"Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

VIII Verfolgungsjagd

Leutnant Charles Palliser ging mit langen Schritten zum Kompaß der Heloise und schaute dann zum Wimpel an der Mastspitze hinauf.

Wie um seine Befürchtungen zu bekräftigen, sagte Slade, der amtierende Master:»Der Wind hat etwas gekrimpt und flaut außerdem ab.»

Bolitho beobachtete Pallisers Reaktion und verglich sie mit der von Dumaresq. Ihr Kommandant lag mit der Destiny noch in Rio und beschäftigte sich zum Schein mit Routineangelegenheiten; so hatte er sogar zwei Matrosen zur Beförderungszeremonie vor versammelter Mannschaft auf dem Achterdeck empfangen. Den meisten Leuten der Besatzung war es völlig gleichgültig, ob die Trinkwasserprähme kamen oder ihr Kommandant vom Vizekönig empfangen wurde. Doch Bolitho wußte, was in Dumaresqs Überlegungen an vorderster Stelle stand: Egmonts Weigerung nachzugeben und seine plötzliche Abreise mit der Brigg Rosario. Ohne Egmonts Mitwirkung hatte Dumaresq keine andere Wahl, als weitere Weisungen von vorgesetzter Stelle abzuwarten. Inzwischen mußte sich die heiße Spur zu Garrick verlieren.

Slade hatte beobachtet, daß die Brigg auf Nordnordost-Kurs gegangen war. Egmont versuchte also, an der Küste entlang in die Karibik zu segeln. Auf einem solch kleinen Handelsschiff konnte es für seine junge Frau sicher recht ungemütlich werden.

Palliser kam zu Bolitho herüber. Auf dem beengten Deck der Brigantine wirkte er wie ein Riese, war jedoch ungewöhnlich zufrieden, stellte Bolitho fest. Palliser konnte hier als sein eigener Herr handeln, wie es ihm richtig schien. Immer vorausgesetzt, daß er die Fühlung zur Rosario nicht verlor. Aber da der Wind nun so rapide nachließ, bestand immerhin die Gefahr.

«Sie erwarten nicht, daß sie verfolgt werden. Das ist unser einziger Vorteil. «Palliser schaute beunruhigt auf, als die Breitfock kraftlos hin- und herflappte, weil der Wind sie nicht mehr füllte. Jetzt fiel auch kein Schatten mehr auf die an Deck schwitzenden Männer.»Verdammt!«Dann:»Mr. Slade behauptet, die Brigg würde unter Land bleiben. Wenn der Wind nicht umschlägt, kann er recht behalten. Wir laufen daher weiter auf diesem Kurs. Wechseln Sie die Ausguckposten so oft, wie Sie es für erforderlich halten, und lassen Sie alle Waffen an Bord überholen. «Er verschränkte die Hände auf dem Rücken.»Strengen Sie die Leute nicht zu sehr an!«Er sah Bolithos Überraschung und beantwortete sie mit leichtem Lächeln.»Sie werden bald zu den Riemen greifen müssen. Ich beabsichtige, die Heloise von ihren Beibooten schleppen zu lassen. Da werden die Männer noch alle Kraft brauchen.»

Bolitho tippte an seinen Hut und ging nach vorn. Das hätte er sich denken können. Aber er mußte sich eingestehen, daß er Pallisers Entscheidung bewunderte. Der Mann dachte an alles.

Er sah Jury und Midshipman Ingrave am Fockmast auf ihn warten.

Jury wirkte sehr ernst, während Ingrave, der ein Jahr älter war, kaum seine Freude darüber verbergen konnte, daß er vom Posten des stellvertretenden Schreibers beim Kommandanten abgelöst war.

Hinter ihnen entdeckte Bolitho unter den in aller Eile ausgewählten Leuten weitere Bekannte: Josh Little, den Feuerwerksmaat, dessen Bauch fett wie eh und je über den Hosengurt hing; Ellis Pearse, der Bootsmannsmaat, ein Mann mit buschigen Augenbrauen, der die gleiche Genugtuung über Murrays Flucht verraten hatte wie Bolitho. Pearses Aufgabe wäre es gewesen, Murray — den er immer gemocht hatte — auszupeitschen. Und selbstverständlich war auch Stockdale dabei. Er stand da, die kräftigen Arme vor der Brust verschränkt, und musterte das Deck der Brigantine. Vielleicht erinnerte er sich an den wilden, verzweifelten Kampf, den Bolitho mit dem jetzt toten Kapitän des Schiffes ausgetragen hatte. Da war auch Dutchy Vorbink, ein Holländer vom Vortoppp, der den geregelten und bezahlten Dienst bei der Ostindischen Handelsgesellschaft einem Kriegsschiff zuliebe verlassen hatte. Er sprach schlecht englisch und auch das nur, wenn er Lust hatte. So kannte bisher noch niemand den Grund, warum er sich freiwillig zur britischen Marine gemeldet hatte.

Es gab noch andere Gesichter, die Bolitho inzwischen vertraut waren, einige grob und seelenlos, andere aggressiv. Die Leute stritten sich gern mit ihren Kameraden, solidarisierten sich aber ebenso schnell wieder, wenn ein Angriff von dritter Seite kam.

