"Der schlaue Urfin und seine Holzsoldaten" - читать интересную книгу автора (Wolkow Alexander)





DER MENSCHENSCHEUE TISCHLER

Tief im Innern des gewaltigen nordamerikanischen Kontinents lag, von einer gro#223;en W#252;ste und unbezwingbaren Bergen umgeben, ein Wunderland, in dem gute und b#246;se Feen lebten und die Tiere wie Menschen sprachen. Dort war es immer Sommer, und unter der ewig hei#223;en Sonne wuchsen auf den B#228;umen ungew#246;hnliche Fr#252;chte. Im S#252;dwesten dieses Landes - man nannte es das Blaue Land - lebte das Volk der K#228;uer: sanfte, liebe Menschlein, die nicht gr#246;#223;er waren als achtj#228;hrige Knaben in anderen L#228;ndern, in denen es keine Wunder gibt.

Herrscherin im Blauen Land der K#228;uer war die b#246;se Zauberin Gingema. Sie lebte in einer tiefen finsteren H#246;hle, der sich kein Mensch zu n#228;hern wagte. Nur einer, ein Mann namens Urfin, baute sich zur Verwunderung aller ein Haus unweit der H#246;hle der Zauberin. Dieser Urfin hatte sich von klein auf durch Zanksucht von seinen Landsleuten unterschieden. Nur selten spielte er mit anderen Kindern, und wenn er es tat, forderte er von ihnen blinden Gehorsam. Meistens endeten die Spiele, an denen er teilnahm, mit einer Rauferei.

Urfins Eltern waren fr#252;h gestorben, und ein Tischler, der in dem D#246;rfchen Kogida lebte, hatte den Jungen zu sich in die Lehre genommen. W#228;hrend er heranwuchs, wurde er immer z#228;nkischer. Als er das Handwerk erlernt hatte, ging er ohne Bedauern und ohne ein Wort des Dankes von seinem Lehrmeister fort. Der brave Mann aber war ihm nicht b#246;se. Er schenkte ihm sogar Werkzeug und was ein Handwerker sonst noch f#252;r den Anfang braucht.

Aus dem Knaben war ein geschickter Tischler geworden. Er machte Tische und B#228;nke, landwirtschaftliche Ger#228;te und vieles andere. Seltsamerweise #252;bertrugen sich aber seine Boshaftigkeit und Zanksucht auf die Dinge, die er herstellte. Seine Heugabeln stie#223;en die Leute in die Rippen, die Schaufeln schlugen sie auf die K#246;pfe, und die Rechen schienen es darauf angelegt zu haben, ihren Herren zwischen die Beine zu fahren, damit sie umfielen. Urfin verlor seine K#228;ufer.

Er begann Spielsachen zu schnitzen. Seine Hasen, B#228;ren und Hirsche hatten aber solch grauenhafte K#246;pfe, da#223; die Kinder bei ihrem Anblick erschraken und dann die ganze Nacht weinten. Die Spielsachen verstaubten in Urfins Kammer, denn niemand wollte sie kaufen.

Urfn wurde bitterb#246;se. Er gab seinen Beruf auf und lie#223; sich im Dorf nicht mehr sehen. Von da an lebte er nur noch von den Fr#252;chten seines Gartens. Der menschenscheue Tischler ha#223;te seine Landsleute so sehr, da#223; er ihnen in nichts gleichen wollte. Die K#228;uer wohnten in blauen runden H#228;uschen mit spitzen D#228;chern, auf denen oben Kristallkugeln glitzerten. Urfin aber baute sich ein viereckiges Haus, das er braun anstrich und auf dessen Dach er einen ausgestopften Adler setzte. Die K#228;uer trugen blaue R#246;cke und blaue Stulpenstiefel, Urfins Rock und Stiefel aber waren gr#252;n. Die K#228;uer trugen Spitzh#252;te mit breiten Krempen, an denen Silberschellen baumelten, Urfin aber mochte keine Schellen und trug einen Hut ohne Krempe. Die weichherzigen K#228;uer weinten bei jedem Anla#223;, in Urfins b#246;sen Augen aber hatte noch niemand eine Tr#228;ne gesehen.

So vergingen mehrere Jahre. Eines Tages begab sich Urfin zu Gingema und bat sie, ihn in ihre Dienste zu nehmen. Die Hexe freute sich sehr dar#252;ber. Seit Jahrhunderten hatte sich noch kein K#228;uer gefunden, der ihr aus freien St#252;cken zu dienen bereit gewesen w#228;re. Alle ihre Befehle waren nur unter Androhung von Strafe ausgef#252;hrt worden. Jetzt hatte sie endlich einen Helfer bekommen, der ihr gern gehorchte. Und je schlimmer ihre Befehle f#252;r die K#228;uer waren, desto beflissener #252;berbrachte sie Urfin den Leuten. Dem m#252;rrischen Tischler war es ein besonderes Vergn#252;gen, durch die kleinen D#246;rfer des Blauen Landes zu ziehen und den Einwohnern Steuern aufzuerlegen: so und so viele Schlangen, M#228;use, Fr#246;sche, Blutegel und Spinnen.

Die K#228;uer aber hatten schreckliche Angst vor Schlangen, Spinnen und Blutegeln. Wenn ihnen befohlen wurde, solches Gekreuch einzusammeln, begannen die Menschlein j#228;mmerlich zu schluchzen. Dabei nahmen sie die H#252;te ab und legten sie auf die Erde, damit das L#228;uten der Schellen sie beim Weinen nicht st#246;re. Urfin aber lachte nur h#246;hnisch. Zur festgesetzten Stunde kam er mit gro#223;en K#246;rben anger#252;ckt, sammelte alles ein und trug es in die H#246;hle Gingemas, die die Schlangen, Spinnen und Blutegel verzehrte oder f#252;r ihre b#246;sen Zaubereien verwendete.

Gingema ha#223;te das ganze Menschengeschlecht und beschlo#223;, es zu vernichten. Zu diesem Zweck beschwor sie einen schrecklichen Sturm herauf, den sie #252;ber Berge und W#252;sten hinweg in die St#228;dte und D#246;rfer lenkte, damit er sie zerst#246;re und die Menschen unter ihren Tr#252;mmern begrabe.

Das t#252;ckische Vorhaben wurde jedoch durch die gute Zauberin Willina vereitelt, die im Nordwesten des Wunderlandes lebte. Der Sturm erfa#223;te nur ein kleines H#228;uschen in der Steppe von Kansas: einen Packwagen, dem man die R#228;der abgenommen hatte. Auf Willinas Befehl trug der Sturm das H#228;uschen in das Land der K#228;uer und lie#223; es auf Gingema niedergehen, die dabei umkam.

Wie staunte aber Willina, als sie im H#228;uschen ein M#228;delchen erblickte! Es war die kleine Elli, die mit ihrem geliebten H#252;ndchen Totoschka vor dem Gewitter in das H#228;uschen gefl#252;chtet war.

Willina wu#223;te nicht, wie sie Elli helfen sollte, in ihre Heimat zur#252;ckzukehren. Sie riet ihr, in die Smaragdenstadt, die Hauptstadt des Wunderlandes, zu ziehen, wo man ihr bestimmt helfen werde.

#220;ber den Herrscher der -Smaragdenstadt, Goodwin den Gro#223;en und Schrecklichen, gingen verschiedene Ger#252;chte um. Es, mache ihm nichts aus, hie#223; es, die Felder mit Feuerregen zu verbrennen oder die H#228;user der Menschen mit Ratten und Fr#246;schen zu #252;berschwemmen. Deshalb sprachen die Leute nur fl#252;sternd von ihm, denn sie hatten Angst, ihn durch ein unvorsichtiges Wort zu reizen.

Elli folgte dem Rat der guten Fee und machte sich auf den Weg, in der Hoffnung, Goodwin werde sich nicht als so schrecklich erweisen, wie die Leute sagten, und er werde ihr helfen, nach Kansas zur#252;ckzukehren.

Den menschenscheuen Urfin hatte das M#228;dchen niemals gesehen. An dem Tag, als das H#228;uschen Gingema get#246;tet hatte, war der Tischler nicht dagewesen. Er hatte sich damals im Auftrag der Zauberin nach einem entlegenen Teil des Blauen Landes aufgemacht. Die Nachricht vom Tod seiner Herrin #228;rgerte und freute ihn zugleich. Er bedauerte es, eine so

m#228;chtige Besch#252;tzerin verloren zu haben, hoffte aber, in den Besitz ihres Reichtums und ihrer Macht zu gelangen.

In der Umgebung der H#246;hle gab es keine Menschen, und Elli und Totoschka befanden sich gerade auf dem Weg in die Smaragdenstadt.

Urfin kam der Gedanke, sich in der H#246;hle niederzulassen und sich zum Nachfolger Gingemas und Herrscher des Blauen Landes auszurufen. Die #228;ngstlichen K#228;uer w#252;rden es hinnehmen und nicht zu murren wagen.

Die verr#228;ucherte H#246;hle mit B#252;ndeln getrockneter M#228;use an den W#228;nden, einem ausgestopften Krokodil unter der Decke und anderem Hexenkram war aber so na#223; und dunkel, da#223; Urfin erschauerte. „Brr! In diesem Loch soll ich leben? Niemals!"

Er begann nach den silbernen Schuhen zu suchen, die, wie er wu#223;te, der Hexe besonders teuer gewesen waren. Vergeblich durchst#246;berte er aber die H#246;hle - die Schuhe waren nicht zu finden.

„Uf-uf-uf !" h#246;rte er pl#246;tzlich eine h#246;hnische Stimme #252;ber sich, die ihn erzittern lie#223;. Von einer hohen Stange blickten zwei gelbe Augen auf ihn herab, die im Dunkel leuchteten.

,,Bist du es, Guam, die Eule?"

„Nicht Guam, sondern Guamokolatokint", entgegnete barsch der Vogel.

„Und wo sind die anderen Eulen?"

„Fortgeflogen!"

„Warum bist du biergeblieben?"

„Was soll ich denn im Walde tun? Vielleicht V#246;gel fangen wie die gew#246;hnlichen Eulen und Uhus ...? F#252;r diese anstrengende Besch#228;ftigung bin ich zu alt und zu klug!" Urfin kam eine Idee.

„H#246;r mal, Guam ..." Die Eule schwieg. „Guamoko ... Guamokolatokint!" „Sprich!"

„Willst du bei mir bleiben? Ich werde dich mit M#228;usen und zarten K#252;cken f#252;ttern." „Wohl nicht umsonst?" entgegnete der kluge Vogel.

„Wenn die Leute sehen, da#223; du mir dienst, werden sie glauben, ich sei ein Zauberer."

„Keine schlechte Idee", stellte die Eule fest. „Nun gut, ich bin einverstanden. Als erstes

will ich dir sagen, da#223; du die silbernen Schuhe vergeblich suchst. Die hat ein kleines Tier

namens Totoschka fortgetragen, dessen Art mir unbekannt ist."

Die Eule blickte Urfin scharf an und fragte dann:

„Und wann beginnst du Fr#246;sche und Blutegel zu essen?"

„Was?" fragte Urfin erstaunt. „Blutegel essen? Wozu das?"

„Weil es sich f #252;r b#246;se Zauberer so geh#246;rt! Erinnerst du dich denn nicht, wie gewissenhaft Gingema M#228;use a#223; und danach Blutegel verschlang?"

Urfin bekam eine G#228;nsehaut. Das Essen der alten Hexe hatte bei ihm stets Ekel hervor­gerufen. Er erinnerte sich, wie er w#228;hrend ihrer Mahlzeiten stets unter irgendeinem Vorwand die H#246;hle zu verlassen pflegte.

„H#246;re, Guamoko ... Guamokolatokint", sagte er schmeichelnd, „mu#223; es denn sein?" „Ich hab's dir gesagt, das Weitere ist deine Sache", erwiderte der Vogel.

Seufzend packte Urfin einige Habseligkeiten der Zauberin ein, setzte die Eule auf seine Schulter und ging nach Hause.

Die K#228;uer, die ihm unterwegs begegneten, sprangen beim Anblick seines verdrossenen Gesichtes erschrocken zur Seite.

Urfin teilte von jetzt an sein Haus mit der Eule. Er kam mit keinem Menschen zusammen, liebte niemanden und wurde von niemandem geliebt.


Zweiter Teil Den Freunden zu Hilfe

EIN SELTSAMER BRIEF

Es war fast ein Jahr vergangen, seit Elli das Wunderland verlassen hatte, das durch eine Kette riesiger Berge und eine gro#223;e W#252;ste von der #252;brigen Welt geschieden war. Sie lebte jetzt wieder bei ihren Ettern in Kansas, das sich nicht ver#228;ndert hatte: Steppe ringsum, Weizenfelder und staubige Wege. Nur der Wohnwagen, mit dem Elli und Totoschka durch den Sturm in das Wunderland verschlagen worden waren, stand nicht mehr da. An seiner Stelle hatte der Farmer John ein H#228;uschen gebaut, in dem er jetzt mit seiner Frau Anna und seinem T#246;chterehen Elli wohnte.

An einem Sommerabend n#228;herte sich ein m#252;der Wanderer der Farm. Der Mann war in mittleren Jahren, breitschultrig, kr#228;ftig gebaut und trug einen Rucksack. Ein Holzbein, an das linke Knie geschnallt, hinterlie#223; runde Spuren im Stra#223;enstaub. Der Mann hatte den wiegenden Gang eines Matrosen, der #252;ber das schwankende Deck eines Schiffes schreitet. Die weit auseinanderstehenden grauen Augen in dem gebr#228;unten Gesicht blickten gleichsam auf das weite Meer hinaus.

Totoschka sprang bellend den Ank#246;mmling an und wollte ihn ins Holzbein bei#223;en. Auf das Gebell hin wandte sich Frau Anna, die gerade die H#252;hner f#252;tterte, um und lief mit einem Schrei auf den Mann zu.

„Charlie, mein Bruder", schluchzte sie und fiel ihm weinend um den Hals. „Du lebst!" „Nat#252;rlich lebe ich, wo ich doch wieder da bin", sagte Charlie Black, seine Schwester umarmend.

„Dein Kapit#228;n hat uns vor f#252;nf Jahren geschrieben, Menschenfresser h#228;tten dich auf der Insel Kuru-Kusu gefangen!"

Elli. die vor der T#252;r stand, erbebte, als sie diese Worte h#246;rte, denn sie wu#223;te ja, was

Menschenfresser sind. Aber warum hatte die Mutter ihr niemals von einem Onkel Charlie

erz#228;hlt, dem Seemann, der Menschenfressern in die H#228;nde gefallen war?

Bald sollte ihr aber alles klarwerden.

„Elli", rief die Mutter, „komm, sag Onkel Charlie guten Tag."

Elli ging auf den Onkel zu und reichte ihm die Hand, doch dieser nahm das M#228;delchen in die Arme und k#252;#223;te es.

„Erinnerst du dich noch an mich, Kindchen?" fragte er.

„Aber was red ich, du warst ja erst drei Jahre alt, als ich zum letzten Mal bei euch war. Die

Mutter hat dir sicherlich von mir erz#228;hlt, nicht wahr?"

Elli schaute die Mutter an und wu#223;te nicht, was sie sagen sollte.

Verwirrt gestand Frau Anna:

„Verzeih, lieber Bruder. Als wir den Brief von deinem Kapit#228;n erhielten, war Elli erst f#252;nf,

und da beschlossen John und ich, dem Kind die schreckliche Nachricht nicht mitzuteilen.

Jahre vergingen. Elli fragte immer seltener nach dir . . . und dann hatte sie ihren Onkel

Charlie ganz vergessen."

Anna senkte schuldbewu#223;t die Augen.

Charlie war ihr jedoch nicht b#246;se.

„Na, wenn schon. Eigentlich habt ihr das richtig gemacht, wo ich doch lebe! Na, was meinst du, Elli, wollen wir gute Freunde sein?" „Aber klar, Onkel Charlie", rief das M#228;dchen erfreut. „Und wie bist du mit den Menschenfressern fertig geworden? Hast dich mit ihnen geschlagen und sie besiegt, ja?" „Nein, liebes Kind, so war es nicht", lachte Charlie. „Ich h#228;tte die Msnschenfresser niemals besiegt, denn es waren viele Tausende. Aber sie zeigten sich als pr#228;chtige Kerle, diese Menschenfresser. Ich bewies ihnen, da#223; ich ihnen lebend mehr n#252;tzen w#252;rde, als wenn sie mich #252;ber dem Feuer r#246;steten, und so lie#223;en sie mich gerne am Leben." „Wieso, Onkel, kennst du die Menschenfressersprache?" wunderte sich Elli. „Ich will's dir erkl#228;ren, meine Liebe", l#228;chelte der Seemann. „Wo der gute Wille vorhanden ist, kann man sich immer verst#228;ndigen. Die Inselbewohner nahmen mich in den Stamm der Kuru-Kusu auf, und ich zeigte ihnen f#252;nf neue Arten der Zubereitung von Fischgerichten, au#223;erdem fand ich auf der Insel neun neue Sorten von e#223;baren Pflanzen ... Als vier Jahre vergangen waren, gaben sie mir ein Boot mit Proviant und mehreren F#228;#223;chen Trinkwasser und begleiteten mich ein gutes St#252;ck aufs Meer hinaus. Beim Abschied empfahlen sie mich dem Schutz ihrer zahlreichen G#246;tter. Wahrscheinlich bin ich aus diesem Grunde erst nach 42 Tagen endlich einem Schiff begegnet . . . Und so bin ich jetzt bei euch . . . Aber da kommt ja John!"

John hatte von den Nachbarn auf dem Feld erfahren, da#223; ein Unbekannter da war, hatte sich sogleich auf sein Pferd geschwungen und kam nun im Galopp angeritten. Er freute sich sehr, als er seinen Schwager Charlie Black erblickte. Die beiden begr#252;#223;ten sich herzlich.

„Ich komme sozusagen gesch#228;ftlich, Schwager John", sagte Charlie, als sie mit dem H#228;ndesch#252;tteln fertig waren.

„Sonst h#228;ttest du uns wohl noch immer nicht besucht?" erwiderte John mit leisem Vorwurf.

„Du wei#223;t ja, ein Weltenbummler, wie ich es bin, hat immer etwas zu besorgen", rechtfertigte sich Charlie. „Wei#223;t du, ich tr#228;ume schon lange davon, mir ein kleines Schiff zu kaufen, um meine Freunde auf Kuru-Kusu zu besuchen. Mir fehlen nur etliche Tausender . . ."

Farmer John wu#223;te, da#223; Charlie einen Hang zu absonderlichen Unternehmungen hatte, und so wunderte er sich nicht weiter #252;ber sein Anliegen.

„Sch#246;n", sagte er, „das Gesch#228;ftliche wollen wir morgen besprechen. Jetzt la#223;t uns lieber zu Tisch gehen."

Beim Essen ging die Fragerei erst richtig los. Charlie erz#228;hlte bis weit nach Mitternacht von seinen Abenteuern, als die m#252;de Elli schon l#228;ngst in ihrem Bettchen schlief. „Ihr seid ja ziemlich reich geworden, wie ich sehe", stellte Charlie fest, als die Hausfrau ihm das Bett machte. „Ihr habt jetzt ein neues H#228;uschen anstelle des Wohnwagens." Erst jetzt fiel es Ellis Eltern, die von den Geschichten ihres Gastes ganz hingerissen waren, ein, da#223; sie ihm ja von den wunderbaren Abenteuern ihres Kindes nichts erz#228;hlt hatten. Als Frau Anna von dem Sturm zu sprechen begann, der ihr H#228;uschen mit Elli und Totoschka erfa#223;t und durch die L#252;fte getragen hatte, schlug der Matrose mit der Faust auf den Tisch.

„Alle Maschinen stop!" schrie er. „Anker auswerfen! Sei mir nicht b#246;se, Schwester, aber meine Nichte soll mir diese wunderbare Geschichte selber erz#228;hlen. Und wenn ich vor

Neugier auch platze, so will ich doch lieber etwas warten, bis sie mir alles haargenau berichtet . . ."

Am n#228;chsten Morgen setzten sich Onkel und Nichte auf die Stufen vor der T#252;r, und Elli begann:

„Ach, Onkel Charlie, wenn du w#252;#223;test, wie erschrocken ich und Totoschka waren, als der Sturm unser H#228;uschen durch die Luft trug.

H#228;tte ich damals gewu#223;t, da#223; es kein gew#246;hnlicher, sondern ein Zaubersturm ist, ich w#228;re wahrscheinlich vor Schreck gestorben . . ." „Ein Zaubersturm?" staunte der Seemann.

„Aber gewi#223;, ein richtiger Zaubersturm, wie ihn b#246;se Hexen ausl#246;sen." „Womit hast du die Zauberin denn so aufgebracht, da#223; sie gleich einen Sturm gegen dich loslie#223;? Na, das war ja dumm von ihr. Als wenn man mit Kanonen auf Spatzen schie#223;t!" „Aber nein, Onkel Charlie, du verstehst das nicht", entgegnete Elli geduldig. „Gingema wollte alle Menschen vernichten, aber die gute Fee Willina hat es nicht zugelassen " Das M#228;dchen erz#228;hlte dem staunenden Onkel, wie ihr H#228;uschen in das Wunderland verschlagen wurde, wie sie dort drei treue Freunde fand, mit denen sie zu Goodwin gezogen war, und wie sie dann gemeinsam ihre wunderbare Reise in das Land der b#246;sen Bastinda unternommen hatten.

Als Elli noch von den silbernen Schuhen erz#228;hlte, mit deren Hilfe sie und Totoschka heimgekehrt waren, und damit ihre Geschichte beendete, konnte der Seemann vor Staunen lange kein Wort aussprechen. Schlie#223;lich rief er aus:

„Bei allen Schildkr#246;ten von Kuru-Kusu, dein Logbuch ist wirklich ungeheuer interessant!" „Was ist denn das, ein Logbuch?"

„Das ist ein Buch, in das der Kapit#228;n jeden Tag alles eintr#228;gt, was sich auf dem Schiff und in seiner N#228;he ereignet. Und soll mich gleich der erste Sturm versenken, wenn ich mir von den langweiligen Leuten, die alles besser wissen wollen, noch einmal sagen lasse, es g#228;be keine Zauberer und keine Wunder auf der Welt! Ich w#252;rde gern zehn Jahre meines Lebens daf#252;r geben, dieses Wunderland einmal mit eigenen Augen zu sehen!" Der tapfere Seemann bedauerte es, keine Zauberschuhe zu besitzen, die ihn in das Wunderland h#228;tten tragen k#246;nnen, wo zu jeder Jahreszeit auf immergr#252;nen B#228;umen ungew#246;hnliche Fr#252;chte wachsen, die Tiere sprechen und die St#228;mme der K#228;uer, der Zwinkerer und der Schw#228;tzer leben - liebe, drollige Menschlein, deren gr#246;#223;ten erwachsenen M#228;nner kaum gr#246;#223;er waren als Elli.

