"Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im östlichen Mittelmeer" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)XVII SturmwolkenEs dauerte beinahe zwei Wochen, bis Bolitho das Signal Nach der wilden Schlacht, dem Hochgefühl beim Anblick der Die Depeschen voraus; er wußte, daß Herrick immer noch seine Zwe i-fel hatte, ob Leutnant Fitz-Clarence bis zum Hafen kommen und der Admiral in Gibraltar seine Depeschen auch erhalten würde. Vielleicht hätte er die Das Kinn auf der Brust, mit dem Oberkörper die Schiffsbewegungen ausgleichend, ging er nervös in der Kajüte auf und ab. Da hörte er den Ruf:»An Deck! Segel in Nordwest!» Diesmal konnte er sich nicht beherrschen und eilte, ohne auf Meldung vom Achterdeck zu warten, hinaus zu Herrick und den anderen Offizieren. Herrick faßte an den Hut.»Sie haben es gehört, Sir?» «Aye, Thomas.» Prüfend überschaute Bolitho das obere Batteriedeck. Einen ganzen Monat war es schon her, daß die französischen Versorgungsschiffe unter ihrem Beschuß gesunken und verbrannt waren; kein Wunder, dieser Zeitverlust bei dem schlechten Wetter und den unumgänglichen Verzögerungen durch die Reparaturen. So lange war es schon her, daß Farquhar und die vielen Männer gefallen waren. Und daß die Die Männer am Schanzkleid, auf den Laufbrücken und in den Wanten, die nach dem fremden Schiff ausspähten, sahen zäher und kräftiger aus als vorher, fand Bolitho. Herrick hatte gut gearbeitet. Für einfache Matrosen war es nicht leicht zu begreifen, was jenseits ihrer eigenen Bordwand im Geschwader vorging. Manche Kommandanten machten sich nicht erst die Mühe, es ihnen zu sagen. Herrick jedoch hatte ihnen, wie er das grundsätzlich tat, Sinn und Ziel der Operation zu erklären versucht. Wäre Farquhar damals seinem Beispiel gefolgt, so wäre es besser für ihn gewesen. Dann hätten seine Männer, als das Schiff mit zerschossenem Ruder und ohne Masten auf die Sandbank zutrieb, wirklich ihr Alleräußerstes gegeben, und alles wäre vielleicht anders gekommen. Bolitho fuhr hoch, denn jetzt rief der Ausguck:»Die Sir!» Herrick grinste erleichtert.»Der gute alte Inch! Ich habe mich ohnehin gefragt, wo er so lange bleibt!» Die Segel der Schaluppe wuchsen aus der Kimm empor; unter allen Segeln, gefährlich schrägliegend, eilte sie auf das Geschwader zu. Bolitho sah die veränderten Schatten auf ihren Marssegeln und flehte zu Gott, der Wind möge sich nicht ausgerechnet jetzt gegen sie wenden oder abflauen. Der Gedanke, in der Flaute zu liegen, wenn Inch wichtige Nachrichten hatte, aber so weit entfernt war, daß kein Kontakt aufgenommen werden konnte, ließ sich kaum ertragen. Und der Wind hatte sich schon mehrmals so launisch benommen, seit sie aus dem Schutz der griechischen Insel heraus waren. Aufbrisend bis zur Sturmstärke, dann wieder zum Nichts verhauchend, so daß die klatschnassen Decks in der heißen Sonne dampften und die Schiffe reglos lagen wie Männer, die nach einer Prügelei bewußtlos sind. «Was meinen Sie, Sir?«fragte Herrick leise.»Gute oder schlechte Nachrichten?» Bolitho biß sich auf die Lippe. Inch war lange weg gewesen. Da das kleine Geschwader wichtige Informationen über Stärke und Bewegungen des Feindes gesammelt hatte, konnten inzwischen alle möglichen Entscheidungen getroffen worden sein. «Meiner Ansicht nach«, entgegnete er,»wird man jetzt eine Blockade der französischen Häfen aufbauen. Wenn Brueys erfahren hat, daß seine Versorgungsflotte und seine schwere Artillerie bei Korfu vernichtet worden sind, dürfte er über eine