwere Verletzung davon. Sie hatten eine halbe Stunde f#252;r den Weg nach unten gebraucht; f#252;r den R#252;ckweg ben#246;tigten sie ann#228;hernd die vierfache Zeit. Nicht nur

Mike war vollkommen ersch#246;pft, als sie endlich wieder aus dem

Berg herauskamen.

Auch hier zeigte sich keine Spur von den Kriegern, die die Sklaven bewacht hatten; ebenso wenig wie von den Sklaven selbst und den wenigen bezahlten Arbeitern, die in der Mine gewesen waren. Von Sarn wusste er, dass in dem Bergwerk mehrere hundert M#228;nner in den Eisengruben lebten und arbeiteten, aber der Platz vor dem Einstieg und auch der nahe Waldrand waren vollkommen leer. Auf dem Weg nach oben hatten sie einige Tote gefunden und eine gro#223;e Anzahl weggeworfener Werkzeuge und unterschiedlicher Ausr#252;stungsgegenst#228;nde. Es w#228;re normal gewesen, den Platz vor dem Eingang vollerFl#252;chtlinge und #220;berlebender vorzufinden, aber er wirkte wie ausgestorben; nur hier und da lagen einige Felsen herum oder ein in aller Hast fortgeworfenes Werkzeug, eine Waffe.

Als er sich einige Schritte vom Eingang entfernte und herumdrehte, verstand er schlagartig, warum.

Der gesamte Berg war geborsten. Ein gut mannsbreiter, gezackter Riss hatte die Felswand vom Boden bis zur Grenze des Sichtbaren hinauf gespalten. Hier und da lief Wasser aus diesem Riss und noch immer regneten Steine vom Himmel, wenn auch weit entfernt, sodass sie im Moment nicht in Gefahr waren. Aber er konnte gut verstehen, dass keine lebende Seele in der N#228;he war. Jedermann, der gesehen hatte, wie dieser ganze gewaltige Berg auseinander barst, musste in heller Panik geflohen sein.

Als Mike sich jedoch weiter umsah, fragte er sich erschrocken, wohin eigentlich.

Die Katastrophe hatte sich nicht nur auf den Berg beschr#228;nkt. Sie waren so weit von der Stadt entfernt, wie es hier unten #252;berhaupt m#246;glich war, sodass er sie nur als verschwommenen Schatten erkennen konnte. Trotzdem waren die Sch#228;den, die die Stadt davongetragen hatte, deutlich zu erkennen. Einige der schlanken T#252;rme waren verschwunden und #252;ber der gesamten Stadt schien eine Art feiner Dunst zu schweben, der aus der N#228;he betrachtet wahrscheinlich aus nichts anderem als dem Rauch der zusammengest#252;rzten Geb#228;ude bestand.

»Gro#223;er Gott!«, murmelte Mike.

»Ich wei#223; zwar nicht, was dieses Wort bedeutet«, sagte Sarn neben ihm, »aber ich glaube, ich ahne es. Es ist furchtbar.«

Mike sah instinktiv nach oben. Die Kuppel war diesmal an vier Stellen geborsten. Gro#223;e, dunstige Fahnen aus Meerwasser wehten herein und l#246;sten sich auf, bevor sie den Boden ber#252;hrten. Er sah auch, dass sich die Risse bereits wieder zu schlie#223;en begannen – aber wie oft noch? Diese Kuppel mochte ein Wunderwerk atlantischer Technik sein, aber letzten Endes war auch ihrer Belastbarkeit Grenzen gesetzt.

»Es wird schlimmer«, murmelte er. »Was, wenn ihr nicht mehr so viel Zeit habt, wie du bisher geglaubt hast?«

»Dann soll es wohl so sein«, sagte Sarn leise. Er gab sich einen sichtbaren Ruck und fuhr in ver#228;ndertem Ton fort: »Aber keine Angst. Du und deine Freunde, ihr werdet nicht mehr hier sein, wenn es so weit ist. Wenn wir sofort losmarschieren, k#246;nnen wir Lemura noch vor der n#228;chsten Schlafenszeit erreichen. Der Moment ist g#252;nstig. In der Stadt

herrscht mit Sicherheit Chaos. Niemand wird nach uns suchen.«

Mike war verwirrt. Wie konnte Sarn in einem Moment wie diesemdarandenken?

»Du musst das nicht tun«, sagte er. »Singh und ich k#246;nnen die anderen auch allein in die Stadt bringen. Singh wei#223;, wo die NAUTILUS liegt.«

»Ihr k#228;mt nie an den Wachen vorbei«, widersprach Sarn. »Und wenn es dich beruhigt – die meisten von uns haben Freunde und Verwandte in der Stadt. Wir haben also ohnehin denselben Weg.«

Sie rasteten eine halbe Stunde, um wieder zu Kr#228;ften zu kommen und die Verwundeten so weit zu versorgen, dass sie aus eigener Kraft weitergehen konnten, dann brachen sie auf. Die Erde bebte in dieser Zeit ununterbrochen, aber die Risse in Lemuras k#252;nstlichem Himmel schlossen sich auch wieder. Mike versuchte ein paar Mal mit Ben, Chris und Juan ins Gespr#228;ch zu kommen, gab aber schlie#223;lich auf. Auch Astaroth zeigte sich ungewohnt schweigsam und verschwand schlie#223;lich ganz; vermutlich, um sich irgendwo im Wald einen Leckerbissen zu erjagen.

Sie marschierten zwei, drei Stunden, ehe sie eine weitere Rast einlegen mussten, und als sie eine gewisse H#246;he erreicht hatten und die unterste Ebene Lemuras zur G#228;nze #252;berblicken konnten, erwartete Mike der n#228;chste Schock: Unter ihnen war eine Anzahl neuer Seen entstanden. Die Korallengruben, in denen er selbst so lange gearbeitet hatte, hatten sich mit eingedrungenem Meerwasser gef#252;llt. Was Sarn offensichtlich immer noch nicht wahrhaben wollte, war nun nicht mehr zu leugnen: Lemura starb. Und nicht langsam, in Jahrhunderten, wie sie noch am Morgen geglaubt hatten, sondern ungleich schneller. Vielleicht blieben der Stadt auf dem Meeresgrund nur noch wenige Tage.

Lemura kam allm#228;hlich in Sicht, und je mehr sie sich der Stadt n#228;herten, desto deutlicher wurden die Spuren der Zerst#246;rung, die das Beben angerichtet hatte. Die meisten H#228;user und Geh#246;fte, an denen sie vor#252;berkamen, waren besch#228;digt oder vollkommen zerst#246;rt und sie sahen viele Verletzte. Allen Menschen, denen sie begegneten, stand die Angst in die Gesichter geschrieben.

Wie Sarn gesagt hatte, erreichten sie die Stadt kurz vor Anbruch der Schlafenszeit, die in Lemura die Stelle der Nacht einnahm. Und er hatte auch in einem zweiten Punkt Recht: Lemuras Tore standen weit offen und waren unbewacht und niemand nahm von der kleinen Gruppe auch nur die geringste Notiz.

Sarn hatte gesagt, dass er sie zu einem sicheren Ort bringen w#252;rde, wo sie ausruhen und sich auf den letzten, gef#228;hrlichsten Teil ihrer Flucht vorbereiten konnten. Mike war zutiefst ersch#252;ttert, als sie durch die zerst#246;rte Stadt gingen. Er hatte Schlimmes erwartet, aber die Wirklichkeit #252;bertraf seine Bef#252;rchtungen bei weitem.

Buchst#228;blich kein einziges Geb#228;ude war unbesch#228;digt geblieben. Die meisten gr#246;#223;eren H#228;user und T#252;rme waren ganz zusammengebrochen, die Fassaden der anderen H#228;user von Rissen durchzogen. Ganze Mauerteile waren auf die Stra#223;e gest#252;rzt, D#228;cher eingesunken. Zahlreiche Bewohner der Stadt

trugen Verb#228;nde und er sah mehr als einen Karren, auf denen in T#252;cher geh#252;llte Leichname fortgebracht wurden.

»Ich wei#223;, was du jetzt denkst«, sagte Singh, der neben ihm ging. »Mir geht es genauso, glaub mir. Aber wir k#246;nnen nichts f#252;r diese Leute hier tun.«

Wahrscheinlich stimmt das auch, dachte Mike niedergeschlagen. Selbst wenn es Argos und seine Krieger nicht gegeben h#228;tte, h#228;tten sie den Menschen hier nicht helfen k#246;nnen. Die NAUTILUS war einfach zuklein,um Tausende und Abertausende von Fl#252;chtlingen in Sicherheit zu bringen.

Trotzdem str#228;ubte sich alles in ihm dagegen, einfach so aufzugeben. Und er verstand auch nicht wirklich, wieso Singh es tat. Gerade der Inder, der vor noch gar nicht allzu langer Zeit Leibeigener und Sklave gewesen war, sollte eigentlich anders denken. Mike hatte mehr als einmal erlebt, dass Singh selbst in vermeintlich aussichtslosen Situationen nicht aufgab.

Auch das Haus, in das Sarn sie brachte, war wenig mehr als eine Ruine. Das Dach war eingest#252;rzt und die komplette Stra#223;enfront einfach verschwunden, sodass das gesamte Geb#228;ude wie eine zu gro#223; geratene, allerdings sehr unordentliche Puppenstube aussah. Sarn f#252;hrte sie durch das verw#252;stete Innere des Geb#228;udes bis zu einer Treppe, die in einen Kellerraum hinabf#252;hrte. Eine einzelne, stark ru#223;ende Fackel verbreitete mehr Schatten als Licht, und Mike rechnete eigentlich damit, dass sie nun weitergingen, um sich irgendwo in dem unterirdischen Labyrinth unter Lemura zu verbergen. Sarn deutete jedoch nur auf den Boden und murmelte m#252;de, dass sie es sich bequem machen sollten. Er war der Einzige, der sich nicht unverz#252;glich auf dem harten Boden ausstreckte. »Willst du nicht schlafen?«, erkundigte sich Mike. »Du musst doch hundem#252;de sein.«

»Das bin ich«, best#228;tigte Sarn. »Aber ich muss weiter. Wir haben nicht viel Zeit. Im Moment herrscht #252;berall Chaos. Die Wachen werden unaufmerksam sein. Aber das bleibt bestimmt nicht lange so. Ich werde gehen und nachsehen, ob der Weg noch frei ist, den ich kenne. Ich f#252;rchte, dass auch hier unten viele G#228;nge eingest#252;rzt sind.« Er wiederholte seine deutende Geste, obwohl sich Mike l#228;ngst auf dem nackten Boden ausgestreckt hatte. »Schlaf. Viel Zeit ist nicht. Ich bin in ein paar Stunden zur#252;ck und dann m#252;ssen wir vielleicht sofort aufbrechen.«

Er ging. Mike sah ihm nach, bis er im Halbdunkel des Kellers verschwunden war. Etwas polterte, dann h#246;rte er ein Knarren wie von einem uralten, rostigen Scharnier.

»Ich m#246;chte wissen, wohin er geht«, murmelte Singh neben ihm.

Mike drehte den Kopf und sah den Inder an. Singh hatte sich auf einen Ellbogen aufgerichtet und machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Du traust ihm nicht?«, fragte Mike.

Singh deutete ein Achselzucken an. »Ich glaube, ich traue niemandem mehr«, sagte er geradeheraus. »Es wird wohl eine Weile dauern, bis ich das wieder lerne. Es ist nur ... ich wei#223;, wo die NAUTILUS liegt. Man braucht keine halbe Stunde. Hin und zur#252;ck.«

Mike #252;berlegte angestrengt. Er konnte sich absolut keinen Grund vorstellen, aus dem Sarn sie hintergehen sollte.

Immerhin hatte er sein Leben und das seiner Leute riskiert, um

ihn und seine Freunde zu befreien. Warum also sollte er sie bel#252;gen? Mit diesem Gedanken schlief er ein.

Als er erwachte, war Sarn zur#252;ck. Mike hatte das Gef#252;hl, so gut wie gar nicht geschlafen zu haben, schien sogar noch m#252;der als zuvor, aber er wurde schlagartig wach, als er Sarn sah, der neben zweien seiner Leute hockte und sich leise mit ihnen unterhielt. Er konnte nicht verstehen, worum es ging, aber Sarns besorgter Gesichtsausdruck sagte genug. Mike wandte den Kopf. Ben, Chris und Juan hatten sich direkt neben ihm zusammengekuschelt und schliefen den tiefen Schlaf der Ersch#246;pfung, aber Singh war bereits wach und sah aufmerksam zu Sarn hin#252;ber.

»Was ist geschehen?«, fragte Mike.

»Ich wei#223; es nicht«, antwortete Singh. »Aber irgendetwas scheint nicht zu stimmen.«

Als h#228;tte er ihre Blicke gesp#252;rt, sah Sarn in diesem Moment hoch, unterbrach das Gespr#228;ch mit seinen M#228;nnern und kam zu ihnen her#252;ber. »Weckt eure Freunde«, sagte er. »Wir m#252;ssen los.«

»Wieso hast du es pl#246;tzlich so eilig?«, fragte Singh misstrauisch.

»Ich habe mit einem der Wachtposten gesprochen«, antwortete Sarn. »Ich kann dem Mann vertrauen. Er hat beunruhigende Neuigkeiten.«

»Welche?«, fragte Singh. Sein Argwohn war jetzt nicht mehr zu #252;berh#246;ren.

»Ich wei#223; auch nichts Genaues«, antwortete Sarn. »Aber seit gestern l#228;sst Argos Lebensmittel und andere Vorr#228;te an Bord eures Schiffes schaffen. Es sieht so aus, als ob sie Lemura verlassen wollen. Mein Vertrauensmann sagt, es w#228;ren Vorr#228;te f#252;r mindestens zweihundert Passagiere.«

»Zweihundert?«, #228;chzte Singh. »So viele kann die NAUTILUS niemals aufnehmen!«

»Wenn sie ein bisschen zusammenr#252;cken, schon«, widersprach Mike. »Es wird eng, aber f#252;r eine kurze Zeit w#228;re es m#246;glich.«

»Und es entspricht genau der Anzahl der Edelleute und Privilegierten«, f#252;gte Sarn finster hinzu. »Mein Vertrauensmann sagt, dass die NAUTILUS noch heute auslauten wird. Vielleicht schon in wenigen Stunden.«

»Dann haben wir wirklich keine Zeit zu verlieren«, sagte Singh. Mike starrte ihn fassungslos an. »Wie ... meinst du das?«

Nun war es Singh, der ihn verst#228;ndnislos anblickte. »Was soll diese Frage? Wir m#252;ssen versuchen, an die NAUTILUS zu kommen und damit zu verschwinden. Oder m#246;chtest du vielleicht zur Meeresoberfl#228;che hinaufschwimmen?«

»Und du bist nicht der Meinung, dass wir jemanden vergessen haben?«, fragte Mike. Er verstand Singhs Verhalten immer weniger.

»Wen?«, fragte Sarn.

»Serena«, antwortete Mike. »Ihr habt erz#228;hlt, dass sie irgendwo im Palast gefangen gehalten wird. Ich werde Lemura nicht ohne sie verlassen. Und Ben, Chris und Juan auch nicht.«

»Deine Freunde wissen nicht einmal mehr, wer sie ist«, sagte Sarn.

»Aber sie w#252;rden sich ganz genau so entscheiden wie ich, wenn sie sich erinnern w#252;rden«, beharrte Mike. »Ich diskutiere nicht dar#252;ber. Ohne Serena r#252;hre ich mich nicht von der Stelle.«

Sarn wollte widersprechen, aber Singh brachte ihn mit einer schnellen Bewegung zum Schweigen. »Mike hat vollkommen Recht«, sagte er. »Ich h#228;tte selbst daran denken m#252;ssen. Es tut mir Leid. Wir m#252;ssen Serena finden.«

»Ihr kommt nicht einmal in den Palast hinein«, sagte Sarn #252;berzeugt. »Ich verstehe euch, aber es ist sinnlos, glaubt mir. Wenn Argos euch jetzt gefangen nimmt, dann war alles umsonst.«

»Das Risiko m#252;ssen wir eben eingehen«, erwiderte Mike. »Du musst uns nicht begleiten. Sag uns, wo wir Serena finden. Singh und ich gehen allein.«

»Und lasst euch allein gefangen nehmen?« Sarn starrte Singh und ihn abwechselnd finster an. »Drei meiner M#228;nner sind gestorben, damit wir eure Freunde befreien konnten. Soll alles umsonst gewesen sein?«

»Nat#252;rlich nicht, Sarn, aber –« »Ihr geht zur NAUTILUS«, unterbrach ihn Sarn.»Ichhole eure Freundin. Wenn es jemand schafft, in den Palast einzudringen, dann ich.«

»Das kann ich nicht verlangen«, sagte Mike.

»Das tust du ja auch nicht«, versetzte Sarn. »Keine Sorge – was wir tun, ist nicht so uneigenn#252;tzig, wie du meinst. Wenn wir Argos’ Fluchtpl#228;ne vereiteln, dann hat es sich gelohnt.« Er hob die Hand, als Mike erneut widersprechen wollte, und fuhr in beinahe schon befehlendem Ton fort: »Meine Leute bringen dich und deine Freunde zu eurem Schiff. Singh und ich holen die Prinzessin.«

Die Vorstellung, Singh und den ehemaligen Krieger allein loszuschicken, gefiel Mike ganz und gar nicht. Auch wenn er den Grund daf#252;r nicht kannte, so war die Feindseligkeit zwischen den beiden doch in den letzten Tagen best#228;ndig gewachsen. »Dann nehmt wenigstens Astaroth mit«, sagte Mike. »Er w#252;rde nur auffallen«, sagte Singh. »Vergiss nicht, dass niemand hier je ein Tier wie ihn gesehen hat.«

Tier?!meldete sich Astaroth emp#246;rt zu Wort.