Die Erinnerung an das Wunderland stimmte Elli wehm#252;tig. Sie gestand ihrem Onkel, da#223; sie sich nach ihren treuen Freunden - dem Scheuch, dem Holzf#228;ller und dem L#246;wen sehne, und da#223; sie traurig sei, weil sie diese nie Wiedersehen werde.

Charlie und seine kleine Nichte hatten feste Freundschaft geschlossen. Jeden Abend sa#223;en sie beisammen und erz#228;hlten sich von ihren Erlebnissen. Der Seemann hatte nat#252;rlich viel zu berichten. Er war mit 10 Jahren Schiffsjunge geworden, hatte in den Polargew#228;ssern mit Eisb#228;ren gek#228;mpft und im Urwald der Insel Kuru-Kusu auf Nash#246;rner Jagd gemacht, aber, das mu#223;te er zugeben, noch nie hatte er von den schrecklichen S#228;belzahntigern geh#246;rt, vor denen Elli nur dank der Geistesgegenwart und der Treue ihrer Freunde gerettet worden war. Charlie hatte auch keine Ahnung, da#223; es auf der Welt Ungeheuer mit m#228;chtigen Schwingen gab, die Fliegende Affen genannt wurden.

Onkel Charlie war ein sehr interessanter Mensch, der sich auf alles verstand und, wie man sagt, goldene H#228;nde hatte. Elli konnte sich #252;ber den Inhalt seiner Taschen gar nicht genug wundern. Was kam da nicht alles zum Vorschein! Es schien, als ob die Taschen seiner Jacke und seiner breiten Hosen jedes Werkzeug beherbergten, das man sich denken konnte. Sein riesiges Federmesser hatte zahllose Klingen f#252;r die verschiedensten Zwecke, eine Ahle, einen Bohrer, einen Schraubenzieher, eine Schere und noch vieles andere. Wenn n#246;tig, entnahm Onkel Charlie seinen Taschen Rollen d#252;nnen, festen Bindfadens, Schrauben und N#228;gel, Mei#223;el und Feilen ... Manchmal schien es Elli fast, als verstehe sich ihr Onkel ein bi#223;chen aufs Zaubern, da#223; er durch Zauberkunst die Sachen in seinen Taschen entstehen lie#223;, die er gerade brauchte.

Und was bastelte Onkel Charlie in seiner Freizeit nicht alles f#252;r Elli! Aus Abf#228;llen von Brettern, Sperrholz- und Blechtafeln konnte er Wasser- und Windm#252;hlen, Wetterh#228;hne oder Karren bauen, die von selbstgefertigten Federn angetrieben wurden . . . Einmal stellte er zur freudigen #220;berraschung seiner Schwester eine mechanische Vogelscheuche in den Garten, die im Wind mit Armen und Beinen fuchtelte und entsetzlich heulte.

Aber schon nach zwei Tagen bat Frau Anna ihren Bruder, die Scheuche wieder stumm zu machen.

„Lieber weniger Gurken, daf#252;r mehr Ruhe", sagte sie.

Wegen des entsetzlichen Geheuls, das die Vogelscheuche anstimmte, konnte niemand im Haus schlafen, und alle atmeten erleichtert auf, als sie endlich verstummte. Bei Sonnenuntergang, wenn das gesch#228;ftige Treiben auf der Farm aufh#246;rte und Elli mit ihren Hausaufgaben fertig war, nahm Onkel Charlie sie gew#246;hnlich zu einem Spaziergang in die Steppe mit.

Der Staub, den die Wagen tags#252;ber auf den Stra#223;en aufgewirbelt hatten, setzte sich, man konnte weithin in die Ferne blicken, und die Schatten wurden immer l#228;nger. Elli und ihr Onkel gingen, von Totoschka begleitet, langsam durch das weiche Gras am Stra#223;enrand und sprachen #252;ber allerlei Dinge.

Bei einem dieser Abendspazierg#228;nge ereignete sich etwas, was den Beginn eines neuen wunderbaren Abenteuers unserer Freunde bilden sollte.

Die Sonne war bereits untergegangen, es war aber noch ziemlich hell, als das M#228;delchen pl#246;tzlich eine gro#223;e struppige Kr#228;he erblickte, die mit zornigem Geschrei umherflatterte, aufflog und niederging und allem Anschein nach zu Elli wollte.

Hinter dem Vogel lief ein rothaariger zerzauster Junge her, Jimmy von der Nachbarfarm, der schon viele Spatzen, Dohlen und Kaninchen get#246;tet hatte. Er warf mit Erdklumpen nach der Kr#228;he, konnte sie aber nicht treffen.

Totoschka wollte schon die Kr#228;he schnappen, doch diese kam mit letzter Kraft noch einmal hoch und flog Elli direkt in die Arme. Das M#228;dchen umfing den vor Schmerz und Angst bebenden Vogel und fuhr den rothaarigen Jimmy an: „Mach, da#223; du fortkommst, b#246;ser Junge!"

„Gib mir meine Kr#228;he zur#252;ck", pl#228;rrte Jimmy, „das ist meine Beute, du siehst doch, ich hab sie am Fl#252;gel getroffen."

„Scher dich fort, oder es setzt was!"

Jimmy machte kehrt und ging, leise Drohungen vor sich hin murmelnd, nach Hause. Er

wagte es nicht, in Onkel Charlies Anwesenheit mit Elli anzub#228;ndeln.

„Du #196;rmste!" sagte Elli und streichelte den gespreizten Fl#252;gel der Kr#228;he. „Tut es sehr

weh?"

„Kaggi-Karr !" kr#228;chzte der Vogel, der sich etwas beruhigt zu haben schien.

„Hab keine Angst, der b#246;se Junge soll dich nicht bekommen", fuhr Elli fort, ,,ich werde

deinen Fl#252;gel heilen, und du wirst wieder frei fliegen k#246;nnen."

Da entdeckte Elli ein Blatt, das um das Bein des Vogels gewickelt war.

Geschickt l#246;ste sie den Faden, und als sie das Blatt entfaltete, #252;berkam sie eine dumpfe

Unruhe.

„Onkel Charlie, schau nur!" rief sie aus.

Die beiden betrachteten im letzten Licht des Vages das Blatt und sahen eine eingekratzte Zeichnung. Sie zeigte zwei K#246;pfe: einen kugelrunden mit runden Augen, viereckiger, pflaster#228;hnlicher Nase und breitkrempigem Spitzhut und einen anderen mit langer Nase und trichterf#246;rmigem Hut. Die Zeichnung bestand aus wenigen Strichen, war aber sehr klar.

Elli fiel vor Staunen fast um.

„Onkel Charlie", schrie sie, „das sind ja der Scheuch und der Eiserne Holzf#228;ller!"

Bei n#228;herer Betrachtung der Zeichnung entdeckten sie auf ihr mehrere gerade Linien, die

sich in rechten Winkeln schnitten.

„Was kann das bedeuten, Onkel Charlie?" fragte Elli.

Dem erfahrenen Seemann war nun alles klar.

„Tausend Anker!" rief er. „Deine Freunde sind hinter Gittern! Es ist ihnen etwas zugesto#223;en, und sie bitten dich um Hilfe !"

„Kaggi-Karr, Kaggi-Karr!" kr#228;chzte der Vogel, und Charlie Black h#228;tte jetzt selbst vor Gericht beschw#246;ren k#246;nnen, da#223; diese Laute, in die menschliche Sprache #252;bersetzt, nichts anderes als „Ja, ja" bedeuteten.

,,Bei allen Masten und Segeln der Wett!" br#252;llte er. „Diese Kr#228;he w#252;rde uns viel Interessantes erz#228;hlen, wenn sie sprechen k#246;nnte!"

Aber in Kansas k#246;nnen die V#246;gel nicht sprechen, und es dauerte lange, ehe Elli erfuhr, was dem Scheuch und dem Eisernen Holzf#228;ller zugesto#223;en, welches Ungl#252;ck #252;ber sie hereingebrochen war.


DURCH DIE W#220;STE

In dieser Nacht schlief man im Hause des Farmers John fast #252;berhaupt nicht. Elli bat Vater und Mutter, sie in das Wunderland ziehen zu lassen, und Charlie Black war bereit, sie zu begleiten. Er war auf Abenteuer versessen, und hier winkte eine Reise, mit der verglichen die nach der Insel Kuru-Kusu eine Spazierfahrt gewesen war. Der Matrose brannte darauf, das Wunderland mit eigenen Augen zu sehen, in dem die kleinen K#228;uer und Zwinkerer lebten, und den Strohmann, dem Goodwin ein kluges Gehirn aus Kleie und Nadeln gegeben hatte, den Eisernen Holzf#228;ller mit dem seidenen Herzen, die sprechenden Tiere und die herrliche Smaragdenstadt.

Es war nat#252;rlich nicht leicht, den Farmer und seine Frau zu #252;berreden, denn John und Anna wollten sich um keinen Preis von ihrem T#246;chterchen trennen. Aber Ellis Tr#228;nen und die #220;berredungskunst Onkel Charlies taten das Ihre, und schlie#223;lich willigten sie ein. Die Reisevorbereitungen nahmen nicht viel Zeit in Anspruch. Charlie Black und Elli fuhren zun#228;chst in die Nachbarstadt, wo James Goodwin eine Gemischtwarenhandlung hatte.

Der ehemalige Zauberer war sehr erfreut, Elli wiederzusehen, und als sie ihm sagte, da#223;

der Seemann ihr Onkel sei, begr#252;#223;te Goodwin auch diesen sehr herzlich.

Elli erz#228;hlte ihm von der sonderbaren Botschaft aus dem Wunderland und zeigte ihm die

Zeichnung.

Goodwin, der vom vielen Sitzen im Laden dick geworden war, betrachtete aufmerksam den sonderbaren Brief und stellte schlie#223;lich stolz fest:

„Ich bin #252;berzeugt, da#223; diese Idee vom klugen Scheuch stammt. Von wem hat er aber sein Gehirn? Von mir nat#252;rlich!

Du wirst zugeben m#252;ssen, Elli, da#223; ich als Zauberer gar nicht so #252;bel war?"

„Ja", gab Elli zu und fragte: „Werden Sie uns ins Wunderland begleiten, um mit uns den

Eisernen Holzf#228;ller und den Scheuch zu befreien'?"

Diese Frage hatte Goodwin nicht erwartet. Er dachte lange nach, ehe er antwortete: „Nein, ich fahr nicht mit! Ich will mit den Zauberern und Zauberinnen und mit der ganzen Zauberei nichts mehr zu tun haben!"

Charlie Black sagte fl#252;sternd zu seiner Nichte, ein solch feiger Weggef#228;hrte w#252;rde ihnen auf ihrer gefahrvollen Reisen nur hinderlich sein, und Elli nickte.

Am Morgen brachen Charlie Black und Elli mit dem H#252;ndchen Totoschka und der Kr#228;he auf. Sie schlugen die gleiche Richtung nach Nordosten ein, in die der Sturm vor mehr als einem Jahr das H#228;uschen mit Elli und Totoschka fortgetragen hatte. Nachts schliefen sie auf freiem Feld in einem doppelwandigen Zelt, das Charlie aus wasserdichter Seide gen#228;ht hatte. Wenn man es aufblies, konnte es auch als Flo#223; dienen. Auf diese Weise #252;berquerten unsere Freunde die Fl#252;sse, die auf ihrem Wege lagen. Nach vielen Tagen machten sich Anzeichen der nahen W#252;ste bemerkbar. Hei#223;e Winde schlugen den Wanderern entgegen, die Brunnen und Quellen wurden immer seltener. Bei jeder Rast f#252;llte Charlie die Wasserflaschen nach. Sandd#252;nen mit sp#228;rlichem Gras tauchten auf, aus dem die h#228;#223;lichen K#246;pfe riesiger Eidechsen hervorlugten.

Sie waren so schrecklich anzusehen, da#223; selbst der tapfere Totoschka sie nicht anzugreifen wagte. Am Tage war es unertr#228;glich hei#223;, nachts entsetzlich kalt. Schlie#223;lich erreichte die kleine Schar den letzten Wald, der auf dem Wege zum Wunderland lag. Hinter diesem Wald begann die gro#223;e W#252;ste. An eine Fu#223;wanderung durch das un#252;bersehbare Sandmeer war nicht zu denken, und Charlie beschlo#223; daher, ein W#252;stenschiff zu bauen.

Im Wald fand er das geeignete Material daf#252;r, und Werkzeug hatte er ja immer bei sich. Der Seemann zimmerte ein Schiff mit hohem Mast, niedrigen Bordw#228;nden und breiten R#228;dern. Als es fertig war, rollte er es mit Ellis Hilfe aus dem Walde hinaus. Vor den Wanderern dehnte sich, soweit das Auge reichte, die Gro#223;e W#252;ste, heimlich und feierlich in ihrer Stille. Ein leichter Wind trieb gelbe Sandk#246;rnchen #252;ber die sanft gewellte Fl#228;che. Der Seemann nahm die M#252;tze ab. „Wie das Meer . . .", sagte er leise.

Ellis Augen waren vor Schreck geweitet. Sie hatte die W#252;ste zwar schon einmal #252;berquert, aber damals war sie in ihrem H#228;uschen durch die Wolken geflogen, hatte geschlafen und war erst im Lande der K#228;uer wieder erwacht. Wie w#252;rde die W#252;ste sie jetzt empfangen:' „Da sind wir nun", rief Charlie munter. „Ich hab mich mit dem Meer herumgeschlagen, jetzt wollen wir's mit der W#252;ste versuchen, um so mehr, als sich die beiden wie Bruder und Schwester #228;hneln."

Nun hie#223; es, auf den richtigen Wind warten, denn ein Holzkarren mit Segel kann doch nicht wie ein Schiff auf dem Meer bei jedem Wind die gew#252;nschte Richtung einhalten. Charlie pflanzte im Sand einen Wetterhahn auf, und jeden Morgen ging Elli nachsehen, in welcher Richtung der Wind blies.

Unsere Wanderer brauchten nicht lange zu warten. Schon nach drei Tagen stellte sich ein flotter Nordost ein, der sich immer mehr verst#228;rkte.

Am Abend pflegten Charlie und Elli ihr Gep#228;ck, mit Ausnahme der wenigen Sachen, die sie f#252;r das Nachtlager brauchten, auf das Schiff zu laden. Auch heute befanden sich das F#228;#223;chen Trinkwasser, der Proviant und was sie sonst noch mitf#252;hrten an Bord. Charlie hi#223;te das Segel, in das er das Zelttuch umgewandelt hatte, und der Karren setzte sich in Bewegung.

„Onkel Charlie, aber das ist ja ein richtiges Zaubertuch!" rief Elli bewundernd aus. „Wie hast du gesagt?"

„Ein Zaubertuch, man kann es ja verwandeln, wie man will!"

„Das trifft zu", sagte der Seemann, „wir wollen das Tuch von jetzt an auch so nennen." Der Wind bl#228;hte das Segel, an dessen Mast Ellis kariertes Kopftuch wie eine Fahne flatterte, und der Karren rollte, in eine Wolke feinen Sandes geh#252;llt, leicht dahin. Charlie holte aus einer seiner zahlreichen Taschen zwei Brillen hervor, deren Gl#228;ser von einem dichten Netz umrandet waren, das sich an das Gesicht anschmiegte und die Augen gegen den Staub sch#252;tzte. Nun konnten der Seemann und seine Nichte alles gut sehen, nur sprechen durften sie nicht, denn kaum taten sie den Mund auf, so war er schon voller Sand. „Nicht sprechen!" rief Onkel Charlie, dessen ganze Aufmerksamkeit dem Segel galt. Der Karren bewegte sich mit gro#223;er Geschwindigkeit. Kapit#228;n Charlie ri#223; das Segel nach rechts oder links herum, wenn es einen H#252;gel oder Graben zu umfahren galt.

Am Nachmittag tauchte am Horizont eine silberne Wolkengirlande auf. Charlies scharfes Seemannsauge lie#223; sich jedoch nicht t#228;uschen. „Berge!" rief er freudig. „Ich sehe Berge!" Elli klatschte in die H#228;nde.

Die Berge kamen schnell n#228;her, und bald konnten die Wanderer die kahlen schwarzen Gipfel und den glitzernden Schnee auf den H#228;ngen erkennen. „In ein paar Stunden sind wir am Fu#223;e der Berge", sagte Charlie. „Wenn uns der Wind nicht im Stich l#228;#223;t", f#252;gte er hinzu.

Der Wind hielt an, und der Karren sauste unverwandt dem Ziel entgegen. Charlie war in bester Laune.

Doch bald wurde er unruhig: Das W#252;stenschiff kam aus unerkl#228;rlichen Gr#252;nden vom Kurs ab - es war, als ob eine un#252;berwindbare Kraft es nach Norden hin treibe: „Merkw#252;rdig", brummte Charlie. Dem Kompa#223; nach zu urteilen, hatte sich der Wind nicht gedreht, das Steuer war in Ordnung, trotzdem kam das Schiff vom Kurs ab. Besorgt blickte der Kapit#228;n in die Ferne.

Pl#246;tzlich tauchte hinter einem Sandh#252;gel ein haushoher Stein auf, der genau in Fahrtrichtung des Schiffes lag. Charlie ri#223; das Steuer herum, um auszuweichen. Aber was war denn das? Das Steuer gehorchte nicht, und das Schiff sauste direkt auf das Hindernis zu. Der Kapit#228;n drehte das Steuer herum, dr#252;ckte mit aller Kraft auf die Bremse, doch vergeblich! Er zog das Segel ein, aber der Karren raste wie ein, scheues Pferd dem Verderben entgegen.

Charlie konnte gerade noch schreien: „Elli, halt dich am Mast fest!" - da schlug das Schiff krachend gegen den Stein. Passagiere und Gep#228;ck flogen in wirrem Durcheinander nach vorn.

Durch die Wucht des Aufpralls wurde Elli vom Mast weggerissen, ihre Stirn schlug gegen das Deck und bekam eine Beule. Charlie Black fiel auf den R#252;cken, blieb aber unverletzt. Totoschka, der unter das Wasserfa#223; geraten war, winselte vor Schmerz, doch als Elli ihn hervorzog, beruhigte er sich wieder. Auch die Kr#228;he war, durch ihr festes Bauer gesch#252;tzt, unversehrt geblieben, obwohl sie laut kr#228;chzte.

Charlie stand auf und blickte um sich. Der Karren lag zur Seite geneigt wie ein Schiff, das auf ein Riff aufgelaufen ist. Die Vorderachse war zerbrochen. „Ach, ich alter R#228;ucherhering!" wetterte der Seemann. „Als ob ich nie ein Steuer in der Hand gehabt h#228;tte! Wie konnte mir das nur passieren? Ich k#246;nnte schw#246;ren, da#223; der verfluchte Stein an allem schuld ist! Wie ein Magnet hat er das Schiff angezogen!" Charlie verfluchte sich, das Schiff und den Stein, w#228;hrend er nach dem Werkzeug suchte, das er zur Reparatur brauchte. Elli, die inzwischen auf Deck aufger#228;umt hatte, sprang in den Sand und ging hinter den Stein, wo sie vor dem Wind Schutz zu finden hoffte. Ihr Auge glitt #252;ber den zerfurchten Stein, und pl#246;tzlich schien ihr, als ob die Risse sich zu Buchstaben f#252;gten. Sie trat n#228;her, sah aber nur ein wirres Geflecht von Linien. Als sie jedoch etwas weiter zur#252;cktrat, konnte sie tats#228;chlich ein paar riesengro#223;e Buchstaben unterscheiden: G . . . I . . . N ...

„Gingema!" schrie Elli auf. ,,Was ist los?" fragte Charlie. „Onkel Charlie, sieh doch, was da steht!" Der Seemann trat n#228;her.

„Das sieht ja aus, als w#228;ren es Buchstaben aber nein, nicht m#246;glich . . ."

„Doch, ich sehe es genau", stie#223; Elli hervor. ,,Das ist ein Name, Gingema, siehst du's denn

nicht?!"

Charlie griff sich an den Kopf.

„Ja, wirklich . . . Oh, mir geht ein Licht auf! Das ist kein gew#246;hnlicher, sondern ein

verzauberter Stein! Er hat unser Schiff angezogen. Die verdammte Hexe, sie gibt uns auch

nach ihrem Tod keine Ruhe . . . !" Charlie sch#252;ttelte die Faust.

Dann kletterte er auf den Stein und hielt Ausschau: Zur Rechten gewahrte er, ein paar

Meilen entfernt, einen schwarzen Fleck im gelben W#252;stensand. Charlie nahm das Fernrohr

aus der Tasche, und als er es auf den Fleck richtete, fing seine Hand zu zittern an.

In der Ferne ragte ein schwarzer Stein, ebenso gro#223; wie der, auf dem der Seemann stand.

Jetzt war alles klar: Gingema hatte die Steine weit voneinander hingestellt und ihnen

Zauberkraft verliehen, und sie bildeten jetzt eine unpassierbare Schranke.

„Na warte, alte Hexe, frohlocke nur nicht zu fr#252;h!" rief Charlie hinabkletternd. Er sagte

dem M#228;dchen nichts von seinen Beobachtungen und schlug das Zelt auf, in dem Elli,

Totoschka und die Kr#228;he vor der Hitze und dem fliegenden Sand Schutz fanden. Dann

ging er an die Reparatur des Karrens.


IM BANNE DES SCHWARZEN STEINS

Als Charlie seine Arbeit beendet hatte, war es schon dunkel. Am Himmel funkelten die Sterne. In dieser Nacht schlief der Seemann aber nicht so sorglos wie gew#246;hnlich. Er w#228;lzte sich auf seinem Lager und zerbrach sich den Kopf, wie er die letzte Zauberei der alten Gingema unwirksam machen k#246;nnte.

So angestrengt er aber auch nachdachte, es kam ihm nichts in den Sinn. Am Morgen

schlummerte er ein, doch bald wurde er von Elli zum Fr#252;hst#252;ck geweckt.

Als sie gegessen hatten, sagte er: „Wenn es unserem Schiff in diesem Hafen so gut gef#228;llt,

da#223; es nicht weg will, so werden wir eben zu Fu#223; weitergehen m#252;ssen."

,,Und das Schiff bleibt hier?" fragte Elli erschrocken.

„Wir haben keinen anderen Ausweg. Aber mach dir keine Sorgen, Kind, bis zu den Bergen sind es h#246;chstens zwanzig Meilen, wir schaffen sie in anderthalb, zwei Tagen." Charlie Black verstaute den Proviant und den Wasservorrat im Rucksack und packte das Zelt und das allernotwendigste Werkzeug ein, alles andere blieb auf dem Karren. Die Wanderer warfen noch einen letzten Blick auf ihr Schiff und brachen dann auf. Nach etwa hundert Schritt f#252;hlten sie sich jedoch in ihren Bewegungen gehemmt, als ob eine geheimnisvolle Kraft sie am Gehen hinderte.