Invasion Englands etwas anders denken. Unsere Leute haben hart gearbeitet, Thomas. Ich hoffe, damit haben sie der Flotte wenigstens genug Zeit verschafft, daß eine entscheidende Unternehmung vorbereitet werden kann.» Als die In der großen Kajüte setzte Bolitho Commander Inch ein Glas Wein vor, damit er erst einmal zu Atem käme. Dabei kam ihm der Gedanke, daß es nach den Schlachten und ihren schweren Verlusten oftmals Männern wie Inch zufiel, Nachrichten von höchster Wichtigkeit zu überbringen. An Land hätte man ihn kaum bemerkt. Schlaksig, mit langem Pferdegesicht und ständig aufgeregt zappelnd, schien er kaum aus dem Stoff zu sein, aus dem die Helden gemacht waren, wie sie sich das Publikum gern vorstellte. Doch Bolitho wußte es besser und hätte Inch nicht für ein Dutzend anderer eingetauscht. «Ich habe die Depeschen abgeliefert«, berichtete Inch,»und — «, er warf einen raschen Blick auf Herrick — ,»meinen Passagier ebenfalls, Sir. Dann geriet ich in ungeheuer hektischen Betrieb. «Er runzelte die Stirn, um seine Gedanken zu sammeln.»Vizeadmiral Sir Horatio Nelson passierte Anfang Mai mit seinem Flaggschiff Gibraltar und nahm Kurs auf Toulon.» Herrick atmete tief auf.»Gott sei Dank!» Inch starrte ihn an.»Nein, Sir, so ist das leider nicht. Wir hatten einen starken Sturm, Nelsons Schiffe wurden zerstreut, sein eigenes entmastet und beinahe auf Strand geworfen. Er mußte einen Nothafen anlaufen, um seine Schäden zu reparieren: die Insel San Pietro vor Sardinien.» «Verdammtes Pech«, stöhnte Herrick. Inch schüttelte den Kopf.»Na ja — teils, teils, Sir.» «Los, Mann«, sagte Bolitho ungeduldig,»spucken Sie's schon aus!» Inch grinste entschuldigend.»Die Reparaturen haben Nelsons Pläne verzögert, aber ge rade dadurch konnte die Verstärkung ihn noch erreichen. Jetzt befehligt er vierzehn Linienschiffe, aber — «, Inch sah, daß sich Herricks Miene erhellt hatte, und fuhr eilig fort:»Die Sache ist die, Sir, derselbe Sturm, der die Bitter sagte Herrick:»Genau wie damals unsere Transporter. Verdammtes Dreckwetter!» «Ist das alles, Commander Inch?«Bolitho bemühte sich, gleichmütig zu sprechen, doch er fühlte die Enttäuschung in sich hochsteigen. Inch hob die Schultern.»Die Franzosen haben Malta kampflos genommen, Sir. Nelsons Schiffe haben Brueys' Flotte nicht aufgespürt. Er ist durch das ganze Ligurische Meer hinter ihnen hergefahren und hat sogar in mehreren Häfen gesucht, wo französische Schiffe mit Reparaturen liegen mochten.» «Das haben Sie sehr gut gemacht, Inch«, sagte Bolitho und bedeutete Ozzard, Wein einzuschenken.»Und haben Sie Depeschen für mich?» Inch nickte.»Der Admiral hatte mich nach Neapel beordert, Sir. Dort traf ich dann endlich unsere Flotte. «Er grinste verlegen.»Und Nelson auch.» «Was, zum Teufel, den?«Herrick starrte ihn an.»Das hätte ich sehen mögen!» «So sind Sie also nicht auf die Herrick erläuterte Inch, wie ihr Gefecht verlaufen war, und daß sie Prisen hatten. Bolitho hörte nicht hin. Seine Gedanken waren anderswo. Wenn Fitz-Clarence nun in Gibraltar war, mußte er zu spät gekommen sein; Bolitho konnte mit seinem Geschwader auch nicht mehr umkehren und Nelson suchen. Er machte sich Vorwürfe, weil er nicht geglaubt hatte, daß auf seine dürftigen Informationen hin die ganze britische Flotte so schnell auslaufen würde. Aufgeregt fragte Inch:»Wo sind denn nun die Franzosen? Nelson suchte vor Elba und Civita Vecchia und Neapel und hat keinen einzigen Franzosen gesehen. Sie dagegen kommen von Osten und haben auch keinen gefunden. Ich verstehe