"Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im östlichen Mittelmeer" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

XV Die Katastrophe

Farquhar stand beim Ruder und sah zu Bolitho hinüber.»Steuern Sie Nordnordost«, sagte er zum Master.»Wir runden die Landspitze so dicht es irgend geht, verstanden, Mr. Bevan?»

«Aye, Sir«, entgegnete der Master nervös,»aber es ist eine schlechte Einfahrt. Sandbänke vor der Spitze, und vor der Küste auch; auf der Karte sind sie nicht genau eingezeichnet.»

Farquhar ging zur Achterdecksreling.»Noch rührt sich nichts.»

Bolitho hob sein Teleskop und suchte langsam den unregelmäßigen Kamm der Landspitze ab, die etwa eine Meile vor ihnen an Backbord lag. Alles ruhte noch in tiefem, purpurnem Schatten; nur dicht unter dem bleichen Himmel waren die Höhen und Tiefen verschwommen auszumachen. Ganz vorn konnte er bewegtes Wasser erkennen; dort brach sich die See schäumend über einem steil abfallenden Strand mit gezackten Riffen. Ihm fiel auf, wie schroff Farquhar plötzlich mit seinem Master sprach — vermutlich wollte er nur seine innere Spannung abreagieren. Aber es war verkehrt, sich dazu ausgerechnet den Master auszusuchen. Bevan, ehemaliger

Steuermann auf einem Indienfahrer, brauchte jetzt seine Nerven, seinen Verstand und zumindest das unbedingte Vertrauen seiner drei Rudergänger, wenn schon der Kommandant an all und jedem seine schlechte Laune auslassen mußte.

«Das habe ich auch nicht erwartet. «Bolitho erstarrte, als über dem nächsten Landbuckel etwas Schwarzes vorbeizog. Erst dachte er, es wäre Rauch; aber es war nur eine einzelne fedrige Wolke. Sie zog schräg auf das Wasser hinter dem Landarm zu, das immer noch im Halbdunkel lag. Der vordere Teil der Wolke hatte die Farbe bleichen Goldes; es war der Widerschein der Sonne, die den Blik-ken der Männer auf beiden Schiffen noch verborgen war.

Er stieg auf einen Neunpfünder und spähte über die Kampanje achteraus. Zwei Kabellängen weiter lag die Buzzard auf ihrer Position, Groß- und Bramsegel aufgegeit, die mächtige Fock so gebraßt, daß sie die leichte südliche Brise erfaßte. In dem verschwommenen Licht sah sie sehr schlank und zierlich aus; er stellte sich vor, wie Javal und seine Offiziere das gleiche vorspringende Land beobachteten, die Zeit beschworen, schneller zu verstreichen, damit es endlich losging.

Aber, dachte er, eine Weile wird es noch dauern. Die Franzosen würden abwarten und es nicht riskieren, den Feind durch vorzeitige Feuereröffnung entwischen zu lassen.

Er sprang von der Kanone herunter und fiel beinahe hin. Trotz des auf dem Achterdeck überall reichlich gestreuten Sandes waren die Planken glitschig vom nächtlichen Tau. Ein Matrose faßte ihn beim Ellbogen und grinste ihn an.»Sachte, Sir! Sonst heißt es, ausgerechnet unser Geschütz hat den Kommodore umgeschmissen!»

Bolitho mußte lächeln. Sämtliche Kanonen an Bord waren geladen und voll bemannt. Um feuerbereit zu sein, brauchten nur noch die Stückpforten geöffnet und die Rohre ausgerannt zu werden. Doch wenn an Land Beobachter saßen, hatte es keinen Sinn, schon jetzt zu zeigen, daß die oberen Stückpforten der Osiris nur schwarze Karos auf Leinwand waren.

«Und es soll auch keiner sagen, daß ich betrunken bin und nicht stehen kann, eh?«entgegnete er.

Sie lachten — selbstverständlich. Im Umkreis der Kanonen hing trotz des kühlen Windes ein schwerer Rumgeruch in der Luft; wahrscheinlich hatte jeder Mann weit mehr als die doppelte Ration gefaßt. Oder manche hatten mit ihren Rationen alte Schulden beglichen oder sie als Tauschmittel verwendet. Höchstwahrscheinlich hatten auch einige ihre Rationen als Wettkapital zurückbehalten. Um was sie wohl wetteten? Wer fallen und wer überleben würde? Wieviel Prisengeld es geben würde? Welcher von den Offizieren am längsten die Nerven behielt? Bestimmt wurde viel und um die verschiedensten Dinge gewettet.

Er ging wieder nach vorn zur Reling und starrte über das verschattete Hauptbatteriedeck. Ruhelose Gestalten bewegten sich um die schwarzen Kolosse. Wie Sklaven prüften sie jedes Stück für ihre spätere Arbeit. Die Geschützführer hatten das Ihre getan, hatten für die erste Salve Kugeln ausgesucht, die vollkommen rund und glatt waren, deren Gewicht genau stimmte, und hatten darauf geachtet, daß auch die Kartuschen fehlerlos waren. Darauf kam es vor allem bei den ersten Schüssen an; nachher im blutigen Kampfgetümmel war für solche Feinheiten keine Zeit mehr.

Oben in den Masten saßen bereits die Scharfschützen der MarineInfanterie; auch im Vorschiff standen sie in großer Zahl lässig neben ihren langen Musketen oder schwatzten mit den Bedienungen der Karronaden.

«Hier ist Ihr Degen, Sir«, vernahm er Alldays Stimme.

Er streifte den Bootsmantel ab, den er seit drei Stunden vor dem Morgengrauen trug, und ließ sich von Allday den Degen umschnallen.

Der sagte leise, doch mit merkbarer Mißbilligung:»Sie sehen aber eher wie ein Seeräuber als wie ein Kommodore aus, Sir! Möcht' nicht wissen, was sie in Falmouth dazu sagen würden!»