Mike ignorierte ihn. Jetzt war nicht der Moment, mit dem Kater zu diskutieren. Er versuchte es noch ein einziges Mal: »Wenn Serena ihre Erinnerungen genauso verloren hat wie wir alle, dann braucht ihr Astaroth«, sagte er. »Er ist garantiert der Einzige, der mit ihr reden kann.«

Sarn seufzte, sagte aber nichts mehr. Doch auch Singh war von seinem Vorschlag offenbar nicht sehr begeistert. »Sarn hat nicht ganz Unrecht«, sagte er. »Astaroth w#252;rde nur auffallen.«

Wenn ich nicht gesehen werden will, dann werde ich nicht gesehen,behauptete Astaroth.Auch von diesen beiden Streith#228;hnen nicht. Also sag doch einfach Ja und Amen und ich k#252;mmere mich um sie.

Wahrscheinlich ist das die einfachste L#246;sung, dachte Mike. Er sagte nichts mehr, sondern deutete nur ein Achselzucken an und stand auf. Sarn ging noch einmal zu seinen M#228;nnern und erteilte ihnen einige halblaute Anweisungen, wobei er achselzuckend auf Mike und Singh deutete, dann verlie#223;en er und der Inder den Keller.

Mike beugte sich zu Ben, Chris und Juan hinunter und weckte sie der Reihe nach. Die drei Jungen erwachten schlagartig und sofort war die Angst in ihren Augen wieder da.

»Erschreckt nicht«, sagte Mike zu ihnen. »Aber wir m#252;ssen los.«

»Wohin bringt Ihr uns, Herr?«, fragte Ben.

Es war ein sonderbares Gef#252;hl; fast schon unheimlich. Mike hatte pl#246;tzlich einen harten Klo#223; im Hals. Ausgerechnet Ben, mit dem er so oft aneinander geraten war, nannte ihn nunHerrund sah ihn aus Augen an, in denen nichts als Angst und Ersch#246;pfung war. Mike brauchte ein paar Sekunden, bevor er #252;berhaupt antworten konnte.

»An einen sicheren Ort«, antwortete er. »Niemand wird euch dort etwas tun. Aber ihr m#252;sst sehr vorsichtig sein. Bis wir ihn erreichen, d#252;rft ihr mit niemandem reden und m#252;sst genau das tun, was ich euch sage. Habt ihr das verstanden?«

»Ja, Herr«, antwortete Ben. Juan und Chris nickten hastig und wieder versp#252;rte Mike einen raschen, eisigen Schauer. Aber er sagte nichts mehr. Es war wohl die einfachste L#246;sung, im Moment alles so zu lassen, wie es war.

Sie verlie#223;en den Keller auf demselben Weg, auf dem sie gekommen waren. Einer von Sarns M#228;nnern, der die F#252;hrung #252;bernommen hatte, deutete nach links und sie marschierten im G#228;nsemarsch los. Mike konnte ein neuerliches Schaudern nicht unterdr#252;cken, als sie sich durch die zerst#246;rten Stra#223;en bewegten. Die Menschen waren noch immer dabei, sich um ihre Verwundeten zu k#252;mmern oder Tote unter den Tr#252;mmern auszugraben, aber niemand r#252;hrte auch nur einen Finger, um die Folgen des Erdbebens zu beseitigen. Niemand hatte angefangen die Tr#252;mmer wegzuschaffen oder die bauf#228;lligen Geb#228;ude abzurei#223;en oder wenigstens zu sichern.

»Was ist hier los?« Mike wandte sich an den Mann, der die F#252;hrung #252;bernommen hatte. »Wieso tut hier niemand etwas? Warum versucht niemand die H#228;user instand zu setzen – oder wenigstens die Tr#252;mmer wegzuschaffen?«

»Weil es ihnen niemand befohlen hat«, sagte der Mann in erstauntem Tonfall; als h#228;tte er etwas unwahrscheinlich Naives gefragt. »Niemand tut hier etwas, das ihm nicht ausdr#252;cklich befohlen worden ist.« Das musste Mike erst einmal verarbeiten. Er hatte gewusst, dass Argos und die anderen absolute Herrscher #252;ber die unterirdische Stadt und ihre Bewohner waren – aber nicht, dass ihre Herrschaft so weit ging, den Lemurern selbst die selbstverst#228;ndlichsten Dinge vorschreiben zu m#252;ssen.

Als sie sich dem Palast n#228;herten – oder besser dem, was davon #252;brig war –, nahm die Anzahl der Krieger auf der Stra#223;e zu. Sie wurden weder aufgehalten noch angesprochen, aber die M#228;nner be#228;ugten jeden, der sich auf der Stra#223;e bewegte, mit misstrauischen Blicken. Schlie#223;lich wichen sie vom direkten Weg auf den Palast ab und betraten ein halb zerst#246;rtes Geb#228;ude, das von seinen Bewohnern offensichtlich aufgegeben worden war. Sie mussten erst mit vereinten Kr#228;ften die Tr#252;mmer beiseite r#228;umen, ehe sie wieder in einen der Mike mittlerweile sattsam bekannten Keller hinabstiegen.

Wieder ging es f#252;r eine Weile durch unterirdische Stollen und G#228;nge, die zum Teil k#252;nstlich angelegt, zum Teil nat#252;rlichen Ursprungs zu sein schienen. Endlich – nach Stunden, wie es Mike vorkam – hielten sie an und ihr F#252;hrer deutete auf eine hastig zusammengezimmerte Leiter, die vor ihnen in die H#246;he f#252;hrte.

»Wir m#252;ssen jetzt vorsichtig sein«, sagte er, wobei er instinktiv die Stimme zu einem halblauten Fl#252;stern gesenkt hatte. »Dort oben liegt der Hafen. Sagt nichts und tut nichts, was ich euch nicht sage.«

Er selbst war der Erste, der #252;ber die Leiter in die H#246;he stieg, dicht gefolgt von Mike. Sie gelangten in einen Kellerraum, dessen Decke zum Teil eingest#252;rzt war, sodass sie in die dar#252;ber liegende Halle blicken konnten. Stimmengewirr, die Ger#228;usche heftigen Hantierens und Arbeitens und ein schwacher, aber vertrauter Geruch schlugen Mike entgegen, w#228;hrend er hinter dem Mann #252;ber die Schutthalde nach oben stieg.

Der Anblick, der sich ihm bot, verschlug ihm f#252;r einen Moment die Sprache. Sie befanden sich in einer gro#223;en, sichtlich uralten Lagerhalle, deren Decke und W#228;nde unter einer zentimeterdicken Schicht aus verkrustetem Staub verschwunden waren. Die Lagerhalle unterschied sich in nichts von zahllosen anderen Lagerhallen, die Mike in Hunderten von H#228;fen #252;berall auf der Welt gesehen hatte; nur dass sich die Halle f#252;nftausend Meter unter dem Meeresspiegel befand und seit mindestens zehntausend Jahren nicht mehr benutzt worden war. Eine Anzahl M#228;nner war damit besch#228;ftigt, Kisten, Ballen, F#228;sser und S#228;cke von einem gro#223;en Stapel auf der anderen Seite zu holen und in einer langen Kette zum Ausgang zu schleppen. Die Kette setzte sich auch drau#223;en fort und an ihrem Ende, noch einmal hundert Schritte entfernt und am Ende eines langen, gemauerten Steges, lag die NAUTILUS.

Mikes Herz begann zu klopfen, als er die vertrauten Umrisse des Tauchbootes sah. Der Turm mit den beiden riesigen, an starre Augen erinnernden Bullaugen ragte h#246;her als normal aus dem Wasser und der gezackte, st#228;hlerne R#252;ckenkamm und die riesige Heckflosse vervollst#228;ndigten den Eindruck, es eher mit einem gewaltigen Untier als mit einem von Menschenhand geschaffenen Gebilde zu tun zu haben.

Mike sp#252;rte, wie auch seine H#228;nde vor Aufregung zu zittern begannen. Der Mann neben ihm schien das wohl zu sp#252;ren, denn er warf ihm einen warnenden Blick zu. Mike nickte. Der Mann hatte Recht. Sie durften jetzt keinen Fehler machen. Die NAUTILUS lag scheinbar zum Greifen nahe vor ihm, aber in der Halle befanden sich nicht nur Arbeiter und Sklaven, sondern auch eine gro#223;e Anzahl Wachen. Er musste sich beherrschen, um nicht im letzten Moment noch alles zunichte zu machen.

Ihr F#252;hrer deutete auf den Kistenstapel, dann auf die doppelte Reihe von Sklaven, die sich zur NAUTILUS hin-und wieder zur#252;ckbewegten, dann auf das Schiff selbst. Mike nickte wortlos. Wenn es ihnen gelang, sich unbemerkt in die Kette einzureihen, hatten sie eine gute Chance an Bord des Schiffes zu kommen.

Sie warteten einen g#252;nstigen Augenblick ab, dann huschten sie aus ihrem Versteck hervor und traten in die Reihe der M#228;nner, die sich dem Kistenstapel mit leeren H#228;nden n#228;herten. Mikes Herz klopfte bis zum Hals. Es erschien ihm unglaublich, dass die Wachen nichts von diesem Man#246;ver bemerkt haben sollten. Er glaubte ihre misstrauischen Blicke fast k#246;rperlich zu sp#252;ren. Doch selbst als er unmittelbar an einem der Krieger vorbeiging, starrte ihn dieser nur kalt an. Das Gl#252;ck schien ihnen ausnahmsweise einmal hold zu sein.

Mike ergriff wahllos einen Sack, der viel schwerer aussah, als er war, warf ihn sich #252;ber die Schulter und trat in die Reihe, die sich umgekehrt der NAUTILUS n#228;herte.

Mike fielen einige Ver#228;nderungen auf, als er das Tauchboot genauer in Augenschein nahm. Etliche Rumpfplatten schimmerten neu und hier und da entdeckte er einen Aufbau oder Mechanismus, der ihm unbekannt war. Singh hatte ihm ja erz#228;hlt, dass Argos’ Techniker gewisse Experimente mit der NAUTILUS vorgenommen hatten. Das Schiff war vor zehntausend Jahren gebaut worden, doch die Atlanter hatten offensichtlich ihre hoch entwickelte Technik ihren Nachkommen weitergegeben.

Aber Singh hatte auch noch mehr erz#228;hlt. In der ganzen Aufregung der letzten Tage hatte Mike der Bemerkung kaum Bedeutung zugemessen, aber nun erinnerte er sich j#228;h wieder daran, dass Singh auch gesagt hatte, Argos w#228;re drauf und dran die NAUTILUS mit seinen Experimenten zu zerst#246;ren. Wie hatte er das wohl gemeint?

Mike unterzog das Schiff einer zweiten, noch kritischeren Musterung, w#228;hrend sie langsam #252;ber den langen, gemauerten Steg gingen. Etliche der neuen Panzerplatten gl#228;nzten dort, wo sie vor Monaten selbst versucht hatten, die Sch#228;den zu beheben, die das Schiff an seiner Havarie davongetragen hatte. Aber l#228;ngst nicht nur dort. Eines der gro#223;en Bullaugen war sichtlich neu und ein fast hausgro#223;es St#252;ck der Bugpanzerung schien ebenfalls ausgetauscht worden zu sein. Wenn all diese Spuren von ausgebesserten Besch#228;digungen stammten, so musste die NAUTILUS tats#228;chlich arg gebeutelt worden sein. Was um alles in der Welt hatte Argos dem Schiff angetan?

Sie erreichten das Ende des Steges und bewegten sich #252;ber eine schmale, zitternde Planke auf das Schiff hinauf. Der Zug der Sklaven betrat die NAUTILUS nicht #252;ber die Turmluke, sondern durch den Einstieg weiter hinten im Heck, was Sinn machte – dort lagen die gro#223;en Lagerr#228;ume. Mike wurde immer nerv#246;ser, und als er schlie#223;lich an der Reihe war, die metallene Wendeltreppe hinabzusteigen, konnte er sich vor Aufregung kaum noch beherrschen.

Im Inneren des Schiffes erwartete ihn die n#228;chste #220;berraschung. Das Licht war wesentlich heller und angenehmer, als er es in Erinnerung hatte, und von den katastrophalen Sch#228;den, die das eingedrungene Wasser #252;berall angerichtet hatte, war nichts mehr zu sehen. Im Gegenteil: Alles blitzte und schimmerte, als k#228;me das Schiff gerade von der Werft. Argos’ Ingenieure hatten wirklich ganze Arbeit geleistet.

Der Sack auf seiner Schulter begann zu verrutschen. Mike griff hastig zu und schob ihn wieder in eine sichere Position. Dabei handelte er sich einen zornigen Blick eines der Krieger ein, die auch hier #252;berall standen und die Sklaven beaufsichtigten. Mike sah hastig zu Boden, ging an dem Mann vorbei und wagte es erst wieder aufzublicken, als er hinter der n#228;chsten Ecke angekommen war. Er war ziemlich besorgt. In der NAUTILUS wimmelte es regelrecht von Argos’ Soldaten, Das war etwas, wovon Sarn nichts erz#228;hlt hatte. Wenn sie die NAUTILUS kapern wollten, w#252;rden sie k#228;mpfen m#252;ssen.

Die Reihe der Sklaven n#228;herte sich dem Laderaum und Mike sah sich verstohlen um. Rechts von ihnen befand sich eine T#252;r, die in eine kleinere, leer stehende Kammer f#252;hrte. Zwar gab es auch vor ihnen einen weiteren W#228;chter, aber der Mann schien voll und ganz damit besch#228;ftigt, den Sklaven dabei zuzusehen, wie sie ihre Waren im Inneren des Laderaums verstauten. Wenn er sich herumdrehte und zuf#228;llig in ihre Richtung sah, dann war alles verloren. Aber ein gewisses Risiko musste er nun einmal in Kauf nehmen.

Ohne den W#228;chter auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen, n#228;herte er sich der T#252;r, nahm all seinen Mut zusammen und trat hindurch. Blitzschnell lie#223; er seine Last fallen, fuhr herum und zerrte Ben, der unmittelbar hinter ihm in der Reihe gegangen war, zu sich herein, danach Chris und als Letzten Juan. Sarns M#228;nner folgten ihm unaufgefordert. Und das Unglaubliche geschah: Obwohl in der Reihe der M#228;nner, die schwer beladen den Laderaum betraten, auf diese Weise eine deutliche L#252;cke entstand, sah der Krieger nicht einmal hoch. Offensichtlich nahm er seine Aufsicht nicht allzu ernst, sondern d#246;ste mit offenen Augen vor sich hin.

In der kleinen Kammer wurde es fast unertr#228;glich eng, als sich die M#228;nner, noch dazu mit Kisten und S#228;cken, hineindr#228;ngten. Mike warf noch einen letzten sichernden Blick zum Laderaum hin#252;ber, stellte fest, dass der Krieger noch immer

damit besch#228;ftigt war, L#246;cher in die Luft zu starren, und schloss

lautlos die T#252;r.

»Die erste Etappe h#228;tten wir geschafft«, fl#252;sterte er erleichtert.

Ben legte den Kopf schr#228;g und sah ihn fragend an. »Herr?«

»Vergiss endlich den Herrn«, antwortete Mike automatisch, was aber nur dazu f#252;hrte, dass Ben noch verwirrter dreinsah. Pl#246;tzlich grinste Mike und f#252;gte hinzu: »Oder nein: Eigentlich klingt das ganz gut. Ich bin daf#252;r, dass du diese Anrede als Einziger beibeh#228;ltst. Auch sp#228;ter, wenn wir hier heraus sind.«

Nat#252;rlich verstand Ben nicht, wovon er #252;berhaupt sprach. Und Mikes Grinsen erlosch genauso schnell wieder, wie es gekommen war. Der Ausdruck vollkommener Verst#228;ndnislosigkeit auf Bens Gesicht brachte Mike n#228;mlich auf einen neuen, nicht besonders angenehmen Gedanken:

Was, wenn auch Trautman sein Ged#228;chtnis verloren hatte? Mike wusste nicht, ob Singh und er ganz allein in der Lage sein w#252;rden, die NAUTILUS zu steuern – zumal Argos’ Techniker in den vergangenen Wochen ja eifrig an dem Schiff herumgebastelt und eine unbekannte Anzahl von Ver#228;nderungen daran vorgenommen hatten.

