"Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im östlichen Mittelmeer" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)V Der einzige AuswegBolitho zog sich den Dreispitz fester in die Stirn. Die schwere, vierunddreißig Fuß lange Barkasse der Er wandte seine Aufmerksamkeit jetzt nach vorn. Dort konnte er eben noch den Umriß der Gig ausmachen und gelegentlich ein phosphoreszierendes Aufspritzen, wenn ein Matrose im Bug mit dem Lot die Wassertiefe kontrollierte. Das Kommando in der Gig führte Plowman, Erster Steuermannsmaat der Sklavenhändler oder nicht — jedenfalls führte Plowman die Flottille der überladenen Boote ohne die geringste Unsicherheit geradewegs auf die Küste zu. Seltsam: je wichtiger die Arbeit, um so fragwürdiger ist der Mann, den man dazu am nötigsten braucht, überlegte Bolitho. Gilchrist, der neben ihm saß, konnte offenbar seinen knochigen Körper nicht ruhig halten, er klemmte den Degen zwischen die Knie und keuchte nervös. Bolitho versuchte, nicht an die Möglichkeit einer Katastrophe zu denken; nicht an die Musketen und Säbel, die vielleicht da drüben in der Finsternis schon darauf warteten, ihn und seine Männer noch in der Brandung niederzumachen. Wahrscheinlich dachte Gilchrist mehr oder weniger dasselbe. In einem Kutter war ein Rudergast aus dem Takt gekommen; nervös rief Steere, der Fünfte Offizier:»Aufpassen da! Zu — gleich!» Die Boote waren überladen mit Matrosen und Seesoldaten, und das Pullen kostete eine Menge Kraft. Da war es nicht zu vermeiden, daß die Riemen quietschten, die Männer keuchten und fluchten. «Die Gig hat beigedreht, Sir«, rief der Bugmann. Bolitho beugte sich vor: jetzt sah er, daß die langen weißlichen Streifen nicht mehr von Plowmans Riemen kamen, sondern von der Brandung stammten. «Auf Riemen, alle Mann!«Der Bootssteuerer der Barkasse packte seine Ruderpinne fester.»Achtung im Boot!» «Verdammt, ich sehe überhaupt nichts«, fluchte Gilchrist. Beide Kutter stampften heftig. Die hellen Bootskörper, leuchtend in der Finsternis, wurden von der Strömung abgetrieben. Stahl klirrte, Stiefel scharrten: die Marine-Infanteristen machten sich zum Aussteigen fertig. Jetzt brauchte nur einer seine Muskete irrtümlich abzufeuern oder gegen den Matrosen zu fallen, der die Reißleine der auf einem Dreifuß montierten Drehbasse hielt, und mit aller Heimlichkeit war es vorbei. Bolitho hielt den Atem an, als Plowmans Gig aus der Finsternis auftauchte, an die Barkasse stieß und kaum dabei erzitterte. Hände streckten sich aus und hielten die Boote fest, dumpf polternd tauchte Plowman in der Achterplicht auf und murmelte:»Das ist 'n ganz ordentlicher Strand, Sir. «Weiß glänzten seine Zähne, und er atmete so ruhig, als mache ihm die Sache Spaß. Vielleicht dachte er an die Zeiten, als er mit seiner Crew hier lebende Fracht übernommen hatte.»Nicht sehr breit, aber so, wie das Wasser aussieht, sind wir hier sicherer, als wenn wir noch weiter suchen.» «Recht so.» Bolitho versuchte, nicht an die Zeit zu denken. Es war wie ein inneres Stundenglas, in dem der Sand gnadenlos abrann.»Dann fahre ich also vor«, sagte Plowman und wandte sich um; doch Bolitho hielt ihn an.»Sobald wir an Land sind, übernehmen Sie die Wache bei den Booten, Mr. Plowman. Sie haben Ihre Sache sehr gut gemacht. Ich werde dafür sorgen, daß es Ihnen nicht vergessen wird.» Plowman protestierte:»Einer von meinen Leuten kann doch die Boote bewachen, Sir!» «Nein. Wir brauchen Sie später noch. Ich will nicht, daß mir der Mann, der Mr. Grubbs rechte Hand ist, in Spanien verlorengeht. Der Master würde mir das nie verzeihen!» Ein paar Männer lachten leise, und Plowman seufzte:»Da haben Sie vielleicht recht, Sir.» Fünfzehn Minuten später liefen die Gig und die große Barkasse auf harten Sand, Matrosen sprangen über Bord und bis zum Gürtel ins Wasser, Waffen wurden herausgereicht, das Ruder belegt, Bo-litho und Gilchrist rannten, Degen in der Hand, den Strand hinauf. Dies war der kritische Augenblick. Bolitho verhielt bei einem Felsbrocken, starrte in die Finsternis, versuchte, über Wind und See etwas zu erlauschen. Aber es kam kein Anruf, keine Salve knatterte mit blitzendem Mündungsfeuer aus dem Dunkel. Und mit jeder kostbaren Minute kamen mehr Männer aus dem flachen Wasser und ordneten sich eilig zu einer Marschkolonne. Immer mehr weißes Lederzeug schimmerte fahl in der Nacht, und als erst die Kutter eintrafen, die draußen noch auf Anzeichen von Gegenwehr gewartet hatten, war die kleine Bucht gedrängt voll stummer Gestalten. Major Leroux eilte den Strand herauf.»Alles angetreten, Sir.» «Recht so. Lassen Sie die Boote in Strandnähe warten. Plowman soll eine Stunde verstreichen lassen und dann zum Schiff zurückrudern, wie besprochen.» Leroux