"Der Stolz der Flotte: Flaggkapitän Bolitho vor der Barbareskenküste" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

VI Im Verband

Erst drei Tage später bekam Bolitho Sir Hugo Draffen wieder zu Gesicht. Er hatte an Bord der Euryalus und auf den anderen Schiffen so viel zu tun gehabt, daß ihm wenig Zeit zum Nachdenken über Draf-fens Abschiedsworte geblieben war.

Die Tatsache, daß er Hugh gekannt hatte, verriet, daß Draffen in Westindien gelebt und gearbeitet hatte oder sogar in Amerika während der Revolution. Sonst wäre es wenig sinnvoll gewe sen, daß er so geheimnisvoll tat. Draffen war der typische Geschäftsmann, einer von denen, die Kolonien gründen halfen, um persönlichen Gewinn daraus zu ziehen. Ein gerissener Kaufmann, der auch, Bolithos Ansicht nach, ziemlich rücksichtslos sein konnte, wenn es sich so ergab.

Vielleicht war Draffens Bemerkung nur ein Eröffnungszug gewesen, um mit Bolitho in persönlicheren Kontakt zu kommen. Wenn sie in den nächsten Wochen und Monaten harmonisch zusammenarbeiten sollten, war das ganz natürlich. Aber seit sein Bruder zum Feind übergelaufen war, hatte Bolitho eine regelrechte Mauer der Vorsicht in seinem Innern aufgebaut und reagierte auf die bloße Erwähnung von Hughs Namen mit krankhafter Empfindlichkeit.

Es gab viel zu tun: Ergänzung der Verpflegungs- und Trinkwasservorräte für die Reise und Übernahme aller Ersatzteile, die man von der

Administration durch Bitten oder Bestechung ergattern konnte. War man erst einmal im Mittelmeer, so hatte man keine Basis mehr und war auf solche Lebensmittel angewiesen, die man erbeutete oder sonstwie beschaffte.

Aus einem weiteren, noch dringlicheren Grunde war Selbstversorgung nötig. Zwei Tage nach dem Ankerwerfen hatte Bolitho eine Korvette in die Bucht kreuzen sehen, die, wie es hieß, Depeschen aus England brachte.

Unverzüglich hatte Broughton ihn kommen lassen und ihm mit grimmigem Gesicht eröffnet:»Die Meuterei in der Nore hat sich ausgeweitet. Fast alle Schiffe sind in den Händen von Delegierten.«Er spie das Wort aus, als sei es Gift.»Sie blockieren die Themse und stellen der Regierung erpresserische Forderungen.»

Broughton war aufgesprungen und ruhelos in der Kajüte umhergegangen wie ein wildes Tier im Käfig.»Und Admiral Duncan sollte Blockade vor der holländischen Küste fahren. Was kann er jetzt noch tun, wenn die meisten seiner Schiffe in den Händen von Aufrührern sind und festliegen?»

«Ich werde die anderen Kommandanten informieren, Sir.»

«Ja, sofort! Die Korvette segelt gleich wieder mit Depeschen nach England zurück; es ist also kaum zu befürchten, daß unsere Leute angesteckt werden. «Etwas langsamer fuhr er fort:»Ich habe in meinem Bericht auch den Verlust der Auriga mit allen Einzelheiten geschildert. Es könnte den Franzosen einfallen, sie zu Spionagezwecken zu benutzen; je eher also unsere Flotte über ihre neue Nationalität Bescheid weiß, um so besser. Wir wissen noch nicht, ob sie die Flagge tatsächlich auf Grund einer Meuterei gestrichen hat. «Dabei hatte er Bolitho nicht angesehen.»Vielleicht waren alle Offiziere schon gefallen oder kampfunfähig, als sie Bord an Bord lagen; so kann die führungslose Mannschaft überwältigt worden sein.»

Aber offensichtlich glaubte er das ebensowenig wie Bolitho. Immerhin blieb genug Raum für Zweifel offen, daß Broughton diese Ausflüchte in seinem Bericht unterbringen konnte. Gerade jetzt konnte die Nachricht, daß ein britisches Schiff zum Feinde übergegangen war, noch mehr (und wenn möglich schlimmere) Unruhen in der Flotte auslösen.

Broughton hatte sich nicht gescheut, immer mehr Arbeit auf Bolitho abzuwälzen, während das Geschwader seeklar gemacht wurde. Die

Nachrichten von der Nore und der Verlust der Auriga hatten ihn merklich beeindruckt. Er zog sich sehr zurück und wirkte, wenn er mit Bolitho allein war, lange nicht so gelassen wie früher. Was er in Spithead mit seinem eigenen Flaggschiff erlebt hatte, schien eine tiefe Narbe in seinem Gemüt hinterlassen zu haben. Er verbrachte viel Zeit an Land, führte Besprechungen mit Draffen und dem Gouverneur, aber er fuhr immer allein und behielt seine Gedanken für sich.

Leutnant Calvert schien außerstande zu sein, seinem Admiral irgend etwas recht zu machen; sein Leben wurde schnell zu einem Alptraum. Er mochte aus sehr guter Familie stammen, war aber anscheinend vollkommen unfähig, auch nur den routinemäßigen Signalverkehr innerhalb des Geschwaders zu begreifen, der offiziell in seinen Händen lag.

Bolitho hatte den Verdacht, daß Broughton seinen Adjutanten als Blitzableiter für die eigene quälende Unsicherheit benutzte. Wenn es seine Absicht war, Calvert ein Hundeleben zu bereiten, so hatte er damit bestimmt Erfolg.

