"Harry Potter und der Gefangene von Askaban" - читать интересную книгу автора (Rowling Joanne K.)

Teeblätter und Krallen

Als Harry, Ron und Hermine am nächsten Morgen zum Frühstück in die Große Halle kamen, fiel ihnen zuallererst Draco Malfoy auf, der eine große Schar Slytherins mit einer offenbar sehr komischen Geschichte unterhielt. Während sie vorbeigingen, gab Malfoy eine drollige Vorstellung von einem Ohnmachtsanfall zum Besten und heimste dafür johlendes Gelächter ein.

»Achte nicht auf ihn«, sagte Hermine, die dicht hinter Harry ging,»ignorier ihn einfach, er ist es nicht wert…«

»He, Potter!«, kreischte Pansy Parkinson, ein Slytherin-Mädchen mit einem Gesicht wie ein Mops,»Potter! Die Dementoren kommen, Potter! Uuuuhuuuh!«

Harry ließ sich auf einen Stuhl am Tisch der Gryffindors fallen, neben George Weasley.

»Die neuen Stundenpläne für die Drittkläßler«, sagte George und reichte die Blätter weiter.»Was ist los mit dir, Harry?«

»Malfoy«, sagte Ron, der sich ebenfalls zu George gesetzt hatte und zornig zum Tisch der Slytherins hinüberstarrte.

George sah gerade noch rechtzeitig hoch, um zu sehen, wie Malfoy schon wieder so tat, als würde er vor Schreck in Ohnmacht fallen.

»Dieses kleine Großmaul«, sagte er gelassen.»Gestern Abend, als die Dementoren in unserem Wagen waren, war er nicht so dreist. Kam in unser Abteil gerannt, weißt du noch, Fred?«

»Hat sich fast naß gemacht«, sagte Fred mit einem verächtlichen Blick zu Malfoy hinüber.

»Mir war auch nicht besonders wohl«, sagte George.»Richtige Ungeheuer, diese Dementoren…«

»Lassen dir die Eingeweide gefrieren«, sagte Fred.

»Immerhin seid ihr nicht ohnmächtig geworden, oder?«' sagte Harry mit matter Stimme.

»Vergiß es, Harry«, sagte George aufmunternd.»Fred, weißt du noch, wie Dad mal nach Askaban mußte? Und er meinte, das sei der schlimmste Ort, an dem er je gewesen sei, er kam ganz schwach und zittrig zurück… Diese Dementoren saugen das Glück ab, wo sie auch sind. Die meisten Gefangenen dort werden verrückt.«

»Wollen mal sehen, wie gut gelaunt Malfoy nach unserem ersten Quidditch-Spiel noch aus der Wäsche guckt«, sagte Fred.».Gryffindor gegen Slytherin, das erste Spiel der Saison, so war's doch?«

Das einzige Mal, daß Harry und Malfoy sich in einem Quidditch-Spiel gegenübergestanden hatten, hatte Malfoy eindeutig den Kürzeren gezogen. Harry, dem jetzt ein wenig besser zumute war, tat sich Würstchen und gegrillte Tomaten auf.

Hermine war in ihren neuen Stundenplan vertieft.

»Ach gut, wir fangen heute mit ein paar neuen Fächern an«, sagte sie glücklich.

»Hermine«, sagte Ron, der ihr stirnrunzelnd über die Schulter sah,»da haben sie dir einen verkorksten Stundenplan gegeben. Schau mal – du hast ungefähr zehn Fächer am Tag. Dazu hast du überhaupt nicht die Zeit.«

»Das schaff ich schon. Ich hab alles mit Professor McGonagall abgesprochen.«

»Aber hör mal«, sagte Ron lachend,»was ist mit heute Morgen? Neun Uhr Wahrsagen. Und darunter, auch neun Uhr, Muggelkunde. Und sieh mal an«- Ron beugte sich mit ungläubiger Miene tiefer über den Stundenplan,»- darunter Arithmantik, auch um neun. Ich weiß ja, daß du gut in der Schule bist, Hermine, aber niemand ist so gut. Wie willst du denn in drei Klassenzimmern auf einmal sein?«

»Stell dich nicht so bescheuert an«, sagte Hermine barsch.»Natürlich bin ich nicht in drei Klassenräumen auf einmal.«

»Und wie -«

»Gib mir mal die Marmelade«, sagte Hermine.

»Aber -«

»O Ron, was kümmert es dich, wenn mein Stundenplan ein bißchen voll ist?«fauchte ihn Hermine an.»Ich hab dir doch gesagt, daß ich alles mit Professor McGonagall geklärt habe.«

In diesem Augenblick betrat Hagrid die Große Halle. Er trug seinen langen Maulwurffell-Umhang und gedankenversunken ließ er einen toten Iltis von einer seiner Pranken baumeln. Auf dem Weg zum Lehrertisch hielt er bei den dreien inne.

»Alles klar bei euch?«, sagte er gut gelaunt.»Ihr sitzt in meiner allerersten Stunde! Gleich nach dem Mittagessen! Bin seit fünf auf den Beinen, um alles vorzubereiten… hoffe, es gefällt euch… ich und Lehrer… nicht zu fassen…«

Er sah sie breit grinsend an und ging dann, munter mit dem Iltis wedelnd, weiter zum Lehrertisch.

»Was er wohl vorbereitet hat?«, sagte Ron mit leichter Anspannung in der Stimme.

Die Schüler brachen jetzt zur ersten Unterrichtsstunde auf und die Halle leerte sich zusehends. Ron warf einen Blick auf seinen Stundenplan.

»Wir sollten gehen, sieh mal, Wahrsagen ist oben auf dem Nordturm, da hoch brauchen wir mindestens zehn Minuten…«

Hastig beendeten sie ihr Frühstück, verabschiedeten sich von Fred und George und machten sich auf den Weg zum Ausgang. Als sie am Tisch der Slytherins vorbeigingen, tat Malfoy noch einmal so, als würde er in Ohnmacht fallen. johlendes Gelächter folgte Harry in die Eingangshalle.

Der Weg durch das Schloß zum Nordturm war lang. Zweijahre in Hogwarts hatten nicht gereicht, um alle Ecken und Enden des Schlosses kennen zu lernen, und sie waren noch nie im Nordturm gewesen.

»Es – muß – doch – eine – Abkürzung – geben«, keuchte Ron, während sie die siebte lange Treppe emporstiegen. Oben gelangten sie auf einen unbekannten Rundgang, wo es nichts gab außer einem großen Gemälde an der steinernen Wand, das nichts als ein Stück Grasland zeigte.

»Ich glaube, hier geht's lang«, sagte Hermine und spähte in den leeren Gang zu ihrer Rechten.