winkte seiner Ordonnanz. Eine Stunde mußte ausreichen, um festzustellen, ob sie eine Erfolgschance hatten. Während die Boote von ihren erschöpften Besatzungen ein Stück aus der Brandung gerudert wurden, konnte Bolitho die allgemeine Unsicherheit der Zurückbleibenden direkt spüren. Trotz ihres militärischen Status' waren die Marine-Infanteristen keine Landratten. Der Gedanke, sich allein auf fremdem Terrain zu befinden, ohne Verbindung zum Schiff und der einzigen Lebensweise, welche die meisten von ihnen kannten, beunruhigte sie. «Schicken Sie Ihre Vorhut los, Major Leroux«, sagte er. Der Major nickte.»Wir brauchen auch ein paar gute Männer als Flankenschutz. «Er eilte weg, und in kürzester Zeit war die ganze Landeabteilung auf dem Vormarsch. Das Gelände war ungefähr so, wie Grubb und Plowman es geschildert hatten, doch erwies sich der Pfad, der durch die Hochfläche über dem Strand führte, rauher als erwartet. Wild fluchten die Männer in der Finsternis; ein paarmal hörte Bolitho, wie Nepean oder ein Sergeant drohend Ruhe befahlen. Nach einer Stunde etwa ließ Bolitho rasten, und während die Männer zu beiden Seiten des Pfades hockten, rief er seine Offiziere zusammen. «In fünf Stunden wird es heller. «Midshipman Luce schüttelte Steinchen aus seinem Schuh; und wieder dachte Bolitho an Pascoe. In der Dunkelheit sah der Midshipman ihm sehr ähnlich. Sie waren gute Freunde gewesen — nein, sie waren es «Nach unseren Berechnungen müssen wir eine Felsrinne überqueren und sind dann ganz nahe an der Bucht. Auf der Karte hat der uns am nächsten liegende Arm der Bucht lockeren, krümeligen, von Hochwasser zermahlenen Boden. Wenn es eine Küstenbatterie gibt, steht sie also wahrscheinlich auf dem anderen Landarm.» «Das ist viel zu weit! Das schaffen wir nie, ehe die «Sprechen Sie mit mir, Mr. Gilchrist?«Es klang so gefährlich sanft, daß Luce rasch wieder in seinen Schuh fuhr und reglos lauschte. «Entschuldigung, Sir. Es war nur ein Gedanke. «Gilchrist geriet etwas aus der Fassung. «Freut mich zu hören. «Bolitho sah die anderen an.»Aber wir müssen nach Möglichkeit alle Geschütze ausschalten, die der Leroux schnallte sein Koppel fester.»Ganz meine Meinung, Sir. Und je eher wir durch diese Rinne sind, um so lieber ist es mir.» Bolitho sah sich um, er spürte Staub und scharfen Sand im Gesicht. Der Wind hielt sich also. Hoffentlich war Fortuna, wie Herrick es immer nannte, ebenso zuverlässig. «Also dann weiter!«befahl er. Leroux ging nach vorn, gab ein paar geflüsterte Kommandos, und die Seesoldaten formierten sich wieder auf dem Pfad. In der Dunkelheit wirkten ihre weißen Brustriemen wie eine lange, sich windende Schlange von weißen Kreuzen. Immer noch rührte sich nichts vor ihnen in der Nacht: kein streunender Hund, kein schlaftrunkener Fischer, der sich zu seinem Boot hinuntertastete, weil er bei Morgengrauen auf Fang wollte. Verlassen und leer lag die ganze Küste da. Merkwürdig — Bolitho konnte ganz zusammenhängend denken; innerlich und äußerlich beinahe entspannt schritt er neben der Marschkolonne dahin. Wie oft schon war er an dieser Küste in beiden Richtungen entlanggesegelt, jetzt marschierte er hier. Im Geist sah er die Namen auf der Karte vor sich, wie Gedenksteine am Weg: Cartagena, knapp vierzig Meilen entfernt. Alicante, Valencia — an jede Stadt hatte er Erinnerungen. Vor fünf Jahren allerdings war Spanien noch mit England verbündet gewesen. Er merkte, daß ein Befehl flüsternd nach hinten durchgegeben wurde, eilte nach vorn und sah, daß Leroux, Nepean und ein Unteroffizier in leiser Beratung beieinanderstanden. Leroux machte keine überflüssigen Worte.»Das ist Corporal Manners, Sir, ein in jeder Hinsicht erfahrener Soldat. Er hat den Vortrupp geführt. «Ernst blickte er Bolitho an. Möglichst ruhig, obwohl hier bestimmt etwas sehr schiefgegangen war, fragte dieser:»Ihr Vortrupp hat die Rinne erreicht?» Leroux nickte.»Berichten Sie dem Kommodore, Manners.» Der Marine-Infanterist sprach Cornwalldialekt, Heimatklänge für Bolitho.»Die Rinne ist schon da, Sir. Aber da muß 'n großer Einsturz gewesen sein. Es geht fast senkrecht hinunter, hoch wie die Wand einer Kathedrale. Ich war nämlich Hauer im Zinnbergwerk in Cornwall, ehe ich anmusterte, Sir.» «Dann wissen Sie, wovon Sie reden. «Bolitho sah an ihnen vorbei und suchte das Unerwartete zu verarbeiten. «Ich Bolitho schüttelte den Kopf.»Im Dunkeln ist das zu gefährlich. «Er blickte Leroux an.»Was meinen Sie?» «Es würde Stunden dauern«, antwortete der Major.»Und selbst wenn wir es schafften, wären die Männer hinterher zu erschöpft für ein Gefecht.» «Und die Verzweiflung überkam Bolitho. Blind war er gewesen und zu dumm, ein natürliches Hindernis einzuplanen, das alle Vorbereitungen zu