"Arc de Triomphe" - читать интересную книгу автора (Remarque Erich Maria)4Die Fiebertabelle über dem Bett war neu und leer. Nur der Name stand darauf. Lucienne Martinet. Butte Chaumont, Rue Clavel. Das Mädchen lag grau in den Kissen. Es war am Abend vorher operiert worden. Ravic prüfte vorsichtig das Herz. Dann richtete er sich auf. »Besser«, sagte er. »Die Blutübertragung hat ein kleines Wunder gewirkt. Wenn sie bis morgen durchhält, hat sie eine Chance.« »Gut«, sagte Veber. »Gratuliere. Es sah nicht so aus. Hundertvierzig Puls und achtzig Blutdruck! Coffein, Coramin — das war verdammt nahe daran.« Ravic zuckte die Achseln. »Da ist nichts zu gratulieren. Sie ist früher gekommen als die andere. Die mit der Goldkette um den Fuß. Das ist alles.« Er deckte das Mädchen zu. »Das ist der zweite Fall in einer Woche.Wenn es so weitergeht, werden Sie noch eine Klinik für verpfuschte Aborte in der Butte Chaumont.War die andere nicht auch daher?« Veber nickte. »Ja, auch von der Rue Clavel. Kannten sich wahrscheinlich und waren bei derselben Hebamme. Kam sogar um dieselbe Zeit, abends, wie die andere. Gut, daß ich Sie noch im Hotel erreicht habe. Dachte schon, Sie wären nicht mehr da.« Ravic sah ihn an. »Wenn man im Hotel wohnt, ist man meistens abends nicht da, Veber — Hotelzimmer im November sind nichts besonders Trostvolles.« »Das kann ich mir vorstellen. Aber weshalb wohnen Sie dann eigentlich immer im Hotel?« »Es ist bequem und unpersönlich. Man ist allein und doch nicht allein.« »Wollen Sie das?« »Ja.« »Das können Sie anderswie doch auch.Wenn Sie sich ein kleines Appartement mieten, haben Sie es doch ebenso.« »Vielleicht.« Ravic beugte sich über das Mädchen. »Finden Sie nicht auch, Eugenie?« fragte Veber. Die Operationsschwester blickte auf. »Herr Ravic wird das nie tun«, sagte sie kalt. »Doktor Ravic, Eugenie«, korrigierte Veber. »Er war Chefchirurg eines großen Hospitals in Deutschland. Viel mehr als ich.« »Hier...«, begann die Schwester und rückte ihre Brille zurecht. Veber winkte rasch ab. »Gut! Gut! Wir wissen das alles. Hier erkennt der Staat keine ausländischen Examen an. Blödsinnig genug! Aber woher wissen Sie so genau, daß er kein Appartement nehmen wird?« »Herr Ravic ist ein verlorener Mensch; er wird nie ein Heim gründen.« »Was?« fragte Veber verblüfft. »Was reden Sie da?« »Herrn Ravic ist nichts mehr heilig. Das ist der Grund.« »Bravo«, sagte Ravic vom Bett des Mädchens her. »Hat man so etwas schon mal gehört?« Veber starrte Eugenie an. »Fragen Sie ihn nur selbst, Doktor Veber.« Ravic richtete sich auf. »Sie haben ins Schwarze getroffen, Eugenie. Aber wenn einem nichts mehr heilig ist, wird einem alles auf eine menschlichere Weise wieder heilig. Man verehrt den Funken Leben, der selbst in einem Regenwurm pulst und ihn ab und zu ans Licht treibt. Das soll kein Vergleich sein.« »Sie können mich nicht treffen. Sie haben keinen Glauben.« Eugenie strich sich energisch den weißen Kittel über der Brust zurecht. »Ich habe gottlob meinen Glauben.« Ravic griff nach seinem Mantel. »Glaube macht leicht fanatisch. Deshalb haben alle Religionen so viel Blut gekostet.« Er grinste offen. »Toleranz ist die Tochter des Zweifels, Eugenie. Sind Sie mit all Ihrem Glauben nicht viel aggressiver gegen mich als ich verlorener Ungläubiger gegen Sie?« Veber lachte. »Da haben Sie es, Eugenie. Antworten Sie nicht. Es wird nur noch schlimmer!« »Meine Würde als Frau...« »Gut!« unterbrach Veber sie. »Bleiben Sie dabei!« Das ist immer gut. Ich muß jetzt fort. Habe noch im Büro zu tun. Kommen Sie, Ravic. Guten Morgen, Eugenie.« »Guten Morgen, Doktor Veber.« »Guten Morgen, Schwester Eugenie«, sagte Ravic. »Guten Morgen«, erwiderte Eugenie mühsam und erst, nachdem Veber sich nach ihr umgesehen hatte. Vebers Büro war vollgestopft mit Möbeln aus der Empirezeit; weiß, golden und zerbrechlich. Über dem Schreibtisch hingen Fotografien seines Hauses und seines Gartens. An der Längswand stand eine breite, moderne Chaiselongue.Veber schlief darauf, wenn er nachts einmal dablieb. Die Klinik gehörte ihm. »Was wollen Sie trinken, Ravic? Kognak oder Dubonnet?