Es war jammervoll anzuhören, wie Midshipman Tothill Calvert wieder und wieder, mit allem Respekt, aber mit Nachdruck, die Einzelheiten der Signalprozedur erklärte; fast noch jammervoller war Calverts offensichtliche Dankbarkeit. Nicht daß es viel genutzt hätte. Es brauchte nur einen von Broughtons plötzlichen Wutausbrüchen, und Calverts geringer Wissensschatz war unwiederbringlich im Winde verweht.

Am Nachmittag des dritten Tages, als Bolitho die Vorbereitungen mit Keverne besprach, meldete der Wachoffizier das Eintreffen der beiden Bombenschiffe, die bereits auf Reede Anker warfen. Kurz danach kam ein Kutter längsseit, und der Bootsführer reichte einen versiegelten Brief an Bolitho herauf. Er war von Draffen und typisch kurz. Bolitho sollte unverzüglich an Bord des Bombenschiffes Hekla kommen, und zwar mit dem Boot, das den Brief gebracht hatte.

Broughton war an Land, also kletterte Bolitho, nachdem er Keverne entsprechend instruiert hatte, in den Kutter, der ihn zur Hekla hinüberbrachte.

Allday sah ihm mit schlecht verhehltem Unmut nach. Daß Bolitho ein anderes Boot als seine Kommandantengig benutzte, paßte ihm sowieso nicht, und als der Kutter von der Euryalus ablegte, überkam ihn plötzliche Angst: Wenn Bolitho irgend etwas zustieß, und er war, wie eben jetzt, allein… was dann? Noch als das Boot hinter dem Heck der Zeus verschwand, starrte er ihm nach, besorgter denn je.

In seiner ganzen Dienstzeit hatte Bolitho noch nie ein Bombenwer-ferschiff gesehen, wenn er auch oft genug von ihnen gehört hatte. Dieser Typ war zweimastig, etwa hundert Fuß lang, mit sehr gedrungenem Rumpf und niederem Schanzkleid. Das Seltsamste war die asymetrische Stellung des Fockmastes: verhältnismäßig weit achtern, so daß das Schiff aussah, als sei es ganz falsch ausbalanciert oder eigentlich ein Dreimaster, dem der richtige Fockmast in Höhe des Decks abgeschossen worden war. Ein Bombenschiff war ungefähr so lang wie eine Korvette, doch ohne deren Eleganz und Beweglichkeit, vielmehr, wie es hieß, teuflisch schwer zu segeln, sobald das Wetter auch nur etwas rauh wurde.

Als das Boot an den Rüsten festmachte, sah Bolitho Draffen allein auf dem winzigen Achterdeck stehen. Er beschattete die Augen mit der Hand und beobachtete, wie Bolitho an Bord kletterte.

Bolitho lüftete den Hut zum Empfangszeremoniell der kleinen Ehrenwache und nickte einem jungen Leutnant zu, der ihn fasziniert anstarrte.

«Kommen Sie herauf, Captain«, rief Draffen,»da haben Sie bessere Übersicht.»

Bolitho ergriff Draffens ausgestreckte Hand. Wie der ganze Mann war auch sie zäh und hart.»Dieser Leutnant da«, sagte er,»ist das der Kommandant?»

«Nein. Den habe ich hinuntergeschickt, kurz bevor Sie an Bord kamen. Tut mir leid, wenn ich damit Ihre altehrwürdigen Zeremonien störe, aber ich brauchte meine Karte aus seiner Kajüte. Schöne Kajüte übrigens — da wohnt mein Hund besser«, grinste Draffen und deutete zum Vorschiff.»Kein Wunder, daß diese Bombenwerfer so komisch gebaut sind. Jede Planke ist doppelt so dick wie bei einem anderen Schiff. Denn Rück- und Vertikalstoß sind bei diesen Dingern so stark, daß sie einen normalen Schiffsrumpf zerreißen würden.»

Bolitho sah genauer hin. Da waren sie, die beiden mächtigen Mörser, mitten auf dem Vorderdeck montiert: kurznasig, schwarz und unglaublich häßlich, und die Mündungen hatten einen imponierenden Durchmesser. Leicht konnte er sich vorstellen, was sie beim Abschuß für einen Druck auf die Planken ausübten.

Das andere Schiff sah ganz ähnlich aus und hieß passenderweise Devastation.[23]

Halb im Selbstgespräch fuhr Draffen fort:»Die Bombenwerfer laufen heute nacht aus, ehe diese Schakale in Algeciras genaueres über sie erfahren.»

Bolitho nickte. Das war vernünftig. Draffen wandte sich ab und beobachtete ein paar Matrosen, die so geschickt in der Takelage her umkletterten wie Spinnen, die ihr Netz bauten. Bolitho warf ihm einen verstohlenen Blick zu.

Der Mann war doch älter, als er gedacht hatte. Näher an Sechzig als an Fünfzig. Das graue Haar kontrastierte scharf mit dem tiefgebräunten Gesicht und dem muskulösen, doch beweglichen Körper.

«Schlechte Nachrichten aus England, Sir«, sagte Bolitho.»Ich weiß es von Sir Lucius.»

«Mancher lernt's eben nie«, sagte Draffen scheinbar gleichgültig in die Luft hinein. Er führte aber nicht näher aus, wie er das meinte.»Was Ihren Bruder betrifft«, wechselte er das Thema,»ich traf mit ihm zusammen, als er dieses Kaperschiff führte. Sie selbst haben ja sein Schiff schließlich vernichtet, wie ich hörte. «Sein Blick verlor etwas an Schärfe.»Ich habe in letzter Zeit eine ganze Menge über Sie gehört, und gerade dieser Streich machte mich neidisch. Ich hoffe, auch ich könnte so etwas fertigbringen, wenn Not am Mann ist. «Und wieder schlug seine Stimmung um.»Ich kann natürlich nicht alles glauben, was ich über Sie gehört habe. So gut kann keiner sein. «Er grinste, weil Bolitho ihn verblüfft ansah, und deutete über seine Schulter.»Was mir zum Beispiel der Kommandant der Hekla da über Sie erzählt hat — also so was habe ich noch nie gehört!»