»Das kann nicht sein«, sagte Ron.»Das ist Süden, sieh mal, vom Fenster aus sieht man den See -«

Harry betrachtete das Gemälde. Ein fettes, scheckiges Pony war eben auf die Wiese gehoppelt und fing unbekümmert an zu grasen. Für Harry war es nichts Neues mehr, daß die Abgebildeten auf den Gemälden von Hogwarts ihre Bilderrahmen verließen und sich gegenseitig Besuche abstatteten, doch er sah immer gerne zu. Einen Augenblick später kam ein untersetzter, vierschrötiger Ritter mit Rüstung in das Bild geklappert. Den Grasflecken auf seinen metallenen Knien nach zu schließen, war er soeben gestürzt.

»Sieh an!«, rief er, als er Harry, Ron und Hermine erblickte,»was sind das für Schurken, die in meine Ländereien eindringen! Gekommen, um euch über meinen Sturz lustig zu machen? Zieht eure Waffen, ihr Spitzbuben, ihr Hunde!«

Verdutzt beobachteten sie, wie der kleine Ritter sein Schwert aus der Scheide zog und wild damit herumfuchtelte, wobei er zornig umherhopste. Doch das Schwert war zu lang für ihn; ein besonders heftiger Schwung brachte ihn aus dem Gleichgewicht und er flog mit dem Gesicht ins Gras.

»Haben Sie sich was getan?«, fragte Harry und trat näher an das Bild heran.

»Zurück, gemeiner Aufschneider! Zurück, Strolch!«

Wieder packte der Ritter sein Schwert, diesmal, um sich aufzurappeln, doch die Klinge sank tief in die Erde und obwohl er mit aller Kraft zog, blieb sie stecken. Schließlich mußte er sich wieder ins Gras sinken lassen und das Visier hochschieben, um sich das schweißnasse Gesicht zu wischen.

»Hören Sie«, sagte Harry eilig, um die Erschöpfung des Ritters auszunutzen,»wir suchen den Nordturm. Kennen Sie vielleicht den Weg?«

»Eine Frage!«Der Zorn des Ritters schien im Nu wie weggeblasen. Klappernd rappelte er sich hoch und rief»Kommt, folgt mir, werte Freunde, und wir werden unser Ziel finden oder aber tapfer kämpfend untergehen!«

Noch einmal zog er am Schwert, doch ohne Erfolg, schließlich versuchte er das dicke Pony zu besteigen, was wiederum mißlang, dann rief er:

»Zu Fuß denn, werte Herren und edle Dame! Auf geht's!«

Und laut klappernd rannte er los in die linke Seite des Rahmens und verschwand.

Sie liefen dem Klappern seiner Rüstung nach den Korridor entlang. Hie und da erhaschten sie einen Blick auf ihn, wenn er durch ein Bild vor ihnen huschte.

»Seid kühnen Herzens, das Schlimmste kommt noch!«, rief der Ritter, und sie sahen ihn vor einer Gruppe aufgeschreckter Damen in Reifröcken erscheinen, deren Bild an der Wand einer schmalen Wendeltreppe hing.

Laut keuchend stiegen Harry, Ron und Hermine durch die engen Windungen der Treppe nach oben, und endlich, als ihnen schon schwindelig war, hörten sie über sich Stimmengemurmel und wußten, daß sie das Klassenzimmer erreicht hatten.

»Lebt wohl!«, rief der Ritter und steckte seinen Kopf in ein Gemälde mit finster dreinblickenden Mönchen.»Lebt wohl, meine Mitstreiter! Braucht ihr jemals ein edles Herz und eine stählerne Luftröhre, dann ruft Sir Cadogan!«

»Klar, machen wir«, murmelte Ron, und der Ritter verschwand,»- wenn wir je einen Narren brauchen.«

Sie nahmen die letzten Stufen hinauf zu einem kleinen Rundgang, wo die meisten anderen schon versammelt waren. Es gab keine Türen, doch Ron stieß Harry in die Rippen und deutete auf die Decke, wo eine runde Falltür mit einem Messingschild eingelassen war.

»Sibyll Trelawney, Lehrerin für Wahrsagen«, las Harry.»Wie sollen wir denn da hochkommen?«

Wie zur Antwort auf diese Frage öffnete sich plötzlich die Falltür und eine silberne Leiter schwebte herunter bis vor Harrys Füße. Alle verstummten.

»Nach dir«, sagte Ron grinsend, und Harry kletterte als Erster die Leiter hoch.

Er gelangte in das seltsamste Klassenzimmer, das er je gesehen hatte. Eigentlich sah es gar nicht aus wie ein Klassenzimmer, eher wie eine Mischung aus einer Dachkammer und einem altmodischen Teeladen. Er war voll gepfropft mit gut zwanzig kleinen runden Tischen, umgeben von Chintz-Sesseln und üppigen Sitzpolstern. Alles war in scharlachrotes Dämmerlicht getaucht; die Vorhänge an den Fenstern waren zugezogen und über die vielen Lampen waren dunkelrote Seidentücher geworfen. Es war stickig warm; das Feuer unter dem voll gestellten Kaminsims erhitzte einen großen Kupferkessel, von dem sich ein schwerer, leicht übelkeiterregender Parfümduft ausbreitete. Die Regale entlang der runden Wände waren überladen mit staubigen Federn, Kerzenstümpfen, Stapeln zerknitterter Spielkarten, zahllosen silbern glitzernden Kristallkugeln und einer enormen Vielfalt von Teetassen.

Ron tauchte an Harrys Seite auf und der Rest der Klasse versammelte sich um die beiden; alle flüsterten.

»Wo steckt sie?«, fragte Ron.

Plötzlich drang eine Stimme aus dem Schatten, eine sanfte, rauchige Stimme.

»Willkommen«, sagte sie.»Wie schön, euch endlich in der materiellen Welt zu sehen.«

Harry kam sie auf den ersten Blick wie ein großes, glänzendes Insekt vor. Professor Trelawney trat ins Licht des Feuers. Sie war mager; die riesigen Brillengläser vergrößerten ihre Augen um ein Vielfaches; um den Körper hatte sie einen schleierartigen, glitzernden Schal geschlungen. Unzählige Kettchen und Perlenschnüre hingen um ihren spindeldürren Hals, und ihre Arme und Hände waren mit Spangen und Ringen verziert.

»Setzt euch, meine Kinder«, sagte sie, und die Klasse ließ sich schüchtern und steif auf den Sesseln und Sitzpolstern nieder. Harry, Ron und Hermine setzten sich zusammen an einen der runden Tische.