Bolitho lächelte.»Einer meiner Ahnen war doch Seeräuber, All-day. «Er schnallte das Koppel enger, denn durch seinen Fieberanfall hatte er an Gewicht verloren.»Aber das war selbstverständlich damals ein respektabler Beruf.»

Er wandte sich um, denn eben eilte Farquhar vorbei.»Haben Sie zusätzlich Leute für die Pumpen und Eimer eingeteilt?»

«Jawohl, Sir. «Farquhar fuhr sich mit dem Finger in die Halsbinde.»Auf glühende Kugeln bin ich vorbereitet. «Er musterte die

Schutznetze über dem Hauptdeck, die schlafferen vor den Wanten, die Enterer aufhalten sollten. Die Posten an jedem Luk, die Leute des Bootsmanns, deren Aufgabe es war, gebrochene Spieren zu kappen oder die Toten von einer umgestürzten Kanone wegzuräumen.

Bolitho beobachtete, wie Farquhar jede Einzelheit an Bord seines Schiffes auf Fehler oder Schwachstellen überprüfte. Unter ihren Füßen, unter dem menschenwimmelnden Geschützdeck, warteten schußbereit die Zweiunddreißigpfünder der Zwischendecksbatterie. Unter diesen jedoch standen, im Lichtkreis der Laternen wie Kirchhofsgespenster anzusehen, der Schiffsarzt und seine Helfer neben dem noch leeren Tisch, den blinkenden Messern und Sägen. Bo-litho dachte wieder an Luces todbleiches Gesicht, sein Flehen, seinen wilden Aufschrei. Er sah zu Pascoe hinüber, der an der Leeseite bei den Großwanten stand, im Gespräch mit einem Unteroffizier und einem Midshipman. Ob er wohl auch an Luce gedacht hatte?

Achtern, auf der Kampanje, wartete das Gros der MarineInfanteristen in drei Linien bei den Netzen; wenn die Osiris mit der Backbordseite angriff, würden sie in drei Gliedern feuern, wie Landsoldaten im Karree.

Bolitho versuchte, bekannte Gesichter herauszufinden, aber solche gab es für ihn kaum. Anonym waren sie, doch vertraut. Typen, doch keine Individuen. Seesoldaten und Matrosen, Leutnants und Midshipmen. Leute wie sie hatte er auf einem Dutzend Schiffen und in ebenso vielen Geschwadern gesehen.

Das silberne Achselstück eines Leutnants der Marine-Infanterie glühte plötzlich auf, wie von innen erleuchtet. Bolitho wandte den Kopf nach Steuerbord und sah den Rand der Sonne über die Kimm steigen; die Strahlen flossen über das leichtgekräuselte Wasser auf ihn zu wie geschmolzenes Metall.

«Wird ein schöner Tag«, bemerkte Allday.

Leutnant Outhwaite stand am Hauptniedergang. Auch erstarrte in die aufgehende Sonne, und seine Augen glitzerten wie kleine Quarzsteine. Wie sein Kommandant war er tadellos gekleidet; sein Hut saß genau vorschriftsmäßig, das lange, im Nacken zusammengebundene Haar hing den Rücken hinunter.

Farquhar trug seinen Hut noch nicht; ein Midshipman stand mit Hut und Degen in der Hand neben ihm wie der Garderobier eines Schauspielers vor dessen allerschwierigstem Auftritt. Bolitho konnte erkennen, daß Farquhar tatsächlich die Lippen bewegte. Sprach er mit sich selbst oder probte er eine Rede an seine Männer? Sein weißblondes Haar hatte er im Nacken mit einem eleganten schwarzen Schleifchen gebunden. Was in den nächsten Stunden auch geschehen würde — Farquhar war gut angezogen.

Er schien Bolithos forschenden Blick zu spüren und wandte sich zu ihm um.»Eine neue Garnitur, Sir«, erläuterte er mit zögerndem Lächeln.»Ich dachte daran, wie Sie es vor einem wichtigen Gefecht zu halten pflegten — und da Ihre Garderobe nicht verfügbar ist, meinte ich, es wäre an mir, das Repräsentieren zu übernehmen.»

«Sehr freundlich von Ihnen«, erwiderte Bolitho und blickte wieder auf die größer gewordene Landmasse, die beinahe schon den Bugspriet zu berühren schien.

«Der Feind wird das Feuer erst eröffnen, wenn er ein sicheres Ziel hat. Seine Kanoniere haben die Sonne direkt in den Augen; aber wenn wir erst einmal vor der Ostküste segeln, wird uns das nicht viel nützen. Hinter der Bucht liegt, glaube ich, eine kleine Senke. Eine gute Stellung für weitreichende Artillerie.»

Angestrengt spähte er über den Bug; da sang jemand aus:»Brecher an Backbord voraus!»

«Das wird das verdammte Riff sein, Sir«, sagte der Master gepreßt.

«Fallen Sie einen Strich ab, Mr. Bevan. Steuern Sie Nordost zu Nord. «Farquhar blickte seinen Ersten Offizier an.»Haben Sie einen guten Lotgasten in den Rüsten?»

«Aye, Sir«, bestätigte der mit einem fragenden Ausdruck auf seinem Froschgesicht.»Ich habe ihm selbst noch mal klargemacht, wie wichtig seine Aufgabe ist.»

Zu seiner Überraschung konnte Bolitho trotz der nagenden Ungewißheit des Wartens lächeln. Farquhar und Outhwaite paßten gut zueinander. Also hatte Farquhar vielleicht doch recht mit seinen Auswahlmethoden.

Jetzt sickerte das Licht über die kleinen Strande und hob sie hell von den Hügeln und waldigen Buchten ab. Auch die Meeresoberfläche wurde klarer; die winzigen weißen Katzenpfötchen an Steuerbord verschwanden und mischten sich bis zur Kimm mit der kupferrot aufgehenden Sonne.

Vielleicht hat auch der wirkliche Lysander die See hier so gesehen, dachte Bolitho, damals als die Triremen und Galeeren ine i-nanderkrachten und der Himmel von Pfeilen verdunkelt und von Brandern durchzuckt war.

