"Der Stolz der Flotte: Flaggkapitän Bolitho vor der Barbareskenküste" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

V Ein schlechter Anfang

Pünktlich um zwei Glasen der Vormittagswache kam Vizeadmiral Sir Lucius Broughton auf das Achterdeck der Euryalus, ließ sich von einem Midshipman ein Teleskop reichen und musterte, eins nach dem anderen, jedes Schiff seines Geschwaders.

Bolithos Auge schweifte rasch über das Deck, wo Geschützbedienungen exerzierten, die Mr. Meheux, der Zweite Offizier mit dem runden Gesicht, jetzt, da der Admiral an Deck war, besonders scharf herannahm.

Es war drei Tage her, daß sie in Falmouth Segel gesetzt hatten, drei lange und langsame Tage, in denen sie nur etwa vierhundert Meilen geschafft hatten. Bolitho faßte die Achterdecksreling fester; er stand schräg geneigt auf dem stark krängenden Deck, denn die Euryalus segelte wie die anderen Schiffe schwer und langsam auf Backbordbug; die riesigen Rahen waren rundgebraßt, und die Marssegel hatten in der kräftigen Brise eisenharte Bäuche.

Nicht daß schlechtes Segelwetter gewesen wäre; ganz im Gegenteil. Am Rande der Biskaja zum Beispiel hatte Steuermann Partridge gesagt, er habe sie selten so zahm erlebt. Doch jetzt, unter dem auffrischenden Nordwest, sah man bis zur Kimm nichts als kabbelige, weißköpfige Wellen — anscheinend war die beste Zeit vorbei. Bald würde man reffen müssen.

Sobald sie klar von Land gewesen waren, hatte Broughton die Schiffe voll aussegeln lassen, damit ihre guten und schlechten Eigenschaften, die Stärken und Schwächen seines neuen Geschwaders deutlich wurden.

Wieder blickte Bolitho rasch und verstohlen zum Admiral hin und fragte sich, was er jetzt nach dieser Musterung wieder auszusetzen oder anzuordnen haben würde.

Auf jedem Flaggschiff war sich der Kommandant ständig der Anwesenheit seines Admirals bewußt, mußte jede seiner Stimmungen oder Launen hinnehmen und daraus seinen eigenen Plan für einen geordneten Dienstbetrieb entwickeln. Und doch wunderte sich Bolitho ständig aufs neue darüber, daß er Broughton so gut wie gar nicht kannte. Sein Alltag schien, mit sehr geringen Abweichungen, nach der Uhr zu verlaufen: Frühstück um acht, Mittagessen um halb drei, Abendbrot um neun. Punkt neun Uhr kam er jeden Morgen an Deck und tat, was er jetzt tat. Allenfalls fiel eine gewisse Starre an ihm auf, und das nicht nur in seinen persönlichen Gewohnheiten. Zum Beispiel hatte er gleich am ersten Tag seine Kampftaktik im Verband durchexerziert. Ganz ungebräuchlicherweise fuhr er die Euryalus an dritter Stelle der Gefechtslinie, mit nur einem einzigen Vierundsiebziger, der Valorous, hinter sich.

Während die Schiffe im achterlich anlaufenden Seegang mühsam seinen kurzen Befehlen nachkamen und Kurs zu halten versuchten, hatte Broughton gesagt:»Man muß die Kapitäne ebenso studieren wie die Schiffe, die sie kommandieren.»

Bolitho hatte sofort verstanden, was er meinte, und fand es im Grunde richtig.

Unter Umständen war es sinnlos, das kampfstärkste Schiff, besonders wenn es die Admiralsflagge führte, gleich als erstes in die feindliche Gefechtslinie zu segeln. Es konnte manövrierunfähig werden und gerade dann nutzlos sein, wenn es am nötigsten gebraucht wurde. Besser war es, wenn der Admiral mehr Zeit gewann und Informationen über die Absichten des Feindes sammeln konnte.

Auch ohne Glas konnte Bolitho die vordersten Schiffe gut beobachten. Sie hielten die Stationen, die Broughton gleich anfangs befohlen hatte. An der Spitze der Gefechtslinie, von den schwellenden Marssegeln und der Fock des zweiten Schiffes fast verdeckt, fuhr der Zweidecker Zeus. Das war ein älterer Vierundsiebziger, ein Veteran des gt;Glorreichen Ersten Juni«, der Seeschlacht von St. Vincent und mehrerer kleinerer Aktionen. Kapitän Robert Rattray kommandierte sie seit drei Jahren und war wegen seiner ebenso aggressiven wie hartnäckigen Gefechtsführung bekannt, ein bulldoggenhafter Charakterzug, der sich deutlich auf seinem breiten, verwitterten Gesicht abzeichnete. Genau der richtige Kommandant, um, wenn man die Stärke des Feindes prüfen wollte, die erste krachende Breitseite hinzunehmen. Ein ausgekochter Berufsseemann, der jedoch außer sturer Pflichterfüllung und brennender Kampfgier nicht sehr viel im Kopfe hatte.

Kapitän Falcon von der Tanais, dem zweiten Vierundsiebziger, war ganz das Gegenteil. Ein melancholischer, nachlässig gekleideter Mann mit schwerlidrigen, nachdenklichen Augen, der jeden Befehl ohne zu fragen ausführte, darüber hinaus jedoch sowohl seine Phantasie als auch sein beachtliches Können einsetzte, um aus Rattrays erstem Anstürmen etwas zu machen.

Etwa eine Meile achteraus der Euryalus stand das letzte Linienschiff, die Valorous. Kapitän Rodney Fourneaux kommandierte sie, ein dünnlippiger, hochmütiger Autokrat. Sie hatte sich unter fast allen Bedingungen als schnelles, gut manövierbares Schiff erwiesen; und vorausgesetzt, daß sie ihre Station halten konnte, war sie dort gut plaziert, um das Flaggschiff zu decken oder um vorzustoßen und einem Schiff des Geschwaders zu helfen, das in Schwierigkeiten geraten war.

Bolitho hörte, wie das Glas mit dem gewohnten Schnappen zusammengeschoben wurde, wandte sich um und faßte an den Hut, denn jetzt kam Broughton auf ihn zu.

Dienstlich meldete er:»Wind immer noch aus Nordost, Sir, frischt auf. Neuer Kurs Süd zu West. «Broughtons Augen glitten lässig die Reihe der an den Kanonen schwitzenden Matrosen entlang; er bestätigte Bolithos Meldung zunächst nur mit einem kurzen Grunzen, sagte aber dann:»Gut. Ihre Geschützbedienungen scheinen ja halbwegs in Ordnung zu sein.»

