"Expedition zur Sonne" - читать интересную книгу автора (Clement Hal)

DER MECHANIKER


Wenn die Haifisch träge dahintrieb, machte sie ihrem Namen wenig Ehre, sondern wirkte eher wie ein Rochen. Aber jetzt, auf hoher Kreuzfahrt, glich sie einem fliegenden Fisch. Sie ragte völlig aus dem Wasser, bis auf die vier Streben, die ihre Schwimmer trugen. Die Propeller drehten sich so hoch über die Wasserfläche, daß sie kaum Spritzwasser erzeugten. Ein kreisender Monitorsatellit hätte das Schiff aus hundert Meilen Entfernung sehen können, da sein Doppelrumpf mit einem lebhaft fluoreszierenden Muster in Rot und Gelb bemalt war. Aber die Haifisch produzierte so wenig Kielwasser, daß ein solcher Beobachter nicht die Geschwindigkeit von fast fünfundsechzig Knoten hätte feststellen können, mit der die Maschine über das Wasser glitt.

Chester V. Winkle saß auf der Backbordseite, und seine Finger ruhten leicht auf den Druckschaltern. Er blickte nach vorn, obwohl er wußte, daß er seinen Augen allein nicht trauen durfte.

Der Großteil seiner Aufmerksamkeit galt der Stimme des kleineren Mannes, der vier Fuß von ihm entfernt zu seiner Rechten saß, hinter dem anderen „Auge“ des Schiffes. Yoshii Ishihara sah nicht hinaus. Seine Blicke waren unverwandt auf das Unterwasser-Schallmeßgerät gerichtet, das bei ihrer gegenwärtigen Geschwindigkeit als einziges zwischen der Haifisch und einer Katastrophe stand, zwischen den Eisbergen und den Zeowalen der Labrador See.

„Zweiundzwanzig Wale, etwa vierzehntausend Meter bis zu der Mitte der Gruppe.“

„Wohin schwimmen Sie?“ Winkle wußte, daß die Frage überflüssig war. Wenn eine Kursänderung erforderlich gewesen wäre, hätte Ishihara es gesagt.

„In unsere Richtung, für zweiunddreißighundert Meter. Dann zweiundzwanzig Strich Steuerbord. Da ist Eis im Weg.“

„Gut. Gibt es weitere Daten über die Objekte?“

„Nein. Wir werden sie leichter bekommen, wenn wir anhalten, und wir werden wenig Zeit verlieren, wenn wir warten.

Vier von den zweiundzwanzig lassen sich treiben. Seien Sie bereit für die Kursänderung.“

„Ich warte nur auf Ihre Angaben.“

Etwa eine Minute herrschte Schweigen, dann sagte Ishihara: „Steuerbord zehn.“

„Steuerbord zehn.“ Die Schwimmer an den Bugstreben der Haifisch tauchten tiefer unter Wasser, als Winkle auf den Knopf drückte, aber der Rumpf blieb etwa auf gleicher Ebene.

Die Kompaßnadel bewegte sich rasch über zehn Grade hinweg.

Als sie den zehnten erreichte, sagte Ishihara, ohne von seiner Skala aufzublicken: „Halt.“

„Okay“, erwiderte der Kommandant.

„Jetzt noch zwölf nach Steuerbord.“

Wieder schwang die Haifisch herum und behielt dann den neuen Kurs bei.

„Jetzt ist unser Weg frei“, sagte Ishihara. „In fünf Minuten die Maschinen zurücknehmen.“

Trotz seiner Versicherung, daß der Weg frei sei, blickte Ishihara nicht von seinem Instrument auf. Solange die Haifisch unterwegs war, ließ seine Pflichtauffassung keine Unaufmerksamkeit zu. Auch Winkle, obwohl sein schläfriges Aussehen eine ständige Zielscheibe schlechter Witze war, blickte aufmerksam nach vorn, um rechtzeitig Hindernisse zu erkennen.

Er konnte mehrere Eisberge sehen. Aber keiner lag direkt im Weg des Schiffes, und Winkles Finger bewegten sich nicht, bis sein Zweiter Offizier das erwartete Signal gab.

Dann verstummte das Wimmern der Turbinen allmählich, und die breite Form der Haifisch sank in die Dünung hinab.

Der Rumpf setzte sanft auf der Wasserfläche auf, und das Schiff stoppte. Und zwanzig Fuß hinter der Kommandokabine warteten die vier restlichen Mitglieder angespannt auf den Befehl zur Aktion.

„Langsam genug, um die Daten zu lesen?“ fragte Winkle.

„Ja, Sir. Die Suchsignale gehen gerade hinaus. Innerhalb der nächsten dreißig Sekunden werde ich zählen können.“ Ishihara machte eine Pause. „Einer der vier Drifter treibt jetzt auf uns zu. Aber ich sehe keine Reaktion der anderen.“

„Welcher der Drifter ist uns am nächsten?“

„Da ist einer fünfzehnhundert Meter weit weg, genau Backbord.“

Winkles Finger bewegten sich wieder. Die Turbinen, die die großen Luftschrauben antrieben, blieben still, aber Wasserdüsen schwangen das Schiff in die angezeigte Richtung. Langsam fuhr die Haifisch auf das treibende Tier zu. Winkle rief über die Schulter einen Befehl.

„Kran und Taucher einsatzbereit! Die Klappe ist entsichert.

Erwarte Kontakt in fünf Minuten.“

„Kran bereit“, berichtete Dandridge mit tiefer Stimme, während er sein Schachbrett beiseite schleuderte und auf einen Schalter drückte. Mancini, der ihm am Schachbrett gegenübergesessen hatte, eilte weiter nach hinten ins Laboratorium, das mehr als die Hälfte des bewohnbaren Teiles der Haifisch für sich in Anspruch nahm. Er sagte nichts, da an ihn kein Befehl ergangen war, und er rührte keinen Finger, um einen seiner Apparate einzuschalten, solange das Schiff in Bewegung war.

„Taucher bereit“, sagte Farrell, nachdem er und sein Assistent überprüft hatten, ob Sichtfenster und Luftauslaßventile ihrer Taucheranzüge in Ordnung waren. Sie hatten sich bereits für das arktische Wasser gekleidet. Zu beiden Seiten des rotbemalten Decks nahmen sie ihre Plätze ein, gleich vor dem Laboratorium, das sich hinter der Hauptluke befand. Dandridge blickte auf, überzeugte sich, daß niemand auf der Klappe stand, und öffnete sie durch einen Druck auf einen Schalter seiner Kontrolltafel. Ihre Hälften glitten auseinander und enthüllten die eisgrüne Flüssigkeit, die den Doppelrumpf umspülte. Bei der gegenwärtigen Geschwindigkeit der Haifisch verdrängte das Schiff so viel Wasser, daß es bis etwa vier Meter unterhalb der Klappe reichte. Farrell blickte in das Wasser hinab. Sein jüngerer Assistent bückte sich und sah durch die Öffnung.

Ishiharas Stimme konnte den Wind, der durch die geöffnete Klappe blies, kaum übertönen. Nur gelegentlich drangen Worte zu den Tauchern.

„Sechshundert… Los… Vier… Drei…“

„Ich sehe ihn“, unterbrach ihn Winkle. „Ich nehme ihn.“

Wieder rief er über die Schulte!. „Farrell… Stubbs… Wir kommen zu einem. In einer Minute werdet ihr ihn sehen. Ich sage euch, wenn ich ihn unter dem Bug habe.“

„Ja, Sir“, erwiderte Farrell. „Siehst du ihn schon, Rick?“

„Noch nicht. Nur Quallen.“

„Fünfzig Meter“, rief Captain. „Jetzt dreißig.“ Er drosselte die Wasserdüsen noch weiter. „Zwanzig.“

„Ich sehe ihn! „rief Stubbs.

„Gut“, erwiderte der Kapitän. „Zehn Meter. Fünf. Er ist direkt unter mir. Ich habe ihn verloren. Taucher!“

„Etwa fünf Meter, Sir. Jetzt im Totpunkt… Vier… Drei…

Zwei… Okay, er ist direkt unter der Klappe. Magnetgreifer bereit, Gil?“

Der Magnetkran hing direkt über der Klappe, Dandridge war also bereit. Aber Winkle nicht.

„Halt! Laßt ihn noch nicht herab. Stubbs, beobachten Sie den Fisch. Treiben wir?“

„Ein wenig, Sir. Der Fisch treibt ein wenig nach Backbord…

Jetzt haben Sie das Schiff gestoppt — ja, jetzt.“

„Ziemlicher Wind“, bemerkte der Kapitän, während er seinen Finger vom Kontrollknopf der Wasserdüsen nahm. „Okay, schnappt ihn.“

„Glaubst du, daß es mit dem Magneten klappt, Marco?“ fragte Dandridge. „Dieser Wal sieht mir ziemlich komisch aus.“

Der Mechaniker trat zu den Tauchern und zu Dandridge an die Öffnung und blickte auf ihr schwimmendes Problem hinab.

Auf den ersten Blick sah der „Wal“ ganz gewöhnlich aus. Er war etwa zwei Meter lang und perfekt wie eine Zigarre geformt, bis auf die Stelle, wo der Einlaßring etwa vierzig Zentimeter hinter der Nase endete. Die Auslaßöffnungen, die sich etwa ebenso weit vom Schwanz entfernt befanden, waren kaum sichtbar, da sie einfache Löcher in der dunkelgrauen Haut waren.

Überhaupt konnte man wenige Einzelheiten erkennen. Der ganze Organismus war mit einer braunen, schleimartigen Masse überzogen, einer Masse von Fasern, die einem verschimmelten Seehundsfell glichen.

„Irgendwo hat er das aufgeschnappt“, sagte Mancini. „Aber ich sehe nicht ein, warum eure Magnete nicht funktionieren sollten. Oder habt ihr Angst, daß ihr sie schmutzig macht?“

„Also gut. Laß die Leiter ’runter und steuere die Magnete, Rick.“ Dandridge ließ eine leichte Aluminiumleiter aus dem Bugstück der Klappe ausfahren. Dann drückte er auf einen anderen Schalter, und die Greifer senkten sich langsam herab.

Stubbs hakte sich an der untersten Sprosse der Leiter fest, und mit beiden Händen hielt er die Masse gleitenden Metalls fest.

Die Haifisch schwankte ein wenig in der Dünung, und die achtzig Pfund von Elektromagneten und angeschlossenen Drähten benahmen sich etwas rebellisch. Der jüngste Mann der Crew und der einzige Nicht-Spezialist — er absolvierte seine beiden Arbeitsjahre, die einer höheren Ausbildung vorausgingen — hatte seinen Anteil an der schmutzigen Arbeit zu tragen.

Aber er beklagte sich nicht.