Achtern hörte er unvermittelt das Quietschen und Rumpeln ausfahrender Geschütze: Javal machte sich fertig.

«Drei Strich Kursänderung: Kurs genau Nord!«befahl Farquhar knapp.

Er beugte sich über die Netze, um zu beobachten, wie eine Sandbank, ein Felsen am Heck vorbeiglitt. Kreischend stiegen ein paar Möwen von ihrem kleinen Eiland hoch, blendend weiß gegen das zurücktretende, dunkle Land. Sie umkreisten die Masten, auf Futter hoffend, lärmend, gierig. Dicht neben seinem Stander tauchte eine Möwe mit wütendem Geschrei im Sturzflug nieder. Der schlug träger, drüben das Land hielt den Wind ab. Bolitho dachte an Pro-byn. Hoffentlich hatte er sein Schiff rechtzeitig in Position gebracht und die Zeit eingerechnet, die ihm durch ungünstigen Wind, durch die tückische Strömung in der engen Einfahrt verlorengehen konnte. Er zog seine Uhr und konnte das Zifferblatt jetzt bereits ganz deutlich sehen, sogar die feine, schöngeschwungene Schrift Mudge and Dutton of London. Er ließ den Deckel zuschnappen und sah, wie Midshipman Breen bei dem scharfen Laut zusammenzuckte.»Gut«, sagte er,»wir sind am Vorland vorbei.»

Outhwaite fuhr herum und hob die Sprechtrompete an den Mund:»Mr. Guthrie, geben Sie durch: Geschütze ausrennen!»

Die Stückpforten öffneten sich quietschend; dann gab es eine kurze Pause. Jetzt sahen die Matrosen im unteren Batteriedeck das Land zum erstenmal. Eine Pfeife schrillte, das ganze Schiff erzitterte: die Osiris fuhr ihre Geschütze aus.

«Gei auf die Fock!»

Farquhar sah zu, wie das mächtige Segel gebändigt und aufgegeit wurde. Er schnippte mit den Fingern, und der Midshipman reichte ihm erst den Degen, dann den Hut, den er sich sorgfältig zurechtrückte. Dann schritt er nach vorn zur Luvlaufbrücke.

Die Fock hatte sich tatsächlich wie ein Vorhang gehoben: die Szenerie war aufgebaut, die Schauspieler standen bereit.

Bolitho zog den Degen und legte ihn vor sich auf die Reling. Glatt und kühl fühlte der Stahl sich unter seiner Handfläche an.

«Hißt die Flagge!»

Er hörte den Block quietschen und sah den großen Schatten der Flagge über der Laufbrücke und die leichte Bugwelle gleiten.

«Jetzt klar zum Feuern, Jungs; und daß mir jede Kugel trifft!»

Er warf einen raschen Blick auf das nächste Geschütz: so sahen alle Geschützbedienungen in der ganzen Flotte aus. Ein Matrose, direkt unterhalb des Achterdecks bei einem Sechzehnpfünder stehend, stützte sich auf seinen Rammstock, das Halstuch um die Ohren gewickelt, damit ihm das Krachen des Schusses nicht die Trommelfelle zerriß. Männer wie dieser waren mit Drake[25] auf seiner Revenge gesegelt und hatten Hurra gerufen, als die Armada[26] gt;aus dem Kanal getrommeltlt; wurde. Aber diesmal gab es kein Hurrageschrei, nicht einmal einen einzigen Ruf. Grimmig schauten die Männer durch die offenen Stückpforten oder standen so dicht beieinander, als wollten sie sich gegenseitig stützen. Far-quhars Finger schlossen und öffneten sich nervös um seinen Degengriff, mit hocherhobenem Haupt starrte er auf die dunstige Küstenlinie, von der das feindliche Feuer kommen würde.

Auf dem Kamm des nächstgelegenen Hügels blinkte etwas auf, doch nur dieses eine Mal. Eine zerbrochene Flasche, die den ersten Strahl der Morgensonne reflektierte? Oder ein Lichtstrahl auf der Linse eines Teleskops? Bolitho stellte sich vor, wie das Signal über die Berge an die wartende Artillerie weitergegeben wurde: Die Engländer kommen. Wie erwartet und vorausbedacht. Grimmig zog er die Brauen zusammen. Was auch kommen würde, sie mußten die Aufmerksamkeit des Feindes so lange auf sich ziehen, bis Probyn sich von der nördlichen Einfahrt her auf die ankernden Schiffe stürzen konnte. Ein paar schwere Breitseiten in die volle Reede, und ihre Chancen würden sich beträchtlich bessern.

Plötzlich fiel Bolitho wieder ein, was ihm sein Vater einst gesagt hatte: Überraschungsangriffe gibt es nicht. Überraschung liegt nur dann vor, wenn ein Kommandant das, was er von Anfang an gesehen hat, falsch auslegt.

Er blickte zu Pascoe hinüber und lächelte flüchtig. Jetzt erst wußte er genau, was sein Vater damals gemeint hatte.

Bolitho ging wieder zur anderen Seite des Achterdecks und richtete das Glas auf eine vorgeschobene Landzunge. Ein paar winzige Häuser waren am Fuß eines Steilhangs zu erkennen, eingekuschelt zwischen Gebüsch und Strand: Fischerhütten. Doch die Boote lagen verlassen auf dem groben Kies; nur ein Hund verteidigte seine Heimstätte und bellte wütend die langsam vorbeiziehenden Schiffe an.

«Die nächste Bucht ist es«, sagte Farquhar gespannt.

Outhwaite drehte sich um und rief:»Feuern erst auf Befehl und bei sich hebendem Schiff!»

«Von wegen heben«, murmelte Allday verächtlich.»Ehe wir nicht klar von diesem Vorland sind und ein bißchen Wind kriegen, hebt sich gar nichts!»

«An Deck!«Die Stimme des Ausgucks klang ungewöhnlich laut.»Schiffe vor Anker hinter der Landspitze!»