Das war auch etwas, das Bolitho schon kannte. Broughton eröffnete meistens den Tag mit einem solchen Kommentar: eine Art Sporenstich oder eine wohlberechnete Kränkung.

«Klarschiff zum Gefecht in zehn Minuten oder darunter, Sir«, erwiderte Bolitho kühl,»und dann drei Breitseiten alle zwei Minuten.»

Nachdenklich musterte ihn Broughton.»Das ist Ihr Standard, nicht wahr?»

«Jawohl, Sir.»

«Ich habe Verschiedenes über Ihre Standards gehört. «Broughton stützte die Hände in die Hüften und spähte zum Großmast hinauf, wo Marine-Infanteristen an einem Schwenkgeschütz übten.

«Ich hoffe, unsere Leute werden zu gegebener Zeit daran denken.»

Bolitho wartete. Da würde noch mehr kommen. Wie geistesabwesend sprach der Admiral weiter:»Als ich bei Ihrem Schwager speiste, erzählte er mir einiges über Ihre Familie. «Er wandte sich um und starrte Bolitho an.»Ich wußte natürlich schon von dem — äh — Mißgeschick Ihres Bruders. «Er machte eine Pause, um das wirken zu lassen.»Daß er aus der Flotte desertierte. «Wieder machte er eine Pause und legte den Kopf etwas schief.

Kalt starrte Bolitho zurück.»Er ist in Amerika ums Leben gekommen, Sir. «Merkwürdig, wie leicht ihm die Lüge von den Lippen ging. Aber die Kränkung war so stark wie eh und je; er hatte plötzlich den irren Wunsch, etwas Schockierendes zu sagen und Broughton von seinem Thron zu stoßen. Was hätte er zum Beispiel gesagt, wenn er erführe, daß Hugh eben dort an derselben Stelle, wo Sir Lucius jetzt stand, im Seegefecht gefallen war? Aber wenigstens hatte Broughtons Stichelei bewirkt, daß Bolitho ohne viel Reue und Trauer an Hughs Tod denken konnte. Wenn er jetzt über Broughtons Schulter zu dem breiten, sauberen Deck, dem großen Doppelrad mit den aufmerksamen Rudergasten und dem Steuermann hinblickte, war es schwer, sich das blutige Tohuwabohu vorzustellen, das damals, als Hugh gefallen war, dort geherrscht hatte. Mit dem eigenen Körper hatte er, im Kampfeslärm und inmitten brüllender, sterbender Männer, seinen Sohn Adam gedeckt, der immer noch keine Ahnung hatte, daß Hugh sein Vater war.

«Und alles, glaube ich, wegen eines Duells«, fuhr der Admiral fort.»Ist mir immer unverständlich gewesen, daß man ein Duell zum Verbrechen stempelt. So eine Stupidität! Fechten Sie zufällig auch?»

Bolitho rang sich ein Lächeln ab.»Mein Degen hat mir im Kampf oftmals gute Dienste geleistet, Sir.»

Der Admiral zeigte lächelnd die Zähne, sie waren sehr klein und ebenmäßig.»Ein Duell ist etwas für Gentlemen. «Er schüttelte den Kopf.»Aber da heutzutage so viele Leute im Parlament sitzen, die weder Fechter noch Gentlemen sind, kann man sich wohl über diese Voreingenommenheit nicht wundern. «Flüchtig blickte er zur Kam-panje hinüber.»Ich gehe jetzt eine Stunde spazieren.»

Bolitho sah ihm nach, als er die Kampanjeleiter hinaufstieg. Der tägliche Spaziergang des Admirals. Das war auch so etwas Unabänderliches.

Dann mußte er wieder an Broughtons Gefechtsplanung denken.

Vielleicht war es nicht so sehr der Plan wie der Mann selbst. Zu starr. Aber er hätte doch sicher aus Erfahrung wissen können, daß Schiffe oft auch dann kämpfen mußten, wenn sie weit zerstreut fuhren, ohne jede Ordnung, ohne jede Position in einem Verband? Broughton hatte doch bei St. Vincent mitgekämpft, wo Kommodore Nelson wieder einmal alle Kritiker vor den Kopf gestoßen hatte, weil er sich ohne jede Rücksicht auf einen festen strategischen Plan in die Schlacht geworfen hatte. Als Bolitho das gelegentlich Broughton gegenüber erwähnte, bekam er einen weiteren Hinweis auf dessen starre Haltung.

«Ich höre immer nur Nelson, Nelson!«hatte er geknurrt.»Ich habe ihn mit seiner verdammten Captain gesehen, wenn ich auch selbst alle Hände voll zu tun hatte. Der hat auch mehr Glück als Sinn für zeitliche Abstimmung!«Aber ebenso unvermittelt wurde Broughton wieder ganz kühl.»Drillen Sie Ihre Leute auf einen Plan, bis sie alle zusammen danach handeln können, auch im Stockfinstern oder mitten im Taifun. Arbeiten Sie ohne Rast und Ruhe mit ihnen daran, bis sie an nichts anderes mehr denken. Ihre verdammten Heldentaten können Sie von mir aus behalten. Geben Sie mir einen Plan, einen gut ausgereiften Plan, und ich gebe Ihnen einen Sieg!»

Bolitho dachte über diese psychologischen Streiflichter nach. Broughton war schlicht neidisch. Er war ranghöher als Nelson, den er persönlich überhaupt nicht kannte; er konnte auf Grund seiner Herkunft und seines Einflusses der Unterstützung von oben gewiß sein — und doch war er neidisch.

Nicht daß Bolitho seinen Vorgesetzten nun auf Grund dieser Erkenntnis besser verstand — aber es war doch wenigstens ein menschlicher Zug.

Seit sie auf See waren, hatte Broughton nie wieder Taylors Tod und die brutale Strafe erwähnt. Sogar bei der eiligen Dienstbesprechung gleich nach dem Strafvollzug hatte er nur indirekt darauf angespielt, indem er sagte, die Disziplin müsse stets und unter allen Umständen aufrechterhalten werden. Auch als in derselben Kajüte, in der Taylor zitternd sein furchtbares Schicksal vernommen hatte, den versammelten Kommandanten Wein gereicht wurde, war Broughton bester Stimmung gewesen und hatte sogar bei der Bekanntgabe der Segelorder nach Gibraltar kleine Scherze gemacht.

Bolitho erinnerte sich noch daran, wie der Kutter der Auriga eine Sandbank angelaufen hatte und die Seesoldaten Taylor dort begraben hatten, in aller Eile, denn die Flut lief bereits auf. In diesem Grab, das weder Kreuz noch Namen trug, würde Taylor nun verrotten: ein Märtyrer oder einfach ein Opfer der Umstände? Schwer zu sagen.

