"Galeeren in der Ostsee: Konteradmiral Bolitho vor Kopenhagen" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

III Der Brief

Es verging noch ein ganzer Tag, bevor Bolithos Ausguck Admiral Damerums Geschwader sichtete, und da es bereits kurz vor Dunkelheit war, mußten sie auch noch die Nacht verstreichen lassen, bevor sie den Kontakt herstellen konnten.

Während sein Schiff am folgenden Morgen Kurs auf die größere Gruppe nahm, beobachtete Bolitho das Geschwader des Admirals durch ein starkes Fernrohr und fragte sich, welchen Sinn es habe, eine solch gewaltige Streitmacht in dieser Art zu beschäftigen. Von den britischen Flotten wurde erwartet, daß sie Sommers wie Winters die holländischen Kriegsschiffe vor der niederländischen Küste, die spanischen in Cadiz und — selbstverständlich — die starken französischen Stützpunkte Brest und Toulon blockierten. Abgesehen davon hatte man ihnen den Schutz der lebenswichtigen Handelswege nach Ost-und Westindien vor Angriffen der Feindmächte, vor Kaperfahrern und gewöhnlichen Piraten übertragen. Eine fast unlösbare Aufgabe.

Hier an den Ostseeeingängen wurden nun andernorts dringend benötigte Geschwader nutzlos festgehalten, nur weil Zar Paul von Rußland wenig für Britannien und desto mehr für Napoleon übrig hatte und vielleicht seine Neutralität aufgeben wollte.

Herrick trat zu Bolitho und sagte:»Das dritte Schiff, Sir, muß das von Sir Samuel Damerum sein.»

Bolitho richtete sein Fernglas auf das Schiff, das den Union Jack an seiner Großmarsstenge führte. Er war sich des Unterschieds zwischen den nur langsam segelnden Schiffen Damerums und seinem eigenen kleinen Geschwader bewußt. Mit ihren vielfach geflickten Segeln, ihren von Wind und Wetter mitgenommenen Schiffsrümpfen, auf denen quadratmeterweise die Farbe weggewaschen war, bildeten sie einen starken Gegensatz zu Bolithos neu ausgerüsteten Zweideckern.

Weit hinter den schwereren Schiffen machte Bolitho die Bramsegel einer Fregatte aus, die dort als gt;Auge des Admiralslt; patrouillierte. Deren Ausgucks konnten wahrscheinlich die dänische Küste sehen.

«Lassen Sie bitte mein Boot klarmachen, Thomas. Wir werden in spätestens einer Stunde bei ihnen sein. Und sorgen Sie dafür, daß gleichzeitig die Vorräte für den Admiral mit einem anderen Boot hinübergeschickt werden.»

Es war immer ein seltsames Gefühl, wenn Schiffe einander bege gneten. Die einen, schon lange in See, waren immer erpicht auf Neuigkeiten von zu Hause. Die Neuankömmlinge dagegen waren voller Unruhe, da sie nicht wußten, was sie erwartete.

Sein Flaggleutnant kam mit langen Schritten über das Achterdeck, das Gesicht verkniffen wegen der Kälte.

Bolitho sagte:»Da ist das Flaggschiff des Admirals. Ein Linienschiff zweiter Klasse.»

Browne nickte.»Die Tantalus, Sir. Captain Walten. «Es klang, als ginge es ihn nichts an.

«Sie werden mit mir hinüberfahren. «Bolitho lächelte grimmig.»Um sicherzustellen, daß ich nicht etwas Unbesonnenes tue.»

Herrick sagte:»Es mag alles schnell vorbeigehen. Vielleicht sind wir eher wieder in Spithead, als Sie ahnen.»

Bolitho war in seiner Kajüte dabei, seine Depeschen aus dem Safe zu holen, als das Geklapper von Blöcken und das Knattern schlagender Leinwand ihm sagten, daß die Benbow in den Wind drehte und Segel wegnahm, damit das Admiralsboot sicher zu Wasser gebracht und längsseit geholt werden konnte.

Als er an Deck kam, hatte das Bild sich erheblich verändert. Die Schiffe des Admirals bewegten sich unter backgebraßten Marssegeln nur ganz langsam vorwärts, und es schien, als wolle die Benbow ihre Linie wie in der Schlacht durchbrechen. Man konnte es sich jedenfalls leicht so vorstellen, und wenn auch viele Leute auf der Benbow noch nie einen im Ernst abgefeuerten Schuß gehört hatten, so doch Bolitho, Herrick und einige andere um so öfter.

«Boot längsseit, Sir. «Herrick eilte zu ihm, das Gesicht gezeichnet von der Verantwortung, die er für sein Schiff und — während der Abwesenheit Bolithos — für das ganze Geschwader trug.

«Ich mache so schnell ich kann, Thomas. «Bolitho drückte sich den Hut fest auf den Kopf und sah dabei die Seesoldaten der Ehrenwache antreten und die Bootsmannsmaaten ihre Trillerpfeifen an die Lippen führen, bereit, ihn vorschriftsmäßig zu verabschieden.»Der Admiral wird mich wohl kaum als unfreiwilligen Gast bei sich behalten wollen, wenn der Seegang wieder zunimmt, nicht wahr?»