Bolitho sagte:»Mr. Spillane, inspizieren Sie die Waffenkiste und machen Sie eine Bestandsliste. Mr. Little, Sie sollten sich die Pulverkammer anschauen. «Er warf einen Blick auf ihre wenigen Drehbassen, von denen zwei sogar noch von der Destiny stammten.»Etwas wenig für einen Krieg.»

Das brachte ihm einige Lacher ein; Stockdale murmelte:»Unten sind immer noch ein paar Gefangene eingeschlossen, Sir.»

Bolitho sah Little an. Er hatte ganz vergessen, daß es ja noch die Originalbesatzung der Heloise gab. Wer nicht getötet oder verwundet worden war, war unten eingesperrt. An sich waren sie dort gut verwahrt, aber wenn es zum Kampf kam, mußten sie bewacht werden.

Little grinste mit seinen lückenreichen Zähnen.»Für die ist gesorgt, Sir. Ich habe Olsson als Posten eingeteilt, vor ihm haben sie solche Angst, daß sie ihn bestimmt nicht angreifen.»

Bolitho stimmte ihm zu. Olsson war Schwede und — wie es hieß — halb verrückt. Seine Augen, die wie blaues Milchglas aussahen, bestätigten das. Aber er war ein guter Seemann, der Segel reffen, das Ruder bedienen und jede andere Handarbeit erledigen konnte. Nur — als sie diese Brigantine geentert hatten, war es Bolitho kalt über den Rücken gelaufen, als Olsson sich mit schrillen Schreien und dem Beil einen Weg durch seine Gegner bahnte.

Er zwang sich zu einem Lächeln.»Bei dem würde auch ich es mir zweimal überlegen.»

Pearse brummte, als die Segel immer wieder schlaff gegen Tauwerk und Rahen schlugen.»Weg ist er, der verdammte Wind!»

Bolitho beugte sich über das Schanzkleid und schaute ins tiefblaue Wasser. Er sah weit vor dem Bug leichte Kräuselspuren wie von einem Fischschwarm, mit denen sich der letzte Windhauch verabschiedete.

Die Brigantine hob und senkte sich in der Dünung, Blöcke und Segel quietschten in gemeinsamem Protest, als der Segeldruck ausblieb.

«In die Boote!«Palliser stand neben den Rudergängern.

Nackte Füße trappelten über die vor Hitze weichen Decksfugen, als die Besatzungen von Bord hasteten und das Beiboot der Heloise und den Kutter der Destiny, die sie am Heck nachgezogen hatten, bemannten.

Es dauerte eine gewisse Zeit, bis die Schleppleinen klariert und von der Back an die Boote hinuntergereicht waren. Dann endlich begann das mühsame, langwierige Pullern, ohne daß das Schiff dadurch viel Fahrt machte. Aber es bewirkte wenigstens, daß die Heloise nicht völlig steuerlos herumdümpelte und gleich auf dem richtigen Kurs liegen würde, wenn wieder Wind aufkam.

Bolitho stand über dem Backbordanker und beobachtete die Schleppleinen, die abwechselnd steifkamen und dann wieder bis unter die glitzernde Wasseroberfläche durchhingen, je nachdem, wie die Ruderer sich einsetzten.

Little schüttelte den Kopf,»Mr. Jury taugt für so etwas nicht, Sir. Er müßte seine Crew mit der Peitsche antreiben.»

Bolitho sah den Unterschied zwischen den beiden schleppenden Booten. Jurys Boot schlingerte heftig, und nur einige Ruderblätter tauchten ins Wasser. Das andere Boot unter Midshipman Ingraves Kommando hatte mehr Erfolg, und Bolitho wußte, warum. Ingrave war kein Leuteschinder, wußte aber, daß seine Vorgesetzten ihn von der Brigantine aus beobachteten. Er schwang ein Tauende und ließ es auf die Rücken jener Leute niedersausen, die sich nicht gehörig in die Riemen legten.

Bolitho ging nach achtern und meldete Palliser:»Ich werde die Bootsbesatzungen in einer Stunde ablösen, Sir.»

«Gut. «Palliser beobachtete abwechselnd Segel und Kompaß.»Wir haben wenigstens wieder Ruderwirkung. Aber das verdanken wir nicht dem Boot an Backbord.»

Bolitho sagte nichts. Er wußte nur zu gut, was es für einen Mids-hipman bedeutete, plötzlich vor eine solch unpopuläre Aufgabe gestellt zu sein. Immerhin ritt Palliser nicht länger auf der Angelegenheit herum. Bolitho dachte daran, wie er selber sich in seine neue Rolle gefügt hatte. Er hatte Palliser nicht gefragt, ob er die Bootsmannschaften ablösen lassen sollte, sondern hatte ihm seine Absicht einfach gemeldet, und der Erste Offizier hatte sie ohne Gegenfrage akzeptiert. Palliser war genauso klug wie Dumaresq. Jeder verstand es auf seine Weise, das Nötige aus seinen Untergebenen herauszuholen.