bloßer Zeitvergeudung machte und nur unnütz Menschenleben kostete. Er hatte sich auf die spärlichen Angaben der Karte und auf seinen Übereifer verlassen. Und auf — er stieß sich an dem Wort — auf seinen Rachedurst. «Wir müssen die Rinne umgehen, Sir. «Leroux blickte ihn gespannt an; er war ebenso betroffen.»Jedoch…» «Eben, Major Leroux. Dieses gt;jedochlt; ist das Problem.» Leutnant Nepean warf ein:»Dann umgehen wir eben die Verteidigungsanlagen der Bucht und stürmen die Batterie von der Landseite her, Sir.» Leroux seufzte.»Geben Sie durch an Sergeant Gritton: Weitermarsch hinter dem Vortrupp her. Etwas anderes bleibt uns jetzt auch gar nicht mehr übrig, Sir«, sagte er leise zu Bolitho. Es hätte wie ein Vorwurf klingen können, aber es war keiner. Gilchrists lange Gestalt tauchte aus dem Dunkel auf.»Ich höre, wir können nicht durch die Rinne, Sir.» «Stimmt. «Bolitho versuchte zu erkennen, wie Gilchrist darauf reagierte.»Also müssen wir doch unseren Gewaltmarsch machen.» Wieder stapften die Marine-Infanteristen an ihm vorbei, die Musketen umgehängt; jeder starrte mit gebeugtem Kopf auf die Beine seines Vordermannes. Die meisten wußten gar nicht, warum sie überhaupt hier waren. Aber sie hatten «Ich mache mir nur Sorgen um das, was danach kommt, Sir«, sagte Gilchrist dumpf, wandte sich um und nahm seinen Platz an der Spitze der nächsten Gruppe wieder ein. «Dieser Mann fällt mir auf die Nerven, Sir«, knurrte Leroux. Bolitho blickte ihn von der Seite an.»Dienstlich ist Captain Herrick durchaus mit ihm zufrieden.» Leroux hieb mit seinem Säbel nach einem Busch.»Ich rede nicht gern über andere Leute hinter ihrem Rücken.» «Erinnern Sie sich noch an Ihr Wort von vorhin, Major?«Wieder ein wütender Hieb Leroux' nach einem Strunk Heidekraut. «Ich weiß, daß Captain Herrick schon früher mit Ihnen gefahren ist, Sir. Das ganze Geschwader weiß es. Er ist ein feiner Mann und gerecht. Auf einem Linienschiff beides zusammen zu sein, ist gar nicht so leicht.» «Da haben Sie vollkommen recht, Major. Thomas Herrick ist seit der amerikanischen Revolution mein Freund. Er hat mir mehr als einmal das Leben gerettet.» «Und Sie ihm auch, möchte ich annehmen, Sir. «Leroux warf einen raschen Blick auf die Reihe seiner keuchenden Seesoldaten.»Herrick hat eine Schwester, wissen Sie das, Sir?» «Ja. Das arme Mädchen hat viel auszuhalten. Auch das weiß ich.» «Ja, sie ist gelähmt. Ich habe sie kennengelernt, als ich für Cap-tain Herrick in Kent war, bei der Neuausrüstung der Bolitho packte den Degengriff fester und starrte in die Dunkelheit, bis ihm die Augen schmerzten. Er war so mit seinen eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen, daß er sich um die übrige Welt, um die Welt Herricks, überhaupt nicht gekümmert hatte. Herrick hatte seine dienstliche Laufbahn als armer, unprivilegierter Mann begonnen. Im Vergleich zu Offizieren wie Farquhar — oder schließlich auch zu ihm, Bolitho, selbst — war er immer noch arm. Im Lauf der Jahre hatte er sich zwar etwas erspart, seine mageren Prisengelder mit dem Bonus bei seiner Beförderung zum Fregattenkapitän etwas aufgebessert, aber von einem Vermögen konnte nicht die Rede sein. «Captain Herricks Mutter starb kurz bevor wir aus Spithead ausliefen«, sagte Leroux.»Deshalb ist seine Schwester jetzt ganz allein.» Wie war es eigentlich, als ich damals an Bord der Er schwieg; Leroux eilte wieder dem Vortrupp nach und überließ Bolitho seinen Gedanken. Herrick liebte seine Schwester sehr, das wußte Bolitho. Einen Mann für sie zu finden, war ihm sicher wichtiger als alles andere, selbst wichtiger als seine Freundestreue. Doch warum verhielt sich Gilchrist so feindselig? Und warum wollte er ausgerechnet ein gelähmtes Mädchen heiraten? Bolitho war beides unerklärlich. Er hob den Kopf und starrte zu den Sternen empor: so kalt, so erhaben über das kleinliche Gewimmel auf Erden. In früheren Zeiten hatte er manchmal, wenn er frustriert und ungeduldig die Befehle höherer Stellen ausführte, gemeint, er selbst würde es besser machen. Aber jene Vorgesetzten hatten Flotten zu kommandieren gehabt, große Ereignisse in Rechnung zu ziehen und zu manipulieren. Nun hatte auch er eine wenn auch kleine Chance bekommen, zu zeigen, was er konnte, zu beweisen, daß er jetzt fähig war, in diese Ränge aufgenommen zu werden, deren Flaggen über den Geschwadern Freude, Stolz und Gehorsam auslösten. Bolitho horchte auf das müde Scharren der Soldatenstiefel und wußte, daß er versagt hatte. «Können Sie was sehen?