"Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im östlichen Mittelmeer" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

IV In Gefangenschaft

Richard Bolitho stand an der Achterdecksreling und sah in den Sonnenuntergang. Große, rostrote Flecken am Himmel ließen die westliche Kimm scharf hervortreten. Gemächlich glitt die Lysander unter Klüver und Marssegeln dahin; ihr breiter Rumpf neigte sich kaum vor dem Westwind, der ihr den ganzen Tag treu geblieben war.

Er starrte über das Deck zum Vorschiff, durch Wanten und Stage und den fettigen, dünnen Rauch aus der Kombüse. Mit Mühe konnte er den winzigen Umriß der Harrebell ausmachen, die weit vor dem Flaggschiff lag. Ihre Maststengen und Rahen standen wie Kreuze im ersterbenden Tageslicht.

Die anderen Schiffe seines Geschwaders waren am Nachmittag nach Süden verschwunden und würden jetzt mehr Segel setzen, um über den Punkt hinauszugelangen, an dem die Lysander angreifen sollte. Er vergegenwärtigte sich die Karte und stellte im Geiste noch einmal die bruchstückhaften Informationen zusammen, auf die er seine Taktik gebaut hatte. Er konnte die Küstenlinie fast vor sich sehen, die Berge hinter der Bucht, die Wassertiefen und die Sandbänke. Im Gegensatz dazu gab es eine ganze Menge Fakten, die er nicht kannte: Zum Beispiel, was der Feind an einem bestimmten Ort tat, beziehungsweise ob es wirklich so wichtig war, daß es sich lohnte, die ihm anvertrauten Schiffe deswegen zu riskieren.

Das Großmarssegel fiel ein, killte laut, als der Wind abflaute, und fand dann seine Kraft wieder. Der Steuermannsmaat der Wache machte es sich etwas bequemer und scherzte mit dem Rudergast; und auch an der Leeseite lockerte Leutnant Fitz-Clarence seine gespannte, wachsame Haltung.

Bolitho versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er zu tun hatte. Doch es war ruhig im Schiff und eine unmittelbar wichtige Entscheidung nicht zu treffen; so konnte er seiner Angst nicht ausweichen.

Seit zwei Tagen war er wieder an Bord; vor vier Tagen hatten Ja-vals Leute den Schoner genommen. Der mußte inzwischen schon in Gibraltar sein, auch bei ungünstigem Wind, es sei denn, er war einem überlegenen Feind begegnet. Das Schiff würde von einem Prisenausschuß verkauft, vielleicht auch in den Dienst des Königs übernommen werden. Die wenigen überlebenden Spanier würden auf eine Gefangenen-Hulk[11] kommen, wenn sie nicht von der Möglichkeit Gebrauch machten, sich zum Dienst auf einem britischen Kriegsschiff zu verpflichten. Nach fünf Jahren Krieg konnte man auf jedem Schiff des Königs ein Dutzend Sprachen und Dialekte hören.

Und Adam? Langsam trat Bolitho an die Wanten und starrte auf die See hinaus. Land konnte selbst der Ausguck nicht mehr erken-

nen, und der Himmel war bereits so dunkel, daß es schwerfiel, die Kimm zu unterscheiden, die vor Sekunden noch wie geschmolzenes Kupfer geglüht hatte.

Ein weiterer Leutnant war an Deck gekommen und sprach leise mit Fitz-Clarence. Vorn und tiefer unten im geräumigen Schiffsrumpf erklang der schrille Ton einer Bootsmannsmaatenpfeife, und Bolitho hörte das Tappen nackter Füße — die nächste Wache schickte sich an, das Schiff bis Mitternacht zu übernehmen.

Eine Bö wehte Kombüsendunst nach achtern, und Bolitho merkte, daß er nichts im Magen hatte. Aber bei dem Gedanken an Haferbrei und die fettigen Klumpen gekochten Fleisches, das übliche Mittagessen, verging ihm der Appetit.

Herrick tauchte im Niedergang auf und kam herüber zu ihm.

«Ich habe Mr. Gilchrist angewiesen, alle Offiziere und höheren Deckoffiziere gleich nach acht Glasen in der Messe zu versammeln, Sir. «Er zögerte und versuchte, im Halbdunkel Bolithos Stimmung zu erkennen.»Sie sind alle sehr gespannt.»

«Danke, Thomas. «Er wandte sich um, denn ein Bootsmannsmaat kam, gefolgt von einigen Männern seiner Wache, auf der Steuerbordlaufbrücke heran.

Ein Schiffsjunge prüfte die Kompaßlampe, ein anderer das Stundenglas daneben. Zwei Marine-Infanteristen nahmen langsam Haltung an, als ein Korporal nahte, um sie zu inspizieren. Fast schwarz sahen ihre roten Röcke in der tiefen Dämmerung aus. Die leuchtendweißen Brustriemen und Kniehosen verstärkten den Kontrast noch. Es waren die Wachtposten, einer für Herricks Kajütentür, einer für seine.

Brummend gab der Master einem Midshipman Anweisungen, die der Junge, tief über seine Tafel gebeugt, niederschrieb.

Der eben an Deck gekommene Leutnant nahm Haltung an und tippte formell an den Dreispitz.»Wachablösung vollzählig angetreten, Mr. Fitz-Clarence.»

Fitz-Clarence nickte gravitätisch.»Lassen Sie bitte den Rudergänger ablösen, Mr. Kipling.»

Undeutliche Befehle, Füßescharren. Dann sang der Rudergast aus:»Kurs Ost zu Nord liegt an, Sir!»

Grubb schnaufte geräuschvoll.»Gehört sich auch! Ich komme wieder an Deck, ehe das Glas gedreht wird!«Es klang wie eine Drohung.

Bolitho erschauerte.»Ich bin soweit, Thomas.»

Vorn ertönte die Schiffsglocke, ein Toppsgast glitt an einem Backstag hinunter und lachte laut auf, weil er einen Kameraden beinahe umgeworfen hätte.

Sie gingen zum Niedergang hinüber, und Herrick sagte:»Ich glaube, Mr. Grubb hat recht. Der Wind hat nach Westen gedreht, und wir werden schneller an die Küste herankommen als gedacht.»