»Willkommen zum Wahrsagen«, sagte Professor Trelawney, die sich in einen geflügelten Sessel am Feuer gleiten ließ.»Mein Name ist Professor Trelawney. Ihr werdet mich wohl noch nie gesehen haben. Ich finde, daß der allzu häufige Abstieg hinunter in das hektische Getriebe der Schule mein Inneres Auge trübt.«

Niemand sagte etwas zu dieser erstaunlichen Erklärung. Professor Trelawney zupfte bedächtig ihren Schal zurecht und fuhr fort.»Nun, ihr habt euch also für das Studium des Wahrsagens entschieden, für die schwierigste aller magischen Künste. Doch ich muß euch gleich zu Beginn warnen: Wenn ihr nicht im Besitz des Inneren Auges seid, gibt es nur wenig, was ich euch lehren kann. Bücher führen uns auf diesem Felde nicht allzu weit…«

Bei diesen Worten warfen Ron und Harry einen kurzen Seitenblick auf Hermine, die ganz bestürzt schien ob der Neuigkeit, daß Bücher in diesem Fach nicht viel helfen würden.

»Viele Hexen und Zauberer, so begabt sie auch sein mögen, wenn es um lautes Brimborium und ekligen Gestank und plötzliches Verschwindenlassen geht, sind dennoch unfähig, in die verschleierten Geheimnisse der Zukunft einzudringen«, fuhr Professor Trelawney fort, und ihre riesengroßen funkelnden Augen wanderten von einem nervösen Gesicht zum andern.»Dies ist eine Gabe, die nur wenigen gewährt ist. Du, Junge -«, sagte sie plötzlich zu Neville, der beinahe von seinem Sitzpolster fiel,»- geht es deiner Großmutter gut?«

»ich glaub schon«, sagte Neville zitternd.

»An deiner Stelle wäre ich mir nicht so sicher«, sagte Professor Trelawney, und das Licht des Feuers schimmerte auf ihren langen, smaragdbesetzten Ohrgehängen wider. Neville schluckte schwer. Gelassen sprach Professor Trelawney weiter:

»In diesem Jahr lernen wir die Anfangsgründe des Wahrsagens kennen. Im ersten Quartal deuten wir Teeblätter. Im zweiten behandeln wir das Handlesen. Übrigens, meine Liebe«, und sie wandte sich plötzlich an Parvati Patil,»hüte dich vor einem rothaarigen Mann.«

Parvati warf Ron, der hinter ihr saß, einen verdutzten Blick zu und rutschte mit ihrem Stuhl von ihm weg.

»Im Sommerquartal«, fuhr Professor Trelawney fort,»werden wir uns der Kristallkugel zuwenden – wenn wir bis dahin mit den Feuer-Omen fertig sind. Denn leider wird der Unterricht im Februar durch eine schwere Grippewelle unterbrochen werden. Ich selbst werde meine Stimme verlieren. Und um Ostern herum wird einer der hier Versammelten für immer von uns gehen.«

Ein sehr gespanntes Schweigen trat auf diese Ankündigung hin ein, doch Professor Trelawney schien es nicht zu kümmern.

»Würde es dir etwas ausmachen«, sagte sie zu Lavender Brown, die ihr am nächsten saß und auf ihrem Platz zusammenschrumpfte,»mir die größte silberne Teekanne zu reichen?«

Lavender, ganz erleichtert, stand auf, nahm eine riesige Teekanne vom Regal und stellte sie auf den Tisch vor Professor Trelawney.

»Ich danke dir, meine Liebe. Ach übrigens, dieses Ereignis, vor dem du dich fürchtest – es wird am Freitag, dem sechzehnten Oktober geschehen.«

Lavender zitterte.

»Nun bitte ich euch, zu zweit zusammenzugehen. Nehmt euch eine Teetasse vom Regal dort drüben, kommt dann zu mir und laßt sie füllen, dann setzt euch und trinkt; trinkt, bis nur noch der Bodensatz übrig ist. Schwenkt diese dreimal mit der linken Hand, stülpt die Tasse auf die Untertasse und gebt sie dann eurem Partner zum Lesen. Ihr könnt die Muster anhand der Seiten fünf und sechs in Entnebelung der Zukunft sicher leicht deuten. Ich werde an die Tische kommen und euch ein wenig helfen. Oh, und, mein Lieber -«, sie packte Neville, der gerade aufstehen wollte, am Arm,»wenn du die erste Tasse zerbrochen hast, wärst du dann so nett, eine mit blauem Muster zu nehmen? Ich hänge ziemlich an den rosafarbenen.«

Und kaum hatte Neville das Regal mit den Teetassen erreicht, als auch schon das Klirren zerbrechenden Porzellans zu hören war. Professor Trelawney huschte mit Schippe und Besen zu ihm hinüber und sagte:» jetzt eine von den blauen, mein Lieber, wenn es dir nichts ausmacht… ich danke dir…«

Harry und Ron ließen sich die Teetassen füllen und gingen zurück an ihren Tisch, wo sie den brühend heißen Tee so rasch wie möglich tranken. Sie schwenkten die verbliebenen Teeblätter, wie Professor Trelawney gesagt hatte, dann tranken sie den letzten Rest aus und stülpten die Tassen um.

»Dann leg mal los«, sagte Ron, während sie ihre Bücher aufschlugen,»was kannst du bei mir sehen?«

»Eine Menge nasses braunes Zeugs«, sagte Harry. Der schwer parfümierte Rauch im Zimmer machte ihn schläfrig und ließ sein Denken erlahmen.

»Erweitert euren Horizont, meine Lieben, und erlaubt euren Augen, über den schnöden Alltag hinauszusehen!«, rief Professor Trelawney durch die Düsternis.

Harry gab sich einen Ruck.

»Hier, du hast so ein schiefes Kreuz…«, sagte er, das Buch zu Rate ziehend.»Das bedeutet, dir stehen gt;Prüfungen und Leidenlt; bevor – tut mir Leid für dich – aber das hier sieht aus wie eine Sonne… wart mal… das bedeutet gt;großes Glücklt;. Also wirst du leiden, aber sehr glücklich sein…«

»Du solltest mal dein Inneres Auge untersuchen lassen, wenn du mich fragst«, sagte Ron und beide mußten sich das Lachen verkneifen, denn Professor Trelawney schaute gerade in ihre Richtung.

»Ich bin dran…«Ron lugte in Harrys Untertasse, die Stirn vor Anstrengung gerunzelt.»Da ist eine Blase, sieht aus wie ein Hut – eine Melone«, sagte er.»Vielleicht arbeitest du mal für das Zaubereiministerium…«

Er drehte die Untertasse in der Hand.