« »Kaffee, wenn Sie noch welchen da haben.« »Natürlich.« Veber stellte die Maschine auf den Schreibtisch und schaltete den Kontakt ein. Dann wandte er sich an Ravic. »Können Sie mich heute nachmittag in der ›Osiris‹ vertreten?« »Selbstverständlich.« »Macht es Ihnen nichts?« »Nicht das geringste. Ich habe nichts vor.« »Gut. Ich brauche dann nicht extra wieder hereinzufahren. Kann in meinem Garten arbeiten. Ich hätte Fauchon gefragt, aber er ist in Urlaub.« »Unsinn«, sagte Ravic. »Ich habe es doch schon oft genug gemacht.« »Das ist richtig. Immerhin...« »Immerhin gibt es heutzutage nicht mehr. Nicht für mich.« »Ja. Idiotisch genug, daß ein Mann mit Ihrem Können hier nicht offiziell arbeiten darf und sich als schwarzer Chirurg verstecken muß.« »Aber Veber! Das ist doch schon eine alte Geschichte. Geht ja allen Ärzten so, die aus Deutschland geflüchtet sind.« »Trotzdem! Es ist lächerlich! Sie machen Durants schwierigste Operationen, und er macht sich einen Namen damit.« »Besser, als wenn er sie selbst machte.« Veber lachte. »Ich sollte nicht reden. Sie machen meine ja auch. Aber schließlich bin ich hauptsächlich Frauenarzt und kein Spezialist als Chirurg.« Die Kaffeemaschine begann zu pfeifen. Veber stellte sie ab. Er holte Tassen aus einem Schrank und goß den Kaffee ein. »Eines verstehe ich nicht, Ravic«, sagte er. »Weshalb wohnen Sie wirklich noch immer in dieser Bude, dem ›International‹. Warum mieten Sie sich nicht eines dieser neuen Appartements in der Nähe des Bois? Ein paar Möbel können Sie überall billig kaufen. Dann wissen Sie doch wenigstens, was Sie haben.« »Ja«, sagte Ravic. »Dann wüßte ich, was ich hätte.« »Na also, warum tun Sie es nicht?« Ravic trank einen Schluck Kaffee. Er war bitter und sehr stark. »Veber«, sagte er, »Sie sind ein prächtiges Beispiel für die Krankheit unserer Zeit: bequemes Denken. In einem Atemzug bedauern Sie, daß ich illegal hier arbeiten muß, und gleichzeitig fragen Sie mich, warum ich kein Appartement miete.« »Was hat das eine mit dem andern zu tun?« Ravic lachte ungeduldig. »Wenn ich ein Appartement nehme, muß ich bei der Polizei angemeldet werden. Dazu brauche ich einen Paß und ein Visum.« »Richtig. Daran habe ich nicht gedacht. Und im Hotel?« »Da auch. Aber es gibt gottlob einige Hotels in Paris, die es mit dem Anmelden nicht so genau nehmen.« Ravic goß einen Schluck Kognak in seinen Kaffee. »Eines davon ist das ›International‹. Deshalb wohne ich da. Wie die Wirtin das arrangiert, weiß ich nicht. Sie muß gute Verbindungen haben. Entweder weiß die Polizei es wirklich nicht, oder sie wird geschmiert. Auf jeden Fall wohne ich schon ziemlich lange ungestört da.« Veber lehnte sich zurück. »Ravic«, sagte er, »ich wußte das nicht. Ich dachte nur, Sie dürften hier nicht arbeiten. Das ist ja eine verdammte Situation.« »Es ist ein Paradies, verglichen mit einem deutschen Konzentrationslager.« »Und die Polizei? Wenn sie doch einmal kommt?« »Wenn sie uns erwischt, gibt es ein paar Wochen Gefängnis und Ausweisung über die Grenze. Meistens in die Schweiz. Im Wiederholungsfalle sechs Monate Gefängnis.« »Was?« »Sechs Monate«, sagte Ravic. Veber starrte ihn an. »Aber das ist doch unmöglich. Das ist ja unmenschlich.« »Das dachte ich auch, bis ich es lernte.« »Wieso lernte? Ist Ihnen denn das schon einmal passiert?« »Nicht einmal. Dreimal. Ebenso wie hundert andern auch. Im Anfang, als ich noch nichts davon wußte und auf die sogenannte Humanität vertraute. Bevor ich nach Spanien ging — wo ich keinen Paß brauchte — und eine zweite Lektion in angewandter Humanität erhielt. Von deutschen und italienischen Fliegern. Später, als ich dann wieder hierher zurückkam, wußte ich natürlich Bescheid.« Veber stand auf. »Aber um Himmels willen...« Er rechnete. »Dann sind Sie ja über ein Jahr für nichts im Gefängnis gewesen.« »Nicht so lange. Nur zwei Monate.« »Wieso? Sie sagten doch, im Wiederholungsfalle wären es schon sechs Monate?