„Langsamer — langsamer — zwanzig Zentimeter, zehn… Halt jetzt an! Noch ein klein wenig tiefer — okay!“ Dandridge folgte den Instruktionen, speiste die Magnete mit Strom und wollte die Apparatur wieder anheben.

„Warte!“ rief der Junge auf der Leiter. „Es hält nicht!“

Der Mechaniker reagierte blitzschnell.

„Bringt es trotzdem heraus!“ rief er. „Etwas von der Substanz klebt am Magneten. Ich möchte eine Probe haben.“

Stubbs wich zurück, als die schleimige Masse an ihm vorbeiglitt.

Dandridge schnitt eine angeekelte Grimasse, als sie auf gleicher Höhe mit dem Deck war.

„Das könnt ihr gern haben“, bemerkte er.

Mancini gab keine Antwort und zeigte außer Interesse keine anderen Emotionen. Er war in sein Laboratorium gelaufen, während die Schleimmasse hochgezogen wurde, und kehrte jetzt mit einer Zweiliterflasche und dem größten Trichter, den er besaß, zurück.

„Ein bißchen weiter nach hinten“, sagte er kurz. „Das genügt.

Wenn etwas danebengeht, dann ist es besser, wenn es ins Wasser fällt als auf das Deck.“ Die Greifer, die sich ein paar Zoll auf ihn zubewegt hatten, stoppten kurz vor dem hinteren Rand der Öffnung. Mancini stand gleichmütig davor, und der Wind zerrte an seinen Kleidern. Er hielt den Trichter und die Flasche unter die Magnete.

„Okay, Gil, laß es fallen.“ Dandridge gehorchte.

Der Großteil der Masse fiel gehorsam vom Greifer. Etwas davon landete im Trichter und glitt weiter in die Flasche. Etwas traf Mancinis ausgestreckten Arm, was ihn aber nicht im mindesten zu stören schien, und ein wenig tropfte auf das Deck, zu Dandridges sichtlichem Widerwillen. Aber das meiste fiel an Mancinis Arm vorbei ins Meer.

Der Mechaniker nahm etwas von der Masse von seinem Arm und rieb es zwischen Daumen und Zeigefinger.

„Körnig“, bemerkte er. „Die Magnete halten dieses Zeug fest, aber nicht das Skelett des Wales. Das bedeutet, daß der Großteil des Skeletts verschwunden sein muß, und ich wette, daß diese Körner magnetisch sind. Ich würde sogar einen Dollar wetten, daß diese Infektion von der alten — Fe-DE- Kultur herrührt, die sich vor ein paar Jahren in Passamaquoddy selbständig machte. Ich werde es natürlich analysieren lassen, um sicherzugehen. Ich fürchte, die Taucher werden Schlingen benützen müssen, um den Fisch an Bord zu schaffen.“

„Rick, zuerst werde ich einmal die Magnete hinablassen, und du kannst sie im Wasser abwaschen. Dann werde ich die Schlingen holen, und ihr könnt sie um den Wal winden.“

„Okay, Sir. Ich warte.“

Als die Greifer wieder herabsanken, rief Dandridge dem Mechaniker, der gerade ins Laboratorium gehen wollte, nach: „Ich nehme an, der Wal ist ruiniert, wenn Sie mit der Infektion recht haben. Können wir da nicht Schadenersatz kassieren?“

Der Mechaniker schüttelte verneinend den Kopf.

„Von DE kann man nicht kassieren. Die sind längst pleite.

Außerdem entschieden die Gerichte schon vor einiger Zeit, daß einer Verletzung oder Zerstörung eines Stücks von Pseudoleben nur ein wiedergutzumachender Schaden sei, wenn es ein Originalmodell betrifft. Dieser Fisch ist ein Abkömmling von einem zehn Jahre alten Modell. Er wurde im Meer geboren.

Wir haben ihn nicht gemacht und können auch keine Entschädigung verlangen.“

Er wandte sich der Tür des Laboratoriums zu und sagte noch über die Schulter: „Meine Annahme, daß diese Pest ein DEFlüchtling ist, kann natürlich auch falsch sein. Man hat ein Virus entwickelt, ein paar Monate, nachdem die Kultur sich selbständig machte, und ich habe schon seit vier Jahren nichts mehr von einer Eiseninfektion gehört. Das kann natürlich eine Mutation einer solchen Infektion sein, aber genausogut kann es sich um etwas völlig Neues handeln.“

Er ging ins Laboratorium, setzte sich auf einen Stuhl und be gann das Material, das sich in einer Flasche befand, in Dutzende von kleinen Behältern zu verteilen, die in die Analysatoren gefüttert werden sollten.

Stubbs hatte die Leiter verlassen und entfernte Schleim von den Greifern der Magnete. Das Zeug war nicht sehr dickflüssig, und die magnetischen Körner milderten das Ekelgefühl des Jungen ein wenig ab, das er normalerweise glitschigen Substanzen entgegenbrachte… Er konnte seine Aufgabe also rasch genug erledigen, um Dandridge zufriedenzustellen. Auf Ricks Ruf hin wurden die Greifer zurückgezogen. Ein paar Minuten später senkte sich der Kranarm wieder herab, mit ein paar Schlingen daran.

Stubbs war noch immer im Wasser, und Farrell war halb die Leiter herabgestiegen. Der Cheftaucher reichte das Kabel seinem jungen Assistenten, der es um den torpedoförmigen Körper des Wales legte.

Es war eine ziemlich schwierige Arbeit. Der Körper des Wales war noch immer schlüpfrig, da die Magnete nur einen geringen Teil des fremdartigen Wachstums von der Haut des Tieres entfernt hatten. Als der Junge die Riemen der Schlingen festziehen wollte, glitten sie ihm davon. Er bat um mehr Leine, wollte den Wal an einen Rumpf des Schiffes drücken, aber auch das gelang ihm nicht. Er war zu eigensinnig, um Hilfe zu erbitten, noch dazu, wo Farrell aus vollem Hals lachte.

„Reit ihn, Junge!“ rief der Cheftaucher, als es Stubbs endlich gelungen war, die schlüpfrige Masse zwischen den Beinen einzuzwängen.

„Jetzt hast du ihn besiegt! „

Die Arbeit war noch nicht vollendet, aber anscheinend war es Stubbs gelungen, eine Schlinge fest und sicher um das Vorderteil des Fisches zu legen.

„Anziehen!“ rief er, ohne auf Farrells Bemerkung einzugehen.

Dandridge, der durch die Klappe hinabgeblickt hatte, begriff, was erforderlich war. Er griff zur Kontrolltafel, und das Kabel straffte sich.

„Das genügt!“ rief Stubbs, als die Nase des Wales sich ein wenig aus dem Wasser zu heben begann. „Festhalten, bis ich ein anderes Seil befestigt habe, oder dieses hier rutscht wieder ab.“

Gehorsam hörte der Kran zu surren auf. Da die Beweglichkeit des Wales nun etwas eingeengt war, konnte Stubbs die zweite Schlinge um den Schwanzteil des Fisches schneller festmachen. Endlich rief der junge Taucher ein wenig atemlos: „Hochziehen!“ Langsam paddelte er zur Leiter zurück. Farrell reichte ihm eine Hand, und sie waren beinahe so schnell an Deck wie ihre Beute.

Dandridge schloß die Klappe, ohne auf entsprechende Befehle zu warten. Die Leiter hatte er unten gelassen. In den nächsten Minuten würde man noch mehr Wale aus dem Meer ziehen.

Der Wind blies kalt. Stubbs achtete nicht darauf. Er hörte kaum das leise „achthundert Meter, sieben Strich Steuerbord“, als er zur Tür von Mancinis Laboratorium ging. Der Job des Mechanikers faszinierte ihn viel mehr als der Job des Steuermanns.

Es fiel ihm natürlich nicht ein, einen Mann, der mit einer schwierigen Arbeit beschäftigt war, mit Fragen zu unterbrechen.

Aber das war auch gar nicht nötig. Wie die meisten anderen Männer — nicht nur auf der Haifisch, sondern auch an Bord des Mutterschiffs — mochte Mancini das jüngste Mannschaftsmitglied gern und respektierte Ricks Pflichteifer und Fähigkeiten.

Und wie jeder andere Professionelle war auch Mancini bestrebt, einen intelligenten Arbeitsrekruten für seinen Beruf zu begeistern, bevor er von einem anderen in Bann gezogen wurde. Und deshalb begann der Mechaniker sofort zu sprechen, als er die Anwesenheit des Jungen bemerkte. „Weißt du etwas über physikalische oder chemische Analysen, Rick?“

„Ein wenig. Ich kenne die meisten Ihrer Geräte — Ultrazentrifuge, chromatographisches und elektrophoretisches Zeug, NMR-Ausrüstung, und so weiter.“ Er zeigte auf eine zylindrische Maschine, die auf einem Regal stand. „Ist das eine Diffraktionskamera?“

„Gut geraten. Das ist eine Art Zwitter, den ein Freund von mir erfunden hat. Man kann das Gerät sowohl für elektronische Mikrofotografie benutzen als auch für Diffraktion. Aber damit solltest du dich erst später beschäftigen. Vorerst mußt du begreifen, daß ein Faktor der Analyse sich seit ihrem Bestehen nicht geändert hat. Man muß versuchen, einen Untersuchungsgegenstand in möglichst viele verschiedene homogene Bestandteile zu zerlegen, bevor man an die Feststellung der molekularen Zusammensetzung geht.“

„So geht also jedes der kleinen Röhrchen, die Sie da füllen, durch die Zentrifuge, durch eine Lösung, durch Elektrophorese…“

„Für gewöhnlich schon, durch alle. In verschiedener Reihenfolge.“

„Aber ich könnte mir vorstellen, daß Sie allein dadurch etwas herausfinden, wenn Sie ganz einfach den vollständigen, unbeschädigten Gegenstand betrachten. Tun Sie das nie?“

„Sicher. Das gute alte Mikroskop wird niemals von der Bildfläche verschwinden. Und es ist ja auch wertvoll, eine Maschine als Ganzes zu sehen. Es werden übrigens schon ein paar Aufnahmen fertig sein. Da drüben. Willst du die Bilder ’rausholen?“

Stubbs gehorchte. Mancini nahm das erste der Dias, schob es unter ein Objektiv und betrachtete es.

„Das dachte ich mir“, grunzte er. „Da, schau selbst.“

Stubbs legte ein Auge an das Instrument, drehte kurz an der feinen Einstellupe — er hatte die normale Grundausbildung im Umgang mit Instrumenten gehabt — und blickte sekundenlang hinein.

„Eine Masse lebender Zellen, die mir nicht viel sagen. Und viele kleine Oktaeder. Meinen Sie die?“

„Ja. Magnetkristalle. Aber wir werden uns trotzdem vergewissern.