Die unbarmherzige Plackerei ging den ganzen Tag weiter, weil auch nicht die kleinste Brise aufkam, um die Segel zu füllen. Sie hingen schlaff und nutzlos von den Rahen, so schlapp wie die Männer, die nach der Ablösung aus den Booten taumelten. Sie waren so erschöpft, daß sie gerade noch eine doppelte Ration Wein, den Slade in der Last entdeckt hatte, herunterstürzen konnten, bevor sie wie tot hinfielen und einschliefen.

Achtern in der Kajüte, die zwar klein war, aber ausreichend, wenn man sie mit den übrigen Räumen unter Deck verglich, versuchten die abgelösten Kadetten und ihre Offiziere, der Hitze und dem gefährlichen Durst zu entfliehen. Während Palliser schlief und Slade die Wache hatte, saß Bolitho an dem kleinen Tisch und versuchte, wach zu bleiben, obwohl sein Kopf immer wieder auf die Tischplatte zu sinken drohte. Im gegenüber starrte Jury ins Leere, die Lippen von der Sonnenglut aufgesprungen. Ingrave saß wieder in einem der Boote, doch sein Eifer wirkte sich auf Jury eher lähmend aus.

Bolitho fragte:»Wie fühlen Sie sich?»

Jury grinste schmerzlich.»Scheußlich, Sir. «Er versuchte, sich gerade aufzurichten, und zupfte sich sein durchschwitztes Hemd von der Brust.

Bolitho schob ihm eine Flasche zu.»Trinken Sie. «Er sah, daß der Junge zögerte.»Ich kann Ihren Job im Boot übernehmen, wenn Sie wollen. Das ist immer noch besser, als hier zu sitzen und zu warten.»

Der Junge goß sich ein Glas Wein ein.»Nein, Sir, aber vielen Dank. Ich gehe, wenn man mich ruft.»

Bolitho lächelte. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, Stockdale mit dem Kadetten ins Boot zu schicken. Sein Anblick würde Faulheit und Ungehorsam sofort unterbinden. Aber Jury hatte recht. Es ihm leichtzumachen, obwohl er doch Selbstvertrauen nur durch Erfahrung gewinnen konnte, hätte ihm für seine weitere Laufbahn höchstens geschadet.

«Ich — hm — ich denke gerade nach, Sir. «Jury schaute sich vorsichtig um.»Über Murray. Glauben Sie, daß er durchkommt?»

Bolitho dachte darüber nach; schon das war eine Anstrengung.»Kann sein. Vorausgesetzt, er hält sich von der See fern. Ich kannte Leute, die aus der Marine desertiert waren und unter einem anderen Namen auf einem anderen Schiff Unterschlupf fanden. Aber das kann gefährlich werden. Die Marine ist wie eine große Familie:

Immer ist jemand da, der sich an ein Gesicht erinnert. «Er dachte an Dumaresq und Egmont, miteinander verbunden durch Dumaresqs Vater, genau wie er jetzt mit ihnen verbunden war, was sie auch unternahmen.

Jury sagte:»Ich denke oft über Murray nach und über das, was hier geschah. «Er blickte zu den niedrigen Decksbalken hoch, als erwarte er, das Geklirr aufeinandertreffenden Stahls und den verzweifelten Tanz von Männern zu hören, die einander vor dem tödlichen Stoß umkreisten. Dann sah er Bolitho an.»Tut mir leid, Sir. Sie haben mir geraten, nicht mehr daran zu denken.»

Eine Pfeife schrillte, und eine Stimme schrie:»Ablösung für die Boote antreten! Lebhaft, Leute!»

Jury stand auf, sein blondes Haar streifte die Decke.

Bolitho sagte ruhig:»Mir hat man fast das gleiche geraten, als ich auf die Destiny kam. Und ich habe genau wie Sie noch immer die gleichen Schwierigkeiten mit dem Vergessen.»

Er blieb am Tisch sitzen, lauschte auf die Boote, die längsseits kamen, das Klappern der Riemen, als die Besatzungen bei der Ablösung darüber hinwegkletterten.

Die Tür ging auf. Palliser, tief gebückt wie einer der erschöpften Matrosen, tastete nach einem Sessel und ließ sich erleichtert nieder. Sie hörten beide, wie die Boote von der Bordwand absetzten und das Rudergeschirr der Brigantine unter ihnen auf das neu einsetzende Schleppen reagierte.

Dann sagte Palliser nüchtern:»Mir scheint, daß ich diese verteufelte Brigg verliere. Nachdem ich immerhin so weit gekommen bin, wird mir nun das Heft aus der Hand geschlagen.»

Bolitho konnte Pallisers Enttäuschung wie einen körperlichen Schmerz mitempfinden: die Tatsache, daß dieser seine Verzweiflung nicht verbarg, machte die Sache doppelt schlimm.

Er schob Flasche und Glas über den Tisch.»Warum trinken Sie nicht einen Schluck, Sir?»

Palliser fuhr aus seinen Gedanken hoch, und seine Augen leuchteten kurz auf. Matt lächelnd nahm er das Glas und goß den Wein achtlos ein, bis er über den Rand lief.»Ja, warum eigentlich nicht?»