«fragte Pascoe flüsternd, denn draußen vor der Zeltklappe wußte er einen Wachtposten. Allday stand tiefgebückt an der Rückwand des Zeltes. Er hatte sich aus einem Trinkbecher eine Klinge gebastelt und damit ein kleines Loch geschnitten, durch das er spähte. Stille heischend hob er die Hand. Von der Hinterwand des Zeltes aus konnte er ein Stück Strand unterhalb des Lagers sehen; auf dem unruhigen Wasser reflektierten die Sterne, und irgendwo wippte die Ankerlaterne eines Schiffes. Der Mond schien nicht, so daß jedes Feuer, jede Laterne überhell zu leuchten schien, selbst auf dem weit entfernten anderen Landarm der Bucht. Mitternacht war vorbei, soweit er schätzen konnte; doch seit jenem Trompetenruf herrschte pausenlos Betriebsamkeit in Lager und Umgebung. Jetzt war es etwas ruhiger, doch über dem Vorland ließen sich ein paar helle Laternenpünktchen erkennen; wahrscheinlich war die Batterie voll bemannt und traf alle Vorbereitungen für das Bombardement bei Morgengrauen. Ein glutroter Schein waberte ein paar Sekunden lang am Himmel und erstarb dann ebenso schnell. Allday fühlte, wie ihm Schweiß über Hals und Brust rann: dort wurde die Tür einer Feueresse auf- und wieder zugemacht. Sie erhitzten also Kanonenkugeln, um das Schiff in Brand zu schießen. Er glitt zu Boden. Sie lagen beide nebeneinander, beinahe berührten sie ihre Gesichter. «Die Batterie macht Kugeln heiß«, flüsterte Allday.»Deswegen haben wir auch einen Eingeborenen als Wachtposten. Die Spanier hier sind bestimmt alle Artilleristen und werden bei diesen verdammten Kanonen gebraucht.» Pascoes Gesicht leuchtete bleich in der Dunkelheit.»Was machen wir bloß?» Allday deutete zur Zeltklappe.»Steht da nur ein Mann?» «Aye. Die denken, wir sind ihnen sicher.» Trotz seiner steigenden Spannung grinste Allday.»Mit gutem Grund, Mr. Pascoe. Viel Schaden können wir ja nicht anrichten, selbst wenn wir abhauen, nicht wahr?» «Ich weiß. «Es klang wie ein Schluchzen. «Sachte!«Er faßte Pascoe an die Schulter und fühlte die vom Sonnenbrand wunde Haut.»Wenn wir was explodieren lassen, wie wir das besprochen haben, dann können wir damit das Schiff warnen.» Entschlossen nickte Pascoe.»Aber wie kommen wir durch das Lager? Es muß mindestens eine Meile bis zur anderen Seite sein.» Allday blickte zum Hintergrund des Zeltes.»Wenn mehr als ein Mann Wache steht, sind wir verloren. «Er ließ die Worte einwirken.»Aber wenn wir uns den da schnappen, ehe er um Hilfe rufen kann, dann kann sich einer von uns seine Uniform anziehen.» Pascoe kroch auf dem Bauch zum Eingang.»Er hat sich hingesetzt. «Lautlos wie ein Wilddieb schlich er sich wieder zu Allday und tippte ihm auf den Arm.»Ich glaube fast, er schläft, aber sehen Sie sich vor. Es könnten noch andere Wachen in der Nähe sein.» Allday prüfte sein primitives Messer und sagte:»Wenn ich geschnappt werde, ehe ich was unternehmen kann, verhalten Sie sich still und tun, als ob Sie schliefen. Lassen Sie sich nicht anmerken, daß wir das zusammen geplant haben.» Pascoe zeigte grinsend die Zähne.»Ach, hol Sie der Teufel, Mutter Allday!» Allday lächelte.»Das hört sich schon besser an, Mr. Pascoe.» Adam blieb an der Zeltklappe stehen und versuchte, sein Gehör dem gleichmäßigen Kratzen von Alldays Messer zu verschließen, der die Zeltleinwand durchschnitt. Der Posten rührte sich nicht. Pascoe glaubte, die da draußen müßten sein Herz gegen die Rippen hämmern hören. Das Geräusch verstummte, und er warf einen raschen Blick über die Schulter.»Fertig, Allday?» Aber er war schon allein. Er hob sich auf ein Knie und hielt den Atem an, als Allday wie ein Schatten um die Zeltecke glitt; seine bloßen Füße waren im Sand nicht zu hören. Es war, als hätte er sich in einen alles verbergenden Mantel gewickelt. Einen Moment stand er hoch über dem dösenden Soldaten. Dann stürzte er sich auf ihn und über ihn; ihre Schatten vermengten sich, aber außer einem kurzen Keuchen war nichts zu hören. Pascoe hielt Allday die Zeltklappe auf, der den reglosen Posten durch den engen Eingang zerrte. «Zünden Sie bloß nicht die Laterne an«, zischte Allday.»Sie müssen sich im Dunkeln umkleiden, so gut es geht. Los, ziehen Sie ihm die Jacke aus; Sie nehmen auch seine Hose. Stinkt säuisch, der Kerl. «Er tastete rasch nach dem Koppel.»Ah, 'ne Pistole hat er auch.» Pascoe fühlte die Haut des Mannes unter seinen Fingern. Sie war feucht und heiß, aber unbewegt. «Ich glaube«, murmelte Allday,»ich habe dem Bastard das Genick gebrochen.» Pascoe starrte ihn durch das Dunkel kurz an und riß sich dann die Hose herunter. Eine Sekunde lang stand er nackt da und zog dann mühsam die Hose des toten Soldaten an. Seine eigene war zwar zerfetzt, aber immerhin eine letzte Verbindung zu dem Schiff. Er preßte die Lippen zusammen. Weg damit. Dann die Jacke und das Koppel. Allday hatte recht; dessen kräftiger Körper hätte nie in die Uniform dieses Mannes gepaßt. Jetzt tappte Allday im Zelt herum, dann hörte Pascoe Wein gluk-kern und wunderte sich, daß