Ein Midshipman, ungewöhnlich sauber und ordentlich angezogen, stand im heftig dümpelnden Boot; neben ihm, auf seinem angestammten Platz an der Pinne, Allday. Er mußte sich mit seiner Ansicht durchgesetzt haben, daß der Konteradmiral lieber seinen Bootssteurer am Ruder sah als einen Schiffsleutnant. Wenn es nach Allday ginge, wäre das nächstemal auch kein Midshipman mehr dabei, dachte Bo-litho. Leutnant Browne allerdings war mit im Boot. Er hatte es wieder geschafft, nahezu elegant auszusehen.»Boot Achtung!»

Während die Bootsmannsmaatenpfeifen noch trillerten, sprang Bo-litho in dem Augenblick vom Fallreep auf die Hecksitze des Bootes hinüber, als dieses gerade von einer Welle an der glänzenden Bordwand der Benbow hochgehoben wurde.

«Absetzen vorn! Riemen bei! Rudert an!»

Als das Boot aus dem Windschutz des Zweideckers herauskam, begann es wie ein Delphin heftig auf- und niederzuhüpfen. Bolitho warf einen Blick auf den Midshipman, dessen Gesicht aschfarben geworden war. Er hieß Graham und war siebzehn, einer der älteren gt;jungen Herrenlt;. Seine Chancen auf Beförderung zum Leutnant konnten sich verringern, wenn er in dem Boot seines Admirals seekrank wurde.

«Setzen Sie sich, Mr. Graham. «Bolitho sah, daß der Junge ihn verwirrt anstarrte, weil er von einem so hohen Dienstgrad angesprochen wurde.»Es ist etwas bewegt heute.»

«D-d-danke, Sir. «Graham ließ sich erleichtert nieder.»Ich bin gleich wieder in Ordnung.»

Über die Schultern grinste Allday dem Schlagmann zu. Nur jemand wie Bolitho machte sich Gedanken über einen kleinen Midshipman. Das Komische an der Sache war, daß der unglückliche Graham — was Allday wußte — nur kurz vorher von einer Pastete gekostet hatte, die er seit England aufbewahrte. Die Pastete war zweifellos schon leicht angeschimmelt gewesen, als er sie an Bord brachte. Nach Tagen auf See, in der feuchten, schlecht gelüfteten Kadettenunterkunft, mußte sie sich nahezu in Gift verwandelt haben.

Bolithos Ankunft auf Damerums Flaggschiff verlief nicht weniger geräuschvoll als die Abfahrt von seinem eigenen.

Er sah flüchtig: blitzende Bajonette, unbewegte Offiziersgesichter, aber vor allem den Admiral selber, der vortrat, um ihn zu begrüßen.

«Kommen Sie mit nach achtern, Bolitho. Mein Gott, diese Kälte läßt einem das Mark in den Knochen gefrieren.»

Die Tantalus war ein gutes Stück größer als die Benbow und Damerums Quartier deshalb üppiger eingerichtet, als Bolitho es je auf einem Kriegsschiff gesehen hatte. Wären die Schiffsbewegungen und die gedämpften Geräusche nicht gewesen, so hätte man sich in einer luxuriösen Landwohnung fühlen können. Was aber würde passieren, wenn das Schiff einmal eilends gefechtsklar gemacht werden müßte? Dann mußten die schönen Vorhänge und die kostbaren französischen Möbel großen Schaden nehmen.

Damerum wies auf einen Stuhl, während ein Diener Bolitho Hut und Mantel abnahm.

Bolitho setzte sich. Sir Samuel Damerum, Ritter des Bath-Ordens, Admiral der Nordseeflotte, stand schätzungsweise im fünfzigsten Jahr. Er hatte eine frische, lebhafte Art zu sprechen und sich zu bewegen, aber sein graumeliertes Haar und die leichte Rundung in Taillenhöhe, die auch eine makellos geschneiderte Weste nicht kaschieren konnte, machten ihn älter.

Er sagte:»So, Sie sind also Richard Bolitho. «Sein Blick haftete kurz auf der Goldmedaille, die Bolitho für diesen offiziellen Besuch um den Hals trug.»Die Medaille für den Sieg am Nil, nicht wahr?«Er schüttelte den Kopf.»Manche Leute haben das Glück gepachtet. «Er hatte eine sprunghafte Art, das Thema zu wechseln.»Wie steht's mit Ihrem Geschwader?«Er wartete nicht auf Antwort, sondern fuhr fort:»Sie haben länger gebraucht, als ich dachte, aber es ging wohl nicht anders, wie?»

«Tut mir leid, Sir. Schlechtes Wetter, ungeübte Leute, das übliche. «Damerum rieb sich die Hände, und wie herbeigezaubert erschien ein Diener.

«Brandy, Mann. Aber nicht die miese Sorte, die wir den Kommandanten anbieten!«Er lachte in sich hinein.»Mein Gott, was für ein Krieg, Bolitho. Immer weiter und weiter. Und kein Ende abzusehen.»

Bolitho wartete. Er war sich noch nicht klar über diesen seltsam sprunghaften Mann, der eine Menge redete, aber bis jetzt eigentlich noch nichts gesagt hatte.

Bolitho sagte:»Mein Flaggkapitän schickt Ihnen ein paar Vorräte herüber, Sir.»

«Vorräte?«Die Augen des Admirals folgten dem Brandy und den beiden Gläsern, die der Diener auf den Tisch gestellt hatte.»O ja, Mr. Fortnum, mein Lebensmittelhändler in London, tut sein Bestes, um mich nicht verhungern zu lassen, wissen Sie. Das ist nicht ganz einfach heutzutage.»

Bolitho wußte nicht, wer Mr. Fortnum war, hatte aber irgendwie das Gefühl, daß er es eigentlich hätte wissen müssen.