das nicht.» Bolitho wandte sich ihnen wieder zu.»Hat Nelson Sie gut aufgenommen?» «Gewiß, Sir, jawohl. «Inch runzelte die Stirn.»Er war ja nicht Bolitho fragte sich, was wohl hinter diesen einfachen Worten stecken mochte. War Nelson wütend auf ihn, weil er die Franzosen ebenfalls verloren hatte? Weil er eine britische Flotte, die anderswo dringend gebraucht wurde, ins Leere geschickt hatte? Inch fuhr fort:»Ich bekam Order, daß ich Ihnen, falls ich Sie finde, bestellen soll, so schnell wie möglich in Alexandria zur Flotte zu stoßen. «Er bemerkte Bolithos Überraschung.»O ja, Sir, Nelson hat volles Vertrauen in Ihre Schlußfolgerungen. Er glaubt, die Franzosen nehmen Kurs auf Ägypten oder sind schon da. «Anscheinend dachte Inch, diese Nachricht würde Bolitho in helle Aufregung versetzen. Doch Bolitho erwiderte:»Captain Herrick ist in eigener Initiative nach Alexandria gesegelt. Bis auf ein paar uralte türkische Kriegsschiffe und die gewohnten Küstenfahrzeuge war der Hafen dort leer. Und das wird auch der Fall sein, wenn Nelson eintrifft. «Er sah Herrick an.»Stimmen Sie mir bei, Thomas?» Herrick nickte.»Ich fürchte, ja. Nach allem, was wir in Korfu gesehen und gehört haben, sollten die Versorgungsschiffe erst einen anderen Hafen ansegeln, ehe sie zur Hauptflotte stießen. «Unmutig studierte er die Karte auf Bolithos Tisch.»Also wird Nelson, wenn er nach Osten segelt, Brueys' Flotte um hundert Meilen oder mehr verfehlen. Die Franzosen werden sich versammeln. «Er tippte auf die Karte.»Höchstwahrscheinlich vor Kreta. Während wir zwischen diesen Inseln mit Reparaturen beschäftigt lagen, segelte die größte Flotte seit der spanischen Armada nur ein paar Meilen südlich von uns vorbei, und wir haben nichts davon gemerkt!» Zweifelnd fragte Inch:»Was wird Brueys machen, Sir?» Bolitho musterte konzentriert die Karte.»Wäre ich in seinen Schuhen, ich würde sammeln, was von den Transportern noch übrig ist, und dann auf die warten, die vielleicht noch zwischen den Inseln und in den Buchten verstreut sind. Dann würde ich nach Südosten segeln. Nach Ägypten.» «Alexandria, Sir?«fragte Herrick gespannt. «Ja. Doch dort wird seine Flotte vor dem Hafen liegen bleiben. Irgendwo, wo sie eine bessere Verteidigungsposition hat.» Herrick nickte verständnisvoll.»Die Bucht von Abukir. Die wäre am besten — für Brueys. «Er verzog das Gesicht. Bolitho ging zum Heckfenster, breitbeinig, denn das Schiff lief eben durch ein tiefes Wellental. «Und Nelson segelt jetzt wieder nach Westen. «Er sprach wie zu sich selbst.»Er muß annehmen, daß Brueys ihn überlistet und schließlich doch irgendwo anders angegriffen hat.» Er hatte oft von Nelsons plötzlichen Depressionen gehört, von seiner Neigung zur Selbstkritik, wenn seine kühnen Ideen nicht gleich zum Erfolg führten. Draußen schoß etwas am Fenster vorbei: eine Möwe, die sich unter dem Hecküberhang einen arglosen Fisch aus dem Wasser holte. Ein paar hundert Meilen nur, doch bedeuteten sie den Unterschied zwischen Erfolg und Nichts. Er wußte, wo die Franzosen ihre Kampfverbände sammeln würden, die mit oder ohne schwere Artillerie sehr rasch die Wälle und Batterien Alexandrias einnehmen konnten. Er wußte es, konnte es aber dem Vizeadmiral nicht rechtzeitig mitteilen. Wäre er doch nur wie jene Möwe, könnte doch seine Nachricht so schnell reisen wie ein Vogel! Die Möwe mochte heute nacht auf einer der griechischen Inseln schlafen; doch seine Schiffe würden, in welche Richtung auch immer, kaum vorwärtskommen. Nachdenklich sagte er:»Rufen Sie