« Ravic lächelte. »Es gibt eben keinen Wiederholungsfall, wenn man Erfahrung hat. Man wird unter einem Namen ausgewiesen und kommt einfach unter einem andern zurück. Möglichst an einer anderen Stelle der Grenze. So vermeidet man das. Da wir keine Papiere haben, ist das nur nachzuweisen, wenn jemand uns persönlich wiedererkennt. Das ist sehr selten. Ravic ist bereits mein dritter Name. Ich habe ihn seit fast zwei Jahren. Nichts passiert seitdem. Scheint mir Glück zu bringen. Gewinne ihn täglich lieber. Meinen wirklichen habe ich schon fast vergessen.« Veber schüttelte den Kopf. »Und das alles nur, weil Sie kein Nazi sind.« »Natürlich. Nazis haben erstklassige Papiere. Und sämtliche Visa, die sie wollen.« »Schöne Welt, in der wir leben! Daß die Regierung da nichts tut.« »Die Regierung hat einige Millionen Arbeitslose, für die sie zuerst sorgen muß. Außerdem ist das nicht nur in Frankreich so. Es ist überall dasselbe.« Ravic stand auf. »Adieu, Veber. In zwei Stunden werde ich wieder nach dem Mädchen sehen. Nachts auch noch einmal.« Veber kam ihm nach zur Tür. »Hören Sie, Ravic«, sagte er, »kommen Sie doch einmal abends zu uns heraus. Zum Essen.« »Bestimmt.« Ravic wußte, daß er nicht gelten würde. »In der nächsten Zeit. Adieu, Veber.« »Adieu, Ravic. Und kommen Sie wirklich.« Ravic ging ins nächste Bistro. Er setzte sich an ein Fenster, um auf die Straße blicken zu können. Er liebte das — gedankenlos dazusitzen und die Leute draußen vorbeigehen zu sehen. Paris war die Stadt, wo man mit nichts seine Zeit am besten verbringen konnte. Der Kellner wischte den Tisch ab und wartete. »Einen Pernod«, sagte Ravic. »Mit Wasser, mein Herr?« »Nein. Warten Sie!« Ravic besann sich. »Bringen Sie mir keinen Pernod.« Es war da etwas, das er wegspülen mußte. Ein bitterer Geschmack. Dazu war das süße Anis-Zeug nicht scharf genug. »Einen Calvados«, sagte er zu dem Kellner. »Einen doppelten Calvados.« »Gut, mein Herr.« Es war die Einladung Vebers. Diese Spur von Mitleid darin. Jemand einmal einen Abend in der Familie möglich machen. Franzosen luden Freunde nur selten in ihre Häuser ein; sie erledigten das lieber in Restaurants. Er war noch nie bei Veber gewesen. Es war gut gemeint, aber man vertrug das schlecht. Gegen Beleidigungen konnte man sich wehren; gegen Mitleid nicht. Er nahm einen Schluck von dem Apfelschnaps. Wozu hatte er Veber erklärt, warum er im International wohnte? Es war nicht nötig gewesen. Veber wußte, was er wissen mußte. Er wußte, daß Ravic nicht operieren durfte, das war genug. Daß er trotzdem mit ihm arbeitete, war seine Sache. Er verdiente dabei und konnte Operationen annehmen, die er sich nicht allein zu machen getraute. Niemand wußte davon — nur er und die Operationsschwester —; und die hielt dicht. Mit Durant war es dasselbe. Nur zeremonieller. Wenn der eine Operation hatte, blieb er bei dem Patienten, bis er narkotisiert war. Erst dann kam Ravic und machte die Operation, zu der Durant zu alt und zu unfähig war. Wenn der Patient dann später erwachte, erschien Durant wieder an seinem Bett als stolzer Operateur. Ravic sah den Patienten nur zugedeckt; er kannte von ihm nur die schmale, jodbraune Stelle Körper, die offen war für die Operation. Er wußte oft nicht einmal, wen er operierte. Durant gab ihm die Diagnose, und er begann zu schneiden. Er zahlte Ravic weniger als ein Zehntel dessen, was er selbst für die Operation bekam. Ravic hatte nichts dagegen. Es war immer noch besser, als nicht zu operieren. Mit Veber arbeitete er mehr kameradschaftlich. Veber zahlte ihm ein Viertel. Das war fair. Ravic blickte durch das Fenster. Und sonst? Es war nicht viel, was übriggeblieben war. Er lebte, das war genug. Es lag ihm nichts daran in einer Zeit, wo alles schwankte, etwas aufzubauen, das in kurzer Zeit wieder zusammenstürzen mußte. Es war besser, zu treiben, als Kraft zu verschwenden, sie war das einzige, was unersetzbar war. Überstehen war alles, bis irgendwo wieder ein Ziel sichtbar wurde. Je weniger