„Der Mechaniker schob einen anderen Untersuchungsgegenstand auf die Mikroskop-Unterlagen und starrte durch die Linse. Stubbs erkannte einen Mikromanipulator, und er war nicht überrascht, als Mancini nach zwei Minuten schweigsamer Arbeit sich aufrichtete und einen kleinen Metallstreifen unter dem Objektiv hervorzog. Wahrscheinlich war einer der winzigen Kristalle auf dem Streifen befestigt.

Der Mechaniker wandte sich nun der Diffraktionskamera zu, steckte das Metallstück in eine Klammer, die sich daran befand, und drückte auf einen Knopf, der den Metallstreifen mitsamt dem Kristall in das Innere der Kamera beförderte. Ein paar Augenblicke später begann eine Pumpe zu wimmern.

„Fünf Minuten dauert es, bis es im Vakuum ist“, bemerkte Mancini, „weitere fünf Minuten, bis alles aufgezeichnet ist. In der Zwischenzeit können wir uns genauso gut den Fisch ansehen.

Sogar Betrachtungen mit bloßem Auge haben ihre gewissen Vorteile.“ Er stand auf, streckte sich und ging zu dem Tisch, auf dem der tote Pseudowal lag.

„Was weißt du von Zoologie, Rick? Kannst du den Typ bestimmen?“

„Ich glaube schon. Ich würde sagen, das war ein Kupferfresser, Modell. Er war etwa drei Jahre alt.“

„Gut. Du hast ziemlich recht. Ich nehme an, du hast viel gelesen.“

„Stimmt. Und der Shop der Guppy ist ein tolles Museum.“

„Wie wahr. Weißt du, wo sich bei diesem Modell die Zugangsregionen befinden?“

„Ich habe schon ein paar geöffnet gesehen, aber ich weiß nicht, ob ich sie selbst aufmachen kann.“

„In diesem Fall kann es wahrscheinlich nicht viel schaden, wenn du etwas falsch machst. Der ist bestimmt tot. Trotzdem, ich werde es dir zeigen. Besser, du siehst, wie es richtig gemacht wird.“ Die Schlingen waren von dem Fisch entfernt worden, nachdem man ihn auf den Tisch gelegt hatte. Nichts konnte also die Demonstration stören.

„Hier ist die Mittellinie, die am Rücken entlangführt, ihre Farbe ist nur ein wenig heller als alles andere. Beginne am Einlaßring und zähle acht Schuppen zurück, dann sechs auf jeder Seite herunter — siehst du, so. Dann kommst du an diesen Punkt — so — hier kannst du mit einem Skalpell den Hauptzugang öffnen.

„Er nahm ein Instrument von der Größe eines chirurgischen Skalpells, aber mit einer stumpfen, abgerundeten Schneide. Er stach damit in die bezeichnete Stelle. „Siehst du, es teilt sich schon bei ganz leichtem Druck, und du kannst den Schnitt bis fast zurück zu den Auslaßöffnungen führen — so.

Wenn das ein lebender Fisch wäre, so könnte man den Schnitt mit Dichtungsspray wieder schließen, und er würde ganz verheilen, nachdem der Fisch etwa eine Stunde im Wasser war.

Aber dieser da — hm. Kein Wunder, daß er tot ist. Ich frage mich nur, was das für ein Zeug ist.“

Die Bauchhöhle des Wales war mit schwarzer Gallertmasse gefüllt, die völlig anders aussah als die Schleimmasse, die seine Haut bedeckt hatte. Der Mechaniker steckte Sperrelevatoren in den Schnitt und begann, mit einem reichhaltigen Inventar von chirurgischen Instrumenten in der schwarzen Masse herumzustochern.

Die Gefühle, die Stubbs’ Magen beinahe genauso umdrehten, wie Mancini jetzt den Magen des Wales hin und her wandte, schienen letzteren dabei nicht zu bekümmern.

Bruchteile der inneren Maschinerie verteilten sich auf dem Tisch, ein weiterer Satz winziger Teströhrchen nahm Proben der schwarzen Gallertmasse auf und folgte seinen Vorgängern in die automatischen Analysatoren. Diese begannen zu winseln und zu summen, als sie mit der Arbeit an dem neuen Material begannen. Mit der ersten Ladung waren sie längst fertig, und Berge von Diagrammen und Zahlentabellen häuften sich in den einzelnen Ablieferungskörben und harrten der Aufmerksamkeit Mancinis. Er hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, nachzusehen, ob seine Vermutung bezüglich der magnetischen Beschaffenheit der Kristalle zutraf.

Manche der Organe auf dem Tisch konnte Stubbs identifizieren.

Bei jedem großen Tier ist ein Herz natürlich ein Herz, wenn es gut genug herausgetrennt worden war, um die Ventilstruktur zu zeigen. Ein vier Kilogramm schwerer Kupferklumpen war von der Fabrikabteilung ausgeschieden worden. Der Organismus hatte zumindest begonnen, seinen vorgesehenen Zweck zu erfüllen, bevor die Krankheit das Pseudolebewesen befallen hatte. Es hatte sich auch in anderen Beziehungen normal entwickelt, wie ein fünfundzwanzig Zentimeter langer Embryo zeigte. Die Zeowale und ihre Familie vermehrten sich asexuell. Die Vielfalt der genetischen Variationen, die der biologische Vorteil der geschlechtlichen Vermehrung ist, war gerade das, was die Benutzer der Pseudoorganismen nicht wünschten, zumindest, solange kein Faktor entwickelt wurde, der die Auswahl der geeignetsten Charakteristika gewährleistete.

Mancini verbrachte mehr als eine Stunde bei seiner ziemlich widerwärtigen Arbeit, bis er schließlich seine Geräte beiseite legte. Stubbs war nicht imstande gewesen, ihm die ganze Zeit zuzusehen, da die Haifisch zwei andere leblose Wale aufgefischt hatte und er seinen Job zu versehen hatte. Beide waren in derselben Art wie der erste Wal infiziert worden. Aber der Junge kehrte ins Laboratorium zurück, als die erste vorläufige Gesamtuntersuchung des ersten Wales beendet war. Auch Winkle war anwesend, da man keine weiteren Schritte planen konnte, bevor Mancini das Ergebnis seiner Forschungsarbeit bekanntgab.

„Das Skelett ist völlig verschwunden“, begann der Mechaniker.

„Sogar das Ungeborene trägt keine Spur von Metall in sich. Deshalb konnten die Magnete den Wal nicht halten. Bis jetzt hatte ich noch keine Zeit, mir die Ergebnisse der Analysen anzusehen, aber ich bin mir ziemlich sicher, daß die Gallertmasse in der Bauchhöhle und das schleimige Zeug an der Haut Teile derselben Lebensform sind und daß die Organismen das Metall aufgelöst haben. Vielleicht war das eine Mutation der ursprünglichen, eisenfressenden Pseudolebensformen. Nach seiner allgemeinen Zellformation zu schließen, war die genetische Form eine purinpyrimidinnukleotide, die der natürlichen Lebensform ziemlich ähnlich…“

„Dann handelt es sich also um eine weitere ursprüngliche künstliche Form, die ausstirbt?“ unterbrach ihn Winkle.

„Ich nehme es an. Ich habe ein wenig von dem nuklearen Material isoliert, aber ich muß den großen Analysator auf der Guppy benutzen, um ganz sicherzugehen.“

„In der Nachbarschaft scheinen sich keine weiteren zerstörten Fische zu befinden. Brauchen Sie noch irgend ein anderes Material, bevor wir zurückkehren?“

„Nein. Was mich betrifft, so steht der Rückkehr nichts mehr im Weg — aber es wäre vielleicht eine ganz gute Idee, das Hauptschiff anzurufen, solange wir noch hier draußen sind, und zu fragen, ob noch andere Walherden eine Überprüfung benötigen.“

„Selbst wenn das der Fall wäre, so könnten Sie in Ihrem Laboratorium keine weiteren Probemuster mehr unterbringen“, stellte Winkle fest und starrte auf die überfüllten Tische.

„Das stimmt allerdings. Aber vielleicht gibt es etwas, bei dem keine Hauptuntersuchung nötig ist. Aber Sie sind der Ka pitän, tun Sie, was Sie für richtig halten. Ich bin mit der Menge hier auf jeden Fall beschäftigt, bis wir auf der Guppy eintreffen, ob Sie nun geradewegs heimkehren oder nicht.“

„Ich werde anrufen.“ Der Kapitän wandte sich ab und kehrte auf seine Station zurück.

„Ich frage mich, warum sie die ersten Pseudolebewesen mit Genbändern hergestellt haben, die den natürlichen so ähnlich sind“, sagte Stubbs. „Man sollte doch annehmen, sie hätten voraussehen können, was Mutationen anrichten können und daß Organismen, die den echten Lebensformen zu ähnlich sind, Arten hervorbringen könnten, die sowohl uns als auch andere künstliche Formen mit Krankheiten anstecken.“

„Daran haben Sie natürlich gedacht“, erwiderte Mancini.

„Diese Möglichkeit war ein Lieblingsthema der Gegner des gesamten Prozesses — zumindest der Gegner, die nicht von fanatischen religiösen Motiven bewegt wurden. Unglücklicherweise gab es keinen anderen Weg, die Sache zu entwickeln.

Die ursprüngliche Forschung mußte natürlich mit dem beginnen, was du echtes Leben nennst. Das führte zu der Erkenntnis, daß zytosin-thymin-adenoid-guanine Viererformen des gewöhnlichen DNA kein System bilden konnten, das sich sowohl selbst wiederholen als auch die Synthese vom Aufbau der Polypeptide und Polysaccharide kontrollieren kann…“

„Aber ich dachte, es sei viel komplizierter. Da sind doch Phosphate und Zucker in der Entwicklungskette, und DNA und RNA.

„Du hast ganz recht, aber ich wollte dir keine Chemielektion erteilen. Ich habe versucht, den historischen Gesichtspunkt darzustellen. Zuerst erkannte niemand, daß viele neben diesen vier Basen die genetische Arbeit erledigen konnten. Dann fand man heraus, daß eine ganze Menge natürlicher Lebensformen Abwandlungen dieser Basen in ihren Nukleotiden hatten, und allmählich wurden die Gründe, warum diese Strukturen oder besser gesagt ihre Potentialfelder polymer formende Eigenschaften haben, klar. Dann, und nur dann wurde es offensichtlich, daß,natürliche’ Gene nicht die einzig möglichen sind. Sie sind nur ganz einfach die Gene, mit denen auf diesem Planeten alles begonnen hat. Es gibt so viele Möglichkeiten, Gene zu bilden, als es Möglichkeiten gibt, Gedichte zu schreiben — oder Flugzeuge zu bauen. Wie du sicher weißt, hat es sich zu einer sehr brauchbaren und angenehmen Technik entwickelt, die Kanäle eines synthetischen Zeolits als Rückgrat für genetische Bänder zu verwenden, wenn wir eine Maschine wachsen lassen wollen, wie die, die wir vorhin zerlegt haben. Es ist unhandlicher als das Phosphat-Zucker-Basisband, aber es ist viel stabiler.