»Aber so sieht es eher wie eine Eichel aus… was ist das denn?«Er überflog die Seiten von Entnebelung der Zukunft.»gt;Ein unerwarteter Goldgewinnlt;.«Toll, du kannst mir was leihen… und da ist noch was.«Wieder drehte er die Untertasse.»Sieht aus wie ein Tier… ja, wenn das sein Kopf wäre… sieht aus wie ein Pferd… nein, ein Schaf…«

Professor Trelawney wirbelte herum, als Harry schnaubend auflachte.

»Laß mich das sehen, mein Lieber«, sagte sie vorwurfsvoll zu Ron, schwebte herüber und schnappte ihm Harrys Untertasse aus der Hand. Alle verstummten und sahen zu.

Professor Trelawney starrte auf die Blätter und drehte sie dabei gegen den Uhrzeigersinn.

»Der Falke… mein Lieber, du hast einen Todfeind.«

»Aber das wissen doch alle«, flüsterte Hermine so laut, daß jeder es hörte. Professor Trelawney starrte sie an.

»Ja, ist doch wahr«, sagte Hermine.»Alle kennen die Geschichte von Harry und Du-weißt-schon-wem.«

Harry und Ron starrten sie mit einer Mischung aus Verblüffung und Bewunderung an. Nie zuvor hatten sie Hermine so zu einem Lehrer sprechen gehört. Professor Trelawney zog es vor, nicht zu antworten. Wieder senkte sie ihre riesigen Augen auf Harrys Untertasse und drehte sie weiter in den Händen.

»Der Schlagstock… ein Angriff. Meine Güte, das ist keine schöne…«

»Ich dachte, das sei eine Melone«, sagte Ron verdruckst.

»Der Schädel… da wartet Gefahr auf dich, mein Lieber…«

Alle starrten wie gebannt auf Professor Trelawney, die die Untertasse noch einmal drehte, den Atem anhielt und dann schrie.

Wieder klirrte zerbrechendes Porzellan; Neville hatte seine zweite Tasse fallen gelassen. Professor Trelawney sank in einen freien Lehnstuhl, die glitzernde Hand ans Herz gepreßt und die Augen geschlossen.

»Mein lieber Junge… mein armer lieber Junge… nein… besser, wenn ich es nicht sage… nein… fragt mich nicht…«

»Was ist es, Professor?«, fragte Dean Thomas sofort. Alle waren aufgesprungen, scharten sich langsam um Harrys und Rons Tisch und drängelten sich um Professor Trelawneys Sessel, um gute Sicht auf Harrys Untertasse zu haben.

»Mein Lieber«, sagte Professor Trelawney und ihre Augen weiteten sich dramatisch,»du hast den Grimm.«

»Den was?«, sagte Harry.

Er sah, daß er nicht der Einzige war, der nicht begriff; Dean Thomas sah ihn schulterzuckend an und Lavender Brown machte eine ratlose Miene, doch fast alle andern klatschten entsetzt die Hände vor den Mund.

»Den Grimm, mein Lieber, den Grimm!«, rief Professor Trelawney, die schockiert Schien, weil Harry es nicht begriffen hatte.»Der riesige Gespensterhund, der in Kirchhöfen umherspukt! Mein lieber Junge, das ist ein Omen – das schlimmste Omen – des Todes!«

Harrys Magen krampfte sich zusammen. Dieser Hund auf dem Umschlag von Omen des Todes bei Flourish amp; Blotts – der Hund im Schatten des Magnolienrings… auch Lavender Brown schlug jetzt die Hände vor den Mund. Alle sahen Harry an; alle außer Hermine, die aufgestanden und hinter den Sessel von Professor Trelawney getreten war.

»Mir kommt das nicht wie ein Grimm vor«, sagte sie gleichmütig.

Professor Trelawney musterte Hermine mit wachsender Abneigung.

»Verzeih mir, daß ich es dir sage, meine Liebe, aber ich nehme sehr wenig Aura um dich herum wahr. Sehr wenig Empfänglichkeit für die Schwingungen der Zukunft.«

Seamus Finnigan wiegte den Kopf mal auf die eine, mal auf die andere Seite.

»Wenn man so macht, sieht's aus wie ein Grimm«, sagte er, die Augen fast geschlossen,»aber so gesehen ist es eher ein Esel«, sagte er, den Kopf nach links neigend.

»Wann habt ihr endlich rausgefunden, ob ich sterbe oder nicht!«, rief Harry, sogar zu seiner eigenen Überraschung. Daraufhin wollte ihn offenbar keiner mehr ansehen.

»Ich denke, wir werden den Unterricht für heute beenden«, sagte Professor Trelawney mit ihrer rauchigsten Stimme.»ja… bitte räumt eure Sachen auf…«

Schweigend brachte die Klasse die Teetassen zu Professor Trelawney zurück, packte die Bücher ein und schloß die Taschen. Selbst Ron mied Harrys Blick.

»Bis zum nächsten Mal«, sagte Professor Trelawney matt,»möge das Glück mit euch sein. Ach, und, mein Lieber -«, sie deutete auf Neville,»du wirst das nächste Mal zu spät kommen, also arbeite besonders fleißig, damit du den Stoff aufholst.«

Harry, Ron und Hermine kletterten schweigend Professor Trelawneys Leiter und die enge Wendeltreppe hinunter und machten sich auf den Weg zur Verwandlungsstunde bei Professor McGonagall. Sie brauchten so lange, um ihr Klassenzimmer zu finden, daß sie, obwohl sie früh aus Wahrsagen gekommen waren, fast zu spät kamen.

Harry entschied sich für einen Platz ganz hinten, weil er sich fühlte, als würde ihn ein sehr heller Scheinwerfer anstrahlen; die anderen in der Klasse warfen ihm unablässig flüchtige Blicke zu, als ob er jeden Moment tot umfallen würde. Er hörte kaum, was Professor McGonagall ihnen über Animagi erzählte (Zauberer, die sich nach Belieben in Tiere verwandeln konnten), und sah nicht einmal hin, als sie sich vor ihren Augen in eine getigerte Katze mit Brillenringen um die Augen verwandelte.

»Sagt mal, was ist denn heute in euch gefahren?«, sagte Professor McGonagall, verwandelte sich mit einem leisen Plop in sich selbst zurück und musterte sie reihum.»Nicht daß es mir was ausmachen würde, aber das ist die erste meiner Verwandlungen, bei der ich keinen Beifall von der Klasse bekomme.«

Alle Köpfe wandten sich wieder Harry zu, doch niemand sagte ein Wort. Dann hob Hermine die Hand.

»Bitte, Professor, wir haben eben unsere erste Stunde Wahrsagen gehabt und wir haben Teeblätter gedeutet und -«

»Aah, natürlich«, sagte Professor McGonagall, nun plötzlich die Stirn runzelnd.»Sie brauchen mir gar nichts weiter zu erklären, Miss Granger. Und, wer von Ihnen wird dieses Jahr sterben?«

Alle starrten sie an.

