"Galeeren in der Ostsee: Konteradmiral Bolitho vor Kopenhagen" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

XII Liebe und Haß

Admiral Sir George Beauchamp stand mit dem Rücken zum hohen Raum am Fenster und blickte verdrießlich auf den weiten Platz von Whitehall hinaus.

Es war ein naßkalter Tag, aber viele Kutschen und Lastwagen waren unterwegs. Es wimmelte von geschäftigen, dick vermummten Gestalten und dampfenden Pferden. Für Beauchamps ausgeprägten Ordnungssinn wirkte das alles chaotisch.

Bolitho saß sehr gerade auf einem Stuhl und zwang sich, nicht an das schmerzende Bein zu fassen.

Es war eine lange Fahrt von Swinburnes schönem Landsitz bis hierher gewesen. Browne hatte ausnahmsweise einen traurigen Gesellschafter abgegeben. Jedesmal, wenn eines der Wagenräder in eine Furche rutschte, hatte er gestöhnt und gegen Erbrechen gekämpft. Als sie an einem Gasthof Pause machten, hatte Allday schadenfroh geäußert:»Ihr kleiner Trick scheint ein voller Erfolg gewesen zu sein, Sir. Mr. Browne sieht aus wie ein lebender Leichnam.»

Bolitho war sofort nach seiner Ankunft in diesen Raum gebeten worden, und als er die obersten Treppenstufen nahm, sah er, daß ein unglücklicher Offizier, der offenbar gerade hineingehen wollte, ihm den Vortritt lassen mußte.

Beauchamp hatte Bolitho ohne Wärme die Hand geschüttelt und ihn dabei gemustert wie ein Pferdekenner ein abgehetztes Roß. Dann saß er, die dürren Finger zusammengepreßt, wie verloren in seinem großen Stuhl, während Bolitho den Angriff auf die französische Fregatte und das spätere Zusammentreffen mit Ropars' Geschwader schilderte. Gelegentlich beugte Beauchamp sich vor, die Ausführungen mit Bo-lithos schriftlichem Bericht zu vergleichen, aber er unterbrach ihn nicht.

Bolitho schloß mit den Worten:»Ich möchte betonen, daß der Erfolg der Initiative und dem Können meiner Kommandanten zu verdanken war.»

Als Bolitho verstummte, war Beauchamp zum Fenster hinübergegangen, als wolle er damit andeuten, daß er Zeit brauche, sich ein Urteil zu bilden. Jetzt wandte er sich um und sagte:»Ich habe inzwischen von Ihrem Freund Inskip gehört. Ihre Aktion scheint nicht ganz in sein diplomatisches Konzept gepaßt zu haben. «Er lächelte flüchtig.»Zur Zeit laufen mehr Gerüchte durch die Korridore der Admiralität und von St. James als damals, als die Franzosen ihren König köpften.»

Er spitzte den Mund.»Einige behaupten, Ihr Angriff auf die Ajax sei eine Provokation in neutralen Gewässern gewesen. Zar Paul von Rußland hat dieses Argument bestimmt benutzt, um weiteren Rückhalt für seinen Plan, an Napoleons Seite zu treten, zu gewinnen. Hätten die dänischen Batterien auf die Styx geschossen, als Sie in Kopenhagen einliefen, so hätte das unverzüglich zu einem Krieg geführt, den durchzustehen, geschweige denn zu gewinnen, wir angesichts unserer anderen Verpflichtungen wenig Aussicht gehabt hätten. Nein, Bolitho, es gibt hier einige Leute, die behaupten, meine Entscheidung für Sie als Befehlshaber des Ostsee-Geschwaders sei übereilt, ja falsch gewesen.»

Bolitho blickte zum Fenster, an dem lange Bäche von Regenwasser herunterrannen. Seine Gedanken schweiften zurück zu dem Leutnant der Seesoldaten, der die blutüberströmten Hände vor das Gesicht geschlagen hatte. Zu dem jüngsten Leutnant der Benbow, dem der Unterkiefer weggeschossen worden war. Andere Gesichter, in der Hitze der Schlacht von Leidenschaft und Haß verzerrt, marterten sein Hirn. Das alles sollte vergeblich gewesen sein? Zar Paul hatte sechs Prisen verloren, die er unrechtmäßig beschlagnahmt hatte, aber die schnelle Aktion der Styx hatte ihm den Vorwand geliefert, den er benötigte.

«Wenden wir uns nun einen Augenblick Ihrer Begegnung mit Ro-pars' Geschwader zu. «Beauchamps bestimmter Ton brachte Bolitho zurück in die Gegenwart.»Unsere Informanten berichten, daß der französische Transporter tatsächlich Soldaten an Bord hatte, die als Ausbilder für die Armee des Zaren vorgesehen waren. Ihre Aktion, Bolitho, insbesondere die Vernichtung des feindlichen Vierundsiebzigers, zerstreute Ropars' Schiffe. Er verlor dann außerdem eine Fregatte beim Blockadegeschwader im Kanal.»

«Das also wurde anerkannt, Sir?«Bolitho konnte seine Verbitterung nicht verbergen.

