"Harry Potter und der Halbblutprinz" - читать интересную книгу автора (Rowling Joanne K.)

Dracos Abstecher

Harry verließ in den nächsten Wochen den Fuchsbau und seinen Garten nicht. Er verbrachte seine Tage meist damit, im Obstgarten der Weasleys zwei gegen zwei Quidditch zu spielen (er und Hermine gegen Ron und Ginny; Hermine war katastrophal und Ginny gut, also waren sie einigermaßen gleich stark), an den Abenden aß er drei Portionen von allem, was Mrs Weasley ihm auftischte.

Es wären glückliche, friedliche Ferien gewesen, wenn nicht fast täglich Berichte über verschwundene Leute, merkwürdige Unfälle, ja sogar über Todesfälle im Tagespropheten erschienen wären. Manchmal brachten Bill und Mr Weasley Neuigkeiten mit nach Hause, ehe sie überhaupt in die Zeitung gelangten. Zu Mrs Weasleys Missfallen wurde die Feier von Harrys sechzehntem Geburtstag von grausigen Nachrichten überschattet; Remus Lupin brachte sie mit, der ausgezehrt und verbittert wirkte, das braune Haar voller grauer Strähnen, die Kleider zerlumpter und geflickter denn je.

»Es gab noch ein paar weitere Dementorenangriffe«, verkündete er, als Mrs Weasley ihm ein großes Stück Geburtstagskuchen reichte. »Und man hat Igor Karkaroffs Leiche in einer Hütte oben im Norden gefunden. Sie haben das Dunkle Mal darüber aufsteigen lassen – also, ehrlich gesagt wundert es mich, dass er ein ganzes Jahr überlebt hat, nachdem er die Todesser verließ. Sirius' Bruder Regulus hat es nur ein paar Tage geschafft, soweit ich mich erinnere.«

»Nun ja«, sagte Mrs Weasley stirnrunzelnd, »vielleicht sollten wir über was anderes – «

»Hast du das mit Florean Fortescue gehört, Remus?«, fragte Bill, dem Fleur dauernd neuen Wein eingoss. »Der Mann, der den …«

»… Eissalon in der Winkelgasse hat?«, unterbrach ihn Harry mit einem unangenehmen, dumpfen Gefühl in der Magengrube. »Er hat mir immer Eis geschenkt. Was ist mit ihm passiert?«

»Wurde verschleppt, so, wie es in seinem Laden aussieht.«

»Weshalb?«, fragte Ron, während Mrs Weasley Bill einen wütenden Blick zuwarf.

»Wer weiß? Er muss sie irgendwie geärgert haben. War ein guter Kerl, Florean.«

»Da wir gerade von der Winkelgasse sprechen«, sagte Mr Weasley, »sieht aus, als wäre Ollivander auch verschwunden.«

»Der Zauberstabmacher?«, sagte Ginny mit bestürzter Miene.

»Genau. Der Laden ist leer. Keine Spur von einem Kampf. Keiner weiß, ob er freiwillig gegangen ist oder entführt wurde.«

»Aber Zauberstäbe – was machen die Leute ohne Zauberstäbe?«

»Die werden sich mit anderen Herstellern begnügen«, sagte Lupin. »Aber Ollivander war der beste, und wenn die andere Seite ihn hat, ist das nicht gerade gut für uns.«

Am Tag nach diesem ziemlich düsteren Geburtstagstee kamen ihre Briefe und Bücherlisten aus Hogwarts an. Für Harry war eine Überraschung dabei: Er war zum Quidditch-Kapitän ernannt worden.

»Damit hast du den gleichen Rang wie ein Vertrauensschüler!«, rief Hermine glücklich. »Jetzt kannst du unser spezielles Badezimmer benutzen und alles!«

»Wow, ich weiß noch, wie Charlie so eins getragen hat«, sagte Ron und betrachtete freudig das Abzeichen. »Harry, das ist so was von cool, du bist mein Kapitän – vorausgesetzt, du holst mich wieder in die Mannschaft, haha …«

»Nun, ich denke, wir können einen Besuch in der Winkelgasse nicht mehr länger aufschieben, jetzt, wo ihr die habt«, seufzte Mrs Weasley mit Blick auf Rons Bücherliste. »Wir gehen am Samstag, falls euer Vater nicht wieder zur Arbeit muss. Ohne ihn geh ich nicht dorthin.«

»Mum, glaubst du wirklich, Du-weißt-schon-wer versteckt sich hinter einem Bücherregal bei Flourish amp; Blotts?«, sagte Ron kichernd.

»Fortescue und Ollivander sind also im Urlaub?«, erwiderte Mrs Weasley, die sofort wütend wurde. »Wenn du denkst, mit der Sicherheitsfrage lässt sich spaßen, dann kannst du hier bleiben und ich besorg dir deine Sachen alleine – «

»Nein, ich will mitkommen, ich will den Laden von Fred und George sehen!«, sagte Ron hastig.

»Dann reiß dich zusammen junger Mann, sonst beschließe ich, dass du zu kindisch bist, um mit uns zu kommen!«, sagte Mrs Weasley verärgert, schnappte sich ihre Uhr, deren neun Zeiger alle immer noch auf tödliche Gefahr deuteten, und legte sie oben auf einen Stapel frisch gewaschener Handtücher. »Und das gilt auch für deine Rückkehr nach Hogwarts!«

Ron wandte sich zu Harry um und starrte ihn ungläubig an, während seine Mutter den Wäschekorb und die kippelnde Uhr hochhob und aus dem Zimmer stürmte.

»Meine Güte … hier kann man ja nicht mal mehr einen Witz machen …«

Aber Ron war in den folgenden Tagen sorgsam darauf bedacht, sich nicht über Voldemort lustig zu machen. Der Samstag brach an ohne weitere Wutanfälle von Mrs Weasley, obwohl sie beim Frühstück sehr angespannt schien. Bill, der mit Fleur zu Hause bleiben würde (zur besonderen Freude von Hermine und Ginny), reichte Harry einen Beutel voller Geld über den Tisch.