Bolitho atmete langsam aus.»Signalisieren Sie diese Meldung weiter an die Buzzard!»

Sekunden später flatterte bereits die Bestätigung von der Rah der Fregatte. Javal ging es offenbar genauso wie ihnen allen: er war gespannt bis zum Äußersten.

Bolitho sah auf seine Uhr. Die Nicator mußte jetzt die nördliche Durchfahrt passiert haben und mehr Segel setzen, um den entsche i-denden Teil ihrer Aufgabe in Angriff zu nehmen. Selbst wenn die französischen Feldwachen sie gesichtet hatten, war es für einen Stellungswechsel der Landbatterie zu spät.

Die Detonation kam wie ein abgehackter Donnerschlag. Bolitho sah weder Mündungsfeuer noch Rauch, nur die Spur des Geschosses auf der Wasserfläche. Es mußte ein ganz flacher Schuß sein, denn er konnte unter den Bahn eine Linie winziger Wellen sehen — wie von einer gespenstischen Bö oder einem angreifenden Hai.

Die Kugel schlug im Vorschiff ein. Die Matrosen brachen in Gebrüll aus, und Bolitho sah den Zweiten Offizier von Geschütz zu Geschütz eilen, um die Mannschaft zu beruhigen.

«Sehen Sie, Sir! Soldaten!«Allday deutete mit seinem Entersäbel hin.

Bolitho beobachtete die winzigen blauen Gestalten, die jetzt unter den Bäumen hervor zur Landspitze hasteten. Vielleicht glaubten sie, daß noch ein zweiter Verband kommen und eine Landung versuchen würde, die sie abwehren mußten. Bolitho leckte sich die trockenen Lippen. Wenn es doch einen zweiten Schiffsverband gegeben hätte!

«Drehen Sie einen Strich ab, Captain«, sagte er,»damit die obere Batterie besseres Schußfeld hat!»

Farquhar protestierte:»Achtzehnpfünder gegen Infanterie, Sir?»

Gelassen erwiderte Bolitho:»Dann haben die Leute zu tun und kommen nicht auf unnütze Gedanken. Außerdem kann es das Selbstvertrauen des Feindes dort oben erschüttern. Sie sind auf ein ganzes Geschwader gefaßt, vergessen Sie das nicht!»

Er zuckte zusammen, denn wieder hallte ein Abschuß über das Wasser; hoch oben sauste die Kugel bösartig über die Masten.

«Steuerbordbatterie klar!«Outhwaite deutete auf die rennenden Soldaten.»Bei der Hebung!«Er stieß die Sprechtrompete hoch.

«Feuer!»

Die lange Linie der Rohre glitt im Rückstoß binnenbords; wirbelnd zog der Rauch über die Finknetze. Bolitho hielt das Glas auf das Land gerichtet; die Kugeln peitschten durch Bäume und Gebüsch, warfen Erde und Steine auf und verursachten ein wüstes Durcheinander. Die Soldaten hatten offenbar ähnliche Bedenken wie Farquhar gehabt, denn viele erwischte es im offenen Gelände; Bolitho sah Menschen, Musketen und Trümmer durch die Luft fliegen.

Es hatte nicht viel zu sagen, machte aber doch den Geschützbedienungen etwas mehr Mut. Er hörte Hochrufe und aus der unteren Batterie Schreie der Enttäuschung, weil sie nicht feuern durfte.

Outhwaite war von der Erregung angesteckt.»Schneller, Jungs! Neu laden! Mr. Guthrie eine Guinea[27] für das Geschütz, das zuerst ausrennt!»

Aus dem Augenwinkel sah Bolitho das Vorland achtern weggleiten; die erste Gruppe der ankernden Schiffe schimmerte im schwachen Morgenlicht auf; die Segel waren festgemacht, und die Unbeweglichkeit der Rümpfe ließ erraten, daß jedes Schiff mit seinem Nachbar fest verbunden war, so daß sie eine starre Schranke bildeten. Er hatte erwartet, daß die Franzosen auf diese Weise ankern würden. Es war eine bevorzugte Form der Verteidigung, schon lange, bevor man von der Revolution auch nur geträumt hatte.

Dann sah er Mündungsfeuer aufblitzen. Es kam aus einem tiefen grünen Sattel zwischen zwei Hügeln. Bis jetzt hatten sich die dortigen Kanoniere nur auf die Entfernung eingeschossen. Nun wurde es ernst.

Die Kugel schlug mittschiffs in den Rumpf der Osiris, ziemlich tief, dicht über der Wasserlinie. Noch dort, wo Bolitho stand, federten die Planken so stark, als säße der Treffer dicht unter seinen Füßen, nicht zwei Decks tiefer. Er sah die Angst in Farquhars Gesicht, als der Bootsmann mit seinen Leuten auf ein Luk zustürmte, und sah auch die Fäden dunklen Rauchs, die über den Netzen hochwirbelten und zeigten, wie genau die Kugel saß.

Achtern hörte er das regelmäßige Krachen von Geschützen: Javal folgte seinem Beispiel und beschoß die nächstliegenden Hänge in der Hoffnung, einen lohnenden Treffer anzubringen.

«An Deck! Französisches Linienschiff vor Anker hinter den Transportern!»

Bolitho ließ sein Glas über der Reling entlang hingleiten. Gesichter huschten wie Geister durch die Linse, dann fand er den französischen Vierundsiebziger und stellte das Glas genauer ein. Wie die dichtgedrängten Transporter lag auch er noch vor Anker. Doch die Segel waren nur lose aufgegeit, und die Ankertrosse war schon kurzstag, bereit zum Aufholen. Dahinter glitt eine Fregatte langsam vor dem Wind dahin; eben wurde ihre Fock gesetzt und leuchtete kurz im Sonnenlicht auf. Die beiden kleineren Begleitschiffe, Korvetten laut Plowman, mußten anderswo liegen. Das war nicht verwunderlich. Denn die Masten und Rahen der Transportschiffe überschnitten sich in einem scheinbar hoffnungslosen Gewirr. Grimmig musterte Bolitho sie durch sein Glas. Schwer beladen. Kanonen, Pulver, Kugeln, Zelte, Gewehre, Proviant für eine ganze Armee.