Jeder weitere Schritt kostete sie gr#246;#223;ere M#252;he. Es war ihnen, als ob ein unsichtbares Gummiseil sie zum Stein zur#252;ckziehe. Schlie#223;lich sanken sie ersch#246;pft zu Boden. „Es hilft nichts, wir m#252;ssen umkehren", seufzte Charlie.

Als sie sich umwandten, gingen ihre Beine wie von selbst, ihre Schritte wurden immer schneller, und dann mu#223;ten sie richtig laufen. Nur mit M#252;he konnten sie vor dem Stein haltmachen.

„Mir scheint, der Stein h#228;lt uns fest", sagte der Seemann heiser. Elli erschauerte.

„Wir wollen aber nicht verzweifeln", fuhr Charlie fort. „La#223; uns #252;berlegen, vielleicht gelingt es uns doch, mit Gingemas Hexerei fertig zu werden."

Es war ein qualvoller Tag. Mehrmals versuchten die Wanderer, vom Stein loszukommen, bald im Krebsgang, bald auf allen vieren. Doch vergeblich! Der Zauber war nicht zu brechen, und vom ungleichen Kampf ersch#246;pft, kehrten Onkel und Nichte zum Karren zur#252;ck.

Die Mittag- und Abendration wurde auf die H#228;lfte gek#252;rzt.

„Je l#228;nger wir uns halten, desto mehr Aussicht haben wir, da#223; uns irgendein Zufall hilft", sagte Charlie. „Deshalb m#252;ssen wir den G#252;rtel enger schnallen." Der n#228;chste Morgen brachte nichts Neues. Sie versuchten erneut, dem Stein zu entrinnen, mu#223;ten jedoch wieder umkehren . . . Elli war es aufgefallen, da#223; die Kr#228;he in ihrem Bauer unruhig hin und her lief und andauernd kr#228;chzte. Es war, als wollte sie sagen: ,La#223;t mich frei! La#223;t mich 'raus!'

„Onkel Charlie, wir wollen das Bauer #246;ffnen! Schau nur, wie der arme Vogel sich qu#228;lt!" schlug Elli vor.

„Der arme Vogel!" knurrte der Seemann. „Er allein ist an unserem Ungl#252;ck schuld, und

jetzt will er sich davonmachen!"

„Onkelchen, tu doch nicht so! Du hast ja ein gutes Herz!"

Charlie #246;ffnete das Bauer, nahm die Kr#228;he in die Hand und warf sie empor:

„Flieg, t#252;ckischer Vogel, falls dich der Zauberfelsen nicht festh#228;lt!"

Die Kr#228;he setzte sich auf Ellis Schulter und kr#228;chzte ihr etwas ins Ohr. Dann schwang sie

sich mit leichtem Fl#252;gelschlag in die L#252;fte und verschwand in der Ferne. Der Seemann

staunte:

„Bei allen Zauberern und Hexen, sie steuert leicht ihren Kurs! Aber wie kommt es blo#223;,

da#223; der Stein sie nicht zur#252;ckh#228;lt'"'

Elli dachte einen Augenblick nach und sagte:

„Warum soll er sie auch halten, wo sie doch aus dem Wunderland ist!"

Charlie schmunzelte, w#228;hrend das M#228;dchen fortfuhr:

„Mir scheint, die Kr#228;he wollte uns sagen, wir sollen die Hoffnung nicht aufgeben." „Schon m#246;glich."

Der Lebensmittel- und vor allem der Wasservorrat verringerten sich zusehends. Die hei#223;e W#252;stenluft verursachte schrecklichen Durst. Charlie bem#252;hte sich, die Rationen einzuschr#228;nken, aber Elli bat immer wieder so inst#228;ndig um einen Schluck Wasser, da#223; der alte Seemann, dessen Herz sich vor Mitleid verkrampfte, es ihr nicht abschlagen konnte. Und wenn sie mit Wonne getrunken hatte, machte Totoschka M#228;nnchen, blickte zu Charlie empor und wedelte mit dem Schwanz. Der Seemann gab auch ihm zu trinken. W#228;hrend Charlie die Rationen f#252;r Elli und Totoschka erh#246;hte, k#252;rzte er die seinen. Er wurde immer magerer, sein Gesicht fiel ein, und die Haut bedeckte sich mit zahllosen tiefen Runzeln.


DIE RETTUNG

Am siebenten Tag war das F#228;#223;chen leer, gegen Mittag gab es keinen Tropfen Wasser mehr. Elli hatte vor Ersch#246;pfung das Bewu#223;tsein verloren, der abgeh#228;rtete Seemann aber hielt sich. Als er sich einmal unter Aufbietung seines ganzen Willens aufraffte, um Ausschau zu halten, glaubte er in der Ferne einen schwarzen Punkt zu sehen, der sich zu bewegen schien. Charlie rieb sich die Augen . . . Was konnte sich in dieser schrecklichen toten W#252;ste schon bewegen? . . . Aber der Punkt wuchs und kam immer n#228;her. „Die Kr#228;he, bei allen Klippen von Kuru-Kusu, es ist die Kr#228;he!" schrie Charlie mit einer Kraft, die er sich nicht mehr zugetraut hatte.

Der alte Seemann wu#223;te nat#252;rlich nicht, was ihnen die R#252;ckkehr der Kr#228;he n#252;tzen w#252;rde,

f#252;hlte aber, da#223; sie nicht ohne Grund kam. Jetzt war sie schon ganze nahe. Charlie sah, da#223;

sie schwer mit den Fl#252;geln arbeitete, um sich in der Luft zu halten.

Es war, als ob sie etwas zur Erde dr#252;ckte. Doch was konnte das sein? Da entdeckte das

scharfe Auge des Seemanns eine riesige Weintraube im Schnabel der Kr#228;he.

„Trauben!" schrie Charlie freudig. „Elli, steh auf, wir sind gerettet!"

Elli aber h#246;rte nichts.

Da setzte sich die Kr#228;he schon neben den Karren in den Sand. Charlie nahm ein paar Trauben und zerdr#252;ckte sie zwischen den halbge#246;ffneten Lippen Ellis. Der k#252;hle Saft rann ihr in den Mund, und sie schlug sogleich die Augen auf. „Onkel Charlie, was ist das? Wasser?"

„Besser als Wasser, mein Kind, es sind Trauben. Und wei#223;t du, wer sie gebracht hat? Die Kr#228;he!"

„Kaggi-Karr", rief die Kr#228;he, als verstehe sie, da#223; von ihr die Rede ist.

Elli erhob sich ein wenig und st#252;tzte sich auf die Ellbogen. Da bemerkte sie das H#252;ndchen,

das ohnm#228;chtig dalag.

„Totoschka, mein Liebling'. Du bist ja fast verdurstet..."

Drei Beeren reichten, um das H#252;ndchen zum Leben zur#252;ckzurufen. Es #246;ffnete die Augen und begann mit dem Schw#228;nzchen zu wedeln.

Als der Kapit#228;n seine Mannschaft gerettet sah, nahm auch er ein paar Trauben zu sich. Die gro#223;en gelben Beeren zergingen auf der Zunge und stillten Hunger und Durst. „Ja, das nenn ich Trauben!" schnalzte der Seemann. „Solche hat es nicht einmal auf Kuru-Kusu gegeben!"

Er nahm die Kr#228;he in die Hand und streichelte ihre struppigen schwarzen Federn.

„Ein kluger Vogel, das mu#223; man sagen! Und ich alter R#228;ucherhering war b#246;se, als du

fortflogst. Wenn du uns jetzt noch belehren w#252;rdest, wie wir die Zauberkraft des Steins

brechen sollen, w#252;rde ich sagen, du bist der kl#252;gste Vogel auf der Welt."

Statt einer Antwort pickte die Kr#228;he eine Weintraube auf und schielte mit ihren schwarzen

Augen verschmitzt zum Seemann hinauf.

Sie deutet auf die Trauben, das ist klar, dachte Charlie, aber was k#246;nnen die uns helfen? Nur unsere Qualen neben diesem verdammten Stein verl#228;ngern . . . Die Kr#228;he begann #252;ber den Sand zu h#252;pfen und blickte sich dabei dauernd nach Charlie um, als fordere sie ihn auf, ihr zu folgen.

Der Seemann erhob sich und ging in Richtung der Berge. Welch ein Wunder! Er konnte jetzt so leicht und frei gehen, als h#228;tte er nicht eine ganze Woche gehungert und kraftlos im Sande gelegen. Auch das hatten also die Trauben bewirkt!

„Donnerwetter!" brummte der Seemann. „So was ist mir noch nicht vorgekommen! Na, wir sollen doch mal sehen,

Da war schon die Stelle, wo er und Elli jedesmal ersch#246;pft zu Boden gesunken waren. Jetzt aber schritt Charlie m#252;helos weiter.

„Hurra, hurra!" schrie er aus Leibeskr#228;ften. „Elli, komm, wir sind gerettet!" Verst#228;ndnislos kam Elli herbeigeeilt, und dann erst begriff sie den Sinn seiner Worte. „Onkel, lieber Onkel, wir m#252;ssen uns beeilen!"

„Richtig, mein Kind. Wer wei#223;, wie lange die Zauberkraft der Trauben anh#228;lt!" Sie warfen eilig das Allernotwendigste in ihre Rucks#228;cke, nahmen das Zelt und verlie#223;en den entsetzlichen Ort. Toto schka sprang munter vor ihnen her, und die Kr#228;he wies ihnen den Weg.

Nach etwa drei Meilen war der verzauberte Felsen nicht mehr zu sehen, und die Wanderer machten Rast. Jeder bekam ein paar Trauben, dann ging es mit neuen Kr#228;ften weiter. An diesem Tag schafften sie die H#228;lfte des Weges zu den Bergen.

Als sie am n#228;chsten Morgen aufwachten, war die Kr#228;he fort. Sie brauchten sich indessen nicht lange den Kopf #252;ber ihr Verschwinden zu zerbrechen, denn bald war sie, neue Trauben im Schnabel, wieder da.

„Donnerwetter?" rief Charlie. „Wer h#228;tte gedacht, da#223; ich jemals auf so sonderbare Art und Weise versorgt werde!" und verteilte die saftigen Beeren an seine Gef#228;hrten.


DAS TAL DER K#214;STLICHEN WEINTRAUBEN

Sie kamen zu einem Tal, in dem ein schneller Bach rauschte, der hoch in den von ewigem Schnee bedeckten Bergen seinen Anfang nahm. An den Ufern wuchsen Obstb#228;ume. Die Wanderer tranken gierig das klare, kalte Wasser und betraten dann eine gr#252;ne Wiese, die mit zahllosen unbekannten Blumen #252;bers#228;t war. Hier erwarteten sie wunderbare Erlebnisse.

Die Kr#228;he legte feierlich den Kopf auf die Seite und sagte mit sehr klarer Stimme: „Kaggi-Karr !"

„Das haben wir schon geh#246;rt!" lie#223; sich - nicht gerade liebensw#252;rdig - Totoschka vernehmen.

„Geh#246;rt, aber nicht verstanden!" bemerkte die Kr#228;he spitz. „Das ist n#228;mlich mein Name. Ich habe die Ehre, mich vorzustellen: Kaggi-Karr, Erste Abschmeckerin in der Schlo#223;k#252;che am Hofe des Weisen Scheuchs, des Herrschers der Smaragdenstadt!" „Ach, bitte um Verzeihung! Hat mich sehr gefreut. Mein Name ist Totoschka!" Das H#252;ndchen verneigte sich f#246;rmlich.

Charlie, der im Gras sa#223;, war starr vor Staunen. Elli lachte so sehr #252;ber seine verdutzte Miene, da#223; ihr die Tr#228;nen in die Augen traten.

„Onkel Charlie, du bist ja ganz verst#246;rt!" rief sie, den Seemann am #196;rmel zupfend. „Ich habe dir doch schon hundertmal gesagt, da#223; im Wunderland alle Tiere sprechen!"

„Was einem die Leute sagen, ist eins, und was man selbst erlebt, etwas ganz anderes", entgegnete der Seemann. „Also sind wir wirklich im Wunderland? Ich kann's einfach nicht fassen!"

Wie entgeistert blickte Charlie bald auf die Kr#228;he, bald auf Totoschka.

„Das ist alles ganz einfach", lie#223; sich die Kr#228;he h#246;ren. „Da gibt's nichts zu staunen. Man

sieht, da#223; Ihr aus einem Land kommt, wo keine Wunder geschehen."

„Na, wo du schon zu sprechen angefangen hast, Kaggi-Karr, so erkl#228;r uns doch, was die

geheimnisvolle Botschaft bedeutet, der wir diese beschwerliche Reise zu verdanken

haben."

„Ja, bitte, Kaggi-Karr", rief auch Elli.

„Meine Geschichte wird sehr lang sein", erwiderte die Kr#228;he, „und ich m#246;chte sie lieber auf morgen verschieben. Aber zu eurer Beruhigung will ich euch sagen, da#223; der Eiserne Holzf#228;ller und der Scheuch am Leben und gesund waren, als ich nach Kansas aufbrach. Man h#228;lt sie einfach gefangen, in einem hohen Turm . . ."

„Einfach gefangen'." wiederholte Elli, und ihre Augen f#252;llten sich mit Tr#228;nen. „Sie tun dir wohl #252;berhaupt nicht leid!"

Kaggi-Karr f#252;hlte sich durch diese Worte gekr#228;nkt. Sie schwieg eine Weile und sprach dann bitter:

„So, so, sie tun mir also nicht leid! Aber nat#252;rlich! Ich hab sie ja gleichm#252;tig ihrem Schicksal #252;berlassen, ich bin mit ihrem Brief nicht Tag und Nacht geflogen, #252;ber Berg und Tal, habe mich nicht zahllosen Gefahren ausgesetzt . . ." Elli sch#228;mte sich ihrer Worte.

„Liebe, gute Kaggi-Karr, verzeih mir bitte. Wie konnte ich so etwas auch nur denken!" „Schon gut. Das n#228;chste Mal #252;berleg, was du sagst. Ich hab euch mitgeteilt, da#223; sie im Turm sitzen, doch das Wichtigste wi#223;t ihr nicht. Der Feind, der sie gefangenh#228;lt, droht, sie umzubringen, wenn sie sich seinem Willen nicht f#252;gen . . ." Elli sprang auf:

„Warum sitzen wir noch da! Auf, la#223;t uns den Freunden zu Hilfe eilen!" „Wieder bist du mir ins Wort gefallen!" sagte die Kr#228;he. „Sie haben ein halbes Jahr Bedenkzeit. Davon sind nur etwas mehr als drei Monate vergangen. Also haben wir noch Zeit genug."

„Es versteht sich, wir d#252;rfen nicht zaudern", machte Charlie Black dem Gespr#228;ch ein Ende. „Schon morgen brechen wir auf. Heute aber wollen wir ausschlafen. Und zum Abend m#252;ssen wir etwas Ordentliches zu essen auftreiben. Gibt es Fische in diesem Bach?"

„Nat#252;rlich, Onkel Charlie, sogar sehr gute", sagte die Kr#228;he. „Ich f#252;r mein Teil esse gern rohen Fisch."

„Und ich gebratenen!" sagte Elli.

„Und ich gekochten!" lie#223; sich Totoschka h#246;ren.

Charlie begann eine Angel anzufertigen. Aus dem Futter seiner Schifferm#252;tze holte er Schnur und Haken hervor, und mit dem Messer schnitt er eine lange Gerte von einem Baum. Den Schwimmer machte er aus Schilf. „Jetzt brauchen wir nur noch einen K#246;der", sagte er.

Zwischen den B#228;umen schwirrten smaragdgr#252;ne K#228;fer mit roten und goldenen Tupfen. Sie waren aber so flink, da#223; weder der Seemann nach Elli einen fangen konnten. Da kam ihnen Kaggi-Karr zu Hilfe. Sie hackte im Fluge mit ihrem starken Schnabel nach den K#228;fern, die, einer nach dem anderen, zur Erde fielen: dort einer, da noch einer, dort wieder einer, konnte sie gar nicht so schnell auflesen.

Nicht weit von der Stelle, wo die Wanderer ihr Lager aufgeschlagen hatten, ergo#223; sich der

Bach in einen gro#223;en Teich, der mit Wasserrosen bewachsen war.

Charlie setzte sich mit der Angel ans Ufer und hie#223; seine Nichte Reisig f#252;r ein Feuer

sammeln.

Es dauerte gar nicht lange, bis der Schwimmer erzitterte. Charlie hob die Angel, die Schnur straffte sich, und mit ge#252;bter Hand zog der Seemann einen gro#223;en, zappelnden Fisch heraus. Er sah wie ein Schlei aus, hatte aber azurblaue Schuppen. „Dieser Fisch hei#223;t bei uns Krox", sagte Kaggi-Karr, die den Vorgang aufmerksam verfolgt hatte.

In einer halben Stunde hatte Charlie etwa ein Dutzend Kroxe gefangen. Vom Lagerfeuer, das Elli angez#252;ndet hatte, stieg bereits Rauch auf.

Die im eigenen Saft gebratenen Kroxe wurden mit gro#223;em Appetit verzehrt. Als Nachspeise gab es leckere Weintrauben und gro#223;e N#252;sse mit d#252;nner Schale und zarten wohlschmeckenden Kernen.

Nach dem Essen streckten sich die Wanderer wohlig im weichen Gras aus. „Kaggi-Karr", sagte der Seemann, „erz#228;hl uns doch, wie du zu den Weintrauben gekommen bist."

Die Kr#228;he plusterte sich auf und begann mit wichtiger Miene:

„Ihr Menschen versteht manchmal die allereinfachsten Dinge nicht. Als Gingemas

Zauberstein euch festhielt, war ich euch, offen gestanden, sehr b#246;se, weil ihr nicht darauf

kamt, mich aus dem Bauer herauszulassen. Nur Elli erriet, da#223; der Stein keine Macht #252;ber

mich hat, weil ich aus dem Wunderland bin ... "

Elli err#246;tete, als sie dieses unverdiente Lob h#246;rte.

„Das ist mir erst sp#228;ter eingefallen", entgegnete sie. „Ich gab dir die Freiheit, damit du unser Los nicht teilst."

„Das macht deinem guten Herzen nur Ehre. Als ich frei war und zu den Bergen flog, dachte ich nach, wie euch zu helfen w#228;re. Was konnte aber ich, eine Kr#228;he, gegen die Hexenkunst der m#228;chtigen Zauberin ausrichten? Da kam mir der Gedanke, Willina um Hilfe zu bitten. Willina ist m#228;chtiger als Gingema, sagte ich mir, sie hat den Sturm gebannt und das H#228;uschen auf die b#246;se Hexe fallen lassen. Willina wird wahrscheinlich auch die Zauberkraft des Steins brechen . . . Und ich flog in das Gelbe Land. Ganze sechs Tage dauerte die Reise. Einheimische Kr#228;hen wiesen mir den Weg zum Gelben Schlo#223; Willinas. Als ich hinkam, geleiteten mich die Diener sogleich zu der guten Zauberin. Sie war ergriffen von meinem Bericht und fragte: ,Elli? Ist das nicht das M#228;delchen, das im vorigen Jahr hier war und Goodwin auf die Schliche kam?'

,Ja', erwiderte ich. ,Und jetzt ist Elli wieder da, um ihre Freunde, den Scheuch und den Eisernen Holzf#228;ller, zu befreien.'

,Wir m#252;ssen ihr helfen', sagte die Zauberin. ,Elli ist ein gutes und tapferes M#228;dchen!'

Willina holte aus den Falten ihres Gewandes ein winziges B#252;chlein hervor, blies darauf und . . ."

„. . . es verwandelte sich in ein riesiges Buch!" rief Elli.

„Richtig", sagte die Kr#228;he. „Willina bl#228;tterte im Zauberbuch und murmelte:

,A . . . Ananas . . . Armee, Argus . . . B . . . Ballon, Bananen . . . Bastschuhe ... D ... Datteln

... Daumen ... Domino ..." Schlie#223;lich hatte sie's gefunden: ,Weintrauben!" rief sie, und

h#246;re, Kaggi-Karr:

„Bambara, Tschufara, Skoriki, Moriki, Turabo, Furabo, Loriki, Joriki . . . Am Rande der Gro#223;en W#252;ste, im Tal der Ewigen Berge, wachsen herrliche Weintrauben. Nur diese k#246;nnen den Bann der Zaubersteine Gingemas brechen." Dann schrumpfte das Buch zusammen und verschwand im Gewand der Zauberin. ,Hatten deine Freunde noch viel Wasser, als du sie verlie#223;est?" fragte sie mich. ,Das F#228;#223;chen war noch zu einem Viertel voll", erwiderte ich.

,Dann sind die Stunden deiner Freunde gez#228;hlt", sagte die Zauberin. ,Die W#252;ste wird sie

umbringen."

Mir stockte das Herz.

,Gibt es denn kein Mittel, sie zu retten?" fragte ich verzweifelt.

,Nur mit der Ruhe, ein Mittel wird sieh schon finden", sagte die Zauberin.

Sie stieg auf das Dach ihres Schlosses, verbarg mich unter ihr Gewand, rief eine

Beschw#246;rung, die ich mir nicht gemerkt habe, und als sie mich wieder hervorholte,

befanden wir uns in dem besagten Tal, vor dem Weinstock, an dem herrliche Trauben

hingen.

Willina sagte, ich sollte mich st#228;rken. Ich a#223; ein paar Beeren und f#252;hlte, wie mir ungeahnte Kr#228;fte zustr#246;mten. Die Zauberin pfl#252;ckte eine gro#223;e Traube und gab sie mir mit den Worten:

,Fliege los, du darfst keine Zeit verlieren!"

,Meine Herrin, vielleicht la#223;t Ihr Euch lieber selber durch eine Beschw#246;rung zu meinen verschmachtenden Freunden versetzen?" fragte ich. ,Vollendet doch das gute Werk, das Ihr so sch#246;n begonnen habt!"

,Alberner Vogel!" entgegnete die Zauberin. ,Meine Beschw#246;rungen k#246;nnen mich nicht #252;ber die Grenzen des Wunderlandes tragen. Wollte ich aber zu Fu#223; gehen, so w#252;rde das viel zu lange dauern."

So bedankte ich mich denn herzlich bei der guten Fee und flog zu euch. Was weiter kam, wi#223;t ihr", schlo#223; die Kr#228;he bescheiden.

Von Kaggi-Karrs Bericht ergriffen, schwiegen die Zuh#246;rer. Schlie#223;lich sagte der Seemann: „Ja, Kaggi-Karr, du bist ein wahrer Freund. Und ich bitte dich um Verzeihung, da#223; ich so schlecht #252;ber dich gedacht hab.

Bei meinem Kompa#223;! W#228;rst du auf meinem Schiff Matrose, ich w#252;rde dich zum Obermaat machen?"

Im Munde des Seemanns war dies das h#246;chste Lob.