Während die Sonne sich langsam dem Horizont näherte, saßen die beiden Offiziere einander schweigend gegenüber. Gelegentlich nahmen sie einen Schluck Wein, der inzwischen warm wie frisch gemolkene Milch geworden war.

Schließlich zog Bolitho seine Uhr heraus.»Noch eine Stunde im Schlepp, dann sollten wir alles für die Nacht festzurren, Sir.»

Palliser war tief in Gedanken gewesen, es dauerte einige Sekunden, ehe er antwortete:»Wir können nichts anderes tun.»

Bolitho war über die Veränderung in Palliser betroffen, aber er wußte, daß ihre augenblickliche Vertrautheit erschüttert worden wäre, wenn er den Versuch gemacht hätte, ihn aufzuheitern.

Vom Hauptdeck näherten sich Schritte, und Littles großer Kopf schaute herein.»Verzeihung, Sir, aber Mr. Slade hört Kanonendonner in nördlicher Richtung!»

Eine leere Flasche fiel zu Boden, rollte vor die Füße der Offiziere und dann gegen die Bordwand, als der Kajütboden sich plötzlich schräglegte.

Palliser starrte auf die Flasche. Er saß immer noch, aber sein Kopf berührte fast den Decksbalken über ihm.

«Wind!«rief er schließlich.»Verdammter, wunderbarer Wind!«Er hangelte sich zur Tür.»Und nicht einen Augenblick zu früh!»

Bolitho fühlte, wie das Schiff zitterte, als erwache es aus tiefem Schlaf. Dann eilte er mit einem Sprung hinter dem langen Palliser her und schrie vor Schmerz auf, als sein Schädel Bekanntschaft mit einem vorstehenden Bolzen machte.

An Deck schauten die Männer ungläubig auf die große Breitfock, die sich unter ihrer Rah mit lautem Knall füllte.

Palliser schrie:»Ruft die Boote zurück! Klar zum Abfallen!«Er schaute abwechselnd auf den Kompaß und auf den Wimpel im Masttopp, der vor den ersten Sternen gerade noch zu erkennen war.

Slade meldete:»Der Wind hat gedreht, Sir, kommt jetzt aus Südwest.»

Palliser rieb sich das Kinn.»Kanonendonner, sagten Sie?»

Slade nickte.»Unzweifelhaft. Kleines Kaliber vermutlich.»

«Gut. Sobald die Boote festgemacht sind, nehmen wir Fahrt über Steuerbordbug auf und steuern Nordwest zu Nord. «Er trat beiseite, als die Männer durch die länger werdenden Schatten auf ihre Stationen rannten.

Bolitho testete sein neues Verhältnis zum Ersten Offizier.»Wollen Sie nicht auf die Destiny warten, Sir?»

Palliser hob Schweigen gebietend die Hand. Beide hörten jetzt gedämpft Kanonendonner. Dann sagte er entschlossen:»Nein, Mr. Bo-litho, das will ich nicht. Selbst wenn unser Kommandant gut aus dem Hafen gekommen ist und günstigeren Wind angetroffen hat als wir, wird er es mir nicht danken, wenn ich zulasse, daß die Beweise, die er so dringend braucht, vernichtet werden.»

Pearse rief:»Boote achtern festgemacht, Sir!»

«An die Schoten und Brassen! Abfallen!»

Eine Bö zischte über das Wasser heran, warf sich mit Kraft in die Segel und schob die Brigantine so heftig voran, daß sich weißer Gischt über ihren Vorsteven ergoß.

Palliser befahl:»Verdunkeln Sie das Schiff, Pearse! Ich möchte, daß nichts unsere Gegenwart verrät.»

Slade sagte:»Das Gefecht kann noch vor Morgengrauen vorbei sein, Sir.»

Aber Palliser fuhr ihn an:»Unsinn! Das Schiff, das wir verfolgen, wird angegriffen, wahrscheinlich von Seeräubern. Die werden in der Dunkelheit nicht eine Kollision riskieren. «Er wandte sich nach Bo-litho um.»Im Gegensatz zu uns, wie?»

Little schüttelte den Kopf und atmete geräuschvoll aus. Bolitho roch Alkohol in dem Luftzug, der so stark war, als käme er aus einer offenen Kellertür.

«Tja, Mr. Bolitho, nun ist er endlich wieder zufrieden.»

Bolitho dachte plötzlich an ihr Gesicht auf dem Schiff, das jetzt angegriffen wurde.»Bitten Sie Gott, daß wir noch rechtzeitig kommen.»

Little, der ihn nicht verstand, schlenderte für ein neues Schlück-chen zu seinem Freund Pearse. Der neue Dritte Offizier war also genauso scharf auf Prisengeld wie der Kommandant, dachte er. Immerhin ein Vorteil für sie alle.

Palliser marschierte auf dem Achterdeck auf und ab wie ein eingesperrtes Raubtier.

«Nehmen Sie Segel weg, Mr. Bolitho, und zwar Bram- und Stagsegeln zuerst. Etwas munter, bitte!»

Männer bahnten sich ihren Weg zu Fallen und Belegnägeln, während andere flink die Webeleinen hinaufkletterten und auf der Bram-rah auslegten.