»Ich«, sagte Harry schließlich.

»Verstehe«, sagte Professor McGonagall und fixierte Harry mit ihren Perlenaugen.»Dann sollten Sie wissen, Potter, daß Sibyll Trelawney, seit sie an dieser Schule ist Jahr für Jahr den Tod eines Schülers vorausgesagt hat. Keiner davon ist bislang gestorben. Todesomen zu sehen ist ihre bevorzugte Art, eine neue Klasse willkommen zu heißen. Ich spreche eigentlich nie schlecht über Kollegen, aber.».«

Professor McGonagall verstummte mit aufgeblähten Nasenflügeln. Etwas ruhiger fuhr sie fort.

»Wahrsagen ist einer der ungenauesten Zweige der Magie. Ich möchte Ihnen nicht verheimlichen, daß ich mich nicht weiter damit abgebe. Wahre Seher sind sehr selten, und Professor Trelawney -«

Wieder verstummte sie und sagte dann in nüchternem Ton:

»Sie scheinen mir bei bester Gesundheit zu sein, Potter, also werden Sie mir verzeihen, wenn ich Ihnen trotz allem Hausaufgaben gebe. Wenn Sie Sterben, brauchen Sie die Arbeit nicht abzugeben, das versichere ich Ihnen.«

Hermine lachte. Harry fühlte sich etwas wohler. Fern vom roten Dämmerlicht und den benebelnden Düften in Professor Trelawneys Klassenzimmer wurde ihm nicht so schnell angst und bange. Jedoch nicht alle waren überzeugt; Ron sah immer noch besorgt aus und Lavender flüsterte:»Aber was ist mit Nevilles Untertasse?«

Nach der Verwandlungsstunde schlossen sie sich der vielköpfigen Schar an, die lachend und schwatzend zum Mittagessen in die Große Halle strömte.

»Kopf hoch, Ron«, sagte Hermine und schob ihm einen Teller Fleischeintopf zu.»Du hast doch gehört, was Professor McGonagall gesagt hat.«

Ron schöpfte sich Eintopf auf den Teller und nahm den Löffel in die Hand, begann jedoch nicht zu essen.

»Harry«, sagte er mit leiser und ernster Stimme,»du hast doch nicht etwa zufällig irgendwo einen großen schwarzen Hund gesehen?«

»Doch, hab ich«, sagte Harry.»In der Nacht, als ich von den Dursleys abgehauen bin.«

Rons Löffel fiel klappernd auf den Teller.

»Wahrscheinlich ein streunender Köter«, sagte Hermine gelassen.

Ron sah Hermine an, als wäre sie verrückt geworden.

»Hermine, wenn Harry einen Grimm sieht, dann ist das – dann ist das schlecht«, sagte er.»Mein – mein Onkel Bilius hat mal einen gesehen und – und vierundzwanzig Stunden später ist er gestorben!«

»Zufall«, sagte Hermine schnippisch und schenkte sich Kürbissaft nach.

»Du weißt doch nicht, wovon du redest!«, sagte Ron und Zorn stieg ihm ins Gesicht.»Grimme erschrecken die meisten Zauberer zu Tode!«

»Da hast du es«, sagte Hermine in überlegenem Ton.»Sie sehen den Grimm und sterben vor Angst. Der Grimm ist kein Omen, er ist die Todesursache! Und Harry ist noch unter uns, weil er nicht so bescheuert ist, einen zu sehen und dann zu denken, schön und gut, geb ich also besser den Löffel ab!«

Ron starrte Hermine sprachlos an. Sie öffnete ihre Tasche, zog ihr neues Arithmantikbuch heraus, schlug es auf und lehnte es gegen den Saftkrug.

»Mir kommt Wahrsagen recht neblig vor«, sagte sie, während sie nach der richtigen Seite suchte,»'ne Menge Rumgerätsel, wenn ihr mich fragt.«

»An diesem Grimm auf dem Teller war nichts Nebliges!«, sagte Ron erhitzt.

»Du warst dir noch nicht so sicher, als du Harry gesagt hast, es sei ein Schaf«, sagte Hermine kühl.

»Professor Trelawney hat gesagt, du hast nicht die richtige Aura! Zur Abwechslung bist du mal 'ne richtige Lusche in einem Fach, und das gefällt dir nicht!«

Er hatte einen empfindlichen Nerv getroffen. Hermine klatschte ihr Arithmantikbuch so hart auf den Tisch, daß überall Fleisch- und Karottenstückchen umherflogen.

»Wenn gut sein in Wahrsagen heißt, daß ich so tun muß, als würde ich Todesomen in einem Haufen Teeblätter erkennen, dann weiß ich nicht, ob ich das Zeug überhaupt lernen soll! Dieser Unterricht war im Vergleich zu meiner Arithmantikstunde einfach haarsträubender Unfug!«

Sie packte ihre Tasche und schritt stolz von dannen.

Stirnrunzelnd sah ihr Ron nach.

»Wovon redet sie eigentlich?«, sagte er zu Harry.»Sie war doch noch gar nicht in Arithmantik.«

Harry war froh, nach dem Mittagessen nach draußen zu kommen. Der Regen von gestern hatte sich verzogen; der Himmel war klar und blassgrau; das feuchte Gras unter ihren Füßen federte, als sie zu ihrer ersten Stunde Pflege magischer Geschöpfe gingen.

Ron und Hermine schwiegen sich an. Harry ging ebenfalls schweigend neben ihnen her, über den sanft abfallenden Rasen hinüber zu Hagrids Hütte am Rande des Verbotenen Waldes. Erst als er drei nur zu bekannte Rücken vor sich sah, wurde ihm klar, daß sie zusammen mit den Slytherins Unterricht hatten. Malfoy redete lebhaft auf Crabbe und Goyle ein, die gackernd lachten. Harry ahnte wohl, worüber sie sprachen.

Hagrid wartete an der Tür seiner Hütte auf die Klasse. Da stand er in seinem Umhang aus Maulwurffell, Fang, den Saurüden, an den Fersen, und schien kaum erwarten zu können, endlich anzufangen.

»Kommt, bewegt euch!«, rief er den näher kommenden Schülern zu.»Hab 'ne kleine Überraschung für euch! Wird 'ne tolle Stunde! Sind alle da? Schön, dann folgt mir!«

Einen quälenden Moment lang dachte Harry, Hagrid würde sie in den Wald führen; dort hatte Harry genug Schreckliches erlebt, um für den Rest des Lebens die Nase voll zu haben. Doch Hagrid ging um einen Ausläufer des Waldes herum und fünf Minuten später standen sie am Rand einer Art Pferdekoppel. Sie war leer.