DER WEG DURCH DIE BERGE

Am n#228;chsten Morgen begann Kaggi-Karr von den Abenteuern des Scheuchs und des

Eisernen Holzf#228;llers zu erz#228;hlen. #220;ber Urfin wu#223;te sie nichts N#228;heres zu berichten und

konnte auch nicht erkl#228;ren, wie er die lebenden Holzsoldaten geschaffen hatte.

Den Worten der Kr#228;he nach zu urteilen, war Urfin ein m#228;chtiger Zauberer, dem schwer

beizukommen sei. Elli und ihre Gef#228;hrten empfanden brennenden Ha#223; gegen den

machtgierigen und grausamen Diktator.

Der Verrat Ruf Bilans l#246;ste bei ihnen tiefste Verachtung aus.

Elli war von der Tapferkeit des. Scheuchs und des Eisernen Holzf#228;llers begeistert, und der Seemann sagte, er w#252;rde mit solch mutigen M#228;nnern die gef#228;hrlichsten Seereisen wagen. Auch #252;ber die Treue und den Mut Din Giors und Faramants sprachen sich Charlie Black und Elli sehr lobend aus.

„Jetzt wi#223;t ihr, wie sich alles zugetragen hat", schlo#223; Kaggi-Karr ihren Bericht. Elli fragte:

„Und was ist aus dem langb#228;rtigen Soldaten und dem H#252;ter des Tores geworden?"

„Ich hab sie nicht mehr gesehen, nachdem sie w#228;hrend der Einnahme der Stadt in

Gefangenschaft geraten waren. Aber ein bekannter Spatz aus der Smaragdenstadt sagte

mir, da#223; man sie in einem Keller h#228;lt und gut f#252;ttert. Urfin hofft wahrscheinlich, sie zu

#252;berreden, in seine Dienste zu treten."

„Das wird ihm nicht gelingen!" sagte Elli.

„Das ist auch meine Ansicht", pflichtete ihr die Kr#228;he bei.

„Urfin und seine Holzarmee sind ernste Gegner", bemerkte nachdenklich der einbeinige Seemann.

„Werden wir ihnen beikommen, Onkel Charlie?" fragte Elli. „Merke dir die kluge Regel: Kommt Zeit, kommt Rat. Wenn wir die Berge hinter uns haben, werden wir uns #252;berlegen, was wir gegen Urfin unternehmen k#246;nnen." „Kaggi-Karr, erz#228;hl uns bitte, wie du mich nur gefunden hast", bat Elli. „Ich kann euch sagen, das war keine leichte Sache", erwiderte die Kr#228;he stolz. „Ich bin bei gutem Wind #252;ber die W#252;ste geflogen, und dann begannen die gro#223;en Schwierigkeiten. Ihr werdet wohl verstehen, da#223; ich nicht den Erstbesten fragen konnte, wo Kansas liegt. Ich ma#223;te mich an die Leute heranschleichen und aus ihren Gespr#228;chen erlauschen, wo ich bin . . . Mehrere Wochen irrte ich umher. Wie ich mich freute, als ich endlich das Wort ,Kansas' h#246;rte' Dann kam ich mit jedem Tag meinem Ziel n#228;her. Schlie#223;lich erblickte ich dich, Elli, von weitem und erkannte dich sofort, obwohl ich dich nur ein einziges Mal gesehen hatte, als du den Scheuch vom Pfahl nahmst. Ich freute mich so sehr, da#223; ich jede Vorsicht verga#223; und den b#246;sen Buben mit den Steinen an mich herankommen lie#223; . . ." „Kaggi-Karr, du hast eine au#223;ergew#246;hnliche Gro#223;tat voll-bracht'." rief Elli begeistert. „Nicht umsonst haben der Scheuch und der Holzf#228;ller gerade dich nach Kansas geschickt." „Mag sein", erwiderte die Kr#228;he mit gespielter Gleichmut und f#252;gte hinzu: „Und jetzt ruht euch ein wenig aus, ich will derweilen den Weg #252;ber die Berge auskundschaften."

Kaggi-Karr l#252;ftete die Fl#252;gel und flog davon.

Charlie Black hie#223; Elli schlafen gehen, um Kr#228;fte zu sammeln, und begann mit den Vorbereitungen zu dem schweren Marsch #252;ber die Berge. Er fing etwa zwei Dutzend Kroxe, die er ausnahm und zum Trocknen in der Sonne aufh#228;ngte. An eine andere Schnur h#228;ngte er saftige Weintrauben, damit sie an der Sonne zu Rosinen werden.

Dann begann Charlie an den Schuhen zu werken. Seinen Stiefel und Ellis Schuhe beschlug er mit N#228;geln, damit sie auf den Felsen und dem Eis nicht rutschten, und., in sein Holzbein trieb er einen dicken Nagel mit der Spitze nach unten. F#252;r Totoschka fertigte der Seemann ein Paar kleine Schuhe aus weicher Baumrinde, die die Pfoten des H#252;ndchens gegen K#228;lte sch#252;tzen sollten, wenn es #252;ber die Gletscher gehen w#252;rde. Das alles nahm einen vollen Tag in Anspruch. Sp#228;tabends kehrte Kaggi-Karr v#246;llig ersch#246;pft zur#252;ck.

„Das sind aber Berge!" stie#223; die Kr#228;he heiser hervor. „Nicht umsonst sagen die Leute, da#223;

noch niemand #252;ber sie gekommen ist. Aber ich la#223; mit mir nicht spa#223;en. Heute bin ich von

unserem Lager nach Westen geflogen, morgen geht's nach Osten."

Die Wanderer schliefen unter dem Rausche n eines Wasserfalls ein.

Die ganze Nacht tr#228;umte Elli von Urfins Soldaten, die auf dem Gelben Backsteinweg

stapften.

Am n#228;chsten Tag zog die Kr#228;he wieder in die Berge.

Auf einer Wanderung durch das Tal entdeckte Charlie wildwachsende K#252;rbisse, die wie riesige Birnen aussahen. Der Seemann freute sich gewaltig #252;ber diesen Fund. Er schnitt mehrere Fr#252;chte an, kratzte das Fleisch und die Kerne heraus und legte die leeren K#252;rbisse zum Trocknen an die Sonne. So erhielt er gute, leichte Trinkwasserbeh#228;lter. Dann fertigte Charlie aus Korkbaumrinde Pfropfen f#252;r die Beh#228;lter, die man jetzt mit Wasser f#252;llen und in die Rucks#228;cke legen konnte.

Die Sonne stand noch hoch am Himmel, als Kaggi-Karr zur#252;ckkehrte. Mit triumphierender Stimme schrie sie von weitem:

„Ich hab den Weg gefunden! Die Berge wollten mich zum Narren halten, aber ich habe sie #252;berlistet!"

W#228;hrend sie erz#228;hlte, verschlang sie gierig gro#223;e St#252;cke von den Kroxen, die der Seemann gefangen hatte.

„Es ist nat#252;rlich kein bequemer Weg, nur ein Pfad, aber man kommt schon durch, wenn

man sich ein bi#223;chen anstrengt. Au#223;erdem f#252;hrt er #252;ber einen Pa#223;, der weit unter dem

Kamm verl#228;uft. Ich will mich nicht loben, Onkel Charlie, wenn ich sage, da#223; nicht jeder

Vogel in dem Gewirr von Gipfeln und K#228;mmen den Pa#223; gefunden h#228;tte."

„Bei allen Kr#228;hen der Welt, Kaggi-Karr, schon als ich dich zum erstenmal sah, war mir

klar, da#223; du ein au#223;ergew#246;hnlicher Vogel bist", sagte der Seemann.

Und Elli f#252;gte hinzu:

„Es war ja auch kein Zufall, da#223; gerade du den Scheuch auf den Gedanken gebracht hast, sich nach einem Gehirn umzusehen!" Kaggi-Karr f#252;hlte sich geschmeichelt.

„Morgen m#252;ssen wir fr#252;h aufbrechen", sagte sie, „denn der Weg ist weit und m#252;hsam."

Charlie besa#223; keine Bergsteigerausr#252;stung - weder Keile noch Haken, die man in den Felsen schl#228;gt, noch Strickleitern und was sonst noch dazu geh#246;rt. Aber die Wanderer kamen auch ohne diese Dinge aus. Von der Kr#228;he gef#252;hrt, umgingen sie Steilh#228;nge und Abgr#252;nde. In der Tiefe h#246;rten sie wilde B#228;che rauschen.

An gef#228;hrlichen Stellen seilten sich Onkel und Nichte an, und Elli nahm Totoschka auf die Arme.

Sie hatten bereits einen gro#223;en Teil des Weges zur#252;ckgelegt, als sie unvermittelt auf einen tiefen Spalt stie#223;en. Er war so breit, da#223; Elli ihn nicht #252;berspringen konnte, von Onkel Charlie mit seinem Holzbein ganz zu schweigen.

Ratlos standen sie da. Am meisten #228;rgerte sich Kaggi-Karr, die sich an allem schuldig f#252;hlte. Als sie #252;ber die Berge flog, war ihr der Spalt so klein vorgekommen, da#223; sie ihn nicht weiter beachtet hatte.

„Ich will nachsehen, ob wir ihn umgehen k#246;nnen", sagte die Kr#228;he und flog, das Gel#228;nde auszukundschaften.

Nach einer halben Stunde kehrte sie niedergeschlagen zur#252;ck.

„Ringsum sind solche Felsen und Abgr#252;nde, da#223; man unm#246;glich durchkommt", meldete

sie.

Elli l#228;chelte traurig.

„Mein Freund, der Scheuch", sprach sie, „h#228;tte gesagt: ,Da ist ein tiefer Graben, #252;ber den kann man nicht springen. Um hin#252;berzukommen, braucht man eine Br#252;cke. Also mu#223; man eine Br#252;cke bauen.'" Charlie sprang freudig auf:

„Elli, du hast mich auf eine famose Idee gebracht. Wir werden eine Br#252;cke bauen!"

„Onkel Charlie, hier gibt es aber weit und breit keinen Baum.

Oder willst du vielleicht in das Tal der k#246;stlichen Weintrauben zur#252;ckkehren?"

„Aber Kindchen, du hast wohl das Zaubertuch in meinem Rucksack vergessen? Heute wird

es sich in eine Br#252;cke verwandeln!"

Er nahm eine Rolle dicken Bindfadens aus dem Rucksack, schnitt ein langes St#252;ck ab, faltete dieses doppelt zusammen und warf es #252;ber den Spalt, bem#252;ht, da#223; es sich an einem Felsvorsprung verfinge. Es gelang. Dann zog er beide Enden an und band sie auf seiner Seite an einen Stein. Das wiederholte er mehrmals, und bald hing die straff gespannte Schnur in mehreren Reihen #252;ber dem Spalt. Elli schaute verwundert zu.

„Onkel Charlie, #252;ber eine solche Schnur kann doch nur ein Spatz auf die andere Seite kommen."

„Geduld, mein Kind, das ist ja nur die St#252;tze unserer Br#252;cke."

Der Seemann holte das Zaubertuch hervor, blies es zu einem prallen Polster auf und bettete

es auf die Schn#252;re. Elli h#252;pfte vor Freude, als er damit fertig war.

Charlie kroch vorsichtig #252;ber den Spalt und half dann Elli und Totoschka beim #220;bergang.

Als sie alle auf der anderen Seite waren, lie#223; Charlie die Luft aus dem Polster aus und legte

das Tuch wieder in den Sack. Dann zog er am Ende der Schnur, die auf Seemannsart

gekn#252;pften Knoten l#246;sten sich, und Charlie rollte die Schnur wieder zusammen.

Nun konnte die Schar ihren Weg fortsetzen.

Bald hatte sie den Pa#223; hinter sich. Die Landschaft wurde freundlicher, die H#228;nge waren jetzt nicht mehr so felsig und steil, da und dort zeigten sich sogar B#228;ume. Hier #220;bernachteten die Wanderer.

Am n#228;chsten Morgen begann der Abstieg. Als sie am Fu#223; der Berge angelangt waren, sahen sie das Blaue Land vor sich.

Elli erkannte auf den ersten Blick die herrlichen Gefilde der K#228;uer wieder.

Da waren die gr#252;nen Wiesen, umstanden von B#228;umen, an denen saftige Fr#252;chte hingen,

und die Beete, auf denen herrliche wei#223;e, blaue und lila Blumen wuchsen. Auf den

B#228;umen sa#223;en rotbr#252;stige Papageien mit goldig-azurblauem Gefieder und begr#252;#223;ten Elli

mit schrillem Geschrei. In kristallklaren B#228;chen tummelten sich silbrige Fischlein.

Elli und Totoschka war diese ungew#246;hnlich sch#246;ne Landschaft vertraut. Charlie, der sie

zum erstenmal sah, war ganz begeistert. Er war durch viele L#228;nder gekommen, hatte viel

Sch#246;nes gesehen, doch eine solche Pracht hatte er noch nie erlebt.

Wie vor einem Jahr, als Elli zum erstenmal hier war, traten hinter den B#228;umen drollige,

kleine K#228;uer hervor, die blaue Samtr#246;cke und schmale Hosen anhatten. Ihre F#252;#223;e staken in

Stulpenstiefeln, und auf den K#246;pfen trugen sie Kegelh#252;te mit Kristallkugeln an der Spitze

und lieblich klingenden Schellen an den breiten Krempen.

Die K#228;uer l#228;chelten Elli freundlich an, legten ihre H#252;te auf den Boden, damit die Schellen sie beim Sprechen nicht st#246;rten, und dann sagte der #196;lteste:

„Wir begr#252;#223;en dich, Fee des T#246;tenden H#228;uschens, und deine Gef#228;hrten in unserem Lande! Wir freuen uns, dich wiederzusehen. Aber auf welche Weise bist du diesmal zu uns gekommen?"

„Zu Fu#223; #252;ber die Berge. Und ich freue mich sehr, euch wiederzusehen, meine lieben Freunde!"

Ein K#228;uer fragte ungl#228;ubig: „Gehen denn Feen zu Fu#223;?" Elli lachte.

„Ich hab euch ja schon damals gesagt, da#223; ich ein ganz gew#246;hnliches M#228;dchen bin." Der #196;lteste entgegnete entschieden:

„Gew#246;hnliche M#228;dchen kommen nicht mit t#246;tenden H#228;uschen geflogen und gehen nicht - krack, krack - auf die K#246;pfe b#246;ser Zauberinnen nieder. Gew#246;hnliche M#228;dchen fliegen nicht mit silbernen Zauberschuhen in ein Land, das Kansas hei#223;t und uns unbekannt ist!" „Wie gut ihr meine Abenteuer kennt!" wunderte sich Elli. „Na, wenn ihr mich unbedingt eine Fee nennen wollt, so mag's denn sein, ich kann's euch doch nicht ausreden! Und das ist mein Onkel Charlie. Ihm fehlt zwar das linke Bein, aber er ist dennoch der allerbeste und allerliebste Onkel, den es auf der Erde gibt."

Die K#228;uen die ihre H#252;te wieder aufgesetzt hatten, verneigten sich tief vor dem Seemann, und ihre Schellen l#228;uteten gar lieblich dabei.

Charlie fl#246;#223;te ihnen Scheu ein, denn er kam ihnen wie ein Riese vor, obwohl er nur mittelgro#223; war.

Jetzt begriff Charlie auch, warum man diese Menschlein K#228;uer nannte. Ihre Unterkiefer bewegten sich ununterbrochen, als kauten sie. Charlie gew#246;hnte sich aber schnell an diese Eigenheit der gastfreundlichen Menschlein und beachtete sie bald #252;berhaupt nicht mehr. „Wie geht es euch, meine lieben Freunde?" fragte Elli.

„Schlecht", erwiderten die K#228;uer und fingen zu schluchzen an.

Damit die Schellen sie beim Weinen nicht st#246;rten, nahmen sie wieder ihre H#252;te ab und

legten sie auf die Erde.

„Du hast uns von der t#252;ckischen Gingema befreit, und jetzt ist Urfin, ein b#246;serer Zauberer,

an ihre Stelle getreten", klagte der #196;lteste. „Er hat ein B#228;renfell und schreckliche

Holzsoldaten belebt und Prem Kokus, den wir zu unserem Herrscher gew#228;hlt hatten,

gest#252;rzt und sogar die Smaragdenstadt erobert."

„Aber er lebt doch weit von hier, warum klagt ihr dann?" fragte Elli.

„Urfin hat einen Statthalter namens Kabr Gwin mit einem Dutzend Holzsoldaten in unser

Land geschickt. Kabr ist ein b#246;ser und habgieriger Mann. Er dringt mit seinen Holzk#246;pfen

in unsere H#228;user ein und nimmt uns alles fort, was ihm gef#228;llt."

„Ich kenne diesen Kabr Gwin", sagte Kaggi-Karr. „Es ist einer von den Verr#228;tern, die in

Urfins Dienste getreten sind."

„Nehmt euch vor Kabr Gwin in acht, liebe Frau Fee. Wenn er erf#228;hrt, da#223; ihr in unserem Land seid, wird es euch schlimm ergehen", sagte der #196;lteste der K#228;uer. ,,Bei den Piraten der s#252;dlichen Meere, soll doch Kabr Gwin sich in acht nehmen!" schrie der Seemann zornig. „Er soll uns noch kennenlernen!"

Der zornige Riese sah so furchterregend aus, da#223; die K#228;uer an allen Gliedern zu zittern begannen.

„Wir sind zu euch gekommen, um euch von Urfin uni seinen Soldaten zu erl#246;sen", erkl#228;rte Elli.

Da freuten sich die Menschlein und begannen schallend zu lachen. Die Schellen an ihren H#252;ten, die sie in den H#228;nden hielten, l#228;uteten, da#223; man es weithin h#246;ren konnte. Am Fu#223;e der Berge gab es keine H#228;user, und Kabr Gwin zeigte sich hier niemals mit seiner Wache. Deshalb beschlo#223; Charlie Black, f#252;r die erste Zeit das Lager hier aufzuschlagen.

Er stellte das Zelt mitten in einem wundersch#246;nen, mit Obstb#228;umen bestandenen Hain auf. Die K#228;uer hatten noch niemals Zelte gesehen und waren daher sehr erstaunt, als in wenigen Minuten zwischen den B#228;umen ein H#228;uschen entstand. Sie wollten die Wanderer beim Herrichten des Nachtlagers aber nicht st#246;ren und verabschiedeten sich. Am n#228;chsten Morgen kamen sie wieder. Sie brachten so viel Essen mit, da#223; Charlie sie bat, einen gro#223;en Teil davon zur#252;ckzunehmen. Der #196;lteste sagte, die frohe Kunde von der R#252;ckkehr der Fee des T#246;tenden H#228;uschens habe sich bereits #252;ber das ganze Land verbreitet, aber unter den K#228;uern werde sich I bestimmt niemand finden, der dies Kabr Gwin verraten w#252;rde.

Unsere Freunde schickten die lieben Menschlein nach Hause und beratschlagten dann, was weiter zu tun sei. Nach langem #220;berlegen kamen Charlie, Elli, Kaggi-Karr und Totoschka zu der Einsicht, da#223; ihre Kr#228;fte f#252;r eine weite und gefahrvolle Reise in die Smaragdenstadt noch nicht ausreichten. Sie beschlossen daher, den Tapferen L#246;wen zu Hilfe zu rufen, der ihnen ein m#228;chtiger Bundesgenosse sein konnte.

Der L#246;we in seinem fernen Wald wu#223;te nat#252;rlich nicht, in welcher Lage sich seine Freunde befanden. Kaggi-Karr sollte daher zu ihm fliegen, um es ihm mitzuteilen. Unter dem Schutz des K#246;nigs der Tiere werde die Reise dann zweifellos viel leichter und ungef#228;hrlicher sein.

Der Kr#228;he wurde eingesch#228;rft, da#223; die Ankunft Ellis und ihrer Gef#228;hrten im Wunderland streng geheimgehalten werden m#252;sse und da#223; au#223;er dem L#246;wen niemand davon erfahren d#252;rfe.

Die Kr#228;he versprach, das Geheimnis zu h#252;ten.


KAGGI-KARR PLAUDERT DAS GEHEIMNIS AUS

Ohne Zwischenf#228;lle kam die Kr#228;he in den Wald, in dem der Tapfere L#246;we herrschte. Als sie ihm von der Gefangennahme des Scheuchs und des Eisernen Holzf#228;llers erz#228;hlte, f#252;llten sich seine Augen mit Tr#228;nen, die er mit seiner Schwanzquaste trocknete. Die Mitteilung, da#223; Elli im Wunderland eingetroffen sei, war ihm ein Trost. Der L#246;we beauftragte den Tiger, in seiner Abwesenheit die Staatsgesch#228;fte zu f#252;hren, und machte sich auf den Weg. Kaggi-Karr, die viel schneller war als er, beschlo#223;, einen Abstecher in die Smaragdenstadt zu machen.

Vor allem flog sie zu dem Turm, in dem sich der Scheuch und der Eiserne Holzf#228;ller befanden. Als die beiden die so lange vermi#223;te Botin erblickten, brachen sie in Jubel aus. Kaggi-Karr war so lange fort gewesen, da#223; sie sie schon f#252;r tot hielten und auf das Schlimmste gefa#223;t waren.

Und da beging Kaggi-Karr einen unverzeihlichen Fehler. Vor lauter Freude #252;ber das Wiedersehen mit ihren alten Freunden verga#223; sie, da#223; die Ankunft Ellis im Wunderlande geheimgehalten werden m#252;sse, und plauderte alles aus.

Die Kr#228;he konnte sich nicht enthalten, damit zu prahlen, wie gl#228;nzend sie ihren Auftrag ausgef#252;hrt habe. Sie habe sich, sagte sie, nicht nur der Hilfe Ellis, sondern auch ihres Onkels Charlie Black versichert, der weit in der Welt herumgekommen sei und sich auf alles verstehe.

Die Freunde umarmten Kaggi-Karr so st#252;rmisch, da#223; ihr fast der Atem ausging. Erst jetzt fiel ihr ein, da#223; sie eine gro#223;e Dummheit begangen habe, doch war daran nichts mehr zu #228;ndern. Sie beruhigte sich ein wenig, als die Freunde ihr das Wort gaben, das gro#223;e Geheimnis an niemanden zu verraten. Der Scheuch beschwichtigte sie:

„Verla#223; dich auf mein kluges Gehirn. Es wei#223;, was ein Geheimnis ist und wie es gewahrt werden mu#223;. #220;brigens kann auch ich dir eine wichtige Neuigkeit mitteilen: Der Holzf#228;ller hat mich z#228;hlen gelehrt und mir alle Grundrechnungsarten mit Zahlen bis zu Tausend beigebracht. Jetzt kann ich solche Rechnungen im Kopf machen. Das hat uns die Langeweile vertrieben, und es wird mir gewi#223; zustatten kommen, wenn ich wieder auf dem Thron der Smaragdenstadt sitzen werde."