Nachdenklich sah er Sarns Vertrauensmann an, dann fragte er: »Kann ich euch eine Weile allein lassen?«

Der Mann nickte, fragte aber zugleich: »Wo willst du hin?«

Mike machte eine vage Handbewegung zur Decke hinauf. »Es ist jemand an Bord, mit dem ich reden muss. Es ist wichtig.«

»Sie werden dich fangen«, sagte der Mann. »Argos’ Krieger sind sehr misstrauisch. Du solltest sie nicht untersch#228;tzen. Es ist ein kleines Wunder, dass wir bis hierher gekommen sind.«

»Ich wei#223;«, seufzte Mike. »Aber dann bleibt mir wohl nichts

anderes #252;brig als auf ein weiteres Wunder zu vertrauen.«

Er bekam es und mehr als nur eines. Nachdem er einen g#252;nstigen Augenblick abgewartet hatte, schl#252;pfte er unbemerkt aus der Kammer und reihte sich wieder in die Schlange ein, die sich ihrer Last entledigt hatte und zur#252;ck zur Treppe ging. Mike hatte noch keine Ahnung, wie er dem W#228;chter dort entgehen sollte, und er vertraute einfach auf seine Intuition und Gl#252;ck, aber beides erwies sich als nicht notwendig. Als er sich der Treppe n#228;herte, begann der Boden unter seinen F#252;#223;en zu zittern, und pl#246;tzlich b#228;umte sich das gro#223;e Schiff wie unter einem Hammerschlag auf, legte sich auf die linke Seite und dann ruckartig auf die andere. Mike wurde wie alle anderen von den F#252;#223;en gerissen, prallte unsanft gegen die Wand und h#246;rte einen Chor gellender Schreie. Einige M#228;nner st#252;rzten kopf#252;ber die Treppe hinunter, andere hatten mehr Gl#252;ck und konnten sich im letzten Moment am Gel#228;nder festklammern und auch hier unten herrschte f#252;r Momente das reine Chaos. Offensichtlich wurde Lemura von einem weiteren Seebeben gesch#252;ttelt, das auch die NAUTILUS kr#228;ftig durchr#252;ttelte. Fast jeder Mann war zu Boden geschleudert worden und der W#228;chter war gar nicht mehr zu sehen und unter einem Berg von #252;bereinander gest#252;rzten K#246;rpern verschwunden.

Mike nutzte seine Chance sofort. Die NAUTILUS zitterte noch leicht und jedermann, der dazu in der Lage war, klammerte sich in Erwartung einer neuen Ersch#252;tterung irgendwo fest. Mike

jedoch war mit einem Satz #252;ber die Gest#252;rzten hinweg, flitzte

zur n#228;chsten Gangkreuzung und rannte nach rechts.

Ohne anzuhalten st#252;rmte er weiter, erreichte die Treppe im vorderen Teil der NAUTILUS und hielt einen Moment inne. Er befand sich jetzt unmittelbar unter dem Salon, der gleichzeitig die Kommandozentraleder NAUTILUS darstellte. #220;ber ihm erklangen Stimmen, was kein gutes Zeichen war. Die Sklaven, die die NAUTILUS beluden, verrichteten ihre Arbeit schweigend und durften gar nicht reden. Also waren dort Argos’ M#228;nner. Mikes Gedanken drehten sich f#252;r einen Moment wild im Kreis, ohne dass er zu einem Ergebnis gelangt w#228;re. Er hatte gar keine andere Wahl als einfach loszugehen und zu sehen, was geschah. Mike gestand sich im Stillen ein, dass ihr Plan, die NAUTILUS zur#252;ckzuerobern, gewisse L#252;cken aufwies – um nicht zu sagen: Es gab gar keinen Plan.

Langsam bewegte er sich die Wendeltreppe hinauf. Die Stimmen wurden lauter und klangen jetzt eindeutig aufgeregt, wenn nicht w#252;tend. Als Mike weiterging, gewahrte er einige M#228;nner in den Uniformen der Palastgarde, die sich gerade vom Boden aufrappelten oder sich mit schmerzverzerrten Gesichtern die Glieder rieben. Das Seebeben hatte sie ebenso durcheinander geworfen wie die Sklaven weiter unten im Schiff. Vielleicht w#252;rden sie in all der Aufregung gar keine Notiz von ihm nehmen.

Mike versuchte einen ebenso leeren Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern, wie er ihn auf dem Bens und denen der anderen Sklaven gesehen hatte, und ging mit ruhigen Schritten an den Kriegern vorbei. Der Trick schien zu funktionieren.

Einer der M#228;nner sah ihm stirnrunzelnd nach, zuckte dann aber nur mit den Schultern und fuhr fort seine schmerzenden Rippen zu massieren. Vollkommen unbehelligt erreichte Mike die T#252;r zum Salon und trat ein.

In dem gro#223;en Raum hielten sich vier M#228;nner auf und Mike konnte ein erleichtertes Seufzen nur mit gro#223;er M#252;he unterdr#252;cken, als er in einem von ihnen niemand anderen als Trautman erkannte. Der Steuermann blickte gerade nicht in seine Richtung, sondern war in eine hitzige Debatte mit einem hoch gewachsenen Atlanter verstrickt. Langsam, aber ohne zu stocken, ging Mike auf die beiden zu. Kurz bevor er das Kommandopult im hinteren Teil des Salons erreichte, drehte sich Trautman herum und sah ihn an.

Er brach mitten im Wort ab. Seine Augen wurden gro#223; und f#252;r einen Moment erschien ein Ausdruck absoluter Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht.

Mike senkte hastig den Blick und sagte leise: »Herr?«

Es war der gef#228;hrlichste Moment #252;berhaupt. Mikes Herz schlug zum Zerrei#223;en und er rechnete fast damit, dass sich die beiden Krieger, die nur ein St#252;ck hinter ihm standen, nun unverz#252;glich auf ihn st#252;rzen w#252;rden. Aber Trautman reagierte sofort und auf die einzig richtige Art: Mike sah aus den Augenwinkeln, wie der erschrockene Ausdruck auf seinem Gesicht perfekt gespieltem Zorn wich.

»Da bist du ja endlich, Kerl!«, sagte er w#252;tend. »Wo hast du dich so lange herumgetrieben? Ich warte schon seit Stunden auf dich!«

»Ich bin gekommen, so schnell ich konnte, Herr«, antwortete Mike dem#252;tig. »Aber ich –«

»Papperlapapp!«, unterbrach ihn Trautman. Er machte eine herrische Geste. »Spar dir deine Ausreden und komm hierher, damit ich dich einweisen kann!«

Mike ging weiter, aber der Atlanter neben Trautman streckte blitzschnell die Hand aus, hielt ihn fest und zwang ihn, den Kopf zu heben, damit er ihm ins Gesicht sehen konnte. »Wer ist dieser Bursche?«, fragte er. »Was tut er hier?«

»Ich habe ihn angefordert«, sagte Trautman rasch. »Seinen Namen kenne ich nicht. Ich habe um einen Assistenten gebeten, der #252;ber technisches Verst#228;ndnis verf#252;gt.«

»Wozu?«, fragte der Atlanter misstrauisch. »Bisher hast du auch keinen Assistenten gebraucht.«

»Du wei#223;t ja auch, was die letzten beiden Male passiert ist, als wir die Kuppel verlassen haben«, antwortete Trautman scharf. »Diesmal wird es ernst. Wir k#246;nnen uns kein Risiko erlauben.«

»Das gef#228;llt mir nicht«, sagte der Atlanter. »Ich werde mich #252;berzeugen, ob es die Wahrheit ist.« Er lie#223; Mike los, drehte sich zum Ausgang und wandte sich im Gehen an die beiden Krieger. »Gebt auf diesen Jungen Acht. Irgendetwas stimmt mit ihm nicht.«

»Der Einzige, mit dem etwas nicht stimmt, bist du, Talan«, maulte Trautman. »Dein Misstrauen ist ja schon krankhaft.«

Der Atlanter w#252;rdigte ihn nicht einmal einer Antwort, sondern ging mit schnellen Schritten aus dem Salon, w#228;hrend die beiden Krieger gehorsam n#228;her kamen. Trautman wandte sich in unver#228;ndert ruppigem Ton an Mike und fuhr ihn an: »Komm gef#228;lligst her! Du wirst diese Kontrollinstrumente im Auge behalten und mich sofort warnen, wenn etwas nicht in Ordnung ist.«

Mike trat gehorsam neben Trautman und sah auf das Kontrollpult hinab. Er erlebte eine #220;berraschung. Selbst wenn er gewusst h#228;tte, was Trautman mit dieser an sich unsinnigen Anweisung gemeint hatte, h#228;tte er ihr nicht nachkommen k#246;nnen. Das Kontrollpult hatte sich total ver#228;ndert. Die meisten Instrumente waren neu und vollkommen unverst#228;ndlich und es waren eine ganze Anzahl neuer Ger#228;te hinzugekommen, deren Bedeutung er nicht einmal erahnen konnte. Die Anweisung galt aber wahrscheinlich sowieso nur den Kriegern, um sie zu beruhigen.

Trautman trat dicht neben ihn, deutete mit einer befehlenden Geste auf das Instrumentenpult und fl#252;sterte hastig: »Mike? Wei#223;t du, wer du bist? Wer ich bin?«

»Ja, Herr«, antwortete Mike laut. »Ich verstehe Euch. Es ist alles in Ordnung mit mir.«

Trautman sah ihn verwirrt an. Offensichtlich wusste er nicht so ganz, was er von Mikes Antwort zu halten hatte. »Wo sind die anderen?«, fl#252;sterte er.

Mike beugte sich scheinbar konzentriert #252;ber das Instrumentenpult und antwortete laut: »Das angeforderte Material ist unten im Schiff. Ich kann es holen, sobald Ihr es braucht, Herr.«

»Sind sie in Ordnung?«, fl#252;sterte Trautman.

Mike sah aus den Augenwinkeln, dass sich die beiden Krieger wieder ein kleines St#252;ck zur#252;ckzogen. Offenbar war ihr Argwohn wenigstens f#252;r den Moment bes#228;nftigt. So wagte er es, im Fl#252;sterton und sehr schnell auf Trautmans Frage zu antworten. »Nein. Sie stehen noch unter Argos’ Einfluss.«

»Was ist mit Serena?«, fragte Trautman.

»Singh ist unterwegs, um sie zu holen«, antwortete Mike. »Sobald sie hier sind, k#246;nnen wir fliehen.«

»Fliehen?« Trautman sah ihn an, als w#228;re er verr#252;ckt. »Das Schiff wimmelt von Kriegern. Es sind mindestens zwanzig!«

»Wir haben Hilfe«, fl#252;sterte Mike. Laut und mit einer Geste auf einige der neuen Instrumente f#252;gte er hinzu: »Sind diese Ger#228;te funktionst#252;chtig, Herr?«

»Hundertprozentig«, antwortete Trautman ebenso laut. »Die NAUTILUS ist in besserem Zustand denn je. Sobald ...Argosund die anderen hier sind, k#246;nnen wir aufbrechen.« Er wirkte total verst#246;rt, was Mike gut verstehen konnte. Aber solange die beiden Krieger in ihrer H#246;rweite waren, konnten sie es nicht wagen, offen zu reden.

Erneut bewies Trautman jedoch, dass er noch immer #252;ber einen scharfen Verstand verf#252;gte. »Sprichst du die Technikersprache, Kerl?«, fragte er barsch. Dann wiederholte er dieselbe Frage auf Deutsch, seiner Muttersprache, die auch Mike – zwar nicht #252;berragend, aber doch einigerma#223;en – beherrschte.

Mike nickte #252;berrascht. Einer der Krieger kam wieder n#228;her und fragte misstrauisch: »Was soll das? Redet so, dass wir euch verstehen!«

»Das ist viel zu umst#228;ndlich«, erwiderte Trautman. »Die Technikersprache ist pr#228;ziser und viel k#252;rzer. Wir haben nicht

viel Zeit. Du kannst dich ja bei Talan beschweren, wenn er zur#252;ck ist.«

Der Krieger z#246;gerte. Er war w#252;tend, aber Mike registrierte auch #252;berrascht, dass er einen gewissen Respekt vor Trautman zu haben schien. Schlie#223;lich sagte er trotzig: »Darauf kannst du dich verlassen.«

Trautman schenkte ihm noch einen abf#228;lligen Blick, dann wandte er sich wieder an Mike: »Wir haben h#246;chstens eine halbe Stunde, bevor Talan zur#252;ck ist – wahrscheinlich mit einer ganzen Armee«, sagte er, nun wieder auf Deutsch. W#228;hrend er sprach, deutete er immer wieder heftig auf die Instrumente hinab und seine Stimme verlor auch nicht ihren herrischbefehlenden Ton. »Was ist passiert? Wo kommst du jetzt her und was ist das f#252;r eine Geschichte mit Singh und den anderen?«

Mike beugte sich tiefer #252;ber das Pult und machte eine #252;bertrieben deutlich fragende Geste, w#228;hrend er gleichzeitig mit m#246;glichst knappen Worten versuchte, Trautman zu erz#228;hlen, was seit jenem Morgen im Korallenbruch geschehen war, an dem er sein Ged#228;chtnis zur#252;ckerlangt hatte. Trautman h#246;rte schweigend zu, aber sein Gesichtsausdruck verd#252;sterte sich zusehends. Mike vermochte nicht zu sagen, ob aus Best#252;rzung #252;ber das Geh#246;rte oder aus mangelnder Begeisterung #252;ber ihren Plan die NAUTILUS zu stehlen.

»Das gef#228;llt mir nicht«, sagte er, als Mike geendet hatte. »Ich habe Serena nicht gesehen, seit wir Lemura erreicht haben und getrennt wurden, aber ich wei#223;, dass er sie wie einen Kronschatz bewachen l#228;sst. Singh wird sie niemals finden.«

»Vielleicht doch«, antwortete Mike. »Sarn war Argos’

Vertrauter. Der Kommandeur seiner Leibwache. Wenn

jemand sie finden kann, dann er.«

»Was redet ihr da von Sarn und Argos?«, fragte der Posten misstrauisch. »Ich will nicht, dass ihr in dieser Sprache sprecht.«

»Der Junge hat mir erz#228;hlt, dass Sarn verschwunden ist«, antwortete Trautman in eindeutig schadenfrohem Tonfall. »Anscheinend verlassen die Ratten das sinkende Schiff.«

»Ich an deiner Stelle w#252;rde nicht so reden«, sagte der Krieger w#252;tend. »Argos wird nicht begeistert sein, wenn ich ihm davon erz#228;hle.«

»Und noch viel weniger, wenn ich ihm erz#228;hle, warum die Vorbereitungen f#252;r das Auslaufen noch nicht abgeschlossen sind«, sagte Trautman. »Also halt uns nicht l#228;nger auf.« An Mike gewandt fuhr er fort: »Wir m#252;ssen uns beeilen. Argos und die anderen werden in einer Stunde hier sein. Dann m#252;ssen die Vorbereitungen beendet sein.«

Mike beugte sich erneut #252;ber das Pult und tat so, als w#228;re er mit irgendetwas furchtbar besch#228;ftigt. Der Krieger be#228;ugte sie noch einen Moment lang argw#246;hnisch, wandte sich dann aber wieder um. Jetzt, wo sie wieder in einer Sprache redeten, die auch er verstand, schien sein Misstrauen teilweise bes#228;nftigt.

Trautman bet#228;tigte ein paar Schalter auf dem Pult. #220;berall ringsum begannen pl#246;tzlich kleine bunte L#228;mpchen zu flackern und Mike sp#252;rte, wie tief im Rumpf der NAUTILUS die Motoren ansprangen. Ihr Ger#228;usch hatte sich ver#228;ndert. Sie klangen jetzt viel kraftvoller, dabei aber zugleich viel ruhiger. Sein Erstaunen blieb Trautman nicht verborgen. »Talan und die anderen Ingenieure haben wirklich ganze Arbeit geleistet«, sagte

er. »Die NAUTILUS ist jetzt beinahe doppelt so schnell wie

zuvor und kann viel tiefer tauchen. Ich hoffe nur, es reicht.«

Der besorgte Ton, in dem Trautman die letzten Worte aussprach, gefiel Mike nicht. Aber er wagte es nicht, eine entsprechende Frage zu stellen. Die Wachen h#246;rten ihnen immer noch zu.

Ein heftiger Ruck ging durch den Rumpf der NAUTILUS. Auf dem Kontrollpult begann ein Dutzend kleiner L#228;mpchen zu flackern und erlosch wieder. Trautman fluchte, legte einen Schalter um und auf dem neuen Teil des Kommandopultes leuchtete ein kleiner Bildschirm auf, der die Umgebung der NAUTILUS und den gemauerten Steg zeigte. Drau#223;en herrschte ein heilloses Durcheinander. Das Wasser des Hafenbeckens war aufgew#252;hlt. Die NAUTILUS tanzte auf meterhohen Wellen und selbst der gemauerte Steg zitterte so heftig, dass die meisten Sklaven, die sich darauf befunden hatten, mit hektischen Bewegungen um ihr Gleichgewicht k#228;mpften. Einige waren gest#252;rzt und ein paar sogar ins Wasser gefallen.

»Es wird schlimmer«, sagte Trautman besorgt. »Die Beben kommen in immer k#252;rzeren Abst#228;nden. Ich wei#223; nicht, wie lange die Kuppel noch h#228;lt.«

»Aber wieso?«, murmelte Mike. »Ausgerechnet jetzt! Das kann doch kein Zufall sein!«

»Ist es auch nicht«, antwortete Trautman d#252;ster. »Diese ganze Konstruktion h#228;tte schon vor Jahrtausenden zusammenbrechen m#252;ssen. Nur die unerm#252;dliche Ingenieurkunst von Argos’ Technikern hat den Verfall bisher aufgehalten – sie und die magischen Kr#228;fte Argos’. Aber seit wir hier sind, haben sie all

ihre Kr#228;fte darauf konzentriert, die NAUTILUS zu reparieren

und umzubauen. Das Ergebnis siehst du dort drau#223;en. Lemura wird untergehen. Vielleicht schon heute.«

»Das ... das kann ich nicht glauben«, murmelte Mike. »All diese Menschen hier werden sterben, wenn die Kuppel zusammenbricht!«

»Das ist Argos vollkommen egal«, antwortete Trautman. »Sie sind ihm gleich. Wenn er und die anderen Mitglieder der herrschenden Kaste in Sicherheit sind, k#246;nnen sie seinetwegen ruhig sterben. Sie waren ohnehin nicht mehr als ...Werkzeugef#252;r ihn.«

Trautman erz#228;hlte ihm im Grunde nichts Neues und trotzdem war Mike zutiefst ersch#252;ttert. Das Allerschlimmste war und blieb aber das Gef#252;hl der Hilflosigkeit. Das Wissen, absolut nichts f#252;r die Menschen hier in Lemura tun zu k#246;nnen, war beinahe mehr, als er ertrug.