Kraft man dazu anwandte, um so besser; man hatte sie dann nachher. Ameisenhaft immer wieder in einem zusammenbrechenden Jahrhundert eine bürgerliche Existenz aufbauen zu wollen — das war das, woran er viele hatte scheitern sehen. Es war rührend, heroisch und lächerlich in einem — und nutzlos. Es machte mürbe. Eine Lawine war nicht aufzuhalten, wenn sie im Rollen war — wer es versuchte, kam darunter. Besser abzuwarten und später die Verschütteten auszugraben. Wenn viel marschiert wurde, mußte man leichtes Gepäck haben. Auf der Flucht auch... Ravic blickte auf seine Uhr. Es war Zeit, nach Lucienne Martinet zu sehen. Und danach für das »Osiris«. Die Huren im »Osiris« warteten schon. Sie wurden zwar regelmäßig von einem Amtsarzt untersucht; aber der Besitzerin war das nicht genug. Sie konnte sich nicht leisten, daß sich jemand in ihrem Lokal ansteckte, deshalb hatte sie mit Veber ein Abkommen getroffen, daß die Mädchen jeden Donnerstag noch einmal privat untersucht wurden. Ravic vertrat ihn manchmal dabei. Die Besitzerin hatte einen Raum im ersten Stock als Untersuchungszimmer eingerichtet und ausgestattet. Sie war sehr stolz darauf, daß seit mehr als einem Jahr keiner ihrer Kunden sich in ihrem Etablissement etwas geholt hatte; dafür aber hatten, trotz aller Vorsicht der Mädchen, siebzehn Kunden Geschlechtskrankheiten eingeschleppt. Rolande, die Gouvernante, brachte Ravic eine Flasche Brandy und ein Glas. »Ich glaube, Marthe hat etwas«, sagte sie. »Gut. Ich werde sie genau ansehen.« »Ich habe sie schon gestern nicht mehr arbeiten lassen. Sie streitet es ab, natürlich. Aber ihre Wäsche...« »Gut, Rolande.« Die Mädchen kamen eine nach der anderen in ihren Hemden herein. Ravic kannte fast alle; es waren nur zwei Neue dabei. »Mich brauchen Sie nicht zu untersuchen, Doktor«, sagte Leonie, eine rothaarige Gascognerin. »Warum nicht?« »Keine Kunden, die ganze Woche.« »Was sagt die Madame dazu?« »Nichts. Ich habe eine Menge Champagner gemacht. Sieben Flaschen jeden Abend. Drei Geschäftsleute aus Toulouse. Verheiratet. Wollten alle drei, aber genierten sich voreinander. Jeder hatte Angst, wenn er mit mir ginge, würden die andern zu Hause darüber reden. Soffen deshalb; jeder dachte, er würde allein übrigbleiben.« Leonie lachte und kratzte sich faul. »Der, der übrigblieb, konnte dann nicht mehr aufstehen.« »Gut. Ich muß dich trotzdem untersuchen.« »Meinetwegen. Haben Sie eine Zigarette, Doktor?« »Ja, hier.« Ravic machte den Abstrich und färbte ihn ein. Dann schob er die Glasplatte unter das Mikroskop. »Wissen Sie, was ich nicht verstehe?« sagte Leonie, während sie Ravic beobachtete. »Was?« »Daß Sie, wenn Sie diese Sachen machen, noch Lust haben, mit einer Frau zu schlafen.« »Das verstehe ich auch nicht. Du bist in Ordnung. Wer kommt jetzt?« »Marthe.« Marthe war blaß, schmal und blond. Sie hatte das Gesicht eines Botticelli-Engels, aber sie sprach den Jargon der Rue Blondel. »Mir fehlt nichts, Doktor.« »Das ist gut. Wir werden sehen.« »Aber mir fehlt wirklich nichts.« »Um so besser.« Rolande stand plötzlich im Zimmer. Sie sah Marthe an. Das Mädchen sagte nichts mehr. Unruhig sah es Ravic an. Er untersuchte sie genau. »Aber es ist nichts, Doktor. Sie wissen doch, wie vorsichtig ich bin.« Ravic erwiderte nichts. Das Mädchen redete weiter — stockte und begann wieder. Ravic machte einen Abstrich und untersuchte ihn. »Du bist krank, Marthe«, sagte er. »Was?« Sie war mit einem Sprung auf. »Das kann nicht stimmen.« »Es stimmt.« Sie sah ihn an. Dann brach sie plötzlich los — eine Flut von Flüchen und Verwünschungen. »Dieses Schwein! Dieses gottverdammte Schwein! Ich habe ihm gleich nicht getraut, diesem glatten Aas! Student wäre er, sagte er, müsse es doch wissen, er wäre ja Medizinstudent, dieser Lump!« »Warum hast du nicht aufgepaßt?« »Ich habe ja aufgepaßt, aber es ging so schnell, und er sagte, als Student...« Ravic nickte. Die alte Sache — ein Medizinstudent, der sich einen Tripper geholt und selbst behandelt hatte. Nach zwei Wochen hatte er sich für gesund gehalten, ohne eine Reaktion zu machen. »Wie lange wird es dauern, Doktor?