Auf See hatte Bolitho immer wieder seine Mannschaft beobachtet und nach irgendwelchen Unruhezeichen Ausschau gehalten; aber vielleicht ließ ihnen der tägliche Dienstbetrieb keine Zeit für Diskussionen und Anklagen. Ohne Zwischenfälle, ohne neue Nachrichten von den Unruhen in der Nore segelte das Geschwader seinem Ziel entgegen.

Er beschattete die Augen, um die glitzernde Kimm abzusuchen. Dort draußen, irgendwo in Luv, nur dem Ausguck im Masttopp sichtbar, stand die Auriga. Sie war wieder unter dem Befehl Brices, ihres alten Kommandanten. Absichtlich hatte ihm Bolitho persönlich den betreffenden Befehl mitgeteilt, kurz vor dem Auslaufen, und hatte ihn für die Zukunft verwarnt. Aber schon beim Sprechen hatte er erkannt, daß es vergeblich war.

Brice hatte in dienstlicher Haltung, reglos, den Hut unterm Arm, in der Kajüte gestanden, und seine blauen Augen hatten Bolitho gemieden, bis dieser fertig gesprochen hatte.

Dann hatte er leise und ruhig erwidert:»Vizeadmiral Broughton betrachtet die fraglichen Vorgänge nicht als Meuterei. Sie taten es übrigens auch nicht, Sir, als Sie an Bord meines Schiffes kamen. Die Tatsache, daß ich wieder in mein rechtmäßiges Kommando eingesetzt worden bin, beweist, daß alle unrechtmäßigen Handlungen nicht von mir, sondern von anderen begangen worden sind. «Dabei hatte er flüchtig gelächelt.»Und zwar von einem, der entwischt ist, und von einem anderen, der mit mehr Nachsicht behandelt worden ist, als man in diesen gefährlichen Zeiten erwarten sollte.»

Bolitho spürte den Haß, der hinter Brices Maske stiller Amüsiertheit lauerte; dieser Haß beruhte auf Gegenseitigkeit. Er schritt um den Tisch auf Brice zu.

«Jetzt hören Sie gut zu, Brice, und vergessen Sie meine Worte nicht. Wir haben einen Sonderauftrag, der vielleicht von höchster Wichtigkeit für England ist. Sie werden gut daran tun, Ihr Verhalten zu ändern, wenn Sie Ihre Heimat wiedersehen wollen.»

Brice hatte sich steif aufgerichtet.»Auf meinem Schiff wird es keinen Aufruhr mehr geben, Sir!»

Bolitho hatte sich ein Lächeln abgerungen.»Ich rede nicht von Ihrer Mannschaft. Wenn Sie noch einmal das in Sie gesetzte Vertrauen mißbrauchen, sorge ich persönlich dafür, daß Sie vor ein Kriegsgericht kommen, und daß dann Sie bestraft werden — Sie, der andere so gern bestraft!»

Jetzt trat Bolitho an die Netze und blickte hinab in die Wellen, die an der hohen Bordwand aufliefen. Das Geschwader stand etwa hundert Meilen nordwestlich von Kap Ortegal, der äußersten Ecke Spaniens. Wenn Schiffe hätten denken können — hätte sich dann die Eurya-lus an dieses Kap erinnert? Hier hatte sie unter französischer Flagge gegen seine alte Hyperion gekämpft. Hier hatten sich ihre Decks scharlachrot gefärbt, hatte die Schlacht gnadenlos getobt bis zum grimmigen Ende. Aber den Schiffen selbst war es vielleicht ganz gleichgültig. Männer starben, schrieen nach ihren halbvergessenen Frauen und Kindern, nach ihren Müttern oder nach ihren Kameraden in der Hölle. Andere vegetierten als Krüppel an Land, vergessen von der See und von den Gesunden, die ihnen aus dem Wege gingen, statt ihnen zu helfen. Aber die Schiffe segelten weiter und machten sich nichts aus den Dummköpfen, die ihre Mannschaft bildeten.

«Sir! Signal von der Zeus!«. Der Midshipman vom Dienst erwachte plötzlich zum Leben wie ein galvanisierter Frosch. Er sprang in die Wanten und hob das mächtige Teleskop ans Auge. »Zeus an Flaggschiff: gt;Unbekanntes Segel auf Nordwestkurs.lt;«Schwitzend vor Aufregung sah er zu Bolitho hinab.

Der nickte.»Ausgezeichnet, Mr. Tothill. Das ging ja fix. «Er blickte sich um — da kam Keverne schon herbeigeeilt. Wahrscheinlich bedeutete das Signal gar nichts; aber nach all dem Exerzieren und der lähmenden Ungewißheit war ihm jeder Wechsel willkommen, denn er fegte seine trüben Gedanken hinweg wie Spinnweben.

«Sir?«fragte Keverne und starrte Bolitho erwartungsvoll an.

«Exerzieren abbrechen und Bramsegel setzen!«Er blickte nach oben, und die frische Brise jagte ihm das Wasser in die Augen.»Die Bramstagsegel auch, wenn der Wind nicht noch mehr auffrischt.»

Keverne eilte hinweg, und da erschien Broughton auf dem Achterdeck. Sein Gesicht war steinern.

«Segel auf Gegenkurs voraus, Sir«, meldete Bolitho. Er sah die Erregung in den Augen des Admirals aufblitzen. Es mußte ihn schwer ankommen, äußerlich so ruhig zu bleiben.

Broughton schob die Lippen vor.»Signalisieren Sie der Auriga, sie soll sich dazwischenschieben.»

«Aye, Sir.»

Bolitho winkte dem Signal-Midshipman und konnte dabei Brough-tons Ungeduld fast physisch in seinem Rücken spüren. Erst gestern hatte er die andere Fregatte, die Coquette, mit Höchstgeschwindigkeit nach Gibraltar vorausgeschickt, um nachzufragen, ob sich an den Plänen für sein Geschwader etwas geändert hatte. Die Auriga stand weit draußen in Luv, und die kleine Korvette Restless jagte vor dem Winde herum und spürte nach französischen und spanischen Fischerbooten, um vielleicht von diesen Informationen zu erhalten. Die Reserven des Admirals waren also ziemlich beschränkt.

«Die Auriga hat bestätigt, Sir«, meldete der Midshipman.

