"Mary Poppins" - читать интересную книгу автора (Трэверс Памела Линдон)

2. Kapitel. Mary hat Ausgang

»Jeden dritten Donnerstag«, sagte Mistreß Banks, »von zwei bis fünf.«

Mary Poppins warf ihr einen verweisenden Blick zu. »Die feinen Leute, Mistreß Banks, geben jeden zweiten Donnerstag frei, von eins bis sechs. Und das verlange ich auch, oder . . .« Mary Poppins legte eine Pause ein, und Mistreß Banks wußte, was sie damit andeuten wollte. Es hieß, Mary Poppins würde nicht bleiben, wenn sie nicht bekam, was sie wollte.

»Gut, gut«, sagte sie rasch, wenn es ihr auch lieber gewesen wäre, Mary Poppins hätte nicht soviel besser über die feinen Leute Bescheid gewußt als sie selbst.

So zog denn Mary Poppins ihre weißen Handschuhe an und nahm ihren Schirm unter den Arm, nicht weil es regnete, sondern weil er einen so schönen Griff hatte, daß sie ihn unmöglich daheim lassen konnte. Wie konnte man auch auf einen Schirm verzichten, der einen Papageienkopf als Griff hatte! Zudem war Mary Poppins sehr eitel und wollte so fein aussehen wie irgend möglich. Freilich war sie fest überzeugt, daß sie nie anders als fein aussah.

Jane winkte ihr vom Fenster des Kinderzimmers nach.

»Wohin gehst du?« rief sie.

»Mach gefälligst das Fenster zu!« rief Mary Poppins zurück, und Janes Kopf verschwand eilig.

Mary Poppins ging den Gartenweg hinunter und öffnete das Tor. Auf der Straße beschleunigte sie ihre Schritte, als hätte sie Angst, der Nachmittag liefe ihr davon, wenn sie ihn nicht festhielt. An der Ecke bog sie nach rechts ab, dann nach links, nickte dem Schutzmann, der ihr einen schönen Tag wünschte, herablassend zu, und nun erst hatte sie das Gefühl, daß ihr freier Nachmittag begonnen hatte.

Vor einem leeren Auto blieb sie stehen und setzte sich vor der spiegelnden Windschutzscheibe den Hut zurecht. Dann strich sie ihren Rock glatt, klemmte den Schirm fester unter den Arm, und zwar so, daß der Griff, oder vielmehr der Papagei, für jedermann sichtbar war. Nach diesen Vorbereitungen ging sie weiter und suchte den Streichholzmann auf.

Übrigens hatte der Streichholzmann zwei Berufe. Er verkaufte nicht nur Streichhölzer wie jeder gewöhnliche Streichholzmann, er malte auch Bilder aufs Straßenpflaster: beide Berufe übte er abwechselnd aus, je nach dem Wetter. Wenn es regnete, verkaufte er Streichhölzer, da die Nässe seine Bilder ja doch gleich wieder ausgelöscht hätte. Bei Sonnenschein rutschte er den ganzen Tag auf den Knien und zeichnete mit farbiger Kreide Bilder auf den Bürgersteig. Das ging ihm ungeheuer leicht von der Hand, und oft konnte man erleben, daß er die eine Straßenseite herauf und die andere hinunter gemalt hatte, bevor man selbst noch um die Ecke gebogen war.

Heute, wo es schön, aber kalt war, malte er. Während Mary Poppins, die ihn überraschen wollte, auf Fußspitzen zu ihm hinschlich, fügte er einer Reihe schon fertiger Kunstwerke gerade ein neues hinzu: ein Bild mit zwei Bananen, einem Apfel und dem Kopf der Königin Elisabeth.

»Hallo!« rief Mary Poppins ihn leise an.

Ohne sich stören zu lassen, setzte er ein paar braune Streifen in die Bananen und umgab Königin Elisabeths Kopf mit einem Kranz brauner Locken.

»Hm, hm«, räusperte sich Mary Poppins mit damenhafter Zurückhaltung.

Er fuhr auf und erkannte sie.

»Mary!« rief er, und sein Ton ließ vermuten, daß sie in seinem Leben eine sehr wichtige Rolle spielte.