»Wo ist meins?«, wollte Ron sofort wissen, die Augen weit aufgerissen.

»Das gehört doch Harry, Idiot«, sagte Bill. »Ich hab es dir aus deinem Verlies geholt, Harry, denn zurzeit dauert es für normale Kunden etwa fünf Stunden, bis sie an ihr Gold kommen, die Kobolde haben die Sicherheitsmaßnahmen derart verschärft. Vor zwei Tagen bohrten sie Arkie Philpott eine Seriositätssonde in den … Also, glaub mir, es ist einfacher so.«

»Danke, Bill«, sagte Harry und steckte sein Gold ein.

»Er ist immer so suvorkommend«, schnurrte Fleur voller Bewunderung und streichelte Bills Nase. Hinter Fleur tat Ginny so, als müsste sie sich in ihr Müsli erbrechen. Harry verschluckte sich an seinen Cornflakes und Ron klopfte ihm auf den Rücken.

Es war ein trüber, nebliger Tag. Als sie sich die Umhänge überzogen und aus dem Haus traten, erwartete sie vorn auf dem Hof einer der Spezialwagen des Ministeriums, mit dem Harry früher schon einmal gefahren war.

»Gut, dass Dad uns die jetzt wieder besorgen kann«, sagte Ron anerkennend und streckte sich genüsslich, während der Wagen sich zügig vom Fuchsbau entfernte, wo Bill und Fleur noch aus dem Küchenfenster winkten. Er, Harry, Hermine und Ginny saßen alle bequem auf dem geräumigen, breiten Rücksitz.

»Gewöhnt euch nicht daran, das ist nur wegen Harry«, sagte Mr Weasley über die Schulter. Er und Mrs Weasley saßen vorne beim Fahrer des Ministeriums; der Vordersitz hatte sich gefügig zu einer Art Zweisitzersofa ausgestreckt. »Für ihn gilt die höchste Sicherheitsstufe. Und im Tropfenden Kessel bekommen wir dann auch noch Verstärkung.«

Harry sagte nichts; er hatte keine sonderliche Lust, seine Einkäufe zu erledigen, wenn ein Bataillon Auroren um ihn herum war. Er hatte seinen Tarnumhang im Rucksack verstaut und war der Meinung, wenn Dumbledore den für ausreichend hielt, dann sollte er auch dem Ministerium reichen, doch jetzt, wo er darüber nachdachte, war er gar nicht sicher, ob das Ministerium überhaupt von seinem Tarnumhang wusste.

»Nun, da sind wir«, sagte der Fahrer, der bisher kein Wort gesprochen hatte, erstaunlich wenig später, bremste in der Charing Cross Road und hielt vor dem Tropfenden Kessel. »Ich soll auf Sie warten, wissen Sie ungefähr, wie lange Sie brauchen?«

»Zwei Stunden, schätze ich«, sagte Mr Weasley. »Ah, schön, er ist da!«

Harry spähte wie Mr Weasley aus dem Fenster; sein Herz machte einen Hüpfer. Vor dem Pub warteten keine Auroren, sondern die riesige Gestalt von Rubeus Hagrid, dem schwarzbärtigen Wildhüter von Hogwarts, in einer langen Biberpelzjacke. Als er Harrys Gesicht sah, strahlte er, ohne die verdutzten Blicke der vorübergehenden Muggel zu bemerken.

»Harry!«, dröhnte er, und kaum war Harry aus dem Wagen gestiegen, schloss Hagrid ihn auch schon in eine knochenbrecherische Umarmung. »Seidenschnabel – Federflügel, meine ich –, du solltest ihn sehn, Harry, er is' so glücklich, dass er wieder an der frischen Luft ist – «

»Bin froh, dass es ihm gut geht«, sagte Harry und massierte sich grinsend die Rippen. »Wir wussten nicht, dass du die so genannte ›Verstärkung‹ bist!«

»Ich weiß, genau wie in alten Zeiten, nich wahr? Das Ministerium wollt dir 'nen Haufen Auroren schicken, verstehst du, aber Dumbledore meinte, ich würd reichen«, sagte Hagrid stolz, warf sich in die Brust und steckte seine Daumen in die Taschen. »Na dann mal los – nach euch, Molly, Arthur – «

Der Tropfende Kessel war zum ersten Mal, soweit Harry sich erinnern konnte, vollkommen leer. Nur Tom, der verhutzelte und zahnlose Wirt, war von der alten Truppe übrig geblieben. Er blickte hoffnungsvoll auf, als sie eintraten, doch ehe er etwas sagen konnte, verkündete Hagrid wichtigtuerisch: »Wir gehn heut nur durch, Tom, verstehst du sicher. In Sachen Hogwarts, weißt du.«

Tom nickte betrübt und fing wieder an Gläser zu wischen. Harry, Hermine, Hagrid und die Weasleys gingen durch den Schankraum hinaus auf den kühlen kleinen Hinterhof, wo die Mülleimer standen. Hagrid hob seinen rosa Schirm und schlug gegen einen bestimmten Stein in der Wand, die sich sofort zu einem Durchgang auf eine gewundene, gepflasterte Straße öffnete. Sie traten durch den Eingang und blieben dann stehen, um sich umzusehen.

Die Winkelgasse hatte sich verändert. Die bunten, glitzernden Schaufensterauslagen mit Zauberbüchern, Zaubertrankzutaten und Kesseln waren verschwunden, versteckt hinter großen Plakaten des Zaubereiministeriums, die über die Scheiben geklebt waren. Die meisten dieser dunkelvioletten Plakate waren eine vergrößerte Version der Merkblätter mit den Sicherheitsratschlägen, die das Ministerium den Sommer über verschickt hatte, doch andere zeigten bewegte Schwarzweißfotos von Todessern, die bekanntermaßen auf freiem Fuß waren. Bellatrix Lestrange grinste höhnisch von der Vorderfront der nächsten Apotheke herunter. Einige Fenster waren mit Brettern zugenagelt, darunter die von Florean Fortescues Eissalon. Auf der anderen Seite waren eine Reihe schäbig wirkender Stände entlang der Straße aus dem Boden geschossen. Am nächsten Stand, der vor Flourish amp; Blotts unter einer gestreiften, fleckigen Markise aufgebaut worden war, war vorn ein Pappschild befestigt:


Amulette:Wirksam gegen Werwölfe, Dementoren und Inferi

Ein elend aussehender kleiner Zauberer rasselte mit Armen voller silberner Amulettkettchen, wenn Passanten vorüberkamen.