Bolitho fuhr herum, starr vor Überraschung. Der Mann, auf dessen langem Gesicht sich erst Verwirrung, dann Entzücken malte, war Francis Inch — kein kleiner Leutnant mehr, sondern ein Mann mit der einzelnen Epaulette auf der linken Schulter: Commander Inch, damals bei dem letzten blutigen Gefecht gegen Lequillers Schiffe in der Biskaja Erster Offizier der Hyperion.

Inch kam heran und machte eine ungeschickte Verbeugung.»Ich bin's, Sir — Inch!»

Bolitho nahm Inchs Hand in seine beiden; dabei merkte er erst, wie sehr er ihn vermißt hatte, und was für ein Stück Vergangenheit er ihm bedeutete.

«Ich habe Ihnen ja versprochen, ich würde dafür sorgen, daß Sie ein selbständiges Kommando kriegen. «Doch ansonsten wußte er nicht, was er sagen sollte — da war der über das ganze Gesicht grinsende Draffen, und Inch starrte ihn auf seine altbekannte diensteifrige Art an, die ihn manchmal so nervös gemacht hatte.

«Ich konnte entweder ein Bombenschiff kriegen«, strahlte Inch,»oder ich hätte wieder Erster auf einem Vierundsiebziger werden können, Sir. Aber nach der alten Hyperion hatte ich dazu keine Lust mehr…«Dabei sah er auf einmal ganz traurig aus; doch dann brach sein Grinsen wieder durch.»Jetzt habe ich das hier — «, stolz flog sein Blick über das kleine Schiff — ,»und das!«Damit tippte er auf seine Epaulette.

«Und eine Frau haben Sie jetzt auch?«Von sich aus hätte Inch das wohl nie erwähnt, weil er Bolitho nicht an dessen Verlust erinnern wollte.

«Aye, Sir«, nickte Inch.»Von einem Teil des Prisengeldes, das Sie uns verschafft haben, konnte ich ein bescheidenes Haus in Weymouth kaufen. Ich hoffe, Sie werden uns mal die Ehre geben. «Jetzt wurde er wieder wie früher, unsicher, zerfahren.»Aber Sie werden wohl zu viel zu tun haben, Sir.»

Bolitho faßte seinen Arm.»Es wird mir eine Freude sein, Inch. Schön, Sie wiederzusehen.»

«Also hat ein Seeoffizier doch warmes Blut im Leib«, bemerkte Draffen trocken.

Verlegen trat Inch von einem Fuß auf den anderen.»Ich schreibe gleich nachher an Hannah. Sie wird sich sehr freuen, daß wir uns getroffen haben.»

Nachdenklich sah Bolitho Draffen an.»Das haben Sie sich als Überraschung aufgehoben, Sir.»

«Die Flotte hat ihre Methoden, und ich habe meine«, erwiderte dieser mit einem nachdenklichen Blick auf den hochragenden Gibraltarfelsen. Dann wandte er sich Inch zu.»Und jetzt, Commander, wenn Sie uns allein lassen wollten — ich habe mit Captain Bolitho etwas zu besprechen.»

«Essen Sie heute mit mir, Inch«, sagte Bolitho,»auf dem Flaggschiff. «Auch er grinste jetzt, um die Bewegung zu verbergen, die ihn bei Inchs plötzlichem Auftauchen überkommen hatte.»Vielleicht geht's dann schneller mit Ihrer nächsten Beförderung.»

Er sah noch, wie Inch sich freute, als er eilig zu seinem Leutnant hinüberging — wahrscheinlich würde er diesem zum soundsovielten Mal alte Geschichten zur Erbauung erzählen.

«Mit dem war vermutlich als Offizier nicht viel los, bis Sie ihn in die Finger bekamen«, bemerkte Draffen.

«Er hat sich schwergetan«, erwiderte Bolitho;»aber ich habe nie einen Mann getroffen, der so loyal war und in mancher Hinsicht so viel Glück hatte. Wenn wir Feindberührung bekommen, Sir, dann rate ich Ihnen, halten Sie sich dicht bei Inch. Der hat den Trick raus, am Leben zu bleiben, wenn alle um ihn fallen und das Schiff in Stücke geht.»

Draffen nickte ernsthaft.»Ich will daran denken. «Dann fuhr er munterer fort:»Wenn alles klargeht, setzt Ihr Geschwader morgen abend Segel. Die Werfer stoßen später zu Ihnen. Die Einzelheiten kann Ihnen der Admiral ausführlicher erklären als ich. «Anscheinend war er zu einer Entscheidung gelangt.»Ich habe mir die Mühe gemacht, Ihre Personalakte zu studieren, Bolitho. Zu dem Unternehmen, das wir vorhaben, brauchen wir allerhand Initiative und Findigkeit. Vielleicht wird man die Dienstvorschriften der Admiralität ein bißchen den Umständen entsprechend abwandeln müssen. Ich weiß, daß Ihnen solche Methoden nicht unbekannt sind. Ich habe die Erfahrung gemacht«, schloß er mit trockenem Lächeln,»daß man im Kriege Männer braucht, die eigene Ideen haben. Starre, feste Regeln taugen dabei nichts.»