Sie stiegen die Leiter hinunter und kamen an einem Matrosen vorbei, der einen Sack Schiffszwieback aus der Messe geholt hatte. Er drückte sich an eine Kajütentür, als fürchte er, den Kommodore oder den Kommandanten auch nur zu streifen.

Das Licht einer Laterne fiel auf die Bodenstücke der Geschütze. Es waren einige der achtundvierzig Achtzehnpfünder, die jetzt so friedlich aussahen, daß man sich nur schwer vorstellen konnte, wie sie, in Rauch und Pulvergestank gehüllt, im Rückstoß binnenbords fuhren, worauf die brüllenden, von der Detonation fast tauben Kanoniere die Rohre für die nächste Breitseite ausputzten.

Weiter achtern blinkte das helle Rechteck der Messetür; dahinter drängten sich die Offiziere der Lysander und jeder Mann im Deckoffiziersrang, der nicht gerade Wache ging.

Herrick blieb stehen und sagte unsicher:»Es scheint mir lange her, seit die Offiziersmesse mein Zuhause war.»

Bolitho sah ihn prüfend an.»Und meins. Mit zwanzig Jahren dachte ich, wenn man erst Kapitän ist, hat man ein leichtes Leben. Heute aber weiß ich: jede Beförderung hat ihre Tücken, ebenso wie ihre Vorteile.»

Herrick nickte.»Mehr Tücken als Vorteile, finde ich.»

Bolitho zupfte unauffällig seine Uniform zurecht. Herrick hatte bisher weder Adam noch überhaupt jemanden von den Vermißten erwähnt. Und doch mußte er sehr oft an ihn gedacht haben. Bolitho erinnerte sich an die Zeit, als Adam auf der Impulsive, Herricks kleinem Zweidecker, Midshipman gewesen war. Das hatte ihn damals merkwürdig berührt. Ob er vielleicht eifersüchtig gewesen war? Hatte er gefürchtet, Adams dienstliches Vertrauensverhältnis zu Herrick könnte zu einer engeren menschlichen Bindung führen, als er selbst sie ihm zu bieten hatte? Alles Trennende kam wieder hoch wie ein Dämon, der auf der Lauer gelegen hatte.

Zum Beispiel damals, als er in Gibraltar sein Geschwader übernommen hatte — das hätte eigentlich der stolzeste Augenblick seiner bisherigen Laufbahn sein müssen. Doch er hatte nur von Adams verbotswidrigem Duell erfahren, von seinem noblen Eintreten für ihn, womit der Junge dienstlichen Nachteil und obendrein Verwundung riskiert hatte.

Das muß in der Familie liegen, dachte er bitter. Viele Bolithos hatten sich als Naturtalente im Degenfechten erwiesen, ohne richtigen Lehrer, ohne viel Übung. Er konnte sich genau daran erinnern, wie er damals in Westindien an Bord eines Kaperschiffes dem französischen Leutnant gegenübergestanden hatte — Auge in Auge, beide noch von der Wildheit erfüllt, die man nur in der Schlacht verspürt. Beinahe hatte ihm der Mann leidgetan. Wenn er sich doch nur ergeben hätte! Noch bei der Parade vor dem letzten tödlichen Stich wußte Bolitho: er konnte nicht anders.

«Also dann wollen wir, Thomas«, sagte er schroff.

Die Offiziersmesse der Lysander war voll. Während Bolitho hinter Herrick herschritt, dachte er an seine Zeit als junger Leutnant auf einem Linienschiff wie diesem. Damals hatte er darüber nachgegrübelt, was so ein Mann, der in der großen Achterkajüte über der Messe wohnte, wohl für ein Leben führen, wovon er träumen mochte. Kapitän oder Admiral, das galt ihm damals gleich hoch.

Die Männer traten beiseite, um ihn vorbeizulassen, und sein Blick schweifte über ihre erwartungsvollen Gesichter. Manche kannte er flüchtig vom Dienst, andere noch überhaupt nicht: die jugendlichen Gesichter der Leutnants und die zerfurchten der Deckoffiziere. Der mächtige Grubb neben Yeo, dem Bootsmann; und am Heck-Neunpfünder lehnte ein streng aussehender älterer Mann — Stückmeister Corbyn, wie er sich zu erinnern glaubte.

Hinter den scharlachroten Röcken der Marine-Infanteristen verschwand der unordentliche Haufe der Midshipmen beinahe; acht oder neun waren anwesend. Edgar Mewse, der Zahlmeister, und der Schiffsarzt Shacklock hielten sich ein wenig abseits.

«Alle anwesend, Sir«, meldete Gilchrist,»außer Mr. Kipling, dem Vierten Offizier, und Mr. Midshipman Blenkarne — beide auf Wache.«»Danke.»

Herrick räusperte sich und legte seinen Hut auf den Tisch.

«Nehmen Sie Platz, Gentlemen«, nickte Bolitho.»Ich werde mich so kurz wie möglich fassen.»

Gelassen sah er zu, wie sie sich auf Stühlen und Seekisten drängten; die Dienstältesten bekamen die bequemsten Plätze, und für die Midshipmen blieben als Sitz nur die nackten Planken.

«Der Flaggkapitän wird Ihnen bereits angedeutet haben, was wir beabsichtigen«, begann Bolitho.»Kurz gesagt: wir werden übermorgen beim ersten Tageslicht die Küste ansegeln, möglichst viele feindliche Schiffe kapern und die übrigen vernichten.»

Er sah, wie zwei Midshipmen einander vergnügt in die Seite stießen. Den einen kannte er: es war Saxby, und sein zahnlückiges Grinsen war so breit, als hätte man ihm soeben einen Monat Urlaub bei vollem Sold versprochen.

«Wenn der Wind ungünstig ist, halten wir uns von der Küste frei und variieren den Plan entsprechend. «Er warf einen Blick auf Grubbs wettergegerbtes Gesicht.»Aber der Master hat mir volle Unterstützung der höheren Autorität, als meine es ist, versprochen.»