»Eins für Ihr kleines Mädchen, Madam?«, rief er Mrs Weasley zu, als sie vorbeigingen, und schielte grinsend nach Ginny. »Damit ihr hübscher Hals geschützt ist?«

»Wenn ich im Dienst wäre …«, sagte Mr Weasley und funkelte den Amulettverkäufer zornig an.

»Ja, aber jetzt wirst du niemanden verhaften, Liebling, wir haben's eilig«, sagte Mrs Weasley und sah nervös auf eine Liste. »Ich denke, wir gehen am besten erst mal zu Madam Malkin, Hermine will einen neuen Festumhang und bei Rons Schulumhang schaut unten schon viel zu viel Knöchel raus, und du wirst auch einen neuen brauchen, Harry, du bist so gewachsen – nun kommt alle – «

»Molly, es ist Unsinn, wenn wir alle zu Madam Malkin gehen«, sagte Mr Weasley. »Warum gehen die drei hier nicht mit Hagrid, und wir können inzwischen zu Flourish amp; Blotts und die Schulbücher für alle besorgen?«

»Ich weiß nicht«, sagte Mrs Weasley besorgt, offensichtlich hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch, die Einkäufe rasch zu erledigen, und dem Bemühen, im Rudel zusammenzubleiben. »Hagrid, meinst du –?«

»Keine Bange, Molly, mit mir zusamm' passiert denen nichts«, sagte Hagrid beschwichtigend und wedelte lässig mit seiner mülleimerdeckelgroßen Hand. Mrs Weasley wirkte nicht ganz überzeugt, willigte jedoch ein, dass sie sich trennten, und huschte mit ihrem Mann und Ginny davon zu Flourish amp; Blotts, während sich Harry, Ron, Hermine und Hagrid auf den Weg zu Madam Malkin machten.

Harry fiel auf, dass viele der Leute, denen sie begegneten, den gleichen gehetzten und besorgten Gesichtsausdruck hatten wie Mrs Weasley und dass niemand mehr anhielt, um zu plaudern; die Passanten blieben in engen Grüppchen beisammen und erledigten zielstrebig ihre Besorgungen. Niemand schien allein auf Einkaufstour zu sein.

»Wird vielleicht 'n bisschen eng da drin mit uns allen«, sagte Hagrid, als er vor Madam Malkins Laden stehen blieb und gebückt durch das Fenster spähte. »Ich halt draußen Wache, alles klar?«

So betraten Harry, Ron und Hermine zusammen den kleinen Laden. Auf den ersten Blick schien er leer, doch kaum war die Tür hinter ihnen zugeschwungen, da hörten sie auch schon eine vertraute Stimme hinter einem Kleiderständer mit flitterbesetzten grünen und blauen Festumhängen.

»… kein Kind mehr, falls dir das noch nicht aufgefallen ist, Mutter. Ich bin durchaus in der Lage, meine Einkäufe allein zu erledigen.«

Ein schnalzendes Geräusch ertönte, und eine Stimme, die Harry als die von Madam Malkin erkannte, sagte: »Nun, mein Lieber, deine Mutter hat vollkommen Recht, keiner von uns sollte mehr allein herumlaufen, das hat nichts damit zu tun, ob man ein Kind ist – «

»Passen Sie auf, wo Sie die Nadel hinstecken, ja!«

Ein Junge im Teenageralter mit bleichem, spitzem Gesicht und weißblondem Haar tauchte hinter dem Kleiderständer auf, er trug einen hübschen dunkelgrünen Umhang, der am Saum und an den Ärmelrändern mit glitzernden Nadeln gespickt war. Der Junge schritt zum Spiegel und begutachtete sich; es dauerte einige Augenblicke, bis er Harry, Ron und Hermine über seiner Schulter im Spiegel bemerkte. Seine hellgrauen Augen verengten sich.

»Wenn du dich wunderst, was hier so komisch riecht, Mutter – eine Schlammblüterin ist gerade reingekommen«, sagte Draco Malfoy.

»Ich glaube nicht, dass es nötig ist, einen solchen Ton anzuschlagen!«, sagte Madam Malkin und trippelte mit einem Maßband und einem Zauberstab hinter dem Kleiderständer hervor. »Und ich verbitte es mir auch, dass in meinem Laden Zauberstäbe gezogen werden!«, fügte sie hastig hinzu, denn mit einem Blick hinüber zur Tür hatte sie erfasst, dass Harry und Ron beide mit gezückten Zauberstäben dastanden und auf Malfoy zielten.

Hermine stand dicht hinter ihnen und flüsterte: »Nein, nicht, ehrlich, das ist es nicht wert …«

»Ja, als ob ihr es wagen würdet, außerhalb der Schule zu zaubern«, höhnte Malfoy. »Wer hat dir ein Veilchen verpasst, Granger? Dem würd ich gern Blumen schicken.«

»Nun ist es aber genug!«, sagte Madam Malkin schneidend und blickte Hilfe suchend über ihre Schulter. »Madam – bitte – «

Narzissa Malfoy schlenderte hinter dem Kleiderständer hervor.

»Steckt die weg«, sagte sie kühl zu Harry und Ron. »Wenn ihr meinen Sohn noch ein Mal angreift, dann sorge ich dafür, dass es das Letzte ist, was ihr jemals tun werdet.«

»Wirklich?«, sagte Harry, trat einen Schritt vor und blickte in ihr glattes arrogantes Gesicht, das trotz all seiner Blässe doch dem ihrer Schwester ähnelte. Harry war inzwischen so groß wie sie. »Sie holen einfach ein paar von Ihren Todesserkumpels, um uns fertig zu machen, was?«

Madam Malkin schrie auf und griff sich ans Herz.