Zerstreut begl#252;ckw#252;nschte die Kr#228;he den Scheuch zu diesem Erfolg und flog mit einem bangen Gef#252;hl in die Stadt. Fr#252;her konnte man diese schon von weitem im gr#252;nen Glanz der Smaragden funkeln sehen, jetzt aber lag sie d#252;ster und traurig da.

Die Smaragden waren aus dem Stadttor herausgebrochen und auch von den T#252;rmen des Schlosses entfernt worden. Sogar die gew#246;hnlichen Kristallsplitter, die in die W#228;nde und das Pflaster eingesprenkelt waren. gab es nicht mehr. Die farbenpr#228;chtigen Wasserspiele waren verschwunden; die #252;ppigen Blumenbeete ausgetrocknet, die Anlagen verwelkt. Auf der Schlo#223;mauer, auf der einst Din Gior in funkelndem Panzer gestanden und seinen pr#228;chtigen Bart - den Stolz aller Stadtbewohner - gek#228;mmt hatte, stand nun ein klobiger Holzsoldat mit abgebl#228;tterter Farbe auf Brust und R#252;cken.

Kaggi-Karr, die nach ihrem langen Flug starken Hunger versp#252;rte, suchte vor allen Dingen das Schlo#223; auf, wo sie ihren Freund, den Koch, zu finden hoffte, der einst Goodwin gedient und dann, unter der Herrschaft des Weisen Scheuchs, die Kr#228;he stets freigebig bewirtet hatte. Kaggi-Karr hatte sich nicht geirrt: Baluol, der Koch, konnte sich nach dem Sturz des Scheuchs nicht entschlie#223;en, die pr#228;chtige Schlo#223;k#252;che mit ihren schmackhaften Gerichten zu verlassen, und war - wenn auch schweren Herzens - in den Dienst des Tyrannen getreten.

Der feiste Baluol freute sich #252;ber das Wiedersehen und setzte seiner alten Bekannten einen Haufen Speiseabf#228;lle vor.

W#228;hrend Kaggi-Karr sie gierig verschlang, erz#228;hlte der Koch, der sich in letzter Zeit sehr einsam f#252;hlte, seine Neuigkeiten.

Seit Urfin sich der Stadt bem#228;chtigt hatte, gehe es ihren einst so fr#246;hlichen und sorglosen Einwohnern sehr schlecht. Jetzt bereuen sie es schrecklich, da#223; sie dem Feind keinen Widerstand geleistet hatten. Aus ihren Herzen ist das letzte bisschen Freude ver­schwunden, der neue Herrscher hat es ihnen durch seine kleinlichen, b#246;sen Kniffe geraubt. Aber auch Urfin hat an der Herrschaft #252;ber die Smaragdenstadt keine Freude, fuhr Baluol fort. Beim Auftragen der Speisen habe er gesehen, wie m#252;rrisch sich der Diktator die Schmeicheleien seiner H#246;flinge anh#246;re. Es sei klar, da#223; er sich jetzt nicht weniger einsam f#252;hle als zu der Zeit, wo er noch ein gew#246;hnlicher Tischler im Lande der K#228;uer war. Damals h#228;tte er sich die Herzen der Menschen wohl leichter gewinnen k#246;nnen als heute, wo die Leute ihn ha#223;ten oder ihm nur aus Eigennutz dienten.

Die Kr#228;he, die sich inzwischen satt gegessen hatte, bedankte sich und nahm von Baluol Abschied. Morgen, sagte sie, wolle sie wiederkommen. Diesmal hatte Kaggi-Karr mit keinem Wort erw#228;hnt, wozu sie die Smaragdenstadt aufgesucht habe. Dann trieb sie sich in der Stadt herum. Bald setzte sie sich auf ein Fensterbrett, bald auf die Schwelle einer offenen T#252;r und horchte, was die Leute sprachen. Die Einwohner, stellte die Kr#228;he fest, bereuten es, dem Aufruf des Scheuchs nicht gefolgt zu sein, als die Feinde die Stadt belagerten. Jetzt tat es ihnen um die verlorene Freiheit leid, und sie waren bereit, alles f#252;r sie zu opfern.

Kaggi-Karr war es aber auch klar, da#223; Urfin sich verrechnet hatte, als er den Holzf#228;ller und den Scheuch in den hohen Turm verbannte, wo man sie von weit her sehen konnte. Er hatte gedacht, bei ihrem Anblick w#252;rden die St#228;dter seine, des Herrschers, Kraft und Gro#223;mut zu preisen beginnen. Es kam aber anders. Die B#252;rger verw#252;nschten seine T#252;cke und bewunderten den Heldenmut der Gefangenen.

Kaggi-Karr beging jedoch wieder eine Unvorsichtigkeit, als sie dem Scheuch ihre Wahrnehmungen mitteilte.

Diesem stieg n#228;mlich die eigene Tapferkeit zu Kopf, und eine Kampflust #252;berkam ihn, die seine Strohbrust zu sprengen drohte. Vor dem Turm hatten sich ein paar Menschen versammelt. Bei ihrem Anblick steckte der Scheuch seinen Kopf durch die Gitterst#228;be und schrie, man solle mehr Volk herbeiholen, denn er wolle eine Rede halten. Die Nachricht verbreitete sich schnell in der Stadt und auf den anliegenden Farmen. Vor dem Turm versammelte sich eine gro#223;e Menge, und wenn die Wachen keinen Argwohn sch#246;pften, so war das nur dem Umstand zu verdanken, da#223; ihre K#246;pfe aus Holz waren.

Der Scheuch hielt eine z#252;ndende Rede. Er erinnerte die Einwohner der Smaragdenstadt an ihr schmachvolles Verhalten w#228;hrend des feindlichen #220;berfalls, rief sie auf, mutig zu sein und den Eindringlingen Widerstand zu leisten. Dabei verga#223; er, was er der Kr#228;he versprochen hatte, und verk#252;ndete seinen Zuh#246;rern, da#223; Elli bereits im Lande der K#228;uer sei und demn#228;chst ihn und den Eisernen Holzf#228;ller befreien werde. Der Scheuch war so sehr im Gang, da#223; alle Bem#252;hungen des Holzf#228;llers und der Kr#228;he, seinem Redeschwall ein Ende zu setzen, nichts n#252;tzten. Der Strohmann schimpfte f#252;rchterlich und stie#223; immer heftigere Drohungen gegen Urfin aus. Die Holzk#246;pfe verstanden nicht, was er sagte. Doch da tauchte wie zum Ungl#252;ck Ruf Bilan auf. Er begriff sofort, da#223; sich hier eine gute Gelegenheit bot, dem Diktator einen Dienst zu erweisen, wof#252;r dieser ihn gewi#223; belohnen w#252;rde, und befahl seinen Holzsoldaten die Menge auseinanderzujagen.

Dann eilte er in die Stadt und meldete Urfin, da#223; der Scheuch eine aufr#252;hrerische Rede gehalten und die Ankunft Ellis im Wunderland verk#252;ndet habe, des M#228;dchens, das vor einem Jahr die b#246;sen Zauberinnen Gingema und Bastinda vernichtet hatte. Urfin wurde aschfahl im Gesicht, tat aber so, als habe er keine Angst, und befahl: „Steckt den Meuterer f#252;r drei Tage in einen unterirdischen Karzer, das M#228;dchen Elli aber soll festgenommen und in die Smaragdenstadt gebracht werden, damit ich #252;ber sie richte!" Als die Soldaten mit ihren Kn#252;ppeln die Menge auseinandergejagt hatten, sagte Kaggi-Karr vorwurfsvoll zum Scheuch: „Schau, was du mit deinem klugen Gehirn angerichtet hast!"

Der Scheuch schlug die Augen nieder. Da schwieg auch die Kr#228;he, denn sie wu#223;te ja, da#223; sie selber an allem schuld war.

Jetzt mu#223;te man sich #252;berlegen, was in dieser Lage zu tun sei. Aber noch bevor die drei einen Entschlu#223; fassen konnten, hatten Holzsoldaten die Turmtreppe erstiegen. Die ersten zwei flogen, von den F#228;usten des Eisernen Holzf#228;llers getroffen, die Stiegen hinunter. Dem Riesen war nicht so leicht beizukommen, die Soldaten mu#223;ten Verst#228;rkung holen. Als sie den oberen Teil des Aufgangs verstopft hatten, so da#223; es einfach keinen Platz mehr gab, wohin sie h#228;tten fallen k#246;nnen, dr#252;ckten sie. mit ihrer Masse den Eisernen Mann an die Wand und banden ihm die H#228;nde.

Der Scheuch wurde in den Karzer geschafft und an einen Nagel an die Wand geh#228;ngt. Er l#228;chelte aber nur geringsch#228;tzig und begann Rechenaufgaben im Kopf zu l#246;sen. Kaggi-Karr zerhackte mit ihrem Schnabel die Fesseln des Holzf#228;llers und riet ihm, sich ruhig zu verhalten, bis sie Elli herbeigeholt habe.

„Sonst werden sie dich wieder fesseln! Ich fliege nur schnell in das Land der K#228;uer. Wenn du w#252;#223;test, wie ich's bedauere . . ."

Was sie bedauerte, hatte die Kr#228;he nicht gesagt, aber der Holzf#228;ller verstand. Sie bedauerte, da#223; sie ihre Zunge nicht im Zaum gehalten und den unberechenbaren Scheuch in Versuchung gef#252;hrt hatte.


DIE BEGEGNUNG MIT DEM TAPFEREN L#214;WEN

Drei Wochen mu#223;te Elli auf die Ankunft des Tapferen L#246;wen warten. Sie war schon ganz

verzweifelt, als sie pl#246;tzlich sein donnerartiges Gebr#252;ll im nahen Wald h#246;rte. Sie lief ihm

entgegen, umschlang seinen m#228;chtigen Hals, auf dem die goldene Kette gl#228;nzte, die die

Zwinkerer ihm geschenkt hatten, streichelte seine m#228;chtige M#228;hne, k#252;#223;te ihn auf den

rauhen Schnurrbart und auf die gro#223;en gelben Augen. Der L#246;we streckte sich im Gras hin,

scharrte mit den Vordertatzen die Erde und schnurrte gl#252;cklich.

„Ach, Elli, Elli, Elli!" wiederholte er in einem fort. „Wie froh bin ich, dich wiederzusehen!

Was macht's, da#223; ich mir auf dem weiten Weg die Pfoten zerschunden habe . . ."

Elli blickte auf die Tatzen des L#246;wen, und ihr Herz verkrampfte sich vor Mitleid.

„Wir werden sie heilen, lieber L#246;we! Onkel Charlie hat eine wunderbare Salbe aus Nu#223;#246;l,

sie wird dir bestimmt helfen... "

Der Seemann begr#252;#223;te h#246;flich den L#246;wen, und dieser schlo#223; ihn sogleich in sein Herz. Aus dem Wald kam Totoschka gelaufen, der auf V#246;gel Jagd gemacht hatte. Die Begegnung zwischen dem L#246;wen und Totoschka war sehr herzlich. Die beiden reichten sich die Pfoten, und dann tat der riesige L#246;we so, als wolle er das H#252;ndchen fressen, worauf dieses sich den Anschein gab, als habe es schreckliche Angst. Gleich darauf begann es um den L#246;wen herumzutanzen und versuchte, ihn an der Schwanzquaste zu schnappen. Jetzt tat der L#246;we, als habe er Angst: Er zog den Schwanz ein und begann sich im Kreise zu drehen.

Elli lachte, da#223; ihr Tr#228;nen in die Augen traten, und Charlie Black rief:

„Bei meinem Holzbein! Das ist das komischste Schauspiel, das ich jemals gesehen habe!"

„Wo bleibt denn Kaggi-Karr?" fragte Elli. „Ist sie nicht mitgekommen?"

„Nein, ich habe die Reise allein gemacht", erwiderte der L#246;we. „Als sie mir deine

Botschaft #252;berbracht hatte, sagte sie, sie m#252;sse noch etwas in der Smaragdenstadt

besorgen."

Der Seemann sch#252;ttelte mi#223;mutig den Kopf.

„Was will sie denn dort? Ich f#252;rchte, sie wird wieder was anstellen . . ."

„Aber, Onkel, Kaggi-Karr ist ja ein kluger Vogel", nahm Elli die Kr#228;he in Schutz.

„Klug schon", brummte der Seemann, „aber ihre Prahlsucht . . ."

Charlie schmierte die Pfoten des L#246;wen mit Nu#223;#246;l ein und verband sie mit weicher Rinde,

was den Schmerz sofort linderte. Der Tapfere kauerte sich ins Gras, und Elli setzte sich

neben ihn und begann sein Fell zu streicheln.

„Wie war's unterwegs?" fragte das M#228;dchen ihren gro#223;en Freund.

„Ich hatte zwei kleine Unannehmlichkeiten und eine gro#223;e", sagte der L#246;we, mit der Pfote

die goldene Halskette gl#228;ttend. „Ich mu#223;te zweimal #252;ber den Flu#223; schwimmen, dort, wo

damals das Hochwasser war, und dort, wo uns der Scheuch abhanden kam.

Diese Abenteuer habe ich leicht #252;berstanden. Doch das dritte . . . Ach, wenn du w#252;#223;test!"

Der L#246;we verzog das Gesicht und stie#223; einen tiefen Seufzer aus. „Erz#228;hl doch!" rief Elli ungeduldig.

„Von wem konnte die dritte Unannehmlichkeit kommen, wenn nicht von den S#228;bel­zahntigern! Nachdem mir Goodwin aus dem goldenen Tellerchen Mut zu trinken gab, hatte ich vor diesen Ungeheuern keine Angst mehr. Aber ich mu#223;te daran denken, wie ich unversehrt durch ihren Wald komme. Was h#228;tte es auch genutzt, wenn ich wie ein Held im Kampf gefallen w#228;re, und du, Elli, h#228;ttest Wochen und Monate auf mich gewartet? Ich beschlo#223; daher, mich unauff#228;llig durch den Tigerwald zu schleichen. Leise ging ich den Gelben Backsteinweg entlang und tr#228;umte nur davon, den gef#228;hrlichen Ort - du wirst dich an die Stelle zwischen den Schluchten gewi#223; noch erinnern - hinter mich zu bringen. Pl#246;tzlich h#246;rte ich rechts vor mir ein Schnauben, und als ich den Kopf wandte, funkelten mich zwei gl#252;hende Augen aus den B#252;schen an. Im gleichen Augenblick raschelte es links von mir. Auch dort lauerte der Feind. Ich verga#223; meine wunden Pfoten und machte einen Satz, wie ihn wohl noch kein L#246;we jemals vollbracht hat. Da sprangen aber auch schon zwei riesige Tiger auf den Weg. Sie wollten mich packen, flogen aber knapp an mir vorbei und prallten aufeinander. H#228;ttet ihr gesehen, wie sie sich rauften! Sie gaben sich wohl gegenseitig die Schuld, da#223; ihnen die Beute entgangen war . . . Der Wald dr#246;hnte von ihrem Gebr#252;ll, Haarb#252;schel flogen auf die h#246;chsten B#228;ume. Ich hatte aber keine Zeit, mich an dem Schauspiel zu erg#246;tzen, und machte, da#223; ich fortkam. Nun rannte ich, so schnell ich konnte, bis der Tigerwald hinter mir lag. Das war die dritte und gr#246;#223;te Unannehmlichkeit, die mir unterwegs zustie#223;", schlo#223; der L#246;we seinen Bericht. Am n#228;chsten Tag kam Kaggi-Karr. Sie sah sehr verst#246;rt aus, und Charlie zweifelte nun nicht mehr daran, da#223; sich seine schlimmsten Bef#252;rchtungen bewahrheitet hatten. „Sprich!" sagte er barsch zur Kr#228;he.

Diese wagte es nicht, die Wahrheit zu verheimlichen, und erz#228;hlte alles. Die Zuh#246;rer waren sehr bek#252;mmert, als sie erfuhren, da#223; Urfra #252;ber die Ankunft Ellis im Wunderland Bescheid wu#223;te. Als die Kr#228;he das verstimmte Gesicht Ellis sah, sagte sie gequ#228;lt: „Ja, ich bin an allem schuld! Aber verzeiht mir, Freunde! Ich will alles wiedergutmachen und euch so in die Smaragdenstadt f#252;hren, da#223; Urfins Spione nichts erfahren ..." Charlie und Elli erinnerten sich, da#223; Kaggi-Karr sie schon einmal - in der W#252;ste - vor dem sicheren Tod gerettet hatte, und waren ihr nicht b#246;se.

Nun war die Kr#228;he wieder guter Dinge und begann zu erz#228;hlen, was sie alles in der Smaragdenstadt gesehen und geh#246;rt hatte.


DIE BEFREIUNG DER K#196;UER

Der L#246;we lag, den Bauch nach oben, im Gras und Lie#223; sich von Elli die Pfoten salben. Der Seemann ordnete das Gep#228;ck im Rucksack und verstaute Werkzeug, N#228;gel, Schn#252;re und was er sonst noch brauchte in seinen Taschen.

Dabei entglitt ihm eine runde, flache Dose, die neben Elli auf die Erde fiel. Das M#228;dchen, das gerade nach dem Fl#228;schchen #214;l langte, trat auf die Dose, und pl#246;tzlich schwirrte ein langes glitzerndes Band auf den L#246;wen zu.

Flink wie alle Tiere des Waldes machte dieser einen gewaltigen Satz zur Seite, ins Geb#252;sch.

„Was ist mit dir?" rief Elli.

„Eine Schlange! Eine Schlange !" knurrte der L#246;we hinter den B#252;schen und lugte #228;ngstlich nach dem Band, das jetzt unbeweglich im Gras lag. Elli brach in Gel#228;chter aus.

„Mein Lieber, das ist ja das Sandma#223; von Onkel Charlie", sagte sie, als sie wieder zu Atem kam. „Na, wie soll ich dir's erkl#228;ren, es ist ein Stahlband, mit dem man L#228;ngen mi#223;t." „Wie, ist es nicht lebendig?" „Nat#252;rlich nicht."

Elli nahm das Ende des Bandes in die Hand und hielt es dem L#246;wen vor die Augen. Der mu#223;te seinen ganzen Willen aufbieten, um nicht Rei#223;aus zu nehmen. „Warum hat es dann gezischt?"

Elli schob das Band in die Dose, dr#252;ckte auf den Knopf, und wieder flog es zischend heraus. Der L#246;we zitterte am ganzen K#246;rper, blieb aber, wo er war. Der Mut, den er von Goodwin bekommen hatte, wirkte!

Es vergingen mehrere Tage. Die Pfoten des L#246;wen waren verheilt, man konnte endlich aufbrechen.

Unseren Freunden, besonders dem Seemann, verkrampfte sich das Herz bei dem Gedanken, da#223; das Land der K#228;uer in der Gewalt des habgierigen Kabr Gwin und seiner Holzsoldaten verbleiben w#252;rde.

„Bei allen guten Winden!" rief Charlie, „wir m#252;ssen die braven K#228;uer befreien! Auch d#252;rfen wir nicht vergessen, was die Kriegswissenschaft lehrt, mit der ich mich auf den Meeren vertraut gemacht habe: Du sollst den Feind nicht hinter dir lassen, damit er dir nicht in den R#252;cken f#228;llt!"

Charlie konnte es nat#252;rlich nicht mit allen Holzsoldaten gleichzeitig aufnehmen, denn die #220;bermacht w#228;re zu gro#223; gewesen. Nur einzeln war ihnen beizukommen. Aber wie, wo sie doch immer zugweise unter dem Kommando eines rotfratzigen Unteroffiziers marschierten.

Der Seemann beriet sich mit den K#228;uern und fa#223;te schlie#223;lich einen Plan. Ihm war eingefallen, da#223; er fr#252;her das Lasso wie ein Cowboy zu handhaben wu#223;te. Kurz vor Sonnenuntergang meldete sich bei Kabr Gwin, der auf dem Gut von Prem Kokus lebte, ein K#228;uer und bat um ein Gespr#228;ch unter vier Augen.

„Verehrtester Herr Statthalter!" sagte er leise. „H#246;rt uns auch niemand? Ich will Euch

n#228;mlich ein gro#223;es Geheimnis verraten!"

„Sprich!"

„Ich habe herausbekommen, da#223; ein reicher Kaufmann einen Sack mit Gold in seinem

Haus versteckt h#228;lt . . ."

Kabr Gwins Augen funkelten gierig.

„Wo wohnt der Kaufmann?"

„Verehrter Herr, f#252;r die Anzeige geb#252;hrt mir aber der zehnte Teil . . ."

„Den sollst du haben", knurrte Kabr. „Morgen f#252;hrst du uns in das Haus."

„Verehrter Herr Statthalter, der besagte Kaufmann beabsichtigt, den Schatz heute nacht im

Wald zu vergraben... "

„So? Dann gehen wir gleich hin."

Binnen wenigen Minuten war ein Zug Soldaten zusammengestellt, der sich in folgender Ordnung bewegte: Vornan der Unteroffizier, der den K#228;uer fest bei der Hand hielt, hinter ihm die Holzk#246;pfe und als letzter der Statthalter.

Nach einer halben Stunde bog der Zug von der Landstra#223;e auf einen schmalen Pfad ab, wo man nur hintereinander gehen konnte, und kam an einen schmalen Flu#223;, #252;ber den ein Baumstamm gelegt war. Der Unteroffizier lie#223; den K#228;uer vorangehen. Am anderen Ufer machte der Pfad eine scharfe Biegung nach rechts und fiel dann steil zu einer Wiese ab, die von B#228;umen umstanden war.

Obwohl der Baumstamm sehr schl#252;pfrig war, lief der K#228;uer schnell hin#252;ber, w#228;hrend der Unteroffizier vorsichtig einen Holzfu#223; vor den anderen setzte. Als er auf die Wiese kam, war der K#228;uer verschwunden. Er #246;ffnete schon den Mund, um ihn zu rufen, da scho#223; aus dem Geb#252;sch das Lasso hervor, legte sich dem Unteroffizier um den Kopf und ri#223; ihn zu Boden. Der Mann kugelte die B#246;schung hinab, wobei er seinen S#228;bel verlor. Im gleichen Augenblick sprangen mehrere K#228;uer aus den B#252;schen, packten den Holzkopf und schleppten ihn in den Wald. Damit das Schellengel#228;ut sie nicht verrate, hatten sie vorsorglich ihre H#252;te abgenommen. Sie gingen so geschickt zu Werke, da#223; der Unter­offizier gar nicht dazukam, einen Schrei auszusto#223;en.

Der Seemann aber hielt bereits ein anderes Lasso bereit, und als der n#228;chste Holzkopf auf der Wiese erschien, wirbelte es durch die Luft und ri#223; ihn nieder. Bald lag auch er gefesselt vor den K#228;uern.