alle Kommandanten sofort zu mir an Bord, Thomas! Wir müssen von unserer Unabhängigkeit Gebrauch machen, sonst nutzen wir Nelson gar nichts.» Inch fuhr hoch.»Sie wollen nicht zu Nelson stoßen?» Bolitho mußte über Inchs Betroffenheit lächeln.»Doch. Aber nachher.» Herrick machte Inch ein Zeichen mit dem Kopf.»Ich lasse das Signal hissen. Kommen Sie mit, Commander. «Er warf einen Blick auf Bolithos nachdenkliches Gesicht, denn er wußte aus Erfahrung, wann dieser mit seinen Gedanken allein sein wollte. Zwei Stunden später waren alle Kommandanten in der Kajüte versammelt: Javal, hohläugig von vielen schlaflosen Nächten, in denen er mit seiner geschwächten Mannschaft gegen See und Wind gekämpft hatte. Probyn, Mißtrauen auf den groben Zügen, der Bolithos Blick mied und sich einen Platz im Schatten suchte. Leutnant Gilchrist, verlegen unter so vielen Vorgesetzten, doch selbstsicherer, als Bolitho ihn je gesehen hatte. Das Kommando über einen Vierundsiebziger veränderte einen Mann eben in vieler Hinsicht. Gilchrist hatte es offenbar gutgetan. Außer Herrick und Inch waren noch Moffitt und Ozzard anwesend. Der Schreiber hockte mit Papier und Feder abseits an einem kleinen Tisch, während der Steward aufmerksam beim Weinschrank stand. «Gentlemen«, sagte Bolitho ernst,»ich habe Ihnen zu eröffnen, daß wir erneut auf die Suche nach den Franzosen gehen müssen. Brueys ist wieder auf hoher See und hat bis jetzt unsere Flotte abschütteln können, die den Auftrag hatte, ihn festzuhalten. «Javals Müdigkeit war auf einmal verschwunden; alle tauschten interessierte Blicke.»Wir mit unserem kleinen Geschwader müssen alles tun, was wir können, um die Pläne des Feindes zu durchkreuzen. Sie haben bereits viel mehr getan, als die Befehle uns vorschrieben, oder — «, er lächelte — ,»ungesagt ließen.» Herrick grinste versteckt und nickte Inch mit schweigendem Einverständnis zu. «Ich will Ihnen nichts vormachen«, fuhr Bolitho fort.»Wenn wir Feindberührung bekommen, ist das Risiko groß. Zu groß vielleicht. «Er sah Javal direkt ins Gesicht:»Und von Ihnen, Captain, muß ich ebenfalls volle Aufrichtigkeit verlangen.» Javal fuhr hoch.»Sir?» «In bezug auf Ihr Schiff. Wie stehen die Chancen der Die anderen sahen auf die Karte nieder oder zur Decke auf. Überall hin, nur nicht Javal ins Gesicht. Javal wollte aufstehen, sank aber wieder in den Stuhl zurück.»Noch einen solchen Sturm, wenn er nicht stärker ist, kann ich zur Not abwettern, Sir. Aber Sie wollen ja eigentlich etwas anderes wissen, nicht wahr? Kämpfen kann ich mit der Bolitho sah, was diese Worte Javal gekostet hatten und wie tief bekümmert er war. Ruhig erwiderte er:»Ich habe selbst eine Fregatte geführt und weiß, wie Ihnen zumute ist. Aber ich bin Ihnen dankbar für Ihre Offenheit, auch weil ich weiß, was die Javal nickte, und Bolitho wandte sich an Gilchrist.»Sie übernehmen die Gilchrist, der bisher mit offensichtlichem Mißbehagen zugehört hatte, sprang auf.»Danke, Sir. Es tut mir nur leid, daß…«Er setzte sich wieder hin, ohne seinen Satz zu beenden. «Wir haben drei Linienschiffe«, sprach Bolitho weiter.»Sie müssen von Männern befehligt werden, die Erfahrung besitzen. «Er warf einen kurzen Blick auf Probyn, aber der sah durch ihn hindurch.»Und Mut.» «Soll ich die Schwerverwundeten auf die «Wenn Captain Javal sie nach Abwerfen der Geschütze für seetüchtig hält, dann sollten wir das tun. «Lauschend hob er den Kopf.»Der Wind hat nachgelassen, glaube ich. Dann also los!