Beauchamp antwortete scharf:»Reagieren Sie nicht wie der jüngste Leutnant, Bolitho. Ich muß Gerüchte ebenso berücksichtigen wie Tatsachen. Als Flaggoffizier täten Sie gut daran, meinem Beispiel zu folgen!«Er beruhigte sich wieder.»Selbstverständlich wurde es anerkannt, verdammt noch mal. Die Geschichte lief entsprechend übertrieben und verzerrt wie ein Lauffeuer durch London. Wenn Ropars in die Ostsee gelangt wäre, hätten wir ihn nur mit Gottes Hilfe wieder hinausbefördern können. Mit französischen Ausbildern und all diesen

Schiffen hätte uns Zar Pauls gt;Unheilige Allianzlt; an der Kehle packen können. Man hat mir mit gleicher Sicherheit gesagt, daß eine Invasion von den französischen Kanalhäfen aus gleichzeitig mit einem großen Ausfall aus der Ostsee geplant war. Nun, was uns die Zukunft auch bringen mag: für den Augenblick haben wir durch Ihren Sieg Zeit gewonnen. Aber bevor das Eis in den russischen Häfen schmilzt, müssen wir bereit sein.»

Bolitho überlegte, was geschehen wäre, wenn ihm ein anderer Ad-miral gegenübergesessen hätte. Beauchamp war unbarmherzig, wenn es sein mußte, aber auch bekannt für seine Fairneß.

Der kleine Admiral fuhr fort:»Dessen ungeachtet gibt es Kritiker, die fragen, warum Ihr Flaggkapitän nicht auf die Meldung der Brigg, daß Ropars nach Irland unterwegs sei, reagiert habe. Ein derartiges Ziel schien vielen einleuchtend. Der König hat erst kürzlich einer Änderung unserer Flagge zugestimmt, durch die Irland dem Vereinigten Königreich auch äußerlich angegliedert wird. Vom l. Januar an, also ab nächster Woche, wird es Fremden weniger einfach erscheinen, dort einen Aufstand auszulösen.»

«Kapitän Herrick hat — wie sich zeigte — richtig gehandelt, Sir. Hätte er das getan, was Sie andeuten, wäre niemand mehr dagewesen, um Ropars aufzuhalten.»

«Möglicherweise. Aber ich hatte Sie gewarnt, als Sie die Ernennung annahmen. Neider sind nie weit weg.»

Hinter der hohen Tür hüstelte jemand diskret, und Beauchamp schaute auf die Uhr.»Sie werden nach der Reise müde sein.»

Die Besprechung war beendet.

Bolitho stand auf und belastete vorsichtig sein Bein. Es fühlte sich wie abgestorben, völlig leblos an. Er wartete auf das erste prickelnde Stechen, das die Wiederkehr der Blutzirkulation ankündigte, und fragte:»Werden Sie mich noch einmal benötigen, Sir?»

«Möglicherweise. Ich habe mir erlaubt, eine angenehme Unterkunft für Sie reservieren zu lassen. Mein Sekretär wird Ihrem Flaggleutnant die Adresse geben. Wie macht sich Browne übrigens?»

Bolitho ging zur Tür, von Beauchamp begleitet. Er war sich immer noch nicht klar, ob der Admiral seine Handlung billigte oder sich erst noch eine Meinung darüber bilden wollte.

«Ich kann mir nicht vorstellen, wie ich ohne ihn ausgekommen wäre, Sir. «Er sah ihm in die Augen.»Er ist außerordentlich tüchtig.»

Beauchamp zog eine Grimasse.»Und unverschämt, wenn es ihn überkommt. «Eine Hand auf der Türklinke, sagte er:»Die nächsten Monate werden sehr aufreibend, vielleicht sogar kritisch werden. Wir brauchen jeden guten Offizier, jeden loyalen Mann, wenn wir überleben oder gar siegen wollen. «Er studierte Bolithos unbewegliches Gesicht und setzte hinzu:»Sie wissen über Sir Samuel Damerum Bescheid? Natürlich, ich sehe es Ihnen an. Meine Agenten haben berichtet, daß Browne hier überall nach Informationen herumschnüffelte. Das Übrige ist leicht zu erraten.»

«Ich habe nicht die Absicht, Sie oder meinen Auftrag irgendwie in mein Privatleben hineinzuziehen, Sir. «Er kam nicht weiter.

Beauchamp sagte:»Ich mag Sie, Bolitho, und bewundere Ihre Kühnheit ebenso wie Ihre Menschlichkeit. Aber wenn Sie irgendwen mit hineinziehen, wird es keinen Auftrag geben. Habe ich mich klar ausgedrückt? Sie stehen jetzt darüber. Bleiben Sie so.»

Er öffnete die Tür, und etwa sechs Offiziere, die draußen gewartet hatten, sprangen hoffnungsvoll auf.

Browne erhob sich mühsam von einer Bank, das Gesicht aschfarben.»Ich habe die Adresse, Sir. «Er beschleunigte seinen Schritt, um mit Bolitho mitzukommen.»War es zufriedenstellend, Sir?»

«Wenn Sie es zufriedenstellend nennen, sich wie ein Schuljunge abkanzeln zu lassen, dann kann ich sagen: ja. Und wenn es Sie befriedigt, jeden schriftlichen Befehl zu befolgen, selbst wenn er von einem Esel mit verbundenen Augen ausgestellt wurde, dann muß ich noch einmal bejahen.»

Browne sagte:»Dann war es also kein Erfolg, Sir?»

«Nein. «Bolitho wandte sich ihm am Fuß der Treppe zu.»Wollen Sie noch immer bei mir bleiben?»

Vor Brownes bedrücktem Gesicht konnte Bolitho ein Lächeln nicht unterdrücken. Seine Tischdame mußte ihn bis zur Erschöpfung beansprucht haben.

Browne riß sich zusammen.»Das will ich, Sir. «Er schielte auf ein Stück Papier.»Unser Quartier ist nicht allzuweit weg, Sir. Ich kenne mich am Cavendish Square ziemlich gut aus. «Gequält setzte er hinzu:»Wir wohnen nicht auf der vornehmen Seite, fürchte ich.»