Sie lachten, und es gab allerlei Scherze auf Kosten Grubbs. Der verzog keine Miene, doch offensichtlich hatte ihn diese Bemerkung gefreut. Bolitho wußte auch, daß Herrick ihn ständig beobachtete. Nur er begriff, wie schwer es Bolitho fiel, den versammelten Offizieren zu zeigen, daß ihr Kommodore sich von seinem tiefen privaten Kummer nicht ablenken ließ.

Bolitho hatte schon manch guten Freund auf See verloren. Keine Freundschaft war fester als die, welche in dem harten, das Äußerste fordernden Leben an Bord eines Kriegsschiffes entstand. Das Meer, Krankheiten, Entersäbel oder Kanonen hatten manches vertraute Gesicht ausgelöscht. Kein Wunder, daß die Männer über Pascoes Abwesenheit zur Tagesordnung übergingen. Nur wenige von ihnen dienten lange genug gemeinsam, um den Schmerz eines solchen Verlustes zu ermessen.

Er merkte, daß sie still geworden waren; er mußte eine ganze

Weile stumm dagestanden haben. Fast heftig fuhr er fort:»Um so viel Verwirrung wie möglich zu stiften, geht die Marine-Infanterie im Schutz der Dunkelheit an Land.»

Sein Blick suchte Major Leroux, der steif aufgerichtet neben seinem Leutnant saß. Er hatte mit Leroux bisher nur dienstlich zu tun gehabt, aber der Mann hatte ihm Eindruck gemacht. Die seemännische Besatzung, Matrosen wie Offiziere, hegte eine Geringschätzung gegenüber der Marine — Infanterie, den» Bullen«, die schwer zu überwinden war. Ihr sturer Drill und die formale Disziplin paßten nicht zu der munteren und lässigen Art der Seeleute. Bolitho selbst hatte schon mit vielen Offizieren der Marine — Infanterie zu tun gehabt; und obwohl er bald ihre Loyalität und Kampftüchtigkeit schätzengelernt hatte, war ihm doch selten einer mit viel Eigeninitiative begegnet. Leutnant Nepean von der Marine-Infanterie war zum Beispiel so ein typischer Fall: untadelig im Äußeren und jederzeit dienstbereit, doch sah man schon an seinen stumpfen Augen, daß er lieber nach Befehl handelte, als selbst Entscheidungen traf.

Nur Major Jermyn Leroux war anders. Groß, schlank, breitschultrig, wirkte er trotz seiner militärischen Haltung eher wie ein Intellektueller. Bolitho hatte sich einmal auf dem Achterdeck mit ihm über Rekrutierung und Ausbildung seiner Soldaten unterhalten; niemals war Leroux dabei angeberisch geworden oder hatte Aussagen gemacht, die er nicht beweisen konnte.

«Ich werde die Einzelheiten morgen mit Ihnen besprechen, Major«, sagte er.

Leroux nickte. Er hatte stille, beinahe melancholische Augen und sah aus wie jemand, der sich fehl am Platze fühlt.»Abgesehen von Kranken und anderweitig Dienstunfähigen«, erwiderte er,»kann ich neunzig Mann stellen.»

«Das reicht. «Bolitho wandte sich an Herrick.»Drehbassen in die Boote, dazu Wurfanker für den Fall, daß wir Befestigungen stürmen müssen. «Er wartete keine Kommentare ab, sondern fuhr gleich fort:»Als Captain Javal den Schoner nahm, mußte das möglichst leise geschehen. Diesmal will ich, daß unser Kampfverband viel größer wirkt, als er tatsächlich ist.»

Einer der Achtzehnpfünder, mit denen man in der Offiziersmesse leben mußte, quietschte ein bißchen auf seiner Lafette, denn die Lysander bohrte soeben ihren plumpen Bug in ein Wellental. Gedämpfte Rufe an Deck, das Knarren des Ruderblattes unterm Heck verrieten, daß der Kurs korrigiert wurde.

«Wir haben diesmal«, fuhr Bolitho fort,»außergewöhnlich viel Handlungsfreiheit. Wir dürfen keine Gelegenheit versäumen, Informationen über die Absichten des Feindes zu sammeln und seine Abschirmung nach Möglichkeit zunichte zu machen. «Er sah Herrick an.»Noch Fragen?»

Gilchrist stand auf. Sein Gesicht lag zum Teil im Schatten eines Decksbalkens.»Sind denn keine Seeleute bei der Landeabteilung,

Sir?»

«Nur die unbedingt nötigen«, erwiderte Bolitho so ruhig er konnte.»Die Bucht, die wir ansegeln müssen, ist vielleicht gut verteidigt. Sicherlich wird so etwas wie eine Küstenbatterie vorhanden sein, wenn auch nur eine leichte. Captain Herrick braucht jeden verfügbaren Mann an Brassen und Geschützen, das kann ich Ihnen versichern.»

Die Erinnerung an den bevorstehenden Kampf verursachte eine Unruhe in der Messe wie der Wind im Kornfeld. Aber Gilchrist blieb hartnäckig; seine knochige Gestalt schwankte leicht mit dem sich neigenden Deck.»Major Leroux wird also den Oberbefehl haben?«fragte er.

«Nein, Mr. Gilchrist. «Bolitho spürte, wie Herrick neben ihm erstarrte.»Den übernehme ich.»

Gilchrist deutete ein Achselzucken an.»Ziemliches Risiko, Sir. «Er blickte die anderen Offiziere an wie jemand, der weiß, daß er das Publikum hinter sich hat.»Wir alle bedauern Mr. Pascoes, äh, Abwesenheit. Daß Sie weiteres Unheil in Ihrer Familie riskieren wollen…»

Bolitho blickte auf seine Hände nieder. Seltsam, daß er sie so ruhig halten konnte, obwohl er große Lust hatte, den Mann zu packen und halbtot zu schlagen.

Eisig erwiderte er:»Wenn Captain Herrick nichts dagegen hat, nehme ich Sie mit an Land, Mr. Gilchrist. Dann können Sie selbst beurteilen, wie hoch das Risiko ist.»

Gilchrist starrte erst ihn und dann Herrick an.»Danke sehr, Sir«, stammelte er,»es wird mir eine Ehre sein. «Ohne ein weiteres Wort setzte er sich wieder hin.

«Hat sonst jemand etwas zu sagen?«fragte Herrick.