Auf einmal fiel Bolitho wieder ein, was Broughton damals, als er der Zeus die Verfolgung des Franzosen hätte freigeben sollen, für ein Gesicht gemacht hatte. Und sein Gefechtsplan, seine Vorliebe für Pläne überhaupt, sein offenkundiges Mißtrauen gegen alles Unerprobte, was nach unorthodoxen Methoden roch.

«Ich hoffe nur«, erwiderte er,»daß wir nicht zu spät kommen und die Franzosen die Verteidigungsanlagen von Djafou nicht schon verstärkt haben.»

Draffen sah sich rasch um und antwortete dann:»Ich habe in dieser Gegend einen gewissen Einfluß oder Verbindungen, wenn Sie wollen, und es ist nicht meine Absicht, daß Sie sich ausschließlich auf Ihr Glück und Ihre persönliche Tapferkeit verlassen sollen. Ich kenne die algerische Küste gut, auch die Menschen dort — größtenteils Halsabschneider, denen absolut nicht zu trauen ist. «Wieder lächelte er.»Aber wir werden sehen, daß wir sie für unsere Zwecke gebrauchen und das Beste daraus machen, nach dem alten Sprichwort: Wenn man nicht haben kann, was einem gefällt, dann muß einem eben gefallen, was man hat.»

Er hielt Bolitho die Hand hin.»Ich muß jetzt gehen und mit ein paar Leuten an Land sprechen. Bestimmt sehen wir uns sehr bald wieder.»

Er kletterte in sein Boot hinunter, und Bolitho trat an die Schanz zu Inch.

«Ein merkwürdiger Mann, Sir«, sagte dieser.»Sehr undurchsichtig.»

«Glaube ich auch. Immerhin hat er anscheinend ziemlich viel zu sagen.»

Inch seufzte und schüttelte den Kopf.»Vorhin hat er mir von der Gegend erzählt, wo wir hinsegeln. Er scheint dort recht gut Bescheid zu wissen. Aber meiner Ansicht nach ist da kaum was zu holen.»

Nachdenklich nickte Bolitho. Handel, ja — aber was für einen Handel konnte man in einem so gottverlassenen Nest wie Djafou treiben? Und wo war eine Verbindung zur Karibik und Draffens Bekanntschaft mit Hugh?

«Ich muß wieder an Bord«, sagte er.»Wir reden beim Dinner noch darüber. Aber Sie werden keine bekannten Gesichter antreffen, fürchte ich.»

«Außer Allday, Sir«, grinste Inch.»Ohne den kann ich mir Sie überhaupt nicht vorstellen.»

Bolitho schlug ihm auf die knochige Schulter.»Ich mich auch nicht!»

Später, allein in seiner Kajüte, knöpfte Bolitho sein Hemd auf, spielte mit dem Medaillon und starrte blicklos durch das offene Heckfenster. Inch würde nie ermessen, wieviel ihm dieses Wiedersehen bedeutet hatte: es war wie dieses Medaillon etwas, woran man sich festhalten konnte, etwas Vertrautes. Einer von seinen alten Hyperianern.

Es klopfte; nervös trat Calvert ein, einen Stoß Papiere wie zum Schutz vor der Brust.

Bolitho lächelte.»Setzen Sie sich. Ich werde sie gleich unterschreiben, und Sie können sie noch vor Sonnenuntergang an das Geschwader verteilen.»

Calvert konnte seine Erleichterung nicht verbergen, als sich Bolitho an den Tisch setzte und zur Feder griff. Dadurch blieb es ihm erspart, Broughton gegenübertreten zu müssen, wenn dieser wieder an Bord kam.

Sein Auge fiel auf Bolithos Degen, der noch auf der Sitzbank lag, wo Bolitho ihn nach seiner Rückkehr von der Hekla hingelegt hatte. Er vergaß alle Vorsicht und rief:» Oh, Sir — darf ich mir diese Waffe näher ansehen?»

Überrascht wandte sich Bolitho ihm zu. Es sah Calvert gar nicht ähnlich, mehr von sich zu geben als gemurmelte Entschuldigungen. Seine Augen funkelten tatsächlich vor eifrigem Interesse.

«Aber bitte, Mr. Calvert. «Er lehnte sich zurück und sah zu, wie der Leutnant die alte Klinge aus der Scheide zog und sie in Kinnhöhe vor sich hielt.»Sind Sie Fechter wie Sir Lucius?»

Calvert gab keine direkte Antwort. Er ließ die Finger über den alten, schwarzangelaufenen Griff gleiten und sagte:»Wunderbares Equili-bre, Sir. Wunderbar. «Schüchtern blickte er zu Bolitho auf.»Ich habe ein Auge dafür, Sir.»

«So? Dann passen Sie auf, daß Sie Ihr Auge im Zaum halten, Mr. Calvert. Es könnte Sie sonst in erhebliche Schwierigkeiten bringen.»

Calvert schob die Klinge ein und war auf einmal wieder wie immer.»Vielen Dank, Sir, daß ich ihn in die Hand nehmen durfte.»

Bolitho schob ihm die Papiere hin und sagte bedeutsam:»Und versuchen Sie, in Ihrem Dienst etwas sorgfältiger zu sein. Mancher Offizier würde einen Arm dafür geben, Ihre Stelle zu haben. Also machen Sie guten Gebrauch davon.»

Unter Stammeln und verlegenem Lächeln machte sich Calvert davon. Seufzend stand Bolitho auf. Da kam Allday herein und sah sofort den Degen. Er nahm ihn und steckte ihn in seine Halterung an der Schottwand.»Also war Mr. Calvert hier?«fragte er.