»Stellt euch dort drüben am Zaun auf!«, rief er.«Sehr schön – paßt auf, daß alle etwas sehen können – und jetzt schlagt erst mal eure Bücher auf -«

»Wie denn?«, ertönte das kalte Schnarren Malfoys.

»Was denn?«, sagte Hagrid.

»Wie sollen wir unsere Bücher öffnen?«, sagte Malfoy. Er nahm sein Monsterbuch der Monster heraus, das er mit einem langen Seil zugebunden hatte. Auch die anderen zogen ihre Bücher hervor; manche, wie Harry, hatten es mit einem Gürtel zugeschnürt; andere hatten sie in enge Taschen gestopft oder sie mit großen Wäscheklammern gezähmt.

»Hat denn… hat denn kein Einziger sein Buch öffnen können?«, fragte Hagrid ganz verdattert.

Die Schüler schüttelten die Köpfe.

»Ihr müßt sie streicheln«, sagte Hagrid, als wäre es ganz selbstverständlich.»Seht mal -«

Er nahm Hermines Buch und riß das Zauberband herunter. Das Buch versuchte zu beißen, doch Hagrid fuhr mit seinem riesigen Zeigefinger an seinem Rücken entlang und das Buch fing an zu zittern, klappte auf und blieb ruhig in seiner Hand liegen.

»Oh, wie dumm wir doch alle waren!«, höhnte Malfoy.»Wir hätten sie streicheln sollen! Da hätten wir doch von allein draufkommen können!«

»Ich – ich dachte, sie sind ganz lustige Dinger«, sagte Hagrid unsicher zu Hermine.

»Oh – total lustig!«, sagte Malfoy.»Unglaublich witzig, uns Bücher zu geben, die uns die Hände abreißen wollen!«

»Halt den Mund, Malfoy«, sagte Harry leise. Hagrid wirkte bedrückt und Harry wollte, daß seine erste Stunde ein Erfolg würde.

»Na denn«, sagte Hagrid, der den Faden verloren zu haben schien,»also – ihr habt jetzt eure Bücher – und – jetzt braucht ihr die magischen Tiere. ja. Also geh ich sie mal holen. Wartet mal…«

Er ging in Richtung Wald davon und verschwand.

»Mein Gott, diese Schule geht noch vor die Hunde«, sagte Malfoy laut.»Dieser Hornochse gibt auch noch Unterricht, mein Vater kriegt 'nen Anfall, wenn ich ihm das erzähle.«

»Halt den Mund, Malfoy«, sagte Harry noch einmal.

»Paß auf, Potter, hinter dir steht ein Dementor!«

»Uuuuuuh!«, kreischte Lavender Brown und deutete auf die andere Seite der Koppel.

Ein Dutzend der wunderlichsten Kreaturen, die Harry je gesehen hatte, trotteten auf sie zu. Sie hatten die Körper, Hinterbeine und Schwänze von Pferden, doch die Vorderbeine, Flügel und Köpfe waren die riesiger Adler mit grausamen, stahlfarbenen Schnäbeln und großen, leuchtend orangeroten Augen. Die Krallen an ihren Vorderbeinen waren lang wie Hände und sahen todbringend aus. Jedes der Biester hatte einen dicken Lederkragen um den Hals, an dem eine lange Kette befestigt war, und alle Ketten liefen in den Pranken Hagrids zusammen, der hinter den Wesen in die Koppel gelaufen kam.

»Uuiii, hoch da!«, brüllte er mit den Ketten klirrend und trieb die Biester an die Stelle des Zauns, wo die Klasse stand. Alle wichen ein wenig zurück, als Hagrid näher kam und die Geschöpfe an den Zaun band.

»Hippogreife«, donnerte Hagrid glückselig und winkte Ihnen zu.»Herrlich, nicht wahr?«

Harry sah durchaus, was Hagrid meinte. Wenn man einmal den ersten Schreck angesichts einer Kreatur überwunden hatte, die halb Pferd, halb Vogel war, lernte man den Anblick der Hippogreife zu schätzen, deren schimmerndes Gefieder allmählich in Fell überging. Sie waren alle von ganz unterschiedlicher Farbe: sturmgrau, bronze, rostrot, schimmernd kastanienbraun und tintenschwarz.

Hagrid rieb sich die Hände und strahlte in die Runde.»So«, sagte er,»wollt ihr nicht ein wenig näher kommen?«

Keiner schien sich darum zu reißen. Harry, Ron und Hermine jedoch näherten sich vorsichtig dem Zaun.

»Nun, als Erstes müßt ihr wissen, daß Hippogreife stolz sind«, sagte Hagrid.»Sind leicht beleidigt, diese Hippogreife. Beleidigt nie keinen, denn das könnte eure letzte Tat gewesen sein.«

Malfoy, Crabbe und Goyle hörten nicht zu; sie unterhielten sich gedämpft und Harry hatte das unangenehme Gefühl, daß sie ausheckten, wie sie den Unterricht am besten stören konnten.

»Ihr müßt immer abwarten, bis der Hippogreif den ersten Schritt macht«, fuhr Hagrid fort.»Das ist höflich, versteht ihr? Ihr geht auf ihn zu und verbeugt euch und wartet. Wenn er sich auch verbeugt, dürft ihr ihn berühren. Wenn er's nicht tut, dann macht euch schleunigst davon, denn diese Krallen tun weh.

Also, wer will als Erster?«

Die meisten wichen noch weiter zurück. Auch Harry, Ron und Hermine war nicht wohl zumute. Die Hippogreife warfen ihre grimmigen Köpfe in die Luft und spannten ihre mächtigen Flügel; offenbar konnten sie es nicht leiden, angezäunt zu sein.

»Keiner?«, sagte Hagrid mit flehendem Blick.

»Ich mach's«, sagte Harry.

Hinter sich hörte er ein lautes Aufatmen und Lavender und Parvati flüsterten:»Ooooo nein, Harry, denk an deine Teeblätter!«

Harry achtete nicht auf sie. Er kletterte über den Zaun der Koppel.

»Mutiger Junge, Harry!«, polterte Hagrid.»Gut, schauen wir mal, wie du mit Seidenschnabel zurechtkommst.«

Er löste eine der Ketten, zog den grauen Hippogreif von seinen Artgenossen fort und befreite ihn von seinem Lederkragen. Die Klasse auf der anderen Seite des Zauns schien den Atem anzuhalten. Malfoys Augen waren gehässig verengt.

»Ruhig jetzt, Harry«, sagte Hagrid leise.»Du blickst ihm in die Augen, und versuch jetzt, nicht zu blinzeln… Hippogreife trauen dir nicht, wenn du zu viel blinzelst…«

Sofort wurden Harrys Augen feucht, doch er hielt sie offen. Seidenschnabel hatte seinen großen, scharf geschnittenen Kopf zur Seite geneigt und starrte Harry mit einem grimmigen orangefarbenen Auge an.