Leutnant Fitz-Clarence sprang auf und starrte Bolitho entschlossen an. Er glühte beinahe vor Erregung.»Denen werden wir's zeigen, Sir! Bei Gott, die zerquetschen wir wie Ungeziefer!«Im Geiste sah er Gilchrist wahrscheinlich schon als Leiche und sich selbst als Ersten Offizier.

Bolitho nickte ihm zu.»Schön gesagt, Mr. Fitz-Clarence. Aber merken Sie sich folgendes. «Er blickte die Versammelten bedeutsam an.»Und das gilt für Sie alle: Was Sie auch von den Dons denken mögen — glauben Sie nicht, daß die Franzosen ihnen gleichen. Zu Beginn dieses Krieges war Frankreich fast gelähmt aus Mangel an guten Stabsoffizieren. Zu viele waren vom Terror der Revolution sinnlos hingeschlachtet worden, um dem Mob zu schmeicheln. Aber das ist vorbei. Neue Männer mit neuen Ideen beleben jetzt ihre Flotte. Die Handvoll Älterer, die der Guillotine entgangen sind, werden respektiert und sind um so eifriger, als sie den Preis des Mißerfolgs kennen. Soldaten können unter fast allen Bedingungen tapfer kämpfen. Aber ohne Kontrolle über die Seewege, ohne das Lebensblut des Nachschubs sind sie wie Ausgesetzte auf einer einsamen Insel — schon halb tot.»

Fitz-Clarence stand noch immer, doch seine Miene war nicht mehr ganz so zuversichtlich.»Dennoch, Sir«, sagte er etwas lahm,»ich bin nach wie vor von unserem Sieg überzeugt.»

Herrick wartete, bis er sich gesetzt hatte. Seine blauen Augen waren fragend auf Bolitho gerichtet.»Vielleicht möchten Sie noch einen Moment mit in meine Kajüte kommen, Sir?»

«Ja, danke. «Bolitho nahm seinen Hut auf.»Meine Kehle ist ganz ausgetrocknet.»

Er ging zwischen den schweigenden Offizieren hindurch — sobald sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, würde sich die allgeme ine Erregung in den wildesten Vermutungen Luft machen.

Draußen sagte Herrick leise:»Lassen Sie mich mit dem Kommando gehen. Ich habe es bereits vorgeschlagen, jetzt bitte ich Sie inständig darum.»

Wortlos gingen sie zur Treppe und zum Hüttendeck hinauf. Herrick öffnete die Tür zu seinem Logis und schickte den Steward hinaus. Während Bolitho sich an den Tisch setzte, öffnete er seinen Schrank und nahm eine Flasche Rotwein heraus.

Bolitho konnte beinahe verstehen, wie sich im Kopf seines Freundes die Argumente aufbauten, während er die Gläser zurechtstellte. Wenn ein anderer Vierundsiebziger den langen Kommodorewimpel geführt hätte, wäre für Herrick die große Achterkajüte frei gewesen. Seltsamerweise konnte Bolitho sich ihn darin nur schwer vorstellen.

Er nahm ein Glas und hielt es gegen die Lampe.»Also, Thomas ich weiß, was Sie sagen wollen. Lassen Sie zuerst mich reden. «Bedächtig nippte er an seinem Rotwein und lauschte den Wellen, die an der Außenplankung entlangliefen, und auf den an die geschlossenen Fenster klatschenden Gischt.»Sie denken, der Verlust meines Neffen hätte mich so getroffen, daß ich mein Leben wegwerfen, mir sozusagen einen heldenhaften Abgang verschaffen will. Ich leugne nicht, daß ich zutiefst bekümmert bin. Ich kann auch nicht behaupten, daß meine Herkunft, meine ganze Lebenshaltung mich von solch eitlem Schritt zurückhalten würden. Ebenso wie Sie, Thomas, habe ich oft genug gesehen, daß gute Männer, schöne Schiffe und hohe Ideale verheizt wurden, bloß wegen des Geltungsbedürfnisses eines Befehlshabers. Ich habe mir geschworen, daß ich niemals andere unter meinen Privatgefühlen leiden lassen würde, und meist habe ich wohl auch danach gehandelt.»

Er war aufgestanden und schritt langsam die wenigen Meter der Kajütenlänge ab. Herrick saß auf dem Bodenstück eines Neun-pfünders, und seine Augen folgten im gelblichen Lampenschein Bolithos ruhelosen Schritten.

«Als Cheney, meine Frau, starb. «Er brach ab und merkte erst jetzt, daß er in der Kajüte herumlief.»Aber genug davon. Sie haben das ja alles mitgemacht, haben mir die Todesnachricht überbracht — eine schwere Last für jeden Mann und erst recht für einen Freund.»

«Ich weiß«, sagte Herrick mitfühlend.

«Ich glaube, gerade wegen dieses Verlustes bedeutet mir Adam so viel. Ich habe mir gesagt: sollte ich im Kampf fallen oder aus anderer Ursache sterben, wird Adam in den Genuß des Familienbesitzes kommen, der ihm unter etwas glücklicheren Umständen sowieso zugestanden hätte. «Hilflos hob er die Schultern.»Man denkt niemals daran, daß das Schicksal den Jüngeren nimmt und den Älteren zurückläßt, Thomas.»

Herrick drehte das Glas in Händen und suchte nach den richtigen Worten.»Gerade deswegen will ich ja mit der Marine-Infanterie an Land gehen. «Er verstummte, denn er sah bereits die Ablehnung in Bolithos Augen.

«Nein. Übermorgen landen wir an einer feindlichen Küste. Nicht auf irgendeinem Felsennest, nicht auf einer Insel oder einem Außenposten in Indien, sondern in Europa. Halten Sie es für richtig, daß ich unsere Leute einer solchen Gefahr aussetze, ohne selbst die Führung zu übernehmen?«Er legte Herrick die Hand auf die Schulter.»Seien Sie ehrlich, Thomas. Haben Sie nicht früher manchmal Ihren Vorgesetzten heimlich verflucht, weil Sie den Kopf hinhalten mußten, während er in Sicherheit blieb?«Er schüttelte ihn sanft. »Ehrlich, hab ich gesagt.»