»Also wirklich, diesen Vorwurf solltest du nicht – gefährlich, so etwas zu sagen – die Zauberstäbe weg, bitte!«

Aber Harry ließ seinen Zauberstab nicht sinken. Narzissa Malfoy lächelte feindselig.

»Seit Sie Dumbledores Liebling sind, haben Sie offenbar ein falsches Gefühl der Sicherheit bekommen, Harry Potter. Aber Dumbledore wird nicht immer da sein, um Sie zu beschützen.«

Harry blickte sich mit spöttischer Miene im ganzen Laden um.

»Wow … sehen Sie nur … er ist jetzt gar nicht da! Also, warum nicht mal einen Versuch riskieren? Vielleicht findet sich in Askaban ja eine Doppelzelle für Sie und Ihren Mann, den Versager!«

Malfoy machte einen zornigen Schritt auf Harry zu, stolperte jedoch über seinen allzu langen Umhang. Ron lachte laut auf.

»Wag es nicht, so mit meiner Mutter zu sprechen, Potter!«, knurrte Malfoy.

»Schon gut, Draco«, sagte Narzissa und legte ihm beschwichtigend ihre dünnen weißen Finger auf die Schulter.

»Ich schätze, Potter wird wieder mit dem lieben Sirius vereint sein, noch ehe ich mit Lucius vereint bin.«

Harry hob den Zauberstab höher.

»Harry, nein!«, stöhnte Hermine, packte ihn am Arm und versuchte den Stab seitlich hinunterzudrücken. »Überleg doch … du darfst nicht … du kriegst dermaßen Ärger …«

Madam Malkin blieb einen Moment lang schwankend stehen, dann entschloss sie sich offenbar, so zu tun, als ob nichts wäre, in der Hoffnung, es wäre wirklich nichts. Sie beugte sich zu Malfoy, der Harry immer noch böse anstarrte.

»Ich denke, dieser linke Ärmel könnte noch ein wenig kürzer sein, mein Lieber, darf ich mal?«

»Autsch!«, brüllte Malfoy und schlug ihre Hand weg, »passen Sie auf, wo Sie Ihre Nadeln hintun, Frau! Mutter – ich glaub, ich will den nicht mehr – «

Er zog sich den Umhang über den Kopf und warf ihn Madam Malkin vor die Füße.

»Du hast Recht, Draco«, sagte Narzissa mit einem verächtlichen Blick auf Hermine, »jetzt weiß ich, was für Abschaum hier einkauft … mit Twilfitt und Tatting sind wir sicher besser bedient.«

Und mit diesen Worten marschierten die beiden aus dem Laden, wobei Malfoy es unterwegs nicht versäumte, Ron so fest er konnte anzurempeln.

»Also wirklich!«, sagte Madam Malkin, hob den Umhang vom Boden auf und fuhr mit der Spitze ihres Zauberstabs wie mit einem Staubsauger darüber, um ihn zu säubern.

Sie war vollkommen zerstreut, während sie Ron und Harry die neuen Umhänge anpasste, versuchte, Hermine einen Festumhang für Zauberer statt einen für Hexen zu verkaufen, und als sie die drei schließlich mit einer Verbeugung aus dem Laden verabschiedete, machte sie ein Gesicht, als wäre sie froh, sie endlich los zu sein.

»Habt ihr alles?«, fragte Hagrid munter, als sie wieder bei ihm waren.

»Fast«, sagte Harry. »Hast du die Malfoys gesehen?«

»Ja«, sagte Hagrid unbekümmert. »Aber die würden's nich wagen, mitten in der Winkelgasse Ärger zu machen, Harry, mach dir keine Sorgen wegen den'n.«

Harry, Ron und Hermine tauschten Blicke, doch ehe sie Hagrid von dieser angenehmen Vorstellung befreien konnten, tauchten Mr und Mrs Weasley und Ginny auf, alle mit schweren Buchpaketen in den Händen.

»Alles in Ordnung bei euch?«, fragte Mrs Weasley. »Habt ihr eure Umhänge? Gut, dann können wir auf dem Weg zu Fred und George noch in der Apotheke und bei Eeylops vorbeischauen – bleibt jetzt eng zusammen …«

Weder Harry noch Ron kauften in der Apotheke irgendwelche Zutaten, da sie keinen Zaubertrankunterricht mehr haben würden, aber in Eeylops Eulenkaufhaus besorgten sie sich beide große Schachteln mit Eulennüssen für Hedwig und Pigwidgeon. Dann, während Mrs Weasley praktisch jede Minute auf ihre Uhr sah, gingen sie weiter die Straße entlang auf der Suche nach Weasleys Zauberhafte Zauberscherze, dem Scherzladen von Fred und George.

»Wir haben wirklich nicht allzu viel Zeit«, sagte Mrs Weasley. »Deshalb schauen wir uns nur kurz um und gehen dann gleich zum Wagen zurück. Es kann nicht mehr weit sein, das ist Nummer zweiundneunzig … vierundneunzig …«

»Woah«, machte Ron und blieb wie angewurzelt stehen.

Zwischen den langweiligen, mit Plakaten zugeklebten Ladenfronten um sie her stachen Freds und Georges Fenster ins Auge wie ein Feuerwerk. Leute, die zufällig vorübergingen, sahen über ihre Schulter auf die Fenster zurück, und einige recht verdutzt wirkende Passanten waren tatsächlich wie gebannt stehen geblieben. Das linke Fenster quoll über von einem ganzen Sortiment von Gegenständen, die kreiselten, knallten, blitzten, hüpften und kreischten; schon der bloße Anblick ließ Harrys Augen tränen. Das rechte Fenster wurde von einem gigantischen Plakat bedeckt, violett wie die des Ministeriums, doch mit knallgelben Buchstaben beschriftet:


Wen ängstigt nochDu-weißt-schon-wer?Ihr solltet EHER Angst haben vorDU-SCHEISST-NIE-MEHR –der Verstopfungssensation, die die Nation in Atem hält!