»Sehr gut, Harry«, sagte Hagrid.»Sehr gut, Harry… und jetzt verbeug dich…«

Harry hatte keine große Lust, Seidenschnabel seinen Nacken preiszugeben, doch er tat, wie ihm geheißen. Er verneigte sich kurz und sah dann auf

Der Hippogreif starrte ihn immer noch herablassend an. Er rührte sich nicht.

»Ah«, sagte Hagrid beunruhigt.»Na gut, zieh dich zurück, Harry, und ganz vorsichtig -«

Doch zu Harrys gewaltiger Überraschung knickte der Hippogreif plötzlich seine geschuppten Vorderknie ein und neigte unmißverständlich den Kopf

»Gut gemacht, Harry!«, sagte Hagrid ganz begeistert,»schön, du kannst ihn anfassen! Tätschel seinen Schnabel, nur zu!«

Harry hätte sich zur Belohnung lieber das Ende der Vorstellung gewünscht, doch er ging langsam auf den Hippogreif zu und streckte die Hand nach ihm aus. Er tätschelte ein wenig den Schnabel und der Hippogreif schloß entspannt die Augen, als würde es ihm gefallen.

Die ganze Klasse, außer Malfoy, Crabbe und Goyle, die äußerst mißvergnügt wirkten, brach in stürmischen Beifall aus.

»Jetzt weiter, Harry«, sagte Hagrid,»ich schätze, er läßt dich reiten!«

Damit allerdings hatte Harry nicht gerechnet. Er konnte auf einem Besen durch die Lüfte fliegen; doch er war sich nicht sicher, ob ein Hippogreif nicht etwas ganz anderes war.

»Steig auf, gleich hinter den Flügelansatz«, sagte Hagrid,»und paß auf, daß du keine Federn rausziehst, das mag er gar nicht…«

Harry setzte den Fuß auf den Flügel des Hippogreifs und schwang sich auf seinen Rücken. Seidenschnabel erhob sich. Harry wußte nicht recht, wo er sich festhalten sollte; alles vor ihm war voller Federn.

»Dann mal los!«, polterte Hagrid und klatschte dem Hippogreif auf den Hintern.

Ohne Vorwarnung spannte das Geschöpf seine drei Meter langen Flügel zu beiden Seiten von Harry aus; der hatte gerade noch Zeit, die Arme um seinen Hals zu schlingen, dann schoß er in die Höhe. Es war nicht zu vergleichen mit einem Besen, und Harry wußte, was er lieber fliegen wollte; die Flügel des Hippogreifs schlugen heftig aus, gerieten unter seine Beine und drohten ihn abzuwerfen; die schimmernden Federn rutschten ihm durch die Finger, doch er wagte nicht, sie fester zu packen; dies war nicht das sanfte Gleiten seines Nimbus Zweitausend; das Hinterteil des Hippogreifs hob und senkte sich mit jedem Flügelschlag und Harry wippte vor und zurück.

Seidenschnabel flog ihn einmal um die Koppel herum; dann neigte er den Kopf zur Erde; es war dieser steile Sinkflug, vor dem Harry Angst hatte; er lehnte sich zurück, als der glatte Hals sich nach unten beugte, und hatte das Gefühl, über den Schnabel abzurutschen. Dann gab es einen schmerzhaften Aufprall, als die vier schlecht zusammenpassenden Füße auf dem Boden aufschlugen; er konnte sich gerade eben noch festhalten und richtete sich wieder auf.

»Gut gemacht, Harry!«, rief Hagrid, und alle außer Malfoy, Crabbe und Goyle brachen in Jubel aus.»Gut, wer will als Nächster?«

Ermutigt durch Harrys Erfolg kletterte auch der Rest der Klasse vorsichtig in die Koppel. Hagrid löste die Hippogreife nacheinander von ihren Ketten, und bald waren auf der ganzen Koppel Schüler verteilt, die sich nervös verbeugten. Neville stolperte immer wieder rückwärts davon, denn sein Hippogreif wollte einfach nicht in die Knie gehen. Ron und Hermine übten unter den Augen von Harry mit einem kastanienbraunen Tier.

Malfoy, Crabbe und Goyle hatten sich Seidenschnabel vorgenommen. Er hatte sich vor Malfoy verbeugt, der ihm jetzt mit verächtlichem Blick den Schnabel tätschelte.

»Das ist doch kinderleicht«, schnarrte Malfoy so laut, daß Harry es hören konnte, hab ich doch gleich gewußt, wenn Potter es schafft… ich wette, du bist überhaupt nicht gefährlich, oder?«, sagte er zu dem Hippogreif,»oder doch, du großes häßliches Scheusal?«

Man sah nur ein stählernes Schnabelblitzen; von Malfoy kam ein durchdringender Schrei und schon war Hagrid zur Stelle. Er zwängte den Lederkragen über den Hals von Seidenschnabel und bemühte sich, zu Malfoy zu gelangen, der zusammengerollt im Gras lag. Blutflecken erschienen auf seinem Umhang und wurden langsam größer.

»Ich sterbe!«, schrie Malfoy, und Panik machte sich breit.»Ich sterbe, seht her! Es hat mich umgebracht!«

»Du stirbst nicht!«, sagte Hagrid mit todbleichem Gesicht.»Helft mir mal, ich muß ihn hier rausbringen -«

Hermine lief zum Tor und öffnete es, während Hagrid Malfoy mühelos von der Erde hob. Als Hagrid vorbeiging, bemerkte Harry eine lange, klaffende Wunde an Malfoys Arm; Blut besprenkelte das Gras, während Hagrid mit seiner Last den Abhang zum Schloß hochrannte.

Ratlos und verängstigt folgte ihm die Klasse. Die Slytherins schimpften lauthals über Hagrid.

»Sie sollten ihn sofort rauswerfen!«, sagte Pansy Parkinson mit Tränen in den Augen.

»Malfoy war doch selber schuld«, herrschte sie Dean Thomas an. Crabbe und Goyle spielten drohend mit den Muskeln.

Sie stiegen die steinerne Treppe zur menschenleeren Eingangshalle empor.

»Ich schau nach, wie es ihm geht!«, sagte Pansy, und die Blicke der Übrigen folgten ihr die marmorne Treppe hoch. Die Slytherins, immer noch über Hagrid schimpfend, zogen sich in ihren Gemeinschaftsraum unten in den Kerkern zurück; Harry, Ron und Hermine gingen die Treppen hoch zum Turm der Gryffindors.

»Glaubst du, er wird wieder gesund?«, sagte Hermine nervös.