«Er klopfte Inch auf den Arm.»Und Sie, Commander Inch, können jetzt die Nachricht von dem, was wir herausgefunden haben, unserem neuen Freund, Sir Horatio Nelson, überbringen.» Sie schickten sich zum Hinausgehen an, als Herrick sagte:»Farquhar wäre bestimmt gern dabeigewesen.» «Aye, Thomas. Begleiten Sie die Kommandanten zu den Booten, und dann sagen Sie Pascoe, er soll dem Geschwader wegen der Verwundeten signalisieren.» Bolitho hatte gesehen, daß Gilchrist noch etwas auf dem Herzen hatte, und wandte sich ihm jetzt zu.»Nun? Stimmt etwas nicht? Ich dachte, Sie sind mit Ihrem Kommando zufrieden, auch wenn es nur zeitweilig ist.» «Das bin ich auch, Sir. «Gilchrist sah verlegen zu Boden.»Ich bin kein reicher Mann; meine beste Aussicht ist Karriere im Dienst des Königs. Jetzt haben Sie mir meine erste wirkliche Chance gegeben — «, er schien nahe am Zusammenbrechen zu sein — ,»und ich kann sie nicht annehmen.» «Warum?«fragte Bolitho unbewegt.»Wegen Captain Probyn? Weil er Sie veranlaßt hatte, die Moral im Flaggschiff zu unterminieren?«Er sah Gilchrists Erstaunen und fuhr fort:»Ich wußte, daß an Bord etwas nicht in Ordnung war. Ein Mann, der bei der Marine Karriere machen und außerdem die Schwester seines Kommandanten heiraten will, würde auf keinen Fall so idiotisch handeln, wenn er nicht vor etwas Angst hätte.» «Jawohl, Sir. Das ist eine alte Geschichte. Mein Vater sollte wegen Schulden ins Gefängnis. Er war ein kranker Mann, ich wußte, er würde es nicht aushalten. Er hatte gewisse Schwächen, und niemand half ihm. Da entlieh ich mir Geld aus dem Messefond, den wir für Wein und frischen Proviant eingerichtet hatten. Ich wollte es zurückerstatten, sobald ich konnte. Der Erste Offizier aber hat es gemerkt. Ich mußte ein Geständnis unterschreiben; er drohte mir, wenn ich noch eine Pflichtverletzung beginge, würde er es benutzen.» «Er hat unrecht getan, Mr. Gilchrist. Ebenso wie Sie.» Gilchrist schien das nicht zu hören.»Als ich auf die «Der seinerzeit Ihr Erster Offizier gewesen war.» «Aye, Sir.» Das war es also. In all den Jahren seit seiner Gefangennahme hatte Probyn seinen Haß gegen Bolitho genährt, den einzigen aus seiner Vergangenheit, den er treffen und verwunden konnte. Und als er wieder auf Gilchrist stieß, hatte er ihm mit dieser alten Sache gedroht, um einen Keil zwischen Bolitho und Herrick zu treiben. Für Herrick hatte sich das letzten Endes günstig ausgewirkt. Doch andere hatten teuer dafür zahlen müssen, und indirekt war es die Ursache für Farquhars frühen Tod. Verzweifelt sagte Gilchrist:»Auf keinen Fall darf ich Ihre Güte noch weiter ausnutzen, Sir. «Er lachte bitter auf.»Und mein Vater ist sowieso gestorben. Alles war umsonst.» Bolitho betrachtete durch das salzfleckige Fenster die anderen Schiffe. Die Gelassen erwiderte er:»Ich gebe Ihnen den Schiffsarzt der Tiefbewegt nickte Gilchrist.»Sie haben mein Wort, Sir.» «Dann gehen Sie an Ihren Dienst. Sie haben eine Menge zu tun.» Bolitho konnte Gilchrists Erschütterung nicht mit ansehen. Hier war ein Mann von einer großen Sorgenlast befreit worden. Vom Schatten des Galgens sogar. Gilchrist ging zur Tür, unsicher auf seinen langen Beinen, ohne seinen gewohnten Springschritt. Er wandte sich noch einmal um, das Gesicht im Schatten.»Ich werde in der Heimat davon berichten, Sir. Was wir leisteten.» «Berichten Sie nur, daß wir es Mit ernstem Gesicht kam Allday aus der Schlafkajüte.»Darf ich Ihnen ein Glas Wein eingießen, Sir?