Er sah wieder auf den Bildschirm. Das tobende Wasser begann sich zu beruhigen und die Sklaven hatten ihre Packst#252;cke wieder aufgehoben und setzten ihre Arbeit fort, als w#228;re nichts geschehen. Beherrscht von Argos’ Magie begriffen sie wahrscheinlich nicht einmal die Gefahr, in der sie alle schwebten. Und vielleicht, dachte Mike niedergeschlagen, ist es sogar besser so. Sie konnten diese Menschen nicht retten. Warum also sollten sie ihre letzten Stunden in Todesangst verbringen?

Die Zeit verstrich qu#228;lend langsam. Die Stunde, von der

Trautman dem Krieger gegen#252;ber gesprochen hatte, war vermutlich noch lange nicht verstrichen, aber Mike kam es so vor, als h#228;tte es mindestens zehnmal so lange gedauert. Wie es Ben und den anderen in ihrem winzigen Versteck unten im Rumpf der NAUTILUS ergehen mochte, wagte sich Mike nicht einmal vorzustellen. Er sah immer #246;fter auf den kleinen Bildschirm. Doch weder Singh und Serena noch Argos und seine Leute tauchten auf dem Steg auf. Nur die Kette der Sklaven, die Vorr#228;te und Waren an Bord des Schiffes brachten, nahm kein Ende.

Pl#246;tzlich r#228;usperte sich Trautman, um ihn auf etwas aufmerksam zu machen. Mike sah genauer auf den Bildschirm, aber es vergingen noch einmal Sekunden, ehe auch ihm auffiel, was Trautman bemerkt hatte: Der Zug der Sklaven hielt an und er hatte sich ver#228;ndert. Bisher waren es vornehmlich M#228;nner gewesen, die Kisten und S#228;cke aus dem Lagerhaus brachten, allenfalls ein paar Jungen in seinem und Bens Alter. Nun aber entdeckte er unter ihnen auch Frauen, junge M#228;dchen, ja, sogar ein paar Kinder, die kaum in der Lage schienen, die Lasten zu tragen, die man ihnen aufgeladen hatte.

»Was ist da los?«, murmelte Trautman.

Mike wusste die Antwort auf die Frage nicht – und dann, endlich, sah er auf dem Schirm, wonach er so lange vergeblich Ausschau gehalten hatte: Tief nach vorne gebeugt unter gro#223;en, prall gef#252;llten S#228;cken bewegten sich auch Sarn, Singh und eine schlanke M#228;dchengestalt mit h#252;ftlangem, goldfarbenem Haar auf die NAUTILUS zu.

Serena!

Mike konnte im letzten Moment einen Aufschrei un

terdr#252;cken. Serena? Seit ann#228;hernd drei Monaten hatte er sie nicht mehr gesehen, aber ihm wurde erst jetzt klar, wie sehr er sie wirklich vermisst hatte. Sein Herz begann zu klopfen. Er beugte sich weiter vor, um Serenas Gesicht genauer zu erkennen, aber er konnte einfach nicht sagen, ob die Leere in ihrem Blick nur geschauspielert oder echt war.

»Beherrsch dich«, fl#252;sterte Trautman. »Wenn die Wachen sie sehen, ist es aus!«

Damit hatte er nat#252;rlich Recht. Mike riss seinen Blick m#252;hsam vom Bildschirm los, beugte sich #252;ber das Kontrollpult und tat so, als w#228;re er damit besch#228;ftigt, die Anzeigen darauf zu #252;berwachen. Aber es kostete ihn all seine Kraft, nicht ununterbrochen wieder auf den Bildschirm zu blicken.

Wenn er gedacht hatte, dass sich die Zeit bisher im Schneckentempo bewegte, so schien sie nun stehen zu bleiben. Minuten vergingen, qu#228;lend langsam und scheinbar endlos, und irgendwann hielt es Mike einfach nicht mehr aus und blickte doch auf den Bildschirm. Singh, Serena und Sarn waren nicht mehr darauf zu sehen. Sie mussten die NAUTILUS mittlerweile erreicht haben.

Wieder zitterte das Schiff unter seinen F#252;#223;en. Auf dem Wasser des Hafenbeckens auf dem Bildschirm entstand ein kompliziertes Wellenmuster und verging wieder, und als h#228;tten sie nur auf genau diese Ablenkung gewartet, betraten Singh und Sarn in genau diesem Augenblick den Salon.

Die beiden Krieger reagierten sofort auf das Erscheinen ihres abtr#252;nnigen Kameraden und zogen ihre Schwerter. Aber Sarn war schneller: Mit einer blitzschnellen Bewegung forderte er eine kleine, sonderbar aussehende Waffe unter seinem Unihang hervor, richtete sie nacheinander auf die beiden Krieger und dr#252;ckte ab. Ein doppeltes, leises Zischen erklang und die beiden Krieger st#252;rzten wie vom Blitz getroffen zu Boden.

»Jetzt!«,schrie Singh mit vollem Stimmaufwand. Nur einen Augenblick sp#228;ter erklang drau#223;en auf dem Gang ein gellender Schrei, gefolgt von den Ger#228;uschen eines Kampfes, der rasch an Heftigkeit zunahm und sich #252;ber das gesamte Deck auszubreiten schien. Sarn fuhr wieder herum und war mit einem raschen Schritt aus der T#252;r. Mike h#246;rte ihn drau#223;en Befehle br#252;llen und Singh war mit einer raschen Bewegung neben den beiden Kriegern und kniete nieder.

Mike blickte auf den Bildschirm. Der Zug der Sklaven hatte wieder angehalten und er sah, dass an seinem Ende eine gro#223;e Anzahl Krieger aufgetaucht war, die mit wehenden M#228;nteln #252;ber den Steg rannten. Sie w#252;rden zu sp#228;t kommen. Noch w#228;hrend die Sklaven hastig beiseite wichen, um den Soldaten Platz zu machen, wurde die Luke im Heck der NAUTILUS geschlossen. Gleich darauf dr#246;hnte ein doppelter, lang nachhallender Schlag durch das Schiff. Mike kannte dieses Ger#228;usch: Der Lukendeckel hatte sich geschlossen und verriegelt.

»Trautman!«, rief Singh. »Starten Sie die Motoren! Schnell! Wir haben nicht viel Zeit!« Trautman begann hastig an seinen Kontrollinstrumenten zu hantieren und das Motorenger#228;usch #228;nderte

sich. Gleichzeitig zitterte der Boden unter Mikes F#252;#223;en st#228;rker, jetzt aber im Rhythmus der Motoren, die allm#228;hlich ihre Kraft aufbauten, um das Tauchboot ins freie Meer hinauszukatapultieren. »Wo ist Serena?«, fragte Mike. »Und Astaroth!?« »Oben im Turm«, antwortete Singh. »Wir haben sie zur#252;ckgelassen, damit ihnen nichts passiert. Sie

k#246;nnten verletzt werden. Argos’ Krieger sind nicht zu untersch#228;tzen. Aber wir werden es schaffen, keine

Angst. Wie lange noch?« Die letzte Frage galt Trautman, der sie mit einem Achselzucken beantwortete. »Ein paar Minuten, aber genau wei#223; ich es nicht. Diese neuen Maschinen sind viel st#228;rker als unsere alten, aber sie brauchen ein paar Minuten, um warm zu laufen.«

Drau#223;en auf dem Gang schien der Kampf mittlerweile zu Ende zu sein, doch nun h#246;rte Mike von #252;berall her aus dem Schiff Schreie und Kampfget#246;se. Offenbar tobte in der gesamten NAUTILUS ein erbitterter Kampf.

Sarn kam zur#252;ck. Er blutete aus einer kleinen Schnittwunde am Arm, l#228;chelte aber zufrieden. In der rechten Hand trug er noch immer die sonderbare Waffe, mit der er die beiden Krieger niedergestreckt hatte. Als er Mikes Blick bemerkte, machte er eine beruhigende Geste mit der freien Hand.

»Keine Sorge«, sagte er. »Sie t#246;tet nicht, sondern bet#228;ubt nur.« »Woher stammt diese Waffe?«, fragte Mike. »Ausgeliehen, aus Argos’ pers#246;nlicher Waffenkammer«, grinste Sarn. »Ich f#252;rchte nur, er wei#223; nichts

davon.« Er wandte sich an Trautman. »Wann ist es so weit?« »Zwei Minuten«, sagte Trautman. Dann fragte er: »Wer sind Sie?« »Der Freund, von dem ich Ihnen erz#228;hlt habe«, sagte Mike rasch. »Sarn. Ohne ihn h#228;tten wir das alles

nicht geschafft.«

»Sarn, so ...« Trautman machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sie kommen mir bekannt vor. Haben wir uns schon einmal gesehen?« »Das ist gut m#246;glich«, antwortete Sarn. »Ich habe zu Argos’ Leibwache geh#246;rt.« »Und jetzt haben Sie einfach die Seiten gewechselt?«, fragte Trautman misstrauisch. »Das spielt jetzt wirklich keine Rolle«, mischte sich Singh ein. »Verschwinden wir von hier. Schnell!« Trautman musterte ihn und Sarn noch einmal kurz mit finsteren Blicken, dann zuckte er mit den

Schultern und widmete sich wieder seinen Kontrollinstrumenten. Die NAUTILUS zitterte st#228;rker und das Grollen der Maschinen nahm an Lautst#228;rke zu. Auf dem Bildschirm konnte Mike sehen, wie sich das Schiff scheinbar tr#228;ge vom Steg entfernte und dabei langsam tiefer ins Wasser sank. Drau#223;en, vor dem gro#223;en Fenster, durch das man aus dem Salon direkt ins Meer blicken konnte, begann das Wasser zu sprudeln. »Was sind das f#252;r Leute, die ihr mitgebracht habt?«, fragte Trautman.

»Sie geh#246;ren zu mir«, antwortete Sarn. »Ein paar M#228;nner mit ihren Familien, die ich in der K#252;rze der Zeit erreichen konnte. Es war Singhs Vorschlag.«

Mike sah den Inder #252;berrascht an und Singh zuckte fast verlegen mit den Schultern. »Die NAUTILUS war ohnehin darauf vorbereitet, Passagiere aufzunehmen«, sagte er im Tonfall der Verteidigung. »Auf diese Weise k#246;nnen wir wenigstens einige retten.«

Mike war noch immer erstaunt. Nat#252;rlich hatte Singh vollkommen richtig gehandelt. Er fragte sich sogar, warum er nicht selbst auf diese an sich nahe liegende Idee gekommen war. Aber dass sie nach allem, was er erlebt hatte, ausgerechnet von Singh kam, #252;berraschte ihn doch. Gleichzeitig erleichterte es ihn aber auch. Anscheinend hatte Argos’ Einfluss Singh doch nicht ganz so sehr ver#228;ndert, wie er bisher bef#252;rchtet hatte.

»Wir tauchen«, sagte Trautman. »Singh, ich brauche deine Hilfe.«

»Was ist mit Serena?«, fragte Mike. »Ich m#246;chte sie sehen!«

»Ich lasse deine Freundin holen und das Felltier auch. Keine Sorge.« Sarn l#228;chelte aufmunternd, machte einen halben Schritt aus dem Salon und wechselte ein paar Worte mit jemandem, der drau#223;en auf dem Gang stand. W#228;hrenddessen trat Singh neben Trautman und begann mit geschickten Bewegungen am Kontrollpult zu hantieren. Mike war ein bisschen #252;berrascht, als er feststellte, dass Singh auch die neu hinzugekommenen Ger#228;te so selbstverst#228;ndlich bediente, als h#228;tte er sein Lebtag nichts anderes getan.

»Was genau ist das?« Mike deutete auf das Pult, hinter dem Singh stand.

»Der Gefechtsstand«, antwortete der Inder.

»Gefechtsstand?«,#228;chtzte Mike.

Trautman nickte d#252;ster. »Talas und seine Ingenieure waren flei#223;ig«, sagte er. »Die NAUTILUS ist jetzt bis an die Z#228;hne bewaffnet.«

»Aber sie ist doch kein Kriegsschiff«, protestierte Mike.

»Jetzt schon«, antwortete Singh lakonisch. »Es gef#228;llt mir genauso wenig wie dir – aber wir werden die Waffen brauchen. Da sind sie!«

Es dauerte eine Sekunde, bis Mike begriff, was Singh mit seinen letzten Worten meinte. Auf dem kleinen Bildschirm war jetzt das Meer vor dem Bug der NAUTILUS zu erkennen. Inmitten des gr#252;nen, sch#228;umenden Wassers waren drei schlanke, pfeilf#246;rmige Umrisse erschienen. Im allerersten Moment dachte Mike, es handle sich um bizarre Tiefseeungeheuer, dann erkannte er, dass es k#252;nstliche Gebilde waren.

»Was ist das?«, fragte er verbl#252;fft.

»J#228;ger«, antwortete Trautman. »Argos’ Privatflotte. Sie sind klein, aber ziemlich gef#228;hrlich.«

Mike war vollkommen fassungslos. Alles, was er bisher von Lemura gesehen hatte, hatte ihn den Eindruck gewinnen lassen, sich in einer fast steinzeitlichen Welt zu befinden. Und nun erblickte er drei Miniatur-Tauchboote, deren Technik sich durchaus mit der der NAUTILUS messen konnte! Sein Zorn auf Argos stieg ins Unermessliche. Wie viele Menschen hatten sich wohl zu Tode gearbeitet, damit Argos’ Ingenieure diese drei – wie hatte Singh sie genannt – J#228;ger bauen konnten?

»Achtung!«, schrie Trautman. »Sie schie#223;en!«

Mike sah weder einen Torpedo noch die Spuren irgendeiner anderen Waffe, doch schon im n#228;chsten Augenblick dr#246;hnte die NAUTILUS unter einem gewaltigen Schlag und legte sich sp#252;rbar auf die Seite. Aus der Tiefe des Schiffes hallte ein Chor gellender Schreie an ihre Ohren. Die NAUTILUS richtete sich schwerf#228;llig wieder auf und Singh schlug mit der Faust auf einen Schalter. Einer der J#228;ger schien pl#246;tzlich von einem gewaltigen Faustschlag getroffen zu werden und zerbarst in tausend St#252;cke. Die beiden anderen Jagd-U-Boote wechselten blitzschnell ihren Kurs. Singhs n#228;chster Schuss ging fehl. Die J#228;ger waren unheimlich schnell und so wendig wie Fische.

»Ich begreife nicht, warum sie die NAUTILUS stehlen mussten, wenn sie in der Lage sind, solche Schiffe zu bauen«, murmelte Mike.

Singh warf ihm nur einen fl#252;chtigen Blick zu, antwortete aber nicht. Eine Sekunde sp#228;ter dr#246;hnte die NAUTILUS unter einem weiteren Einschlag der unbekannten Waffe. Trautman fluchte und versuchte hektisch, das Schlingern des Schiffes zu stabilisieren. Singh schoss erneut und verfehlte sein Ziel auch diesmal.

»Sie sind zu schnell f#252;r uns!«

»K#246;nnen sie die NAUTILUS besch#228;digen?«, fragte Mike angstvoll.

»Nicht wirklich«, antwortete Trautman ohne ihn anzusehen. »Gottlob haben Argos’ Ingenieure das Schiff ausgezeichnet gepanzert. Aber sie k#246;nnen uns aufhalten und das ist schlimm genug.«

»Wieso?«

»Weil Argos noch ein paar andere #220;berraschungen auf Lager hat«, knurrte Singh.»Festhalten!«

Das letzte Wort hatte er geschrien. Die NAUTILUS erbebte unter gleich zwei Treffern und legte sich so stark auf die Seite, dass Mike sich hastig irgendwo festklammerte, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Trautman fluchte erneut, bet#228;tigte hastig einen Schalter und die Irisblende vor dem gro#223;en Fenster begann sich zu schlie#223;en. Panzerung oder nicht, dachte Mike, wenn eines der unsichtbaren Geschosse das Fenster trifft und zerschmettert, ist es um uns geschehen.

Als sich das Zittern des Bodens beruhigte, kam Sarn zur#252;ck. Er war nicht allein. Serena betrat dicht hinter ihm den Salon und zwischen ihren F#252;#223;en lief ein schwarzes, struppiges Fellb#252;ndel, das Mike aus einem einzelnen gelb gl#252;henden Auge anblinzelte.

Das ist wieder einmal typisch!erklang Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Kaum lasse ich euch eineStunde allein, steckt ihr bis #252;ber beide Ohren in Schwierigkeiten!

Mike ignorierte den Kater, war mit einem Satz bei Serena und schloss sie in die Arme. »Serena!«, rief er #252;bergl#252;cklich. »Gott sei Dank, Serena! Du bist gesund und ...«

Er sprach nicht weiter. Serena erwiderte seine Umarmung nicht, sondern versteifte sich regelrecht. Mit klopfendem Herzen trat er einen halben Schritt zur#252;ck und sah dem M#228;dchen ins Gesicht.