Bolitho mußte über Alldays Neugier lächeln.»Stimmt. Der Degen schien ihn sehr zu interessieren.»

Nachdenklich betrachtete Allday die Waffe.»Kann ich mir vorstellen. Gestern habe ich gesehen, wie er den Midshipmen was zeigte. Sie steckten' ne Kerze an, Drury, der Jüngste, hielt sie hoch, und Mr. Calvert hieb mit seinem Degen die Flamme ab.»

Bolitho fuhr herum.»So ein verdammter Blödsinn!»

Allday zuckte die Schultern.»Keine Angst, Captain. Der Hieb ging dicht unter der Flamme durch den Docht, die Klinge berührte die Kerze überhaupt nicht. «Er räusperte sich geräuschvoll.»Auf den werden Sie aufpassen müssen, Captain.»

Bolitho sah ihn überrascht an.»Tatsächlich, Allday. Das werde ich.»

Joe Partridge, der Master, tippte an seinen zerbeulten Hut, als Bolitho unter der Kampanje hervorkam, und meldete:»Stetiger Wind, Sir. Kurs Südost zu Ost liegt an.«»Recht so.»

Bolitho nickte dem Offizier der Wache zu, ging zur Luvseite hinüber und füllte sich die Lungen mit der kühlen Abendluft. Das Geschwader war in der gnadenlosen Nachmittagssonne in See gegangen und hatte sich dank einer ermutigenden nordwestlichen Brise zu einer geschlossenen Linie formiert. Jedes Schiff hielt eisern seine vorgeschriebene Station, und die Signaltätigkeit blieb auf ein Minimum beschränkt.

Viele Teleskope mußten ihnen von der spanischen Küste her gefolgt sein, und es würde allerlei Spekulationen über ihren Bestimmungsort geben. Unwahrscheinlich, daß der Feind einem so kleinen Verband viel Wichtigkeit beimessen würde, aber es hatte keinen Sinn, es darauf ankommen zu lassen. Waren sie erst einmal klar von der Küste, dann konnte beinahe jedes entgegenkommende Schiff ein Gegner sein, das wußten alle Kommandanten. Selbst Neutrale, und von denen gab es herzlich wenig, mußten als gefährlich betrachtet werden, da sie den Gegner über Position und Kurs des Geschwaders informieren konnten.

Doch jetzt war es Abend, und die Abende im Mittelmeer faszinierten Bolitho immer wieder. Während die vier Linienschiffe vor dem stetigen rauhen Wind mühelos dahinglitten, wurden die Schatten auf den Decksgängen immer länger, und vor dem Bug schimmerten die Schatten bereits in unbestimmtem tieferem Purpur. Doch achteraus war der Himmel noch lachsrot; im scheidenden, vom Horizont herabfließenden Sonnenlicht schimmerten die Marssegel der Valorous perlmuttern wie riesige Muschelschalen.

Wenn Wind und Seegang so blieben, würde jedes Schiff während der Nacht ohne Schwierigkeiten seine Position halten können. Darüber mußte sich Broughton freuen, dachte Bolitho.

Keverne trat heran.»Mit der Sicht wird es wohl bald vorbei sein, Sir«, sagte er.

Bolitho blickte zum Rad hinüber, wo der dicke Master bei dem Rudergasten stand.»Wir werden gleich zwei Strich abfallen, Mr. Partridge. «Er hielt nach Midshipman Tothill Ausschau, der bei den Leewanten stand, und befahl ihm:»Signal an Geschwader vorbereiten: gt;In Kiellinie Kurs Ost zu Süd.lt;»

Um den Midshipman brauchte er sich nicht weiter zu kümmern. Tothill und seine Signalgasten waren außerordentlich tüchtig. Der Junge würde einen guten Offizier abgeben.

Zu Keverne sagte er:»Jedes Schiff soll ein Hecklicht führen, für den Fall, daß wir auseinandergeraten. Das kann auch eine Hilfe für die Coquette sein, wenn sie uns sucht.»

Die Fregatte patrouillierte nämlich fünfzehn Meilen achteraus, eine Vorsichtsmaßnahme, damit sie nicht bereits von einer neugierigen Feindpatrouille beschattet wurden.

Die kleine Korvette Restless war in Luv der Zeus eben noch sichtbar, und Bolitho konnte sich vorstellen, wie wichtig sich ihr junger, frisch ernannter Kommandant auf einmal vorkam. Sie war als einziges Schiff im Geschwader schnell genug, falls ein verdächtiges Segel auftauchte und erkundet werden mußte.

Es war immer dasselbe: Fregatten gab es nie genug; und jetzt, da ihnen die Auriga fehlte, mußten sie bei weiträumigen Operationen noch sparsamer disponieren.

«Signal vorbereitet, Sir«, rief Tothill.

«Recht so. «Bolitho nickte Keverne zu.»Machen Sie weiter. Ich muß den Admiral informieren.»

In der großen Kajüte saßen Broughton und Draffen einander gegenüber an dem langen Tisch. Keiner von ihnen sprach; Bolitho konnte das Schweigen zwischen ihnen geradezu spüren.

«Nun?«Broughton lehnte sich zurück und tippte lässig an sein unberührtes Glas Rotwein.

«Klar zur Kursänderung, Sir Lucius. «Draffen beobachtete ihn genau, seine Augen glänzten im Licht der Deckenlampe und dem rötlichen Schein, der durch die Fenster einfiel.

«Recht so. «Broughton zog seine Uhr.»Irgendwelche Anzeichen, daß wir verfolgt werden?»