Herrick lächelte schwach.»Ja, manchmal schon.«»Manchmal?«Bolitho blickte ihn mit plötzlich durchbrechender Zuneigung an.»Nein, oft.»

Herrick stellte sein Glas hin.»Und Gilchrist?«»Ich brauche einen erfahrenen Seeoffizier. «Seine Stimme war jetzt hart.»Gilchrist hat Adam in dieses Boot geschickt. Vielleicht weil er trotz seiner Jugend Kampferfahrung hatte. Vielleicht aber auch aus einem anderen, weniger integren Grund.»

Herrick blickte zu Boden.»Das kann ich nur schwer glauben, Sir. «Dann sah er ihn an, entschlossener als je, seit das Schiff Gibraltar verlassen hatte.»Aber wenn ich herausbekomme, daß das stimmt, dann wird Gilchrist es zu fühlen kriegen. «Herricks Augen waren wie die eines Fremden.»Und er wird mir dafür bezahlen.»

Bolitho lächelte ernst.»Langsam, Thomas. Vielleicht war ich voreilig. «Er ging zur Tür und hörte, wie draußen der Posten stehende Soldat die Hacken zusammennahm.»Wir wollen uns jetzt lieber auf die allernächste Zeit konzentrieren. Sonst werden wir alle dafür bezahlen müssen.»

Allday strich sich das Haar aus den Augen und krächzte:»Sieht aus, als wären wir da. «Seine Lippen waren so trocken vor Durst, daß er die Worte kaum herausbrachte; die Sonne brannte ihm so gnadenlos auf Kopf und Schultern wie schon zwei Tage vorher.

Pascoe nickte und taumelte gegen ihn. Hinter ihnen schwankten fünf keuchende Matrosen wie Betrunkene, starrten verständnislos auf den Kamm der niedrigen Hügel, den harten, glitzernden Horizont dahinter: Da war wieder die See.

Der Gewaltmarsch war ein Alptraum gewesen, und während die Reiter ostentativ nach Lust und Laune tranken, hatten sie dafür gesorgt, daß die Gefangenen so gut wie nichts bekamen. Als zwei alte Bauersfrauen am Straßenrand ihnen Wasser geben wollten, waren die Reiter drohend auf sie zugaloppiert, hatten sie verjagt und gelacht, als die eine wie ein Bündel Lumpen in den Staub fiel.

Einen hatten sie unterwegs verloren, einen Matrosen namens Stokes. Als die Reiter zur Nacht das Lager aufschlugen, hatte er den Blick nicht von dem dicken Fellsack voll herbem Rotwein reißen können, der unter den Soldaten herumging. Der fast verdurstete Mann mit den blutigen, schmerzenden Füßen war ein Bild des Jammers.

Nach einer gemurmelten Unterhaltung hatte ihn einer der Soldaten herangewinkt und ihn zum Erstaunen und Neid der anderen Gefangenen den Weinsack angeboten und ihn grinsend durch Gesten aufgefordert, so viel zu trinken wie er wolle.

Als sie endlich gemerkt hatten, was geschah, war es schon zu spät. Stokes trank und trank, Gesicht und Brust trieften von verschüttetem Wein, aber die Soldaten forderten ihn auf, noch mehr zu trinken; schließlich hielten sie ihn aufrecht und gossen ihm Wein in den offenen Mund.

Halbverhungert, ausgedörrt und in Angst vor dem Ungewissen Schicksal, verlor Stokes völlig den Verstand. Er taumelte, brüllte, tanzte, erbrach sich und fiel ständig hin — ein jammervoller Anblick. Doch sobald er keuchend am Boden lag, rissen sie ihn hoch und zwangen ihm noch mehr Wein auf.

Morgens, als die Gefangenen losgebunden und auf dem rauhen Weg zusammengetrieben wurden, hatte Stokes immer noch dagelegen, wie er zuletzt hingefallen war, in einem großen Flecken ausgetrockneten Weines wie in einer Blutlache. Und sein Gesicht war eine Maske von Fliegen.

Als Pascoe zu ihm treten wollte, stießen sie ihn weg. Keiner der Soldaten kümmerte sich darum, ob Stokes noch atmete. Als wären sie ihres Spielzeugs müde geworden und wollten nur noch weiter.

Allday beschattete die Augen und musterte die blaue See jenseits der Hügel. Was für eine öde Gegend: Berge im Landesinneren, und hier an der Küste zerklüftetes Gelände mit Felsbrocken und Schotterrinnen. Kein Wunder, daß seine Füße so zerfetzt waren.

Ein Peitschenknall, und wieder schlurften sie weiter. Als sie den letzten Hang hinangekeucht waren, stieß Allday atemlos hervor:»Schiffe, bei Gott!»

Pascoe nickte.»Ja — drei Stück!«Er packte Allday beim Arm.»Sehen Sie doch — all diese Menschen!»

Der Pfad, der zum Strand hinabführte und sich dort mit einem anderen, besser gebauten Weg vereinte, wimmelte von Menschen. Von fern sah es aus, als liefen sie so ziellos herum wie Ameisen, doch beim Näherkommen wurde deutlich, daß es sich um ein Arbeitskommando handelte. Hier und da waren bewaffnete Soldaten und Aufseher in Zivil zu unterscheiden, die wie Felsen in der wimmelnden Menschenflut standen.

«Gefangene«, sagte Pascoe.

«Ich glaube, eher Sklaven.»

Die Wachen hatten Peitschen, und die zerlumpten Arbeiter wichen ihnen angstvoll aus.

Allday sah sich die Schiffe genauer an. Zwei Briggs und ein größeres Fahrzeug, wohl ein Transporter. Alle drei ankerten dicht unter Land; zwischen ihnen und an dem neuerbauten Pier fuhren ständig Leichter und Ruderboote hin und her. Zelte standen in sauberen Reihen am Fuß der Hügel. Auf der anderen Seite der Bucht, einem niedrigen, mit Gras und Heidekraut bewachsenen Vorland, war anscheinend eine Batterie, über der die spanische Flagge lebhaft flatterte.

«Die Schiffe müssen schwer geladen haben«, murmelte Pascoe.