Bolitho staunte immer wieder, wie schnell die Matrosen sich auf einem fremden Schiff selbst bei Dunkelheit zurechtfanden. Bald würde der Morgen dämmern, aber er spürte noch die Anstrengungen des vergangenen Tages und die vielen schlaflosen Stunden, die an seiner Widerstandskraft zerrten. Palliser hatte die kleine Besatzung über Nacht in Trab gehalten: mit Kursänderungen, Segelmanövern und neuen Versuchen, den Standort der anderen Schiffe zu peilen und anzusteuern. Mehr als einmal hatten sie kurzes Kanonenfeuer gehört, doch Palliser meinte, es deute mehr auf Verhinderung eines Fluchtversuches als auf ein Nachtgefecht hin. Eines aber ging klar aus dem gelegentlichen Kanonendonner hervor: Da vorn waren mindestens drei Schiffe. Zwei davon umkreisten offenbar das dritte wie Wölfe ein verwundetes Stück Wild und warteten darauf, daß es einen verhängnisvollen Fehler machte.

Little rief:»Alle Kanonen geladen, Sir!»

«Sehr gut!«Mit geringerer Lautstärke fügte Palliser für Bolitho hinzu:»Alle Kanonen? Ein paar Drehbassen und gerade genug Kartuschen, um einen Schwarm Krähen zu verjagen!»

Midshipman Ingrave fragte:»Erlaubnis, die Flagge zu setzen, Sir?»

Palliser nickte.»Ja. Dies ist zur Zeit ein Schiff des Königs. Und es besteht wenig Aussicht, daß wir noch ein zweites treffen.»

Bolitho erinnerte sich an einige Gesprächsfetzen, die er während der Nacht aufgeschnappt hatte. Es gab Leute, welche die Aussicht beunruhigte, mit Piraten bei solch kläglicher eigener Bewaffnung ins Gefecht zu kommen.

Bolitho warf einen schnellen Blick nach Steuerbord. Hellte sich der Horizont dort schon leicht auf? Sie hatten einen guten Ausguck im Mastkorb, und er war ihre einzige Hoffnung, das andere Schiff zu überraschen. Denn es war kaum anzunehmen, daß Seeräuber, die kurz davor standen, ein Handelsschiff zu kapern, sich die Mühe machten, auch in andere Richtungen Ausschau zu halten.

Er hörte Slade Palliser etwas zuflüstern. Slade war einer von denen, die sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung nicht gerade freuten.

Palliser sagte zornig:»Achten Sie auf den Kurs, und halten Sie sich für ein Segelmanöver bereit, wenn wir auf den Feind stoßen. Den Rest überlassen Sie mir, verstanden?»

Bolitho fühlte, daß seine Glieder zitterten.»Der Feind«… Palliser zweifelte also nicht daran.

Stockdale trat aus dem Dunkel hervor. Seine kräftige Gestalt war gegen das Deck geneigt, das durch den Wind in Schräglage gehalten wurde.

«Die Schurken schießen mit Kettenkugeln,[8] Sir. Als ich oben war, habe ich es zwei- oder dreimal gehört.»

Bolitho biß sich auf die Lippen. Sie wollten also die Rosario entmasten, um sie dann mit geringerem Risiko zur Übergabe zu zwingen. Wenn sie erkannten, daß die Heloise auf sie zuhielt, würde ihnen das einen Schock versetzen, aber sicher nur für einen Augenblick.

Er sagte:»Vielleicht eilt die Destiny schon hinter uns her.»

«Mag sein.»

Bolitho wandte sich Jury zu, der an ihn herantrat. Stockdale glaubte also nicht an das rechtzeitige Auftauchen des Mutterschiffs, jedenfalls nicht mehr als er selber.

Jury fragte:»Dauert es noch lange, Sir?»

«Es wird schnell heller. Wir müßten ihre Marssegel oder die obersten Stengen jeden Augenblick sichten. Wenn eines der Schiffe wieder feuert, können wir den Standort peilen.»

Jury beobachtete ihn im Dämmerlicht.»Beunruhigt es Sie gar nicht,

Sir?»

Bolitho zuckte die Schultern.»Noch nicht. Vielleicht später. Wir tun unsere Pflicht, darauf kommt es an. «Er legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter.»Merken Sie sich eines: Mr. Palliser hat für diese Aufgabe sehr erfahrene Leute ausgesucht. Nur seine Offiziere sind noch ziemlich jung. «Jury nickte.»Also reißen Sie sich zusammen, und bleiben Sie, wo man Sie sehen kann. Die Wundertaten überlassen Sie Mr. Palliser.»

Jury lächelte, zuckte aber zusammen, als seine aufgesprungenen Lippen ihn an die Schinderei vom Vortag erinnerte.»Ich werde in Ihrer Nähe bleiben.»

Stockdale kicherte.»Verzeihung, junger Herr, aber kommen Sie mir dabei nicht in die Quere. «Er schwang sein langes Entermesser durch die Luft.»Ich möchte nicht, daß Sie den Kopf einbüßen.»