«Keine, Sir.»

«Dann machen Sie bitte weiter«, knurrte Broughton.»Ich komme vielleicht später an Deck.»

Draffen stand auf und stützte sich auf die Tischplatte, denn die Eu-ryalus sank soeben in ein Wellental.»Ich würde mich Ihnen gern anschließen, Captain«, sagte er und nickte Broughton gleichmütig zu.»Schiffsführung interessiert mich immer wieder, wissen Sie.»

«Äh — Moment mal«, fuhr Broughton auf. Aber als Bolitho sich zu ihm umwandte, schüttelte er abweisend den Kopf.»Nichts. Gehen Sie an Ihren Dienst.»

Auf dem Achterdeck bemerkte Draffen gelassen:»Mit dem Admiral das Quartier zu teilen, ist auch nicht die bequemste Art zu reisen.»

Bolitho lächelte.»Sie können gern meine Kajüte beziehen. Ich verbringe mehr Zeit im Kartenraum als in meiner Koje.»

Draffen schüttelte den Kopf. Seine Augen überflogen die einzelnen Divisionen, die bereits an ihren Stationen auf den nächsten Befehl vom Achterdeck warteten.»Sir Lucius und ich kommen jeder von einem anderen Pol, Bolitho. Aber es wäre ganz gut, wenn wir die gesellschaftlichen Unterschiede wenigstens einige Zeit beiseite lassen könnten.»

Bolitho vergaß Draffen und die Spannungen in der Admiralskajüte. Er wandte sich Keverne zu.»Vorbereitetes Signal hissen!«befahl er. Und als die Flaggen zur Rahe hinaufflogen und sich ungeduldig im Winde entfalteten, rief er:»Klar zur Kursänderung, Mr. Partridge!»

«Die Zeus hat bestätigt, Sir.»

In der Tat drehte das Führungsschiff bereits majestätisch auf den neuen Kurs; Marssegel und Besan killten sekundenlang, kamen aber rasch wieder unter Kontrolle. Die Tanais folgte ihrem Beispiel; der gewölbte Rumpf glänzte in dem schwindenden Licht, als sie rasch auf die neue Ruder- und Segelstellung reagierte.

Keverne hob die Sprechtrompete. Er preßte seinen schlanken Körper gegen die Reling, als wollte er das mächtige Schiff herumdrücken.

«An die Brassen!«Er deutete in den purpurnen Schatten am Fuß des Großmastes.»Mr. Collins, schreiben Sie den Mann da auf! Der stolpert ja 'rum wie 'ne Hure auf der Hochzeit!»

Unbekannte Stimmen murmelten aus der Düsternis, Partridges weißes Haar schimmerte gelb im Schein der Lampe, als er sich über den Kompaß beugte.

«Hol an! Zugleich!»

Die Männer lehnten sich zurück und holten die mächtigen Rahen herum; taktmäßig stampften die Marine — Infanteristen am Kreuzmast. Das Schiff krängte stärker, die Segel zitterten und brausten unter dem Wechsel des Winddrucks.

Bolitho lehnte sich über die Reling und suchte mit den Augen sein Schiff ab; seine Ohren nahmen das vielfältige Knarren und Stöhnen der Wanten und Stagen auf — das tat er ganz automatisch, aber es entging ihm nichts.

«Gehen Sie auf den neuen Kurs, Mr. Partridge!«Er sah zum Mast hoch, wo Broughtons Flagge und der Windstander sich langsam drehten, bis sie über den Backbordbug wiesen.

«Ost zu Süd liegt an, Sir!«Partridge trat auf die andere Seite der Bussole, als Bolitho nach achtern kam und sich über die herumschwingende Windrose beugte.

«Recht so. «Er spürte, wie das Schiff reagierte, sah die mächtigen dunklen Rechtecke der Segel im Wind wieder steif werden, als die Euryalus nun gehorsam auf neuem Kurs lief.

Es wurde jetzt rasch dunkel. In diesen Breiten war das immer so. In der einen Minute ein scheinbar nicht endenwollendes glühendes Abendrot, und dann auf einmal alles schwarz, bis auf das sahnige Weiß am Bug und hier und da einen Wellenkamm, wenn eine Bö sie streifte.

Keverne brüllte:»An die Leebrassen! Zum Donnerwetter, hol dicht! Mr. Weigall, Ihre Leute müssen besser ran!»

Über dem tiefen Saitenton von Wanten und Stagen hallten Stimmen; wahrscheinlich verfluchte der Dritte Offizier Kevernes unheimlich scharfe Augen — oder sein auf Sachverstand beruhendes Ahnungsvermögen.

Draffen hatte wortlos zugesehen, wie die einzelnen Divisionen ihre vielfältigen Aufgaben ausführten.»Hoffentlich bin ich an Bord, wenn Sie mal Gelegenheit haben zu zeigen, was sie unter vollen Segeln wirklich leisten kann!«murmelte er.

Bolitho lächelte.»Heute nacht wird es kaum dazu kommen, Sir. Wir werden die Marssegel sicherlich reffen müssen. Wenn man so eng aufgeschlossen segelt, besteht immer Kollisionsgefahr.»

Keverne kam wieder nach achtern und faßte an den Hut.

«Bitte die Wache unter Deck schicken zu dürfen, Sir.»

«Genehmigt. Das hat gut geklappt, Mr. Keverne.»

«Die Valorous ist auf Station, Sir«, erklang eine Stimme.