«fragte er mit einem drohenden Blick zur geschlossenen Tür.»Sie waren viel zu milde mit dem, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.» «Er hat die Lektion hart gelernt, Allday. Und ich glaube, eines Tages wird es anderen zugute kommen.» Allday sah zu, wie Bolitho an seinem Wein nippte.»Und was wird mit Captain Probyn, Sir?» Bolitho lächelte melancholisch.»Berechtigte Frage. Aber er wird kämpfen, wenn er muß. Drei Kapitäne, mehr haben wir nicht. Persönliche Differenzen müssen da eben warten.» Allday grinste.»Aber einen Kommodore haben wir auch noch, Sir. Und mit allem Respekt, der ist nicht schlecht.» Bolitho sah ihn lächelnd an.»Geh zur Hölle, Mann!» «Aye, Sir. Bestimmt komme ich eines Tages hin. «Allday drückte sich zur Tür.»Wenn da vor lauter Admiralen überhaupt noch Platz ist.» Bolitho schritt zum Fenster und lehnte sich an das warme Holz. Diese wochenlangen Verzögerungen, die zerstörten Hoffnungen — jetzt bekam das alles einen Sinn. Was hatte er zu Gilchrist gesagt? Er riß sich zusammen und stellte das Glas weg. In fünf oder sechs Stunden ging die Sonne unter, dann mußte er unterwegs sein. Der Wind behinderte sie jetzt nicht mehr, sondern half; und diesmal würde das Ziel viel zu groß sein, um es zu verfehlen. In den nächsten Tagen segelte das Geschwader nach Osten und dann nach Süden; jede Woche verlief wie die andere. Bolitho formierte seine kleine Streitmacht in breiter Front, die Der Wind wurde faul und launisch, kam aber meist von Norden, so daß Bolitho, obwohl während der Nacht die Formation aufbrach, in breiter Linie weitersegeln konnte. Probyns Bolitho hatte Inch dem Geschwader vorausgeschickt, weil die schnelle, wendige Schaluppe lange vor den schwerfälligeren Linienschiffen in Alexandria sein konnte. Mit jedem Tag brannte die Sonne heißer, und die erste Begeisterung ging nach und nach in eine realistischere, resignierende Haltung über. Sooft es möglich war, wurde Geschützexerzieren angesetzt; nicht nur um die Leute zu beschäftigen, sondern auch, um die Neulinge in ihre Gruppen zu gewöhnen. Herrick hatte ihm berichtet, daß der Zahlmeister bereits bei den letzten Reihen der Salzfleischfässer angelangt war. Obst gab es nicht, und auch das Trinkwasser wurde knapp, vom Waschwasser gar nicht zu reden. An Bord der Bolitho hoffte, daß Javal und Probyn sich ebensoviel Mühe gaben, um ihre Mannschaft in Form zu halten. Denn auch, wenn sie diesmal den Feind nicht fanden, war es noch nicht zu Ende. Dann kam der lange, ruhelose Weg zurück nach Syrakus oder nach einem anderen Punkt auf der Karte, den der Kommodore angekreuzt hatte, weil er ihn für aussichtsreich hielt. Mehrmals hatte Javal signalisiert, daß er die Nordküste Afrikas gesichtet hätte, aber sonst schienen sie die See für sich allein zu haben. Streit brach aus; bei einer Messerstecherei wurde einer der Kämpfer schwer verwundet, und der andere wurde ausgepeitscht, bis er bewußtlos war — eine grimmige Erinnerung an die Borddisziplin. Dann, als Bolitho schon begann, sich wegen der Er war an der Halbinsel Pharos vorbei möglichst nahe an Alexandria herangesegelt. Doch wie schon vorher, war der Hafen leer bis auf das alte türkische Kriegsschiff. Ratlos hatte Inch gewendet und war zufällig auf ein kleines Genueser Handelsschiff gestoßen. Der Kapitän hatte bestätigt, was Bolitho von Anfang an vermutet hatte: Von Neapel aus war Nelson direkt nach Alexandria gesegelt; doch als er da nichts vorfand, hatte er sich mit seiner Flotte wieder nach Westen gewandt. Wie weit und in welcher Absicht, das konnte Bolitho nur vermuten; doch er vermochte sich vorzustellen, wie enttäuscht der Admiral gewesen war, als