Nach wie vor ist es aber notwendig, daß man weiß, wie man mit den Realitäten zu arbeiten hat — trotz allem. Du weißt so gut wie ich, daß der Grund, warum du eine Lebenserwartung von etwa hundertfünfzig Jahren hast, darin zu suchen ist, daß dein besonderes Gensystem in einem halben Kubikmeter Zeolitmasse in Denver unter einer hübschen Aktennummer aufbewahrt wird…“

„-“, murmelte der Junge vor sich hin.

…..und jeder halbwegs kompetente Molekularmechaniker wie ich kann Ersatzteile wachsen lassen, wenn du sie brauchen solltest.“

„Das weiß ich alles, aber es scheint mir immer noch gefährlich, herumzustochern und kleinere Veränderungen bei den gewöhnlichen Lebensformen vorzunehmen“, erwiderte Rick.

„Es muß etwa fünfzigtausend Leute wie Sie auf der Welt geben, die ein gefährliches Virus, einen Keim oder Pilz in ein paar Wochen Laboratoriums- und Computerarbeit zusammenbasteln können und die Dinge wie einen Eisenfresser produzieren, deren Mutation sich als gefährlich erweist.“

„Es ist genauso gefährlich, daß sieben Milliarden Leute auf diesem Planeten leben, von denen praktisch jeder weiß, wie man ein Feuer entzündet“, entgegnete Mancini. „Gefährlich oder nicht, es war nicht mehr möglich, von Watson oder Crick und der DNA-Struktur zu diesem Zeowal zu kommen, ohne diese Zwischenentwicklung, genauso, wie es unmöglich war, von den Brüdern Wright und ihrem Flugapparat zu unseren Zweistunden-Transatlantik-Jets ohne die Motoren von Ford zu gelangen. Wir haben das Wisssen, und es ist eine historische Tatsache, daß niemand Wissen zerstören kann, und da können wir es genauso gut gebrauchen. Und die Tatsache, daß so viele fähige Praktiker existieren, ist eine Absicherung, falls die Entwicklung einmal ein wenig außer Kontrolle geraten sollte.“

Der Junge blickte nachdenklich vor sich hin.

„Da haben Sie irgendwie recht“, sagte er langsam. „Aber mit all dem Wissen — warum nur hundertfünfzig Jahre? Warum können wir nicht bis in alle Ewigkeit leben?“

„Glaubst du, daß wir das sollten?“ fragte Mancini mit ernstem Gesicht.

Der Junge grinste.

„Weichen Sie mir nicht aus. Wenn Sie es könnten, würden Sie es auch tun — einige Leute würden es auf jeden Fall wollen.

Warum können Sie es nicht?“

Mancini zuckte mit den Schultern.

„Viele hundert Millionen Leute kennen sicher die Regeln des Schachspiels.“ Er nickte zu Dandridge hinüber, der vor seiner Kontrolltafel saß. „Aber warum spielen nicht alle gleich gut?

Du weißt doch, warum die Ärzte zögerten, Hormone zur Therapie zu verwenden, als diese in unbeschränktem Maß zur Verfügung zu stehen begannen?“

„Ich glaube schon. Wenn man jemandem Cortison gibt, so kann das zwar die gewünschte Wirkung erzielen, aber es kann genausogut andere Drüsen anregen oder ihre Arbeit hemmen, was den Haushalt anderer Hormone gefährden würde, und das wieder… Nun, es wäre eben eine Kettenreaktion ohne absehba res Ende.“

„Ganz richtig. Und mit den Genen herumzuexperimentieren, das würde ähnliche Ergebnisse bringen, wenn nicht noch schlimmere. Wenn du durch einen Unfall die Beine verlörest, so könnte ich hier und jetzt dein Gensystem so manipulieren, daß dir neue Beine wachsen. Aber gleichzeitig besteht das Risiko, andere Dinge in deinem System zu gefährden. Genauer gesagt, ich müßte gewisse Einschränkungen in deinem Zellteilungskontrollmechanismus vornehmen, wenn die Beine lange genug sind, um ihr Wachstum zu stoppen — und dann passiert das gleiche, was durch natürlichen Zufall bei Krebskranken geschieht. Wahrscheinlich würde ich alle unangenehmen Nebeneffekte ausschalten können, da du erst neunzehn Jahre alt bist und noch prächtig stabil, wie wir es nennen. Wenn du älter wirst und immer mehr Faktoren diese Stabilität beeinträchtigen, wird es schon schwieriger. Und die Störfaktoren vermehren sich von Jahr zu Jahr.

Du wurdest mit einer ausreichend starken Stabilitätsreserve geboren, um ein paar Dekaden ohne biochemische Eingriffe leben zu können, sogar bis neunzig. Aber wenn wir unser Wissen einsetzen, können wir das Spiel noch länger spielen. Aber früher oder später müssen wir das Handtuch werfen. Nicht, daß wir nicht die Spielregeln kennen würden. Betrachten wir noch einmal die Analogie mit dem Schachspiel. Es sind einfach zu viele Figuren auf dem Brett, als daß wir alle auf einmal genau beobachten könnten.“

Stubbs schüttelte den Kopf.

„In dieser Weise habe ich mir das noch nie überlegt. Mir erschien das immer wie eine simple Reparatur, und ich konnte nicht einsehen, warum das so schwierig sein sollte.“

Mancini grinste.

„Da läßt deine ausgezeichnete Grundschulbildung eben doch zu wünschen übrig. Nun, es dauert noch ein paar Stunden, bis wir bei der Guppy eintreffen, und rund um uns laufen einige Analysen. Wenn ich diese Analysen in Worte kleide, die du verstehen kannst, wirst du vielleicht lernen, warum das Spiel so unkompliziert ist, bevor wir die Guppy erreichen. Und vielleicht…

„Sein Gesicht wurde ernst. „Vielleicht wirst du auch verstehen, warum das Spiel so viel Spaß macht, obwohl wir letzten Endes doch die Verlierer sind. Es ist nicht nur, daß unser Leben auf dem Spiel steht. Die Menschheit spielt dieses Spiel schon seit etwa zwei Millionen Jahren, und noch immer leben eine Menge Leute. Komm jetzt.“

Er wandte sich dem Tisch zu, auf den die verschiedenen Analysatoren ihre Resultate gehäuft hatten. Und da Stubbs über umfangreiche Grundkenntnisse der Mathematik und der Chemie verfügte, konnten sie sich in den Termina der Kürzel der wissenschaftlichen Sprache unterhalten. Sie achteten nicht darauf, als die Hauptturbinen der Haifisch beschleunigten und das Schiff sich seinen Weg zwischen den Eisbergen hindurch aus der Gegend suchte, in der die Zeowale Metall sammelten.

Als Winkle das offene Meer erreicht und Ishihara ihm den Weg für volle Fahrt freigegeben hatte, hatten die anderen vier jeden Kontakt mit der Außenwelt verloren. Dandridge spielte mit Farrell Schach, der Molekularmechaniker und sein angehender Lehrling waren in eine Aufgabe vertieft, die ebenso schwierig war wie etwa die, einem Vierzig-Mann-Orchester zu erklären, wie man „Aida“ von der Ouvertüre bis zum Schlußakkord ohne Notenvorlage spielt. Und im Vergleich dazu waren Stubbs’ mathematische Kenntnisse nicht weiter gediehen, als hätte er gerade die Tonleiter gelernt.

Nichts konnte die Spieler von ihren Spielen ablenken. Der Wind war etwas stärker geworden, aber die Dünung hatte sich kaum verstärkt. Als die Haifisch auf ihren Wasserdünen dahinglitt, wurden nur minimale Erschütterungen erzeugt, wenn die Streben die Wellen durchschnitten. Die Sonne stand hoch am beinahe wolkenlosen Himmel. Sowohl die visuelle als auch die sonare Führungstechnik funktionierte ausgezeichnet.

Die Guppy lag etwa zweihundert Kilometer weiter südlich, weit außerhalb der Reichweite des Sonars. Noch vier weitere Boote der Guppy befanden sich auf Dienstfahrt, und gelegentlich wechselte Winkle ein paar Worte mit ihren Kommandanten.

Aber keiner hatte etwas wirklich Wichtiges zu sagen. Die oberflächliche Konversation war eine Gewohnheitssache, nur um sich zu vergewissern, daß alles in Ordnung und jedermann auf seinem Posten war. Kein Pilot, weder in der Luft, zu Wasser oder unter Wasser maß dem Sprichwort, daß keine Neuigkeiten gute Neuigkeiten sind, viel Bedeutung bei.

Es wurde lange darüber diskutiert, wen dann die Schuld an der Unterbrechung dieses Idylls traf. Gewiß hatte Mancini dem Kapitän in großen Zügen seine Vermutung über die Pest dargelegt, die ihren ersten Zeowal getötet hatte. Aber ebenso gewiß hatte er es versäumt, die Bestätigung dieser Vermutung zu berichten, nachdem er mit Stubbs die Laboratoriumsresultate durchgegangen war. Winkle selbst fragte nicht nach einer solchen Bestätigung — es bestand auch kein besonderer Grund, warum er es hätte tun sollen, und wenn er es getan hätte, so fällt es schwer zu glauben, daß er all die Folgen erkannt hätte oder fähig gewesen wäre, etwas dagegen zu unternehmen. Die Tatsache bleibt bestehen, daß jeder, angefangen bei Kapitän Winkle, der an der Spitze der Kommandoleiter stand, bis zu Stubbs, der die unterste Sprosse einnahm, völlig überrascht wurde, als die hintere Steuerbordstrebe mitsamt dem Schwimmer fein säuberlich direkt unterhalb der Wasseroberfläche durchtrennt wurde.

Bei fünfundsechzig Knoten konnten keine menschlichen Reflexe mit der Situation fertig werden. Die elektronischen versuchten es, aber die mechanische Struktur des Schiffes war nicht darauf eingerichtet, den Verlust eines Schwimmers auszugleichen.

Als die Gyros das Absinken im rückwärtigen Steuerbord- Quadranten registrierten, versuchte der automatische Pilot, die Wasserdüsen des betreffenden Schwimmers auf Höchstleistung zu bringen, was natürlich nicht gelang. Das Schiff sank an dieser Stelle immer tiefer. Als der automatische Pilot schließlich durch das Absinken des vorderen Backbordschwimmers kompensieren wollte, war es zu spät. Das achtern herunterhängende Rumpfstück der Steuerbordseite prallte gegen einen Wellengipfel — bei einer Geschwindigkeit von fünfundsechzig Knoten —, und die Haifisch schlug einen Salto.