Sie verstummten, als der Anführer der Reiter herangetrabt kam. Die Peitsche hing an seinem Bein herab, und die Schnur schleifte am Boden. Er deutete auf die Matrosen und brüllte einen Befehl.

Zwei Reiter saßen ab und wiesen mit gezogenen Säbeln auf die erste Zeltreihe. Mit einem Peitschenschnippen wurden Pascoe und Allday von den Matrosen getrennt und zu einer anderen, kürzeren Reihe von Zelten gewiesen.

Vor einem dieser Zelte sah Allday einen Offizier stehen, der ihnen entgegensah, die Augen mit dem Unterarm beschattend. Der Reiter brachte sie zu ihm. Gott sei Dank, dachte Allday. Der Offizier mochte zwar Spanier sein, war aber immer noch besser als diese Halbwilden.

Der Reiter saß ab und machte dem Offizier Meldung, der nach kurzem Zögern auf sie zukam. Er war sehr schlank und trug einen weißen Uniformrock zu roter Kniehose. Als er näher kam, sah Allday, daß die elegante Uniform und die blanken Reitstiefel schon ziemlich abgewetzt waren; auch der Mann selbst sah aus, als habe er an diesem elenden Ort geraume Zeit verbracht.

Ganz langsam ging er um die beiden herum. Sein gebräuntes Gesicht war sehr nachdenklich, doch ohne jede Gemütsbewegung.

Als er wieder vor ihnen stand, sagte er in sorgfältigem Englisch:»Ich bin Capitan Don Camilo San Martin, vom Gardedragonerregiment Seiner Allerkatholischsten Majestät, des Königs von Spanien. «Er hatte ein sensibles Gesicht, zu dem der schmale, fast grausame Mund wenig paßte.»Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie mir die Ehre erweisen würden, mir Ihren Namen und Ihren, äh, Rang zu nennen. «Er hob die Hand.»Doch ehe Sie beginnen — ich warne Sie vor Lügen. Dieser Dummkopf da hat mir berichtet, wie sein Spähtrupp auf Sie gestoßen ist. Daß er Sie nach hartem Kampf überwältigen und herschaffen konnte. «Er richtete sich selbstbewußt auf.»Ich bin zur Zeit Befehlshaber dieses, äh, Unternehmens hier.»

Langsam atmete Allday aus, als Pascoe antwortete:»Ich bin Leutnant Adam Pascoe von der Marine seiner Britannischen Majestät.»

Die melancholischen Augen des Spaniers ruhten jetzt auf Allday.»Und dieser? Ich nehme an, er ist ebenfalls Offizier?«Er verzog leicht den Mund.»Von etwas niedrigerem Rang vielleicht?»

«Ja. «Pascoe schwankte, doch seine Stimme blieb fest.»Deckoffizier.»

Allday staunte über Pascoes Geistesge genwart, nach allem, was er durchgemacht hatte. Der Spanier schien die Lüge zu glauben. Wenn sie jetzt getrennt worden wären, hätte das jede Aussicht auf Flucht zunichte gemacht, wenn es überhaupt eine gab.

«Gut«, lächelte Capitan San Martin.»Sie sind sehr jung, Tenien-te. Ich gehe daher wohl nicht fehl in der Annahme, daß Sie nicht auf eigene Faust handelten. Daß Sie von einem englischen Schiff kommen?«Mit der gleichen müden Bewegung wie eben hob er die Hand.»Ich weiß, Sie sind Offizier und an Ihren Eid gebunden. Das respektiere ich. Aber es muß ja einen Grund dafür geben, daß Sie hier sind.»

Heiser sagte Pascoe:»Meine Leute, Capitan — können Sie anordnen, daß sie verpflegt werden?»

Der Spanier schien zu überlegen.»Alles zu seiner Zeit. Im Augenblick haben Sie und ich einiges zu besprechen. «Er deutete auf das Zelt.»Dort drin. Die Sonne brennt heute verflucht heiß.»

Im Zelt war es kühl, und als sich Alldays Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah er, daß er auf einem dicken Teppich stand. Nach dem rauhen Weg war das Balsam für seine wunden, blasenbedeckten Füße.

«Ich sehe an Ihrem Rücken«, bemerkte San Martin,»daß Sie unterwegs etwas rauh behandelt wurden. «Er zuckte die Achseln.»Es sind unwissende Wilde, aber gute Kämpfer. Mein Großvater pflegte noch Jagd auf sie zu machen, rein aus Sport. «Der Gedanke schien ihn zu amüsieren.»Aber die Zeiten ändern sich.»

Eine Ordonnanz brachte Becher und schenkte Wein ein. San Martin nickte ihnen zu.»Setzen Sie sich doch, wenn Sie wollen. Sie sind jetzt Kriegsgefangene. Ich schlage vor, Sie genießen meine Gastfreundschaft, so gut Sie können. «Wieder lächelte er.»Ich war selbst Gefangener der Engländer und wurde vor einem Jahr ausgetauscht. Dabei lernte ich Ihr Volk verstehen, und auch die Sprache wurde mir geläufig.»

«Ich muß darauf bestehen, Sir…«fing Pascoe an.

Weiter kam er nicht. San Martin, mit einem Blick zum Zeltdach, schrie ihn an:»Bei mir haben Sie auf gar nichts zu bestehen, Te-niente!«Bei diesem Ausbruch rann ihm der Schweiß übers Gesicht.»Es kostet mich nur ein Wort, und Sie sind tot! Wie würde Ihnen das passen, eh? Diese Tiere da, die Sie draußen an der Straße und den Anlagen arbeiten sehen, sind Verbrecher; wäre die Arbeit hier nicht so wichtig, würden wir sie an die Ruderbänke der Galeeren ketten, wo sie hingehören, oder am Galgen verfaulen lassen. Zu denen könnte ich Sie stecken, Teniente. Wie würde es Ihnen gefallen, an einen großen Besen gekettet zu arbeiten, Stunde um Stunde nach Trommelwirbel und Peitschenhieb zu leben — eh?«Er war immer noch außer sich.»Da hätten Sie wenig Zeit, auf etwas zu bestehen, das kann ich Ihnen sagen!»

Allday sah, daß der Soldat mit der Weinflasche heftig zitterte. Er kannte und fürchtete anscheinend die Wutanfälle seines Vorgesetzten.