Harry fing an zu lachen. Er hörte etwas wie ein schwaches Stöhnen hinter sich, und als er sich umdrehte, sah er Mrs Weasley entgeistert auf das Plakat starren. Ihre Lippen bewegten sich und formten stumm den Namen »Du-scheißt-nie-mehr«.

»Das kostet sie Kopf und Kragen!«, flüsterte sie.

»Nein, kostet es nicht!«, sagte Ron, der wie Harry lachen musste. »Das ist genial!«

Und er und Harry gingen voraus in den Laden. Der war brechend voll mit Kunden; Harry gelang es nicht einmal, in die Nähe der Regale zu kommen. Er starrte umher und blickte hoch zu den bis an die Decke gestapelten Kartons: Hier lagerten die Nasch-und-Schwänz-Leckereien, die von den Zwillingen während ihres letzten, abgebrochenen Schuljahrs in Hogwarts perfektioniert worden waren; Harry fiel auf, dass das Nasblutnugat am begehrtesten war, denn es war nur noch ein einziger lädierter Karton auf dem Regal übrig. Es gab körbeweise Trickzauberstäbe, die billigste Art verwandelte sich einfach in Gummiküken oder ein Paar Unterhosen, wenn man sie schwang; der teuerste schlug dem arglosen Benutzer um die Ohren; es gab Kartons mit Federkielen in den Sorten »Selbstauffüller«, »Rechtschreibchecker« und »Schlaue-Antwort«. Eine Lücke tat sich in der Menge auf, und Harry schob sich zur Theke durch, wo eine Schar entzückter Zehnjähriger dabei zusah, wie ein winziger hölzerner Mann langsam die Stufen zu einem richtigen Galgen mit Henker hinaufstieg, beide oben auf einem Karton mit der Aufschrift: »Wiederverwendbarer Henker – Bann ihn, oder er baumelt!«

»›Patentierte Tagtraumzauber …‹«

Hermine hatte es geschafft, sich zu einer großen Auslage nahe der Theke durchzuzwängen, und las die Informationen auf der Rückseite einer Schachtel, auf der grellbunt ein hübscher Junge und ein entzücktes Mädchen abgebildet waren, die an Deck eines Piratenschiffs standen.

»›Ein einfacher Zauberspruch, und schon versinkst du in einen hochwertigen, äußerst realistischen dreißigminütigen Tagtraum, der sich leicht in eine ganz normale Schulstunde einbauen lässt und so gut wie unaufspürbar ist (Nebenwirkungen unter anderem leerer Blick und leichtes Sabbern). Kein Verkauf an Personen unter sechzehn Jahren.‹ Weißt du«, sagte Hermine und sah zu Harry hoch, »das ist wirklich außergewöhnliche Magie!«

»Dafür«, sagte eine Stimme hinter ihnen, »kriegst du einen umsonst, Hermine.«

Fred stand strahlend vor ihnen, in einem magentafarbenen Umhang, der sich herrlich mit seinem flammend roten Haar biss.

»Wie geht's, Harry?« Sie schüttelten sich die Hand. »Und was ist mit deinem Auge passiert, Hermine?«

»Dein boxendes Teleskop«, sagte sie trübselig.

»Oh, verdammt, die hab ich ganz vergessen«, sagte Fred. »Hier – «

Er zog eine Dose aus der Tasche und reichte sie ihr; sie schraubte behutsam den Deckel ab und eine dicke gelbe Paste kam zum Vorschein.

»Nur dünn auftragen, dann ist der Bluterguss in einer Stunde weg«, sagte Fred. »Wir mussten einen anständigen Blutergussbeseitiger finden, wir testen die meisten unserer Produkte an uns selbst.«

Hermine wirkte nervös. »Das ist doch ungefährlich, oder?«

»Natürlich«, sagte Fred ermunternd. »Komm mit, Harry, ich führ dich rum.«

Harry ließ Hermine stehen, die ihr Veilchen mit der Paste bestrich, und folgte Fred in den hinteren Teil des Ladens, wo er einen Ständer mit Karten- und Seiltricks entdeckte.

»Muggelzaubertricks!«, sagte Fred glücklich und zeigte sie ihm. »Für Verrückte wie Dad, weißt du, die auf Muggelsachen stehen. Das bringt nicht viel ein, aber wir machen damit ganz stabilen Umsatz, es sind tolle Neuerscheinungen … Oh, da ist George …«

Freds Zwillingsbruder schüttelte Harry energisch die Hand.

»Führst ihn wohl rum? Komm mit nach hinten, Harry, da machen wir richtig Geld – he du, wenn du was klaust, dann kostet dich das mehr als Galleonen!«, warnte er einen kleinen Jungen, und der zog flugs die Hand aus der Dose mit der Aufschrift: »Essbare Dunkle Male – davon wird jedem schlecht!«

George schob einen Vorhang neben den Muggeltricks zurück und Harry sah einen dunkleren, nicht so überfüllten Raum. Die Verpackung der Waren, die hier auf den Regalen standen, war weniger auffällig.

»Wir haben gerade dieses etwas seriösere Sortiment entwickelt«, sagte Fred. »Witzig, wie es dazu kam …«

»Du glaubst nicht, wie viele Leute, selbst welche, die im Ministerium arbeiten, keinen vernünftigen Schildzauber zustande bringen«, sagte George. »'türlich haben die keinen Unterricht bei dir gekriegt, Harry.«

»Genau … nun, wir dachten, Schildhüte wären doch ganz lustig. Also, du forderst deinen Freund auf, dir einen Fluch auf den Hals zu jagen, während du einen davon trägst, und dann kannst du zusehen, wie er guckt, wenn der Fluch einfach abprallt. Aber das Ministerium hat fünfhundert Stück für seinen gesamten Außendienst gekauft! Und laufend kommen neue Riesenaufträge rein!«

»Deshalb haben wir expandiert und weitere Produktreihen entwickelt, Schildumhänge, Schildhandschuhe …«

»… Ich schätze, die würden nicht viel gegen Unverzeihliche Flüche ausrichten, aber für kleinere bis mittelschwere Flüche oder Verwünschungen …«

»Und dann beschlossen wir, in den ganzen Bereich Verteidigung gegen die dunklen Künste einzusteigen, denn das ist eine wahre Goldgrube«, fuhr George begeistert fort. »Das ist cool. Schau mal, Instant-Finsternispulver, das importieren wir aus Peru. Praktisch, wenn du einen schnellen Abgang machen willst.«

»Und unsere Bluffknaller gehen von den Regalen wie nichts, schau mal«, sagte Fred und deutete auf eine Reihe schwarzer, verrückt aussehender hupenartiger Gegenstände, die tatsächlich versuchten davonzutrippeln. »Man lässt einfach einen heimlich fallen, dann rennt er weg und macht irgendwo außer Sichtweite einen hübschen Lärm, ein Ablenkungsmanöver, wenn man mal eins braucht.«

»Praktisch«, sagte Harry beeindruckt.