Allday wartete draußen am Wagen, klopfte den Pferden die Hälse und schwatzte mit dem Kutscher.

Bolitho kletterte hinein und zog seinen Umhang aus. Dabei erinnerte er sich an die Frau, die er in seinen Armen gehalten hatte, als sie zu Lord Swinburne fuhren.

Die Kutsche schwang in ihrer guten Federung, als Browne neben ihm Platz nahm.

«Erinnern Sie sich an die junge Dame, Browne?»

Browne sah ihn direkt an.»An Mrs. Laidlaw, Sir?»

«Ja. «Fast hätte er gt;natürlichlt; gesagt.»Haben Sie herausgefunden, wo sie wohnt?»

«Das Haus gehört einem alten Richter, Sir. Er hat, soweit ich erfuhr, eine ebenso alte Frau, die außerdem ziemlich unangenehm sein soll.«»Und weiter?»

Browne fand offenbar zu sich selbst zurück. Er spreizte die Hände.»Das ist alles, Sir. Der Richter ist oft im Gericht und auch sonst viel von zu Hause weg. «Er schluckte unter Bolithos fragendem Blick.»Mrs. Laidlaw ist Gesellschafterin der Richtersgattin, Sir.»

«Großer Gott!»

Browne fuhr zurück.»Ich… Tut mit leid, Sir. Habe ich etwas Falsches gesagt oder getan?»

Bolitho hörte ihn nicht. Also Gesellschafterin. Viele Witwen waren in dieser Zeit genötigt, derartige Stellen anzunehmen, aber sie doch nicht? So jung, so vital und begehrenswert? In seinen Gedanken mischten sich Ärger und Besorgnis. Rupert Seton hatte ihr Hilfe angeboten und für ihre Heimfahrt gesorgt. Seton war reich und hätte mühelos auch für ihren Unterhalt und Schutz Sorge tragen können. Was Bolitho jetzt erfuhr, klang so gar nicht nach dem Seton, den er kannte, dessen Schwester er geliebt hatte. Er konnte es kaum glauben. Aber was sollte er tun? Eines war sicher: Er würde die Dinge nicht auf sich beruhen lassen, und wenn er sich in den Augen anderer damit wieder zum Narren machte.

Der Wagen hielt vor einem eleganten Gebäude mit breitem, säulenumrahmten Eingang: Wieder ein nur vorübergehender Wohnsitz. Wenn er auch, laut Browne, nicht auf der gt;vornehmenlt; Seite des Platzes lag, so war er doch recht eindrucksvoll.

Browne nickte müde zwei Dienern zu, die herbeieilten, um ihnen zu helfen. Zu Bolitho sagte er:»Benötigen Sie mich noch, Sir?»

«Ruhen Sie sich aus. Wenn Sie erfrischt und nach Ihrer Orgie einigermaßen wiederhergestellt sind, möchte ich Sie bitten, einen Brief für mich zu besorgen.«»Einen Brief?«Brownes Augen blickten ins Leere.»Ja. Ins Haus des Richters, das Sie erwähnten. «Browne schluckte.»Ist das klug, Sir?»

«Wahrscheinlich nicht. Aber im Augenblick scheint Klugheit sowieso wenig gefragt zu sein.»

Allday beobachtete von der Tür aus, wie die Diener ihre Seekisten in die warme Diele trugen. So gefiel ihm Bolitho schon besser. Sie wollten Zunder haben, also gab er ihnen welchen. Er wandte sich um, als eine Frau fragte:»Möchten Sie etwas essen, Sir?»

Allday ließ seinen Blick wohlgefällig auf ihr ruhen. Sie hatte eine vollschlanke Figur, und ihre drallen, runden Arme waren zur Hälfte weiß von Mehl. Aber ihr Gesicht war freundlich und klar. Lässig erwiderte er:»Nennen Sie mich einfach John, meine Liebe. «Ihre nackten Arme streichelnd, fügte er hinzu:»Ich helfe Ihnen auch gern dabei, wenn Sie wollen. Sie wissen doch, was man über Seeleute sagt.»

Die Küchentür schlug hinter den beiden zu.

Kapitän Herrick nippte an einem Krug Starkbier und ließ den Blick über die restlichen Abrechnungen und Akten schweifen, die seiner Beachtung harrten.

Es war ungewöhnlich, die Benbow so ruhig zu erleben, und das — zusammen mit der vielen Arbeit und dem starken Bier — machte ihn ziemlich schläfrig.

Im geschützten inneren Hafenbecken von Portsmouth zu liegen war doch etwas anderes, als im lebhaften Solent oder in der rauhen Bucht unterhalb von Skagen zu ankern.

Er ging die Liste der erforderlichen Reparaturen und Ersatzlieferungen wohl zum hundertstenmal durch, immer in der Erwartung, doch noch einen Fehler, einen vergessenen Posten zu entdecken.

Herrick war mit Recht stolz auf das, was er und seine Besatzung geschafft hatten. Für die meisten war es bestimmt nicht leicht gewesen, fast ununterbrochen zu arbeiten und dabei zu wissen, daß in der Stadt und rundum im Lande andere mit großem Aufwand Weihnachten feierten.

Aus eigener Tasche hatte Herrick so etwas wie ein Festmahl für seine Seeleute und Soldaten spendiert. Einige hatten sich dabei derart betrunken, daß man sie mit Gewalt an Bord festhalten mußte. Aber es hatte sich trotzdem gelohnt, denn als sie dann wieder zur Arbeit kamen, hatte er eine Veränderung bei den Leuten gespürt, die wie ein munterer Shanty durch das Schiff lief.