Etwas ruhiger fuhr dieser fort:»Ihr Schiff — oder vielleicht sogar Ihre Schiffe — sind in diesen Gewässern, um uns Schaden zuzufügen. «Wieder lächelte er gelassen.»Ihren Kommandanten — ob ich den wohl kenne?»

Ohne die Antwort abzuwarten, schritt er aus dem Zelt.

Eilig flüsterte Pascoe:»Er weiß nichts von dem Schoner.»

«Zum Teufel mit dem Schoner, Mr. Pascoe. Was wollen Sie ihm sagen?»

Ehe er antworten konnte, war der spanische Hauptmann wieder da. Vorsichtig legte er eine Hanfschlinge auf den Tisch, trat einen Schritt zurück und betrachtete sie prüfend.

«Sie ist, wie Sie sehen, am Ende zusammengespleißt«, erklärte er sachlich.»Hier und hier — «, er tippte mit dem Finger darauf — ,»sind zwei Knoten darin: der Schmerzensring. Unsere Inquisitoren fanden ihn recht nützlich, um Schuldbekenntnisse zu erhalten — in Amerika, glaube ich. «Er sah Pascoe fest ins Gesicht.»Wenn ich Ihnen den um den Kopf legen lasse, passen die Knoten genau auf Ihre Augen. Dreht man die Schlinge von hinten enger, wird der Schmerz unerträglich, das kann ich Ihnen versichern. «Er nahm die Schlinge auf und warf sie der Ordonnanz zu.»Am schlimmsten ist es natürlich, wenn die Augen in den Höhlen zerdrückt werden. «Er gab dem Soldaten einen kurzen Befehl, und dieser rannte hinaus.»Zerplatzen wie Weinbeeren.»

Heiser rief Allday aus:»Sie werden doch nicht unsere Jungs damit martern lassen!»

San Martins Gesicht war vor Erregung verzerrt.»Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sind Kriegsgefangene. Als solche werden Sie behandelt, solange Sie mir unterstehen. «Schwer atmend setzte er sich hin.»Jetzt trinken Sie Ihren Wein.»

Plötzlich ertönte draußen vor dem Zelt ein furchtbarer Schrei. Allday ließ seinen Becher fallen. Pascoe stürzte zum Eingang, doch da hatte San Martin wie durch Zauber zwei Pistolen in den Händen.»Stehenbleiben! Das ist keiner von Ihren elenden Matrosen, nur ein Strafgefangener. Aber wenn Ihre Leute gesehen haben, wie er leiden muß, wird der Effekt derselbe sein.»

Mit Augen, die so unbeweglich waren wie seine beiden Pistolen, musterte San Martin Pascoes schreckverzerrtes Gesicht. Die Schreie dauerten an — stundenlang, wie es ihnen vorkam; doch als sie verstummten, hing der höllische Laut noch lange im Zelt.

San Martin steckte die Pistolen in den Gürtel zurück und sagte:»Seeleute sind redselig. Ich gehe jetzt. Versuchen Sie nicht, das Zelt zu verlassen, es würde Sie das Leben kosten. «Er nahm seinen Hut auf und schlug den Staub aus dem gelben Federbusch.»Wenn ich mit Ihren Matrosen gesprochen habe, werde ich über Ihre Schiffe Bescheid wissen — und wahrscheinlich über vieles mehr. «Er ging hinaus, und es wurde totenstill im Zelt.

Dann sank Pascoe auf den Teppich und würgte schmerzhaft.»Er hat recht«, stammelte er.

Allday sah seine Verzweiflung, das Zittern seiner wunden Schultern, das Pascoe vergeblich zu beherrschen suchte.»Nur ein Narr würde schweigen, wenn er diese Folter mitangesehen hat«, sagte er.

Nach einer knappen Stunde kam der spanische Hauptmann zurück. Er setzte sich auf eine messingbeschlagene Kiste und sagte gelassen:»Einer Ihrer Leute war durchaus gewillt, mit mir zu sprechen. «Er lächelte melancholisch.»Machen Sie kein so bestürztes Gesicht, Teniente. Auch meine Leute würden zu Verrätern, wenn sie in der gleichen Lage wären. «Dann wurde er dienstlich.»Ihre Schiffe sind seit über einer Woche in diesen Gewässern, ja? Sie wollen die Franzosen, unsere Verbündeten, ausspionieren. Diese Dinge gehen mich nichts an. Ich habe lediglich dafür zu sorgen, daß diese Hunde hier in der Bucht ordentliche Verteidigungsanlagen bauen. «Er tippte sich mit dem Rand des Weinbechers ans Kinn.»Eine Information habe ich jedoch bekommen, die an geeigneter Stelle von Wichtigkeit sein kann: Ihre Schiffe haben ein spanisches Fahrzeug gekapert. «Wütend verzog er den Mund.»Diese Idioten, die Sie hergebracht haben, waren so trunken von ihrem läppischen Sieg, daß sie sich ein Schiff unter ihren Nasen wegstehlen ließen!»

Allday dachte an den Knotenstrick, und der Reiter mit der Peitsche tat ihm beinahe leid. Wie zur Bestätigung zischte San Martin:»Aber das wird nicht wieder vorkommen.»

Mühsam beherrschte er sich.»Egal. Für Sie ist der Krieg vorbei. Sie werden an einen, äh, sicheren Ort transportiert, wo Sie Ihrem Rang gemäß untergebracht werden können. Zunächst lasse ich Ihnen etwas zu essen bringen«, schloß er gleichgültig. Jetzt, da er über die Gefangenen entschieden hatte, interessierten ihn Schiffe, eigene oder feindliche, offenbar überhaupt nicht mehr.

Sie wurden von zwei Bewaffneten zu einem nahe gelegenen Zelt eskortiert, und kurze Zeit später brachte die Ordonnanz des Hauptmanns einen Korb mit Brot und Früchten, sowie einen Krug sauren Weines.

Bitter sagte Pascoe:»Dann ist es aus mit uns, Allday. Es wird lange dauern, bis wir England wiedersehen. «Er wandte den Kopf ab.»Wenn überhaupt.»