« »Sechs Wochen.« Ravic wußte, daß es länger dauern würde. »Sechs Wochen?« Sechs Wochen kein Verdienst. Ins Hospital? »Muß ich ins Hospital?« »Wir werden sehen. Vielleicht können wir dich später zu Hause behandeln — wenn du versprichst...« »Ich verspreche alles! Nur nicht ins Hospital!« »Zuerst mußt du hinein. Es geht nicht anders.« Das Mädchen starrte Ravic an. Das Hospital war bei allen Huren gefürchtet. Die Aufsicht dort war sehr streng. Aber es war anders unmöglich. Zu Hause würden sie, trotz aller Versprechungen, nach ein paar Tagen heimlich ausgehen und sich Männer suchen, um sich etwas zu verdienen, und sie anstecken. »Die Madame zahlt die Kosten«, sagte Ravic. »Aber ich! Ich! Sechs Wochen ohne Verdienst. Und ich habe mir gerade einen Silberfuchs auf Abzahlung gekauft . Die Rate verfällt dann, und alles ist weg.« Sie weinte. »Komm, Marthe«, sagte Rolande. »Sie nehmen mich nicht wieder! Ich weiß es!« Marthe schluchzte stärker. »Sie nehmen mich nicht wieder nachher! Sie tun das nie! Dann muß ich auf die Straße. Und alles wegen diesem glatten Hund...« »Wir nehmen dich wieder. Du warst gutes Geschäft . Die Kunden mögen dich.« »Wirklich?« Marthe sah auf. »Natürlich. Und nun komm.« Marthe ging mit Rolande hinaus. Ravic sah ihr nach. Sie würde nicht wiederkommen. Madame war viel zu vorsichtig. Ihre nächste Etappe waren vielleicht noch die billigen Bordelle an der Rue Blondel. Dann die Straße. Dann Koks, Hospital, Blumen oder Zigarettenhandel. Oder, wenn sie Glück hatte, ein Louis, der sie prügelte, ausnutzte und sie später ’rausschmiß. Der Speisesaal des Hôtels International lag unter der Erde. Die Bewohner nannten ihn deshalb die Katakombe. Er bekam tagsüber etwas trübes Licht durch einige dicke Milchglasscheiben, die einen Teil des Hofes bildeten; im Winter mußte er den ganzen Tag erleuchtet werden. Der Raum war gleichzeitig Rauchzimmer, Schreibzimmer, Halle, Versammlungsraum und die Rettung der Emigranten, die keine Papiere hatten — sie konnten, wenn die Polizei kontrollierte, durch ihn zum Hof in eine Garage und von dort auf die gegenüberliegende Straße entkommen. Ravic saß mit dem Portier des Nachtklubs Scheherazade, Boris Morosow, in einer Ecke der Katakombe, die von der Wirtin der Palmenraum genannt wurde; eine jammervolle Palme in einem Majolikakübel auf einem dünnbeinigen Tischchen fristete dort ihr Leben. Morosow lebte seit fünfzehn Jahren in Paris. Er war ein Refugié vom ersten Weltkrieg, einer der wenigen Russen, die nicht in Garderegimentern gedient haben wollten und die nicht über ihre adlige Familie sprachen. Sie spielten Schach. Die Katakombe war leer, bis auf einen Tisch, an dem einige Leute saßen und tranken und laut redeten und alle paar Minuten einen Toast ausbrachten. Morosow sah sich ärgerlich um. »Kannst du mir erklären, Ravic, warum hier heute abend so ein Radau ist? Warum gehen diese Emigranten nicht schlafen?« Ravic lachte. »Diese Emigranten da in der Ecke gehen mich nichts an. Das ist die faschistische Sektion des Hotels.« »Spanien? Da warst du doch auch?« »Ja, aber auf der anderen Seite. Außerdem als Arzt. Das da sind spanische Monarchisten, faschistisch verbrämt. Der Rest der Gesellschaft; die anderen sind längst drüben. Diese konnten sich noch nicht ganz entschließen. Franco war ihnen nicht fein genug. Die Mohren, die die Spanier schlachteten, haben sie natürlich nicht gestört.« Morosow stellte seine Figuren auf. »Feiern dann wahrscheinlich das Massaker von Guernica. Oder den Sieg italienischer und deutscher Maschinengewehre über Bergarbeiter und Bauern. Habe die Brüder noch nie hier gesehen.« »Sie sind seit Jahren hier. Du siehst sie nicht, weil du nie hier ißt.« »Ißt du hier?« »Nein.« Morosow grinste. »Gut«, sagte er, »schenken wir uns meine nächste Frage und deine Antwort, die bestimmt beleidigend sein würde. Meinetwegen können sie hier geboren sein. Sie sollen nur leise reden. Hier — das gute, alte Damengambit.