Durch das Eintauchen ins Wasser wurde ihre Geschwindigkeit abrupt aufgezehrt, das Schiff kam auf seinen Doppelrümpfen zu liegen und trieb schließlich schwankend auf der Dünung.

Außen zeigte die Haifisch kaum Anzeichen einer Beschädigung, und in der Hülle befanden sich nur ein paar geringfügige Dellen. Die Propeller waren abgetrennt worden, als sie sich überschlagen hatten.

Innen sah es anders aus. Die meisten der Apparaturen und auch ein paar Männer hatten keinen Schaden erlitten. Aber die anderen sahen um so schlimmer aus.

Winkle und Ishihara waren bewußtlos, obwohl sie noch immer auf ihren Sitzen hockten. Beide waren nach vorn geschleudert worden, gegen ihre Kontrollpulte, und waren mit unappetitlichen Fragmenten des zerteilten Zeowals drapiert.

Ishiharas Kopf hatte die Skalenscheibe seines Unterwasserschallmeßgeräts zerschmettert, und unzählige blutende Schnittwunden bedeckten sein Gesicht.

Die Schachspieler hatten Spuren auf der Kontrolltafel des Kranes hinterlassen und lagen nun verkrümmt daneben. Keiner der beiden blutete, aber Farrells Arme waren in einem so unnatürlichen Winkel verbogen, daß es unmöglich schien, daß er keine Knochenbrüche davongetragen hatte. Dandridge stöhnte und versuchte auf die Beine zu kommen. Er und Mancini waren die einzigen, die bei Bewußtsein waren.

Der Mechaniker hatte mit dem Gesicht nach Steuerbord auf einem Stuhl gesessen, als der Aufprall eintrat. Er war auf seinem Stuhl nicht festgeschnallt gewesen, und bevor er durch das Laboratorium geschleudert werden konnte, verfing sich sein rechtes Bein irgendwo. Es wurde nicht völlig vom Körper getrennt, und merkwürdigerweise war die Haut unversehrt geblieben.

Das war das einzige, was man unterhalb des Knies als sicher feststellen konnte.

Stubbs hatte neben dem Mechaniker gestanden. Später stritten sie darüber, ob es gut oder schlecht gewesen sei, daß er links gestanden hatte. Rick konnte nirgendwo Halt finden, als er herumgeschleudert wurde, und wenn etwas dagewesen wäre, so wäre er weder schnell noch stark genug gewesen, um es zu erwischen. Er wußte nicht, was ihn während seines Fluges durch das Laboratorium traf. Die Bewegungen der Haifisch waren so wild, daß es das Deck oder die Lehne eines Pilotensitzes gewesen sein konnte. Offensichtlich war er aber mit der großen Flasche kollidiert, in der Mancini den Schleim gesammelt hatte, der an der Haut des Wales geklebt hatte. Aber sie wußten nicht, ob die Flasche zu diesem Zeitpunkt noch ganz gewesen war. Es ist sehr schwer zu verstehen, wie er es geschafft hatte, so viele Teile zu absorbieren, auch wenn die Flasche bereits zertrümmert war. Ebenso schwer begreiflich ist es, wie sich die Fragmente so weit über seine Anatomie ausdehnen konnten, wenn die Flasche noch unversehrt gewesen war.

Es war Stubbs, oder besser gesagt, sein Anblick, der Mancini in Bewegung versetzte. Es war eine komplizierte Aufgabe, sein zerschmettertes Bein zu befreien, aber nicht kompliziert genug, als daß er den Blick von dem Jungen abgewandt hätte, der ein paar Meter von ihm entfernt lag. Arterienblutungen waren et was, das den Blick jedes Molekularchemikers magisch anzog.

Er fühlte sich übel, sein Bein schmerzte höllisch, aber die Übelkeit hatte andere Ursachen. Ob es der Anblick Ricks war oder der Schock, konnte er nicht sagen. Er bemühte sich, sein Bein zu ignorieren, als er über das Deck schwankte, obwohl das Bein selbst andere Gedanken zu hegen schien. Unglücklicherweise waren diese Gedanken nicht sehr zusammenhängend.

Manchmal verlangte das Bein seine ganze Aufmerksamkeit, und dann wieder schien es sich von ihm zu lösen, zu verschwinden. Er drehte sich nicht um, um nachzusehen, ob es noch da war. Was vor ihm war, das war viel wichtiger.

Der Junge hatte noch Blut, als Mancini ihn erreichte, und sein Herz funktionierte noch und pumpte es durch den Körper. Er verlor die Flüssigkeit nicht so schnell, wie es von weitem ausgesehen hatte, aber offensichtlich mußte man etwas für seine rechte Hand tun — oder für das, was davon übriggeblieben war, den Daumen und etwa die halbe Handfläche. Als der Mechaniker studiert hatte, war man in den Erste-Hilfe-Kursen gerade von der Aderpresse abgekommen, aber er hatte ein Alter erreicht, in dem er seine eigene Urteilskraft über Regeln stellte.

Er benutzte einen Gürtel als Aderpresse.

Nachdem er die anderen Verletzungen des Jungen inspiziert hatte, stellte er fest, daß er im Augenblick nichts dagegen unternehmen konnte. Sie bluteten langsam, und eine erste Hilfe wurde durch die Glassplitter erschwert, die aus den Wunden ragten. Gesicht, Brust und Beine waren aufgeschlitzt, aber die Blutung war nicht sehr schlimm, wie Mancini zumindest hoffte.

Die kleineren Wunden gerannen bereits.

Dandridge war bereits wieder auf den Beinen, stark angeschlagen, aber offensichtlich hatte er das Unglück am besten von den sechs Männern überstanden.

„Was kann ich tun, Marco?“ fragte er. „Alle anderen sind bewußtlos. Soll ich…“

„Tu nichts mit ihnen, bevor wir nicht sicher sind, daß sie sich nicht das Rückgrat gebrochen haben. Solange sie bewußtlos sind, geht es ihnen noch verhältnismäßig gut. Zumindest wäre das bei mir der Fall.“

„Es sind doch Drogen im Erste-Hilfe-Kasten! Ich könnte dir eine Betäubungsspritze geben.“

„Noch nicht. Wenn das Bein zu schmerzen aufhört, verliere ich womöglich das Bewußtsein. Und ich muß wach bleiben, bis Hilfe eintrifft. Die Ausrüstung des Laboratoriums ist nicht auf Reparaturen eingerichtet, aber wenn damit improvisiert werden muß, so muß ich es tun. Aber ich könnte mich besser bewegen, wenn das Bein geschient wäre.“

Fünf Minuten später befand sich Mancinis Bein von der Mitte des Oberschenkels abwärts in einer plumpen, aber verhältnismäßig festen Hülle aus hartgewordenem Schaumstoff. Das Bein schmerzte noch immer, aber Mancini konnte sich jetzt bewegen, ohne befürchten zu müssen, daß er damit dem Bein noch mehr Schaden zufügte.

„Gut. Und jetzt sieh nach, ob die Kommunikationsausrüstung die Erschütterung überstanden hat. Ich werde sehen, was ich für die anderen tun kann. Bewege den Captain und Ishi nicht.

Rühre sie nicht an, bevor ich sie behandelt habe.“

Dandridge ging zur Kontrolltafel der Kommunikationssektion und begann auf Schalter zu drücken. Er war kein ausgebildeter Radiomann. Ein solcher Spezialist befand sich nicht auf der Haifisch, aber wie jedes kompetente Mannschaftsmitglied, konnte er die Geräte des Schiffes unter normalen Umständen bedienen. Rasch stellte er fest, daß die Empfangsgeräte nicht funktionierten, aber der Sender schien intakt zu sein. Er drückte auf die erforderlichen Knöpfe und berichtete der Außenwelt vom traurigen Zustand der Haifisch. Er wußte nicht, ob die Signale auch tatsächlich ihr Ziel erreichten, aber er war nicht sonderlich besorgt. Die Haifisch war theoretisch unsinkbar. Ein großer Teil ihres Volumens war mit Schaumstoff gefüllt, der sie über Wasser halten würde. Das Problem war nur, ob Hilfe eintreffen würde, bevor es für die verletzten Männer nicht zu spät war.

Nachdem er zehn Minuten lang gesendet hatte, kehrte Dandridge zu dem Mechaniker zurück und fand ihn reglos auf dem Deck. Einen Augenblick lang dachte Dandridge, er habe das Bewußtsein verloren, aber dann sprach Mancini.

„Ich habe alles getan, was mir im Augenblick möglich war.

Ich habe Joes Arme geschient und Ricks Blutungen gestoppt.

Ishi hat eine Schädelfraktur und der Captain zumindest eine Gehirnerschütterung. Bewege die beiden nicht. Wenn es dir gelungen ist, in Kontakt mit der Guppy zu kommen, dann berichte ihnen von den Verletzungen. Wir brauchen Geninformationen aus Denver für Rick, wahrscheinlich auch für Ishi und für den Captain. Und dann sollen sie gleich beginnen, Blut für Rick herzustellen, sobald sie die Gendaten haben. Er hat ziemlich viel Blut verloren.“

„Ich weiß nicht, ob ich Kontakt habe, aber ich werde es Ihnen auf jeden Fall sagen“, erwiderte Dandridge und kehrte an die Kontrolltafel zurück. Von dort drehte er sich noch einmal um.

„Brauchst du nicht selbst Reparaturen?“

„Nicht, solange die Fragmente meines Beines so schmerzen.

Erzähle ihnen nur, daß ich mehrfache Beinfrakturen habe. Wie ich Bert Jellinge kenne, werden Genblöcke für uns alle in den Maschinen wachsen, noch bevor wir auf der Guppy sind.“

Dandridge musterte ihn besorgt.

„Soll ich dir nicht doch lieber eine Spritze geben? Du sagtest ja, du hättest alles getan, was du tun konntest, und es tut dir vielleicht ganz gut, ein wenig zu schlafen und die Schmerzen zu vergessen. Nun?“

„Gib erst den Bericht durch. Ich kann es noch aushalten. Au ßerdem habe ich nur unvollkommene Arbeit leisten können.

Wenn die Wellen stärker werden sollten, muß ich die Burschen neu versorgen. Wenn du den Bericht durchgegeben hast, sieh nach Rick. Ich glaube, seine Blutungen haben aufgehört, aber solange er nicht auf dem Reparaturtisch liegt, habe ich keine ruhige Minute.“

„Dann willst du also wach bleiben?“

„Von Wollen kann keine Rede sein. Aber wenn du in dem Zustand des Jungen wärst, würdest du es dann gern sehen, wenn ich einschliefe?“

Darauf wußte Dandridge keine Antwort und wandte sich dem Kommunikationsgerät zu.