Er dachte an seine Frau, die darauf wartete, daß er an Land kam, wenn er seine Arbeit für diesen Tag erledigt hatte. Es war alles so neu und wunderbar: der nette kleine Gasthof, der von einem freundlichen Wirt und seiner Frau geleitet wurde; ihr eigenes Zimmer, in dem er mit Dulcie Pläne schmieden und gemeinsam träumen konnte.

Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich wieder seinen Listen und Büchern zu: dem Arbeitsbuch, der Personalliste, der Vorratsliste mit Angaben über Munition, Ersatzsegel und all die anderen Dinge, die auf einem vollgetakelten Linienschiff vorhanden sein mußten.

Herrick hatte viel an Bolitho gedacht und sich gefragt, wie dieser wohl in London zurechtkam. Er wußte, daß Bolitho sich in der Hauptstadt noch nie wohl gefühlt hatte. Straßen voller Pferdemist, ein Ort, der sich mit seinem eigenen Gestank vergiftet, hatte er einmal gesagt. London war inzwischen derart mit Fahrzeugen aller Art überfüllt, daß die vermögenden Leute Stroh auf das Kopfsteinpflaster vor ihren Türen streuen ließen, um den Lärm der eisenbeschlagenen Räder zu dämpfen.

Mehr als einmal versuchte Herrick, sich seiner Gefühle während des Kampfes mit dem französischen Admiral Ropars zu erinnern. An der Seite Bolithos hatte er dem Tod mehr als einmal ins Auge geschaut, aber jedesmal schienen sie näher daran zu sein als zuvor. Er sah Bo-litho wieder auf der Laufbrücke der Benbow stehen und — die feindlichen Scharfschützen mißachtend — seinen Hut schwenken, um seinen Leuten für den aussichtslos scheinenden Kampf Mut zu machen.

Viele Männer waren an jenem Tag gefallen oder verwundet worden. Herricks Offiziere hatten schon die Gassen von Portsmouth und die umliegenden Dörfer der Grafschaft Hampshire nach Ersatzleuten abgegrast. Herrick hatte sogar Flugblätter drucken und auf die Gasthöfe und Rathäuser verteilen lassen, wo sie des Lesens unkundigen Leuten vorgelesen werden sollten, in der Hoffnung, daß der eine oder andere daraufhin zu den Fahnen eilte.

An diesem Vormittag hatte auch die Relentless im Hafen geankert. Sie war auf ihrem Posten von der schnell reparierten Styx abgelöst worden. Nachrichten waren ausgetauscht worden, neue Leute verpflichtet. Die Marine erlaubte nur wenig Zeit für eine Erholung. Herrick betrachtete die große neue Landesflagge, die der Bootsmann nach achtern gebracht hatte, die Flagge mit dem zusätzlichen St.-Patricks-Kreuz. Für Herricks praktischen Sinn schien es verschwendete Mühe, eine Flagge zu ändern, wenn die ganze Welt darauf aus war, sich selber zu vernichten.

Yovell, Bolithos Schreiber, kam mit weiteren Papieren, die unterschrieben werden mußten, in die Kajüte. Unterstützt von Herricks eigenem Schreiber, war Yovell ein Turm im Papierkrieg der letzten Tage gewesen. Er hatte geholfen, Formulierungen zu finden, an denen kein Verpflegungsamt und kein Schiffslieferant herumdeuteln konnten. Herrick war diese Arbeit wie nichts sonst verhaßt, darum fragte er verzweifelt:»Noch mehr?»

Yovell lächelte.»Ein paar, Sir. Und ein Brief ist dabei für den Kurier nach London.»

Herrick warf einen gequälten Blick darauf. Er konnte sich nur schwer daran gewöhnen, auch für die anderen Schiffe mitdenken zu müssen. Sein eigenes Schiff in Gang zu halten, war schon schwer genug. Aber als Flaggkapitän mußte er sich um das gesamte Geschwader kümmern, die Relentless eingeschlossen.

Kapitän Peel hatte gemeldet, daß seinem Dritten Offizier, der im Gefecht mit dem feindlichen Geschwader verwundet worden war, das Bein amputiert werden mußte, und daß er nun im Marinehospital von Haslar lag. Peel forderte unverzüglichen Ersatz an, da noch keiner seiner eigenen Fähnriche das Alter und die Eignung zur Beförderung besaß. Er hoffte, ohne unnötige Verzögerung wieder Anker lichten und zum Geschwader zurückkehren zu können. Herrick dachte sofort an Pascoe, ließ den Gedanken aber gleich wieder fallen. Es konnte Tage, ja Wochen dauern, bis Bolitho zurückkam. Da wäre es unfair gewesen, den Jungen inzwischen wegzuschicken.

Yovell beobachtete ihn ungeduldig.»Soll ich einen Brief an den Ha-fenadmiral vorbereiten, Sir?»

Herrick rieb sich das Kinn. Es lagen mehrere Kriegsschiffe zur Reparatur im Hafen. Sicher hatte eines von ihnen einen Ersatzmann, einen jungen Offizier, der mit Begeisterung zu Kapitän Peel gehen würde.

«Ich denke darüber nach.»

Er wußte, daß Yovell mißbilligend den Kopf schüttelte, aber er wollte erst einmal mit Peel sprechen. Am besten lud er ihn zum Essen mit Dulcie ein. Herrick strahlte plötzlich über diese blendende Idee. Dulcie wußte sicher, was er tun sollte. Sie hatte ihm schon so viel Selbstvertrauen gegeben, daß er es kaum glauben konnte.