« Ravic zog den gegenüberliegenden Bauern. Sie machten die ersten Züge rasch. Dann begann Morosow zu brüten. »Es gibt da eine Variante von Aljechin...« Einer der Spanier kam herüber. Es war ein Mann mit eng zusammenstehenden Augen. Er blieb neben dem Tisch stehen. Morosow blickte ihn mißvergnügt an. Der Spanier stand nicht ganz gerade. »Meine Herren«, sagte er höflich. »Oberst Gomez bittet Sie, ein Glas Wein mit ihm zu trinken.« »Mein Herr«, erwiderte Morosow ebenso höflich. »Wir spielen hier soeben eine Partie Schach um die Meisterschaft des XVII. Arrondissements. Wir danken verbindlichst, aber wir können nicht kommen.« Der Spanier verzog keine Miene. Er wandte sich an Ravic mit einer Formalität, als wäre er am Hofe Philipps II. »Sie haben Oberst Gomez vor einiger Zeit eine Freundlichkeit erwiesen. Er möchte vor seiner Abreise deshalb gern ein Glas mit Ihnen trinken.« »Mein Partner«, erwiderte Ravic ebenso formell, »hat Ihnen bereits erklärt, daß wir die Partie heute spielen müssen. Danken Sie dem Obersten Gomez. Ich bedaure sehr.« Der Spanier verbeugte sich und ging zurück. Morosow schmunzelte. »Ganz wie die Russen in den ersten Jahren. Hielten sich an ihre Titel und Manieren wie an Schwimmgürteln. Was für eine Freundlichkeit hast du dem Hottentotten erwiesen?« »Ich habe ihm einmal ein Abführmittel verschrieben. Lateinische Völker halten sehr auf gute Verdauung.« »Nicht schlecht.« Morosow blinzelte. »Die alte Schwäche der Demokratie. Ein Faschist in derselben Lage hätte einem Demokraten Arsenik gegeben.« Der Spanier kam zurück. »Mein Name ist Oberleutnant Navarro«, erklärte er mit dem schweren Ernst eines Mannes, der zuviel getrunken hat und es nicht weiß. »Ich bin der Adjutant des Obersten Gomez. Der Oberst verläßt Paris diese Nacht. Er geht nach Spanien, um sich der glorreichen Armee des Generalissimus Franco anzuschließen. Er möchte deshalb mit Ihnen ein Glas auf Spaniens Freiheit und Spaniens Armee trinken.« »Oberleutnant Navarro«, sagte Ravic kurz. »Ich bin kein Spanier.« »Wir wissen das; Sie sind ein Deutscher.« Navarro zeigte den Schatten eines konspiratorischen Lächelns. »Das ist gerade der Grund für den Wunsch des Obersten Gomez. Deutschland und Spanien sind Freunde.« Ravic sah Morosow an. Die Ironie der Situation war stark. Es zuckte um Morosows Mund. »Oberleutnant Navarro«, sagte er. »Ich bedaure, darauf bestehen zu müssen, diese Partie mit Doktor Ravic zu beenden. Die Resultate müssen heute nacht noch nach New York und Kalkutta gekabelt werden.« »Mein Herr«, erwiderte Navarro kalt. »Wir haben erwartet, daß Sie ablehnen würden, Rußland ist der Feind Spaniens. Die Einladung bezog sich nur auf Doktor Ravic. Wir mußten Sie miteinladen, da Sie mit ihm zusammen sind.« Morosow setzte einen Springer, den er gewonnen hatte, auf seine riesige, flache Hand und sah Ravic an. »Glaubst du nicht, daß es genug ist mit diesem Affentheater?« »Ja.« Ravic drehte sich um. »Ich denke, es ist am einfachsten, Sie gehen zurück, junger Mann. Sie beleidigen den Obersten Morosow, der ein Feind der Sowjets ist, ohne Grund.« Er beugte sich, ohne eine Antwort abzuwarten, über das Schachbrett. Navarro stand einen Moment unschlüssig. Dann ging er. »Er ist betrunken und dann, wie viele Lateiner, ohne Humor«, sagte Ravic. »Das ist kein Grund, daß wir keinen haben sollen. Ich habe dich deshalb soeben zum Obersten befördert. Soviel ich weiß, warst du nur ein armseliger Oberstleutnant. Schien mir unerträglich, daß du nicht den gleichen militärischen Rang wie dieser Gomez haben solltest.« »Rede nicht, Knabe. Ich habe die Aljechinische Variante über den Unterbrechungen verpfuscht. Dieser Läufer scheint verloren zu sein.« Morosow sah auf. »Mein Gott, da kommt schon wieder einer. Ein anderer Adjutant. Was für ein Volk!« »Das ist der Oberst Gomez selbst.« Ravic lehnte sich behaglich zurück. »Dies wird eine Diskussion zwischen zwei Obersten.« »Eine kurze, mein Sohn.