In zehn Minuten war das Unternehmen beendet. Als der ahnungslose Kabr Gwin #252;ber den Baumstamm ging, trat ihm der Seemann entgegen, schaute ihn aus seiner Riesenh#246;he sp#246;ttisch an und sagte:

„Ihre Stunde hat geschlagen, Herr ehemaliger Statthalter. Geben Sie mir Ihren Dolch, damit Sie sich, Gott beh#252;te, aus Versehen nicht in den Finger schneiden!" Dem Statthalter traten vor Entsetzen die Augen aus den H#246;hlen. „Holzk#246;pfe! Hilfe! Hilfe!" schrie er gellend.

„Sie k#246;nnen sich das Geschrei ersparen. Ihre Soldaten sind gefangen." Kabr sah, da#223; jeder Widerstand vergeblich war, und f#252;gte sich in sein Schicksal. Am n#228;chsten Morgen wurde er vor Gericht gestellt. Die Verhandlung fand auf dem Gut von Prem Kokus statt, der wieder zum Herrscher des Landes eingesetzt worden war. Auf dem weiten Hof hatten sich Hunderte M#228;nner und Frauen versammelt.

Manche K#228;uer waren so erbittert, da#223; sie die Todesstrafe f#252;r den Verr#228;ter forderten, andere sprachen sich f#252;r lebensl#228;nglichen Kerker aus, wieder andere waren der Ansicht, man solle den ehemaligen Statthalter in ein Bergwerk verbannen, damit er dort Eisenerz grabe.

Charlie bat ums Wort.

„Ich bin anderer Ansicht", begann er ruhig, „wir sollten lieber Kabr Gwin in die Smaragdenstadt zu seinem Herrn Urfin ziehen lassen. Ich schlage vor, wir lassen ihn frei. Mag er allein auf dem Gelben Backsteinweg in die Smaragdenstadt gehen . . ." Kabr Gwin wurde kreidewei#223;. Entsetzt schrie er:

„Allein durch den Tigerwald? Nein, nein, nein! Lieber will ich im Erzbergwerk Tag und

Nacht arbeiten!"

Die K#228;uer aber riefen belustigt:

„Aber wir lassen dich doch frei!"

„Damit mich die S#228;belzahntiger fressen? . . . Nein, ich will ins Bergwerk!" Die entwaffneten und gefesselten Holzk#246;pfe wurden im Hof von Prem Kokus zu einem Stapel aufgeschichtet und sollten hier so lange bleiben, bis man eine Verwendung f#252;r sie finden w#252;rde.

Elli und ihre Gef#228;hrten aber zogen weiter. Wie vor einem Jahr klapperten die Schuhe des M#228;dchens auf den gelben Backsteinen der festgestampften Stra#223;e; es waren diesmal aber keine Silberschuhe, sondern gew#246;hnliche Stiefel aus Ziegenleder mit dicken Sohlen. An Ellis Seite schritt wie damals der riesige L#246;we, und vor ihnen sprang Totoschka einher. Nur der Scheuch und der Eiserne Holzf#228;ller fehlten. Ihre Stelle hatte der Seemann Charlie eingenommen, auf dessen Schulter die Kr#228;he Kaggi-Karr sa#223;. Ein paar junge kr#228;ftige K#228;uer trugen das Gep#228;ck unserer Freunde.


WIE DIE S#196;BELZAHNTIGER VERTRIEBEN WURDEN

Die K#228;uer begleiteten die Wanderer bis an die Landesgrenze. Als sie die letzten Farmen hinter sich hatten und zu beiden Seiten des Weges nur noch finsterer Wald stand, setzten die K#228;uer das Gep#228;ck ab und verneigten sich tief.

„Lebe wohl, liebe Frau Fee des T#246;tenden H#228;uschens!" sagten sie. „Sei uns nicht b#246;se, da#223;

wir nicht weiter mitgehen, aber uns graust vor dem unheimlichen Wald."

Dabei fingen sie bitterlich zu schluchzen an. Damit die Schellen sie dabei nicht st#246;rten,

hatten sie wieder die H#252;te abgenommen und auf die Erde gelegt.

„Lebt wohl, teure Freunde", erwiderte ihnen Elli. „Und weint nicht mehr, denn ihr seid

jetzt freie Menschen, und ich hoffe, da#223; ihr's immer bleiben werdet!"

„Richtig, richtig! Wir h#228;tten's fast vergessen!" riefen die K#228;uer und fingen zu lachen an. Es

war einfach unfa#223;bar, wie schnell die Stimmung bei diesen Menschlein wechselte.

Als die winzigen Gestalten hinter einer Biegung verschwanden und das liebliche Gel#228;ute

ihrer Schellen verhallt war, gingen die Wanderer weiter.

Bald gewahrten sie in einer Schneise neben der Stra#223;e eine H#252;tte.

„Das ist ja das Haus des Eisernen Holzf#228;llers!" rief Elli freudig aus. „Dort hatten wir

#252;bernachtet, ich und der Scheuch, und am n#228;chsten Morgen trafen wir den Holzf#228;ller. Der

Arme stand unbeweglich wie eine Statue unter einem Baum und st#246;hnte. Erinnerst du dich

noch, Totoschka?"

„Ja", erwiderte das H#252;ndchen m#252;rrisch. „Ich hab mir damals einen Zahn ausgebrochen, als ich ihn ins Bein bei#223; en wollte. Freilich h#228;tte ich es nicht tun sollen, der Holzf#228;ller war doch ein Prachtkerl. Aber damals wu#223;te ich ja gar nicht, da#223; er aus Eisen war, und hielt es f#252;r meine Pflicht, Elli zu besch#252;tzen."

Es wurde Abend, und die Wanderer beschlossen, in der H#252;tte zu #252;bernachten. Dem Seemann war die H#252;tte allerdings etwas zu klein, und so kam es, da#223; seine Beine aus der offenen T#252;r hinausragten. Am n#228;chsten Abend sagte der L#246;we:

„Bald werden wir in meinem heimatlichen Wald sein, wo ich Elli zum erstenmal erblickte. Dort werden wir auf pr#228;chtigem weichem Moos ausruhen, unter pr#228;chtigen hohen B#228;umen neben einem pr#228;chtigen tiefen Teich, in dem pr#228;chtige Fr#246;sche leben, die die lautesten Stimmen im ganzen Wunderland haben."

„Merkw#252;rdig", sagte Totoschka sp#246;ttisch, „wie hast du's nur #252;ber dich gebracht, einen so pr#228;chtigen Ort zu verlassen und in einen fremden Wald zu ziehen?" „Was sollte ich denn tun, wo mich doch die Staatsgesch#228;fte riefen?" seufzte der L#246;we und griff sich mit der Tatze nachdenklich an den Hals, wo die goldene Kette hing. „Man hat mich doch zum K#246;nig erw#228;hlt..."

Zwei Tage sp#228;ter kamen sie zu dem Wald, in dem die S#228;belzahntiger hausten. Dumpfes Gebr#252;ll schlug an ihr Ohr, das sich wie ferner Donner anh#246;rte. Kalte Schauer liefen ihnen #252;ber die R#252;cken.

Charlie Black befahl, haltzumachen.

„Wir m#252;ssen Vorkehrungen treffen", sagte er.

„Was willst du tun, Onkel Charlie?" wollte Elli wissen.

„Du hast wohl wieder vergessen, da#223; wir ein Zaubertuch mitf#252;hren", erwiderte der Seemann.

„Ich versteh nicht, was es uns helfen kann!" „Oh, das Tuch kann alles!"

Der Seemann nahm das Tuch aus dem Sack, blies es ein wenig auf und breitete es am

Stra#223;enrand aus. Dann nahm er aus einer der vielen Taschen seines Rucksacks ein

Fl#228;schchen Farbe und einen Pinsel und begann das Tuch zu bemalen.

Er malte einen gr#228;#223;lichen Tierkopf mit riesiger M#228;hne, ungeheuren Augen und einem

schrecklichen Rachen, aus dem riesige scharfe Z#228;hne ragten.

Als die Farbe trocken war, wandte Charlie das Tuch um und malte das gleiche auf die

R#252;ckseite. Seine Phantasie steigerte sich, und er setzte dem Unget#252;m noch ein Paar riesige

H#246;rner auf.

Dann f#228;llte er zwei junge B#228;umchen, hieb ihnen die Zweige ab und band das Tuch wie ein Transparent an.

Er spitzte die beiden B#228;umchen unten zu und stie#223; sie am Wegrand in die weiche Erde. Jetzt sah das gemalte Ungeheuer wie lebendig aus. Das Tuch war nicht straff gespannt, und wenn der Wind wehte, konnte man meinen, das Tier rolle die Augen und blecke die Z#228;hne. Das Ungeheuer war so schrecklich anzusehen, da#223; selbst der L#246;we Angst bekam. Totoschka kroch winselnd unter den Bauch seines gro#223;en Freundes, und Kaggi-Karr kniff vor Schreck die Augen zu.

„Bei allen Hexen und Zauberern! Ihr sollt noch was anderes zu sehen bekommen", rief der Seemann schmunzelnd.

Als die Nacht hereinbrach, begann der gemalte Kopf zu leuchten, und mit zunehmender Dunkelheit wurde er immer unheimlicher. Es war, als ob die Augen Funken spr#252;hten und der Rachen Flammen spie, Blitze umzuckten die M#228;hne und die H#246;rner des Ungeheuers. „Onkel Charlie, was ist das?" fragte Elli entsetzt.

„Keine Angst, Kindchen, das ist alles sehr einfach. Die Farbe enth#228;lt Phosphor, der im Dunkeln leuchtet."

Elli beruhigte sich. Doch der L#246;we, Totoschka und Kaggi-Karr hatten nichts begriffen, und das Tier schien ihnen nach wie vor ungeheuerlich.

„Ich glaube, das Bildchen wird uns die S#228;belzahntiger vom Leib halten", sagte Charlie. „Und jetzt la#223;t uns weitergehen."

Er entnahm seinem Rucksack zwei H#246;rner aus biegsamer Baumrinde und reichte eines Elli mit den Worten:

„Blase aus Leibeskr#228;ften, sobald wir in den Tigerwald kommen!" Charlie Black ging voran, Elli hinter ihm. Sie hielten die Stangen in der Rechten, so da#223; der eine Kopf auf dem Tuch nach rechts, der andere nach links blickte. Die H#246;rner, in die Charlie und Elli bliesen, machten einen schrecklichen L#228;rm. Es war, wie wenn ein Schakal bellte, eine Hy#228;ne lachte, ein Nashorn r#246;hrte und andere wilde Tiere heulten. Zu diesen furchterregenden Lauten gesellte sich das Br#252;llen des L#246;wen, das Kr#228;chzen der Kr#228;he und das Winseln des H#252;ndchens.

Die Gesellschaft l#228;rmte so entsetzlich und das funkenspr#252;hende Ungeheuer blickte so grimmig drein, da#223; die S#228;belzahntiger, die am Wegrand in den B#252;schen lauerten, an allen Gliedern zu zittern begannen, die Schw#228;nze einzogen und ins Dickicht fl#252;chteten. Das n#228;chtliche Unternehmen war von Erfolg gekr#246;nt, und am Morgen erreichten unsere Wanderer den rei#223;enden Flu#223;, in dem einst der Scheuch fast umgekommen w#228;re. Hier machten die Ersch#246;pften halt, nahmen etwas zu sich und legten sich hin. Sie waren so m#252;de, da#223; sie nicht einmal das Zelt auf schlugen.


NEUE SORGEN

Sie schliefen lange und erwachten erst am Nachmittag. Es war Zeit, an die #220;berfahrt zu denken. Da der L#246;we viel schwerer war als Charlie, Elli und Totoschka zusammen, umrahmte der Seemann das aufgeblasene Zaubertuch mit vier dicken Baumst#228;mmen, und die #220;berfahrt ging glatt vonstatten.

W#228;hrend Charlie das „Flo#223;" auseinandernahm und das Tuch zum Trocknen ausbreitete, schaute sich das M#228;dchen die Gegend an.

Ein bekannter Ort! Unten am Flu#223; zog sich das t#252;ckische rote Mohnfeld hin, in dem Elli, der L#246;we und Totoschka seinerzeit aus ihrem tiefen Schlaf fast nicht mehr erwacht w#228;ren. Der Scheuch und der Eiserne Holzf#228;ller hatten damals das H#252;ndchen und seine Herrin auf den Armen hinausgetragen. Der L#246;we war ihnen aber zu schwer gewesen, und deshalb zimmerten sie f#252;r ihn einen Karren, den Tausende M#228;uschen schleppten. Sie waren von der. M#228;usek#246;nigin herbeigerufen worden, die der Holzf#228;ller einst aus den F#228;ngen des Wilden Katers befreit hatte.

Elli l#228;chelte, als sie sich daran erinnerte, wie die M#228;uschen sich damals anstrengen mu#223;ten, und griff nach dem Pfeifchen, das an ihrem Halse hing und das ihr die M#228;usek#246;nigin Ramina vor einem Jahr an der gleichen Stelle mit den Worten geschenkt hatte, sie brauche nur hineinzublasen, und im gleichen Augenblick werde sie, die K#246;nigin, vor ihr erscheinen. Einmal hatte Elli das Pfeifchen benutzt, als sie sich nach dem Sieg #252;ber Bastinda auf dem R#252;ckweg in die Smaragdenstadt verirrt hatte. Ramina, die gleichfalls zur Zunft der Feen geh#246;rte, war damals vor Elli erschienen und hatte ihr geholfen. Sp#228;ter, in Kansas, hatte Elli oft in das Pfeifchen geblasen, aber niemand kam dort auf den Ruf herbeigeeilt, was #252;brigens kein Wunder war, denn in Kansas geschahen eben keine Wunder.

,Ich m#246;chte gern wissen, ob das Pfeifchen seine Zauberkraft bewahrt haf, dachte Elli. Die #220;berfahrt #252;ber den Flu#223; erfolgte am Nachmittag. Dann hielten die Wanderer Rat, ob sie gleich weitergehen oder den Abend abwarten sollten. Sie beschlossen, nachts weiterzuziehen, und zwar aus folgenden Gr#252;nden: Obwohl die Holzsoldaten bei Nacht ebenso gut sahen wie bei Tage, gew#228;hrte die Nacht doch einigen Schutz, zumal, wenn man Seitenwege benutzte. W#228;hrend die Gesellschaft in einem dichten Wald am Ufer des Flusses ausruhte, machte sich Kaggi-Karr auf, die Umgebung auszukundschaften. Sie war lange weg und kehrte m#252;de, aber gut gelaunt zur#252;ck. Zehn Meilen im Umkreis hatte sie weder auf dem Weg noch auf den Farmen einen Holzsoldaten gesehen. Also werde man diese Nacht ungehindert den Gelben Backsteinweg entlang gehen k#246;nnen, folgerte sie.

Der Seemann, der in milit#228;rischen Dingen gewitzt war, nahm jedoch an, da#223; der t#252;ckische Urfin tags#252;ber das Land unbewacht lasse, daf#252;r aber nachts Sp#228;her aussende. Deshalb schickte Charlie, als sie ihre Sachen eingepackt hatten, den L#246;wen voraus, denn dieser konnte ja gut im Finstern sehen.

Der L#246;we schlich lautlos auf seinen samtenen Pfoten mit eingezogenen Krallen dahin und sp#228;hte aufmerksam nach allen Seiten. Hinter ihm lief Totoschka, der mit seiner feinen Nase in die n#228;chtliche Luft schnupperte.

Kaggi-Karr, die auf der Schulter des Seemanns sa#223;, versank bald in einen tiefen Schlaf, und Elli ma#223;te sie auf ihre Arme nehmen. Bald aber fielen auch ihr vor M#252;digkeit die Augen zu, doch sie k#228;mpfte, sich an Charlies Hand haltend, gegen den Schlaf an und schritt tapfer weiter.

Nach mehreren Wegmeilen stutzte der L#246;we pl#246;tzlich. Totoschka reckte den Kopf und

begann zu schnuppern.

„Ich rieche Farbe und Holz", fl#252;sterte er.

Augenblicklich war Elli hellwach und schmiegte sich #228;ngstlich an Onkel Charlie. Sie mu#223;ten nun herausfinden, wie viele Holzsoldaten sich in der N#228;he befanden. Waren es zwei oder drei, so konnte man es mit ihnen aufnehmen, waren es aber viele, so mu#223;te man das Feld r#228;umen.

Totoschka dr#252;ckte sich an die Erde, da#223; sein schwarzes Fell mit ihr verschmolz, und robbte nach vorn. Wenige Minuten sp#228;ter war er wieder da.

„Dort stehen zwei Soldaten", sagte er, „und irgendeine dritte Figur, die ihnen #228;hnlich sieht und doch anders ist als sie. Der Mann ist auch aus Holz, nur ist er d#252;nner, und seine F#252;#223;e sind lang und krumm, w#228;hrend die Arme wie Spinnenbeine aussehen." „Pfui, wie ekelhaft", fl#252;sterte Elli. Totoschka aber fuhr fort:

„Der Mann hat gr#252;ne Augen und gro#223;e, abstehende Ohren. Wahrscheinlich h#246;rt er besser als eine Katze. Ich bewegte mich unh#246;rbar, und doch spitzte er sofort die Ohren. Dann wandte er sich ab, und ich schlich mich eilends davon." Kaggi-Karr sagte, das k#246;nne niemand anders als ein Polizeimann sein. Charlie #252;berlegte.

„Wir m#252;ssen uns in acht nehmen", sagte er. „Mit den T#246;lpeln von Soldaten sind wir leicht fertig geworden, den Polizisten aber werden wir schwerlich in unsere Hand bekommen. Er wird uns davonlaufen, Alarm schlagen und die ganze Meute auf uns hetzen." Zum Gl#252;ck gab es in der N#228;he dichtes Gestr#252;pp, das gute Deckung bot. Als unsere Wanderer in die B#252;sche eindrangen, rissen sie sich an den vielen Stacheln L#246;cher in die Kleider. Charlie machte sich mit seiner S#228;ge einen Platz f#252;r das Zelt frei, und bald versanken der Seemann und Elli in tiefen Schlaf, w#228;hrend der L#246;we und Totoschka Wache hielten.


DIE ABENTEUER IN DER H#214;HLE

Am Morgen flog Kaggi-Karr die Umgebung auszukundschaften. Zum Mittag war sie wieder zur#252;ck. „So ein Pech: Auf allen Wegen stehen Polizisten."

„Was fangen wir nun an?" fragte Elli erschrocken. „Wir k#246;nnen unsere Freunde doch nicht im Stich lassen!" Da sagte Kaggi-Karr:

„In meiner Kindheit h#246;rte ich einmal von meinem Gro#223;vater, da#223; es einen unterirdischen Gang zum Turm gibt. Dieser Gang, sagte er, wird aber schon lange nicht mehr benutzt, weil dort Ungeheuer hausen . . ."

„Ich habe nur vor den Polizisten Angst", rief Elli. „Wenn wir mit den S#228;belzahntigern fertig geworden sind, so werden wir uns doch nicht vor unterirdischen Ungeheuern f#252;rchten!"

..Aber wie finden wir diesen Gang?" fragte der Seemann.

„Ich hab eine Idee", rief die Kr#228;he. „Elli soll mit ihrer Zauberpfeife Ramina rufen - die M#228;use treiben sich doch #252;berall herum, sie werden bestimmt auch den unterirdischen Gang kennen."

„Und wenn das Pfeifchen nicht mehr wirkt?" fragte Elli. „Versuchen wir's doch!" schlug Totoschka vor.

Pochenden Herzens blies Elli in die Silberpfeife.

Da raschelte es auf einmal im Gras, und hervor trat Ramina, eine winzige goldene Krone auf dem Kopf.

Im Wunderland hatte das Pfeifchen seine Zauberkraft zur#252;ckbekommen. Totoschka wollte sich aus Gewohnheit auf die Maus st#252;rzen, doch Elli packte ihn rechtzeitig am Fell. Die M#228;usek#246;nigin sagte:

„Guten Tag, liebe Fee. Dieses kleine schwarze. Tier mag uns M#228;use noch immer nicht?" „Oh. Eure Majest#228;t!" rief Elli aus. „Verzeiht, da#223; ich Euch wieder bel#228;stige . . . Ich wollte Euch um Beistand bitten. In der N#228;he soll sich ein unterirdischer Gang zum Kerkerturm befinden. Wollt Ihr uns helfen, ihn zu finden?"

„Warum nicht? Das ist sicher leichter, als einen L#246;wen aus dem Mohnfeld zu schleppen", erwiderte Ramina.

Sie klatschte in die Pfoten, und im Nu standen mehrere Hofdamen vor ihr. „Ruft meine Untertanen, die in dieser Gegend leben", befahl die K#246;nigin. „Zu Befehl, Eure Majest#228;t!"

Die Hofdamen verschwanden, und gleich darauf waren

unz#228;hlige kleine, mittelgro#223;e und ganz gro#223;e M#228;use zur Stelle. Drei junge M#228;use trugen ein Fikusblatt, auf dem ihre Urgro#223;mutter lag.

Auf Befehl der K#246;nigin stoben die M#228;use wieder auseinander, und nur die Alte blieb da. „Ihr braucht Ruhe, Gro#223;m#252;tterchen", sagte die K#246;nigin. „Ihr habt in Eurem Leben ohnehin viel gearbeitet."

„Ja, ich hab in meinem Leben viel und gut gearbeitet", murmelte die Alte mit zahnlosem Mund. „Wieviel feinen K#228;se, wie viele fette W#252;rste hab ich zernagt! Wie viele Katzen hab ich genarrt, wie viele M#228;uschen in meiner sch#246;nen H#246;hle gro#223;gezogen!"

Die Alte schlo#223; die Augen und versank in einen wohltuenden Schlaf.

„Liebe Schwester", sagte die K#246;nigin zu Elli. „Euer Entschlu#223;, den unterirdischen Gang zu

benutzen, ist richtig. Ihr m#252;#223;t aber mit einer gro#223;en Gefahr rechnen."

„Ihr meint die Ungeheuer, die dort hausen?" fragte das M#228;dchen.

„Von Ungeheuern ist mir nichts bekannt. Aber unter der Erde befindet sich das Land der

Erzgr#228;ber."

„Ein Land von Erzgr#228;bern unter der Erde?" wunderte sich Elli. „Wie ist das m#246;glich?"

„Im Wunderland ist alles m#246;glich", erwiderte Ramina.

„Sind die Erzgr#228;ber b#246;se Leute?" fragte das M#228;dchen #228;ngstlich.

„Wie man's nimmt ... Sie tun niemandem etwas zuleide. Aber sie dulden es nicht, da#223; ein

Fremder sie beobachtet, geschweige denn, da#223; er sich in ihre Angelegenheiten einmischt.

Dann k#246;nnen sie sehr gef#228;hrlich werden. Falls ihr ihnen begegnet, h#252;tet euch, sie zu

erz#252;rnen!"

„Warum nennt man sie denn Erzgr#228;ber?"