»Hier«, sagte George, nahm zwei und warf sie Harry zu.

Eine junge Hexe mit kurzem blondem Haar steckte den Kopf durch den Vorhang; Harry bemerkte, dass auch sie einen magentafarbenen Mitarbeiterumhang trug.

»Hier draußen ist ein Kunde, der nach einem Juxkessel sucht, Mr und Mr Weasley«, sagte sie.

Harry fand, dass es merkwürdig klang, wenn Fred und George als »Mr Weasley« bezeichnet wurden, aber sie nahmen es hin wie selbstverständlich.

»In Ordnung, Verity, ich komme«, sagte George prompt. »Harry, du nimmst dir einfach alles, was du willst, ja? Kostenlos.«

»Das kann ich nicht machen!«, sagte Harry, der bereits seinen Geldbeutel hervorgeholt hatte, um die Bluffknaller zu bezahlen.

»Du zahlst hier nichts«, sagte Fred entschieden und lehnte Harrys Gold mit einer lässigen Geste ab.

»Aber – «

»Du hast uns unseren Startkredit gegeben, das haben wir nicht vergessen«, sagte George unnachgiebig. »Nimm, was immer du magst, und denk einfach dran, den Leuten zu sagen, wo du es herhast, wenn sie dich fragen.«

George eilte durch den Vorhang hinaus, um beim Bedienen zu helfen, und Fred führte Harry zurück in den Hauptverkaufsraum, wo sie auf Hermine und Ginny stießen, die immer noch ganz gebannt vor den Patentierten Tagtraumzaubern standen.

»Habt ihr Mädchen etwa unsere speziellen Wunder-Hexe-Produkte noch nicht gesehen?«, fragte Fred. »Folgen Sie mir, Ladys …«

Nahe beim Fenster war eine Reihe von knallrosa Produkten aufgestellt, um die sich ein Knäuel aufgeregter, begeistert kichernder Mädchen gebildet hatte. Hermine und Ginny hielten sich mit argwöhnischer Miene zurück.

»Hier, bitte sehr«, sagte Fred stolz. »Die beste Auswahl an Liebestränken, die ihr weit und breit finden werdet.«

Ginny zog skeptisch eine Augenbraue hoch. »Wirken die?«

»Natürlich wirken die, bis zu vierundzwanzig Stunden am Stück, je nach Gewicht des betreffenden Jungen …«

»… und je nach Attraktivität des Mädchens«, sagte George, der plötzlich wieder neben ihnen auftauchte. »Aber an unsere Schwester verkaufen wir die nicht«, fügte er hinzu und wurde plötzlich streng, »nicht, wenn sie schon zirka fünf Jungs am Laufen hat, nach dem, was wir – «

»Was auch immer ihr von Ron gehört habt, ist eine dicke, fette Lüge«, sagte Ginny gelassen, beugte sich vor und nahm eine kleine rosa Tube aus dem Regal. »Was ist das?«

»Zehn-Sekunden-Pustel-Entferner mit Garantie«, sagte Fred. »Wirkt hervorragend bei allem Möglichen, Furunkel bis Mitesser, aber lenk jetzt nicht ab. Gehst du zurzeit mit einem Jungen namens Dean Thomas oder nicht?«

»Ja, allerdings«, sagte Ginny. »Und als ich das letzte Mal nachgeschaut hab, war er definitiv nur ein Junge, nicht fünf. Was ist das?«

Sie deutete auf eine Anzahl flaumiger Bällchen in verschiedenen Rosa- und Violetttönen, die auf dem Boden eines Käfigs umherrollten und schrille Quiektöne von sich gaben.

»Minimuffs«, sagte George. »Kleine Knuddelmuffs, wir können sie gar nicht schnell genug nachzüchten. Und was ist mit Michael Corner?«

»Ich hab mit ihm Schluss gemacht, er war ein schlechter Verlierer«, sagte Ginny, steckte einen Finger durch die Gitterstäbe des Käfigs und sah zu, wie sich die Minimuffs darumdrängten. »Die sind echt süß!«

»Die sind ziemlich knuddelig, ja«, räumte Fred ein. »Aber wechselst du deine Freunde nicht ein bisschen arg schnell?«

Ginny wandte sich um und sah ihn an, die Hände in die Hüften gestemmt. Sie hatte den typischen zornfunkelnden Mrs-Weasley-Blick aufgesetzt, so dass Harry sich wunderte, warum Fred nicht zurückwich.

»Das geht dich nichts an. Und dir wäre ich dankbar«, sagte sie wütend zu Ron, der gerade voll beladen mit Sachen an Georges Seite aufgetaucht war, »wenn du diesen beiden hier keine Geschichten mehr über mich erzählen würdest!«

»Das macht drei Galleonen, neun Sickel und einen Knut«, sagte

Fred mit prüfendem Blick auf die vielen Schachteln in Rons Armen. »Her damit.«

»Ich bin dein Bruder!«

»Und das sind unsere Sachen, die du da klaust. Drei Galleonen, neun Sickel. Den Knut schenk ich dir.«

»Aber ich hab keine drei Galleonen und neun Sickel!«

»Dann stellst du am besten alles wieder zurück, und, bitte, in die richtigen Regale.«

Ron ließ mehrere Schachteln fallen, fluchte und machte in Freds Richtung eine rüde Geste, die unglücklicherweise Mrs Weasley mitbekam, als sie ausgerechnet in diesem Moment auftauchte.