Seine Signale wurden gehört. Die Seeal, der Fischtender, der sich in der Nähe der Haifisch befand, bewegte sich bereits auf das beschädigte Schiff zu. Sie hatte vierzig Kilometer zurückzulegen.

Auf der Guppy hatte der Chefmechaniker Mancinis Voraussagen wahr gemacht. Er hatte bereits mit Denver Kontakt aufgenommen, und Rick Stubbs Genkode wurde bereits abgestrahlt. Glücklicherweise waren die Kommunikationskanäle gerade von der Überstrapazierung entlastet worden, die eine gefährliche Explosion in Pittsburgh verursacht hatte. Dabei waren fünfzig Leute so schwer verletzt worden, daß Reparaturen dritten Grades erforderlich waren. Die Durchgabe der Daten würde über eine Stunde in Anspruch nehmen, auch bei Höchstgeschwindigkeit. Aber schon während der ersten zehn Minuten würde man genug Informationen erhalten, die dann mit den Daten im Computer der Guppy kombiniert werden konnten, um mit der Herstellung des Blutes beginnen zu können.

Das große Mutterschiff fuhr bereits zum Schauplatz des Unfalls, um den Weg der Seeal, die die Opfer an Bord nehmen würde, abzukürzen. Das Operationszentrum auf Kap Farewell hatte angeboten, eine Mastodon zu schicken, einen der gigantischen Hubschrauber, die imstande waren, ein Schiff von der Größe der Haifisch zu transportieren. Nach kurzer Überlegung hatte der Kommandant der Guppy das Angebot abgelehnt. Damit hätte man sogar Zeit verloren.

Mancini hätte dem Kommandanten recht gegeben, wenn er an der Diskussion hätte teilnehmen können. Aber als Dandridge zum zweitenmal seinen Bericht durchgegeben hatte, war der Mechaniker bereits in Ohnmacht gefallen.

Dandridge nahm an, daß die Bewußtlosigkeit seinem Freund nur gut tun konnte. Aber er war nicht allzu glücklich darüber, daß er nun der einzige an Bord war, der die Verantwortung zu tragen hatte. Die halbe Stunde, die die Seeal brauchte, um die Haifisch zu erreichen, verstrich nicht sehr angenehm für ihn, obwohl nichts passierte. Sogar sechzig Jahre später, wenn die Geschichte bereits mit schweren nordatlantischen Winterstürmen ausgeschmückt wurde, fand er keine adäquaten Worte, um seine Gefühle während dieser dreißig Minuten zu beschreiben.

Die Struktur der Schiffe ließ einen Transfer zu, wenn sie Bug an Bug lagen, aber das war nur bei ruhiger See möglich. Bei dem jetzigen Wellengang gelang es dem Kommandanten der Seeal nicht, den Bug näher als bis auf zehn Meter an das beschädigte Schiff heranzubringen.

Ein Taucher sprang von der Seeal ins Wasser und schwamm zu dem hilflosen Schiff. Dandridge sah ihn kommen, ging zu seiner Schalttafel, und zu seiner Überraschung ließ sich die Klappe öffnen, und auch die Leiter senkte sich herab. Ein paar Sekunden später stand der Taucher neben ihm auf dem Deck.

Nachdem Dandridge ihm die Situation zehn Sekunden lang erklärt und er selbst sich zwei Sekunden lang umgesehen hatte, war ihm alles klar. Er sprach in das Funkgerät, das zu seinem Taucheranzug gehörte, und wenige Sekunden später löste sich ein Floß mit zwei weiteren Männern von der Seeal. Einer da von war ein Mechaniker, und er verschwendete keine Zeit.

„Hüllt die Körper in Schaumstoff. Nur die Gesichter nicht.

Dann können wir sie auf die Reparaturtische bringen, ohne daß sie irgendwelche Gliedmaßen bewegen. Sie sagten, Marco glaube, daß es Schädel- und Rückgratfrakturen gäbe?“

„Er sagte, Ishi haben einen Schädelbruch und Winkle könnte möglicherweise einen haben. Und er meinte, wir müßten vorsichtig sein, weil auch Rückgratverletzungen denkbar sind.“

„Gut. Ruhen Sie sich aus. Ich mache das schon.“ Der Neuankömmling ging an die Arbeit.

Zwanzig Minuten später glitt die Seeal der Guppy entgegen.

Rick Stubbs wußte, wo er war, als er die Augen öffnete. Aber er hatte nicht die leiseste Ahnung, wie er hierhergekommen war. Er konnte sehen, daß er von Bluttransfusionsinstrumenten umgeben war, von elektronischen Kreislaufanregern und Nervensystemstärkern, von einem Sammelsurium aus Nadeln, Kapillargefäßen und Computern, die zu einer Regenerationsausrüstung gehörten. Aus all dem konnte er entnehmen, daß er verletzt worden war. Die Tatsache, daß er den Kopf und den rechten Arm nicht bewegen konnte, bestätigte diese Vermutung.

Aber er hatte keine Ahnung, welcher Art seine Verletzungen waren und wie er sie sich zugezogen hatte.

Er erinnerte sich, daß er mit Mancini im Laboratorium gesprochen hatte. Aber er wußte nicht mehr, was sie zuletzt gesagt hatten. Das Bild war verwischt, als er aus dem Nebel der Bewußtlosigkeit auftauchte.

Er konnte niemanden sehen. Aber vielleicht lag das daran, daß er den Kopf nicht wenden konnte. Konnte er sprechen? Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.

„Ist hier jemand? Was ist mit mir passiert?“ Es klang nicht wie seine eigene Stimme, und die Anstrengung des Sprechens verursachte Schmerzen in seiner Brust und im Magen. Aber offensichtlich waren seine Worte verstanden worden.

„Wir sind alle hier, Rick. Ich dachte mir schon, daß du jetzt aufwachen würdest.“ Mancinis Kopf erschien in Stubbs’ begrenztem Blickfeld.

„Wir sind alle hier? Sind alle verletzt? Was ist passiert?“

„Ich muß mich ein wenig korrigieren — die meisten von uns sind hier. Einer nicht mehr. Mach dir nicht die Mühe, Fragen zu stellen. Ich weiß, daß du Schmerzen beim Sprechen hast.

Ich erzähle dir alles. Gil war vor einer Weile noch hier. Aber er hatte nur geringfügige Verletzungen und ist bereits wieder auf seinem Posten. Wir anderen waren schwerer verletzt. Mein rechtes Bein war ein Puzzlespiel. Bert verbrachte spannende und interessante Stunden damit. Ich dachte schon, er müßte es abnehmen und ein neues machen, aber er schaffte es in fünf Stunden manueller Reparatur und in zwei Stunden Regeneration, und so werden mir die paar Monate, die ich vielleicht in einem Computer hätte verbringen müssen, erspart. Ich bin noch immer geschient, aber nur mehr für ein paar Tage.

Bis jetzt weiß niemand, was eigentlich passiert ist. Offenbar ist die Haifisch bei voller Geschwindigkeit gegen irgend etwas gestoßen. Sie schleppen das Schiff ab. Ich hoffe, wenn man es untersucht, wird man feststellen können, was mit der Haifisch geschehen ist.“

„Was ist mit den anderen?“

„Ishi ist angeschlossen. Er wird etwa eine Woche Computer- Regeneration brauchen. Aber genau kann man das erst sagen, wenn wir die Schäden in seinem Gehirn festgestellt haben, und das können wir erst, wenn er das Bewußtsein wiedererlangt hat. Er hatte eine schlimme Schädelfraktur. Der Kapitän war auch bewußtlos, und bei der ersten Untersuchung konnte ich ein paar gebrochene Rippen feststellen, die schwere innere Verletzungen verursachten. Bert versucht immer noch, ihn ohne Regeneration hinzukriegen, aber ich glaube nicht, daß er es schafft.“

„Sie haben doch auch nicht geglaubt, daß er Sie hinkriegt.“

„Das stimmt. Aber vielleicht konnte ich mir nur nicht vorstellen, daß ich es geschafft hätte. Vielleicht fällt es mir schwer, zuzugeben, daß Jellinge ein besserer Mechaniker ist als ich.“

„Und was ist mit Joe?“

„Beide Arme gebrochen und viele Verletzungen. Aber er wird bald in Ordnung sein. Bleibst noch du übrig, mein Junge.

Du bist nicht direkt ein kritischer Fall, aber du wirst einige Prozeduren über dich ergehen lassen müssen. Legst du viel Wert auf deine Fingerabdrücke?“

„Wie? Ich verstehe nicht…“

„Der Großteil deiner rechten Hand wurde zerschnitten, offenbar von Glassplittern meiner Flasche. Ben Turley von der Seeal, die uns aufgelesen hat, fand die fehlenden Teile deiner Hand und brachte sie uns. Sie sind jetzt in einer Kultur.“

„Was hat das mit meinen Fingerabdrücken zu tun? Warum haben Sie oder Jellinge die fehlenden Teile nicht wieder angenäht?„

„Weil einige Zweifel bezüglich ihres Zustands bestehen. Es war eine Stunde nach dem Unfall, bevor sie in die Kultur kamen.

Du weißt noch, daß Gehirnschäden entstehen können, wenn die Sauerstoffzufuhr ein paar Minuten lang gestoppt wird. Knochen, Sehnen und Gelenke sind natürlich nicht so empfindlich wie das Gehirn, aber chemisch gesehen ist eine Stunde eine sehr lange Zeitspanne. Und ein Anpflanzen verlangt nach Heilkräften, die ebenso von der genetischen Integrität abhängen wie von der nervlichen Aktivität. Wir waren nicht sicher, ob es in deinem Fall richtig gewesen wäre, die Handteile wieder anzupflanzen. Es ist die Frage, ob wir deine Hand wieder zusammenfügen oder ob wir dir eine neue wachsen lassen.

Deshalb fragte ich dich, ob du Wert auf deine Fingerabdrücke legst.“

„Würde eine neue Hand nicht die gleichen Abdrücke haben?“

„Dieselbe Klassifizierung, die genetisch festgelegt ist, aber die Details werden vom Zufall bestimmt.“

„Was würde länger dauern?“

„Wenn die Hand in dem Zustand ist, daß eine Anpflanzung möglich ist, wäre diese Methode die schnellere — etwa eine Woche würde es dauern. Wenn das nicht geht, dauert es ungefähr sechs- bis achtmal so lange.“

„Und wann werden Sie sich entscheiden?“

„Bald. Ich fragte mich, ob du vielleicht das eine oder andere lieber hättest. Welcher Methode würdest du den Vorzug geben? „

„Ich kann ja nicht wissen, was besser ist. Warum fragen Sie mich?“

„Aus verschiedenen Gründen. Ich werde sie dir sagen, wenn du zwei Jahre lang in Molekularmechanik ausgebildet sein wirst, wenn du dich für diesen Beruf entschließen solltest. Du hast mir noch immer nicht gesagt, welche Methode du bevorzugen würdest.“

Der Junge betrachtete ihn eine volle Minute lang schweigend.