Mary Poppins blickte auf ihre Füße und fuhr mit der Schuhspitze ein paarmal über das Pflaster. Dann lächelte sie den Schuh auf eine Art an, daß der Schuh merken mußte, das Lächeln galt gar nicht ihm.

»Ich hab doch heut Ausgang, Bert, hast du's vergessen?« Bert war der Name des Streichholzmanns — sonntags hieß er Herbert Alfred.

»Natürlich hab ich daran gedacht, aber...« Er schwieg und sah betrübt in seine Mütze. Sie lag auf dem Boden neben dem letzten Bild und enthielt nur zwei Groschen. Er hob sie auf und klapperte mit den Münzen.

»Mehr hast du nicht verdient, Bert?« erkundigte sich Mary Poppins, aber in fröhlichem Tonfall. Man hätte kaum sagen können, sie sei enttäuscht.

»Das ist alles«, sagte er, »das Geschäft geht heute schlecht. Man sollte meinen, jeder würde gerne etwas bezahlen, um sich das hier ansehen zu dürfen.« Und er nickte der Königin Elisabeth liebevoll zu. »So ist das, Mary«, seufzte er. »Kann dich heut nicht zum Tee einladen, leider.«

Mary Poppins dachte an die Himbeertörtchen, die sie an ihrem Ausgehtag immer bekam, und ihr wollte schon ein Seufzer entschlüpfen, als sie das Gesicht des Streichholzmannes sah. Geschwind hielt sie den Seufzer zurück und lächelte statt dessen — ein gutes Lächeln, bei dem sich ihre Mundwinkel hoben.

»Ist schon recht, Bert«, sagte sie. »Das macht gar nichts, möchte ohnehin keinen Tee heute. Schwerverdauliches Zeug, finde ich.«

Und das war wirklich nett von Mary Poppins, wenn man bedenkt, wie gern sie Himbeertörtchen aß.

Das dachte wohl auch der Streichholzmann, denn er nahm ihre weißbehandschuhte Hand in seine und drückte sie fest. Dann wanderten sie zusammen an der Bilderreihe entlang.

»Da ist eins, das hast du noch nicht gesehen«, sagte er stolz und deutete auf ein Bild. Es zeigte einen Schneeberg, dessen Ab -hänge mit Grashüpfern geradezu besät waren, die auf riesengroßen Rosen saßen.

Diesmal konnte Mary Poppins aufseufzen, ohne seine Gefühle zu verletzen.

»O Bert, was für ein herrliches Werk!« Und durch die Art, wie sie es sagte, ließ sie ihn fühlen, daß von Rechts wegen das Bild in der Königlichen Akademie hängen müßte. Das ist ein großer

Saal, worin berühmte Leute die Bilder aufhängen, die sie gemalt haben. Alles geht hin, um sie sich anzusehen, und nach längerer Betrachtung sagt einer zum andern: »Nein, so was — mein Lieber!«

Das nächste Bild, an das Mary Poppins und der Streichholzmann herantraten, war womöglich noch schöner. Es war eine Landschaft — lauter Bäume und Rasen, ein Stückchen blaues Meer und im Hintergrund etwas, das aussah wie der Badeort Margate.

»Mein Gott!« rief Mary Poppins bewundernd und bückte sich, um alles noch besser zu sehen. »Aber, Bert, was ist denn?«

Der Streichholzmann hatte auch ihre andere Hand ergriffen und sah ganz aufgeregt aus.

»Mary! Ich hab eine Idee! Wirklich eine Idee! Warum gehen wir nicht hin — gleich jetzt —, gleich heute? Wir beide, hinein in das Bild! Was meinst du, Mary?« Und ihre Hände noch immer in den seinen, zog er sie von der Straße fort, weg von den eisernen Geländern und Laternenpfählen, geradewegs in das Bild hinein. Pfff! Da standen sie nun, mittendrin!

Wie grün es hier war und wie still, und wie weich war das frische Gras unter ihren Füßen! Kaum war es zu fassen, und doch streiften grüne Zweige raschelnd über ihre Köpfe, wenn sie unter ihnen durchschlüpften, und kleine, bunte Blumen schmiegten sich um ihre Schuhe. Sie staunten einander an, und jeder sah, daß sich der andere verwandelt hatte. Mary Poppins schien es, als habe sich der Streichholzmann einen neuen Anzug gekauft, denn er trug jetzt einen hellen, grün und rot gestreiften Rock zu weißen Flanellhosen und, das Schönste von allem, einen neuen Strohhut. Er sah so ungewohnt sauber aus, wie frisch aufpoliert.