Allday ausgerechnet jetzt trinken konnte. Aber schon holte er erschrocken Luft, denn er fühlte All-days tropf nasse Hände auf Gesicht und Hals und unter dem offenen Uniformkragen.»Sie müssen so dunkel wie möglich aussehen«, sagte Allday grimmig.»Gott behüte, wenn man Sie bei Tageslicht sieht, 'ne Rothaut als Soldaten hatten die wahrscheinlich noch nie.» Er stülpte Pascoe den Fez auf und drapierte das Nackentuch so, daß es möglichst viel vom Gesicht verbarg. Pascoe nahm die Muskete auf und prüfte sie. Glücklicherweise war sie neu, eine französische vermutlich. «Fertig.» Allday zerrte den Toten beiseite und deckte ihn mit einem Stück Zeltleinwand zu. «Gut. Und jetzt fesseln Sie mir die Hände auf den Rücken. Es muß schön fest aussehen. Nicht zu fest, natürlich; passen Sie auf!» Stumm sahen sie einander an. Dann sagte Pascoe:»Wenn sie mich lebend kriegen, dann.» Allday schüttelte den Kopf.»Das werden sie nicht. Mich auch nicht.» Draußen kam es ihnen fast kühl vor. Die tiefen Schatten der Zelte und Erdwälle wirkten unwirklich und drohend. Allday überlegte sich, was die Wachen wohl während der Nacht mit den Sklaven und Gefangenen machten. Wenn alles klappte, würde es ein rauhes Erwachen für sie geben, wo sie auch sein mochten. Es war alles so einfach. Eilig schritten sie den Abhang hinunter, wo die Offizierszelte standen, und auf einen rauhen, teilweise fertiggestellten Pfad zu, der, wie Allday vermutete, zu dem neuen Pier führte. Ein niedergebranntes Lagerfeuer glomm rötlich bei einem unbespannten Wagen, zwischen dessen großen Rädern mehrere schlafende Männer lagen. Er hörte Pascoes Schritte dicht hinter sich und den regelmäßigen Anschlag der umgehängten Muskete an seiner Hüfte. Bei einem Holzstapel bewegte sich etwas; Allday zischte:»Los, Mr. Pascoe!» Pascoe riß die Muskete von der Schulter, stieß ihm die Mündung in den Rücken und eilte mit ihm voran, so schnell er glaubte, es riskieren zu können. «Gut gemacht«, murmelte Allday.»Aber hoffentlich haben Sie Ihren Abzugsfinger unter Kontrolle!» Sie gingen geradeaus weiter; Sternenlicht wies ihnen den Weg zur Landzunge, Laternen brannten keine mehr. Also würden die Geschützbedienungen jetzt neben ihren Kanonen schlafen. Sie hatten wenig zu befürchten. Da blieb Allday stehen, Pascoe ebenfalls. «Was ist?» «Da steht jemand vor uns. Direkt auf dem Weg.» «Jetzt können wir nicht mehr zurück«, flüsterte Pascoe,»wir sind auf freiem Gelände.» «Aye. «Etwas an der vor ihnen stehenden Gestalt beunruhigte Allday.»Wenn er was sagt, lachen Sie einfach und gehen weiter. Ich versuche dann, ihn von hinten zu erledigen.» Doch der einsame Mann rief sie nicht an und wandte sich auch nicht um, als sie vorbeigingen. Denn er war an einen Pfahl gebunden, und seine leeren Augenhöhlen gähnten groß und schwarz über dem gebleckten Gebiß. Allday ging schweigend vorbei — es war der Anführer der Reiter, der ihn mit der Peitsche geschlagen hatte. Pascoe sprach es statt seiner aus:»Wenn sie das schon mit ihren eigenen Leuten machen.» Ein paar Minuten später sagte Allday:»Ich glaube, hier halten wir erst mal und stellen fest, wo wir sind.» Sie hatten schon fast den Strand erreicht; der Sand war vom Kommen und Gehen vieler Füße zerfurcht, wo Sklaven die ankernden Schiffe beladen hatten. Das nächstliegende, eine Brigg, war ziemlich deutlich zu erkennen. Die Morgendämmerung mußte also schon näher sein, als sie dachten. Wie einladend diese Brigg aussah. Allday dachte an das, was sie sich vorgenommen hatten, und erschauerte. Unter diesen Umständen hätte jedes Schiff einladend ausgesehen. Er musterte den vor ihnen liegenden Landarm der Bucht. Zwei Erhebungen, etwa eine Kabellänge[12] voneinander entfernt, unterbrachen das sonst ebene Terrain. Also waren zwei Batterien vorhanden, höchstwahrscheinlich aber nur ein Magazin. Der spanische Hauptmann hatte angedeutet, daß er in diesem Stadium auch ohne neue Arbeit genug zu tun hätte. «Wir nehmen die landeinwärts, wenn Sie einverstanden sind?» Pascoe nickte.»Die mit der Esse. Wahrscheinlich befindet sich dort auch das Magazin. Denn wenn sie die heißen Kugeln zu den gerichteten Kanonen tragen, muß das schnell gehen.» Allday warf einen verstohlenen Blick auf die dunkle Gestalt. Es hätte der Kommodore sein können, der so sprach. «Ich glaube, ich sehe einen Pfad. Den nehmen wir. Wenn es der falsche ist, kehren wir um und versuchen es auf dem anderen«, sagte Pascoe und schloß mit fester Stimme:»Jedenfalls wird es ein rascher Tod.» Aber sie hatten die richtige Wahl getroffen. Am Fuß des Landarms verbreiterte sich der Pfad und fühlte sich selbst für Alldays wunde Füße etwas glatter an. Hier im Windschatten war es viel ruhiger, und sie vernahmen andere Laute: das Rascheln des trockenen