In seinem Hals war pl#246;tzlich ein bitterer Klo#223;. F#252;r ein paar Sekunden musste er mit aller Kraft gegen die Tr#228;nen ank#228;mpfen. Er hatte geahnt, ja, im Grunde sogar gewusst, was ihn erwartete, und trotzdem brach ihm der Anblick fast das Herz. Serenas Augen waren leer. Ihr Bewusstsein war so ausgel#246;scht wie das Bens und der anderen. So wie es sein eigenes gewesen war, bevor Astaroth ihn geheilt hatte.

»Serena!«, sagte er. »Erkennst du mich denn nicht? Ich bin es! Mike!«

Serena sah ihn nur fragend an. Einen Moment lang schien so etwas wie Erkennen in ihren Augen aufzublitzen, doch dann gestand sich Mike ein, dass er nur etwas in ihrem Blick sah, was er sehenwollte;nicht, was wirklich darin war.

Gib dir keine M#252;he,sagte Astaroth.Sie wei#223; nicht, wer du bist. Sie hat nicht einmal mich erkannt. Bei ihr war Argos ganz besonders gr#252;ndlich.

»Aber warum?«, fragte Mike.Weil er Angst vor ihr hat,antwortete Astaroth. »Angst?«Ihre geistigen Kr#228;fte sind ebenso gro#223; wie seine eigenen, hast du das schon vergessen? fragteAstaroth.

Sie kann ihre Magie nicht mehr aus#252;ben, aber die Kraft ist noch da. Argos hat wohl gehofft, sie sp#228;terf#252;r sich selbst nutzen zu k#246;nnen.

»Kannst du ihr helfen?«, fragte Mike.Ich glaube schon,antwortete Astaroth,aber nicht jetzt. Sie braucht Zeit. Und Ruhe.Wie um seine Worte zu unterstreichen, erbebte die NAUTILUS unter einem weiteren Treffer. Mike hob

rasch den Blick zum Bildschirm und sah, dass sie mittlerweile dicht #252;ber den Grund des unterseeischen

Hafenbeckens dahinglitten. Singh feuerte mit den neuen Waffen der NAUTILUS zur#252;ck. Er verfehlte die J#228;ger auch diesmal, aber der Meeresboden neben einem der beiden pfeilf#246;rmigen Schiffe explodierte wie unter dem Einschlag einer Bombe.

»Da ist die Ausfahrt«, sagte Trautman. »Verdammt! Sie schlie#223;en die Tore!« Inmitten des sprudelnden gr#252;nen Wassers sah Mike den Rand der gewaltigen Unterseekuppel. Genau vor

dem Bug der NAUTILUS befand sich ein riesiges, sechseckiges Tor, gro#223; genug, um f#252;nf Schiffe von den Abmessungen der NAUTILUS passieren zu lassen. Aber Mike sah auch die gewaltigen Torfl#252;gel, die sich schnell davor schoben. Sie w#252;rden es nicht schaffen.

Trautman hatte Recht: Die J#228;ger konnten die NAUTILUS m#246;glicherweise nicht wirklich besch#228;digen, aber ihr hartn#228;ckiger Beschuss verlangsamte das Schiff, und das war alles, was n#246;tig war. Wenn sie die Tore schlossen, dann war die NAUTILUS unwiderruflich in der Unterseekuppel gefangen.

»Das schaffen wir nicht«, sagte Trautman.

»O doch«, antwortete Singh grimmig. »Haltet euch fest!«

Auf Trautmans Gesicht erschien ein best#252;rzter, ja, beinahe entsetzter Ausdruck, und noch bevor Mike wirklich begriff, was das bedeuten mochte, h#228;mmerte Singhs geballte Faust auf das Kontrollpult. Mike starrte fassungslos auf den Bildschirm und sah, wie sich zwei schlanke Schatten vom Bug der NAUTILUS l#246;sten und auf das Unterwassertor zurasten.

»Singh!«,br#252;llte Trautman.»Bist du wahnsinnig geworden?«

Singhs Antwort ging im Krachen einer ungeheuren Explosion unter. Ein grellwei#223;er Blitz l#246;schte f#252;r einen Moment das Bild auf dem Monitor aus, und noch bevor die tanzenden Funken vor Mikes Augen verschwanden, schien die NAUTILUS vom Fu#223;tritt eines Riesen getroffen und wie ein Spielzeug davongewirbelt zu werden. Diesmal blieb niemand im Salon auf den F#252;#223;en.

Mike blieb einige Sekunden benommen liegen und wartete, dass das Schiff und der Rest der Welt aufh#246;rten, sich um ihn zu drehen. Die NAUTILUS schaukelte noch immer wild hin und her. Der Boden kippte von links nach rechts und wieder zur#252;ck und aus dem bisher gleichm#228;#223;igen Brummen der Motoren war ein unregelm#228;#223;iges, m#252;hsames Stampfen und Schnauben geworden.

Langsam richtete sich Mike auf. Sein Kopf dr#246;hnte und er hatte sich eine Rippe angeschlagen, die entsetzlich wehtat. Trotzdem galt sein erster Blick Serena.

Die Atlanterin richtete sich neben ihm auf; benommen, aber offensichtlich unverletzt. Neben ihr versuchte ein zerrupftes schwarzes Fellb#252;ndel auf die Pfoten zu kommen und in Mikes Gedanken erklang ein wahrer Schwall der unfl#228;tigsten Fl#252;che, die Mike je geh#246;rt hatte. Er ignorierte sie und stand auf.

Auf der anderen Seite des Kontrollpultes zogen sich Singh und Trautman in die H#246;he. Trautmans Gesicht war blutig, aber er sah viel mehr w#252;tend als verletzt aus.

Mike blickte auf den Bildschirm. In den riesigen Torfl#252;geln g#228;hnte jetzt ein gewaltiges, gezacktes Loch. Von den beiden Jagd-U-Booten war keine Spur mehr zu sehen. Die Explosion der beiden Torpedos hatte sie entweder zerst#246;rt oder so weit davongewirbelt, dass sie im Moment keine Gefahr mehr darstellten.

Mike begriff erst nach und nach, was das, was Singh getan hatte,wirklichbedeutete. Ungl#228;ubig starrte er den Inder an. »Warum ... warum hast du das ... getan?«, stammelte er.

»Weil wir sonst gefangen gewesen w#228;ren«, antwortete Singh. »W#252;rdest du gerne den Rest deines Lebens hier unten verbringen?«

»Das ist Wahnsinn!«, keuchte Mike. »Die ganze Kuppel h#228;tte

zusammenst#252;rzen k#246;nnen! Hier unten leben fast

zwanzigtausend Menschen, Singh!«

»Und?«, fragte der Inder kalt. »Sie sterben doch sowieso in ein paar Tagen.«

Ein Schlag ins Gesicht h#228;tte Mike nicht h#228;rter treffen k#246;nnen. Er wollte irgendetwas sagen, aber er konnte es nicht. Der Mann, der vor ihm stand, schien nichts, aber auch rein gar nichts mehr mit dem Singh gemein zu haben, den er bisher gekannt hatte.

Jetzt spinnt er total,maulte Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Ich glaube, um ihn muss ich mich wohl zuerst k#252;mmern. Argos hat sein Gehirn noch mehr verdreht als das der anderen.

Nicht jetzt,antwortete Mike auf dieselbe, lautlose Art.Bitte geh nach unten und k#252;mmere dich um Ben und die anderen. Sie sind in dem kleinen Raum neben dem Lager.

Astaroth f#252;gte noch ein paar wenig schmeichelhafte Bemerkungen #252;ber Singhs Geisteszustand hinzu, stand dann aber gelassen auf und trollte sich. Mike hatte ihn nicht nur fortgeschickt, weil er sich um Ben und die anderen sorgte, die in der winzigen Kammer eingesperrt waren. Er hatte pl#246;tzlich das sichere Gef#252;hl, dass er Ben und die beiden anderen vielleichtbrauchte.Niemand konnte sagen, f#252;r welcheunangenehme #220;berraschung Singh noch gut war. Was um alles in der Welt hatte Argos Singh nur angetan?

W#228;hrend Mike mit Astaroth geredet hatte, war es Trautman gelungen, die Kontrolle #252;ber die NAUTILUS zur#252;ckzuerlangen und das Schiff zu stabilisieren. Das Motorenger#228;usch klang nun wieder gleichm#228;#223;ig. Langsam, aber allm#228;hlich wieder schneller werdend, bewegte sich die NAUTILUS auf die gewaltsamgeschaffene #214;ffnung zu und glitt hindurch.

Mike hielt den Atem an, als sie die gewaltige Unterseekuppel verlie#223;en. Mit einem Mal umgab sie vollkommene Schw#228;rze. Die NAUTILUS befand sich jetzt im offenen Meer und auf ihrem Rumpf lastete der Druck von mehr als f#252;nftausend Metern Wasser; eine Belastung, die das Schiff normalerweise kaum lange ausgehalten h#228;tte. Doch nichts von alledem, was Mike erwartete, geschah. Das gequ#228;lte St#246;hnen des Rumpfes blieb ebenso aus wie das Krachen #252;berlasteter Nieten und das Knistern von Metall, das die Grenzen seiner Tragf#228;higkeit erreicht hatte. Wie Trautman es gesagt hatte, konnte die NAUTILUS jetzt viel tiefer tauchen als zuvor. Argos’ Ingenieure hatten ein wahres Wunder vollbracht.

Mike sah in Trautmans und Singhs Gesicht und ein einziger Blick reichte aus, um ihm klarzumachen, dass die Gefahr noch nicht vor#252;ber war. Beide starrten konzentriert auf den Bildschirm und auch Sarn wirkte pl#246;tzlich angespannt, beinahe #228;ngstlich. Bevor Mike eine entsprechende Frage stellen konnte, schaltete Trautman die gro#223;en Scheinwerfer der NAUTILUS ein. Im Schein der turmdicken Lichtstrahlen erkannte Mike eine Anzahl kleiner, silbrig gl#228;nzender Umrisse, die sich zu schnell bewegten, um sie identifizieren zu k#246;nnen. Trotzdem erinnerten sie ihn an etwas. Und es war keine gute Erinnerung ...

»Sind das ... Haie?«, murmelte er. »IndieserTiefe? Aber das ist doch unm#246;glich!«

»Es sind keine normalen Haie«, antwortete Trautman und Singh sagte:

»Du hast vorhin gefragt, wieso sie die NAUTILUS brauchen. Da hast du die Antwort.«

Mike sah noch einmal hin und sein Atem stockte, als ihm klar wurde, was Singh mit seinen Worten meinte. Die silbrigen Umrisse, deren Zahl immer mehr und mehr zunahm, waren tats#228;chlich Haie; Tiere der unterschiedlichsten Gattung: Tigerhaie, Hammerhaie, die gef#252;rchteten wei#223;en Haie, aber auch Arten, wie Mike sie noch niemals erblickt hatte. Alle Tiere waren gro#223;, aber es waren auch wahre Giganten unter ihnen, zwanzig Meter lange Walhaie und andere, noch viel gr#246;#223;ere Kolosse.

Es war nicht das erste Mal, dass Mike diese unterirdische Haifisch-Armee sah. Schon als die NAUTILUS die Stadt auf dem Meeresgrund erreicht hatte, war sie von zahllosen Haien der unterschiedlichsten Art flankiert worden. Diesmal aber waren es mehr, sehr viel mehr der gef#228;hrlichen Tiere. Und er sah nicht nur die unheimlichen Riesenhaie, von denen einige fast halb so lang wie die NAUTILUS zu sein schienen, sondern zwischen ihnen auch kleinere, bizarre Gesch#246;pfe, die wie eine grauenhafte Mischung aus Mensch und Haifisch aussahen. Er war Wesen wie diesen schon mehrmals begegnet – an Bord der NAUTILUS, im Wrack des gesunkenen Frachters, aus dem sie Argos’ Kameraden geborgen hatten, und das letzte Mal am vergangenen Morgen, in den unterirdischen Erzgruben Lemuras.

»Sieh hin«, sagte Singh.

Nicht dass seine Aufforderung n#246;tig gewesen w#228;re. Mike war viel zu gebannt von dem unheimlichen Anblick, als dass es ihm auch nur m#246;glich gewesen w#228;re, den Blick vom Bildschirm zu l#246;sen; selbst wenn er es gewollt h#228;tte.

Die Anzahl der Haie wuchs immer weiter. Es mussten mittlerweile nicht mehr Hunderte sein, sondern Tausende. Die Raubfische umkreisten die NAUTILUS in dichten Schw#228;rmen.

»Es scheint zu funktionieren«, murmelte Trautman gepresst.

»Was?«, fragte Mike.

Trautman deutete auf einen der gigantischen Walhaie. Mike sch#228;tzte die L#228;nge des Tieres auf f#252;nfunddrei#223;ig Meter, wenn nicht mehr. »Den Burschen da erkenne ich wieder«, sagte er. »Als wir das letzte Mal versucht haben, die Kuppel zu verlassen, haben er und ein paar seiner Br#252;der die NAUTILUS beinahe in St#252;cke gerissen.«

Aus Mikes Beunruhigung wurde allm#228;hlich nackte Angst. Er glaubte Trautman aufs Wort. Der Walhai war nicht ann#228;hernd so gro#223; wie die NAUTILUS, aber Mike wusste, wie unvorstellbar stark diese Tiere waren. Einem Angriff gleich Dutzender dieser Kolosse w#252;rde nicht einmal die NAUTILUS standhalten.

Seltsamerweise griffen die Tiere jedoch nicht an. Es wurden immer noch mehr und sie kamen auch n#228;her, hielten aber trotzdem einen gewissen Abstand zur NAUTILUS ein. Zwischen ihnen gewahrte er immer mehr der unheimlichen Haifischmenschen.

»W#228;chter«, murmelte er. »Chris nannte sieW#228;chter.«

Singh nickte grimmig. »Ein letzter Gru#223; von Serenas Vater«, sagte er mit zornbebender Stimme. »Die alten Atlanter haben diese Ungeheuer erschaffen, um Lemura zu bewachen. Sie sind erbarmungslos. Schlimmer als Maschinen.«

»Deshalb sind sie immer in unserer N#228;he aufgetaucht, seit wir Argos begegnet sind«, murmelte Mike. »Sie waren hinter ihm her, gar nicht hinter uns.«

»Niemand kann ihnen entkommen«, best#228;tigte Singh. »Sie wurden dazu erschaffen, die Bewohner Lemuras zu bewachen und #252;berall aufzusp#252;ren, ganz egal, wohin sie auch fliehen.«

Auf dem kleinen Bildschirm entstand pl#246;tzlich hektische Bewegung. Die Hai-Armee teilte sich. Der gr#246;#223;te Teil blieb bei der NAUTILUS zur#252;ck, aber Hunderte der Tiere bewegten sich auf das gewaltige Loch in der Unterseekuppel zu, durch das die NAUTILUS herausgekommen war. Eine Sekunde sp#228;ter erkannte Mike auch den Grund daf#252;r: Die beiden Jagd-U-Boote, die ihnen schon im Hafenbecken zu schaffen gemacht hatten, schossen wie gro#223;e silberne Fische aus der Kuppel heraus und nahmen unverz#252;glich Kurs auf die NAUTILUS.

»Diese Narren!«, sagte Singh ver#228;chtlich. »Sie werden sich nur selbst umbringen!«

Als h#228;tten sie nur auf diese Worte gewartet, st#252;rzten sich Dutzende von Haien auf die J#228;ger. Die meisten Tiere verfehlten ihr Ziel, denn die winzigen Tauchboote bewegten sich mit geradezu unglaublicher Schnelligkeit, aber einige trafen eben doch. Die kleineren Haie wurden einfach zur Seite geschleudert, doch dann prallte einer der Walhaie gegen die vordere Maschine. Der J#228;ger wurde zur#252;ckgeschleudert und begann hilflos zu trudeln und damit war sein Schicksal besiegelt. Blitzartig st#252;rzten sich Dutzende von Haien auf das winzige Tauchboot und das Wasser schien f#252;r einen Moment regelrecht zu kochen. Als es vorbei war, sanken mindestens ein Dutzend Haifische auf den Meeresboden, aber von dem J#228;ger war nur noch ein verbeultes, aufgerissenes Wrack #252;brig, aus dem eine Kette silberner Luftblasen aufstieg.

Der zweite J#228;ger #252;berlebte seinen Kameraden nur um Sekunden. Der Steuermann musste die Ausweglosigkeit seiner Situation begriffen haben, denn er versuchte zu wenden und die Kuppelstadt wieder zu erreichen, aber die Haie lie#223;en ihm keine Chance. Die grauen W#228;chter erf#252;llten ihre Aufgabe gnadenlos. Niemand, der in der Unterseekuppel geboren war, durfte sie verlassen, ohne mit dem Leben daf#252;r zu bezahlen.

»Dummk#246;pfe!«, sagte Singh ver#228;chtlich. »Sie h#228;tten wissen m#252;ssen, was passiert. Geschieht ihnen Recht!« Mike nahm diese neuerliche Ungeheuerlichkeit kaum noch zur Kenntnis, aber er nahm sich fest vor, dass sich Astaroth zuerst umSinghk#252;mmern w#252;rde, wenn alles vorbei war.

Falls sie dann noch lebten, hie#223; das.

Die #252;berlebenden Haie kehrten zur#252;ck und schlossen sich der schwimmenden Armee an, die die NAUTILUS umkreiste. »Wieso ... greifen sie uns nicht an?«, murmelte Mike.