»Du siehst aber fein aus, Bert!« rief sie bewundernd.

Bert konnte nicht gleich antworten, denn er sperrte vor Staunen Mund und Augen auf. Dann schluckte er und sagte: »Dunner-littchen!«



Das war alles. Aber wie er das sagte! Dabei staunte er sie an, so unverwandt und entzückt, daß sie ihrer Tasche einen kleinen Spiegel entnahm und sich darin betrachtete.

Ja, auch sie selbst, das sah sie nun, hatte sich verwandelt. Um ihre Schultern hing ein herrlicher Mantel aus Kunstseide, über und über zart gemustert, und das Kitzeln im Nacken rührte von einer langen, gekräuselten Feder her, die, wie der Spiegel ihr zeigte, vom Hutrand herabhing. Ihre Sonntagsschuhe waren verschwunden, und an ihrer Stelle hatte sie andere an, noch schönere, mit großen, blitzenden Diamantschnallen. Noch immer aber trug sie die weißen Handschuhe und den Regenschirm.

»Du meine Güte!« rief Mary Poppins. »Das nenne ich einen Ausgehtag!«

Sich gegenseitig bewundernd, wanderten sie zusammen durch das Wäldchen, bis sie endlich zu einer sonnigen Lichtung kamen. Dort stand auf einem grünen Tischchen der Nachmittagstee bereit. In der Mitte war ein Berg von Himbeertörtchen aufgebaut, der ihr bis an die Taille reichte. Daneben dampfte Tee in einer großen Messingkanne. Und das Beste von allem waren zwei Teller mit Schnecken und zwei Gabeln, um sie herauszupicken.

»Ich werd verrückt!« rief Mary Poppins. Das sagte sie immer, wenn sie glücklich war.

»Dunnerlittchen!« sagte der Streichholzmann nur. Das sagte er immer.

»Wollen Sie nicht Platz nehmen, meine Dame?« ertönte eine Stimme.

Sie drehten sich um und sahen einen großen Mann im schwarzen Frack, der, eine Serviette überm Arm, aus dem Wald trat.

Aufs höchste überrascht, setzte sich Mary Poppins mit einem Plumps auf einen der kleinen, grünen Stühle, die um den Tisch standen. Der Streichholzmann sank sprachlos auf einen anderen.

»Ich bin der Kellner, wenn Sie gestatten«, erklärte der Schwarzbefrackte.

»Ach! Aber auf dem Bild habe ich Sie nicht gesehen«, sagte Mary Poppins.

»Ich stand nur hinter einem Baum«, erklärte der Kellner.

»Wollen Sie sich nicht setzen?« fragte Mary Poppins zuvorkommend.

»Kellner setzen sich nie, meine Dame«, entgegnete er, durch die Frage geschmeichelt.

»Ihre Schnecken, mein Herr!« Und er schob dem Streichholzmann die eine Platte zu. »Und hier Ihre Gabel.« Er wischte sie mit der Serviette ab, bevor er sie auf den Tisch legte.

Nun machten sie sich an ihren Nachmittagstee. Der Kellner blieb neben ihnen stehen, um zu sehen, ob sie auch alles hatten, was sie brauchten.

»Wir kriegen sie also doch noch!« entfuhr es Mary Poppins mit einem vernehmlichen Seufzer, als sie sich dem Berg von Himbeertörtchen zuwandte.

»Dunnerlittchen!« bestätigte der Streichholzmann und nahm sich die beiden größten Stücke.

»Tee?« fragte der Kellner und schenkte jedem eine große Tasse voll ein.

Sie tranken Tee und ließen sich noch zweimal nachgießen, und dann vertilgten sie hochbefriedigt die Himbeertörtchen. Bald danach standen sie auf und fegten die Krümel vom Tisch.

»Nichts zu bezahlen!« sagte der Kellner, ehe sie noch Zeit hatten, nach der Rechnung zu fragen. »Es war mir ein Vergnügen. Das Karussell ist dort drüben!« Er deutete mit der Hand zu einer kleinen Lichtung hinüber, wo sich, wie Mary Poppins und der Streichholzmann jetzt sahen, ein paar Holzpferde auf einer Plattform drehten.