Er dachte nicht über die Antwort nach, die Mancini von ihm erwartete, sondern er fragte sich, welche Gründe der Mechaniker haben mochte, ihm diese Frage zu stellen. Schließlich gab er es auf.

„Ich glaube, ich hätte lieber meine Originalhand, wenn die Möglichkeit besteht, daß sie mir wieder angepflanzt wird“, sagte er. „Dann müßte ich nicht so lange in der Maschine stekken und warten, bis mir eine neue Hand wächst.“

„Gut, dann versuchen wir es auf diese Art. Natürlich wirst du so oder so eine Weile in der Maschine bleiben müssen. Wenn wir also Schwierigkeiten mit der Hand haben sollten, wird sich das nicht auf deine Zeit auswirken.“

„Wie meinen Sie das? Ist außer der Hand noch etwas nicht in Ordnung?“

„Hast du nicht bemerkt, daß dein Kopf festgeklemmt ist?“

„Ja, sicher. Ich stellte fest, daß ich ihn nicht bewegen kann, aber ich hatte keine Ahnung, daß etwas damit nicht in Ordnung ist. Was ist mit meinem Kopf passiert?“

„Die Splitter von der Flasche verletzten dein Gesicht.“

„Warum kann ich dann so gut sehen und sprechen?“

„Wenn ich das wüßte, dann würde ich zu arbeiten aufhören und mein Leben als Berufsspieler fristen. Als ich dein Gesicht sah, nachdem es gereinigt und die Glassplitter entfernt worden waren, fragte ich mich, ob nicht irgendein bestimmter Plan in der Anordnung der Splitter gelegen haben konnte. Es war geradezu unglaublich.“

„Wie war es denn? Können Sie es nicht genauer beschreiben?„

„Offen gesagt, lieber nicht. Es existieren natürlich Fotos, aber ich werde dafür sorgen, daß du sie erst zu Gesicht bekommst, wenn du wiederhergestellt bist. Dann kannst du in den Spiegel gucken, um dich über dein neues Aussehen zu beruhigen, falls sich dir beim Anblick der Fotos der Magen umdrehen sollte.

„Nein…“, sagte er entschlossen, als Stubbs ihn unterbrechen wollte, „ich respektiere deine innere Festigkeit, aber ich bezweifle, ob du sie aufrechterhalten kannst, wenn du mit der Realität konfrontiert wirst. Ich könnte es kaum, wenn es sich um mein Gesicht handeln würde.“ Mancini mußte an die schrecklichen Augenblicke denken, als er sein ruiniertes Bein über das Deck der Haifisch geschleppt hatte, zu dem blutenden Körper des Jungen.

Rick verfolgte das Thema nicht weiter, denn plötzlich war ihm ein anderer Gedanke gekommen.

„Sie lassen mein Gesicht regenerieren, ohne mich zu fragen, ob ich es so haben will wie mit meiner Hand, nicht wahr?“

„Ja.“

„Das bedeutet also, mein Gesicht ist so schwer verletzt, daß es mit der normalen Heilmethode nicht wiederhergestellt werden kann.“

Mancini verzog die Lippen und dachte eine Weile nach, bevor er antwortete.

„Es würde natürlich heilen. Wenn man dein Alter in Betracht zieht, könnte es sogar heilen, ohne daß große Narben zurückbleiben.

Aber das Risiko, daß zu viele sichtbare Narben bleiben, ist doch zu groß.“

Stubbs lag schweigend da und starrte zur Decke empor. Der Mechaniker war überzeugt, daß der Gesichtsausdruck des Jungen nachdenklich war. Sehen konnte er es nicht, weil der Großteil von Stubbs’ Gesicht verdeckt war. Er fragte sich, was den Jungen beunruhigte. Soweit er es nach der Zusammenarbeit mit ihm beurteilen konnte, war Stubbs kein Feigling. Und er konnte sich auch nicht vorstellen, wovor sich Stubbs fürchtete. Aufgrund seines Berufs waren Wachstumsprozesse, natürliche oder künstliche, nichts Aufregendes für ihn. Stubbs schwebte keineswegs in der Gefahr, mißgestaltet oder verkrüppelt zu bleiben oder starke Schmerzen ertragen zu müssen. Aber irgend etwas beunruhigte den Jungen offensichtlich.

„Marco, wo hört bei Wachstumsprozessen die genetische Kontrolle auf?“ fragte Stubbs schließlich. „Und wo setzt die Wirkung der Statistik ein?“

„Das kann man nicht exakt und allgemein beantworten. Genetische Faktoren sind Wahrscheinlichkeitsfaktoren, aber sie besitzen einen so hohen Wahrscheinlichkeitsgrad, daß wir von Stabilität sprechen. Ich habe mit dir über die Fingerabdrücke gesprochen, aber jede Situation erfordert eine andere Antwort.“

„Was Sie über die Fingerabdrücke sagten, hat mich nachdenklich gemacht. Sie werden mein Gesicht wiederherstellen.

Sie sagen mir nicht, was alles neu gemacht werden muß, aber Sie gaben zu, daß es auch auf normalem Weg heilen könnte.

Wenn Sie mein Gesicht wiederherstellen, wie ähnlich wird es meinem Originalgesicht sein? Wann und wie wird der statistische Faktor wirken?“

„Statistische Faktoren gibt es überall, während des gesamten Prozesses“, erwiderte Mancini. „Das sagte ich dir schon. Dein Gesicht müßte dem alten so ähnlich sehen, wie sich die Gesichter von Zwillingen gleichen, und auch aus demselben Grund.

Jemand, der Zwillinge sehr gut kennt, kann sie für gewöhnlich auseinanderhalten, aber dein altes Gesicht wird nicht mehr existieren, und man wird also keine Vergleiche anstellen können.

Ich verspreche dir, daß niemand an deiner Identität zweifeln wird.“

„Außer, es geht etwas schief.“

„Wenn etwas schiefgeht, können wir die Prozedur wiederholen.„

„Es könnte wirklich etwas schiefgehen.“

Mancini hätte durchaus zugegeben, daß die Sonne am nächsten Tag nicht aufgehen würde, wenn genug passieren sollte, um es zu verhindern. Er leugnete auch nicht, daß der Junge recht haben könnte, und fühlte sich leicht irritiert.

„Heißt das, daß du nicht willst, daß wir die Arbeit tun? Willst du lieber die Narben in Kauf nehmen?“

„Warum müssen überhaupt Narben entstehen? Warum kann ein normales genetisches Material nicht noch einmal das bilden, was es bereits einmal gebildet hat? Manchmal ist das doch der Fall. Warum nicht immer?“

„Das kann man schwer erklären. Es hat etwas mit den Faktoren zu tun, die deine Nase am Wachsen hinderten, bevor sie die Ausmaße eines Elefantenrüssels erreichte, oder genauer gesagt, mit den Faktoren, die dein gesamtes Wachstum stoppten.“

„Kann man diese Faktoren in einem besonderen Fall genau messen?“

„Ziemlich genau.“

Stubbs verfolgte dieses Thema mit einem Eifer, der dem Mechaniker zu denken hätte geben sollen.

„Dann können Sie doch sagen, ob die Wunden in meinem speziellen Fall Narben hinterlassen werden.“

„Ich — nun ja, ich nehme es an. Es würde… Hm, ich werde darüber nachdenken. Normalerweise würden wir dein Gesicht ganz einfach wiederherstellen. Was hast du eigentlich dagegen?

Wir setzen die Dinge zusammen und beobachten dann den Prozeß, korrigieren, wenn etwas nicht richtig ist, und folgen genau dem Plan, nach dem dein ursprüngliches Gesicht entstanden ist.“

„Ich verstehe noch immer nicht, warum mein Körper diesen Plänen nicht ohne Ihre Hilfe folgen kann.“

„Nun, keine Analogie ist vollkommen. Aber grob gesagt — deshalb, weil die Zellen, die sich teilen müssen, um das Wachstum zu gewährleisten, die Pläne, die sie für die Originalkonstruktion brauchten, abgestempelt haben, als die Produktion vollendet war. Und die Stempel haben einiges von den Linien der Pläne verdeckt.“

Mancini verlor langsam die Geduld, was sein Tonfall verriet.

Theoretisch hätte sein Bein ihm keine Schmerzen bereiten dürfen, aber er stand jetzt schon seit geraumer Zeit, und jeder Molekularmechaniker hätte ihm gesagt, daß beim gegenwärtigen Stand seines Heilprozesses er nicht so lange stehen durfte.

Warum ließ der Junge nicht locker?

Entweder bemerkte Stubbs Mancinis gereizten Tonfall nicht, oder er kümmerte sich nicht darum.

„Aber die Pläne, die Informationen, existieren doch noch.

Sogar ich weiß soviel über Molekularbiologie. Ich habe noch nicht gelernt, Ihre Analysatoren zu benutzen, und noch weniger, die Resultate auszuwerten. Aber ich verstehe nicht, warum es schwieriger sein soll, die Pläne trotz der Stempel zu lesen, als die Fähigkeit des magnetischen Schleimes festzustellen, Eisen aus den Zellen zu ziehen.“

„Deine Frage lautete, warum dein Körper es nicht schafft.

Verändere nicht mitten im Spiel die Spielregeln.

Ich sagte, es sei ungewöhnlich, es auf deine Methode zu machen, und ich verstehe auch nicht, was du damit gewinnen willst. Du würdest unsere Arbeit verdoppeln. Ich bin nicht direkt faul, aber diese Arbeit ist ohnehin schon kompliziert und zeitraubend genug. Wenn jemand dein Porträt malen soll und dich gefragt hat, ob du es auf Papier oder auf Leinwand haben willst, würdest du ihn dann noch fragen, welche Farbtöpfe und Pinsel er benutzt?“

„Das halte ich nicht für eine gute Analogie. Ich will doch nur wissen, was ich zu erwarten habe…“

„Du kannst nicht wissen, was du zu erwarten hast. Das kann niemand. Du mußt dich mit den Unsicherheiten abfinden. Aber du hast den Vorteil, daß du wenigstens annähernd weißt, was dich erwartet. Und jetzt bitte ich dich, mir zu sagen, ob du willst, daß Bert und ich den Heilprozeß deines Gesichts kontrollieren, oder ob du es sich selbst überlassen willst.“

„Aber wenn man Pflanzen züchten kann, die Sandwiches statt Kürbisse hervorbringen, warum…“

Mancini machte eine ungeduldige Handbewegung. Er konnte den Jungen gut leiden und hoffte immer noch, ihn für seine Arbeit zu begeistern, aber es gab gewisse Grenzen.