Der Brandy war mild und erwärmend und machte schläfrig, wenn man nicht aufpaßte.

«Nun, Bolitho, Sie werden wissen, daß Sie die Aufgabe meines Geschwaders übernehmen sollen. Die dänische Affäre scheint sich zur Zeit abgekühlt zu haben, aber meine Informationen gehen dahin, daß der Zar sich mit den Franzosen gegen uns verbünden will. Sie wissen von dem Vertrag, den er mit den Schweden zu schließen versuchte?«Wieder wartete er nicht auf Antwort, sondern fuhr schnell fort:»Er hängt noch immer an dieser Idee. Zusätzlich wird er darin von Preußen unterstützt. Gemeinsam könnten die beiden Dänemark zwingen, sich gegen uns zu entscheiden. Es ist eben nicht einfach, in Frieden neben einem wütenden Löwen zu leben.»

Bolitho versuchte sich vorzustellen, wie sein kleines Geschwader das Vordringen der vereinigten baltischen Flotten verhindern sollte. Beauchamp hatte ja gesagt, daß seine Aufgabe nicht leicht sein würde.

«Sollen wir in die Ostsee einlaufen Sir?»

Damerum machte seinem Diener ein Zeichen, die Gläser neu zu füllen.

«Ja und nein. Es wäre falsch, demonstrativ Stärke zu zeigen. Der Zar würde das zum Anlaß nehmen, das Feuer zu schüren. In einer Woche wären wir im Krieg. Aber eine kleine Streitmacht wie Ihre kann mit friedlichen Absichten hineinfahren. Meine Schiffe sind allen Spionen gut bekannt. Bald wird man wissen, daß ein neues Geschwader hier ist. Da es kleiner ist als meines, werden Spannung und Mißtrauen nachlassen. «Er lächelte und zeigte dabei sehr ebenmäßige Zähne.»Abgesehen davon, Bolitho: Wenn wirklich Schwierigkeiten auftreten sollten, sind wir bis zum nächsten Jahr hilflos. Bis März mindestens. Da wir die Schiffe des Zaren nicht in ihren Häfen packen können, müssen wir warten, bis das Eis geschmolzen ist. Bis dahin«, er schaute Bolitho fest an,»werden Sie die Dinge aus möglichst naher Entfernung beobachten. «Dann lachte er in sich hinein.»Aus sehr naher Entfernung, um es ganz deutlich zu sagen. Sie haben den Auftrag, nach Kopenhagen zu segeln und sich dort mit einem Beauftragten der britischen Regierung zu treffen.

Bolitho war erstaunt.»Wären Sie als ranghöherer Offizier nicht sehr viel besser für diese Mission geeignet, Sir?»

«Ihr Einwand ehrt Sie. Aber wir müssen behutsam vorgehen. Wenn ein zu junger Offizier kommt, müssen die Dänen sich geringschätzig behandelt fühlen. Kommt ein zu hoher Offizier, wittern sie bestimmt eine finstere Absicht oder gar eine Drohung. «Damerum zeigte mit dem Finger auf Bolitho.»Aber ein junger Konteradmiral ist genau der richtige Mann. Die Admiralität glaubt es jedenfalls, und ich habe meine Unterstützung zugesagt.»

«Nun gut, und ich danke Ihnen, Sir. «Bolitho wußte nicht recht, was er sagen sollte. Es kam alles so schnell: ein Geschwader, eine neue Station, und unmittelbar darauf war er schon wieder mit einem ganz anderen Auftrag unterwegs. Er hatte das Gefühl, daß er bald feststellen würde, wie außerordentlich nützlich ihm Browne noch werden konnte.

Damerum setzte plötzlich hinzu:»Wenn irgendwelche Zweifel auftreten, dann schicken Sie ein schnelles Schiff zu mir. Die Hälfte me ines Geschwaders geht zur Überholung nach England, die übrigen Schiffe werden die Blockadekräfte vor Holland verstärken. Es steht alles in den Anweisungen, die mein Flaggleutnant dem Ihrigen gerade aushändigt. Die beiden können sich glücklich schätzen: haben das Schicksal einer ganzen Flotte in Händen, ohne dafür die Last der Verantwortung mit uns zu teilen, verdammt noch mal!»

Wasserspritzer prasselten gegen die Heckfenster wie Schrotkugeln. Es hatte angefangen zu regnen oder zu hageln.

Bolitho stand auf.»Ich werde meine neuen Instruktionen aufmerksam lesen, Sir Samuel. «Er streckte die Hand aus.»Vielen Dank für das Vertrauen, das Sie in mich gesetzt haben.»

Als er es sagte, kam ihm die wahre Bedeutung seiner Worte zu Bewußtsein, als hätte er eine Grenzlinie überschritten. Er mußte die Anweisungen so befolgen, wie er es vermochte. Niemand war in der Nähe, den er um Weisung oder Rat bitten konnte. Ob er nun richtig oder falsch handelte — es war einzig seine Entscheidung.

«Entschuldigen Sie, wenn ich Sie nicht am Fallreep verabschiede, Bolitho. Ich muß noch Briefe schreiben, die mit der Kurierbrigg nach England gehen sollen. «An der Tür, hinter der Browne mit einem sehr jung aussehenden Leutnant sprach, sagte Damerum noch:»Also viel Glück in Kopenhagen. Es soll eine sehr schöne Stadt sein, hat man mir erzählt.»

Nach einem halsbrecherischen Abstieg an der Bordwand des Flaggschiffs zwängten sich Bolitho und Browne in die Hecksitze des Admi-ralsbootes und hüllten sich in ihre Mäntel.