Bolitho konnte sich lebhaft vorstellen, was an Deck der Fregatte vorging, nachdem das Signal abgelesen worden war, vermutlich von einem Midshipman wie Tothill, auf schwankendem Sitz hoch über der See. Und auch was Brice jetzt dachte, konnte er sich gut vorstellen: diese Chance, seine Position beim Admiral und im ganzen Geschwader zu verbessern, durfte er auf keinen Fall verpassen. Und mochte der Himmel jedem armen Teufel helfen, der bei einer solchen Gelegenheit unangenehm auffiel!

Bolitho nahm das große Teleskop und kletterte in die Luvwanten. Neben dem Midshipman stehend, richtete er es auf die Kimm. Die Fregatte sprang ins Blickfeld, ihre Marssegel füllten sich bereits, sie ging über Stag und flog auf das fremde Schiff zu. Er konnte sich vorstellen, wie das Sprühwasser über ihren Bug zischte, die Blöcke und Fallen knirschten, mehr und mehr Leinwand an den Rahen auswehte, um den Wind zu fangen und noch mehr Fahrt zu machen.

Bei solchen Gelegenheiten konnte man leicht vergessen, daß es Menschen wie Brice gab, dachte Bolitho flüchtig. Wie sie dort am Winde lag, bis an die Lee-Stückpforten im Gischt, war die Auriga ein wunderschönes Schiff, etwas Lebendiges, Vitales. Er wandte sich wieder an Deck und fragte:»Verfolgung aufnehmen, Sir?»

Eine erregende Sekunde lang verstanden sie einander. Er sah, wie Broughton die Zähne zusammenbiß, wie seine Augen glänzten.

«Ja. «Er trat beiseite, als Bolitho ein Handzeichen an Keverne gab.»Aber alle Schiffe sollen auf jeden Fall ihre Positionen einhalten. Sorgen Sie dafür!»

Kaum waren die Signalflaggen zur Rah hochgestiegen und ausgeweht, kamen auch schon, von allen Schiffen gleichzeitig, die Bestätigungen. Jeder Kommandant mußte darauf gewartet haben, mußte gebetet haben, daß diese monotone, Ungewisse Aufpasserei, mit der sie sich seit Falmouth herumquälten, ein Ende fand.

Hoch oben kam immer mehr Leinwand hinzu; sie donnerte und brauste, die Rahen spannten sich wie Bögen unter der Faust der Schützen, als würden sie von den Masten gerissen. Das Schiff krängte stärker, die hin und her eilenden Männer liefen im schrägen Winkel zu den Decksplanken, es sah ganz unwirklich aus. Und immer mehr, immer härter füllten sich die Segel mit Wind.

Die Stückpforten des untersten Decks mußten vollständig unter der Wasserlinie liegen; Bolitho konnte bereits die Pumpen janken hören, denn das Wasser drückte mit vermehrter Kraft gegen den Schiffsrumpf.

Aber sie kamen schon dicht an den nächsten Vierundsiebziger heran, und durch das Kreuzmuster der Stagen und Pardunen konnte Bo-litho die Offiziere auf dem Achterdeck der Tanais sehen, die zum Flaggschiff herüberspähten.

«Signalisieren Sie der Tanais, sie soll mehr Segel setzen, verdammt!«sagte Broughton gereizt und schritt zur anderen Deckseite hinüber.

«Wenn sie das macht«, murmelte Partridge hinter ihm her,»dann reißt sie sich bei Gott die Masten aus.»

«Mr. Tothill«, rief Bolitho,»hinauf mit Ihnen in den Masttopp, aber fix! Ich brauche heute ein paar gute Augen da oben!»

Absichtlich langsam ging er in Luv auf und ab, wütend darüber, daß das Geschwader trotz allem so schwer vorankam. Er versuchte sich vorzustellen, was das fremde Schiff tun würde.

«An Deck!«kam Tothills schrille Stimme vom Masttopp.»Signal von der Zeus: gt;Feind in Sicht! Fregatte auf Ostkurs!lt;»

Keverne rieb sich die Hände.»Die will nach Vigo, das ist gar keine Frage. «Er sah ungewöhnlich gespannt aus. Wahrscheinlich, dachte Bolitho, stellt er sich vor, wie es wäre, wenn er und nicht Brice die Auriga kommandieren würde.

«Es ist durchaus möglich, daß wir ihr den Weg abschneiden können, Mr. Keverne«, erwiderte er.

Brice hatte den Wind beinahe unter den Rockschößen und flog fast wie ein Vogel quer über den Kurs der langsameren, gewichtigen Linienschiffe des Geschwaders. Der Franzose konnte entweder versuchen, noch schneller zu sein als Brice, oder er konnte über Stag gehen; aber das würde ihn wertvolle Zeit kosten, denn er mußte ja nachher wieder Seeraum gewinnen. Im letzteren Falle konnten sogar die Linienschiffe Gelegenheit bekommen.

Er fuhr herum, denn Broughton schimpfte:»Die verdammte Valo-rous! Jetzt fällt sie auch noch zurück!«Er warf sein Teleskop einem

Matrosen zu.

Sofort stieg ein Signal an den Rahen der Euryalus hoch: gt; Setzen Sie mehr Segel!«Aber noch während die Valorous bestätigte, sah Bolitho, daß sich ihr Vorbramsegel löste und wie Papier im Wind zerplatzte.

«Soll ich der Zeus signalisieren, daß sie allein die Verfolgung aufnimmt, Sir?«fragte Bolitho.»Sie hat einen guten Vorsprung. «Aber als er sah, wie Broughton die Lippen zusammenpreßte, wußte er schon die Antwort und fügte noch rasch hinzu:»Der Franzose kann der Auriga immer noch entwischen.»

«Nein. «Ein Wort nur, ohne jedes Zeichen von Enttäuschung oder Ärger.

Bolitho wandte sich ab. Der Franzose würde sich wundern, daß das Geschwader seine Marschformation nicht änderte. Er lag irgendwo direkt vor den Verfolgern und machte schnelle Fahrt; die hohe Segelpyramide der Zeus verdeckte ihn. Aber die Auriga kam jetzt auf, sie flog vorm Wind unter aller verfügbaren Leinwand direkt auf den Feind zu. Als sie sich auf einen Wellenkamm hob, konnte Bolitho die Sonne auf dem Kupferbeschlag des schlanken Rumpfes blinken sehen.