Wieder schlug eine Kugel dicht beim Rumpf ein und ließ das Deck erbeben.

Das einzige Mittel, der langsamen Vernichtung durch die weitreichende Artillerie zu entgehen, war, mehr Segel zu setzen, anzugreifen und so nahe an die ankernden Schiffe heranzusegeln, daß der Feind nicht mehr genau schießen konnte.

«Wo bleibt bloß die Nicator?«fragte Farquhar erregt.»Herrgott, sie müßte doch jetzt in Sicht kommen!»

«Der französische Vierundsiebziger hat Anker gelichtet, Sir!»

Bolitho blickte zu Farquhar hin, doch der hatte die Meldung offenbar nicht gehört.

«Danke«, sagte Bolitho,»Mr. Outhwaite, Steuerbordbatterien feuerbereit!»

Dann sah er, daß der Bootsmann unter dem Achterdeck hervorkam und etwas zu melden hatte.»Zwei Durchschüsse, Sir. Aber bis jetzt kein Schaden unter der Wasserlinie. Wenn's nicht schlimmer wird, geht's noch.»

«Danke«, sagte Farquhar kurz und nickte.

«Setzen Sie die Fock, Captain«, sagte Bolitho zu ihm.»Und Signal an die Buzzard: gt;Breche in Kürze durch die feindliche Li-nielt;!»

Farquhar starrte ihn an.»Wir könnten uns in ihren Festmachern verfangen, Sir! Ich würde vorschlagen.»

Beide duckten sich, denn wieder flog eine Kugel niedrig über ihre Köpfe hinweg, und Bolitho fühlte ihren Atem an seinen Schultern wie das Sausen einer Säbelklinge.

«Die Nicator müßte jetzt schon in Sicht sein«, sagte er.»Mindestens für den Ausguck. Probyn muß also auf Widerstand gestoßen sein. Wenn weder er noch wir zum Angriff kommen, würden wir alle beide für nichts und wieder nichts kaputtgeschossen!»

Er ging zur Leeseite. Weit vorn sprang eine dünne Wassersäule hoch. Die Franzosen und ihre neuen Geschütze waren sehr gut. Auf diese Entfernung konnten sie kaum noch danebenschießen, und dennoch warteten sie ab. Sparten ihre Munition für die Hauptmasse des Geschwaders, das sie erwarteten; oder sie wollten sich erst über die Taktik der Engländer klarwerden.

Nein, das konnte nicht stimmen. So vertrauensselig konnte kein Artillerieoffizier sein.

Er hörte, wie das Ruderrad überkam, die neugesetzte Fock erst killte und dann zog, wie die Brassen dichtgeholt, die Rahen getrimmt wurden. Auf dem Achterdeck, das sich nach Lee neigte, ruckte einer der Neunpfünder heftig an seinen Zügen. Auf diese plötzliche Segelverstärkung würde die französische Artillerie wahrscheinlich reagieren.

So gelassen wie möglich schritt er zur anderen Seite und spähte über das wimmelnde Batteriedeck nach dem französischen Zwe i-decker. Unter geringster Besegelung stand er in etwa zwei Meilen Distanz. Schon das war ein Fehler. Sein Kommandant befehligte das stärkste der anwesenden Kriegsschiffe, seine erste Pflicht war es, die Transportflotte zu schützen, ganz gleich, was kam.

Noch eine halbe Meile; durch sein Glas konnte Bolitho die winzigen Gestalten auf den Decks der nächstliegenden Transporter herumrennen sehen. Die glaubten wahrscheinlich immer noch, die Osiris sei ein Dreidecker und sie würden die erste volle, vernichtende Breitseite abbekommen.

«Einen Strich anluven, Captain!»

«Aye, Sir. Kurs Nord zu West.»

Bolitho sah Pascoe fragend an.»Ist die Nicator zu sehen?»

«Nein, Sir. «Pascoe deutete auf den Pulk der Schiffe.»Sie läßt sich ein vielversprechendes Ziel entgehen.»

Doch Bolitho kannte Adam gut genug, um diese kühle Bemerkung zu durchschauen. Er sah auch, wie Midshipman Breen, der Pascoe beim Signaldienst half, diesen anstarrte, als flehe er um die Bestätigung, alles sei in Ordnung.

Die nächsten, an der Spitze zweier getrennter Reihen ankernden Transporter eröffneten das Feuer mit ihren Buggeschützen; winselnd flogen die Kugeln hoch über das Schiff; eine nur schlug ein sauberes Loch ins Großmarssegel.

Plötzlich rief der Master:»Untiefen an Backbord voraus, Sir!»

Unwillig erwiderte Farquhar:»Von denen sind wir doch klar! Was soll ich denn dagegen tun, Mann? Fliegen?»

Von dem, was jetzt kam, hörte Bolitho überhaupt nichts, wie in einem Fiebertraum: an Backbord barst das Schanzkleid auseinander, mit einer Eruption umherfliegender Splitter rissen die Decksplanken in schiefer Linie auf, Trümmer und das ganze Rohr eines Neunpfünders landeten auf der anderen Deckseite. Das geladene Geschütz ging los, seine Kugel riß eine andere Kanone um, die auf ihre Bedienung stürzte; die Schreckens- und Schmerzens-schreie gingen im Getöse unter.

Das schwere Geschoß, eine doppelte Ladung wahrscheinlich, hatte auch das Ruderrad zertrümmert. Zwei Rudergasten lagen tot oder besinnungslos daneben, ein dritter war nur noch ein blutiger Brei. Der explodierte Neunpfünder hatte Bevan, den Master, fast entzweigeschnitten, sein Blut ergoß sich über das gesplitterte Deck; eine Hand krallte sich in die herausquellenden Eingeweide, als wolle sie allein sich noch ans Leben klammern.