»Wie komisch«, sagte sie, »ich kann mich nicht erinnern, sie auf dem Bild gesehen zu haben.«

»Ach«, sagte der Streichholzmann, der sich auch nicht daran erinnerte, »die waren im Hintergrund, verstehst du.«

Als sie auf das Karussell zutraten, verlangsamte es gerade die Fahrt. Sie sprangen auf, Mary Poppins auf ein schwarzes Pferd und der Streichholzmann auf ein graues. Und als die Musik wieder begann und das Karussell sich in Bewegung setzte, ritten sie den ganzen Weg nach Yarmouth und zurück, denn das war der Ort, den sie am liebsten sehen wollten.

Als sie zurückkamen, war es fast dunkel, und der Kellner hielt schon Ausschau nach ihnen. »Bedauere, meine Herrschaften«, sagte er höflich, »aber wir schließen um sieben. Vorschrift, Sie verstehen? Darf ich Ihnen den Ausgang zeigen?«

Sie bejahten, und er ging, seine Serviette schwenkend, vor ihnen her durch den Wald.

»Ein wunderbares Bild hast du diesmal gemalt, Bert!« lobte Mary Poppins, schob ihre Hand in den Arm des Streichholzmannes und zog den Mantel fester um sich.

»Gott, Mary, man tut, was man kann!« sagte der Streichholzmann bescheiden. Aber man sah, er war mit sich zufrieden.

In diesem Augenblick blieb der Kellner vor einem weißen Tor stehen, das aussah, als bestünde es aus dicken Kreidebalken.

»Da sind wir«, sagte er. »Hier ist der Ausgang.«

»Leben Sie wohl, und recht schönen Dank«, sagte Mary Poppins und gab ihm die Hand.

»Leben Sie wohl, Madam.« Der Kellner verbeugte sich tief.

Dann nickte er dem Streichholzmann zu, der den Kopf auf die Seite legte und dem Kellner mit einem Auge zublinzelte, womit er ihm auf seine Art Lebewohl sagte. Schließlich trat Mary Poppins durch das weiße Tor, und der Streichholzmann folgte ihr.

Während sie weitergingen, fiel die Feder von ihrem Hut, der seidene Mantel von ihren Schultern und die Diamantschnallen von ihren Schuhen. Der neue Anzug des Streichholzmannes wurde schäbig, und sein Strohhut verwandelte sich wieder in seine alte, speckige Mütze.

Mary Poppins drehte sich nach ihm um und wußte sofort, was geschehen war. Sie blieb stehen und blickte ihn an, eine kleine Ewigkeit lang. Dann durchspähte ihr Blick den Wald nach dem Kellner. Aber der Kellner war nirgends zu sehen. Kein Mensch war in dem Bild, nichts bewegte sich darin. Sogar das Karussell war verschwunden. Geblieben waren nur die stillen Bäume und der Rasen und das regungslose Stückchen Meer.

Aber Mary Poppins und der Streichholzmann lächelten sich an. Sie wußten, was hinter den Bäumen lag ...

Als sie von ihrem Ausgang zurückkehrte, rannten ihr Jane und Michael entgegen.

»Wo warst du?« fragten sie.

»Im Märchenland«, erklärte Mary Poppins.

»Hast du Aschenbrödel gesehen?« erkundigte sich Jane erwartungsvoll.

»Was? Aschenbrödel? Nichts für mich«, sagte Mary Poppins geringschätzig. »Ausgerechnet Aschenbrödel!«

»Oder vielleicht Robinson Crusoe?« fragte Michael.

»Robinson Crusoe — Puh!« Mary Poppins rümpfte die Nase.

»Wie kannst du dann dort gewesen sein? Es war bestimmt nicht unser Märchenland!«

Mary Poppins schnaufte verächtlich.

»Wißt ihr denn nicht, daß jeder sein eigenes Märchenland hat?« fragte sie mitleidig.

Und hochmütig vor sich hinschnüffelnd, ging sie die Treppe hinauf, um die weißen Handschuhe und den Schirm abzulegen.