Herrick stand auf und ging ans seitliche Kajütfenster. Er wischte den feuchten Niederschlag von der Scheibe und blickte auf den Hafen hinaus. Es war Nachmittag, aber schon fast dunkel. Er konnte kaum die beiden mächtigen Dreidecker ausmachen, die querab von ihnen vor Anker lagen, aber auf dem Wasser entdeckte er zahlreiche auf-und abhüpfende Lichter: Laternen von Booten, die wie Käfer zwischen Schiffen und Ufer hin- und herfuhren.

Nur noch ein Tag, und dann würde er den wichtigsten aller Sätze unter seinen letzten Bericht schreiben:»Melde gehorsamst: Schiff ist seeklar!»

Nach dieser Liegezeit im Hafen würde es sie hart ankommen. Es klopfte, und Speke, der Zweite Offizier, trat über das Süll. Seine Augen schimmerten im Lampenlicht.»Was ist?»

Speke warf einen schnellen Blick auf den Schreiber; Herrick verstand und sagte:»Wir machen später weiter, Yovell. «Spekes Gesichtsausdruck ließ auf schlimme Neuigkeiten schließen.

«Ich glaube, Mr. Pascoe ist in Schwierigkeiten, Sir.»

«Was für Schwierigkeiten?«Herrick starrte ihn an.»Spucken Sie es aus, Mann!»

«Er war wachhabender Offizier, Sir. Ich löste ihn ab, als er um Erlaubnis bat, an Land gehen zu dürfen. Er sagte, es sei dringend. «Spe-ke zuckte die Achseln.»Mr. Pascoe ist zwar jung, aber erfahrener als mancher Ältere. Ich habe ihn nicht nach seinen Gründen gefragt.»

«Fahren Sie fort. «Herrick zwang sich, sich hinzusetzen und so ruhig zu erscheinen, wie er es oft von Bolitho gesehen hatte.

«Wir hatten fast den ganzen Tag einen Frischwasserprahm längsseit, Sir. Nachdem er abgelegt hatte, bemerkten wir, daß ein Mann des Arbeitskommandos mitgefahren sein mußte: desertiert. Midshipman Penels hatte das Kommando bei der Gruppe. Es waren alles zum Dienst gepreßte Landratten. Als ich sie antreten ließ, entdeckte ich,

daß der fehlende Mann Babbage war, dessen Bestrafung Sie kürzlich unterbrochen haben, Sir.»

Herrick sah ihn finster an.»Und Sie glauben, daß Midshipman Pe-nels diesem Babbage bei der Flucht geholfen hat?»

Speke sah ihm selbstgefällig ins Auge.»Ja, Sir. Mr. Penels hat es zugegeben, aber erst, nachdem Mr. Pascoe an Land gegangen war. Er hat sich über seine Tat derart geschämt, daß er glaubte, sie Mr. Pascoe gestehen zu müssen, der junge Narr. Babbage wird sowieso eingefangen und an der Großrah aufgeknüpft, aber wie die Dinge liegen…»

«Wie die Dinge liegen, ist der Dritte Offizier an Land gegangen, Mr. Speke, um den Deserteur zu suchen und an Bord zurückzubringen, bevor jemand entdeckte, daß er fehlt?»

«Richtig, Sir. Aber was Penels betrifft.»

«Holen Sie ihn.»

Herrick rückte unbehaglich in seinem Stuhl hin und her, während seine Gedanken sich überstürzten. Das war echt Pascoe, dachte er. Und genau das, was Bolitho getan hätte. Was ich auch getan hätte. Früher, dachte er.

Speke schob den verschreckten Jungen durch die Tür und sagte ärgerlich:»Sie können Ihren miesen Sternen danken, daß ich es war und nicht der Erste Offizier, der die Sache entdeckt hat. Mr. Wolfe hätte Sie in Stücke gerissen.»

«Langsam!«Herricks Ton brachte Speke zum Schweigen.

«Was haben Sie mit diesem Babbage vereinbart?»

«Ich — ich hatte nur den einen Gedanken, ihm zu helfen, Sir. Nach allem, was er zu Hause für mich getan hat. «Penels war den Tränen nahe.»Er hatte solche Angst, noch einmal ausgepeitscht zu werden. Ich mußte ihm helfen, Sir.»

«Wohin wollte er, hat er das gesagt?«Herrick fühlte seine Geduld schwinden.»Los, Junge, Mr. Pascoe ist vielleicht in Gefahr. Und er wollte Ihnen helfen, denken Sie daran!»

Herrick haßte es, die Schmach und Verzweiflung des Jungen zu nutzen, aber er wußte, daß es noch schlimmer kommen würde.

Mit unsicherer Stimme flüsterte Penels:»Er wollte ein Lokal suchen, daß gt;The Grapeslt; heißt. Einer der älteren Leute hat das erzählt.»

Speke grunzte.»Ein sehr übles Lokal, Sir. Selbst das Preßkommando geht da nicht ohne ausreichenden Schutz hin.»

Penels — nur noch ein Häufchen Unglück — fuhr fort:»Er wollte dort warten, bis ich Geld aufgetrieben hatte. Damit hoffte er, nach Corn-wall zurückkehren zu können.»

Herrick blickte auf die Karaffe. Sie war leer und seine Kehle so trocken wie ein Sandhaufen.

«Meine Empfehlung an Mr. Clinton, und bitten Sie ihn zu mir.»

Speke eilte davon, und Herrick sagte:»Nun, Mr. Penels, wenigstens waren Sie so klug, Mr. Speke zu berichten, was Sie getan haben. Es ist zwar nicht viel, aber es mag helfen.»

Der Major trat ein und fragte:»Kann ich behilflich sein, Sir?»