Palliser rief:»Klar zum Bergen der Breitfock! Aber leise!»

Der Bootsmannsmaat zeigte nach Steuerbord.»Morgendämmerung,

Sir.»

Palliser fuhr ihn an:»Verdammt noch mal, Pearse, wir sind weder blind, noch schwerhörig.»

Pearse grinste hinter Pallisers Rücken, war aber sehr darauf bedacht, daß dieser ihn nicht dabei ertappte.

«An Deck! Segel an Steuerbord voraus! Und noch eins an Backbord!»

Palliser klatschte in die Hände.»Wir haben's geschafft! Verflucht, wir haben sie!»

In diesem Augenblick feuerte drüben ein Geschütz und warf einen orangefarbenen Lichtblitz auf das dunkle Wasser.

Slade sagte beklommen:»Drittes Schiff in Luv, Sir!»

Bolitho packte seinen Säbel und drückte die Scheide gegen seine Hüfte, um sich zu beruhigen. Also drei Schiffe, und das in der Mitte war zweifellos die Rosario. Ihre beiden Angreifer hielten etwas ab und bildeten mit ihr ein großes Dreieck. Er hörte ein Pfeifen über sich und dann einen Krach wie von splitterndem Holz. In der Dunkelheit sah er Gischt querab aufspritzen, als Teile von Stengen und Tauwerk aufs Wasser schlugen.

Stockdale nickte.»Kettenkugeln, wie ich schon sagte. Die Banditen!»

«Geschütze, Achtung! Zündet die Lunten!»

Jetzt bestand keine Notwendigkeit mehr, heimlich zu tun. Bolitho hörte einen schrillen Pfiff vom nächststehenden Schiff und dann den Knall einer abgefeuerten Pistole. Sie war entweder aus Versehen losgegangen oder sollte die Gefährten warnen.

Die Matrosen der Heloise starrten mit schußbereiten Musketen, die Entermesser und Enterhaken in greifbarer Nähe, nach vorn in die Dunkelheit.

«Gei auf die Breitfock!»

Männer rannten, den Befehl auszuführen; als das große Segel zur Rah aufgeholt war, enthüllte es wie ein Theatervorhang die im zunehmenden Licht hinter ihren leichten Kanonen kauernden Matrosen.

Es folgte eine Reihe von Schüssen, und Bolitho hörte über sich das Kreischen einer Kettenkugel, das ihm wie Geschrei gequälter Seelen vorkam.

Little sagte durch die Zähne:»Zu hoch — Gott sei Dank.»

Das tödliche Kettengeschoß klatschte weit achteraus mit einer Gischtfontäne ins Wasser, aber genau in Verlängerung ihrer beiden Masten.

«Anluven!«Palliser hatte ein Backstag gepackt und studierte den Umriß des Gegners.»So hoch an den Wind wie möglich!«»An die Schoten, Halsen und Brassen!»

Die Brigantine luvte an, bis die verbliebenen Segel protestierend zu killen begannen.»Kurs Nordwest zu West. Voll und bei!»

Das andere Schiff feuerte wieder, und eine Kugel schlug zwanzig Fuß vor dem Bug der Heloise ein; sie warf Spritzwasser hoch über ihre Back.

Dann begann die ernsthafte Beschießung, aber die Kugeln lagen zu weit und ungenau, weil die feindlichen Geschützbedienungen erst zu erraten versuchten, was das Manöver des Neuankömmlings bedeutete.

Eine weitere Kugel durchschlug das Besansegel und hinterließ ein Loch, groß genug, um den Kopf hindurchzustecken.

Palliser explodierte:»Diese idiotische Brigg schießt auf uns!»

Little grinste.»Hält uns wohl auch für Piraten.»

«Ich werde ihnen Piraten geben!«Palliser zeigte auf das Schiff, das an Backbord aus der Dunkelheit auftauchte und seine Silhouette verkürzte, als es Kurs änderte, um die intervenierende Heloise zurückzuschlagen.

«Zuerst auf den Schoner!»


Little legte die Hände um den Mund.»In der Aufwärtsbewegung,[9] Jungs — klar zum Feuern!»

Einige Leute waren noch dabei, eine Drehbasse auf die höher liegende Luvseite zu schleppen, und schimpften auf Little, er solle ihnen mehr Zeit lassen.

Aber Little verstand sein Handwerk.

«Ruhig, Jungs!«Es klang, als spräche ein Dompteur mit seinen Raubkatzen. »Feuer!»

Die Lunten flogen wie Glühwürmchen nach unten, und die Drehbassen bellten giftig das auf sie zukommende Schiff an. Ein mörderischer Hagel aus dicht gestopfter Kartätsche ergoß sich über das gegnerische Vorschiff, und Bolitho meinte, vielstimmiges Geschrei zu hören, als die Ladung drüben einschlug.

«Klar zur Wende!«Pallisers Stimme drang auch ohne Megaphon durch.»An die Brassen, Schoten und Halsen!»

Palliser hangelte sich auf dem schräg liegenden Deck zu Slade am Ruder hinunter.»Wir nehmen einen neuen Anlauf. Legen Sie Ruder.»