salzigen Grases, das ferne Wiehern angekoppelter Pferde, das monotone Pfeifen eines Beute suchenden Nachtvogels. Sie rundeten eine neue Wegbiegung und verhielten verblüfft vor einem hohen hölzernen Tor. Es stand weit offen; im schwachen Licht einer Laterne sahen sie roh behauene Stufen, die den Hügel hinauf zu einer Stelle führten, die direkt unter der ersten Batterie liegen mußte. Hastig fragte Allday:»Haben Sie die Peitsche?» Pascoe tastete an dem ungewohnten Gürtel herum.»Ja, aber warum. «Er brach ab, denn zwei Gestalten lösten sich von der Innenseite des Tores. «Los«, stieß Allday hervor,»schlagen Sie zu! Oder wir kommen nie durch dieses verdammte Tor!» Die beiden Wachen waren bewaffnet; Allday konnte ihre Bajonette im gelben Lampenschein funkeln sehen. Beide waren Spanier und Artilleristen, nach der Form ihrer Stiefel und der weiten Hosen zu urteilen. Allday sog scharf den Atem ein, als die Peitsche auf seine Schultern niedersauste.»Fester, um Gottes willen!» Keuchend holte Pascoe noch einmal aus; mit plötzlicher Klarheit erinnerte er sich, wie die Reiter zugeschlagen hatten: ohne Erregung, ohne Gnade. Die beiden Posten sahen mit gelinder Neugier zu. An diesem elenden Ort war es für sie wahrscheinlich eine willkommene Abwechslung. Dann klapperte eine Muskete, die der eine Posten vom Boden aufhob, und Allday stürzte vor, riß sie dem erstaunten Mann aus den Händen und stieß ihm mit wütender Kraft den Kolben ins Gesicht. Pascoe eilte zu ihm, doch der zweite Wachtposten rannte bereits die Stufen hinauf, wie ein Irrer schreiend. Allday legte die Muskete an und feuerte; der Mann wurde vom Aufprall der Kugel herumgerissen, stürzte und war nicht mehr zu sehen. Sie hörten ihn in einer kleinen Lawine von Steinen und Erdbrocken den Abhang hinunterrollen. «Los!«Pascoe rannte die Stufen hinauf und direkt in einen weiteren Wachtposten hinein, der aus einer anderen Tür kam, einer starken, eisenbeschlagenen. Allday faßte zu, packte ihn beim Hals, drehte ihn mit einem Schwung um und schmetterte seinen Kopf gegen die Tür. Sie flog auf. Dahinter lag ein leerer Gang; von oben waren Rufe und eilende Schritte zu hören; sie schlüpften hinein, und Pascoe sagte atemlos:»Riegel zu!«Er hielt eine Laterne hoch.»Hier muß es zur Pulverkammer gehen.» «Trocken genug ist es. «Allday legte zwei schwere Riegelbalken um.»Vorsicht mit der Laterne!«Er zog prüfend die Luft ein.»Ich wette, die fragen sich jetzt, was, zum Teufel, hier unten los ist. «Er spannte die zweite Muskete. Stiefel und Kolben hämmerten gegen die schwere Tür, doch war es ebenso rasch wieder still. Pascoe blickte seinen Gefährten an.»Also, dann los!» Major Leroux reichte Bolitho ein kleines Taschenteleskop.»Viel werden Sie ja noch nicht sehen können, Sir.» Bolitho hob sich auf die Knie. Beine und Rücken schmerzten ihm von dem langen Marsch. Zwischen Felsbrocken und trockenem Heidekraut sah er das weiße Lederzeug und die Kniehosen der Marine-Infanteristen, die in lockeren Gruppen keuchend dalagen. Himmel und Sterne wurden zweifellos schon bleicher. Doch Land und Horizont waren noch nicht zu unterscheiden; und nur am gelegentlich helleren Sand des Strandes konnte er ungefähr erkennen, wo sie waren: nämlich an einem Abhang etwa auf gleicher Höhe mit dem Arm der Bucht. Durch das kleine Glas konnte er auch sehen, wo der Erdboden aufgerissen worden war, um Wälle und Palisaden zu bauen; eine einzelne Laterne flackerte auf. Ihr Licht spielte über zwei schwere Bodenstücke; wahrscheinlich Vier-undzwanzigpfünder, dachte er. Leroux hatte sich auf die Ellbogen gestützt und sagte, einen Kieselstein lutschend:»Noch diesen steilen Hang hinunter und dann hoch zu der vordersten Palisade, Sir. Aber selbst wenn weiter hinten keine Verteidigungslinie mehr ist, könnten wir die Hälfte unserer Leute bei der ersten Salve verlieren. «Er musterte seine erschöpften Männer.»Das Bordleben nimmt ihnen die Ausdauer. Das ist eben keine Infanterie und auch kein Linienregiment.» Wütendes Hundegebell erscholl irgendwo in der Ferne. Ein neuer Tag begann. «Heute müssen sie aber richtige Soldaten sein«, sagte Bolitho kurz.»Wir werden sofort angreifen, Major. Ehe die Trompete die Garnison weckt.» Die anderen Offiziere rückten näher an sie heran. Er starrte unverwandt auf die See und die dunklen Umrisse der drei vor Anker liegenden Schiffe. Vielleicht konnten sie die Batterie doch noch ausschalten und sich dann zu irgendwelchen Booten durchkämpfen. Alles wegen dieser Felsenrinne. Und wegen seiner blinden Ungeduld. «Mr. Steere, Sie nehmen, was noch an Matrosen da ist, und versuchen den Strand zu erreichen. Mr. Luce geht mit Ihnen. «Er nickte Leroux zu.»Also weiter. Wir schlagen am besten gleich los.» Leroux faßte seinen