Clinton verschwendete nicht den kleinsten Blick auf den zusammengesackten Midshipman, und Herrick entnahm daraus, daß Speke ihn schon informiert hatte. Wahrscheinlich wußte das ganze Schiff Bescheid.

«Mr. Pascoe ist zu den gt;Grapeslt; unterwegs, Major. Sagt Ihnen das etwas?»

Clinton nickte.»Eine Menge, Sir. «Er fuhr fort:»Wenn Sie erlauben, gehe ich sofort an Land. Ich nehme Mr. Marston und einige meiner Jungs mit.»

«Vielen Dank, Major Clinton, ich bin Ihnen sehr verbunden.»

Augenblicke später hörte Herrick Pfiffe und Kommandorufe und anschließend das Knarren von Taljen, als ein Boot ausgeschwenkt wurde. Dann Getrappel von Stiefeln, als einige ausgesuchte Seesoldaten Clintons unerwarteter Aufforderung folgten.

Herrick beobachtete den schnüffelnden Midshipman einige Sekunden lang und sagte dann:»Ich habe Sie auf Bitten eines alten Freundes an Bord genommen. Ich weiß nicht, wie er oder gar Ihre Mutter diese Geschichte aufnehmen werden. Nun begeben Sie sich nach unten, und melden Sie sich beim ältesten Wachtmeistersmaaten.»

Als Penels tränenblind nach der Tür tastete, sagte Herrick sehr ruhig:»Wenn Sie in Ihrer Koje liegen, denken Sie einmal über folgendes nach: Eines Tages hätten Sie Leute unter sich gehabt, deren Leben von Ihrer Entscheidung abhing. Fragen Sie sich selber, ob das richtig wäre.»

Yovell kam herein, als der Midshipman verschwand.»Schlimm,

Sir.»

Herrick blickte auf die runden Schriftzüge nieder und den Platz, wo er unterschreiben sollte.

«Ich möchte meiner Frau eine Nachricht schicken, denn ich glaube kaum, daß ich heute an Land gehen kann.»

Er lauschte auf die Geräusche des Bootes, aber es hatte schon von der Benbow abgelegt.

Pascoe schritt durch die so- und sovielte Gasse. Ein steifer Wind blähte seinen Bootsumhang. Er kannte Portsmouth nicht besonders gut, aber der Offizier der Hafenwache hatte ihm erklärt, wo das Lokal gt;The Grapeslt; lag. Er hatte ihm außerdem geraten, diesem Höllenloch besser fernzubleiben. Pascoe hatte ihm gesagt, daß er sich mit einer Abteilung bewaffneter Seesoldaten in der Nähe des Lokals treffen wolle und hoffte, ein paar Rekruten einzufangen. Er war selber überrascht gewesen, wie leicht ihm die Lüge über die Lippen kam. Der Offizier der Wache schien auch nicht weiter interessiert zu sein. Wer töricht genug war anzunehmen, daß er in Portsmouth noch Leute pressen konnte, mußte schon mehr als ein Riesenglück haben.

Eine Gasse sah aus wie die andere: eng, schmutzig, aber nie ohne Leben. In Durchgängen und unter Torbögen, aus Fenstern oder unsichtbar hörte man vielerlei Geräusche, Gelächter von Betrunkenen, Schreie und schreckliche Flüche. Als ob die elenden Häuser und nicht die Bewohner ihrem Herzen Luft machten.

Einmal streckte ein Mädchen den Arm aus und berührte Pascoes Schulter, als er vorbeiging. Selbst in dem Halbdunkel konnte er erkennen, daß sie nicht älter als vierzehn oder fünfzehn war. Pascoe stieß sie weg und hörte darauf ihre schrille Stimme, die ihn noch um die nächste Ecke verfolgte.»Verdammter Mistkerl! Hoffentlich schießen sie dir die Gedärme aus deinem dreckigen Leib!»

Auf einmal war er am Ziel: ein wuchtiges, düsteres Gebäude, beid-seits von kleineren Häusern flankiert, die Straße davor voller Dreck und wie eine Kloake stinkend.

Pascoe war von zu Hause Armut gewöhnt, und auch als Midship-man hatte er genug Not und Elend erlebt. Aber dieser widerliche Unrat mußte nicht sein und war abscheulich, dachte er. Er schaute zu einem halb abgeblätterten Schild über dem Haupteingang empor und fühlte dabei, wie der Regen auf sein Gesicht prasselte: gt;The Grapes.lt;

Er lockerte seinen Marinedolch unter dem Umhang und pochte dann mit der Faust an die Tür. Eine Klappe öffnete sich so schnell, daß es schien, der Mann dahinter habe auf ihn gewartet.

«Wer ist da?«Zwei weiße Augäpfel blickten suchend über Pascoes Schultern und senkten sich erst, als sie dahinter weder bewaffnete Seeleute noch Seesoldaten entdeckten.»Ein junger Herr und allein?»

Schon der näselnde Tonfall des Mannes verursachte Pascoe Übelkeit.

«Sie sind wohl stumm, he? Na schön, wir werden schon was Passendes für Sie finden.»

Die Klappe wurde zugeschlagen, aber Sekunden später öffnete sich die große Tür, und Pascoe trat ein. Es war, als würde er hineingezogen und erstickt.

Früher mußte es ein schönes Haus gewesen sein, dachte er. Eine breite Treppe, jetzt brüchig und verstaubt, führte nach oben. Überall Teppiche, die einmal dick und farbenprächtig gewesen sein mochten, jetzt aber abgewetzt und voller Flecken und Löcher waren. Wahrscheinlich hatte das Haus einem wohlhabenden Kaufmann gehört, als Portsmouth noch ein lebhafter Handelsplatz gewesen war und noch nicht von Franzosen und Kaperschiffen geplagt wurde.