Stark überliegend, bis die Matrosen die Rahen rundgeholt hatten, lief die Brigantine nach Lee ab. Das zweite Schiff schien unter ihrem Klüverbaum vorbeizuwandern, bis es an Backbord querab lag und der angreifenden Heloise sein Heck zeigte.

Palliser schrie:»Schießen Sie auf das Achterschiff, Little!«Er drehte sich abrupt zu Slade und seinen keuchenden Rudergängern um.»Stütz! Stützruder, Idiot!»

Bolitho fand Zeit, Slade zu bedauern. Die Heloise brauste auf das Heck des anderen Schiffes zu, als wolle sie wie ein Beil hineinfahren.

«Feuer!»

Die Decks beider Schiffe wurden blitzartig hell, als ihre Kanonen orangefarbene Zungen vorstreckten, denen kurz darauf der Krach einschlagenden Eisens folgte. Die Kartätschenladungen der Heloise mußten das Achterschiff des Gegners leergefegt haben. Rudergänger und Geschützbedienungen fanden keine Deckung vor der flach kommenden Ladung dicht gepackter Eisenstücke. Das Schiff begann, aus dem Ruder zu laufen, und wurde erneut von Littles Drehbassen beharkt.

«Breitfock setzen!«Pallisers Augen waren überall.

Bolitho sah ihn jetzt deutlich auf dem Achterdeck, seine drahtige Gestalt hob sich wie ein Racheengel vom heller werdenden Hintergrund ab.

«Feuer!»

Weitere Kugeln sausten über sie hinweg, und Bolitho bemerkte, daß das erste Schiff offenbar Mut gefaßt hatte und herankam, um seinem Gefährten zu helfen.

Zum erstenmal sah er jetzt auch klar die Rosario, und bei dem Anblick tat ihm das Herz weh. Ihr vorderer Mast war völlig verschwunden, und vom Großmast stand nur noch die Hälfte. Trümmer und heruntergefallene Takelage trieben um ihren Rumpf, und als die Sonne über den Horizont stieg, sah Bolitho, daß dünne rote Rinnsale aus den Speigatten flossen. Es schien, als blute das Schiff selbst.

«Klar zur Halse!»

Bolitho gab einem Matrosen einen Stoß und schrie:»Zu den anderen!«Der Mann machte einen erschrockenen Satz und lief dann eifrig los, um sich mit vollem Gewicht an die Brassen zu hängen. Er hatte wohl geglaubt, es sei heißes Eisen und nicht eine Hand, die ihn stieß.

In dem Augenblick gab es einen fürchterlichen Krach. Bolitho fiel fast auf die Knie, als zwei Volltreffer in die Bordwand der Heloise schlugen. Er bemerkte, daß Ingrave mit weit aufgerissenen Augen und wie gelähmt das nächstliegende Schiff anstarrte.

Er rief:»Gehen Sie nach unten und kümmern Sie sich um die Schäden!«Er lief zu dem Midshipman hinüber, packte ihn am Arm und schüttelte ihn wie eine Puppe. »Los, Mr. Ingrave! Bringen Sie die Pumpen in Gang!»

Ingrave starrte ihn zunächst mit leerem Blick an, dann rannte er mit unerwarteter Entschlußkraft zum Niedergang.

Stockdale riß Bolitho plötzlich respektlos zur Seite, als ein schwerer Block von oben kam und allerlei Tauwerk hinter sich herzog. Der Block prallte aufs Schanzkleid und schlug dann ins Wasser.

Palliser schrie:»Achtung!«Er hatte seinen Degen gezogen.»An die Backbordgeschütze!»

Gegen die relativ leichten Kanonen des Schoners wirkten ihre

Drehbassen zwar harmlos. Aber Bolitho sah, wie ihre Kartätschenladungen das Vorsegel drüben durchsiebten und zwei Männer als blutige Bündel vom Mast fegten, bevor weitere Kugeln ins Unterwasserschiff der Heloise schlugen. Er hörte Holz krachen und Stützbalken zwischen den Decks brechen und wußte, daß sie schwer getroffen waren.

Jemand hatte es geschafft, die Pumpen in Gang zu bringen, doch Bolitho sah zwei Leute stark blutend zusammenbrechen und einen dritten von der Marsrah mühsam herabklettern. Sein eines Bein baumelte kraftlos und wohl nur noch durch einen Muskel gehalten herunter.

Palliser rief:»Kommen Sie nach achtern!«Als Bolitho zu ihm eilte, sagte er:»Es steht nicht gut mit uns. Gehen Sie selber nach unten und melden Sie mir, wie schwer die Schäden sind. «Er zuckte zusammen, als weitere Treffer den bereits schwer mitgenommenen Schiffsrumpf erschütterten. Irgendwo schrie ein Mann verzweifelt:»Wir sinken!»

Bolitho starrte Palliser an. Er hatte recht. Die Beweglichkeit der He-loise war plumper Reaktion auf Wind und Ruder gewichen. Unglaublich, daß sie die Rollen mit der Rosario so plötzlich getauscht hatten. Und nirgends war Hilfe in Sicht. Ihre Feinde würden ihnen keinen leichten Tod gönnen.