Plowman tauchte aus dem driftenden Qualm auf.»Ich übernehme, Sir!«Er zerrte einen verängstigten Matrosen unter einem Stoß Hängematten hervor.»Auf! Komm mit nach achtern, wir schlagen eine Talje am Ruderkopf an!»

Wieder ein Krachen, diesmal seitlich am Achterdeck. Mehrere Marine-Infanteristen stürzten von der Leiter, und Bolitho hörte die schwere Kugel die Bordwand durchschlagen und durch das menschenwimmelnde Geschützdeck pflügen.

«Segel weg, Captain!«schrie er und hob den Degen.»Die Franzosen haben sich eingeschossen!»

Er konnte weder Angst noch Bitterkeit empfinden, nur Wut. Die jetzt steuerlose Osiris drehte schwerfällig vor den Wind — Bevan, der tote Master, hatte die Gefahr geahnt, ohne zu begreifen, was sie bedeutete. Jetzt war es zu spät. Der Druck des Windes gegen Segel und Rumpf reichte aus, um die Osiris auf jene Sandbank zuzutreiben.

Der Feind hatte sein Eröffnungsfeuer benutzt wie einen Stachelstock gegen streunendes Vieh. Ein Stoß hier, ein Stich dort, um das hilflose Rind in eine sorgfältig aufgebaute Falle zu treiben.

Die beiden verborgenen Geschütze feuerten jetzt mit neuer Kraft. Die Kugeln krachten in den Schiffsrumpf oder schlugen gefährlich nahe bei der Buzzard ein, die immer noch auf die ankernden Schiffe zuhielt. Jetzt rief Pascoe:»Die feindliche Fregatte setzt mehr Segel, Sir! Und eine Korvette kommt vom Ankerplatz klar!»

Bolitho richtete sein Glas durch den driftenden Rauch zuerst auf die Fregatte. Lang und schlank. Achtunddreißig Kanonen gegen Javals zweiunddreißig. Vorausgesetzt, daß er bisher der schweren Artillerie entgangen war, würde er eine ganz gute Chance haben. Wenn er die Korvette abwehren konnte. Wenn, wenn, wenn, klang es höhnend durch sein Hirn.

In der Linse erschien ein dunkler Fleck, und Bolitho schwenkte sie weiter, um den französischen Vierundsiebziger ins Blickfeld zu bekommen. Auch jetzt noch fuhr er nur unter den notwendigsten Segeln und näherte sich der Osiris ganz langsam auf konvergierendem Kurs. Die Geschütze waren ausgerannt, aber noch im Schatten. Er dachte darüber nach. Im Schatten? Also legte der Kommandant keinen Wert darauf, die Luvposition zu behalten. Sie hielt von Steuerbord auf die Osiris zu, die gerefften Marssegel dicht angebraßt; Vorderkastell und sogar Galion wimmelten von Matrosen und blinkenden Waffen. Er konnte den Namen deutlich ablesen: Immortalite.

«Was ist mit dem Ruder, Mr. Outhwaite?«brüllte Farquhar heiser.»Haben Sie ein Notruder fertig?»

Bolitho beobachtete das gekräuselte Wasser hinter der Sandbank. Noch fünfzig Yards, knapp. Selbst wenn sie Anker warfen, konnten sie jetzt nicht mehr freikommen und schon gar nicht den Transportschiffen irgendwelchen Schaden zufügen.

Er beobachtete den Zweidecker mit der im Sonnenschein leuchtenden Trikolore und zuckte zusammen, als er noch eine zweite Flagge am Großmast entdeckte: einen langen, gespaltenen Wimpel.

Pascoe sah ihn an und versuchte zu grinsen.»Ein Kommodore, Sir. Für uns gehörte sich eigentlich ein richtiger Admiral!»

Eine Kugel fuhr donnernd durch eine der unteren Stückpforten; Bolitho hörte Schreie und Rufe nach den Maaten des Schiffsarztes.

Er wandte sich wieder dem französischen Schiff zu. Längst hätte Probyn hier sein und eine volle Breitseite in die ankernden Transporter feuern müssen, die jetzt vollkommen unverteidigt waren, da der Zweidecker und seine kleineren Gefährten an der Küste entlangsegelten, um das Gefecht zu beginnen. Die Nicator wäre auf keinen Widerstand gestoßen. Zorn wallte brennend in ihm auf.

Wieder erbebte das Deck, und mit einem Knall wie von einem Pistolenschuß kam die Vormaststenge herunter und stürzte über Bord, ein schlangengleiches schwarzes Gewirr von gebrochenen Stangen und Wanten mit sich reißend.

«Aufgelaufen!«schrie Farquhar mit wildem Blick. Er trat ein paar Schritt zur Seite und rutschte dabei in einer Blutlache aus.»Gottverdammt!«Er schützte sein Gesicht mit dem gebogenen Arm, denn wieder schlug eine Kugel ins Schanzkleid und riß zwei Männer nieder, die einen verwundeten Kameraden von der Stückpforte zurückzogen.

«Ihre Befehle, Sir?«fragte Farquhar mit ausdrucksloser Stimme.

Bolitho ließ die Transporter nicht aus dem Auge; sie schienen sich jetzt zu bewegen, schienen in einem riesigen Pulk am Bug vorbeizuziehen. Doch das sah nur so aus, weil die Osiris unter dem Druck des Windes sehr langsam drehte, während ihr Vordersteven im harten Sand festsaß.

«Ich glaube«, sagte er langsam,»wir werden bald die Steuerbordbatterien abfeuern können.»

Pascoe nickte dazu. Sein Gesicht war aschfahl, denn weitere Explosionen schleuderten Schlamm und Sprühwasser über die Netze. Der bemalte Streifen Leinwand, der den Feind eine Zeitlang getäuscht hatte, war längst vom heißen Sturmwind der Kanonen weggerissen. Schmerzhaft fest packte Bolitho mit der Rechten seinen linken Arm, um sich nicht die Verwüstungen und das noch drohende Unheil auszumalen.