Mit klappernden Zähnen fragte Browne:»Alles klar, Sir? Ich wollte bei Ihnen bleiben, aber der Adjutant des Admirals wartete schon darauf, mich wegzulotsen. Man hat mir nicht einmal ein Gläschen angeboten. «Es klang ziemlich empört.

«Wir segeln nach Kopenhagen, Mr. Browne. «Bolitho sah ein Licht in des Leutnants Augen aufleuchten.»Gefällt Ihnen das?»

«Und ob, Sir.»

Es war gut, wieder an Bord der Benbow zu sein. Sie mochte noch neu und bis jetzt unerprobt sein, aber sie hatte schon etwas Persönliches und eine Wärme, die man auf dem Schiff, das sie eben besucht hatten, vermißte. Vielleicht war es Herricks Einfluß zuzuschreiben. Die Atmosphäre auf den Schiffen, dachte Bolitho, würde immer einen Rest Unerklärliches behalten.

Herrick kam zu ihm in die Kajüte und wartete geduldig, während Bolitho sich von seinem nassen Hut und Mantel befreite.

«Nach Kopenhagen, Thomas. Wir müssen gleich Kurs um Skagen absetzen. Ich werde das Geschwader informieren, was uns bevorsteht. «Er lächelte, als er Herricks ernstes Gesicht sah.»Soweit ich es selber weiß, natürlich.»

Mindestens einhundert Meilen waren es bis Skagen, dem nördlichsten Punkt Dänemarks. Bis dahin blieb Bolitho genügend Zeit, seine Anweisungen zu studieren und vielleicht zwischen den Zeilen zu lesen, was nicht darin stand.

Bolitho lag zurückgelehnt in einem Stuhl, während Allday ihn rasierte. Es war früher Morgen und jenseits der salzverkrusteten Fenster noch kaum hell, aber Bolitho war schon seit einer Stunde wach und dabei, sich auf einen entscheidenden Tag vorzubereiten, indem er noch einmal seine Instruktionen durchging und prüfte, ob er bisher irgend etwas übersehen hatte.

Es überraschte Bolitho, daß er innerlich so ruhig war. Er döste sogar etwas vor sich hin, während das Rasiermesser sanft über seine Kehle glitt, und hörte dem Platschen von Wasser und den taktmäßigen Schritten nackter Füße über seinem Kopf zu. Die Mannschaft war beim morgendlichen Deckswaschen.

Er glaubte, die Stimme des Bootsmanns zu hören: Swale — Big

Tom, wie er genannt wurde — sprach seltsam, fast lispelnd. Das kam dadurch, daß er die meisten seiner Vorderzähne eingebüßt hatte, im Gefecht oder bei einer Prügelei. Herrick hielt Swale für einen guten Bootsmann. Jetzt inspizierte er offenbar einmal wieder das Achterdeck. Die ersten Wochen in See waren für ein neu gebautes Schiff immer kritisch. Das Bauholz war nicht so gut abgelagert gewesen, wie es hätte sein sollen, und so konnten bei den starken Schlingerbewegungen seltsame Dinge passieren.

Die Benbow war ein guter Segler, dachte Bolitho. Mehrmals schon hatten die anderen Zweidecker mehr Leinwand setzen müssen, um mitzukommen. Ein feines Schiff. Der bessere Teil eines ganzen Waldes hatte wohl dran glauben müssen, als sie gebaut wurde.

Bolitho fuhr so plötzlich im Stuhl hoch, daß Allday erschreckt ausrief:»Langsam, Sir! Fast hätte ich Sie geschnitten. «Dann sagte er:»Ich habe es auch gehört: Kanonendonner!»

Bolitho wollte zunächst aufstehen, lehnte sich dann aber wieder zurück.»Rasieren Sie mich fertig, bitte. «Er unterdrückte seine plötzliche Erregung.»Es gehört sich nicht, daß ich gleich an Deck stürze.»

Trotzdem fiel es ihm schwer. Bisher war er gewohnt gewesen, bei solchen Gelegenheiten sofort aufs Achterdeck zu gehen und sich selber ein Bild von der Lage zu machen. Er erinnerte sich an einen seiner ersten Kommandanten, dem er als junger Midshipman eine wichtige Meldung nach achtern in seine fürstliche Einsamkeit hatte bringen müssen.

Der Kommandant hatte ruhig, ein Glas Wein trinkend, in seiner Kajüte gesessen. Bolitho sah ihn noch deutlich vor sich: Als er seine Meldung herausgestammelt hatte, wandte der Kommandant sich lediglich um, nickte, und sagte:»Meine Empfehlung an den Ersten Offizier, Mr. Bolitho, ich käme in Kürze hinauf. Das heißt, wenn Sie noch ausreichend Puste für diese Meldung habe.»

Dabei hatte er es vielleicht, wie Bolitho jetzt, kaum ausgehalten, selber nach dem Rechten zu sehen.

Es gab ein Geräusch am Türvorhang, und Herrick trat ein.

«Guten Morgen, Thomas. «Bolitho lächelte. Es hatte keinen Zweck, vor Herrick Theater zu spielen, darum fügte er hinzu:»Ich hörte Schießen.»

Herrick nickte.»Der Peilung nach müßte es die Lookout sein, Sir, es kam von Nordosten.»