«Recht so. «Bolitho ging nach Luv hinüber. Er blickte den Matrosen und Seesoldaten nach, die zum Niedergang eilten, unter Deck verschwanden und ihre Logis aufsuchten. Eine vollgestopfte, strudelnde

Welt, wo sie zwischen den Kanonen schliefen, die sie in der Schlacht zu bedienen hatten, mit einer knappen Schulterbreite Raum für jede Hängematte. Was mochten sie wohl denken, wo es hinging? Und was sie da sollten?

Draffen kam wieder zu Bolitho; beim Kompaß glühte sein Gesicht im Lampenschein kurz auf. Im Gleichschritt gingen sie beide an den Finknetzen auf und ab.

«Muß ein seltsames Gefühl sein, Bolitho.»

«Was meinen Sie, Sir?«Bolitho hatte fast vergessen, daß er bei seinem ruhelosen Auf und Ab nicht allein war.

«So ein Schiff zu kommandieren. Eines, das Sie selbst in der Schlacht erobert haben. «Er redete schnell; offenbar hatte er über dieses Thema eingehend nachgedacht.»Ich an Ihrer Stelle wüßte nicht recht, ob ich ein Schiff, das ich selbst unter großer Gefahr erobert habe, auch verteidigen könnte.»

«Das kommt immer auf die Umstände an, Sir«, erwiderte Bolitho stirnrunzelnd.

«Mich interessiert das sehr. Sagen Sie, was halten Sie von der Eu-ryalus — als Schiff, meine ich?»

Bolitho blieb stehen und stützte sich auf die Achterdecksreling. Er fühlte das Holz unter seinen Händen erzittern, als sei dieses ganze komplexe Gebilde aus Holz und Hanf ein lebendes Wesen.»Sie ist sehr schnell für ihre Größe, Sir, und erst vier Jahre alt. Sie segelt gut, und auch der Rumpf ist gut gebaut. «Er wies nach vorn.»Anders als bei unseren eigenen Linienschiffen läuft die Plankung um den Bug, so daß es keine Schwachstelle gibt, die dem feindlichen Feuer ausgesetzt ist.»

Draffen zeigte die Zähne.»Ihre Begeisterung gefällt mir. Wenigstens ein Trost. Und ich dachte, Sie würden ganz anders reden. Ich hätte gewettet, daß Sie sagen, der französische Schiffsbau tauge nichts. «Er lachte leise auf.»Aber da habe ich mich anscheinend geirrt.»

«Die Franzosen sind großartige Schiffsbauer«, antwortete Bolitho gelassen.»Ihre Schiffsrümpfe sind in jeder Linie besser und schneller als unsere.»

In spöttischer Bestürzung hob Draffen die Hände.»Aber wie können wir dann gewinnen? Wie haben wir bisher siegen können, noch dazu gegen ihre zahlenmäßige Überlegenheit?»

Bolitho schüttelte den Kopf.»Die Schwäche der Franzosen liegt nicht in ihren Schiffen oder im Mangel an Mut. Es ist die Führung. Zwei Drittel ihrer ausgebildeten und erfahrenen Offiziere wurden unter der Schreckensherrschaft abgeschlachtet. Und so lange sie durch unsere Blockade in ihren Häfen eingeschlossen sind, werden sie sich auch nichts zutrauen. «Er merkte recht gut, daß Draffen ihn nur ausholen wollte, aber er sprach weiter.»Jedesmal, wenn sie ausbrechen und unsere Geschwader in ein Gefecht verwickeln, lernen sie ein bißchen mehr, bekommen ein bißchen mehr Selbstvertrauen, auch wenn ihnen der Sieg versagt bleibt. Die Blockade ist meiner Meinung nach nicht mehr das richtige Mittel. Sie schädigt Unschuldige genauso wie diejenigen, gegen die sie gerichtet ist. Klare, entschiedene Aktionen, das ist die Lösung. Den Feind treffen, wo und wie immer wir können! Der Umfang solcher Aktionen ist dabei relativ unwichtig.»

Eben wies der Wachoffizier mit schneidend böser Flüsterstimme einen Übeltäter zurecht, den der Bootsmannsmaat nach achtern gebracht hatte.

Bolitho ging weiter, Draffen im Gleichschritt neben ihm.»Aber schließlich wird eine entscheidende Konfrontation der beiden großen Flotten stattfinden.»

«Zweifellos, Sir. Dennoch glaube ich, je mehr Angriffe wir auf die Basen, die Verbindungswege, den Handel des Gegners unternehmen, um so wahrscheinlicher ist es, daß wir ihn zu Lande auf lange Sicht besiegen. «Er lächelte verlegen.»Als Seemann sage ich das nur ungern; aber einen vollständigen Sieg erzielen wir erst, wenn die Flagge unserer Infanterie auf den feindlichen Zinnen weht.»

«Vielleicht haben Sie sehr bald die Chance, Ihre Theorie in die Praxis umzusetzen«, antwortete Draffen bedeutsam lächelnd.»Es hängt weitgehend von unserem Treffen mit einem meiner Agenten ab. Ich habe ein Rendezvous arrangiert. Hoffentlich kann er es schaffen.»

Bolitho spitzte die Ohren. Das war das erste, was er davon hörte. Broughton hatte ihm nur kurze Andeutungen gemacht. Das Geschwader sollte außer Sichtweite vor Djafou patrouillieren; die Coquette sollte näher heransegeln und rekognoszieren. Ganz normale Taktik. Normal und bedrückend langweilig, hatte er gedacht. Aber jetzt, da

Aussicht auf neue, geheime Informationen über den Aufmarsch des Gegners bestand, bekam die Operation ein ganz anderes Gesicht.

Draffen fuhr fort:»Ich werde ein bißchen nervös, wenn ich an morgen denke. Wir könnten auf die ganze feindliche Flotte stoßen. Beunruhigt Sie das nicht auch?»