Jetzt schor die Zeus etwas aus. Bolitho hielt den Atem an, weil dadurch die französische Fregatte besser in Sicht kam, etwa fünf Meilen voraus. Kaum zu glauben, daß sie so schnell auf konvergierenden Kurs gekommen war. Die Auriga mußte etwa drei Meilen weit weg sein, sie hatte die französische Fregatte bereits überholt. Bolitho versuchte, mit klarem Kopf zu überlegen, was er in der Situation des Feindes tun würde. Den Kurs ändern oder auf das Land zuhalten, das hinter dieser täuschenden Kimm verborgen lag? Ausgeschlossen, daß der Franzose jetzt noch der Auriga entwischen konnte. Wenn er es versuchte, würde er fast sicher einer britischen Patrouille vor der portugiesischen Küste vor die Kanonen laufen. Vigo war die letzte sichere Zuflucht. Aber vielleicht war er bereit, zu wenden und zu kämpfen.

«Signal an alle!«sagte Broughton.»gt;Segel kürzen, vorgeschriebene Stationen wieder einnehmen«. «Er war wieder ganz gelassen, fast gleichgültig.»Die Auriga kann sich jetzt den Franzosen allein vornehmen.»

Als das Signal abgesetzt war und von einem Schiff zum anderen weitergegeben wurde, konnte Bolitho die Enttäuschung ringsum fast körperlich fühlen: vier kampfstarke Schiffe, aber wegen Broughtons sturem Plan so ohnmächtig wie Kauffahrer!

Ein dumpfes Krachen rollte über die See, eine braune Rauchwolke driftete auf den Franzosen zu. Brice hatte einen Schuß zum Abschätzen der Entfernung abgefeuert, aber Bolitho konnte den Einschlag nicht sehen.

Alle Teleskope waren in Benutzung. Heiser sagte Keverne:»Der Frog fährt eine Halse! Bei Gott — sehen Sie bloß!»

Der französische Kommandant hatte die Zeit sehr schlecht abgepaßt und versuchte verzweifelt, am Bug der Auriga vorbeizukommen. Er tat Bolitho beinahe leid. Jetzt war das nackte Unterwasserschiff zu sehen. Die Sonne tanzte auf den steifen Segeln, als die Rahen herumschwangen, bis die Fregatte ihr eigenes Kielwasser kreuzte. Eine volle Salve hatte über das wirbelnde Wasser, und Bolitho wartete darauf, Brices erste Breitseite in den Rumpf des Franzosen schmettern zu hören, denn Brice hatte seine Position und den Windvorteil genutzt, um die Halse des Franzosen nachzufahren.

Jemand im Vortopp der Euryalus schrie hurra, sonst blieb alles still. Matrosen und Seesoldaten beobachteten gespannt, wie die beiden Fregatten in überlappender Position einander näher und näher kamen — schon wirbelte wieder Qualm, allen sichtbar, im Winde.

Abermals Mündungsfeuer, diesmal beim Franzosen, aber Masten und Rahen der Auriga blieben intakt. Die Segel des Feindes jedoch waren durchlöchert; sein Focksegel war schon bei der ersten Salve in Fetzen gegangen.

«Eine gute Prise, denke ich«, flüsterte Keverne heiser.»Wir können sowieso noch eine Fregatte gebrauchen.»

Es war schwer zu unterscheiden, was jetzt geschah. Die beiden Schiffe konnten höchstens eine halbe Kabellänge auseinander sein, und mit jeder Minute kamen sie sich näher. Wieder donnerten die Kanonen, dann stürzte der Großmast des Franzosen in wirbelndem Rauch nieder, die zerfetzten Segel und Stage mit sich ins Chaos reißend.

«Sie wird bald die Flagge streichen«, sagte Broughton.

«Der Wind flaut ab, Sir«, sagte Partridge mit gedämpfter Stimme, als fürchte er, die allgemeine Konzentration zu stören.

«Spielt jetzt auch keine Rolle mehr«, erwiderte Bolitho lächelnd.

Wieder war alles still, und über die letzten drei Meilen hinweg, die zwischen der Zeus und den beiden Fregatten lagen, konnte man sehen, daß das Geschützfeuer aufgehört hatte und die beiden Fregatten

Rumpf an Rumpf lagen. Es war vorbei.

«Na, Bolitho«, fragte Broughton leise,»was sagen Sie jetzt?»

Ein paar Marine-Infanteristen auf dem Vorschiff rissen die Tschakos ab und schrien hurra; ihr Siegesgeschrei wurde von der Mannschaft der direkt voraus liegenden Tanais aufgenommen.

Bolitho stürzte am Admiral vorbei und riß ein Teleskop aus der Hal-terung; da wurde das Hurrageschrei auch schon dünner und erstarb so schnell, wie es begonnen hatte. Er bekam eine Gänsehaut: die Flagge der Auriga flatterte gleich einem wunden Vogel nieder und wurde augenblicklich durch eine andere ersetzt — dieselbe, die auch jetzt noch über den zerfetzten Segeln des Gegners wehte: die Trikolore Frankreichs.

«Bei Gott«, keuchte Keverne,»diese Bastarde haben sich den Frogs ergeben! Sie haben nicht mal versucht zu kämpfen!«Die Unglaublichkeit des Vorgangs verschlug ihm fast die Stimme.

Die Auriga war bereits von dem Franzosen klargekommen; neues Treiben herrschte an Deck und in den Rahen, langsam drehte sie vor den Wind und segelte dem hilflos zuschauenden Geschwader davon. Durch sein Glas konnte Bolitho die Marine-Infanteristen in ihren scharlachroten Röcken erkennen, die von den Matrosen entwaffnet wurden und sich vor dem französischen Enterkommando zusammendrängten. Als ob ein Enterkommando überhaupt nötig gewesen wäre, dachte er bitter. Eben noch hatten sie so gut gekämpft, und im nächsten Moment hatte sich die ganze Besatzung ergeben, war zum Feind übergelaufen. Er steckte das Glas wieder in die Halterung, denn vor Wut und Verzweiflung zitterten ihm die Hände so sehr, daß er es beinahe fallen gelassen hätte.

Wieder sah er die Delegierten vor sich, damals in dem kleinen Wirtshaus in der Bucht von Veryan. Diesen Kerl namens Gates. Und John Taylor, gekreuzigt, von der Peitsche zerfetzt, weil er versucht hatte zu helfen.

Leise und gepreßt sagte Partridge:»Keine Chance, daß wir sie jetzt noch einholen. Vor der Morgendämmerung sind sie in Vigo.»

Mit schlaffen Schultern wandte er sich ab.»Daß man so etwas mitansehen muß!»

Broughton starrte immer noch zu den beiden Fregatten hinüber, die bereits Fahrt aufgenommen hatten und mehr Segel setzten.»Sie können der Restless signalisieren, daß sie in Luv auf Station gehen soll. «Es klang ganz unbeteiligt, als spräche ein Fremder.»Dann geben Sie Signal an alle: Ursprünglichen Kurs wieder aufnehmen!«Jetzt erst sah er Bolitho an.»Da haben Sie Ihre Loyalität!«Sein Ton war wie ein Peitschenhieb.