Ein mächtiges Frauenzimmer trat aus einem Nebenraum. Sie war nicht nur groß, sondern auch muskulös und bar jeder Weiblichkeit. Selbst ihr hochgetürmtes Haar und der feuerrot geschminkte Mund ließen sie eher wie einen Ackerknecht wirken, der sich zur Kirmes herausgeputzt hatte.

Der Portier sagte unterwürfig:»Ein Offizier, Ma'am!»

Ihre tiefliegenden Augen musterten Pascoes Gesicht und schienen ihn — wie das Haus — zu verschlingen. Er sah die Haut auf ihrem halbentblößten Busen und fühlte ihre Macht. Er konnte sie sogar riechen: eine Mischung aus Gin und Schweiß.

«Sind Sie von einem Preßkommando, junger Freund?«Sie faßte ihn unter das Kinn und sah ihn forschend an.»Bist ein hübscher Junge. Nein, du willst dich selber ein wenig vergnügen, stimmt's?»

Pascoe sagte vorsichtig:»Ich glaube, ein Mann von unserem Schiff verbirgt sich hier. «Er sah ihre Augen gefährlich aufblitzen und fügte schnell hinzu:»Ich möchte kein Aufsehen. Wenn ich ihn zum Schiff zurückbringen kann, hat er nichts zu befürchten.»

Sie schüttelte sich vor Lachen, bis es schließlich wie Gebrüll aus ihr herausbrach.

«Nichts zu befürchten! Das ist verdammt gut! Ist 's das nicht, Charlie?»

Der Portier kicherte unsicher.»Ja, Ma'am. «Pascoe stand ganz still, als die Frau seinen Umhang löste und ihm von den Schultern nahm.

«Ich habe zwei nette Mädchen für Sie, Leutnant. «Aber es klang unsicher, als ob sie beeindruckt sei.

Pascoe legte die Linke auf seinen Dolch und zog ihn langsam aus der Scheide. Ihre Augen blieben dabei fest auf seine gerichtet, und er wußte, daß es rundherum Zuschauer gab, bereit, ihn niederzuschlagen, wenn er seinen Dolch zu benutzen versuchte.

Er drehte ihn in der Hand und hielt ihn ihr mit dem Griff nach vorn entgegen.

«Sehen Sie, ich bin jetzt unbewaffnet.»

Sie warf die Klinge achtlos dem glotzäugigen Portier zu und sagte:»Komm mit, Liebling, und trink ein Glas Genever, während ich nachdenke. Dieser Mann, dem du zu helfen versuchst, «sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken,»wie heißt er?»

«Babbage.»

«Und Sie sind Mr.?»

Eine schmutzige Mädchenhand tauchte aus dem Dunkel auf und reicht Pascoe ein Glas Gin. Er sagte:»Pascoe, Ma'am.«»Verdammt, ich glaube Ihnen sogar.»

Sie ging aus dem Raum.»Bleib hier, Liebling. Ich sage nicht, daß ich den Mann kenne. Aber wenn er hier ist, ohne daß ich davon wußte, werde ich ihm selbstverständlich Ihr Anliegen vortragen. «Sie drehte sich noch einmal um und sah ihn gerade an.»Keine Angst, hübscher Junge. Er wird nicht wegrennen, wenn ich es ihm nicht befehle.»

Es war warm in dem muffig riechenden Raum, und doch empfand Pascoe den Schweiß auf seinem Rücken als eiskalt. War das Ganze nicht nur eine dumme, verrückte Geste? Und wofür eigentlich? Um Penels zu helfen, oder um sich selber etwas zu beweisen? Sein Dolch war futsch, und jeden Augenblick konnte er überwältigt und allein schon seiner Kleider wegen getötet werden.

Während er wartete, wurde er das übrige Haus gewahr. Er hörte unterdrückte Geräusche und gedämpfte Stimmen. Jeder Raum schien besetzt zu sein.

Er musterte das Mädchen, daß immer noch die irdene Ginflasche an die Brust gepreßt hielt. Es hatte dunkel umrandete Augen und war spindeldürr und abgehärmt, wahrscheinlich zu allem Elend auch noch krank. Die Kleine fing seinen Blick auf und lächelte, wobei sie ihr schäbiges Kleid von einer Schulter rutschen ließ. Dadurch sah sie eher mitleiderregend als herausfordernd aus.

Eine Tür im oberen Stockwerk sprang auf, und verärgerte Männerstimmen erklangen.

Pascoe verließ den Raum und schaute die Treppe hinauf. Oben standen drei Männer, und an der Mauer kauerte ein vierter: Babbage.

Der Größte der drei zeigte auf Pascoe und bellte:»Ist er das?»

Pascoe bemerkte, daß der Große die weiße Kniehose und das Hemd eines Marineoffiziers trug. Wahrscheinlich war er gerade bei seinem Vergnügen gestört worden. Wie auch immer: es beruhigte ihn zu wissen, daß er hier nicht völlig allein war.

Babbage sagte:»Ja, Sir. Das ist Mr. Pascoe.»

Der Mann kam langsam die Treppe herunter. Er war kräftig gebaut und mochte Mitte Zwanzig sein, hatte dickes lockiges Haar und ein hartes, herausforderndes Gesicht.

«Na schön. «Er hielt am Fuß der Treppe an und schaukelte auf den Absätzen vor und zurück.»Ich wollte Sie schon immer mal kennenlernen, Mr. Pascoe, aber daß Sie derart vom Himmel fallen würden, hätte ich nicht gedacht.»