Sergeanten am Arm. Der zuckte zusammen wie von einer Kugel getroffen.»Sergeant Gritton, geben Sie durch: Bajonette aufpflanzen. Inspizieren Sie jeden Mann. Auf mein Signal: ganze Linie Attacke. Laufschritt marsch.» Der Sergeant setzte seinen Hut fester auf.»Jawohl, Sir. «Er war so unbewegt, als hätte er den Befehl bekommen, seine Stiefel zu putzen. Am Abhang rührte es sich, Stahl klang auf Stahl, die Bajonette schimmerten schwach. Bolitho zog seinen Degen und sagte gelassen:»Wir müssen möglichst viel Lärm machen. Das ist jetzt unsere beste Chance.» Er fuhr herum: ein einzelner Schuß krachte, sein Echo wurde von den Hügeln zurückgeworfen. Einen Moment dachte er, ein Wachtposten hätte seine Truppe gesichtet, und sie wären vor dem Angriff ausmanövriert. «Da unten, Sir«, rief Nepean,»da habe ich Mündungsfeuer gesehen. Ein Mann ist gefallen, glaube ich.» Gedämpfte Rufe; die einzelne Laterne bewegte sich hinter den Wällen der Batterie, wie von einem Gespenst getragen. «Das ist kein Signal, bei Gott«, murmelte Leroux.»Da muß ein Verrückter am Werk sein. Verdammt, sehen Sie bloß, wie die durcheinanderrennen! Mit dem Überraschungsmoment ist es vorbei«, schloß er bitter. Sogar ohne Teleskop konnte Bolitho das Gerenne bei der Batterie sehen: helle Gestalten, anscheinend bloß halb bekleidet, von diesem mysteriösen Schuß aus dem Schlaf gerissen.»Die beste Gelegenheit, Major«, erwiderte er heiser. Er sprang auf und schwenkte seinen Hut zu den erstaunten MarineInfanteristen.»Folgt mir, Jungs!«Gallebitter stieg der Irrsinn in seiner Kehle hoch; so wild, als wolle es ausbrechen, schlug sein Herz gegen die Rippen. Ein Laut wie ein Grollen kam von den Männern, sie rappelten sich auf, die Bajonette richteten sich auf die Batterie, und Leroux brüllte:»Zur Attacke — marsch!» Den Abhang hinunter rennend, dabei schreiend wie die Irren, vergaßen die Seesoldaten bald den Befehl, nicht zu schnell vorzugehen. Sie stürmten über Gras und Steine, und die schwankenden Bajonette glitzerten jetzt heller, denn ein schwacher Morgenschimmer lag bereits über der Bucht. Hier und da stürzte ein Mann, doch nur, um wieder aufzuspringen, seine Muskete zu packen und abermals zu seinen brüllenden, schreienden Kameraden aufzuschließen. Bolitho hörte ein paar Schüsse; doch wer sie abfeuerte und wem sie galten, wußte er nicht. Er wußte nur, daß sich das Tempo kaum noch halten ließ, denn jetzt ging es nicht mehr abwärts, sondern bergauf.»Schneller!«keuchte er.»Die Palisaden!» Von oben krachte es ein paarmal; ein Mann fiel und rollte gurgelnd den Abhang hinunter. Einige Seesoldaten waren zurückgeblieben, knieten jetzt und zielten über die Köpfe ihrer Kameraden hinweg. Eine Kugel sauste Bolitho am Kopf vorbei, ein Todesschrei ertönte vom Wall über ihm. «Da ist ein Weg!«schrie Leroux.»Sergeant Gritton! Dort hinauf!» Kugeln schlugen jetzt von beiden Seiten in die Palisade, und wie aus weiter Ferne hörte Bolitho den fordernden Ton eines Trompetensignals. Sie mußten diesen Wall erreichen und einnehmen, ehe der Feind Unterstützung aus dem Lager bekam. Inzwischen hatten sie alle gehört, daß Pferde da waren. Griff erst Kavallerie an, würde sie die erschöpften Marine-Infanteristen auseinandertreiben und in Stücke hauen. Bolitho fiel beinahe über einen Soldaten, der quer in einem Tor lag; ein brüllender Seesoldat an der Spitze der vordersten Gruppe stieß ihn beiseite. Der Kopf schwirrte ihm, aber trotzdem registrierte er die seltsame Tatsache, daß das Tor offen und der Soldat tot war. Ein paar Stufen hinauf, um eine Ecke, und dann sah er ein halbes Dutzend Spanier, die mit Waffen und Fäusten gegen eine breite Tür hämmerten — anscheinend bemerkten sie die anstürmende MarineInfanterie gar nicht. Doch dann drehte sich einer um, und der ganze Haufe wandte sich von der Tür ab, rannte auf den halbfertigen Wall zu und versuchte hinüberzuklettern. Johlend wie die Teufel fuhren die Marine — Infanteristen zwischen sie; Bajonette stießen zu, die schrecklichen Todesschreie gingen in dem wüsten Kampfgebrüll unter. «Hurra, die Marine!«schrie Bolitho.»Halten Sie sie um Gottes willen auf, Major Leroux! Wir müssen durch diese Tür!» Schüsse krachten von der Batterie her, einige Seesoldaten fielen um sich schlagend zu Boden, andere eilten die Stufen empor; doch da sie bald von Nachdrängenden eingekeilt werden mußten, bestand die Gefahr, daß sie wehrlos von versteckten Scharfschützen abgeknallt wurden. Jetzt stand Sergeant Gritton mit einer großen Axt vor dem Türrahmen und führte krachende Schläge gegen das eisenbeschlagene Holz. Leroux feuerte seine Pistole ab und gab sie seiner Ordonnanz zum Neuladen; ein Körper fiel über die Brustwehr zwischen die brüllenden Seesoldaten. «Er kriegt sie nicht rechtzeitig auf!» Er schoß seine zweite Pistole ab und fluchte, als die Kugel als Querschläger fehlging. «Los, Jungs!