Bolitho schüttelte den Kopf.»Sie haben mir einmal gesagt, man muß über den Kommandanten ebenso Bescheid wissen wie über sein Schiff. Das glaube ich auch, Sir. «Er wandte den Blick zu der fernen Auriga. Unter der fremden Flagge wirkte sie kleiner.»Ebenso wie ich glaube, daß wir noch mehr solche Dinge erleben werden, wenn Männer wie Brice weiterhin unsere Schiffe kommandieren dürfen.»

Broughton wich einen Schritt zurück, als hätte Bolitho etwas schrecklich Unanständiges gesagt.»Kapitän Brice ist vielleicht im Kampfe gefallen«, erwiderte er dann und schritt nach achtern.»Um seinetwillen hoffe ich, daß es so ist. «Damit verschwand er im Schatten unter der Kampanje.

«Nun«, sagte Leutnant Meheux sehr laut,»wir jedenfalls konnten es nicht ve rhindern. Aber wenn meine Batterie so weit tragen würde, dann wollte ich sie immer noch Mores lehren.»

Mehrere Offiziere, die im Moment nichts zu tun hatten, mischten sich in die Diskussion; Allday, der für alle Fälle unter der Kampanje gestanden hatte, betrachtete sie wütend. Er sah, wie Bolitho, den Kopf in tiefem Nachdenken gesenkt, auf und ab schritt. Die anderen alle taten, als wollten sie ihn trösten, ihn und sich selber; aber in Wirklichkeit wollten sie nur die Bestätigung, daß sie nichts dafür konnten, und hatten im übrigen keinen Schimmer davon, wie dem Kommandanten zumute war.

Aber Allday wußte es. Er hatte den Schmerz in diesen grauen Augen beim ersten Anblick der verhaßten Trikolore gesehen, die Kapitän Bolitho an jenes andere Gefecht erinnerte, als er ebenfalls ein britisches Schiff unter Feindesflagge bekämpfen mußte, noch dazu eins, das sein Bruder kommandierte.

Der Kommandant fühlte die Schande der Auriga, als sei es seine eigene; und die einzige Sorge dieser hohlköpfigen jungen Hunde war, ob ihnen jemand einen Vorwurf daraus machen konnte.

Fast ohne es zu wissen, ging Allday auf Bolitho zu. Der blieb stehen; zornig blitzten seine Augen, weil er gestört wurde.

«Was ist?«Es klang eiskalt, doch Allday ließ sich nicht abschrek-ken.

«Ich hab mir das gerade überlegt, Captain. «Er hielt inne, um den richtigen Moment zum Weitersprechen abzupassen.»Die Frogs haben eben eine britische Fregatte bekommen, aber kampflos.»

«Na und?«Es klang gefährlich ruhig.

Allday grinste.»Ich sehe das so. «Er grinste noch breiter.»Dieser Dreidecker hier, zum Beispiel. Um den haben wir mit ein paar wütenden Frogs kämpfen müssen — und wir haben ihn genommen.»

Bolitho starrte ihn an.»Das ist ein verdammt blöder Vergleich! Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, dann gehen Sie mir gefälligst aus den Augen!«Er sprach so laut, daß sich mehrere Köpfe nach ihm umdrehten.

Langsam schlich sich Allday davon. Vielleicht hilft es etwas, dachte er, kann aber auch sein, ich hab mir diesmal den falschen Moment ausgesucht.

Aber da hörte er Bolithos Stimme und blieb stehen.

«Weil Sie gerade davon reden, Allday — «, Bolitho senkte die Lider, als Allday sich zu ihm umwandte — ,»es war wirklich eine feine Prise. Und ist es immer noch. Danke, daß Sie mich daran erinnert haben. Ich hätte nicht vergessen dürfen, was britische Seeleute leisten können.»

Allday warf einen Blick zu den still gewordenen Offizieren hinüber und ging mit leisem Lächeln wieder auf seinen Platz an der Kampan-jeleiter.

Bolitho brach das allgemeine Schweigen.»Schön, Mr. Keverne, Sie können die untere Batterie auf Stationen pfeifen lassen. Jetzt sind ja die Stückpforten nicht mehr unter Wasser, da können Sie weiterexerzieren.»

Er verstummte und sah zu den Netzen hinüber, so daß Keverne näher kommen mußte, um zu verstehen, was Bolitho etwa noch zu sagen hatte. Aber dann war er nicht sicher, ob er zuhören sollte.

«Wir treffen uns wieder, altes Mädchen«, sagte Bolitho halblaut und beinahe heiter hinter der Auriga her,»und dann sieht die Sache bestimmt anders aus.»

Achtzehn Tage, nachdem es hatte zusehen müssen, wie die Auriga vor dem Feind die Flagge strich, ging Broughtons Geschwader in Gibraltar vor Anker. Auf Grund des Zeitverlustes, der am Anfang der Reise durch Broughtons Gefechtsübungen entstanden war, kam sie noch später im Schatten des großen Felsens an, als Bolitho vorausberechnet hatte. Sie wurden von ständig wechselnden Winden behindert. Einmal, etwa neunzig Meilen westlich von Lissabon, mußten sie einen Sturm von solcher Stärke abreiten, daß die Zeus sechs Mann verlor. Und dann, gleich am nächsten Tag, trieben alle Schiffe mit schlaffen Segeln unbewegt in einer totalen Flaute; die Sonne brannte so stark, daß selbst der Routinedienst fast unerträglich wurde.

Nun ruhte sich das Geschwader aus; Sonnensegel waren aufgeriggt, zwischen Schiffen und Land krochen die Boote geschäftig wie Wasserkäfer hin und her.

Eine Stunde nach dem Ankerwerfen trat Bolitho in seine Kajüte. Dort waren bereits alle Kommandanten versammelt, denn er hatte eine Dienstbesprechung angesetzt.

Nach der langen Reise sahen sie müde und angestrengt aus; und gleich nach der Ankunft hatte sich allerlei ereignet, so daß keiner von ihnen viel Zeit zum Ausruhen gehabt hatte.

Natürlich war es Rattray von der Zeus, der davon anfing.

«Wer ist dieser Kerl, der beim Admiral ist? Kennt ihn jemand?»