„Hör endlich mit dem Gerede auf und gib mir eine klare Antwort auf eine klare Frage. Ich kann dir versprechen, daß dein Gesicht keine Narben behalten wird. Und die Chancen, daß du keine Narben behältst, wenn du dein Gesicht auf normale Art heilen läßt, stehen fünfzig zu fünfzig. Wenn du uns den Job tun läßt, wird nicht einmal deine Mutter merken, daß an dir eine Regeneration vorgenommen wurde. Du hast das Recht, selbst die Entscheidungen zu treffen, was deine Gesundheit betrifft. Wozu entschließt du dich also?“

Rick antwortete erst nach zwei Minuten. Still lag er da, und er vermied es, Mancini anzusehen.

„Also gut, tun Sie Ihr Bestes“, sagte er dann. „Wie lange, sagten Sie, wird es dauern?“

„Ich kann mich nicht erinnern, daß ich das gesagt habe. Aber wahrscheinlich wird es zwei Wochen dauern.“

„Wann werden Sie beginnen?“

„Nachdem ich geschlafen habe. Dein Blut ist wieder normal.

Nichts kann uns noch aufhalten. Welche Bücher möchtest du?“

„Eh?“

„Dein Kopf muß noch eine Zeitlang festgeklemmt bleiben.

Du kannst nur in eine Richtung blicken, gerade nach oben. Mit der linken Hand kannst du einen Schalter bedienen, und ein Projektor kann die Buchseiten an die Decke werfen. Ich weiß nicht, womit du dich sonst beschäftigen sollst. Willst du leichte Unterhaltungsliteratur oder interessierst du dich für die Grundlagen der Biochemie?“

Eine Regenerationsmaschine wirkt plump, obwohl sie in ihrer Struktur sehr kompliziert ist. Ihre Sensoren sind kleiner im Durchmesser als menschliche rote Blutkörperchen, und es gibt Millionen davon. Die Injektoren und Prüfer sind nur so groß, daß Zellen in ihre Röhren passen, und auch sie sind zu zahlreich, als daß das Gerät auf mechanischem Weg hätte konstruiert werden können. Der Steuercomputer mit seinen mehr als zwei Kubikmetern „Maschinen“ von Molekülgröße basiert denn auch auf einem synthetischen Zeolit-Rahmen. Es dauert etwa einen Tag, bis die Gendaten, die für einen speziellen Fall erforderlich sind, in den Computer selbst gelangen. Und es hätte ein ganzes Leben gedauert, wenn man das manuell gemacht hätte.

Die Grenze zwischen zwei anscheinend so verschiedenen Gebieten wie Medizin und Technik war bei der Regenerationsmaschine verwischt. Marco Mancini und Bert Jellinge betrachteten sich als Mechaniker. Es ist schwer zu sagen, als was sie ein paar Dekaden früher bezeichnet worden wären. Sogar zu der Zeit, als sie geboren worden waren, hätten kaum zehn Ärzte auf der ganzen Welt all das gewußt, was zu ihrer Grundausbildung gehörte.

Als sie die Vorbereitungen ihrer Arbeit an Rick getroffen hatten, bildeten etwa fünf Millionen Sensorenfühler einen Bart auf dem Gesicht des Jungen. Die meisten drangen am Rand der verletzten Teile in die Haut. Fünfhundert der Fühler bildeten mit größeren Röhren eine Einheit. Die Fühler informierten den Computer über die genetischen Muster, die im Verlauf des Heilprozesses aktiv waren — oder wenigstens über eine statistisch signifikante Anzahl von genetischen Mustern. Wann immer diese Aktivitäten nicht das erreichten, was sie nach Meinung des Computers erreichen sollten, nahm eine der größeren Röhren eine Zelle aus dem betreffenden Gebiet und transferierte sie in einen großen Brutapparat — „groß“ in dem Sinn, daß er ohne Mikroskop gesehen werden konnte — direkt auf der Oberfläche von Ricks Haut. Hier wurde die Zelle analysiert und so verändert, daß der Heilprozeß ohne Zwischenfälle weitergehen konnte.

Wenn irgend etwas nicht plangemäß verlief, wurden Zellen modifiziert, aktive Teile des genetischen Materials verändert, inaktive Teile aktiviert. Die reparierten Zellen wurden geteilt und wieder an ihren Originalplatz transferiert.

Fast alles geschah automatisch. Zu viele Operationen gingen gleichzeitig vor sich, als daß man sie manuell hätte kontrollieren können. Trotzdem waren Mancini und Jellinge beschäftigt.

Kein Leben, weder das wirkliche noch das künstliche, ist unfehlbar, und auch Computer können irren.

Auch Zellen, die nicht das besondere Interesse des Compu ters erregt hatten, die aus Gebieten stammten, wo alles in Ordnung zu sein schien, wanderten durch die Röhren. Sie gingen weiter als bis zum Brutapparat. Sie kamen an eine Stelle, wo ein menschlicher Beobachter sie mittels Mikroskop betrachten konnte. Das alles geschah vierundzwanzig Stunden pro Tag, und die beiden Mechaniker wurden von vier anderen von Zeit zu Zeit am Mikroskop abgelöst.

Die Fühler und Röhren, die am weitesten von den verletzten Stellen waren, zogen sich konstant zurück, ertasteten sich den Weg zur Aktionsfront, pflanzten selbst neu ein, von chemischen Anhaltspunkten geleitet.

Während die Tage verstrichen, bildeten sich allmählich Haut, Fleisch und Muskeln, Nerven, Knochen und Venen an den richtigen Stellen an Stubbs’ Gesicht und Hand. Das Gesicht war, wie Mancini vorhergesagt hatte, zuerst fertig. Bei der abgetrennten Hand mußten die meisten Zellen neu gebildet werden.

Als Ricks Kopf nicht mehr festgeklemmt war, bat er den Mechaniker um einen Spiegel. Mancini trug ihn bereits bei sich und reichte ihn dem Jungen. Er beobachtete, wie Rick sein Gesicht hin und her drehte und es aus jedem möglichen Blickwinkel musterte. Er hätte erwartet, daß ein Mädchen sich so benahm.

Aber warum führte der Junge sich so auf?

„Nun, bist du immer noch derselbe?“ fragte Mancini schließlich.

„Wenigstens hast du deine Fingerabdrücke behalten.“

Rick senkte den Spiegel.

„Vielleicht hätte ich doch eine neue Hand nehmen sollen. Mit neuen Fingerabdrücken hätte ich vielleicht unerkannt einen Banküberfall begehen und die Wartezeit bis zu meinem wohlverdienten Ruhestand verkürzen können.“

„Glaube das ja nicht“, erwiderte Mancini grinsend. „Deine neuen Fingerabdrücke wären zusammen mit deinen Gendaten längst in Denver in deiner Spezialakte festgehalten, noch bevor du aus der Maschine gekommen wärst. Ich mußte eine schriftliche Darstellung der Operation einreichen, bevor ich damit beginnen konnte. Also vergiß deine geplanten Vorhaben.“

Stubbs zuckte mit den Schultern.

„Ich bin nicht besonders enttäuscht, weil ich die Verbrecherlaufbahn nicht ergreifen kann. Wie lange wird es dauern, bis ich mit dieser Hand einen Brief schreiben kann?“

„Etwa zehn Tage. Aber warum willst du dir die Mühe machen, einen Brief zu schreiben? Du kannst reden, mit wem du willst. Hast du nicht jeden Tag deine Eltern im Visiphon gesehen?“

„Ja. Haben Sie eigentlich herausgefunden, warum die Haifisch verunglückt ist?“

Mancini schnitt eine Grimasse.

„Allerdings. Sie wurde von demselben Zeug infiziert, das den Zeowal getötet hat. Hast du vielleicht nicht zufällig mit dem Fisch eine Strebe berührt, als du die Schlingen anbrachtest?“

Rick starrte ihn an.

„O Gott, ja! Ich drückte ihn gegen den Rumpf und an eine Strebe, weil er so glitschig war… Es tut mir leid — ich wußte ja nicht…“

„Natürlich wußtest du es nicht. Und ich auch nicht. Später dachte ich nie an diese Möglichkeit. Eine der Streben war durch das Zeug so geschwächt worden, daß sie bei voller Fahrt brach, und Newtons Gesetze erledigten den Rest.“

„Aber bedeutet das nicht, daß auch die anderen Schiffe in Gefahr sind? Und was ist mit der Guppy? Kann man denn nichts dagegen tun?“

„Oh, sicher. Es wurde schon längst etwas getan. In wenigen Wochen wurde ein Virus, das dieses Gewächs vernichtet, hergestellt.

Aber warum hast du das Thema gewechselt, Junge?

Deine Leute haben angerufen. Ich konnte nicht umhin, eure Gespräche mitanzuhören, wenn ich auf Beobachtungsposten war. Warum willst du also unbedingt einen Brief schreiben?“

Er bemerkte mit professioneller Zufriedenheit, daß die Röte sich gleichmäßig auf Ricks Gesicht ausbreitete. Die Kapillargefäße und Hilfsmuskeln und — nerven waren hervorragend gebildet worden.

„Rede schon, Junge!“

„Es ist — nicht so wichtig“, stammelte Rick.

„Nicht wichtig — oh, ich verstehe. Nicht wichtig genug. Aber doch so wichtig, daß du dich in einen zitternden Einfaltspinsel verwandelst, der vor Angst umkommt, seine hübschen Gesichtszüge könnten sich womöglich ändern, der kaum fähig ist, simple Entscheidungen zu treffen. Aber ab jetzt wird ohnehin sie alle Entscheidungen treffen.“

Rick errötete noch tiefer.

„Also gut, Marco. Sie haben recht! Und jetzt tun Sie Ihren Job und sehen Sie zu, daß meine Hand fertig wird, damit ich schreiben kann. Zumindest gibt es noch eine Form der Kommunikation, die Sie nicht mithören können, wenn Sie auf Posten sind.“

„Deine Hand wird bald in Ordnung sein, Rick, und in wenigen Wochen wirst du lernen, damit zu schreiben.“

„Was?“

„Es ist ein neues Nervennetz. Die Nerven sind etwas höher am Unterarm mit deinen alten Nerven verbunden. Du mußt neu lernen, deine rechte Hand zu gebrauchen.“

Der Junge starrte ihn bestürzt an.

„Aber mache dir keine Sorgen. Ich werde mein Bestes tun, um die Zeit zu verkürzen. Aber die Sache mit dem Brief gehört nicht zu meinem Job. Ich bin nur ein Mechaniker. Wenn du liebeskrank bist, gehe besser zu einem Arzt.“


ENDE