er weder in Neapel noch in Syrakus Informationen vorgefunden hatte und trotzdem seine Entscheidungen treffen mußte. Dieser Genueser hatte Inch und seinem Enterkommando erzählt, daß er von schweren französischen Kriegsschiffen gehört hatte, die vor der Küste Kretas liegen sollten. Aber das war schon viele Tage her. Trotz aller Fragen, Kartenvergleiche, sogar Drohungen war aus dem Händler nichts Genaueres herauszubekommen gewesen. Es war schon fast dunkel, als Inch seinen Bericht schloß. Herrick und Grubb hatten seine dürftigen Angaben auf die Karte übertragen. Bolitho wollte am Morgen die Bolitho hatte dem halbherzig zugestimmt. Bei besserem Wetter und ohne den großen Zeitverlust durch die Schlacht vor Korfu hätten sie vielleicht mehr Glück gehabt. Als er mit Herrick über seine Sorgen sprach, hatte dieser ebenso entschieden protestiert wie Inch. «Sie können nichts weiter tun, Sir. Sogar Vizeadmiral Nelson hat beim Sturm die Masten verloren und die Frogs aus Toulon entwischen lassen. Das ist, als suche man ein Kaninchen in einem großen Bau und hätte nur ein Frettchen. Die Chancen sind nicht sehr groß.» Bolitho sah die beiden an und lächelte.»Wenn ich euch befehlen würde, ihr sollt die Klippen von Dover hinaufsegeln — ich glaube, ihr würdet auch das machen!» «Nur auf schriftlichen Befehl, Sir«, grinste Inch. Sie gingen zusammen an Deck, und während Inch auf sein Boot wartete, starrte Bolitho in den glühenden Ball der untergehenden Sonne, deren Widerschein bereits wie buntes Fensterglas auf dem Wasser lag.»Also dann morgen.» Er ging nach achtern, sah auf den Kompaß und nickte dann Plowman zu, der Steuermannsmaat der Wache war.»Wie ist der Wind?» «Ziemlich stetig, Sir. «Plowman sah mit zusammengekniffenen Augen zu dem langen Wimpel hoch, der gleichmäßig vor dem Sonnenuntergang flatterte.»Morgen wird wieder so ein Tag wie heute.» Bolitho blieb noch stehen, denn Herrick kam soeben vom Fallreep zurück.»Geben Sie Signal an alle: Betroffen sah Herrick ihn an.»Ist Ihnen nicht wohl, Sir? Geht es etwa wieder mit dem verdammten Fieber los?» «Keine Angst«, lächelte Bolitho.»Es war nur so ein dummes Gefühl. «Er wandte sich zur Kampanje.»Ich habe einen Brief zu schreiben. Inch kann ihn mit seinen Depeschen überbringen.» Später, in der großen, knarrenden Kajüte, unter dem schwankenden Schein der Tischlampe, den Kopf in die Hand gestützt, starrte Bolitho auf den Brief an seine Schwester in Falmouth nieder. Er sah Nancy deutlich vor sich. Dunkeläugig, stets vergnügt, hatte sie ihm immer nähergestanden als Felicity, seine andere Schwester, die er seit sechs oder sieben Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie lebte mit ihrem Mann, einem Armeeoffizier, in Indien. Nancy dagegen war als Frau des Gutsbesitzers und Ratsherrn Lewis Rox-by in Falmouth geblieben, der, wenigstens nach Bolithos Ansicht, ein aufgeblasener, langweiliger Kerl war. Einst hatten sie zusammen im Schatten der Mauern von Pendennis Castle gelebt. Mit Hugh, und dann, drei Jahre später, mit Nancys beiden Kindern Helen und James. Jetzt war Hugh tot und Felicity auf der anderen Seite der Erde, und sie hatte keine Ahnung, daß die französische Flotte über das blaue Meer nach Ägypten segelte und dann zu ihr nach Indien wollte. Nancys Kinder waren erwachsen, fast in Adams Alter. Es war eine andere Welt. In Falmouth hing die Luft jetzt bestimmt voller Blütenduft. Kuhgebrüll, Pferdewiehern, Schafsblöken und die Kneipen voll lachender Menschen, die sich freuten, weil die We ide- und Fischgründe