Vorsichtig, damit die Wachen ihn nicht sahen, trat Allday an die Zeltklappe.»Bis jetzt ist noch gar nichts aus«, sagte er grimmig.»Für eins können wir dankbar sein: dieses Schwabbermaul, mit dem der Don gesprochen hat, war einer von Javals Leuten. Nur die hatten wir ja im Kommando.»

Pascoe sah auf.»Was macht das für einen Unterschied?»

Allday trat von der Klappe zurück und goß Wein ein.»Von der Lysander hätte jeder gewußt, daß Sie der Neffe des Kommodore sind. «Jetzt war Pascoe betroffen, und Allday nickte.»Überlegen Sie mal, was der Don daraus gemacht hätte. Die hätten mit Ihnen als Geisel allerhand aushandeln können.»

Pascoe starrte ihn an.»Daran habe ich gar nicht gedacht.»

«Nicht daß Old Dick…«Er brach ab und grinste.»Entschuldigung, das rutschte mir so raus.»

«Sprechen Sie weiter.»

Allday zuckte die Achseln.»Ich bin lange genug mit Ihrem Onkel gefahren«, sagte er, und seine Stimme schien von weit her zu kommen.»Wir haben eine Menge zusammen erlebt und erreicht. Ich habe gesehen, wie es ihn schmerzte, wenn brave Jungs auf seinen Befehl hin sterben mußten. Wie im Tran ist er übers Deck gegangen, während Splitter rechts und links von ihm hochsprangen, weil die Scharfschützen ihn aufs Korn genommen hatten. «Fast sah es aus, als schäme sich Allday, sein tiefwurzelndes Vertrauen laut werden zu lassen.»Nein, er würde seine Leute nicht einmal Ihretwegen in den Tod schicken.»

Mühsam stand Pascoe auf und trat zu ihm.» Unsertwegen, wollen Sie sagen.»

Allday lächelte.»Nett von Ihnen, es so auszudrücken. Aber Bootsführer sind leichter zu kriegen als Blutsverwandte.»

Pascoe seufzte.»Ich wünschte, ich könnte etwas für ihn tun.»

Draußen ertönte ein Ruf, und Allday spähte wieder durch die Zeltklappe.»Da kommt ein Reiter angeprescht, als ob alle Kobolde von Exmoor hinter ihm her wären!»

«Lassen Sie mich sehen«, sagte Pascoe.

Sie beobachteten San Martin, der vor seinem Zelt stand und mit geneigtem Kopf dem Kurier lauschte, der schon von der Zeltgasse her seine Botschaft heraufrief.

«Da ist was im Gange«, murmelte Allday.

Pascoe faßte ihn beim Arm.»Ich verstehe ein bißchen Spanisch. «Er horchte.»Ein Fischer hat ein Schiff gesehen, ein großes Schiff«, berichtete er dann leise.

Sekundenlang starrten sie einander an. Dann sagte Allday gepreßt:»Wenn es nur ein Schiff ist, dann wissen wir auch, welches — nicht wahr, Mr. Pascoe?»

San Martin schrie einen Befehl. Dann gellte eine Trompete. Sie traten zurück.

Allday dachte an die Küstenbatterie auf der Landzunge. Was für ein Pech, daß dieser Fischer etwas gesehen hatte und San Martin nun gewarnt war.

«Eben wünschten Sie doch, Sie könnten etwas für Ihren Onkel tun?«Pascoe schien etwas zu dämmern; er nickte.»Also: Wenn die Lysander oder ein anderes Schiff des Königs jetzt die Nase in diese Bucht steckt, dann geht es ihm schlecht — ganz bestimmt.»

San Martins Stimme war auf einmal ganz nahe, und Pascoe sagte rasch:»Einen Schluck Wein?«Er schob Allday seinen vollen Becher in die Hand. »Sagen Sie etwas!«flüsterte er.

Allday verschluckte sich beinahe.»Ich weiß das noch wie gestern, als wir damals auf der alten Hyperion waren und…»

San Martin schlug die Eingangsklappe auf, trat in das dämmerige Zelt und musterte Brot und Wein.»Gut«, sagte er,»sehr gut.»

«Dieses Trompetensignal eben«, fragte Pascoe,»bedeutete das Gefahr?»

San Martin sah ihn forschend an.»Unwichtig. Für Sie jedenfalls. «Er ging im Zelt herum wie ein Tier im Käfig.»Ich wollte Sie noch heute an Bord bringen lassen. Aber damit muß ich nun bis morgen warten. Ich schicke Sie nach Toulon. Der französische Admiral hat mehr Zeit als ich für solche Dinge.»

«Es ist eben Krieg, Sir«, sagte Allday ernst.

San Martin sah ihn lange an.»Auf einem guten Pferd in die Schlacht zu reiten, das ist Krieg«, sagte er schließlich.»Aber nicht, dieses dreckige Gesindel hier zu befehligen. «Er blieb am Zelteingang stehen.»Ich werde Sie wahrscheinlich nicht wiedersehen.»

Sie warteten, bis seine Schritte verhallt waren; dann sagte Allday:»Gott sei Dank!»

Pascoe fuhr sich durchs Haar, um Staub und Sand zu entfernen.»Er behält seine Schiffe bis morgen hier«, überlegte er laut.»Also muß unser Schiff ganz in der Nähe sein.»

Allday blickte zur Zeltwand, die von dem heißen Wind nach innen gedrückt wurde.

«Wenn der Wind so bleibt wie jetzt, Mr. Pascoe, dann kommt die Lysander bestimmt in die Bucht.»

«Sind Sie denn sicher, daß es die Lysander ist?«fragte Pascoe eindringlich.

«Sie etwa nicht?»

«Doch«, nickte Pascoe.

«Dann kommt sie in der Nacht oder bei Morgengrauen, schätze ich«, sagte Allday und trank einen Schluck Wein.»Also müssen wir die Köpfe zusammenstecken und uns was ausdenken, um sie zu warnen.»

Er dachte daran, was Pascoe vorhin gesagt hatte: Es wird lange dauern, bis wir wieder in England sind — wenn überhaupt. Was sie unternehmen konnten, um das Schiff zu warnen, und was das Ergebnis auch sein würde — eins war sicher: Sie würden beide teuer dafür bezahlen müssen.