»Aus demselben Grund, aus dem sie die NAUTILUS verschont haben, als wir hergekommen sind«, antwortete Trautman. »Sie wurden dazu geschaffen, die Gefangenen in Lemura zu bewachen, aber sie k#246;nnen keinem Menschen ein Leid antun.« Er sah Singh an. Seine Augen leuchteten kurz und triumphierend auf. »Es funktioniert, Singh! Eure Gegenwart hier macht es ihnen unm#246;glich, die NAUTILUS anzugreifen!«

Eure Gegenwart?dachte Mike. Wieso benutzte Trautman diese

sonderbare Formulierung?

Bevor er den Gedanken weiter verfolgen konnte, erscholl ein helles, durchdringendes Scharren. Mike fuhr erschrocken zusammen und wirbelte herum. Das Scharren wiederholte sich und jetzt begriff er auch, woher es kam: Etwas kratzte an der Scheibe hinter der geschlossenen Irisblende.

»Was bedeutet das?«, fl#252;sterte Trautman. Singh zuckte nur wortlos die Achseln und presste die Lippen zusammen. Mike sah auf dem Bildschirm, wie sich die Hai-Armee mehr und mehr der NAUTILUS n#228;herte. Er konnte selbst nicht genau sagen, was, aber an den Bewegungen der Tiere war pl#246;tzlich etwas ungemein Bedrohliches. Dann begriff er, dass sie sich zum Angriff sammelten.

Auch Singh schien zu demselben Schluss gekommen zu sein, denn er streckte die H#228;nde nach den Kontrollinstrumenten der Waffen aus.

»Um Gottes willen!«, keuchte Mike. »Nicht! Ein Schuss und wir sind tot!«

Singh zog die Hand so erschrocken zur#252;ck, als h#228;tte er eine gl#252;hende Herdplatte ber#252;hrt. Das Kratzen an der Scheibe wiederholte sich. Es klang fordernder, befehlender.

»Machen Sie die Blende auf«, sagte Mike. »Trautman! Schnell!«

Trautman sah ihn eine Sekunde lang fassungslos an, aber dann reagierte er und dr#252;ckte einen Knopf auf dem Pult vor sich. Ein helles Summen erklang und die Irisblende vor dem Fenster schob sich auseinander und Mike starrte in einen wahren Albtraum von Gesicht.

Das Wesen hatte den K#246;rperbau eines Menschen, zugleich aber

auch deutlich etwas von einem Fisch. Seine Haut war so grob und z#228;h wie die eines Haies und sein Gesicht war eine Grauen erregende Mischung aus dem eines Haies und etwas, was einmal menschlich gewesen war. Zwischen den Fingern seiner H#228;nde spannten sich d#252;nne, z#228;he Schwimmh#228;ute.

Mike war zutiefst entsetzt, aber der Grund f#252;r dieses Entsetzen war nicht allein das Furcht einfl#246;#223;ende #196;u#223;ere der Kreatur. Noch viel mehr ersch#252;tterte ihn der Gedanke, dass die Vorfahren dieses Gesch#246;pfes einmal Menschen gewesen waren. Argos und die anderen Herrscher von Lemura waren seiner Meinung nach Verbrecher, die etwas wirklich Schreckliches getan hatten – aber der, der diese Gesch#246;pfe erschaffen hatte, musste ein wahres Monster gewesen sein. Einen Moment lang weigerte er sich einfach zu glauben, dass es Serenas Vater gewesen sein sollte.

»Was tut er da?«, fl#252;sterte Singh.

Mike antwortete nicht gleich, sondern raffte all seinen Mut zusammen und trat dichter ans Fenster heran. Der W#228;chter bewegte sich zur Seite, um ihn genauer ansehen zu k#246;nnen. Mike schauderte, als er in seine riesigen, starren Haifischaugen blickte.

»Was tut er?«, fragte Singh noch einmal. Seine Stimme zitterte und schien kurz davor, einfach umzukippen.

»Ich glaube, sie sind sich nicht sicher«, sagte Mike. »Sie haben Recht, Trautman. Sie sp#252;ren unsere Anwesenheit. Aber sie f#252;hlen auch die der Lemurer. Sie wissen nicht, was sie tun sollen.« Er #252;berlegte einen Moment angestrengt, dann winkte er Serena herbei.

»Serena! Singh! Kommt her!«

Serena setzte sich gehorsam in Bewegung, wie er es erwartet hatte, aber Singh z#246;gerte endlose Sekunden, ehe er hinter seinem Pult hervorkam und an Mikes Seite trat. Der Haifischmann bewegte sich unruhig. Sein Blick tastete #252;ber Mikes und Serenas Gesichter, taxierte einen Moment lang Singh und kehrte dann zu Mike zur#252;ck. Er konnte die Unsicherheit des Gesch#246;pfes regelrecht sp#252;ren.

»Es gen#252;gt nicht«, murmelte Trautman. »Wir sind zu wenige!«

Vielleicht stimmte das. Die Kreatur blickte immer wieder von ihm zu Serena, Singh und wieder zur#252;ck, aber ihre Unsicherheit schien mit jedem Blick noch zu wachsen.

»Wir brauchen die anderen«, murmelte er. Vielleicht reichte es, wenn er dem W#228;chter mehrunbeteiligte Menschenzeigte, die es nicht angreifen durfte. »Astaroth!«

Er bekam keine Antwort und wiederholte seinen Ruf in Gedanken und so intensiv er nur konnte.

Astaroth! Wo bleibst du?Diesmal bekam er sofort eine Antwort.Jetzt hetz mich nicht!maulte der Kater.Ich bin fast da!Astaroth! Wir haben keine Zeit f#252;r Scherze! dachteMike konzentriert.Du musst Ben, Chris und Juan

hierher bringen! So schnell wie m#246;glich! Es ist lebenswichtig!Okay, okay, okay,n#246;rgelte Astaroth.Ich bin schon da. Noch diese T#252;r und ...Pl#246;tzlich verstummte die lautlose Stimme des Katers und das mitten im Wort. Mike wartete eine oder

zwei Sekunden vergeblich darauf, dass Astaroth weitersprach, dann rief er in Gedanken ein paar Mal seinen Namen, so intensiv er nur

konnte. Erbekam keine Antwort. Inherrschte nur Stille. »Verdammt!«, murmelte er. »Was ist?«, fragte Singh nerv#246;s. »Astaroth«,antwortete Mike. »Erseinen antwortetGedanken nicht! Irgendetwas stimmt da nicht!« Er #252;berlegte nur eine Sekunde,dann kam er zu einem Entschluss.»Ich muss zu ihm!«

»Bist du verr#252;ckt?«, keuchte Singh. »Du kannst doch nicht weggehen! Sie werden uns angreifen!«

»Das werden sie sowieso«, antwortete Mike. »Ich muss die anderen holen. Halt sie auf, irgendwie!«

Er gab Singh gar keine Gelegenheit zu widersprechen, sondern fuhr herum und rannte aus dem Salon, so schnell er konnte. Irgendetwas war dort unten passiert und er musste herausfinden, was. Er wusste einfach, dass es wichtig war.

Vielleicht lebenswichtig.

Der Weg nach unten wurde zu einem wahren Spie#223;rutenlauf. In der NAUTILUS herrschte eine unglaubliche Enge. Mike hatte alle M#252;he, sich durch den #252;berf#252;llten Gang zu quetschen. M#228;nner, Frauen und Kinder dr#228;ngelten sich buchst#228;blich auf jedem Fu#223;breit Boden. Selbst auf der Treppe nach unten sa#223;en Menschen und stapelten sich Kisten und S#228;cke mit mitgebrachten Waren und hier und da entdeckte er auch einige von Argos’ Kriegern, die ihre Waffen abgegeben hatten, aber zum Gro#223;teil unverletzt waren. Offenbar waren sie klug genug gewesen, den zahlenm#228;#223;ig hoffnungslos #252;berlegenen Angreifern nicht allzu viel Widerstand entgegenzusetzen. Wenn er den L#228;rm bedachte, den sie geh#246;rt hatten, dann hatte der Kampf erstaunlich wenige Opfer gefordert.

Da die NAUTILUS hoffnungslos #252;berf#252;llt war, brauchte er fast zehn Minuten, um das untere Deck und den Eingang der Kammer zu erreichen, in der er Ben und die anderen zur#252;ckgelassen hatte.

Die T#252;r stand weit offen. Zwei der M#228;nner, die er mit an Bord genommen hatte, waren auf den Gang herausgetreten und sahen ihm ausdruckslos entgegen und Mikes Herz begann zu klopfen, w#228;hrend er die letzten Schritte zur#252;cklegte. Seine Fantasie gaukelte ihm die d#252;stersten Schreckensbilder vor, die hinter der T#252;r auf ihn warten mochten.

Der Anblick, der sich ihm bot, war aber vollkommen anders. Ben, Juan und Chris sa#223;en zusammengekauert in einer Ecke und starrten mit leerem Blick vor sich hin. Astaroth sa#223;

zwischen ihnen und putzte Selbstverst#228;ndlichste von der Welt.sich,alsw#228;reesdas»Astaroth?«, fragte Mike. »Warum antwortest Astaroth antwortete auch jetzteinmalauf seine Stimme, sonderndu nicht?«nicht, fuhrer fort,reagierte sichinnicht aller

Seelenruhe auf Katzenart zu putzen. Mike sah ihn noch eine Sekunde lang verwirrt an, dann war er mit einem Schritt bei ihm, lie#223; sich in die Hocke sinken und drehte den Kater fast gewaltsam herum.

Astaroth fauchte, bleckte warnend die Z#228;hne und schlug mit der Pfote nach ihm. Mike zog die Hand erschrocken zur#252;ck, aber nicht schnell genug – auf seinem Handr#252;cken blieb ein langer, blutiger Kratzer zur#252;ck.

»Bist du verr#252;ckt geworden?«, #228;chzte Mike. »Astaroth, was ist denn in dich gefahren?« Astaroth fauchte noch einmal, entfernte sich r#252;ckw#228;rts gehend noch ein St#252;ck weit von ihm und fuhr dann herum, um schnell wie der Blitz aus dem Raum zu fliehen. Mike sah ihm erschrocken nach.

Als er sich wieder aufrichtete, raschelte es unter seinen F#252;#223;en. #220;berrascht sah er an sich herab und bemerkte, dass er auf eines der Paketst#252;cke getreten war – den Sack, den er selbst hereingebracht hatte. Eigentlich ohne selbst genau zu wissen, warum, lie#223; er sich noch einmal in die Hocke sinken und #246;ffnete den Sack.

Er enthielt nichts au#223;er eingetrockneten, braunen und gr#252;nen Bl#228;ttern. Bl#228;tter einer ganz bestimmten Art, die Mike schon einmal gesehen hatte ...

Und dann wusste er auch, wo.

»Der Kristallwald«, murmelte er. Bl#228;tter wie diese waren auf den B#228;umen in dem kleinen Hain gewachsen, in dem sie auf Sarn gewartet hatten. Demselben Wald, in dem Astaroth das erste Mal so sonderbar reagiert hatte, ohne sich hinterher auch nur daran erinnern zu k#246;nnen.

Mike dachte einen Moment angestrengt nach, dann winkte er einen der M#228;nner zu sich herein. »Du da!«, sagte er. »Der Kristallwald! Was wei#223;t du dar#252;ber?«

»Der Kristallwald?« Der Mann sah ihn fragend an. »Was soll damit sein? Wieso fragst du?«

»Ich will nur wissen, warum er diesen Namen hat«, sagte Mike. »Ich habe dort keine Kristalle gesehen.«

»Dar#252;ber wei#223; ich nichts«, antwortete der Mann. »Ich war niemals dort.«

In einer Welt, die so klein wie Lemura ist, ist dies im Grunde nicht vorstellbar, dachte Mike. Aber er verzichtete darauf, dem Mann eine entsprechende Frage zu stellen. Er sp#252;rte ganz deutlich, dass er diese Frage nicht beantwortenwollte.Aber warum?

»Es sind die Bl#228;tter«, sagte Juan pl#246;tzlich. »Sie enthalten die Kristalle. Sie wachsen darin.«

Mike starrte Juan einen Moment lang verwirrt an, dann betrachtete er die vertrockneten Bl#228;tter noch einmal genauer. Als er sie mit spitzen Fingern auseinander zupfte, rieselten unz#228;hlige winzige, schimmernde Kristallsplitter zu Boden, keiner davon gr#246;#223;er als ein Stecknadelkopf.

»Woher wei#223;t du das?«, fragte er verbl#252;fft. »Wir mussten die Bl#228;tter ernten«, sagte Juan, »bevor wir in die Eisengruben kamen. Es ist gef#228;hrlich.«

»Gef#228;hrlich?«

»Man bekommt schlechte Tr#228;ume, wenn man zu lange in ihrer N#228;he ist«, sagte Juan. »Manche sind gestorben.«

Mike lie#223; das Blatt behutsam wieder zu Boden sinken, rieb sich sorgf#228;ltig die Kristallsplitter von den H#228;nden und stand auf. Auf eine entsprechende Geste hin erhoben sich auch Ben und die anderen und verlie#223;en die Kammer. Mike folgte ihnen, blieb dann aber noch einmal stehen und sah auf den prall gef#252;llten Sack hinab. Kristalle, die schlechte Tr#228;ume bringen ...

»Was habt ihr damit gemacht?«, fragte er. »Wof#252;r sind diese Kristalle gut?«

»Ich wei#223; es nicht, Herr«, antwortete Juan. »Die Krieger haben sie abgeholt und in den Palast gebracht.«

Pl#246;tzlich hatte Mike das Gef#252;hl, der L#246;sung aller Fragen so nahe zu sein wie nie zuvor. Irgendetwas stimmte nicht, nicht nur mit Astaroth und seinen Freunden, sondern mit dieser ganzenSituation.Und er wusste einfach, dass er alle Teile der Antwort bereits besa#223; und nur nicht in der Lage war, sie in die richtige Reihenfolge zu sortieren.

Doch er kam auch diesmal nicht dazu, den Gedanken zu Ende zu verfolgen. In dem Gang hinter ihm entstand Aufregung, dann gellte ein Chor entsetzter Schreie durch das Schiff. Verwirrt und vollkommen ratlos drehte sich Mike herum –

Und erstarrte vor Entsetzen.

Nur ein Dutzend Schritte entfernt hatte sich die T#252;r der Tauchkammer ge#246;ffnet und eine riesenhafte, graue Gestalt trat heraus.

Es war kein Mensch. #220;ber den breiten, muskul#246;sen Schultern thronte ein gewaltiger kahler Sch#228;del, ohne dass es einen Hals dazwischen gab. Die zu weit an den Seiten stehenden starren Augen blickten kalt und waren von einem Intellekt erf#252;llt, der vollkommen anders war als der eines Menschen. Das Gesch#246;pf hatte keine Nase und sein Mund war der eines Haifisches, breit und geschlitzt und starrend vor Z#228;hnen.

Das Auftauchen des Monsters l#246;ste eine Panik aus. Die Menschen flohen entsetzt, wobei sie sich r#252;cksichtslos gegenseitig niederrempelten und die aus dem Weg stie#223;en, die das Pech hatten, nicht schnell genug laufen zu k#246;nnen. Nach wenigen Augenblicken waren Mike, die drei anderen Jungen und Astaroth mit dem Haifischmann allein. Das Wesen sah den Fliehenden einen Moment lang aus seinen unheimlichen Fischaugen nach, dann drehte es sich langsam herum und machte einen Schritt in Mikes Richtung. Hinter ihm trat ein weiterer grauer Riese aus der Schleusenkammer und Mike glaubte zu sehen, dass sich hinter diesem noch mehr Haifischm#228;nner in der Tauchkammer aufhielten. Trautman musste entweder vergessen haben, die #228;u#223;ere Schleusenkammer zu schlie#223;en – oder die Gesch#246;pfe waren in der Lage, den komplizierten Mechanismus zu bedienen.

Astaroth trat mit lautlosen Schritten neben ihn und sah aus einem gelb leuchtenden Auge zu dem Haifischwesen auf.

Ist wieder alles in Ordnung mit dir?fragte Mike in Gedanken.

Wieder?fragte Astaroth.Was soll das bedeuten?

Astaroth erinnerte sich offensichtlich nicht mehr daran, wieder einen kurzzeitigen Ged#228;chtnisverlust erlitten zu haben, und Mike sprach ihn auch nicht darauf an. Jetzt war wirklich nicht der richtige Moment daf#252;r.

Das Haifischwesen kam n#228;her. Sein Blick glitt taxierend #252;ber Mikes Gesicht, l#246;ste sich von ihm und glitt dann #252;ber die Gesichter der drei anderen.

Kannst du seine Gedanken lesen?fragte Mike.

Nein,antwortete Astaroth.Aber ich ...sp#252;reirgendwie, was in ihm vorgeht. Du brauchst keine Angst vorihm zu haben. Er ist nicht feindselig. Nur verwirrt.

Das Gesch#246;pf trat einen weiteren Schritt auf ihn zu, blieb wieder stehen und drehte sich dann mit einem Ruck um. Im allerersten Moment hoffte Mike, dass es zur#252;ck in die Tauchkammer gehen w#252;rde, um das Schiff auf demselben Weg wieder zu verlassen, auf dem es gekommen war. Stattdessen jedoch #246;ffnete sich die T#252;r noch mehr und zwei weitere W#228;chter traten hinaus.