« Der Oberst war noch förmlicher als Navarro. Er entschuldigte sich bei Morosow wegen des Irrtums seines Adjutanten. Die Entschuldigung wurde entgegengenommen. Gomez lud nun, da alle Schwierigkeiten überstanden waren, äußerst zeremoniell ein, als Zeichen der Versöhnung gemeinsam das Glas auf Franco zu trinken. Diesmal lehnte Ravic ab. »Aber als verbündeter Deutscher...« Der Oberst war sichtlich verwirrt. »Oberst Gomez«, sagte Ravic, der allmählich ungeduldig wurde, »lassen wir die Situation, wie sie ist. Trinken Sie, auf wen Sie wollen, und ich spiele Schach.« Der Oberst versuchte nachzudenken. »Dann sind Sie also ein...« »Besser, Sie stellen nichts fest«, unterbrach Morosow ihn. »Führt nur zu Streitigkeiten.« Gomez wurde immer verwirrter. »Aber Sie, als Weißrusse und zaristischer Offizier, müßten doch gegen...« »Wir müssen gar nichts. Wir sind veraltete Kreaturen. Wir haben verschiedene Meinungen und schlagen uns trotzdem nicht die Schädel ein.« Gomez schien endlich ein Licht aufzugehen. Er straffte sich. »Ich sehe«, erklärte er schneidend. »Verweichlichte, demokratische...« »Mein Lieber«, sagte Morosow plötzlich gefährlich. »Verschwinden Sie! Sie hätten schon vor Jahren verschwunden sein sollen. Nach Spanien. Um zu kämpfen. Statt dessen kämpfen Deutsche und Italiener da für Sie. Adieu!« Er stand auf. Gomez trat einen Schritt zurück. Er starrte Morosow an. Dann machte er abrupt kehrt und ging zu seinem Tisch zurück. Morosow setzte sich wieder. Er seufzte und klingelte dem Serviermädchen. »Bringen Sie uns zwei doppelte Calvados, Clarisse.« Clarisse nickte und verschwand. »Brave, soldatische Seelen.« Ravic lachte. »Einfacher Verstand und komplizierte Ehrbegriffe. Erschweren das Leben, wenn man betrunken ist.« »Das sehe ich. Da kommt bereits der nächste. Das ist ja eine Prozession. Wer ist es diesmal? Franco selbst?« Es war Navarro. Er hielt zwei Schritte vor dem Tisch und adressierte Morosow. »Oberst Gomez bedauert, Ihnen keine Forderung überbringen zu können. Er verläßt Paris diese Nacht. Außerdem ist seine Mission zu wichtig, um mit der Polizei Schwierigkeiten zu haben.« Er wandte sich an Ravic. »Oberst Gomez schuldet Ihnen noch das Honorar für Ihre Konsultation.« Er warf eine zusammengefaltete Fünf-Frank-Note auf den Tisch und wollte kehrtmachen. »Einen Augenblick«, sagte Morosow. Clarisse stand gerade neben ihm mit dem Tablett. Er nahm das Glas Calvados, betrachtete es kurz, schüttelte den Kopf und stellte es zurück. Dann nahm er eines der Wassergläser vom Tablett und schüttete es Navarro ins Gesicht. »Das ist, um Sie nüchtern zu machen«, erklärte er ruhig. »Merken Sie sich künftig, daß man Geld nicht wirft. Und nun fort mit Ihnen, Sie mittelalterlicher Idiot.« Navarro stand überrascht. Er trocknete sich das Gesicht ab. Die anderen Spanier kamen heran. Es waren vier. Morosow erhob sich langsam. Er überragte die Spanier um mehr als einen Kopf. Ravic blieb sitzen. Er sah Gomez an. »Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte er. »Sie sind alle nicht nüchtern. Sie haben nicht die geringste Chance. In ein paar Minuten würden Sie mit gebrochenen Knochen hier herumliegen. Selbst wenn Sie nüchtern wären, hätten Sie keine Chance.« Er stand auf, griff Navarro rasch an den Ellbogen, hob ihn an, drehte ihn herum und stellte ihn so dicht neben Gomez auf den Boden, daß Gomez beiseite treten mußte. »Und nun lassen Sie uns in Ruhe. Wir haben Sie nicht aufgefordert, uns zu belästigen.« Er nahm die Fünf-Frank-Note vom Tisch und legte sie auf das Tablett. »Das ist für Sie, Clarisse. Von den Herren hier.« »Erstmals, daß ich von denen etwas bekomme«, erklärte Clarisse. »Danke.« Gomez sagte etwas in Spanisch. Die fünf machten kehrt und gingen zu ihrem Tisch zurück. »Schade«, sagte Morosow. »Ich hätte die Brüder gern verprügelt. Geht leider deinetwegen nicht, du illegaler Findling. Bedauerst du es nicht manchmal, daß du es nicht kannst?« »Nicht bei denen. Es gibt andere, die ich haben möchte.