Bolitho wischte sich das Gesicht mit einem Handtuch ab und stand auf. Das Deck unter seinen Füßen zitterte, als das Ruder in ein Wellental tauchte. Lookout war die kleine Korvette, und ihr Kommandant war Commander Veitch, Herricks ehemaliger Erster Offizier. Ein strenger Mann, aus Tynemouth gebürtig, äußerst zuverlässig, der seine Beförderung auf dem harten Wege erreicht hatte. Wenn er jetzt einen Gegner auf eigene Faust stellte, dann war er sicher unbedeutend. Jedenfalls hielt es Veitch offensichtlich nicht für notwendig, sein Flaggschiff zu informieren oder gar um Hilfe zu bitten. Das wäre ohnehin nicht seine Art gewesen.

Herrick meinte:»Vermutlich ein Blockadebrecher, Sir.»

Ozzard eilte mit Bolithos Mantel herbei und hielt ihn wie ein Tore-ro, der einen Stier zum Angriff reizt.

Bolitho fragte:»Ist irgendeine unserer Fregatten in Sicht?«Der Klang weiterer Explosionen dröhnte über das Meer, kurz und scharf: die leichten Buggeschütze der Lookout.

Herrick antwortete:»Nicht, so lange ich an Deck war, Sir. Die Re-lentless müßte im Südwesten stehen und Styx auf unserer Leeseite, wie befohlen.»

«Gut. «Er schlüpfte in seinen Mantel, der sich feucht anfühlte.»Wir wollen selber nachschauen.»

Der Himmel hatte sich aufgehellt, als sie aus der Hütte traten. Wolfe eilte auf sie zu.

«Mastkorb meldet: Lookout in Sichtlt;, Sir. Sie wird von einem kleineren Fahrzeug begleitet, entweder einer Brigg oder einem größeren Schiff, dem ein Mast weggeschossen wurde. «Grinsend fletschte er die Zähne.

Bolitho konnte Wolfes Gedanken lesen: Eine frühzeitige Eroberung bedeutete Prisengeld und ein Kommando für irgendeinen. Selbst ein vorübergehender Einsatz als Prisenkapitän war etwas, das man sich in Krisenzeiten wünschte. Und Glück dazu. Bolitho hatte beides gehabt und auf diese Weise sein erstes Kommando bekommen.

Leute huschten über das Achterdeck und räumten Pützen und Schrubber weg. Ihre Gesichter waren im schwachen Licht noch nicht zu erkennen. Aber allen war bewußt, daß ihr Admiral auf etwas wartete; was bedeutete es für sie? Ein Seegefecht? Tod oder Verstümmelung? Auf jeden Fall stand eine Unterbrechung im Einerlei ihrer täglichen Routine bevor.

Bolitho bemerkte einige Offiziere auf der Leeseite des Achterdecks: Byrd und Manley, den Vierten und Fünften Offizier, und Courtenay, den noch jüngeren Sechsten, den Allday aus dem Admiralsboot verdrängt hatte.

Er mußte sich einmal Zeit nehmen, sie näher kennenzulernen. Jetzt war er schon froh, daß er die Denkweise der Offiziere kannte, die die Schiffe seines Geschwaders befehligten; aber wenn die Benbow in einen harten Kampf verwickelt wurde, konnte es geschehen, daß ein junger Leutnant nach einer vernichtenden Breitseite das Kommando übernehmen mußte.

Wolfe hatte ein Fernrohr vor dem Auge.»Da kommt die Relentless, Sir. Ich kann ihre Obersegel erkennen. Sie wittert wohl Pulvergeruch.»

Bolitho konnte sich vorstellen, was jetzt an Bord der Sechsund-dreißig-Kanonen-Fregatte vorging. Er war mit ihrem jungen Kommandanten Rowley Peel nur zweimal zusammengetroffen. Er war der Außenseiter im Geschwader, aber schnell da, wenn es hieß, seine schwerfälligeren Gefährten zu schützen oder einen Feind zu vertreiben.

Der alte Grubb brummelte:»Besseres Wetter heut. Schön und klar. «Er versank wieder in Schweigen, die Hände tief in seinem schäbigen Wachmantel vergraben.

Wolfe entdeckte Pascoe auf der Backbord-Laufbrücke und rief barsch:»Würden Sie mal aufentern, Mr. Pascoe? Nehmen Sie ein Glas mit, und melden Sie, was Sie ausmachen können!»

Pascoe warf einem Matrosen seinen Hut zu und lief an die Luvwanten. Er war in dem dunklen Gewirr der Takelage über der Großrah schon verschwunden, bevor Bolitho seine Enterkünste verfolgen konnte. Bolitho dachte an seinen eigenen Abscheu vor solchen Höhen, und welche Überwindung sie ihn in Pascoes Alter gekostet hatten. Er fühlte, wie sein Mund sich zu einem Lächeln verzog. Es würde albern klingen, wenn er jemand erzählte, daß er es als einen der größten Vorteile seiner Beförderung empfunden hatte, nicht mehr in die schwi n-delnden Höhen der Masten aufentern zu müssen.

Pascoe meldete sich von oben, und seine Stimme übertönte klar das dröhnende Schlagen von Leinen und Leinwand.

«Lookout hat sie geschnappt. Es ist eine Brigg. Sie führt keine Flagge, aber jetzt setzen sie unsere.»

Mehrere der auf der Laufbrücke und dem Batteriedeck Herumstehenden jubelten, und Herrick rief:»So schnell? Gut gemacht, gut gemacht!»

Bolitho nickte.»Sie haben Ihrem Ersten Offizier viel beigebracht, Thomas.»