»Wenn ich das noch mal bei dir sehe, hex ich dir die Finger zusammen«, sagte sie bissig.

»Mum, kann ich einen Minimuff haben?«, fragte Ginny sofort.

»Einen was?«, erwiderte Mrs Weasley misstrauisch.

»Schau mal, die sind so süß …«

Mrs Weasley ging ein Stück zur Seite, um sich die Minimuffs anzusehen, und Harry, Ron und Hermine hatten einen Moment lang einen ungehinderten Blick aus dem Fenster. Draco Malfoy eilte allein die Straße entlang. Als er an Weasleys Zauberhafte Zauberscherze vorüberging, schaute er kurz über die Schulter. Sekunden später war er am Fenster vorbei und sie verloren ihn aus den Augen.

»Wo wohl seine Mami ist?«, sagte Harry stirnrunzelnd.

»Wie's aussieht, ist er ihr entwischt«, erwiderte Ron.

»Aber warum?«, sagte Hermine.

Harry sagte nichts; er dachte angestrengt nach. Narzissa Malfoy hatte ihren Schatz von einem Sohn bestimmt nicht freiwillig aus den Augen gelassen; Malfoy musste sich mit Müh und Not aus ihren Klauen befreit haben. Harry kannte und hasste Malfoy, er war sicher, dass der Grund dafür nicht harmlos sein konnte.

Er sah sich um. Mrs Weasley und Ginny waren über die Minimuffs gebeugt. Mr Weasley studierte entzückt ein Päckchen gezinkter Muggelspielkarten. Fred und George berieten Kunden. Draußen vor dem Fenster stand Hagrid mit dem Rücken zu ihnen und spähte die Straße auf und ab.

»Hier drunter, schnell«, sagte Harry und zog den Tarnumhang aus seiner Tasche.

»Oh – ich weiß nicht, Harry«, sagte Hermine und blickte unsicher zu Mrs Weasley.

»Komm schon!«, sagte Ron.

Sie zögerte noch einen Moment, dann schlüpfte sie mit Harry und Ron unter den Tarnumhang. Niemand bemerkte ihr Verschwinden; alle waren viel zu sehr an Freds und Georges Produkten interessiert. Harry, Ron und Hermine zwängten sich so rasch sie konnten zur Tür hinaus, doch als sie auf die Straße kamen, war Malfoy bereits genauso erfolgreich verschwunden wie sie.

»Er ist in diese Richtung gegangen«, murmelte Harry so leise wie möglich, damit der summende Hagrid sie nicht hören konnte. »Los, kommt.«

Sie hasteten davon und lugten links und rechts durch Schaufenster und Türen, bis Hermine nach vorn deutete.

»Das ist er, oder?«, flüsterte sie. »Der nach links abbiegt?«

»Wer hätte das gedacht«, flüsterte Ron.

Denn Malfoy hatte sich überall umgeschaut und war dann in die Nokturngasse gehuscht und auf und davon.

»Schnell, sonst verlieren wir ihn«, sagte Harry und beschleunigte seine Schritte.

»So sieht man unsere Füße!«, meinte Hermine besorgt, da der Umhang nun leicht um ihre Knöchel flatterte; es war inzwischen viel schwieriger, sich zu dritt darunter zu verstecken.

»Das macht nichts«, sagte Harry ungeduldig. »Beeilt euch einfach.«

Aber die Nokturngasse, die Seitenstraße, die den dunklen Künsten vorbehalten war, wirkte völlig ausgestorben. Im Vorübergehen spähten sie durch Fenster, aber in keinem der Läden schien auch nur ein Kunde zu sein. Harry vermutete, es könnte in diesen gefährlichen Zeiten des Misstrauens ein wenig verräterisch sein, schwarzmagische Artefakte zu kaufen – oder gar dabei gesehen zu werden.

Hermine zwickte ihn kräftig in den Arm.

»Autsch!«

»Schhh! Sieh mal! Er ist da drin!«, hauchte sie Harry ins Ohr.

Sie waren zu dem einzigen Laden in der Nokturngasse gelangt, den Harry je besucht hatte: Borgin und Burkes, wo eine große Auswahl an unheimlichen Gegenständen verkauft wurde. Dort stand inmitten von Kästen voller Totenköpfe und alter Flaschen Draco Malfoy mit dem Rücken zu ihnen, gerade noch sichtbar hinter demselben großen schwarzen Schrank, in dem sich Harry einst vor Malfoy und seinem Vater versteckt hatte. Malfoys Handbewegungen nach zu schließen, redete er gerade lebhaft. Der Ladenbesitzer, Mr Borgin, ein buckliger Mann mit fettigen Haaren, stand Malfoy gegenüber. Eine sonderbare Mischung aus Unmut und Furcht war ihm ins Gesicht geschrieben.

»Wenn wir nur hören könnten, was sie sagen!«, sagte Hermine.

»Können wir!«, entgegnete Ron aufgeregt. »Warte – verdammt – «

Er ließ noch ein paar von den Schachteln fallen, die er nach wie vor an sich gedrückt hielt, während er an der größten herumfingerte.

»Langziehohren, seht mal!«

»Phantastisch!«, sagte Hermine, als Ron die langen, fleischfarbenen Schnüre auseinander rollte und sie zum unteren Türrand zu schieben begann. »Oh, hoffentlich ist die Tür nicht imperturbiert – «

»Nein!«, sagte Ron erfreut. »Hört mal!«

Sie steckten die Köpfe zusammen und lauschten angestrengt an den Schnurenden, durch die Malfoys Stimme laut und deutlich zu vernehmen war, als wäre ein Radio angestellt worden.

»… Sie wissen, wie man das repariert?«

»Vielleicht«, sagte Borgin, in einem Ton, der klang, als ob er sich lieber nicht darauf festlegen wollte. »Ich muss es allerdings sehen. Warum bringen Sie es nicht mit in den Laden?«

»Das geht nicht«, sagte Malfoy. »Es muss bleiben, wo es ist. Sie müssen mir nur erklären, wie es geht.«

Harry sah, wie Borgin sich nervös über die Lippen leckte.