wieder so ausgiebig gewesen waren. Er schrieb weiter: gt;… und der junge Adam ist gesund und munter; er macht seinen Dienst mit einem Schwung, über den sich Vater gefreut hätte. Es ist noch nicht ganz sicher, liebe Nancy, aber ich glaube, Thomas hat endlich die Richtige getroffen. Ich hoffe es wirklich sehr, denn einen besseren Ehemann könnte es kaum geben.lt; Oben beim Skylight hörte er Schritte und Stimmen. Er blickte hoch. Aber sie entfernten sich, und er zermarterte sich den Kopf, was er seiner Schwester noch schreiben konnte. Jedenfalls nichts von der Kehrseite der Medaille. Von den Gesichtern der Mannschaft, wenn sie sich unbeobachtet glaubten und an ihre eigenen Familien dachten, von denen sie sich mit jeder Stunde immer weiter entfernten. Ebensowenig konnte er ihr erklären, was er vorhatte, und wie gering die Erfolgschancen waren. Dennoch würde sie sich das eine oder andere denken können. Schließlich war sie die Tochter eines Kapitäns und Enkelin eines Admirals. Nancy würde Bescheid wissen. gt;. Du wirst Dich an Francis Inch erinnernlt;, schrieb er weiter, gt;seit er Sir Horatio Nelson gesehen hat, fühlt er sich dreimal so groß und dreimal so bedeutend. Er war mächtig beeindruckt; ich habe allerdings den Verdacht, er hat sich Liebe Grüße an Dich und die Kinder, auch von Adam, der immer noch denkt, Du bist so eine Art Engel. Er kennt Dich eben nicht so gut wie ich.lt; Lächelnd stellte er sich vor, wie Nancy diese Stelle des Briefes freuen würde. Damals, als er auf See gewesen und Adam plötzlich unbekannt und hilflos aus dem Nichts aufgetaucht war, war er zu ihr gekommen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte keiner in der Familie, nicht einmal sein Vater Hugh gewußt, daß Adam überhaupt existierte. Unehelich geboren, hatte er bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr bei seiner Mutter in Penzance gelebt, und als sie gestorben war, hatte er sich zu Fuß auf den Weg gemacht, zu der Familie, der er in Wirklichkeit angehörte. Ja, an diese Tage würde sich Nancy erinnern, wenn sie den Brief las. Er schloß: gt;Denke manchmal an uns! Dein Dich liebender Bruder Dick.lt; Da trat Allday ein und sah ihn neugierig an.»Moffitt hat Ihre Befehle für die «Ja. Ich habe meiner Schwester geschrieben, daß Sie so widerborstig sind wie immer.» Ozzard kam herein, und Allday fuhr herum.»Na?» Ozzard zog sich zurück.»Wünscht der Kommodore noch etwas zu essen oder zu trinken?» Bolitho stand auf, ging unschlüssig zur Schottwand und betastete seinen Degen. «Legen Sie mir morgen meine Gala-Uniform zurecht, Ozzard. «Langsam drehte sich Allday zu ihm um.»Dann glauben Sie also.» Bolitho sah an ihm vorbei.»Ja. Ich spür's in den Knochen. Morgen oder nie.» «Auf diese Nachricht brauche ich einen Rum, damit ich schlafen kann. «Aber er grinste.»Mehrere, höchstwahrscheinlich.» Noch bis eine Stunde nach Mitternacht lief Bolitho in der Kajüte auf und ab, dachte an allerlei Menschen und daran, was er mit ihnen gemeinsam erlebt hatte. Endlich gab er der Deckwache Order, ihn morgen bei Sonnenaufgang zu wecken, und legte sich in die Koje. Überraschenderweise fühlte er sich ruhiger als jemals seit seinem Fieberanfall, und kaum hatte er die Augen geschlossen, da schlief er auch schon ein. Eine Hand an seiner Schulter weckte ihn. Herrick stand mit einer abgeblendeten Laterne vor ihm. Das Skylight erglühte im rötlichen Schein. «Was ist, Thomas?» Ganz schwach kam es wie ein Echo über die See: Hurrarufe. |
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