Leutnant Browne erschien am achteren Niedergang und fragte, während er seinen Mantel zuknöpfte:»Ich hörte Lärm. Was gibt's?»

Wolfe sagte zum Master:»Der wird uns nicht viel nützen.»

Herrick antwortete:»Wir haben eine Prise erobert, Mr. Browne. Ich fürchte, Sie haben das verpaßt.»

Einige der nahestehenden Seeleute stießen einander grinsend an. Bolitho spürte die Veränderung. Die Stimmung an Bord war schon besser.

«An Deck! Land in Sicht, Steuerbord voraus!»

Herrick und der Master eilten geschäftig in den Kartenraum unter der Hütte, um diese Entdeckung mit der Seekarte zu vergleichen.

Es mußte Skagen sein. Was die fremde Brigg betraf, so hatten sie Glück gehabt. Eine Stunde früher wäre sie unbemerkt vorbeigeschlüpft.

Bolitho sagte:»Ich gehe jetzt frühstücken. Melden Sie mir, wenn die Lookout nahe genug ist, um Signale austauschen zu können.»

Herrick stand am Schott zum Kartenraum und schaute nach den anderen Schiffen aus.

«Mr. Grubb meint, wir sind gegen Mittag bei Skagen, wenn der Wind uns treu bleibt.»

«Das nehme auch ich an. Wenn wir da sind, können Sie dem Geschwader signalisieren, daß es in Kiellinie ankern soll. «Bolitho nickte den Offizieren zu und ging nach achtern.

Herrick stieß einen Seufzer aus. Er neigte dazu, sich Sorgen zu machen, wenn Bolitho in der Nähe war, aber noch mehr Sorgen machte er sich, wenn er gegangen war.

Pascoe glitt herunter an Deck und holte sich seinen Hut zurück. Er wollte gerade nach achtern gehen, als eine kleine Gestalt zwischen zwei Achtzehnpfündern hervortrat und ihn ansprach.»Verzeihung, Sir. «Es war Midshipman Penels.

«Ja?«Pascoe blieb stehen und betrachtete den Jungen. gt;War auch ich jemals so?lt; dachte er.

«Ich — ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, Sir…»

Es klang so verzweifelt, daß Pascoe sagte:»Sprechen Sie sich ruhig aus.»

An Bord eines Kriegsschiffes war es praktisch unmöglich, sich zu einem vertraulichen Gespräch zurückzuziehen. Außer in der Kommandantenkajüte und möglicherweise in der Arrestzelle, befand man sich immer in einer Menge.

Pascoe wußte sehr wenig von dem neuesten Midshipman. Er kam aus Cornwall, und da hakte er ein.

Er sagte:»Sie sind aus Bodmin, glaube ich?»

«Ja, Sir. «Penels schaute sich um wie ein gefangenes Tier.»Da ist einer in Ihrer Division, Sir, mit dem ich zusammen aufgewachsen bin, zu Hause in England.»

Pascoe trat zur Seite, als eine Gruppe von Seesoldaten bei ihren komplizierten Einzelübungen vorbeistampfte.

Penels erklärte:»Er heißt John Babbage, Sir, und wurde in Ply-mouth von einem Preßkommando eingefangen. Ich wußte es nicht, bevor wir in See waren. Er hat für meine Mutter gearbeitet, nachdem mein Vater gestorben war, Sir. Er war gut zu mir, mein bester Freund.»

Pascoe schaute weg. Da konnte er sich nicht einmischen. Penels hätte zum Ersten Offizier oder zum Master gehen sollen. Aber er erinnerte sich an seine eigene Anfangszeit, an den langen, hungrigen Fußmarsch von Pensance nach Falmouth.

«Warum haben Sie sich an mich gewandt, Mr. Penels? Die Wahrheit!»

«Mein Freund sagt, Sie seien ein guter Offizier, Sir. Nicht so hart wie die anderen.»

Pascoe versuchte, sich ein Bild von dem unglücklichen Babbage zu machen: ein Junge mit einem scheuem Blick, eher in seinem als in Penels Alter.

«Nun, Mr. Penels, wir sind jetzt mit dem Geschwader in See. Wären Sie im Hafen zu mir gekommen, hätte ich vielleicht etwas tun können. «Er dachte an Wolfe und wußte, es hätte auch dann kaum einen Unterschied gemacht. Ein Schiff brauchte so viele Männer, wie es bekommen konnte.

Wolfe war in mancher Hinsicht ein guter Offizier, aber es mangelte ihm an Verständnis und Sympathie für die Opfer der Preßkommandos.

Es war hart für Penels und seinen Freund aus Kindheitstagen. Da waren sie nun auf dem gleichen Schiff, ohne voneinander gewußt zu haben, bevor sie sich auf See befanden, getrennt nicht nur durch Rang und Position, sondern auch durch des Schiffes eigene Geographie. Penels gehörte bei Segelmanövern zum achteren Mast, und seine Gefechtsstation war an den Neunpfündern auf der Schanz. Babbage gehörte zu seiner Mannschaft am Vormast. Er war jung und flink und würde es bald lernen, wie die Toppsgasten aufzuentern; dann gehörte er — mit etwas Glück — zur Aristokratie der Seeleute.

Pascoe hörte sich selber sagen:»Ich werde sehen, was sich tun läßt. Aber ich kann nichts versprechen.»

Er wandte sich ab, da er die Dankbarkeit in Penels Augen nicht ertragen konnte.