»Natürlich, Madam Pomfrey kann Wunden in ein paar Sekunden heilen«, sagte Harry, dem die Krankenschwester schon viel schlimmere Verletzungen mit Zauberkräften geheilt hatte.

»Das war eine ziemlich üble Geschichte, ausgerechnet in Hagrids erster Unterrichtsstunde, meint ihr nicht?«, sagte Ron besorgt.»Ich wette, Malfoy wird ihm die Hölle heiß machen…«

Sie waren unter den Ersten, die zum Abendessen in die Große Halle kamen, weil sie hofften, Hagrid zu treffen. Doch er kam nicht.

»Sie werden ihn doch nicht entlassen?«, sagte Hermine besorgt und rührte ihren Pudding nicht an.

»Das sollen sie bloß nicht wagen«, sagte Ron, der ebenfalls nichts runterbrachte.

Harry beobachtete den Tisch der Slytherins. Crabbe und Goyle und eine Menge andere Schüler saßen dort, die Köpfe zusammengesteckt, und redeten fieberhaft aufeinander ein. Harry war sich sicher, sie würden ihre eigene Geschichte zusammenbrauen, wie es zu Malfoys Verletzung gekommen war.

»Immerhin kann man nicht behaupten, der erste Schultag sei langweilig gewesen«, sagte Ron mit düsterer Miene.

Nach dem Essen gingen sie nach oben in den belebten Gemeinschaftsraum der Gryffindors und versuchten ihre Hausaufgaben für Professor McGonagall zu machen, doch alle drei unterbrachen ständig die Arbeit und spähten aus dem Turmfenster.

»Bei Hagrid drüben brennt Licht«, sagte Harry plötzlich.

Ron sah auf die Uhr.

»Wenn wir uns beeilen, können wir ihn besuchen, es ist immer noch recht früh…«

»Ich weiß nicht«, sagte Hermine bedächtig und Harry fing ihren Blick auf

»Ich darf sehr wohl über das Schulgelände gehen«, sagte er entschieden.»Sirius Black ist noch nicht an den Dementoren vorbeigekommen, oder?«

Also räumten sie ihre Sachen zusammen und kletterten durch das Porträtloch, froh, auf dem Weg zum Schloßportal niemanden zu treffen, denn ganz sicher waren sie sich ihrer Sache nicht.

Das Gras war immer noch naß und wirkte im Dämmerlicht fast schwarz. Vor Hagrids Hütte angelangt, klopften sie, und eine Stimme knurrte:»Herein.«

Hagrid saß in Hemdsärmeln an seinem polierten Holztisch; sein Saurüde Fang hatte den Kopf in seinen Schoß gelegt. Ein Blick genügte, um zu erkennen, daß Hagrid einiges getrunken hatte; vor ihm stand ein Zinnhumpen, fast so groß wie ein Eimer, und er schien Schwierigkeiten zu haben, sie klar zu sehen.

»Vermute mal, 's is 'n Rekord«, sagte er mit bräsiger Stimme, als er sie erkannt hatte.»Ham wohl noch kein' Lehrer gehabt, der nur 'nen Tag lang dabei war.«

»Du bist doch nicht entlassen!«, rief Hermine und hielt den Atem an.

»Noch nich«, sagte Hagrid bedrückt und nahm einen gewaltigen Schluck von was auch immer aus seinem Humpen.»Aber 's iß nur 'ne Frage der Sseit, nach der Ssache mit Maffoy…«

Sie setzten sich.»Wie geht's ihm denn?«, fragte Ron,»war doch nichts Ernstes, oder?«

»Ma'm Pomfrey hat ihn so gut sie konnte zusamm'geflickt«, sagte Hagrid dumpf,»aber er ssagt, er leide immer noch Todesqualen… alles in Bandagen… stöhnt die ganze Zeit…«

»Er tut doch nur so«, sagte Harry ohne Umschweife.»Madam Pomfrey kann alles heilen. Letztes Jahr hat sie die Hälfte meiner Knochen nachwachsen lassen. Daß Malfoy die Sache jetzt ausnutzt, war ja klar.«

»Der Schulbeirat is unterrichtet worden, natürlich«, sagte Hagrid niedergeschlagen.»Die meinen, ich wär zu groß eingestiegen. Hätte die Hippogreife für später aufheben sollen… lieber mit Flubberwürmern oder so was anfangen sollen… dachte nur, es wär 'ne gute erste Stunde für euch… alles mein Fehler…«

»Es ist alles Malfoys Fehler, Hagrid«, sagte Hermine mit ernster Stimme.

»Wir sind Zeugen«, sagte Harry.»Du hast gesagt, Hippogreife werden böse, wenn man sie beleidigt. Es ist Malfoys Problem, wenn er nicht hören wollte. Wir sagen Dumbledore, was wirklich passiert ist.«

»Ja, mach dir keine Sorgen, Hagrid, wir holen dich da raus«, sagte Ron.

Tränen kullerten aus den runzligen Winkeln um Hagrids käferschwarze Augen. Er packte Harry und Ron und umarmte sie, daß ihre Knochen krachten.

»Ich glaube, du hast genug getrunken«, sagte Hermine streng. Sie nahm den Humpen vom Tisch, ging nach draußen und schüttete ihn aus.

»Aaarh, vielleicht hat sie Recht«, sagte Hagrid und ließ Harry und Ron los, die beide zurückstolperten und sich die Rippen rieben. Hagrid hievte sich aus dem Stuhl und schwankte nach draußen zu Hermine. Sie hörten einen lauten Platscher.

»Was hat er getan?«, fragte Harry nervös, als Hermine mit dem leeren Humpen hereinkam.

»Den Kopf ins Wasserfaß getaucht«, sagte Hermine und räumte den Humpen beiseite.

Hagrid kam zurück, das Haar und der Bart klitschnaß, und wischte sich das Wasser aus den Augen.

»Jetzt geht's besser«, sagte er, schüttelte den Kopf wie ein Hund und spritzte sie alle naß.»Hört mal, das war gut, daß ihr mich besucht habt, ich bin wirklich -«

Hagrid verstummte jäh und starrte Harry an, als hätte er erst jetzt erkannt, wen er vor sich hatte.

»Was glaubst du eigentlich, was du hier zu suchen hast?«, brüllte er so plötzlich los, daß sie einen Luftsprung machten.»Du stromerst hier nicht rum, wenn es dunkel ist, Harry! Und ihr beiden! Ihr laßt ihn auch noch gehen!«

Hagrid war mit einem Schritt bei Harry, packte ihn am Arm und schleifte ihn zur Tür.

»Kommt schon!«, sagte Hagrid zornig,»ich bring euch alle drei hoch zur Schule, und laßt euch ja nicht mehr bei mir Blicken, wenn es dunkel ist. Das bin ich nicht wert!«