„Weil sie allerlei Erze ausgraben und aus ihnen Metall schmelzen. #220;brigens ist das Land nicht nur an Metallen reich, sondern auch mit Smaragden gesegnet." „Gibt es dort auch eine Smaragdenstadt?"

„Nein. Sie tauschen ihre Smaragden und ihr Metall gegen Korn, Fr#252;chte und andere Nahrungsmittel der oberirdischen Bewohner ein. Sie haben auch Goodwin die Smaragden gegeben, freilich mu#223;te er nicht wenig daf#252;r bezahlen. Er geizte aber auch nicht, als er seine herrliche Stadt aufbaute."

„Dann m#252;ssen die Erzgr#228;ber wohl ab und zu an die Oberfl#228;che steigen?"

„Ihre Augen vertragen das Sonnenlicht nicht, und das Tauschgesch#228;ft findet nur nachts

statt, vor dem Eingang

zu ihrem Land."' Elli wollte noch mehr #252;ber das Leben der Erzgr#228;ber erfahren, konnte aber nicht weiterfragen, denn die M#228;use hatten inzwischen die Umgebung abgesucht und kehrten nun zur#252;ck. Sie waren sichtlich verlegen, denn keine einzige hatte den unterirdischen Gang entdecken k#246;nnen.

„Ich mu#223; mich euretwegen sch#228;men", sagte die K#246;nigin mi#223;mutig. „Soll ich mich vielleicht selber auf die Suche begeben?"

„O nein, nein!" piepsten die M#228;use im Chor. „Wir wollen es noch einmal versuchen, und dann . . ."

„Halt, Kinder!" rief da die alte Maus. „Als ich noch jung war, entdeckte ich einmal in einer mit Gestr#252;pp bewachsenen Schlucht eine #214;ffnung. Es sind vielleicht f#252;nfzehntausend Schritt von hier, wenn man nach Osten geht. Sucht ihr etwa diese #214;ffnung?" „O gewi#223;, es kann ja keine andere sein", rief Elli h#228;ndeklatschend. „Habt Dank, Gro#223;m#252;tterchen!" Da sprach die M#228;usek#246;nigin w#252;rdevoll:

„Geht in die genannte Richtung, liebe Schwester. Sollte es nicht die gew#252;nschte #214;ffnung sein, so ruft mich wieder."

Im Nu verschwanden die M#228;use, wor#252;ber Totoschka sehr entt#228;uscht war, denn er hatte sich schon lebhaft vorgestellt, wie er sich auf sie st#252;rzen und ein heilloses Durcheinander anrichten werde.

Nun lief er voran, um Ausschau zu halten. Als er sich versichert hatte, da#223; kein Feind in der N#228;he war, kamen auch die anderen nach.

Sie hatten genau f#252;nfzehntausend M#228;useschritte gemessen, da sahen sie eine Schlucht vor sich, in der sie auch die #214;ffnung fanden. Modergeruch schlug ihnen entgegen, als sie n#228;her traten.

„Da ist ja die #214;ffnung!" rief Elli.

Totoschka schnupperte und sagte dann besorgt:

„Mir gefallen die Ger#252;che nicht, die aus diesem Loch kommen."

Der L#246;we begann mit seinen m#228;chtigen Tatzen die #214;ffnung zu erweitern. Der einbeinige

Seemann f#228;llte eine harzige junge Kiefer, von der er etwa zwei Dutzend Kiensp#228;ne f#252;r

Fackeln abspaltete.

Nun betraten sie vorsichtig den unterirdischen Gang. Als erster ging der L#246;we, auf dessen Kopf die Kr#228;he sa#223;. Ihm folgte Elli mit Totoschka auf den Armen. Als letzter ging Charlie, eine brennende Fackel in der erhobenen Hand.

In dem feuchten dunklen Gang war allem Anschein nach schon seit Jahrzehnten niemand gewesen. Die dicken Balken, die die Decke und die W#228;nde st#252;tzten, hatten sich in den vielen Jahren mit dichtem gr#252;nem Moos bedeckt. In den Vertiefungen auf dem Boden hatten sich Lachen gebildet, in denen ekelhafte Schnecken herumkrochen. Vor jeder Lache setzte sich Elli auf den R#252;cken des L#246;wen und lie#223; sich hin#252;bertragen. Die Luft wurde immer dumpfer.

Dann ging es steil abw#228;rts, und weiter waren sogar Stufen in den Boden gehauen, die fast senkrecht hinabf#252;hrten.

Pl#246;tzlich tat sich eine riesige H#246;hle auf. Sie war so gro#223;, da#223; ihr Ende nicht zu sehen war. Elli dr#252;ckte sich #228;ngstlich an den L#246;wen. „Wie schrecklich", hauchte sie. Die Kr#228;he flog voran.

Charlie Black z#252;ndete eine zweite Fackel an und reichte sie Elli. Er ging langsam, den Boden mit einem Stock abtastend, voran.

Die Schar hatte etwa tausend Schritte gemacht und war an vielen Seitenstollen vorbeigekommen, als Kaggi-Karr kreischend umkehrte. „Ein Ungeheuer!" schrie sie.

Im Fackelschein konnte man ein riesiges Tier aus einer #214;ffnung in der Felswand kriechen sehen. Es hatte einen runden Rumpf, der mit dichtem wei#223;em Haar bedeckt war, und sechs kurze, dicke F#252;#223;e, mit langen Krallen. Ein fleischiger, runder Kopf sa#223; auf einem kurzen Hals, und der weit aufgesperrte Rachen zeigte zahllose spitze Z#228;hne. „Ein Sechsf#252;#223;er!" schrie Elli und sprang zur Seite.

Das Merkw#252;rdigste an diesem Tier waren seine gewaltigen wei#223;en Augen, in denen sich der rote Schein der Fackel widerspiegelte. Allem Anschein nach waren die an die Finsternis gew#246;hnten Augen vom pl#246;tzlichen Fackellicht geblendet, so da#223; das Tier sich nach seinem Sp#252;rsinn orientieren mu#223;te. Es stand auf seinen massigen F#252;#223;en und schnupperte mit gro#223;en gebl#228;hten N#252;stern. Vom unbekannten Geruch lebender Wesen gereizt, lie#223; es ein heiseres Schnauben h#246;ren, das der L#246;we durch ein Gebr#252;ll erwiderte, dessen Echo vom Gew#246;lbe hundertfach zur#252;ckgeworfen wurde. „La#223;t mich ran!" schrie der L#246;we. „Ich will ihm die #252;berfl#252;ssigen Beine ausrei#223;en!"

Er machte einen Satz und prallte mit ungeheurer Wucht gegen die Flanke des Sechsf#252;#223;ers. Der L#246;we hatte den Feind umwerfen und ihm mit den Krallen den Hals zerrei#223;en wollen, doch das Ungeheuer stand unersch#252;tterlich wie ein Fels auf seinen sechs dicken Beinen, und w#228;hrend der L#246;we r#252;cklings zu Boden st#252;rzte, bi#223; ihn der Sechsf#252;#223;er mit einer Behendigkeit, die man dieser Fleischmasse niemals zugetraut h#228;tte, in die Schulter. Der K#246;nig der Tiere erkannte, da#223; er es mit einem gef#228;hrlichen Feind zu tun hatte, und #228;nderte seine Taktik. Er bem#252;hte sich, dem Sechsf#252;#223;er in den R#252;cken zu fallen, doch dieser wandte ihm in einem fort den Kopf zu. Sicherlich besa#223; er einen feinen Sp#252;rsinn oder ein ausgezeichnetes Geh#246;r.

Charlie dachte angestrengt nach, wie er dem Freund helfen sollte, da fiel ihm das Lasso ein, das an seinem Rucksack hing.

Schnell reichte er Elli die Fackel und rief: „Leuchte mal, Kindchen!"

Da trat etwas Sonderbares ein. Hatte Elli noch vor einer Sekunde mit den Z#228;hnen

geklappert, so wich jetzt, da sie einen wichtigen Auftrag erhalten hatte, jede Furcht von ihr,

und sie dachte nur noch daran, da#223; die Fackeln nicht verl#246;schen d#252;rfen.

Sonst w#228;re ja der Sechsf#252;#223;er, der an die unterirdische Finsternis gew#246;hnt war, im Vorteil!

Im n#228;chsten Augenblick schwirrte das Lasso durch die Luft und legte sich dem Ungeheuer

um den Hals. Charlie zog das Seil an, lie#223; es aber mit einer Verw#252;nschung gleich wieder

los. Das Tier stand wie ein Fels da und war nicht von der Stelle zubewegen.

Das alles hatte sich sekundenschnell abgespielt. Der L#246;we kreiste noch um den Sechs-

f#252;#223;er, bem#252;ht, ihm in den R#252;cken zu fallen, als Kaggi-Karr eingriff. Sie flog auf den Kopf

des Ungeheuers und begann mit ihrem Schnabel auf ihn einzuhacken. Vor Schmerz verga#223;

der Sechsf#252;#223;er jede Vorsicht und versuchte, den kleinen, aber dreisten Feind

abzusch#252;tteln.

Der L#246;we nutzte die Gelegenheit, sprang dem Gegner auf den R#252;cken und hieb ihm die Krallen in den Nacken. Die Haut des Tieres war aber so dick, da#223; die Krallen des L#246;wen an ihr abglitten. B#252;schel wei#223;er Wolle flogen auf, wirbelten in der Luft herum und verklebten dem L#246;wen die Augen.

Unvermittelt warf sich das Ungeheuer auf den R#252;cken und h#228;tte den L#246;wen fast erdr#252;ckt, w#228;re er nicht rechtzeitig abgesprungen.

Schnaubend richtete sich der Sechsf#252;#223;er wieder auf, und der Kampf begann von neuem. Das Ungeheuer schien unverwundbar. Zwar h#228;tten unsere Freunde sich davonmachen k#246;nnen, doch taten sie es nicht, weil das w#252;tende Tier ihnen zweifellos nachgerannt w#228;re. Elli, die beobachtet hatte, da#223; der Sechsf#252;#223;er seinen Kopf st#228;ndig zum L#246;wen hin drehte, sprang von hinten auf das Ungeheuer zu und stie#223; ihm ihre brennenden Fackeln in die Flanken. Der dichte Pelz fing sofort Feuer, ein Geruch verbrannten Horns verbreitete sich in der Luft. Mit furchtbarem Gebr#252;ll, das sich wie Donnergrollen anh#246;rte, nahm der Sechsf#252;#223;er Rei#223;aus.

Der unertr#228;gliche Schmerz trieb ihn zu gr#246;#223;ter Eile an, er lief, mit den dicken Beinen um sich schlagend, in das Dunkel des Ganges, w#228;hrend unsere Wanderer schnell in entgegengesetzter Richtung zur#252;ckwichen. Trotz aller Eile verga#223; der Seemann jedoch das Lasso nicht, das von dem Hals des Sechsf#252;#223;ers gerutscht war. Es sollte den Freunden, wie wir weitersehen werden, noch gute Dienste leisten.


IM LANDE DER UNTERIRDISCHEN ERZGR#196;BER

Die Wanderer verlie#223;en eilig den Ort. Bald wurde die H#246;hle enger und ging in einen aufw#228;rtsstrebenden Stollen #252;ber. Hier w#252;rden sie mit einem Ungeheuer gewi#223; nicht so leicht fertig werden, dachte Charlie besorgt. Da die Kr#228;he aber ruhig voranflog und auch Totoschka keinen Feind zu wittern schien, beruhigte er sich. Dann wurde der Stollen wieder breiter und m#252;ndete schlie#223;lich in einen weiten Platz. „Onkel Charlie, la#223; uns ein bi#223;chen ausruhen, ich bin so m#252;de", bat Elli den Seemann. Der L#246;we legte sich hin, und das M#228;dchen machte es sich auf seiner breiten Flanke bequem. Als es f ast eingeschlafen war, begann Totoschka, der auf dem Platz geschn#252;ffelt hatte, pl#246;tzlich zu knurren.

Seit das H#252;ndchen im Wunderland war, hatte es nur selten solche Laute von sich gegeben. Totoschka zog es hier sichtlich vor, wie ein Mensch zu sprechen, und wenn er jetzt knurrte, so hatte das gewi#223; seinen guten Grund. Elli sprang auf „Totoschka, was ist los?"

Das H#252;ndchen stand an der Wand, in der etwa drei Fu#223; #252;ber dem Boden ein rundes Loch klaffte, und reckte den Kopf. Das Fell auf seinem R#252;cken str#228;ubte sich, allem Anschein nach witterte Totoschka Gefahr.

Elli lief auf das Loch zu, schaute hinein und war verbl#252;fft #252;ber den Anblick, der sich ihr bot. Ihr war, als st#252;nde sie auf dem Gipfel eines riesigen Berges, zu dessen F#252;#223;en sich ein gro#223;es Land ausbreitete. In unerme#223;licher Tiefe waren Wiesen zu sehen und dahinter, am Ufer eines gro#223;en Sees, eine Stadt.

In der Ferne zogen sich bewaldete H#252;gel hin, die sich in goldenem Dunst verloren. Elli wurde es schwindlig, als ob sie aus gewaltiger H#246;he abst#252;rze, und mit einem lauten Schrei sprang sie von der #214;ffnung zur#252;ck. „Onkel Charlie, das Land der unterirdischen Erzgr#228;ber!"

„Was?" Der Seemann erhob sich, hinkte zur #214;ffnung, warf einen Blick hinein und pfiff leise durch die Z#228;hne. „Donnerwetter! Die M#228;usek#246;nigin hat die Wahrheit gesagt!" Dieser Anblick lie#223; ihn alles vergessen - die M#252;digkeit, den eben ausgetragenen Kampf, den Scheuch und den Holzf#228;ller, die in ihrem Kerker schmachteten . . . Charlie holte sein Fernrohr hervor.

„Bei allen Eisbergen der Polarmeere!" rief er. „Das ist ja unglaublich!"

Das Rohr, durch das der Seemann und seine Nichte abwechselnd blickten, lie#223; sie immer

neue Einzelheiten des herrlichen Bildes erkennen.

Eine riesige H#246;hle, die sich Dutzende Meilen in die Tiefe und in die Breite zog. Unter ihrer Decke rauchten goldene Wolken, von denen wohl das milde Licht herr#252;hrte, in das die ganze H#246;hle getaucht war und das an einen Sonnenuntergang erinnerte. Das Bild war sehr sch#246;n, aber eine Wehmut ging davon aus, wie sie Menschen manchmal im Herbst beim Anblick der welkenden Natur #252;berkommt. Haine und Wiesen zeigten keine Spur von Gr#252;n; sondern nur goldgelbe, rosa und dunkelrote Farben.

Am Ufer des Sees war eine Stadt zu sehen. Eine hohe Festungsmauer umgab sie, mit T#252;rmen an den Ecken und #252;ber den Toren. In der Mitte ragte ein gro#223;es rundes Schlo#223; empor, dessen Dach in allen nur erdenklichen Farben schillerte.

„Ein sonderbares Dach!" sagte der Seemann. „Und dort, neben der Mauer, das sieht ja wie

eine Fabrik aus! Auch sehe ich hart am Ufer ein riesige s Rad, es pumpt wahrscheinlich

Wasser in das Fabrikhaus. Das Wasser treibt wohl die Maschinen an. Doch welche Kraft

setzt denn das Rad in Bewegung? Ich kann's mir nicht erkl#228;ren . . . Schau mal hin, Elli, du

hast ja bessere Augen als ich."

Elli richtete das Fernrohr auf das Rad und wu#223;te lachen.

„Die haben ja den Sechsf#252;#223;er eingespannt, ha, ha, ha! Er dreht das Rad wie ein

Eichh#246;rnchen!"

Der Seemann setzte das Rohr ans Auge und fing gleichfalls zu lachen an. „Das haben sich die Erzgr#228;ber famos ausgedacht, ha, ha, ha! Sieh nur, wie er auf die Schaufeln tritt, als ob es Stufen w#228;ren, die aus dem Wasser herausf#252;hrten! Was es nicht alles gibt!"

Der Seemann war #252;ber die Klugheit, mit der die H#246;hlenbewohner die Kraft und das Gewicht des gewaltigen Sechsf#252;#223;ers auszunutzen wu#223;ten, begeistert. „Ich m#246;chte gerne wissen, womit sie das Ungeheuer f#252;ttern!" „Vielleicht mit Fisch?" meinte Elli.

Beide begannen zu raten, wie es den Erzgr#228;bern gelungen sein mochte, das furchtbare Tier zu z#228;hmen. Dabei richteten sie wieder ihr Fernrohr auf ,die Wiesen mit den roten und gelben Gr#228;sern und auf die fernen braunen H#252;gel . . .

Der L#246;we, Totoschka und Kaggi-Karr waren neugierig, was Charlie und Elli in solche Aufregung versetzt hatte, und die beiden mu#223;ten ihnen den Platz an der #214;ffnung abtreten. Auf den L#246;wen machte das Bild keinen besonderen Eindruck.

Totoschka jedoch begann vor Erregung zu zittern, als er durch das Loch blickte, er knurrte,

kl#228;ffte und konnte sich lange Zeit nicht beruhigen. Kaggi-Karr erbot sich, in das

geheimnisvolle Land auf Kundschaft zu fliegen. Bei der R#252;ckkehr, sagte sie,

werde sie den Freunden ihre Beobachtungen haargenau erz#228;hlen. Doch da gewahrte sie

unter den Wolken einen dunklen Punkt, der schnell n#228;her kam, und sie gab ihre Absicht

auf, was sehr vern#252;nftig war, wie sich gleich herausstellen sollte.

Elli, die die Kr#228;he am Fenster abgel#246;st hatte, schrie auf. Mit blo#223;em Auge erkannte sie ein

Ungeheuer, das an eine tausendfach vergr#246;#223;erte Eidechse erinnerte und geradewegs auf sie

zuflog.

Der Drache schwang zwei riesige Fl#252;gel, sein gewaltiger Rachen war weit aufgesperrt, zwischen den langen spitzen Z#228;hnen zuckte eine feuerrote Zunge, die gelben tellergro#223;em Augen waren von den Lidern halb verdeckt, der R#252;cken war schwarz, und unter dem mit schmutziggelben Schuppen bedeckten Bauch ragten zwei m#228;chtige Tatzen mit scharfen Krallen. Ein furchterregender und abscheulicher Anblick! Das Erstaunlichste aber war, da#223; auf dem R#252;cken des Tieres ein Mann sa#223;. „Bei allen Wasserf#228;llen der Welt!" sagte der Seemann leise. „Diese Erzgr#228;ber m#252;ssen aber t#252;chtige Kerle sein!

Wie haben sie es nur fertiggebracht, den Sechsf#252;#223;er und dieses niedliche V#246;glein zu z#228;hmen?"

Der Mann auf dem Drachen war mit einem braunen Wams und einem Spitzhut bekleidet und sah sehr kriegerisch aus. Er hatte ein l#228;ngliches blasses Gesicht mit einer Adlernase. Seine Z#228;hne waren zusammengepre#223;t, und die gro#223;en, weit auseinanderstehenden schwarzen Augen funkelten b#246;se.

Elli erinnerte sich an Kaminas Warnung. Die Erzgr#228;ber, hatte die M#228;usek#246;nigin gesagt, dulden es nicht, da#223; man sie beobachtet.

Der Mann auf dem Drachen zog einen langen Pfeil aus dem K#246;cher, den er auf dem R#252;cken trug.

„Vorsicht!" schrie Elli, warf sich zu Boden und ri#223; den Seemann mit sich. Wahrhaftig, keinen Augenblick zu fr#252;h: Schon schwirrte der Pfeil #252;ber ihre K#246;pfe hinweg, prallte gegen die Felswand des Ganges und zerbrach. Im n#228;chsten Augenblick kam Totoschka, die Pfeilspitze zwischen den Z#228;hnen, herbeigesprungen. Die scharfe Eisenspitze war so hart, da#223; sie trotz des Aufpralls unversehrt geblieben war. „Bei allen Klippen und Sandb#228;nken!" rief der Seemann. „Mit diesen unterirdischen M#228;nnern ist nicht gut Kirschen essen! Wenn es ihnen einfallen sollte, an die Oberfl#228;che zu steigen, w#252;rde ich keinen Pfifferling f#252;r das Leben der K#228;uer oder der Zwinkerer geben! Doch wir wollen keine Zeit verlieren, la#223;t uns gehen!"

„Aber Onkel, wir haben uns ja noch nicht alles angeschaut, und der Mann ist ja auch schon fortgeflogen . . ."

„Fortgeflogen, sagst du? Hm, la#223; mal sehen."

Der Seemann setzte die M#252;tze auf die Spitze seines Stocks und hob sie an die #214;ffnung.. Im gleichen Augenblick wurde sie von einem gut gezielten Pfeil weggerissen. „Na, hast du gesehen? Und was tun wir, wenn es dem Herrn einf#228;llt, n#228;her an unser Fenster heranzukommen?"

Hastig verlie#223;en die F#252;nf den gef#228;hrlichen Ort. Erst als sie sich au#223;er Gefahr wu#223;ten,

fingen sie wieder zu sprechen an.

„Tats#228;chlich, ein Land der Wunder!" sagte Charlie Black.

Dann ging er voraus, und die anderen folgten ihm.

Nach einer Weile kamen sie an eine gro#223;e T#252;r, die fest verschlossen war.


WIEDERSEHEN MIT DEM SCHEUCH UND DEM EISERNEN HOLZF#196;LLER

Siehst du, nicht umsonst haben wir so viele Gefahren auf uns genommen!" rief Charlie

Black erfreut aus. „Der Gang f#252;hrt wirklich bis zum Turm!"

„Brech die T#252;r auf, Onkel Charlie", schlug Elli vor.

„Das geht nicht", erwiderte Charlie, „man k#246;nnte uns h#246;ren."

Von drau#223;en drangen der tiefe Ba#223; eines h#246;lzernen Unteroffiziers und die schrillen

Stimmen der Polizisten zu ihnen.

Der Durchbruch mu#223;te ohne L#228;rm geschehen. Charlie holte aus seinen Taschen das notwendige Werkzeug hervor, bohrte nebeneinander mehrere L#246;cher, erweiterte sie mit dem Messer und begann mit der Hands#228;ge zu arbeiten. In einer halben Stunde hatte er eine viereckige #214;ffnung ausges#228;gt, durch die ein Mensch schl#252;pfen konnte. „Elli", sagte der Seemann, „geh jetzt hinauf und sag dem Scheuch und dem Holzf#228;ller, da#223; wir da sind und auf sie warten. Aber sei vorsichtig, und auch die beiden sollen aufpassen, da#223; die Wache nichts merkt."

„Und was geschieht mit Din Gior und Faramant?" fragte das M#228;dchen. „Wenn der Scheuch und der Eiserne Holzf#228;ller fliehen, wird Urfin seinen Zorn an ihnen auslassen." Der Seemann kratzte sich den Nacken.