»Nun, auch ohne es gesehen zu haben, kann ich sagen, dass die Sache äußerst schwierig werden wird, vielleicht unmöglich. Ich könnte für nichts garantieren.«

»Nein?«, sagte Malfoy, und Harry erkannte schon an seinem Tonfall, dass er höhnisch grinste. »Vielleicht wird Sie das hier zuversichtlicher stimmen.«

Er näherte sich Borgin und der Schrank verdeckte die Sicht auf ihn. Harry, Ron und Hermine rückten ein Stück seitwärts, um ihn möglichst wieder zu Gesicht zu bekommen, doch sie konnten nur den sehr verängstigt wirkenden Borgin sehen.

»Wenn Sie das irgendjemandem verraten«, sagte Malfoy, »werden Sie dafür bezahlen. Kennen Sie Fenrir Greyback? Er ist ein Freund der Familie und wird von Zeit zu Zeit vorbeikommen, um dafür zu sorgen, dass Sie dieser Angelegenheit Ihre volle Aufmerksamkeit widmen.«

»Es wird nicht nötig sein, zu – «

»Das entscheide ich«, sagte Malfoy. »Also, ich geh jetzt besser. Und vergessen Sie nicht – geben Sie das hier bloß nicht weg, ich werde es noch brauchen.«

»Möchten Sie es vielleicht jetzt gleich mitnehmen?«

»Nein, natürlich will ich das nicht, Sie dummer Wicht, wie würde das denn aussehen, wenn ich auf der Straße damit rumlaufen würde? Verkaufen Sie es einfach nicht.«

»Natürlich nicht … Sir.«

Borgin machte eine tiefe Verbeugung, genau wie damals, als Harry ihn mit Lucius Malfoy beobachtet hatte.

»Kein Wort zu irgendwem, Borgin, auch nicht zu meiner Mutter, verstanden?«

»Natürlich, natürlich«, murmelte Borgin und verbeugte sich ein weiteres Mal.

Einen Moment später klingelte die Türglocke laut, und Malfoy stolzierte mit höchst selbstzufriedener Miene aus dem Laden. Er kam so dicht an Harry, Ron und Hermine vorbei, dass sie erneut den Tarnumhang um die Knie flattern spürten. Drinnen im Laden stand Borgin reglos da; sein schmieriges Lächeln war verschwunden; er wirkte besorgt.

»Was sollte das denn bedeuten?«, flüsterte Ron und wickelte die Langziehohren auf.

»Keine Ahnung«, sagte Harry und dachte scharf nach. »Er will, dass irgendetwas repariert wird … und er will dort drin etwas für sich reserviert haben … Konntest du sehen, auf was er gezeigt hat, als er ›das hier‹ sagte?«

»Nein, er war hinter diesem Schrank – «

»Ihr beide bleibt hier«, flüsterte Hermine.

»Was hast du –?«

Aber Hermine war schon unter dem Tarnumhang hervorgeschlüpft. Sie überprüfte kurz ihre Frisur in der spiegelnden Fensterscheibe, und dann marschierte sie in den Laden und ließ erneut die Glocke klingeln. Ron schob die Langziehohren hastig wieder unter die Tür und reichte eine der Schnüre Harry.

»Hallo, schreckliches Wetter heute Morgen, nicht wahr?«, sagte Hermine munter zu Borgin, der nicht antwortete, sondern ihr einen misstrauischen Blick zuwarf. Fröhlich summend schlenderte Hermine zwischen den wild durcheinander stehenden Dingen umher.

»Ist dieses Halsband zu verkaufen?«, fragte sie und hielt neben einer Vitrine inne.

»Wenn Sie eineinhalbtausend Galleonen haben«, sagte Borgin kühl.

»Oh – ähm – nein, ganz so viel hab ich nicht«, sagte Hermine und ging weiter. »Und … was ist mit diesem wunderbaren – ähm – Totenkopf?«

»Sechzehn Galleonen.«

»Also ist er zu verkaufen? Er ist nicht für jemanden … reserviert?«

Borgin sah sie schräg an. Harry hatte das ungute Gefühl, dass Borgin genau wusste, worauf Hermine hinauswollte. Offenbar spürte auch Hermine, dass er ihr auf die Schliche gekommen war, denn sie ließ plötzlich alle Vorsicht außer Acht.

»Die Sache ist die, dieser – ähm -Junge, der gerade eben hier drin war, Draco Malfoy, also, der ist ein Freund von mir und ich will ihm ein Geburtstagsgeschenk besorgen, aber wenn er schon was reserviert hat, will ich ihm natürlich nicht das Gleiche kaufen, also … äh …«

Das war in Harrys Augen eine ziemlich schwache Geschichte, und offenbar dachte Borgin das auch.

»Raus«, sagte er schneidend. »Verschwinde!«

Hermine ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern hastete zur Tür, Borgin dicht hinter ihr. Als die Glocke erneut klingelte, schlug Borgin die Tür hinter Hermine zu und hängte das »Geschlossen«-Schild auf.

»Na ja«, sagte Ron und warf den Tarnumhang wieder über Hermine. »Einen Versuch war's wert, aber du warst leicht zu durchschauen – «

»Dann zeigst du mir eben nächstes Mal, wie man es macht, Meister der Mysterien!«, fauchte sie.

Ron und Hermine zankten sich den ganzen Weg zurück bis zu Weasleys Zauberhafte Zauberscherze, wo sie schließlich aufhören mussten, um unbemerkt an der äußerst besorgt dreinblickenden Mrs Weasley und an Hagrid vorbeischlüpfen zu können, denen ihre Abwesenheit offensichtlich aufgefallen war. Sobald sie im Laden waren, riss Harry den Tarnumhang herunter, versteckte ihn in seiner Tasche und schloss sich den beiden anderen an, die auf Mrs Weasleys Anschuldigungen hin steif und fest behaupteten, sie seien die ganze Zeit im Hinterzimmer gewesen und sie habe bestimmt nicht richtig nachgesehen.