«Da — jetzt setzt der Franzose mehr Segel, Captain!»

Mit weit aufgerissenen Augen starrte Farquhar hinüber.»Mein Gott!»

Langsam, unerbittlich, sich um den festsitzenden Bug drehend, schwang die Osiris weiter vom Land weg. Kein Wunder, daß der französische Kommandant abgewartet hatte. In etwa dreißig Minuten, wenn er die Sandbank und das in der Falle sitzende Schiff in Lee passierte, hatte er freies Schußfeld auf das ungeschützte Heck der Osiris. Kein Kommandant konnte sich ein besseres Ziel erhoffen; seine Breitseite mußte vom Heck bis zum Bug durch den ganzen Rumpf fegen.

«Wir sind erledigt«, keuchte Farquhar.

Bolitho schritt an ihm vorbei.»Weitergeben: Feuer aus allen noch intakten Rohren! Wenn wir nur ein bißchen Glück haben, versenken wir noch ein halbes Dutzend von denen!»

Der Befehl lief weiter, die Züge quietschten, die Geschützführer richteten die Rohre, soweit es irgend möglich war, auf die Transportschiffe: eine letzte Breitseite noch sollte treffen.

Diese Männer, das wußte Farquhar, sahen nur den Feind; und selbst wenn sie ahnten, in was für einer Klemme sie saßen, erkannten sie wahrscheinlich nicht in vollem Umfang, was das bedeutete.

«Feuer!»

Die Achtzehnpfünder fuhren im Rückstoß binnenbords, ihre Bedienungen arbeiteten wie die Irren, putzten aus, rammten neue Ladungen hinein.

Bolitho warf einen raschen Blick auf den Kommandanten. Sein Gesicht verzerrte sich beim Krachen jedes Abschusses, denn der Rückstoß so vieler Geschütze trieb die Osiris immer tiefer in den Sand. Farquhar wußte, daß sein Schiff bereits erledigt war, und daß Bolitho trotzdem weiterkämpfte. Bis zuletzt.

Heiser sagte Allday:»Der Hang drüben brennt anscheinend, Sir!»

Bolitho rieb sich die Augen mit dem Ärmel und starrte nach Backbord voraus. Jetzt hatte sich die Osiris ganz gedreht, und er konnte die dichte Rauchwand sehen. Feuerzungen schossen heraus, sie rollte auf die See zu und machte das Chaos noch schlimmer.

Allday sprach es statt seiner aus.»Das muß Mr. Veitch gewesen sein. Hat den Hang angesteckt. Da ist vermutlich alles dürr wie Zunder. «Er seufzte.»Ein tapferer Mann. Bei der Küstenbatterie können sie jetzt bestimmt nichts mehr sehen vor Qualm. Da hat er ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht!»

Eine heftige Detonation rollte übers Wasser, und Bolitho sah, daß der dicke Rauch einen glühendroten Kern bekam.

Pascoe hustete vom Qualm.»Wir haben einen Transporter getroffen, Sir. Muß Pulver geladen haben!»

Trümmer klatschten ins Wasser. Auch hinter dem Rauch war das Krachen leichterer Geschütze zu hören — das mußte Javal sein, der sich wahrscheinlich mit zwei Gegnern auf einmal herumschlug.

Der Ausguck überschrie das Getöse:»Ein paar Franzosen laufen aus!»

«Haben wohl ihre Trossen gekappt«, sagte Bolitho.

Er konnte es ihnen nicht verdenken. Wenn einer oder mehrere von ihnen in Brand oder manövrierunfähig geschossen wurden, dann hatten sie nur Nachteile, wenn sie an Ort und Stelle blieben.

Er betastete mit der Schuhsohle das Deck. Es war leblos, abgesehen von dem heftigen Vibrieren beim Schießen. Keiner konnte sie mehr aufhalten.

Etwas sauste an ihm vorbei und krachte in einer jaulenden Woge von Splittern gegen einen Neunpfünder. Männer fielen um sich schlagend und schreiend: Blut spritzte auf Bolithos Kniehose.

Er wandte sich um und sah Farquhar an der Achterdecksreling lehnen. Er blickte starr zur untersten Rah empor und preßte beide Hände auf die Brust.

Bolitho eilte zu ihm.»Ich bringe Sie unter Deck!»

Langsam wandte Farquhar ihm den Blick zu. Vor Anstrengung entblößte er die Zähne und formte jedes Wort einzeln, um die Schmerzen zu unterdrücken.»Nein. Lassen — Sie mich. Muß — hierbleiben. Muß.»

Er hatte das Vorderteil seines Uniformrocks zu einem festen Knäuel zusammengedreht, das jetzt schon leuchtend rot war.

«Ich bringe ihn hinunter«, sagte Allday.

Wieder erzitterte das Schiff, als die untere Batterie ihre Wut an den noch verankerten Transportern ausließ. Mehrere Masten waren dort gefallen, die beiden vordersten Schiffe lagen gefährlich schief, das eine wurde beinahe überspült, das andere war ein rauchgeschwärztes Wrack.

Farquhar versuchte, den Kopf zu schütteln.»Laßt die Pfoten von mir!«Schwankend fiel er gegen Bolitho.»Mr. Outhwaite!»

Aber der Erste Offizier saß gegen eine verlassene Kanone gelehnt, den Kopf auf die Brust gesunken; das Deck um ihn herum war blutüberströmt.

«Allday!«rief Bolitho.»Holen Sie Mr. Guthrie! Alle Verwundeten sollen aufs Hauptdeck gebracht werden, auf die Backbordseite! Aber machen Sie rasch!»

Der Rauch am Hang mischte sich mit dem der Kanonen. Wenigstens hatte Veitchs Kühnheit den Verwundeten eine Chance gegeben. Ohne den Rauchschirm hätten die beiden Belagerungsgeschütze jeden Versuch, Boote auszusetzen, vereitelt. Nun feuerten die Franzosen blind über das Wasser, und das unheimliche Heulen der schweren Kaliber mischte sich mit den Schreien der Sterbenden und Verwundeten.