Bolitho blickte Draffen forschend an, aber dessen Gesicht lag in tiefem Schatten. Vielleicht wollte er ihn nur wieder prüfen — es war schwer zu sagen. Vielleicht scherzte er auch über etwas, das eine durchaus reale Möglichkeit war.

«Seit meinem zwölften Jahr lebe ich mehr oder weniger mit dieser Erwartung, in Angst, Erregung oder Betroffenheit, Sir. «Auch Bolitho war ernst geworden, aber dann grinste er.»Doch bis jetzt hat sich kein Mensch um meine Empfindungen gekümmert — am allerwenigsten der Feind.»

Draffen lachte leise.»Dann will ich nach unten gehen und beruhigt schlafen. Ich habe Sie schon zu lange in Anspruch genommen. Aber bitte informieren Sie mich, wenn etwas Außergewöhnliches geschieht.»

Bolitho trat beiseite.»Gewiß, Sir. Sie und meinen Admiral.»

Noch im Abgehen lachte Draffen vor sich hin.»Wir müssen uns öfter unterhalten!«Damit verschwand er.

Der Midshipman der Wache kam übers Deck gerannt und meldete seinem Leutnant, daß die Hecklaterne brenne. Durch die Takelage vorn schimmerte die Laterne der Tanais wie ein Glühwürmchen über ihrem Kielwasser.

Bolitho hörte die scharfe Stimme des Leutnants:»Hat auch lange genug gedauert, Mr. Drury!«und das Antwortgemurmel des Jungen. Es war gar nicht schwer, sich vorzustellen, daß dort Adam Pascoe stünde statt des unglückseligen Drury.

Bolitho versuchte, sich um seinen jungen Neffen keine Sorgen zu machen; aber durch das Zusammentreffen mit Inch war ihm in aller Härte bewußt geworden, daß der Junge für ihn unerreichbar war. Er hatte natürlich Briefe bekommen, sowohl von ihm selbst als auch von seinem Kommandanten, von Herrick, Bolithos bestem Freund. Aber wie sein eigenes Schiff, die Euryalus, konnte auch Herricks alter Vierundsechziger, die Impulsive, wenig Rücksicht auf das bißchen menschliche Wärme und Hoffnung nehmen, das die Postboote brachten, oder das in irgendeinem Hafenbüro lagerte, in der Erwartung der entfernten Möglichkeit, daß das Adressatschiff eines Tages dort vor Anker ging.

Bolitho nahm seinen Marsch wieder auf und versuchte, sich Adam vorzustellen, wie er ihn zuletzt gesehen hatte. Doch jetzt mußte er anders aussehen. Vielleicht ganz fremd? Bolitho schritt rascher aus. Unvermittelt wurde ihm klar, wie sehr ihn das berührte. Vor zwei Jahren hatten sie sich getrennt. Der Junge war zu Herrick an Bord gegangen, Bolitho bekam das Kommando über seine Prise, die spätere Euryalus, und mußte sie neu ausrüsten und versorgen. Adam war jetzt siebzehn; vielleicht wartete er schon auf die Chance zum Offiziersexamen. Ob er sich wohl in den zwei Jahren sehr verändert hatte? Hatte er seine eigene Form gefunden, oder war er nach Hugh geschlagen?

Zusammenfahrend bemerkte Bolitho, daß der Midshipman ihm den Weg versperrte; weiß glänzten seine Augen in der Dunkelheit.

«Entschuldigung, Sir, aber der Wachoffizier läßt mit allem Respekt anfragen, ob. ob. «Unter dem Blick seines Kommandanten fing er an zu stottern.»Ob wir reffen könnten. Der Wind scheint aufzufrischen, Sir.»

Bolitho musterte ihn unbewegt.»Ja, Mr. Drury. «Er hatte nicht einmal an dem veränderten Summen in den Wanten gemerkt, daß der Wind stärker geworden war, so tief war er in Gedanken gewesen.»Wie alt sind Sie, Mr. Drury?«fragte er.

Der Junge schluckte.»Dreizehn, Sir.»

«Aha. Nun, Mr. Drury, bis Sie ein eigenes Schiff bekommen, haben Sie noch eine lange, stürmische Fahrt vor sich.»

«Jawohl, Sir. «Was, um Gottes willen, mochte nun kommen?

«Und wenn ein junger Offizier keine Finger mehr hat, kann das ein wirkliches Problem für ihn sein. Daher wünsche ich in Zukunft nicht mehr zu hören, daß Sie Kerzen hochhalten, um anderen Leuten bei ihren Degentricks zu assistieren — verstanden?»

«Nein, Sir — ich meine, ja, Sir!«Drury fiel fast auf die Nase, als er zum Wachoffizier zurückrannte; vermutlich schwirrte ihm der Kopf im Gedanken an den unfehlbaren Nachrichtendienst des Kommandanten.

Keverne erschien an Deck, sich noch den Mund mit dem Taschentuch betupfend, und spähte zu den Segeln hinauf.»Sie wünschen, Sir?»

«Wir wollen die Marssegel gleich reffen, Mr. Keverne. «Bolitho sprach ganz dienstlich. Was er fühlte oder fürchtete, durfte er auf keinen Fall zeigen, durfte er mit keinem von denen teilen, die von seinem Können und seiner Urteilskraft abhängig waren. Keverne rannte bereits los, im Laufen seinen Rock zuknöpfend und nach dem Bootsmannsmaat der Wache brüllend.

Aber manchmal, fand Bolitho, war das schwerer, als er je gedacht hätte.