«brüllte Gritton.»Sie gibt nach!» Bolitho drängte sich durch die aneinandergepreßten Männer. Er hatte gemerkt, daß die Tür nach innen aufging, und zwar nicht wegen der Axthiebe, und daß seine Männer im nächsten Moment von einer Kartätschenladung zerfetzt werden konnten. «Schießt, Jungs!«brüllte Gritton.»Drauf auf die Hunde!» Da erscholl eine andere Stimme, lauter selbst als die Grittons:»Achtung, Sergeant! Feuer einstellen, verdammt!» Bolitho wurde von den Vorstürmenden mit durch die Tür gerissen, und als sie hurra schreiend in einen roh behauenen Gang rannten, starrte er zwei Gestalten an, die sich scharf im Licht einer einzelnen Laterne abhoben. «Der eine ist von uns«, keuchte Leroux.»Schießen Sie auf den anderen, den Soldaten, Gritton!» Aber der» Soldat «warf seine Muskete weg; zwei Seesoldaten packten seine Arme, da rief er heiser:»Ich bin's!» Bolitho stieß die Männer beiseite und packte den Jungen an beiden Schultern.»Ich muß träumen!» «Dann träumen auch wir, Sir!«rief Allday. Leroux stand wieder neben ihm.»Hier ist das Magazin, Sir!«Er starrte Pascoe in das fleckige Gesicht.»Haben Sie… Ich meine, wollten Sie…» «Wir hatten vor, das Magazin in die Luft zu sprengen«, entgegnete Pascoe heiser.»Der spanische Kommandeur wußte, daß ein Schiff kommt. «Hilfesuchend sah er Allday an; plötzlich hatte ihn alle Kraft verlassen.»Und das konnte doch nur die Allday nickte und grinste dabei über das ganze schmutzige Gesicht.»Aber daß wir an diesem schönen Morgen unsere gt;Bullenlt; zu sehen kriegen würden — das konnten wir nicht wissen.» Bolitho versuchte, seine durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen. Vielleicht war es doch schon zu spät, etwas zu unternehmen. Aber nun sah es nicht mehr so schwarz, so völlig unmöglich aus wie vor ein paar Augenblicken. «Major, greifen Sie mit Ihrer Abteilung die Batterie an. Die Scharfschützen sollen besonders sorgfältig zielen, doch ich glaube, Sie werden auf keinen großen Widerstand stoßen. Die werden nicht so wild darauf sein, auf uns «Eins noch, Sir«, sagte Allday.»Auf der anderen Seite, nach See zu, steht noch eine zweite Batterie. Ich glaube zwar, das hier ist das einzige Magazin, aber.» Er brach ab, denn eine Detonation erschütterte den Gang. Auch Hurrageschrei war zu hören und zerstreutes Musketenfeuer. Bolitho nickte.»Das war ein Schuß von der anderen Batterie, denke ich. «Er rannte hinter den Marine-Infanteristen her; Pascoe wollte ihm folgen, doch er sagte:»Nein, Adam. Du hast bisher den Löwenanteil getragen. Bleib hier bei den Verwundeten, bis ich weiß, wie es weitergeht.» Während er durch den schwach erleuchteten Gang lief, vorbei an großen Fässern mit Pulver und Munition, an Tragegestellen, mit denen die Kanonenkugeln zur Feueresse transportiert worden waren, überdachte er das Geschehene. Pascoe und Allday lebten noch. Nicht nur das; sie waren hier, bei ihm. Doch wie sie es geschafft hatten, konnte er sich nicht erklären. Hätte er an dem Steilhang den Rückzug angetreten, oder wäre er nur ein paar Minuten später eingetroffen, dann hätten sie Magazin und Batterie in die Luft gesprengt und sich mit. Und zwar ohne Rücksicht auf das eigene Leben, ohne auch nur abzuwarten, ob tatsächlich ein Schiff in die Bucht segelte! Sie hatten damit gerechnet, daß es die Wieder ein lautes Krachen, Staub rieselte von der abgestützten Decke; aber Bolitho nahm sich Zeit, den Degen in die Scheide zu stecken und sich zusammenzureißen, denn Leroux, ohne Hut, mit Blut überm Auge, kam ein paar Stufen herabgelaufen und rief:»Die Wieder ein krachender Abschuß; Bolitho zuckte zusammen.»Drehen Sie eins der Geschütze um und zielen Sie auf die andere Batterie. Heiße Kugeln werden wohl auch noch da sein.» Frisch schlug Bolitho draußen die Salzluft ins Gesicht. Hurra rufend stürmten die Seesoldaten über die Wälle und feuerten im Laufen auf die andere Batterie. Bolitho kümmerte sich nicht um die vorbeipfeifenden Kugeln, er starrte nur auf die hohe Segelpyramide, die aus dem Meere selbst aufzusteigen schien. Der Vierundsiebziger glitt ganz langsam in die Bucht hinein; der Rumpf lag noch im Schatten. Herrick kam, er hatte es ja gewußt. Keine Batterie der Welt konnte ihn daran hindern, den Angriff planmäßig auszuführen, oder ihn von dem Versuch abhalten, wenigstens die Landeabteilung zu retten. Ein Kanonenschuß krachte von der Batterie; Bolitho knirschte mit den Zähnen, denn eine hohe Wassersäule stieg nahe am Rumpf seines Schiffes auf. Zu nahe! «Treiben Sie Ihre Männer an, Major! Die See ist unser einziger Ausweg, sagen Sie ihnen das!» |
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