Kapitän Fourneaux von der Valorous nahm sich ein Glas von dem Wein, den der Kajütsteward herumreichte, und beäugte es kritisch.»Sieht nicht nach einem Diplomaten aus, wenn Sie mich fragen. «Er wandte sein hochmütiges Gesicht Bolitho zu.»Aber im Krieg laufen einem ja seltsame gt;Ratgeberlt; über den Weg, wie?»

Lächelnd nickte Bolitho den anderen zu und trat an die offenen Heckfenster. Drüben auf der anderen Seite der Bucht lag unter einem zitternden Hitzeschleier Algeciras, wo sicher schon zahlreiche Teleskope auf das britische Geschwader gerichtet waren und Kuriere in den Sattel stiegen, um den Garnisonen im Landesinnern die Nachricht zu überbringen.

Der Mann, der an Bord des Flaggschiffes gekommen war und dessen plötzliches Auftauchen so viele Spekulationen auslöste, war sicherlich ein ungewöhnlicher Mann. Er war in der Gig des Gouverneurs eingetroffen und hatte schon beinahe die Fallreepspforte passiert, ehe die Ehrenformation zu seinem Empfang angetreten war.»Lassen Sie diesen Quatsch, wir haben keine Zeit zu verlieren«, blaffte der in eine gutgeschnittene, teure Uniform gekleidete Mann.

Sein Name lautete Sir Hugo Draffen, und trotz seiner Eleganz und seines Titels sah er aus wie jemand, der körperliche Anstrengung gewohnt war, keineswegs wie ein Müßiggänger: kräftig, untersetzt, mit tiefgebräuntem Gesicht, winzige Fältchen um die Augen, schien er in Sonnenbrand und rauhen Winden eher zu Hause zu sein als in dem milden Klima von Londons Whitehall. Broughton, der den Rest der Reise vorwiegend in seinem Logis verbracht hatte, war eilig herausgerufen worden und hatte sich dem Gast gegenüber merkwürdig still, fast unterwürfig benommen. Nach Bolithos Ansicht hatte es mit Draf-fen weit mehr auf sich, als es zur Zeit schien.

Kapitän Gifford von der Fregatte Coquette, der dem Geschwader vorausgeschickt worden war, um die neuesten Informationen einzuholen, berichtete düster:»Er kam zu mir an Bord, gleich als ich Anker geworfen hatte. «Gifford war ein langer, beinahe ungeschickt wirkender jüngerer Mann, und sein hageres Gesicht verzerrte sich bei der Erinnerung an diese Begegnung.»Ich sagte ihm, ich müsse wohl gleich wieder los und mit dem Geschwader Verbindung aufnehmen, aber er meinte, das könne ich mir sparen. «Er schüttelte sich.»Und als ich ihn fragte, wieso, da sagte er doch tatsächlich, ich solle mich um meine eigenen verdammten Angelegenheiten kümmern.»

Falcon von der Tanais stellte sein Glas ab und sagte grimmig:»Auf diese Weise brauchten Sie wenigstens die Schweinerei mit der Auriga nicht mitanzusehen.»

Die Kommandanten sahen erst Falcon und dann einander an. Bis jetzt war diese Sache noch nicht erwähnt worden.

Bolitho mischte sich ein:»Ich glaube nicht, daß wir noch lange im unklaren bleiben werden. «Ob ihnen wohl aufgefallen war, daß er als Flaggkapitän an diesem Gespräch, das eben jetzt in Broughtons Kajüte direkt unter ihnen stattfand, nicht teilnahm? Das war ungewöhnlich. Aber Draffen war anscheinend ein ungewöhnlicher Mann.

«Wenn ich in der Nähe gewesen wäre«, sagte Gifford heftig,»dann hätte ich lieber beide Schiffe versenkt, als so etwas zugelassen.»

«Aber Sie waren eben nicht da, junger Freund«, näselte Fourneaux,»und somit kann Ihnen erfreulicherweise niemand einen Vorwurf machen — eh?»

«Das genügt, meine Herren. «Bolitho spürte die plötzliche Spannung und trat dazwischen.»Was geschehen ist, ist geschehen, und es gibt nichts mehr darüber zu sagen, höchstens, daß wir in Zukunft besser aufpassen müssen. «Er sah einen nach dem anderen bedeutsam an.»Wir werden in Kürze eine Menge zu tun bekommen, also sparen Sie Ihre Kräfte.»

Die Tür ging auf, Broughton kam herein, hinter ihm Draffen und der Flaggleutnant.

«Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, sagte Broughton mit kurzem Nik-ken. Der Steward bot ihm ein Glas an, aber er lehnte ab und schickte ihn hinaus.

Bolitho fiel auf, daß Draffen sich ans Heckfenster gestellt hatte. Interessierte ihn nicht, was jetzt kam, oder wollte er so stehen, daß er die anderen, diese aber nicht sein Gesicht sehen konnten?

Broughton räusperte sich, blickte zu Draffens untersetzter Gestalt hin, die sich fast schwarz von den sonnenhellen Fenstern abhob, und begann:»Wie Sie wissen, ist das Mittelmeer unserer Flotte seit Ende vorigen Jahres verschlossen. Bonapartes Vormarsch und seine Eroberungen in Italien und Genua haben uns alle Häfen gesperrt, und wir waren genötigt, uns zurückzuziehen.»

Draffen verließ seinen Platz am Fenster und trat herzu. Es war eine rasche behende Bewegung. Offenbar wurde er ungeduldig; das merkte man auch an seinem Ton.

«Wenn ich unterbrechen darf, Sir Lucius?«Er wartete Broughtons Antwort nicht ab, sondern drehte ihm den Rücken zu.»Wir wollen uns kurz fassen. Von der Langmut, mit der die Marine ihre Angelegenheiten betreibt, halte ich nicht viel. «Er lächelte, und die Fältchen um seine Augen wurden scharf wie Krähenfüße.»England führt Krieg gegen einen von seiner Sache überzeugten und, wenn Sie mir den Ausdruck verzeihen wollen, professionellen Gegner. Angesichts der Massierung französischer und spanischer Schiffe in Brest zu einem Großangriff auf England mit anschließender Invasion scheint es nicht nur klug, sondern höchst notwendig, unsere Schiffe zurückzuziehen und mit ihnen die Kanal- und Atlantikflotte zu verstärken.»

Bolitho beobachtete Broughton genau auf Anzeichen von Ärger oder Unmut, aber dessen Gesicht war wie aus Stein.

Munter fuhr Draffen fort:»Jervis' Sieg bei St. Vincent hat jedoch die Möglichkeit einer Invasion Englands fürs erste, wenn nicht überhaupt, zunichte gemachte. Außerdem hat er die Brüchigkeit der französisch-spanischen Zusammenarbeit auf See bewiesen. Somit muß man logischerweise annehmen, daß Bonaparte seinen Einfluß anderswo geltend machen wird, und zwar bald.»