«Ich verstehe nicht.»

Der große Mann drehte sich zu seinen Gefährten um und sagte hämisch:»Obwohl man annehmen sollte, daß Mr. Pascoe sich an einem Ort wie diesem zu Hause fühlt, nicht wahr, Jungs?«Sie lachten, und einer bückte sich, um Babbage festzuhalten, der davonzukriechen versuchte. Er hatte einen blutverschmierten Mund und war offenbar geschlagen worden.

«Ich befehle Ihnen, mir diesen Mann auszuhändigen, wer Sie auch sind!»

«Er befiehlt! Dieses Jüngelchen, das sich als Offizier verkleidet hat, befiehlt mir!»

Die Hausbesitzerin zwängte sich durch die Zuschauer hindurch und stellte sich zwischen die drei und Pascoe. Ärgerlich sagte sie:»Laßt ihn in Ruhe, verdammt noch mal. Er hat nichts Böses im Sinn.»

«Oh, ganz sicher, Ruby! Mr. Pascoes Mutter war ja auch eine Hure und sein verdammter Vater ein Landesverräter. Was könnte er also Böses tun?»

Pascoe war von den beleidigenden Worten des Mannes wie betäubt. Wut und Haßt packten ihn derart, daß er zitterte. Das konnte nicht sein, das gab es doch nicht! Nicht nach so langer

Zeit und nach allem, was geschehen war.

Die Frau sah ihn ängstlich an.»Sie hauen besser ab, und zwar schnell. Ich will hier keinen Ärger. Davon hatte ich schon genug.»

Pascoe zwängt sich an ihr vorbei und sah nur das über ihm stehende, grinsende Gesicht auf der Treppe.

«Nun, Mr. Pascoe!?«Der Kerl genoß die Szene.»Deckt Ihr Onkel immer noch den Fehltritt seines Bruders?»

Pascoe machte einen Sprung vorwärts und schlug in das Gesicht des Mannes. Er sah Überraschung darin und fühlte, daß seine Faust von dem Schlag schmerzte, aber das Gesicht war immer noch da, wenn sich auch etwas Blut auf der Lippe zeigte.

«Sie haben mich geschlagen!«Der Große tupfte das Blut von seinem Mund, seine Augen lagen im Dunkeln.»Wenn man von Leuten wie Ihnen berührt wird, ist es, als bekäme man die Pest. Aber die Angelegenheit läßt sich regeln, das heißt, wenn Sie gelernt haben, so zu tun wie ein Ehrenmann.»

Pascoe akzeptierte die Drohung mit plötzlicher Gelassenheit — oder war es Resignation?

Er hörte sich selber sagen:»Auf Säbel?»

«Wohl kaum. «Der andere Mann betupfte immer noch seine Lippe und beobachtete Pascoe.»Pistolen wären besser. Doch bevor wir auseinandergehen.«, er schnippte mit dem Finger, und im selben Augenblick fühlte Pascoe, daß seine Arme festgehalten wurden,». erteile ich Ihnen eine Lektion in guten Manieren.»

Pascoe fuhr herum, als er bemerkte, daß Babbage den Augenblick nutzte und — den Kopf mit den Händen schützend — an ihnen vorbeischoß und zur Tür rannte. Mit einer verzweifelten Anstrengung riß er sie auf und war draußen.

Der große Mann hob die Faust.»Den sehen wir nie wieder.»

Pascoe straffte sich, um den Schlag, der auf seine Magengrube zielte, aufzufangen.

Nur schwach hörte er etwas wie Rennen, ein scharfes Kommando und den plötzlichen Knall einer Muskete.

Major Clinton stand im Eingang und schwang lässig sein schwarzes Stöckchen, als er sagte:»Das war Babbage. Meine Leute riefen ihn an, aber er wollte fliehen. «Er wartete, bis die Kerle Pascoes Arme freigegeben hatten.»Sie kamen wohl zu spät, Mr. Pascoe. «Er nickte dem Mann mit der gespaltenen Lippe zu.»Aber Sie waren rechtzeitig da,

Mr. Roche, nehme ich an?»

Der Mann, den Clinton mit gt;Rochelt; angesprochen hatte, zuckte die Achseln.»Höhere Eingebung, Major. Es ist uns nicht verboten, hierher zu kommen.»

Clinton antwortete scharf:»Sie verschwinden jetzt! Und es ist mir gleich, ob Sie zum Stab des Admirals gehören. Ich habe den Verdacht, daß Ihr Mut kaum für ein Gefecht auf See ausreichen würde.»

Die drei Männer holten ihre Röcke und verließen das Haus. Pascoe bemerkte, daß Roche wie die beiden anderen die Leutnantsuniform der Marine trugen.

«Tut mit leid, daß ich Sie da hineingezogen habe, Sir. «Pascoe folgte dem Major auf die regennasse Straße. Marston, Clintons Leutnant, und eine Gruppe von Seesoldaten standen um einem am Boden liegenden Körper. Für Babbage war alles vorüber.

«Ich kann dazu jetzt nichts weiter sagen. «Clinton schaute auf seine Männer.»Seht zu, daß ihr den Leichnam loswerdet. «Dann fiel er neben Pascoe in Schritt und sagte:»Roche gehört zum Stab des Ha-fenadmirals. Er wird nie befördert werden, denn er taugt zu nichts. Aber er ist ein gefährlicher Mann. Hat er Sie beleidigt?»

«Darüber kann ich nicht sprechen, Sir.»

Clinton erinnerte sich an Herricks Gesichtsausdruck und dachte sich sein Teil.