Commander Matthew Veitch kam in Bolithos Kajüte und sah sich neugierig um. Die eine Epaulette auf seiner linken Schulter, die er seinem Rang entsprechend trug, glitzerte fremd auf seinem abgetragenen Wachmantel. Veitch hatte früher schon unter Bolitho gedient und wußte, daß er keinen Dank dafür geerntet hätte, wenn er sich vor seinem Besuch auf dem Flaggschiff Zeit zum Umkleiden genommen hätte.

Bolitho sagte:»Setzen Sie sich, und erzählen Sie mir alles.»

Es war ein sonderbares Gefühl, wieder zu ankern. Die vier Linienschiffe lagen in enger Formation, die dänische Küste in Sichtweite achteraus. Die Fregatten patrouillierten noch, wie Wachhunde ruhten sie nur selten.

Auch die Korvette und ihre Prise lagen bei Skagen vor Anker. Diese Bucht war in den vergangenen Monaten zum allgemeinen Treffpunkt und Rastplatz der englischen Flotte geworden.

Veitch streckte die langen Beine von sich.»Unsere Prise ist ein Handelsschiff, Sir, die Echo aus Cherbourg. Letzte Woche schlüpfte sie bei Sturm durch unsere Bewachungslinie, sagt ihr Kapitän. Sie versuchte, uns davonzulaufen, daher durchsuchte ich sie schnell.»

Bolitho warf einen Blick zum Achterschott. Dahinter war Browne, der gut französisch sprach, eifrig dabei, die Schiffspapiere der Echo, die Veitch mitgebracht hatte, durchzusehen: eine französische Brigg ohne auffallende Ladung oder Passagiere. Dennoch hatte sie beim Durchbrechen der Blockade einiges riskiert und mehr noch, als sie versuchte, der Lookout davonzusegeln.

«Wohin ist sie bestimmt?»

Veitch zuckte mit den Achseln.»Ihr Kapitän hat falsche Papiere, vermute ich. Aber die Karten wurden von einem Midshipman des Prisenkommandos im Lazarett gefunden, wo sie offenbar versteckt worden waren. «Er grinste.»Der Junge hat sicher nach etwas Eßbarem gesucht, aber ich will sein Verdienst deswegen nicht schmälern. «Er wurde wieder ernst.»Zwei Orte sind unterstrichen: Kopenhagen und Stockholm.»

Herrick wandte sich beunruhigt von den Heckfenstern ab und sagte:»Hier stinkt etwas, Sir!»

Bolitho sah ihn an.»Denken Sie das gleiche wie ich, Thomas? Daß die Franzosen bei der Unzufriedenheit des Zaren ihre Hand im Spiel haben?»

Herrick erwiderte:»Da bin ich ganz sicher, Sir. Je mehr sie unter ihren Hut bekommen können, desto lieber ist es ihnen. Wir haben die ganze Welt gegen uns, wenn sie Erfolg haben.»

Die Tür ging auf, und Browne kam herein. Er hielt einen Brief in der Hand, das aufgebrochene Siegel schimmerte matt wie Blut. Er hob fragend die Augenbrauen.

«Was steht drin?«Bolitho wußte, daß Browne niemals eine Information in Gegenwart anderer ohne seine Erlaubnis preisgegeben hätte.

«Er ist an einen Abgesandten der französischen Regierung in Kopenhagen gerichtet, Sir.»

Sie sahen einander an. Das roch nach verabredeter Zusammenkunft von Freunden und Feinden.

Browne fuhr in seinem unbewegten Ton fort:»Der Brief kommt vom Militärbefehlshaber in Toulon und ist über Paris und Cherbourg gelaufen.»

Herrick konnte seine Ungeduld nicht mehr zügeln.»Machen Sie es doch nicht so spannend, Mann!»

Browne warf ihm nur einen kurzen Blick zu.»Die französischen Besatzungstruppen in Malta haben sich dem britischen Blockadegeschwader ergeben, Sir. Schon im vorigen Monat.»

Herrick schien verblüfft.»Also eine gute Neuigkeit. Malta in unserer Hand, das heißt, daß die Franzmänner im Mittelmeer künftig vorsichtiger auftreten müssen.»

Browne verzog keine Miene.»Es dürfte bekannt sein, Sir, daß Zar Paul von Rußland sogenannter Großmeister der Ordensritter von Malta ist. Als die Franzosen Malta seinerzeit eroberten, war er wütend. Der Brief erklärt, daß die Franzosen dem Zar die Herrschaft auf Malta angeboten hatten; selbstverständlich wußten sie genau, daß die Insel früher oder später in britische Hände fallen würde.»

Herrick machte eine hilflose Geste.»Ich sehe noch immer nicht, wie wir da hineinpassen.»

Bolitho sagte ruhig:»Die Briten werden Malta nicht wieder aufgeben, Thomas. Die Insel ist zu wichtig für uns, wie Sie selber eben feststellten. Die Franzosen haben also einen schlauen Zug getan. Was gäbe eine bessere Gelegenheit, den Zaren und seine Freunde endgültig gegen uns aufzuhetzen? Wir und nicht die Franzosen stehen jetzt zwischen ihm und Malta. «Browne sagte:»Das ist genau der Sachverhalt, Sir.«»Offenbar wußte Sir Samuel Damerum nichts davon. Wegen des schlechten Wetters ist die Neuigkeit nicht zu ihm gelangt. «Veitch räusperte sich.»Aber Sie haben den Brief, Sir. «Bolitho lächelte flüchtig.»Ich habe ihn, dank Ihnen.«»Werden Sie dementsprechend handeln, Sir?«Browne beobachtete ihn unbewegt.