«Soll ich fortfahren?«fragte Broughton unvermittelt dazwischen.

«Wenn Sie wünschen. «Draffen zog seine Uhr.»Aber bitte rasch.»

Broughton schluckte mühsam.»Unser Geschwader ist der erste britische Verband von nennenswerter Größe, der das Mittelmeer wieder befahren wird. «Weiter kam er nicht.

«Sehen Sie auf diese Karte, Gentlemen«, unterbrach ihn Draffen, riß Leutnant Calvert die Rolle aus der Hand und breitete sie auf dem Tisch aus.

Während die anderen herbeidrängten, warf Bolitho einen raschen Blick auf Broughton. Der war bleich geworden und starrte sekundenlang mit wutglühenden Augen Draffens breiten Rücken an.

«Hier, zweihundertfünfzig Meilen die spanische Küste aufwärts, liegt Cartagena, wo zahlreiche Schiffe, die jetzt in Brest sind, ihre Basis hatten. «Bolitho folgte dem spatelförmigen Finger, der jetzt quer übers Mittelmeer zu der zerrissenen Linie der algerischen Küste fuhr.»Südöstlich von Spanien, bloß hundertfünfzig Meilen entfernt, liegt Djafou.»

Bolitho fuhr zusammen, denn auf einmal sah Draffen ihn an, sehr ruhig und durchdringend.»Kennen Sie es, Captain?»

«Vom Hörensagen, Sir. War früher ein Schlupfwinkel der BerberPiraten, glaube ich. Guter Naturhafen, sonst ohne Bedeutung.»

Draffen lächelte, aber seine Augen blieben unbewegt.»Die Dons[22] haben Djafou vor ein paar Jahren übernommen, um ihren Küstenhandel zu schützen. Jetzt, da sie mit den Franzosen alliiert sind, muß man diesen Hafen vielleicht in einem ganz anderen Licht sehen.»

«Als Flottenbasis, Sir?«fragte Raffles mit seiner groben Stimme.

«Vielleicht. «Draffen richtete sich auf.»Aber meine Agenten haben mir von einem regen Kommen und Gehen in Cartagena berichtet. Es wäre gut, wenn unser Wiedereintritt ins Mittelmeer mit einer Aktion verbunden wäre, mit etwas Positivem. «Wieder tippte er auf die Karte.»Ihr Admiral weiß bereits, worum es sich handelt; aber Ihnen, Gent-lemen, will ich jetzt verraten, daß ich unsere Flagge über Djafou zu sehen wünsche, und zwar möglichst bald.»

«Mein Geschwader hat nicht seine volle Sollstärke, Sir«, warf

Broughton ein. In der plötzlichen Stille klangen seine Worte beinahe ablehnend. Doch dann wandte er die Augen ab und fuhr fort:»Aber natürlich, wenn Sie meinen…»

Draffen nickte mit Nachdruck.»Jawohl, das meine ich, Sir Lucius. Ich habe Bombenwerferschiffe aus Lissabon angefordert. Sie werden in ein oder zwei Tagen eintreffen. «Sein Ton wurde härter.»Wenn die Flotten von Spithead und der Nore nicht so sehr mit ihren internen Angelegenheiten zu tun hätten, hätte Ihr Geschwader fünfzehn oder sogar zwanzig Linienschiffe statt vier. «Er zuckte die Achseln.»Und jetzt hat es nur eine Fregatte.»

Mit neuerlichem Achselzucken ließ er das Thema fallen.»Aber das ist Ihre Sache. «Er schnippte mit den Fingern.»Jetzt wäre ein Schluck Wein angebracht, also rufen Sie den Steward wieder herein. «Grinsend sah er in die Gesichter der Offiziere, in denen sich recht gemischte Gefühle spiegelten.»Anschließend haben wir noch eine Menge zu tun.»

Wieder sah er Bolitho an.»Sie sagen sehr wenig, Captain.»

Ärgerlich fuhr Broughton dazwischen:»Ich werde meinen Flaggkapitänselbst informieren, wenn Sie nichts dagegen haben.»

«So gehört es sich auch. Immerhin — ich werde mich Ihrem Geschwader auf einige Zeit anschließen. «Draffen nahm dem Steward ein Glas ab und fuhr unentwegt lächelnd fort:»Nur um sicherzustellen, daß Ihr Weg auch der meine ist — wie?»

Bolitho wandte sich ab. In Gedanken war er bereits mit Draffens munter vorgebrachten, aber außerordentlich mageren Informationen beschäftigt.

Daß britische Schiffe aufs neue die südlichen Verbindungswege von Bonapartes wachsendem Imperium angreifen sollten, war in der Tat eine gute Nachricht. Eine neue, strategisch günstig gelegene Basis für die Flotte zu erobern und zu halten, war gewiß ein Plan, zu dem sowohl Können als auch Phantasie gehörte.

Aber wenn andererseits Broughtons Geschwader nur die Kastanien aus dem Feuer holen, als Mittel zu dem Zweck dienen sollte, den Feind zur Verlegung bedeutender Streitkräfte aus dem Atlantik ins Mittelmeer zu veranlassen, dann konnte es für sie alle sehr übel ausgehen. Daß Draffen eine ganze Menge zu sagen hatte, daran war wohl nicht zu zweifeln; aber sein genauer Status blieb noch immer im dunkeln. Vielleicht wußte er schon etwas über eine Verschlimmerung der Lage in der Nore? Ein kleines Geschwader zu opfern, um den starken feindlichen Druck auf die Kanalflotte zu mildern, das mußte den Lords der Admiralität nicht mehr Skrupel verursachen als Taylors Tod Broughton belastet hatte.

Eins wußte Bolitho ganz genau: was auch bereits entschieden sein mochte, er würde in jeder Phase direkt und persönlich beteiligt sein. Diese Aussicht hätte ihn eigentlich freuen müssen; aber der Gedanke, daß der Oberbefehl in den Händen Broughtons und Draffens liegen würde, gab der Sache einen ganz anderen Aspekt.

Broughton war zu Fourneaux getreten und sprach mit ihm. Draffen kam zu Bolitho herüber, offenbar im Begriff, sich zu verabschieden.

«Freut mich, Sie kennengelernt zu haben, Captain«, sagte er.»Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen. «Er machte Calvert ein Zeichen und fuhr ganz beiläufig fort:»Übrigens kannte ich Ihren Bruder. «Damit drehte er sich kurz um und ging zu Broughton und den anderen hinüber.