»Sie ... sie wollen in den Salon!«, begriff Mike. »Nichts wie hinterher! Wenn sie auf Sarn und seine Leute treffen, geschieht eine Katastrophe!«

Astaroth raste auf der Stelle los, w#228;hrend Mike versuchte, Ben, Chris und Juan gleichzeitig vor sich herzuscheuchen. Obwohl sie mehr stolperten als gingen, holten sie die drei W#228;chter noch vor der Treppe ein und dr#228;ngelten sich an ihnen vorbei. Mikes Herz klopfte bis zum Hals, als er den unheimlichen Gesch#246;pfen dabei ganz nahe kam, aber die drei anderen zeigten nicht einmal eine Spur von Furcht.

Sie rasten die Wendeltreppe hinauf, legten einen kurzen Endspurt ein und stolperten hintereinander in den Salon. Trautman stand noch immer hinter den Kontrollinstrumenten, w#228;hrend Singh und Sarn nebeneinander vor dem Fenster standen und gebannt hinaussahen. Serena sa#223; auf dem Sofa auf der anderen Seite des gro#223;en Raumes und Astaroth war auf ihren Scho#223; gesprungen, hopste aufgeregt herum und miaute in hohen, fast hysterischen T#246;nen. Mike hatte eine vage Vorstellung davon, was der Kater versuchte, aber er war ziemlich sicher, dass seine Zeit nicht ausreichen w#252;rde.

»Es werden immer mehr«, murmelte Singh. »Was haben sie vor?«

Mike sah an ihm und Sarn vorbei aus dem Fenster. Die Zahl der Haifische war ins Unermessliche gestiegen, sodass man den Ozean dahinter kaum noch erkennen konnte. Sie bildeten eine regelrechte Mauer vor der NAUTILUS.

»Vielleicht sollten wir weiterfahren«, murmelte Sarn. »Nur ganz vorsichtig.«

»Nein!«, sagte Mike rasch. Sarn, Trautman und Singh sahen ihn fragend an und Mike f#252;gte mit einer nerv#246;sen Geste zum Fenster hinzu: »Wenn wir das tun, greifen sie an. Sie sind unschl#252;ssig. Sie wissen nicht, was sie tun sollen.«

»Woher willst du das wissen?«, fragte Sarn. »Niemand kann sagen, was –«

Er verstummte mit einem scharfen, erschrockenen Laut und Singhs Augen weiteten sich entsetzt, als sein Blick auf die Gestalt hinter Mike fiel. Mike musste sich nicht herumdrehen, um zu wissen, was er und der Lemurer sahen.

»Nicht bewegen!«, keuchte er. »Sarn, mach keinen Fehler! Sie tun uns nichts!«

Die drei Haifischwesen bewegten sich langsam an ihm vorbei und weiter in den Raum hinein. Sarn zog abermals scharf die Luft ein und konnte einfach nicht mehr anders als einen Schritt vor den grauen Kolossen zur#252;ckzuweichen, und auch Singh versteifte sich sichtbar. Anders als Ben, Juan und Chris hatte er eindeutig Angst vor den W#228;chtern.

Es war, als bliebe die Zeit stehen. Zwei der Haifischm#228;nner nahmen links und rechts der T#252;r Aufstellung, w#228;hrend der dritte mit langsamen Schritten auf Singh und die beiden anderen zuging. Sarn wich zitternd vor Furcht weiter zur#252;ck, bis er mit dem R#252;cken gegen das Fenster stie#223;. Singhs Blick flackerte. Auch er konnte sich kaum noch beherrschen und selbst Trautman war so weit hinter sein Kommandopult zur#252;ckgewichen, wie er nur konnte. Mike hatte selten so gro#223;e Angst auf dem Gesicht eines Menschen gesehen wie jetzt auf dem Trautmans. Ganz verst#228;ndlich waren ihm seine und Singhs Reaktion allerdings nicht. Schlie#223;lich hatten die beiden mit eigenen Augen gesehen, dass die Haifischm#228;nner ihnen nichts zu Leide taten, sondern ihnen ganz im Gegenteil halfen, wenn sie in Gefahr waren.

»Sie werden uns nichts tun!«, sagte Mike noch einmal. Selbst in seinen eigenen Ohren klangen die Worte nicht #252;berzeugend, sondern eher beschw#246;rend. Was, wenn er sich irrte? Als sie die Armee der grauen W#228;chter das erste Mal passiert hatten, da waren an Bord der NAUTILUS drei Lemurer und sieben Menschen gewesen. Damals hatten die k#252;nstlich erschaffenen Gesch#246;pfe darauf verzichtet, das Schiff anzugreifen. Jetzt befanden sich sieben Menschen und mehr alszweihundertLemurer an Bord des Schiffes. Vielleicht waren es einfach zu viele. Trautmans Fluchtplan basierte auf der Annahme, dass die Anwesenheit unbeteiligter Menschen an Bord der NAUTILUS die W#228;chter von einem Angriff abhalten w#252;rde. Wenn er sich geirrt hatte, dann w#252;rden sie diesen Irrtum alle mit dem Leben bezahlen.

Astaroth stie#223; ein hohes, fast kl#228;gliches Wimmern aus – und dann tat er etwas vollkommen Verr#252;cktes: Er sprang mit einem einzigen Satz von Serenas Scho#223; hinunter und raste auf den Haifischmenschen zu, als wollte er ihn attackieren. Im allerletzten Moment wich er zur Seite, wirbelte herum und rannte zu Serena zur#252;ck. Der W#228;chter starrte ihm aus seinen unheimlichen Fischaugen nach, drehte sich mit einer schwerf#228;llig wirkenden Bewegung ganz herum und tapste auf Serena zu.

»Was ... was tut er?«, stammelte Singh.»Mike!«

Mike reagierte ohne zu denken. Seine Logik sagte ihm zwar, dass das Gesch#246;pf keine Gefahr f#252;r Serena darstellte, aber was er sah, schien das genaue Gegenteil zu bedeuten: Serena sa#223; noch immer mit leeren Blicken da, Astaroth geb#228;rdete sich wie wild, machte einen Buckel, spuckte und fauchte und das mehr als zwei Meter gro#223;e Ungeheuer bewegte sich unaufhaltsam auf sie zu; eine Kreatur, deren blo#223;er Anblickuralte, angeborene #196;ngste in ihm wachrief, gegen die er einfach hilflos war. Mit einem gellenden Schrei st#252;rzte er sich auf den Haifischmann.

Der W#228;chter machte eine fast nachl#228;ssige Bewegung mit der linken, krallenbewehrten Hand und Mike wurde hilflos durch den Raum geschleudert und prallte so hart gegen die Wand, dass er f#252;r einen Moment nur noch bunte Sterne sah.

Als sich sein Blick wieder kl#228;rte, hatte der W#228;chter Serena erreicht und beugte sich #252;ber sie. Mikes Herz stockte vor Entsetzen, als er gewahrte, wie das Gesch#246;pf die H#228;nde ausstreckte. Seine Pranken waren so gewaltig, dass Serenas Kopf vollkommen darin zu verschwinden schien. Mike sah, wie Serena sichaufb#228;umte, und der Anblick lie#223; ihn Schmerz, #220;belkeit und seine eigene Furcht vergessen. Blitzschnell sprang er auf die F#252;#223;e, rannte auf den W#228;chter zu und schrie Singhs Namen.»Singh! Er bringt sie um!«

Singh r#252;hrte sich nicht und Mike stie#223; sich mit aller Kraft ab und sprang den Haifischmann an. Obwohl der Koloss mindestens dreimal so viel wog wie er und fast anderthalb Mal so gro#223; war, brachte sein ungest#252;mer Anprall das Gesch#246;pf aus dem Gleichgewicht. Es taumelte, lie#223; von Serena ab und drehte sich mit einer Bewegung herum, die schwerf#228;llig und tr#228;ge wirkte, aber so kraftvoll war, dass Mike zum zweiten Mal quer durch den Salon geschleudert wurde.

Als er sich diesmal wieder hochrappelte, stand der W#228;chter #252;ber ihm. Seine kalten Fischaugen starrten auf ihn herab und Mike hatte das Gef#252;hl, als blickten diese kalten Augen direkt in seine Seele.

»Singh!«, keuchte Mike.

Singh machte tats#228;chlich einen halben Schritt in seine Richtung, blieb dann aber wieder stehen. Seine H#228;nde zitterten und in seinen Augen flackerte die nackte Panik.

Der W#228;chter starrte Mike noch eine weitere Sekunde lang an, dann drehte er sich schwerf#228;llig herum und tat ein paar Schritte zur Seite. Mike stemmte sich m#252;hsam auf H#228;nde und Knie hoch, biss die Z#228;hne zusammen und versuchte aufzustehen. Der Schmerz trieb ihm die Tr#228;nen in die Augen, aber wenigstens schien sein Bein nicht gebrochen zu sein. St#246;hnend humpelte er auf Serena zu und beugte sich #252;ber sie.

»Serena! Was ist mit dir?«, fragte Mike. »Was hat er dir angetan?!«

Serena hob langsam den Kopf. Ein Ausdruck vollkommener Hilflosigkeit lag auf ihrem Gesicht. Ihr Blick flackerte. Umst#228;ndlich setzte sie sich ganz auf, lie#223; ihren Blick einmal durch den Salon schweifen und sah dann wieder Mike an.

»Mike?«, murmelte sie. »Was ... ist passiert?«

Es dauerte noch eine geschlagene Sekunde, bis Mike #252;berhaupt begriff, was diese Frage bedeutete. Serena hatte seinen Namen ausgesprochen. Sieerinnertesich!

Mike wandte ungl#228;ubig den Blick und sah, wie sich der W#228;chter nun auf Juan zubewegte und die H#228;nde nach ihm ausstreckte, um ihn auf dieselbe Weise zu ber#252;hren wie Serena. Juan wich weder vor ihm zur#252;ck noch zeigte er das geringste Anzeichen von Furcht. Er wusste, dass ihm das Gesch#246;pf nichts zu Leide tun w#252;rde.

Ganz im Gegenteil ...

Mike wandte sich wieder zu Serena um. Sie wirkte noch immer verst#246;rt und bis ins Mark erschrocken. Aber die furchtbare Leere war aus ihren Augen verschwunden. Der W#228;chter hatte den Bann gebrochen, den Argos’ Magie #252;ber sie geworfen hatte. Ihre Erinnerungen und ihr freier Wille waren wieder da!

Mike fuhr herum. Juan war zu Boden gesunken und blickte ebenso verwirrt in die Runde. Auch seine Erinnerung war wieder da!

Nacheinander ging der W#228;chter nun auch zu Chris und Ben und ber#252;hrte sie auf dieselbe Weise. Dann wandte er sich um und sah Singh an. Der Inder keuchte vor Schrecken und prallte zur#252;ck. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck nackter Panik.

»Keine Angst!«, sagte Mike. »Er tut dir nichts, Singh!«

»Das ist nicht Singh«, sagte Serena leise.

Mike erstarrte. Singh wich weiter vor dem W#228;chter zur#252;ck, bis er gegen das Pult stie#223;, hinter dem Trautman stand. Der W#228;chter machte noch einen Schritt in seine Richtung und blieb stehen. Seine riesigen H#228;nde #246;ffneten und schlossen sich, als wollte er etwas packen und zerquetschen.

»Was ... hast du gesagt?«, murmelte Mike.

»Das ist nicht Singh«, sagte Serena noch einmal. »Singh war mit mir zusammen in Argos’ Kerker. Die ganze Zeit. Ebenso wie Trautman.«

Mike war wie vor den Kopf geschlagen. Ungl#228;ubig sah er Singh an, dann Trautman und dann wieder Singh.

Und dann geschah etwas durch und durch Unheimliches: Zuerst Singhs, dann Trautmans und schlie#223;lich auch Sarns Gesichter begannen zu verschwimmen. Ihre Z#252;ge l#246;sten sich auf wie Spiegelungen auf klarem Wasser, in das jemand einen Stein geworfen hatte. Als sie sich wieder neu bildeten, hatten sie sich total ver#228;ndert. Vor Mike standen nun nicht mehr Singh, Trautman und der abtr#252;nnige Krieger, sondern Argos, Vargan und Tarras, die drei Lemurer, die die NAUTILUS seinerzeit gekapert und hierher gebracht hatten.

Waaaaas?!!kreischte Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Aber das ist doch unm#246;glich! Wie konnte er –

»Dich so t#228;uschen?«, fiel ihm Mike laut ins Wort. »Mach dir keine Vorw#252;rfe, Astaroth. Er hat uns alle get#228;uscht, nicht nur dich.«

»Das war leicht«, sagte Argos abf#228;llig. »Ihr seid dumm. Ihr seht nur das, was ihr zu sehen erwartet.«

Und pl#246;tzlich wurde Mike alles klar; so klar, dass er sich fragte, wie um alles in der Welt er auch nur eine Sekunde darauf hatte hereinfallen k#246;nnen. Singhs sonderbares Verhalten, das so gar nicht zu dem Singh passte, den er gekannt hatte. Die #252;berraschende Leichtigkeit, mit der es ihnen gelungen war, sich quer durch die Stadt und an Bord der NAUTILUS zu schleichen. Die M#252;helosigkeit, mit der es Sarns angeblichen Rebellen gelungen war, die Krieger an Bord des Schiffes zu #252;berw#228;ltigen. Und noch mehr ...

»Wozu das alles, Argos?«, fragte er leise mit bebender Stimme. »Die ... die M#228;nner im Bergwerk. Die Krieger in der Stadt und ... und die Leute an Bord der Jagdschiffe! Du ... du hast deine eigenen Leute umgebracht! Warum?«

»Sie waren nichts wert«, sagte Argos abf#228;llig. »Werkzeuge, die ihren Dienst getan haben. Ich musste es doch glaubhaft gestalten.«

»Das ist dir gelungen«, sagte Mike bitter. »Und ich bin darauf hereingefallen, ich verdammter Narr!«

»Mach dir keine Vorw#252;rfe«, sagte Serena. »Er kann jeden t#228;uschen. Er ist der Meister der L#252;ge.«

»Aber warum?«, fragte Mike. »Wozu diese Farce, Argos?«

»Weil Lemura untergeht«, antwortete Argos. »Und sie uns niemals gehen lassen w#252;rden.«

»Aber ihr wart doch schon drau#223;en!«, begehrte Mike auf. »Ihr wart frei! Warum musstet ihr zur#252;ckkommen?!«

»Um ihre Freunde zu holen.« Serena trat mit einem Schritt neben ihn und deutete anklagend auf Argos. »Und weil es ihnen nicht reicht, einfach nur frei zu sein! Der Quell ihrer magischen Macht liegt hier unten in Lemura. Ohne sie w#228;ren sie ganz

normale Menschen und das reicht ihnen nicht.«

»Die Bl#228;tter aus dem Kristallwald«, vermutete Mike. Deshalb also hatte Astaroth jedes Mal vollst#228;ndig die Kontrolle verloren, wenn er in die N#228;he der sonderbaren Gew#228;chse gekommen war.

»Sie verst#228;rken unsere Kraft«, best#228;tigte Argos h#228;misch. »Die Lader#228;ume des Schiffes sind gef#252;llt damit. Mach dir also keine Sorgen – der Vorrat wird ausreichen, bis wir gen#252;gend neue B#228;ume in eurer Welt angepflanzt haben. Und danach werden wir die Macht in eurer l#228;cherlichen Welt #252;bernehmen.«

»Niemals«, sagte Serena. »Das werden sie nie zulassen!«

Sie deutete auf die drei grauen Kolosse an der T#252;r, aber Argos lachte nur. Wie hingezaubert erschien pl#246;tzlich in seinen und in den H#228;nden der beiden anderen Lemurer die unheimlichen Waffen, mit denen Sarn vorhin einen der Krieger niedergeschossen hatte.

»Glaubst du wirklich, wir h#228;ttenAngstvor ihnen?«, fragte Argos h#246;hnisch.

»Schie#223; und die anderen werden uns alle t#246;ten«, sagte Serena. »Sie k#246;nnen die NAUTILUS vernichten.«

»Nicht, solange du an Bord bist, Prinzesschen«, l#228;chelte Argos.

Der Haifischmann trat einen Schritt auf ihn zu. Argos hob seine Waffe drohend h#246;her, aber das Gesch#246;pf zeigte sich nicht beeindruckt davon, sondern ging langsam weiter auf ihn zu. Argos ergriff die Waffe mit beiden H#228;nden und zielte sorgf#228;ltig und Serena sagte hastig: »Bleib stehen!«

Der W#228;chter erstarrte mitten im Schritt und Argos machte ein verbl#252;fftes Gesicht. »Sie ... sie gehorchen dir?«, wunderte er sich.

»Nat#252;rlich«, antwortete Serena. »Mein Vater hat sie erschaffen. Glaubst du, sie w#252;rden mir etwas tun?« Argos #252;berlegte einen Moment lang angestrengt, doch dann breitete sich ein h#228;ssliches Grinsen auf seinem Gesicht aus. »Na dann besteht ja wohl auch keine Gefahr, dass die Bande da drau#223;en uns angreift, wie?«

»Aber sie werden euch auch nicht gehen lassen«, sagte Mike. Er deutete zum Fenster. Die Armee der Riesenhaie war noch weiter angewachsen. Nicht einmal die NAUTILUS w#252;rden einem Angriff der grauen Kolosse l#228;nger als eine Sekunde standhalten.