Bolitho ging an die Fenster und starrte auf die vor Anker liegenden Schiffe.»Es ist niemand sonst hier. Ich glaube, je eher wir handeln, desto besser.»

Herrick sagte:»Das geht über mein Verständnis, Sir. «Bolitho kam zu einer ganzen Reihe von Entschlüssen. Wahrscheinlich kam alles schon zu spät, denn Kuriere konnten Kopenhagen längst auf dem Landweg erreicht haben. Aber im gegenteiligen Falle würde er von der Admiralität keinen Dank für langsames Vorgehen ernten.

«Rufen Sie meinen Schreiber. Ich werde Befehle für die Brigg aufsetzen. Commander Veitch, Sie können ein Prisenkommando für sie auswählen. Ich möchte, daß sie schleunigst nach Great Yarmouth segelt. Wählen Sie einen intelligenten Prisenkapitän, denn er muß meinen Bericht auf dem schnellsten Weg nach London bringen. «Er sah Herrick an.»Ich werde meine Flagge auf Styx setzen. Machen Sie ein entsprechendes Signal. «Er bemerkte, wie sich auf Herricks rundem Gesicht Gegenargumente und Protest sammelten, und fügte daher ruhig hinzu:»Ich möchte nicht, daß Sie die Benbow und mich vor die Kanonenrohre von Helsingör segeln müssen, falls wir schon im Kriege sind. Falls wir aber noch Frieden haben, wird eine Fregatte weniger bedrohlich wirken.»

Der Schreiber Yovell war bereits in der Kajüte und öffnete seinen kleinen Schreibtisch, der für solche Gelegenheiten bereitstand.

Bolitho sah Veitch an.»Sie werden hier so lange die Aufgaben von Styx übernehmen.»

Aus dem Augenwinkel sah er, daß Yovell Schreibfedern und Tinte bereitgelegt hatte, um die neuen Befehle für die Brigg, den Bericht an die Admiralität und — falls es verlangt worden wäre — auch ein Todesurteil niederzuschreiben.

Zu Herrick gewandt, sagte Bolitho:»Sie werden das Geschwader bis zu meiner Rückkehr führen. Wenn ich länger als eine Woche fortbleibe, ohne von mir hören zu lassen, werden Sie entsprechend selbständig handeln.»

Herrick sah ein, daß er geschlagen war.»Und wann werden Sie starten?»

«Ich hoffe, noch vor Anbrach der Dunkelheit an Bord der Styx und unterwegs zu sein.»

Nachdem Herrick und Veitch gegangen waren, um ihren Anweisungen entsprechend zu handeln, sagte Bolitho den Leutnant:»Glauben Sie, daß ich unklug handle?«Er sah in Brownes Gesicht den seltenen Ausdruck von Unsicherheit und fügte hinzu:»Los, Mann, Sie sollten mich nach einer Woche zusammen auf See gut genug kennen, um zu wissen, daß ich Ihnen nicht den Kopf abreiße, wenn ich dem nicht zustimme, was Sie sagen. Aber es mag sein, daß ich es nicht beachte.»

Browne zuckte mit den Achseln.»Einerseits teile ich die Besorgnis des Flaggkapitäns, Sir. Ich kenne Ihren Werdegang und habe von vielen Ihrer früheren Unternehmungen mit Bewunderung gelesen. «Er sah Bolitho gerade ins Auge.»Genau wie Kapitän Herrick kenne auch ich Sie als kämpfenden Seemann, nicht als Diplomaten.»

Bolitho erinnerte sich an seinen Besuch auf Damerums Flaggschiff. Er hatte es eigenartig gefunden, daß Damerum nicht selber die Initiative ergriff. Er war ein angesehener älterer Flaggoffizier. Viele Leute hätten es von ihm erwartet, ja gefordert.

Browne setzte ruhig hinzu:»Aber man hat Ihnen jetzt wenig Spielraum gelassen, Sir. Ich würde Ihnen nur raten, und zwar aus meiner Kenntnis von Sir George Beauchamp heraus, recht behutsam vorzugehen. Sieger zu sein, ist leicht, aber ein Sündenbock ist oft noch leichter gefunden.»

Herrick kam zurück und massierte sein Hände. Er sah verfroren aus.

«Styx hat Ihr Signal bestätigt, Sir. Darf ich empfehlen, ein paar Leute zusätzlich mitzunehmen?«Er grinste reuig.»Ich habe eingesehen, daß mein Einspruch nichts mehr nützt. So habe ich mir erlaubt, Mr. Wolfe zu sagen, daß er dreißig Seeleute und ein paar jüngere Offiziere abstellt. Zusätzlich einen Offizier und vielleicht einen Fähnrich für Botschaften und so weiter.»

Bolitho nickte.»Das war sehr aufmerksam, Thomas. Ich denke, auch Kapitän Neale wird dem zustimmen.»

Herrick seufzte.»Kapitän Neale. «Er schüttelte den Kopf.»Ich sehe ihn immer noch als fettbeschmierten Cherubim, den wir durch das Luftrohr schoben.»

Bolitho sammelte seine Gedanken. Sie waren zu oft davonge-schossen wie ausrauschende Leinen, die sich dann plötzlich in ihren Blöcken verhedderten. Was Browne gesagt hatte, war vernünftig.

«Schön, Yovell, schreiben Sie, was ich diktiere!»

Herrick fragte im Fortgehen:»Welcher Leutnant, Sir?»

«Mr. Pascoe. «Er lächelte.»Aber ich glaube auch, das haben Sie bereits vorgesehen.»