Ein kleiner Mann tauchte aus dem Qualm auf — der Schiffsarzt.

Trotz Farquhars Protest riß er ihm den goldbetreßten Uniformrock auf. Das Haar wurde ihm von einer tieffliegenden Kugel ins Gesicht geweht, während er einen dicken Verband über den hellroten Fleck legte.

«Gehen Sie nach unten, Andrews!«keuchte Farquhar.»Kümmern Sie sich um die Leute!»

Verzweifelt sah der Arzt zu Bolitho auf.»Ich bringe die Verwundeten an Deck, Sir. «Verwirrt starrte er das zerschmetterte Schanzkleid an und die hingemähten Toten. Selbst nach der grauenvollen Arbeit, die er tief unten im Orlopdeck zu verrichten hatte, mußte ihm das hier oben wie die Hölle vorkommen.»Werden Sie die Flagge streichen, Sir?»

Farquhar hörte es und keuchte: «Streichen? Scheren Sie sich weg, Sie verdammter Idiot! Eher will ich Sie in der Hölle sehen, als daß ich meine Flagge streiche!»

Bolitho winkte Pascoe.»Kümmere dich um den Captain! Auch Sie bleiben hier, Allday!»

Er scherte sich nicht um ihre Bestürzung, sondern rannte zur Reling, starrte mit schmerzenden Augen durch den Rauch, bis er den Bootsmann entdeckt hatte. Er wußte seinen Namen nicht mehr, aber er rief ihn an; endlich sah der Mann zu ihm auf, das Gesicht von Pulverrauch und verkohlten Trümmern so schwarz wie das eines Negers.

«Bringen Sie den Kutter an Steuerbord zu Wasser! Auch ein Floß, wenn Sie es schaffen können!»

Auf einen Ruf Pascoes wandte er sich um und sah ein bleiches Segeldreieck durch den Rauch näherkommen; der Rumpf war noch nicht zu sehen.

Seine Degenspitze berührte das Deck, denn ihm sanken hilflos die Arme hinunter. Die Frist war verronnen, der Franzose war da. Hatte sich wie ein Jäger, der ein waidwundes Tier verfolgt, zum Heck der Osiris geschlichen.

Bolitho sah auch, wie der Kommodorestander sich im ablandigen Wind hob, und er fragte sich flüchtig, ob man von drüben auch seinen Wimpel über diesem Chaos aus Blut und Vernichtung noch flattern sah. Eine Bö trieb den Qualm himmelwärts; nur an den gelbroten Flammenzungen, die aus dem Rauch schossen, sah man, daß dieser Windstoß Menschenwerk war.

Deck um Deck, immer paarweise, hämmerten die Geschütze des Vierundsiebzigers ihre Kugeln ins Heck der Osiris.

Das nahm kein Ende! Schon sah Bolitho die blindlings rennenden, stürzenden, zuckenden, sich wälzenden Gestalten kaum noch als Menschen, nur noch als formlose, sinnlose Schreckensbilder mit lautlos klaffenden Mündern.

Atemlos wankte er zur Reling, soweit sie noch vorhanden war. Dort standen noch immer Pascoe und Allday und hielten, jeder von einer Seite, den Kommandanten aufrecht. Allday hatte eine tiefe Wunde im Arm. Pascoe eine dunkle Beule an der Stirn, wo ihn ein Holzstück getroffen hatte. Bolitho hatte noch nicht wieder Atem genug, um sprechen zu können, aber er hielt sich irgendwo fest und nickte ihnen zu.

Auf dem Oberdeck stand kein Mensch mehr; achtern, vorn und auf den Laufgängen häuften sich gebrochene Spieren, Stage und Wanten. Überall wallte Rauch auf. Unter den Trümmern schrien Menschen nach Hilfe, riefen Namen, fluchten Sinnloses.

«Der Besan kommt jeden Moment von oben, Sir«, keuchte All-day mit letzter Kraft.»Er hängt nur noch an den Wanten!»

Durch das Getöse der fallenden Spieren und brüllenden Menschen hörte Bolitho fernes Hurrarufen: das Siegesgeschrei der Franzosen.

Farquhar stieß Pascoe zurück und wankte zu den zerrissenen Webleinen. Seine Uniform hing in Fetzen, mehrere Holzsplitter staken wie Pfeile in seinen Schultern. Blut aus seiner Brustwunde bezeichnete seinen Weg zum Schanzkleid; als Bolitho ihn endlich auffing, waren seine Augen fast geschlossen.

«Haben wir die Flagge gestrichen, Sir?«keuchte er.

Bolitho hielt ihn fest im Arm, auch Pascoe kam herbei. Den Mast mit Wimpel, Stagen und Wanten hatte eine Breitseite weggefegt.

«Nein, das haben wir nicht.»

Mit weitgeöffneten Augen sah Farquhar ihn an.»Das ist gut, Sir. Tut mir leid, daß…«Offenbar überwältigte ihn eine neue Schmerzwelle, dennoch stieß er wütend hervor:»Probyn soll in der Hölle faulen — er hat uns auf dem Gewissen!»

Bolitho stützte Farquhar. Pascoe beobachtete dessen Gesicht, als könne er darauf die Antwort auf alle seine Fragen ablesen.

Undeutlich murmelte Fraquhar:»Lassen Sie mich, Sir. Ich kann schon wieder allein stehen. Dieser Idiot von Outhwaite soll. «Ein letzter Schimmer von Bewußtsein blitzte in seinen Augen auf und erstarrte.

Der Zweite Offizier stolperte durch den Rauch, blieb aber reglos stehen, als Bolitho sagte:»Hier, halten Sie Ihren Kommandanten, Mr. Guthrie. «Er wandte den Blick ab.»Sir Charles Farquhar ist tot.»