»Da haben wir ein Problem, wie?« Argos grinste unersch#252;tterlich weiter, drehte sich halb herum und zielte pl#246;tzlich auf Serena. »Es sieht so aus, als m#252;sste ich dich bedrohen. Oder deine Freunde.«

»Schie#223; und wir sterben alle«, antwortete Serena. So wie sie die Worte aussprach, klangen sie bitter ernst. Argos sah sie lange und durchdringend an und dabei erlosch das #252;berhebliche Grinsen auf seinen Z#252;gen. Sein Blick flackerte unstet und die Waffe in seiner Hand begann sacht zu zittern, deutete aber weiter auf Serena. Auch er schien zu begreifen, dass Serena nicht bluffte.

»Gib auf, Argos«, sagte Mike. »Sie werden uns niemals gehen lassen.«

»Aber sie greifen auch nicht an«, sagte Tarras. »Erschie#223; einen der Burschen und wir werden sehen, was geschieht.« Argos schwieg, aber Mike konnte regelrecht sehen, wie es hinter seiner Stirn arbeitete. »Gib auf«, sagte Mike noch einmal. »Und wenn du uns alle t#246;test – es wird dich nicht retten.« »Du bluffst«, sagte Argos. Aber seine Stimme klang schon nicht mehr ganz so sicher wie bisher. »Du

w#252;rdest dein Leben und das deiner Freunde wegwerfen, nur um uns hier festzuhalten? Ich glaube dir

nicht.« Er schwenkte seine Waffe herum und zielte auf Chris, und Serena tauschte einen blitzschnellen Blick mit dem W#228;chter. In derselben Sekunde schloss sich der Belagerungsring aus Riesenhaien dichter um die NAUTILUS.

Argos senkte seine Waffe wieder.

»Es ist vorbei, Argos«, sagte Serena. »Ich habe ihnen befohlen, euch hier nicht wegzulassen. Ganz egal, was passiert.« »Und was hast du jetzt vor?«, fragte Argos nerv#246;s. »Sollen wir hier bleiben, bis uns der Sauerstoff und

die Lebensmittel ausgehen?«

»Wenn es sein muss, ja«, antwortete Mike hart. Er tauschte einen fragenden Blick mit Ben und den anderen. Alle drei wirkten nerv#246;s und voller Furcht, aber auch auf dieselbe Weise entschlossen wie er. »Wollt ihr sterben, ihr Narren?«, fragte Argos. »Nein«, antwortete Mike. »Aber wir werden nicht zulassen, dass ihr in unsere Welt gelangt. Wir haben

gesehen, was ihr aus Lemura gemacht habt. Eher opfern wir unser Leben, ehe wir zulassen, dass du und

deineFreunde#252;ber unsere Welt herfallen!« Er war selbst nicht einmal sicher, ob er wirklich den Mut haben w#252;rde, seine Worte in die Tat umzusetzen. Oder ob

Serena so weit gehen w#252;rde, sich und sie alle zu opfern.Du kannst dich darauf verlassen, dass sie es tut,erklang Astaroths Stimme in seinen Gedanken.Sie hat keine Wahl und das wei#223; sie. Eure Welt h#228;tte keine Chance gegen Argos und seine Magie. All eure Waffen und Technik w#252;rden euch nichts nutzen!

»Ihr seid ja wahnsinnig«, murmelte Argos. »Dann befinden wir uns ja in guter Gesellschaft«, sagte Ben.

Argos funkelte ihn an, sagte aber nichts und senkte nach einem weiteren Moment sogar seine Waffe, wenn auch nicht ganz. »Und wo sollen wir hin?«, fragte er. »Seid doch nicht dumm! Wir k#246;nnen nicht zur#252;ck! Lemura wird untergehen!«

»Ihr bleibt hier«, sagte Serena noch einmal. Wieder sah sie den W#228;chter an und nur einen Moment sp#228;ter begann sich die Armee der Riesenhaie drau#223;en zu bewegen; langsam, aber auch unaufhaltsam.

»Was tust du?«, keuchte Argos.

»Sie werden angreifen«, sagte Serena. »Ihr k#246;nnt die NAUTILUS wenden und nach Lemura zur#252;ckfahren oder wir sterben alle.«

»Dann sterben wir eben«, sagte Argos hart. »Wohin sollen wir gehen? Ihr habt die NAUTILUS. Ihr k#246;nnt eure Freunde nehmen und nach Hause fahren, aber f#252;r uns gibt es kein Zuhause mehr. Lemura stirbt. Vielleicht schon in ein paar Tagen. Warum aber sollten wir euch gehen lassen?«

Mike warf einen Blick aus dem Fenster. Die Armee der Riesenhaie kam unerbittlich n#228;her, wie eine graue, geschuppte Wand aus Fleisch und Knochen, die die NAUTILUS

einfach zermalmen w#252;rde. Dahinter, fast nur noch schemenhaft,

war die gigantische Unterwasserkuppel zu erkennen. Er konnte sich t#228;uschen, aber es kam ihm so vor, als h#228;tte sich ihre Form ver#228;ndert, w#228;re nicht mehr so eben und perfekt. Hier und da war das zehntausend Jahre alte Material geborsten und ein unaufh#246;rlicher Strom von Luftblasen sprudelte aus den Rissen und begann seinen langen Weg zur Meeresoberfl#228;che. Argos hatte Recht: Lemura starb vor ihren Augen.

»Niemand kann die Menschen dort noch retten«, sagte Argos. »Es hilft ihnen nichts, wenn wir zur#252;ckkehren und mit ihnen sterben.«

Mikes Gedanken #252;berschlugen sich. Da war irgendetwas. Etwas von gro#223;er Wichtigkeit, das er vergessen hatte und das ...

Dann erinnerte er sich.

»Wie lange k#246;nntet ihr die Kuppel noch aufrechterhalten?«, fragte er. »Du und deine Freunde – wenn ihr all eure magische Kraft zusammennehmt. Wie lange w#252;rde Lemura noch existieren?«

»Einen Tag«, antwortete Argos ver#228;chtlich. »Vielleicht zwei. Aber gib dir keine M#252;he. Wenn du unbedingt zusammen mit uns sterben willst, dann hier und jetzt.«

»Niemand muss sterben«, antwortete Mike. »Es gibt noch einen Ausweg. H#246;rt zu!«

Der Stein schlug unmittelbar neben Mike auf den Boden und zerplatzte in mehrere Teile. Er war nicht besonders gro#223;, aber Mike fuhr trotzdem erschrocken zusammen und warf einen besorgten Blick zur H#246;hlendecke hinauf. W#228;hrend der letzten vierundzwanzig Stunden hatte der Boden fast ununterbrochen gezittert und der Steinregen hatte einfach kein Ende nehmen wollen. Und er w#252;rde auch nicht mehr aufh#246;ren. Argos und die anderen Magier hatten all ihre Kr#228;fte vereint, um die Unterseekuppel noch einmal zu stabilisieren, aber nicht einmal sie vermochten Wunder zu bewirken. Trautman hatte prophezeit, dass die Kuppel dem Wasserdruck vielleicht noch einen halben Tag widerstehen konnte, und Mike hielt diese Sch#228;tzung mittlerweile f#252;r eher zu optimistisch. Mike lie#223; seinen Blick noch einmal #252;ber die Decke gleiten, um sich davon zu #252;berzeugen, dass sich nicht direkt #252;ber ihm unversehens ein Felsbrocken l#246;sen w#252;rde, der ihn im letzten Moment noch erschlug, dann ging er ein paar Schritte weit, bis er das Ufer des kleinen Sees erreichte, an dem Ben auf ihn wartete.

»Bist du so weit?«, fragte er. »Wir m#252;ssen los. Ich habe keine Lust, im letzten Moment noch einen Stein auf den Kopf zu bekommen.«

Ganz so dramatisch war die Situation noch nicht. Argos’ M#228;nner hatten sowohl den Gang, der hier herunterf#252;hrte, als auch die H#246;hlendecke mit schweren Balken abgest#252;tzt, um der Gefahr eines pl#246;tzlichen Einsturzes vorzubeugen. Aber sie w#252;rden eine gute Stunde brauchen, um die NAUTILUS zu erreichen – und sie hatten unterwegs noch etwas vor.

Ben reagierte erst nach wenigen Augenblicken auf Mikes Worte. Er nickte, drehte sich langsam herum und warf dann noch einmal einen Blick auf den See, in den er und die anderen so oft hinabgetaucht waren, um unter Lebensgefahr die

Erzknollen von seinem Grund zu holen.

Auch jetzt war das t#252;rkisfarbene Wasser nicht still. Ein fingerdickes, geflochtenes Tau war um einen eisernen Pfahl am Seeufer geschlungen und f#252;hrte straff gespannt ins Wasser hinab. Eine nicht enden wollende Kette von M#228;nnern, Frauen und Kindern tastete sich an diesem Seil entlang und verschwand ohne zu z#246;gern im Wasser. Auf den Gesichtern der Menschen war keine Spur von Furcht oder auch nur Unsicherheit zu erkennen. Die allermeisten von ihnen wussten nicht wirklich, wohin sie gingen oder was sie erwartete. Sie standen noch immer unter Argos’ geistigem Einfluss und im Moment war das vielleicht gut so. Wahrscheinlich, dachte Mike, ist es die einzige M#246;glichkeit, mehr als zwanzigtausend Menschen innerhalb von weniger als zwei Tagen zu evakuieren. H#228;tten all diese Leute gewusst, dass sie ihr gesamtes Hab und Gut zur#252;cklassen mussten und die Welt, in der sie geboren und aufgewachsen waren, nie mehr wieder sehen w#252;rden, w#228;re es wahrscheinlich zu einer Panik gekommen, die Hunderte von Opfern forderte.

In dem Wasser vor ihnen bewegte sich ein Schatten und dann tauchte Astaroth aus der Tiefe des Sees auf, sprang mit einem Satz an Land und sch#252;ttelte sich das Wasser aus dem Fell.

»Nett, dass du auch schon kommst«, sagte Mike sp#246;ttisch. »Wir wollten gerade ohne dich aufbrechen.«

Reizend, dass ihr gewartet habt,antwortete Astaroth auf seine lautlose Art.Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich die ganze Arbeit f#252;r euch mache.

Das entsprach nicht unbedingt der Wahrheit, aber Mike war es seit Jahren gewohnt, dass Astaroth zumhemmungslosen #220;bertreiben neigte. »Ist auf der anderen Seite alles in Ordnung?«, fragte er.

Sie sind alle ziemlich durcheinander,antwortete Astaroth.Argos’ Magie verliert dort schnell ihre Wirkung. Ich m#246;chte nicht in seiner Haut stecken, wenn sie nach und nach wirklich zu sich kommen.

Wie auf sein Stichwort erschien Argos hinter ihnen. Der zuk#252;nftige Ex-K#246;nig der Lemurer musterte Mike, Ben und den Kater finster, verbiss sich aber jede Bemerkung und sagte nur: »Es wird Zeit f#252;r euch. Wir werden nicht mehr lange in der Lage sein, die Kuppel zu stabilisieren.«

Er hat es ziemlich eilig, uns loszuwerden, wie?sp#246;ttelte Astaroth.K#246;nnte es vielleicht sein, dass er nochetwas vorhat, von dem wir nichts wissen sollten?

Damit hat er nur zu Recht, dachte Mike. Aber er hatte zugleich alle M#252;he, ein schadenfrohes Grinsen zu unterdr#252;cken. »Kommt ihr gut voran?«, fragte er, ohne auf Argos’ Worte einzugehen.

»Es sind fast alle dr#252;ben«, antwortete Argos finster. »Ich hoffe, die Zeit reicht noch, um genug Werkzeuge und Waffen in die H#246;hle zu schaffen.«

»Ihr werdet keine Waffen brauchen«, antwortete Mike. »Das Verbotene Land ist gro#223; genug f#252;r euch alle. Viel gr#246;#223;er als Lemura. Und es gibt keine gef#228;hrlichen Tiere dort.«

»Aber Eingeborene«, antwortete Argos.

»Es sind keine Wilden«, sagte Ben. »Wir haben sie ein paar Mal getroffen, als wir dr#252;ben waren. Sie sind nur vorsichtig. Es sind Menschen wie ihr, Argos. Die Nachfahren derer, die angeblich von denW#228;chternin die Tiefe gezogen und ertr#228;nkt worden sind. Sie waren niemals eure Feinde, hast du das immer noch nicht begriffen?«

Argos sagte nichts dazu, aber sein Blick machte klar, dass ihn Bens Worte nicht wirklich interessierten. Astaroth war immer noch nicht in der Lage, Argos’ Gedanken zu lesen, aber das war auch gar nicht notwendig. Mike konnte sich ziemlich konkret vorstellen, was Argos und die anderen vorhatten.

Sie w#252;rden eine ziemlich unangenehme #220;berraschung erleben.

»Du hast Recht«, sagte er. »Es wird Zeit. Wir m#252;ssen gehen. Ich w#252;nsche dir und deinen Leuten viel Gl#252;ck in eurer neuen Heimat, Argos. Auch wenn wir uns wahrscheinlich nie wieder sehen werden.«

»Da w#228;re ich nicht so sicher«, antwortete Argos. In seinen Worten war etwas eindeutig Drohendes und vermutlich waren sie auch ganz genau so gemeint. Mike hielt seinem Blick noch eine Sekunde lang stand, dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich ohne ein weiteres Wort zum Gehen. Astaroth und Ben schlossen sich ihm ebenso schweigend an.

Eine halbe Stunde sp#228;ter erreichten sie den Ausgang der Eisenminen. Sie waren vollkommen allein. Alle Bewohner Lemuras, die sich noch nicht in die riesigen unterirdischen H#246;hlen gefl#252;chtet hatten, die ihre neue Heimat werden w#252;rden, waren bereits unten am Ufer der kleinen Seen, die die einzige Verbindung zwischen Lemura und dem Verbotenen Land darstellten. Sobald die letzten Lemurer die Mine verlassen hatten, w#252;rden gro#223;e Sprengladungen die Durchg#228;nge verschlie#223;en und dann gab es kein Zur#252;ck mehr.

In den letzten vierundzwanzig Stunden hatte sich Lemura auf schreckliche Art ver#228;ndert. In der riesigen Kuppel g#228;hnten nun Dutzende von Rissen, durch die das Wasser immer schneller hereinstr#246;mte. Die untere Ebene der Stadt hatte sich l#228;ngst in einen einzigen riesigen See verwandelt, und was nicht dem Wasser zum Opfer gefallen war, das hatten die immer heftiger werdenden Erdbeben zerst#246;rt. Selbst wenn die Kuppel nicht zusammenbrechen w#252;rde, so war Lemura schon jetzt unbewohnbar geworden. Pl#246;tzlich erschien es ihm angeraten, sich wirklich zu beeilen, um die Stadt und die dort wartende NAUTILUS zu erreichen. Selbst wenn sie sich beeilten, w#252;rden sie zwei Stunden brauchen, um zum Hafen zu kommen.

Trotzdem unterbrachen sie ihren Marsch auf halbem Wege noch einmal, um sich mit Singh und Juan zu treffen, die in Argos’ Kristallwald auf sie warteten. Sie hatten eine Anzahl gro#223;er Kisten und Kartons in dem kleinen Hain verteilt und diese mit einem Gewirr aus Kabeln und Z#252;ndschn#252;ren verbunden.

»Seid ihr fertig?«, fragte Mike.

»Gerade eben«, antwortete Singh. »Und jetzt nichts wie weg!«

Sie st#252;rmten weiter, bis sie eine Entfernung von gut f#252;nfoder sechshundert Metern zwischen sich und den Kristallwald gebracht hatten. Singh, der eine kleine Rolle in der Hand hielt und die Z#252;ndschnur davon abwickelte, deutete auf ein Gewirr m#228;chtiger Felsbrocken, zwischen dem sie rasch Deckung suchten. Singh duckte sich als Letzter hinter einen Stein, steckte

das Ende der Z#252;ndschnur in Brand und atmete dann h#246;rbar auf.

W#228;hrend sie der Funken spr#252;henden Flamme zusahen, die sich rasch auf den Kristallwald zubewegte, fragte Mike: »Ist auf der NAUTILUS alles vorbereitet?«

»Wir haben s#228;mtliche Bl#228;tter und Samen hinausgebracht, die sie an Bord geschafft haben«, antwortete Juan. »Und auch die, die wir noch in der Lagerhalle gefunden haben.«

»Dann wird es in der neuen Heimat der Lemurer keinen Kristallwald mehr geben«, sagte Mike zufrieden. »Und keine Magier, die anderen ihren Willen aufzwingen«, f#252;gte Ben hinzu. »Schade, dass ich sein Gesicht nicht sehen kann, wenn er in einer Stunde hierher kommt, um Samen f#252;r seine verdammten Kristallb#228;ume zu holen.«

Er lachte und der Laut ging nahtlos in das gewaltige Donnern #252;ber, mit dem die Sprengladungen explodierten, die Singh und Juan im Verlauf der letzten beiden Stunden im Kristallwald gelegt hatten. Mike zog hastig den Kopf ein und wartete mit angehaltenem Atem ab, bis der Boden aufh#246;rte zu zittern und keine Tr#252;mmer mehr auf sie herabregneten. Dann hob er vorsichtig den Kopf #252;ber den Rand ihrer Deckung.

Wo der Kristallwald gewesen war, g#228;hnte nur noch ein gewaltiger Krater, der sich bereits mit Wasser zu f#252;llen begann. Und mit dem Kristallwald war auch zugleich die Quelle von Argos’ magischer Macht verschwunden. Das neue Lemura w#252;rde anders aussehen und Mike war ziemlich sicher: besser.

»Also los«, sagte er. »Gehen wir. Ich m#246;chte endlich wieder einmal die Sonne sehen.«