Palliser rüttelte ihn auf.»Ich halte auf die Rosario zu. Mit unseren Leuten und ihren Kanonen haben wir noch eine Chance. «Er sah Bolitho ruhig an.»Seien Sie ein braver Junge und gehen Sie nach unten.»

Bolitho eilte zum Niedergang. Mit einem schnellen Blick nahm er die Schäden auf dem zersplitterten Deck und die alten Blutspuren wahr. Hier hatten sie schon einmal gekämpft. War das nicht genug gewesen? Wollte es das Schicksal, daß sie so endeten?

Er rief Jury zu:»Kommen Sie mit!«Er blickte in die Finsternis hinunter. Der Gedanke, dort unten eingeschlossen zu sein, wenn das Schiff unterging, bedrückte ihn. Zögernd sagte er, um seine Besorgnis zu verbergen:»Wir wollen die Schäden gemeinsam feststellen. Denn wenn mir etwas passiert…«Er sah Jury nach Luft schnappen; der hatte also noch nicht an das Ende gedacht.»Wenn mir etwas zustößt, können Sie Mr. Palliser Einzelheiten berichten.»

Unter Deck zündete er eine Laterne an und ging vorneweg, wobei er den gefährlichen Spitzen der gesplitterten Holzbacken auszuweichen versuchte. Die Geräusche vom Oberdeck klangen nur gedämpft herunter, es hörte sich aber bedrohlich an, als das Schiff sich unter den Einschlägen immer wieder aufbäumte und schüttelte.

Die beiden Angreifer standen nun an Backbord und Steuerbord querab von der Heloise und feuerten ohne Rücksicht darauf, daß sie in ihrem Eifer, das kleine Schiff mit der roten Nationalflagge Englands zu vernichten, sich gegenseitig treffen konnten.

Bolitho zog ein Luk auf und sagte:»Ich höre eindringendes Wasser.»

Jury wisperte:»Großer Gott, wir sinken!»

Bolitho legte sich auf den Bauch und hielt die Laterne durch das Luk in den Raum. Er sah nur Chaos. Zerbrochene Fässer und Leinwandfetzen schwammen zwischen zersplitterten Hölzern, und selbst während er noch hinsah, schien das Wasser zu steigen.

Er sagte:»Melden Sie dem Ersten Offizier, daß keine Hoffnung besteht. «Er beruhigte Jury, der furchtsam zusammengezuckt war, weil weitere Kugeln in den Schiffsrumpf schlugen.»Gehen Sie und erinnern Sie sich an das, was ich Ihnen gesagt habe: Alle sehen auf Sie!«Er versuchte zu lächeln, als ob alles nicht so wichtig sei.»In Ordnung?»

Jury wich schrittweise zurück, während sein Blick zwischen Bolitho und dem offenen Luk hin- und herwanderte.»Und was tun Sie?»

Bolitho wandte den Kopf, als ein neuer Laut wie Hammerschläge durch das stark krängende Schiff dröhnte. Einer der Anker hatte sich aus seiner Zurring gerissen und schlug nun bei jedem Überholen der Brigantine gegen die Bordwand. Das würde ihr Ende beschleunigen.

«Ich gehe zu Olsson. Wir müssen die Gefangenen freilassen.»

Endlich war Bolitho allein. Er atmete tief durch und bemühte sich, das Zittern seiner Glieder zu unterdrücken. Dann arbeitete er sich langsam weiter nach achtern, wobei die regelmäßigen Ankerschläge ihm wie Trommelschlag bei einer Hinrichtung folgten.

Eine neue Erschütterung der Bordwand, der unmittelbar lautes Krachen folgte. Einer der Masten — oder Teile davon — kam von oben. Bolitho wappnete sich für den endgültigen Aufprall.

Im nächsten Augenblick lag er ausgestreckt in der Dunkelheit. Die Laterne war seinen Händen entglitten, und obwohl er überhaupt nichts fühlte, konnte er sich nicht an den Augenblick des Falls erinnern.

Er wußte nur, daß er unter einem Trümmerhaufen wie festgenagelt lag und sich nicht bewegen konnte.

Er preßte ein Ohr an eine Lüftungsgräting und hörte das Wasser aus der Bilge in die unteren Räume dringen. Am Rande der Panik begriff er, daß er in Sekunden sinnlos schreiend um sich treten würde.

Viele Gedanken schossen durch sein Gehirn. Er sah seine Mutter, wie sie von ihm Abschied nahm. Sah die See unter dem Vorland von Falmouth, wo er mit seinem Bruder Hugh in einem Fischerboot das erste Abenteuer erlebt hatte, und hörte den Zornausbruch ihres Vaters darüber.

Seine Augen brannten. Doch als er versuchte, die Hand zum Gesicht zu heben, hielten die heruntergefallenen Trümmer sie in einer grausamen Falle fest.

Der Anker schlug nicht mehr gegen die Bordwand, was wohl bedeutete, daß er jetzt schon unter Wasser war.

Bolitho schloß die Augen und wartete. Er stieß ein Stoßgebet aus, daß er vor dem Ende nicht die Nerven verlieren möge.