„Ja, da hast du recht, daran hab ich nicht gedacht. Aber was sollen wir denn tun?" „Ich glaube, der Scheuch und der Holzf#228;ller m#252;ssen hier bleiben, bis wir Din Gior und Faramant aus dem Kerker befreit I haben. Aber wie wir's tun sollen, wei#223; ich nicht. Vielleicht kann uns der Scheuch mit einer guten Idee helfen?" „Richtig! Das Treppensteigen f#228;llt mir zwar schwer, doch es bleibt uns nichts anderes #252;brig, wir m#252;ssen gemeinsam beraten."

Elli stieg langsam die steile Treppe hinauf, hinkend folgte ihr Charlie. Der L#246;we blieb unten, denn das Loch in der T#252;r war f#252;r seinen m#228;chtigen K#246;rper zu klein. Oben angekommen, schaute Elli vorsichtig in den Raum, wo sich ihre Freunde befanden. Sie legte den Zeigefinger an den Mund, womit sie den Freunden zu verstehen gab, da#223; sie sich ruhig verhalten sollten. Sie bef#252;rchtete n#228;mlich, die beiden k#246;nnten bei ihrem Anblick in ein Jubelgeschrei ausbrechen.

Ihre Bef#252;rchtungen erwiesen sich jedoch als unbegr#252;ndet. Der Eiserne Holzf#228;ller wu#223;te sich schon seit jeher zu beherrschen, und dem Scheuch war der Karzer eine bittere Lehre gewesen. Von der Feuchtigkeit des unterirdischen Gelasses waren die Farben auf seinem Gesicht zerflossen, jetzt h#246;rte und sah er schlecht und konnte nur im Fl#252;sterton sprechen, was ihm in seiner jetzigen Lage #252;brigens gut zustatten kam!

Beim Anblick Ellis wollten ihr die beiden um den Hals fallen, doch sie hielten an sich, als sie hinter ihr den Seemann sahen.

Obwohl sie ihn aus den Schilderungen der Kr#228;he kannten, waren sie bei seinem Erscheinen doch etwas verlegen.

Charlie sagte ihnen freundlich guten Tag. Der Scheuch erwiderte seinen Gru#223; mit einem Kratzfu#223;, w#228;hrend der Holzf#228;ller seinen Trichter l#252;ftete und sich h#246;flich verbeugte. Kaggi-Karrs schwarze #196;uglein leuchteten stolz. Ei, dachte sie, zeigt mir doch eine andere Kr#228;he, die einen solchen Auftrag so gl#228;nzend auszuf#252;hren gewu#223;t h#228;tte! Nach den herzlichen Begr#252;#223;ungsworten begann Elli von Din Gior und Faramant zu sprechen.

„Was euch betrifft, so k#246;nntet ihr gleich jetzt durch den unterirdischen Gang fliehen. Aber dann w#228;re es um Din Gior und Faramant geschehen!" Da rief der Holzf#228;ller:

„Wenn sie unsretwegen umkommen, wird mir das Herz in der Brust zerspringen . . ." Dabei fing er bitterlich zu weinen an. Die Tr#228;nen rannen ihm #252;ber die Wangen, und seine Kiefer rosteten sogleich ein. Verzweifelt sch#252;ttelte der eiserne Mann den Kopf, konnte aber kein Wort hervorbringen. Zum Gl#252;ck stak die #214;lkanne in seinem G#252;rtel. Der Scheuch zog sie heraus, um ihm die Kiefer zu schmieren, da er aber schlecht sah, troff das #214;l in des Holzf#228;llers Ohr. Es dauerte eine geraume Weile, bis die Kiefer ge#246;lt waren und der Holzf#228;ller wieder sprechen konnte:

„H#246;r zu, Bruder Scheuch", sagte er, „jetzt streng mal dein kluges Gehirn an und sag, was

wir weiter tun sollen."

Der Scheuch aber fl#252;sterte kummervoll:

„Mit meinem klugen Gehirn klappt etwas nicht. Die Feuchtigkeit im Karzer . . ." Kaggi-Karr unterbrach ihn:

„Faramant und Din Gior sitzen in einem Keller des Hinterhofs. Ich kann mich erinnern, da#223; vom Zimmer des Kochs ein Weg zu ihrem Fenster f#252;hrt." „Das w#228;re ja gro#223;artig!" rief Charlie erfreut, hielt sich aber sogleich erschrocken den Mund zu. „Ich habe etwas, womit sich die beiden befreien k#246;nnten. Es fragt sich nur, wie das Ding zu ihnen kommt... "

Er kramte in seinem Rucksack und holte eine kleine Stahls#228;ge hervor. „Damit kann man jedes Gitter durchs#228;gen."

„Ja, aber wie schaffen wir sie hin?" fl#252;sterte der Scheuch. „Ach, wein mein Gehirn doch nur wieder in Ordnung w#228;re . . . Mir kommt aber nichts in den Kopf, das #228;rgert mich zu Tode, es ist schrecklich . . ."

Elli umarmte den Strohmann und streichelte ihm #252;ber das verwaschene Gesicht. „Mein Lieber, sei nicht traurig, ich werde f#252;r dich denken!"

Qualvolles Schweigen trat ein. Um in das Schlo#223; zu kommen und die H#228;ftlinge wenigstens durch das vergitterte Fenster zu sehen, mu#223;te man den Turm verlassen. Vor der T#252;r standen aber Holzk#246;pfe Wache, und der zweite Ausgang m#252;ndete in der unterirdischen H#246;hle, in der der Sechsf#252;#223;er hauste. Wer w#252;rde es wagen, allein hinzugehen?

Die Lage schien ausweglos. Aber durften sie den braven Faramant und Din Gior ihrem Schicksal #252;berlassen?

„Ich will den beiden die S#228;ge bringen", rief Kaggi-Karr, „mich k#246;nnen weder W#228;nde noch Gitter aufhalten!"

Das war ein kluger Vorschlag. Kaggi-Karr konnte aber die S#228;ge nicht im Schnabel halten, weil sie zu schwer war. Sie versuchte es mehrmals, lie#223; sie aber immer wieder fallen. Erneut begannen alle eifrig nachzudenken. Pl#246;tzlich hob Elli den Zeigefinger und sagte:

„Ich hab's!", worauf alle freudig aufblickten. „Onkel Charlie, du brauchst mich nur an einem Seil hinabzulassen."

„Du bist wohl nicht bei Sinnen, M#228;del?" brummte der Seemann. „Oder willst du, da#223; dich die Wache schnappt?"

„Aber nein, Onkel", entgegnete Elli. „Die Holzk#246;pfe bewachen nur die Seite, wo die T#252;r ist, um die andere k#252;mmern sie sich nicht. #220;berzeuge dich doch selbst!" „Aber warum mu#223;t ausgerechnet du es wagen?" fragte er. „Kann es denn kein anderer von uns tun?"

„Wer denn? Du vielleicht, oder der Scheuch, oder der Eiserne Holzf#228;ller? Ihr kommt ja nicht durch das Gitter!"

In Ellis Rucksack lag ein Kleid, das die gute Frau des Prem Kokus ihr geschenkt hatte und das ihr wie angegossen pa#223;te, denn sie war ja genau so gro#223; wie die erwachsenen Frauen im Wunderland. Au#223;erdem war es nicht blau, sondern gr#252;n, denn Prem Kokus' Frau stammte aus dem Smaragdenland und hatte sich ihre Liebe zu allem Gr#252;nen bewahrt. Elli zog sich um, und Charlie entnahm seinem Universalrucksack Pinsel und Tusche und malte ihr ein paar Runzeln auf Stirn, Wangen und Kinn. Jetzt sah sie wie eine waschechte Farmersfrau aus dem Smaragdenland aus.

„Bei den Palmen von Kuru-Kusu!" rief Charlie. „Dich wird kein Spion der Welt erkennen. Aber warte mal, du brauchst ja einen Vorwand, um in die Stadt zu gehen." „Keine Sorge, ich hab mir schon einen ausgedacht."

Der Seemann schnallte Elli einen breiten Gurt um den Leib und kn#252;pfte ein starkes Seil daran. Dann nahm das M#228;dchen ein K#246;rbchen in die Hand und schob sich zwischen den Gitterst#228;ben, die das Dach st#252;tzten, hinaus.

Die Holzk#246;pfe bewachten nur die T#252;r, und keiner k#252;mmerte sich um die andere Seite des Turmes.

Langsam lie#223; Charlie seine Nichte an der Mauer hinunter.

Unten angekommen, l#246;ste Elli den Gurt, den der Seemann sofort wieder hochzog, schickte dem Onkel noch einen Luftku#223; und schritt langsam auf die Stra#223;e zu. Charlie, der sie pochenden Herzens beobachtete, beruhigte sich erst, als sie auf dem Gelben Backsteinweg war und ihm zum Abschied mit der Hand winkte. Das M#228;dchen ging aber nicht geradewegs in die Stadt. Auf einer Wiese f#252;llte sie ihren Korb mit sch#246;nen gro#223;en Beeren, unter denen sie die S#228;ge verbarg. Dann ging sie weiter, erreichte schlie#223;lich das Stadttor und begann daran zu klopfen. Der Wache sagte sie, der Korb voller Beeren sei ein Geschenk f#252;r Urfin, und man lie#223; sie ungehindert hinein. Elli ging durch die Stra#223;en, die einst von Smaragden gl#228;nzten und in denen immer viele sch#246;n gekleidete Menschen zu sehen waren. Jetzt lagen die Stra#223;en wie ausgestorben da. Im Schlo#223; zeigte man ihr den Weg zur K#252;che. Der feiste Baluol erkannte Elli zuerst nicht, doch dann freute er sich uns#228;glich.

Das M#228;dchen blieb in seinem Zimmer, bis die Nacht hereinbrach. Dann geleitete sie der Koch zum Fenster des Gelasses, in dem Din Gior und Faramant eingesperrt waren. Das Fenster war zum Gl#252;ck nicht verglast, es war aber gar nicht so leicht, die Schlafenden wachzukriegen, zumal das m#246;glichst leise geschehen mu#223;te. Menschen mit reinem Gewissen haben eben einen festen Schlaf, selbst wenn sie im Kerker sind. Als erster #246;ffnete Faramant die Augen und begann sogleich Din Gior zu r#252;tteln. Wie erfreut die beiden waren, als sie Elli erkannten! Der W#228;chter befand sich in einem fernen Winkel des Ganges, und so konnten die beiden ungest#246;rt an das Werk ihrer Befreiung gehen. Einer stieg immer auf die Schultern des anderen und s#228;gte eifrig am Gitter, und binnen zehn Minuten hatten sie einen dicken Stab ausgehoben. Als erster kroch Din Gior #252;ber den R#252;cken Faramants ins Freie. Aber wie sollte sich Faramant zum hohen Fenster hinaufschwingen, wenn die Zelle weder einen Tisch noch einen Stuhl hatte und die eisernen Bettstellen in den Fu#223;boden eingelassen waren? Laken und Decken hatte man den Gefangenen nat#252;rlich nicht gegeben.

„Was fangen wir nun an?" fl#252;sterte Din Gior, sich zum Fenster vorbeugend. „Wir haben ja kein Seil."

„Kein Seil!" wiederholte Faramant sp#246;ttisch. „Und deinen Bart hast du vergessen?" „Ach wirklich, den h#228;tte ich fast vergessen", gab Din Gior freudig zur Antwort. Er lie#223; seinen m#228;chtigen Bart durch das Gitter hinab, Faramant hielt sich daran fest und zog sich, die F#252;#223;e gegen die Wand gestemmt, hinauf. Din Gior pre#223;te die Z#228;hne vor Anstrengung zusammen, wich aber nicht von der Stelle. Dann fielen beide ihrer kleinen Retterin um den Hals.

Der Koch f#252;hrte die Gruppe durch eine Hinterpforte auf die Stra#223;e. Die Freunde konnten jedoch die Stadt nicht durch das Tor verlassen, weil dieses von Holzk#246;pfen und Polizei bewacht wurde. Es blieb ihnen nichts anderes #252;brig, als #252;ber die Mauer zu klettern. Dann ging Faramant in eine der umliegenden Farmen, wo er sich eine Weile fl#252;sternd mit dem Hausherrn unterhielt, der sogleich seine beiden jungen schnellf#252;#223;igen S#246;hne mit einem Auftrag in nordwestliche Richtung schickte, w#228;hrend er selber sich zu seinem Nachbarn begab.

Die Freunde hatten verabredet, sich in der Schlucht an der M#252;ndung des unterirdischen

Ganges zu treffen. Dorthin f#252;hrte nun Elli Din Gior und Faramant.

Als sie am Turm vorbeikamen, ahmte Faramant dreimal den Schrei der Eule nach, und Elli

winkte mit ihrem K#246;rbchen hinauf. Dieses Zeichen bedeutete, da#223; das Unternehmen

gelungen sei und die Freunde den Turm verlassen k#246;nnten. Als Antwort erscholl vom

Turm der Ruf eines Kuckucks. Das bedeutete: Signal geh#246;rt und verstanden!

Elli. Din Gior und Faramant erreichten als erste die Schlucht. Unterwegs waren sie weder

Holzk#246;pfen noch Polizisten begegnet.

Am n#228;chsten Morgen. erfuhr Ruf Bilan von der Flucht der vier Gefangenen. Auf seinen Befehl nahm eine ganze Meute Polizisten sofort die Verfolgung auf. Die B#252;ttel suchten die umliegenden Farmen ab und verh#246;rten ihre Einwohner. Wider Erwarten erwiesen sich die Leute als sehr redselig. Sie h#228;tten gesehen, erz#228;hlten sie den H#228;schern, da#223; die Fl#252;chtlinge am fr#252;hen Morgen nach Nordwesten gezogen seien, offenbar wollten sie im Gelben Lande Unterschlupf suchen.

Zwei Z#252;ge Holzk#246;pfe und etwa drei Dutzend Polizisten brachen in die genannte Richtung auf. Die Soldaten liefen schwerf#228;llig die Stra#223;e entlang, stolperten und fielen, und die Polizisten schossen mit ihren Schleudern Steine in die Geb#252;sche, wenn sich dort etwas regte.

Dann und wann lief der Polizeichef, der die Verfolger anf#252;hrte, in ein Haus, um Erkundigungen #252;ber die Fl#252;chtlinge einzuholen. Die Bewohner aber antworteten auf seine Fragen, wie Faramants Boten sie gelehrt hatten:

„Sie sind hier vorbeigekommen, jawohl, etwa vor drei Stunden..." Dann hie#223; es „vor zwei Stunden" und schlie#223;lich „vor einer Stunde".

Der Eifer der Verfolger nahm zu, je n#228;her sie sich dem Ziele w#228;hnten. Als sie aber Meile um Meile zur#252;cklegten und von den Fl#252;chtlingen noch immer keine Spur zu sehen war, fingen sie zu rasen an.

Die wutschnaubenden Polizisten schickten aus ihren Schleudern einen Hagel von Steinen

#252;ber die Stra#223;e.

Dann ereignete sich folgendes:

Der Polizeichef war weit vorausgeeilt, und seine Untergebenen, die vollkommen au#223;er Rand und Band geraten waren, glaubten., einen der Fl#252;chtlinge vor sich zu haben. Unz#228;hlige Steine trafen den Polizeimeister, zerbrachen ihm Arme und Beine und schlugen ihm den Kopf ab. Mit Geheul st#252;rzten Polizisten und Soldaten auf ihr Opfer zu - und blieben wie vom Donner ger#252;hrt stehen. Sie wu#223;ten nicht, was sie anfangen sollten, und niemand war da, der ihnen h#228;tte befehlen k#246;nnen.

Dann lasen sie die Reste ihres Kommandanten auf und traten den R#252;ckweg an. Als sie in die Stadt kamen, meldete einer der Polizisten dem Obersten Zeremonienmeister, was sich zugetragen hatte. Ruf Bilan wurde wei#223; im Gesicht wie die Wand. Bis zu diesem Augenblick hatte er immer noch gehofft, da#223; man die Fl#252;chtlinge einfangen w#252;rde. Dann h#228;tte er den ganzen Vorfall vor dem K#246;nig verheimlichen k#246;nnen. Jetzt aber mu#223;te er diesem melden, da#223; die Gefangenen, die Urfin so kostbar waren, geflohen und #252;berdies noch der Polizeichef umgekommen sei, den der Herrscher f#252;r seinen Eifer und seine Gewandtheit so sehr gesch#228;tzt hatte. Nach Entgegennahme des Berichts sagte Urfin finster:

„Das sind die Streiche des verdammten M#228;dchens, dieser kleinen Fee namens Elli. Die Fl#252;chtlinge sind verschwunden, sagst du?" „Spurlos, o m#228;chtiger K#246;nig der Smaragden . . ." ..Fa#223; dich k#252;rzer!" br#252;llte Urfin.

„Zu Befehl! Das Schlimmste aber ist, da#223; die Verfolger absichtlich irregef#252;hrt wurden, und das ist schon eine richtige Verschw#246;rung!"

Urfin unterlie#223; es, den Polizeichef zu reparieren, und der Koch Baluol warf dessen #220;berreste in den Herd, wo sie lichterloh brannten.

Nachdem Charlie Black sich vergewissert hatte, da#223; die Flucht von Din Gior und Faramant gegl#252;ckt war, f#252;hrte er seine Schutzbefohlenen die Turmtreppe hinunter. Die drei bem#252;hten sich, kein Ger#228;usch zu machen. Es kostete den Eisernen Holzf#228;ller aber gro#223;e Anstrengung, durch die kleine #214;ffnung in der T#252;r zu schl#252;pfen. Dann zogen sie den geschw#228;chten Scheuch hindurch, dessen Kleider jetzt f#252;rchterlich aussahen.

Jubelnd empfing der L#246;we nach der langen Trennung seine Freunde. Beim Anblick der j#228;mmerlichen Figur des Scheuchs, der sich kaum noch auf den Beinen hielt und fast nichts mehr sehen und h#246;ren konnte, fing er jedoch vor Mitleid zu weinen an. Daf#252;r war jetzt aber keine Zeit, man mu#223;te sich sputen. Der Holzf#228;ller brach noch schnell eine Eisenstange aus dem Treppengel#228;nder, die ihm als Waffe dienen konnte, und die Schar setzte sich in Bewegung.

Als sie sich der #214;ffnung n#228;herten, von der man das Land der unterirdischen Erzgr#228;ber sehen konnte, mahnte Charlie seine Gef#228;hrten zur Vorsicht. Es konnte ja sein, da#223; der Krieger mit dem fliegenden Drachen den ungebetenen G#228;sten auflauerte, um ihnen mit gut gezielten Pfeilen den Garaus zu machen. Als sie den Platz erreichten, von dem aus Elli und der Seemann gestern noch das sonderbare Leben der Erzgr#228;ber beobachtet hatten, stie#223; Charlie einen Ruf des Staunens aus: Die #214;ffnung war verschwunden. Die Erzgr#228;ber hatten einen runden Stein in das Loch hineingetrieben und nicht einmal eine kleine Ritze freigelassen.

Vom Sechsf#252;#223;er war nichts zu sehen. Hatte er sich nach dem gestrigen Kampf in einen Winkel des Labyrinths verkrochen, oder waren die unterirdischen Erzgr#228;ber inzwischen dagewesen und hatten ihn gefangengenommen?

Aber wer konnte wissen, ob in den finsteren unterirdischen G#228;ngen nicht noch andere Sechsf#252;#223;er lauerten?

Der Seemann war indessen unbesorgt, wu#223;te er doch, da#223; der Eiserne Holzf#228;ller im Handumdrehen mit jedem Ungeheuer fertig werden w#252;rde. Freilich bef#252;rchtete er eine Falle, die die Erzgr#228;ber ihnen bereitet haben konnten. Erst am n#228;chsten Morgen, als er Elli, Din Gior und Faramant erblickte, atmete er erleichtert auf.

Vor allem mu#223;te der Scheuch wieder instand gesetzt werden, denn seine Kleider waren zerrissen und aus allen L#246;chern kam faules Stroh zum Vorschein. Seine Gesichtsz#252;ge waren verwaschen, und auch das Gehirn hatte unter der Feuchtigkeit des Kellers stark gelitten.

Elli machte sich an die Arbeit. Sie trennte dem Scheuch den Kopf ab und hing ihn an einen hohen Ast zum Trocknen, was bei dem lauen Wind und der hei#223;en Sonne sehr schnell geschah. Dann flickte das M#228;dchen das Kleid des Strohmanns, wusch es im Bach und breitete es auf den B#252;schen aus.

Als alles trocken war, stopfte Elli den Rock, die Hosen und die Stiefel mit frischem Stroh aus, das Faramant von einem Nachbarfeld geholt hatte, und setzte den Kopf mit dem durchl#252;fteten Gehirn auf seine alte Stelle. Dann nahm sie Farbe und Pinsel und begann die Augen aufzumalen, die sogleich zu zwinkern anfingen. „Halt still, du machst ja alles futsch'." schrie Elli.

„Kn . . . Sor . . . Sor . . . chn . . . Mund...", lispelte m#252;hsam der Strohmann. Er wollte sagen: ,.Keine Sorge, mach mir nur schnell den Mund." Als dieser fertig war, fing der Scheuch vor Freude zu tanzen und zu singen an. „O-ho-ho-ho! Elli hat mich wieder gerettet! Elli ist wieder da! O-ho-ho-ho . . ." Pl#246;tzlich hielt er inne, da es sich f#252;r einen Herrscher nicht ziemte, in Anwesenheit seiner Untertanen zu tanzen. Er warf einen besorgten Blick auf Din Gior und Faramant, die sich jedoch taktvoll abgewandt hatten und so taten, als w#228;ren sie in ein ernstes Gespr#228;ch vertieft. Der Scheuch atmete erleichtert auf.

Die allgemeine Freude steigerte sich, als Charlie dem Scheuch einen Stock aus Mahagoniholz schenkte, den er geschnitzt hatte, w#228;hrend Elli mit der Herrichtung ihres Sch#252;tzlings besch#228;ftigt war.

Der Strohmann st#252;tzte sich auf den Stock, schob die Brust heraus und sagte stolz: „Liebe Freunde! Der Scheuch ist nun wieder klug, und ich will es euch beweisen durch die gro#223;en Gedanken, die mir in den Kopf kommen. H#246;rt also: Wir haben keine Waffen, um uns mit Urfin zu schlagen. Waffen k#246;nnen nur die Zwinkerer schmieden. Die Zwinkerer aber leben im Violetten Land. Und wo sind wir? Im Smaragdenland. Daraus folgt: Wenn man sich in einem Land befindet, kann man nicht gleichzeitig in einem anderen sein. Was bedeutet das? Nichts anderes, als da#223; wir in das Violette Land ziehen m#252;ssen!" Die eindrucksvolle Rede des Scheuchs wurde mit st#252;rmischem Beifall aufgenommen. Der L#246;we #228;u#223;erte ihn durch Br#252;llen, Totoschka durch lautes Bellen.