« Man hörte von dem Tisch in der Ecke ein paar Worte Spanisch. Die fünf standen auf. Ein dreifaches Viva erscholl. Die Gläser wurden klirrend niedergesetzt, und die Gruppe verließ martialisch den Raum. »Fast hätte ich ihm den guten Calvados ins Gesicht gegossen.« Morosow nahm das Glas und trank es aus. »Und so was regiert jetzt in Europa! Waren wir auch einmal so blödsinnig?« »Ja«, sagte Ravic. Sie spielten ungefähr eine Stunde. Dann sah Morosow auf. »Da kommt Charles«, sagte er. »Er will scheinbar etwas von dir.« Ravic sah auf. Der Bursche aus der Conciergenloge kam heran. Er hatte ein kleines Paket in der Hand. »Dies hier ist für Sie abgegeben worden.« »Für mich?« Ravic betrachtete das Paket. Es war klein, in weißes Seidenpapier gewickelt und verschnürt. Eine Adresse stand nicht drauf. »Ich erwarte keine Pakete. Muß ein Irrtum sein. Wer hat es gebracht?« »Eine Frau... eine Dame...«, stotterte der Bursche. »Eine Frau oder eine Dame?« fragte Morosow. »So... so dazwischen.« Morosow schmunzelte. »Ziemlich scharfsinnig.« »Es steht kein Name darauf. Hat sie gesagt, es sei für mich?« »Das nicht gerade. Nicht Ihren Namen. Sie hat gesagt, für den Arzt, der hier wohnt. Und... Sie kennen die Dame.« »Hat sie das gesagt?« »Nein«, platzte der Bursche heraus. »Aber sie kam doch neulich nachts mit Ihnen.« »Es kommen ab und zu Damen mit mir, Charles. Aber du solltest wissen, daß Diskretion die erste Tugend eines Hotelangestellten ist. Indiskretion ist für die Kavaliere der großen Welt.« »Mach das Paket auf, Ravic«, sagte Morosow. »Selbst wenn es nicht für dich ist. Wir haben schon Schlimmeres angestellt in unserem bedauernswürdigen Leben.« Ravic lachte und öffnete es. Er wickelte einen kleinen Gegenstand aus. Es war die hölzerne Madonna, die er im Zimmer der Frau — er dachte nach — wie hieß sie doch? Madeleine- Mad-, er hatte es vergessen. Irgend so ein ähnlicher Name. Er sah in dem Seidenpapier nach. Es war kein Zettel dabei. »Gut«, sagte er zu dem Burschen. »Es stimmt.« Er stellte die Figur auf den Tisch. Sie stand sonderbar fremd zwischen den Schachfiguren. »Russin?« fragte Morosow. »Nein. Hatte ich anfangs auch gedacht.« Ravic sah, daß das Lippenrot abgewaschen war. »Was soll ich nur damit machen?« »Stelle es irgendwo hin. Man kann vieles irgendwo hinstellen. Es gibt für alles genug Platz in der Welt. Nur nicht für Menschen.« »Sie werden den Mann beerdigt haben.« »Ist es die?« »Ja.« »Hast du dich noch einmal um sie gekümmert?« »Nein.« »Sonderbar«, sagte Morosow, »daß wir immer glauben, etwas getan zu haben, und dann aufhören, wenn es für den anderen am schwierigsten wird.« »Ich bin kein Wohltätigkeitsinstitut, Boris. Und ich habe schon Schlimmeres gesehen als das und nichts getan. Warum soll es für sie jetzt schwieriger sein?« »Weil sie jetzt erst wirklich allein ist. Bisher war der Mann immer noch da, auch wenn er tot war. Er war über der Erde. Jetzt ist er unter der Erde — fort, nicht mehr da. Das da« — Morosow zeigte auf die Madonna — »ist kein Dank. Es ist ein Hilferuf.« »Ich habe mit ihr geschlafen«, sagte Ravic, »ohne zu wissen, was los war. Ich will das vergessen.« »Unsinn! So was ist das Unwichtigste von der Welt, solange es keine Liebe ist. Ich kannte eine Frau, die sagte, es sei leichter, mit einem Mann zu schlafen, als ihn beim Vornamen zu nennen.« Morosow beugte sich vor. Sein großer, kahler Schädel spiegelte sich im Licht. »Ich will dir etwas sagen, Ravic, wir sollen freundlich sein, wenn wir es können und solange wir es können — denn wir werden in unserem Leben noch einige sogenannte Verbrechen begehen. Ich wenigstens. Und du wohl auch.« »Ja.« Morosow legte seinen Arm um den Kübel der dürftigen Palme. Sie schwankte leicht. »Leben heißt, von andern leben. Wir fressen alle voneinander. So ein bißchen Flimmern von Güte ab und zu — das soll man sich nicht nehmen lassen. Es stärkt, wenn man schwierig lebt.« »Gut. Ich werde morgen mal nachfragen bei ihr.« »Schön«, sagte Morosow. »Das war es, was ich meinte. Und nun laß das viele Reden. Wer hat Weiß?« |
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