"Mary Poppins" - читать интересную книгу автора (Трэверс Памела Линдон)

3. Kapitel. Lachgas

»Bist du ganz sicher, daß er daheim ist?« fragte Jane, als sie mit Michael und Mary Poppins aus dem Omnibus stieg.

»Hätte mein Onkel mich gebeten, euch zum Tee mitzubringen, wenn er ausgehen wollte?« sagte Mary Poppins, die über diese Frage sehr beleidigt schien. Sie trug ihren blauen Mantel mit den Silberknöpfen und den dazu passenden blauen Hut, und wenn sie so angezogen war, war es sehr leicht, sie zu beleidigen.

Alle drei waren auf dem Weg, Mister Schopf, Mary Poppins' Onkel, einen Besuch abzustatten. Jane und Michael hatten sich auf diesen Besuch so gefreut, daß sie halb und halb fürchteten, Mister Schopf könnte am Ende doch nicht daheim sein.

»Warum heißt er eigentlich Mister Schopf? — Hat er denn einen?« wollte Michael wissen, während er eifrig neben Mary Poppins herlief.

»Er heißt Mister Schopf, weil das sein Name ist. Und er hat keinen Schopf, sondern eine Glatze«, sagte Mary Poppins. »Und wenn ihr noch mehr Fragen auf Lager habt, so kehren wir gleich wieder um.«

Und sie zog verschnupft die Luft durch die Nase, wie immer, wenn ihr etwas nicht paßte.

Jane und Michael zwinkerten sich heimlich zu. Das hieß: Wir wollen sie nichts mehr fragen, sonst kommen wir nie hin.

Mary Poppins rückte vor dem Tabakladen an der Ecke den Hut zurecht. Der Laden hatte eines jener merkwürdigen Fenster, in denen du dich gleich dreimal siehst, und wenn du lange genug hineinschaust, kommt es dir schließlich vor, als wärst du nicht du selber, sondern ein Haufen fremder Leute. Mary Poppins jedoch seufzte vor Vergnügen, als sie sich dreimal sah, jedesmal im blauen Mantel mit Silberknöpfen und dem dazu passenden Hut. Sie fand den Anblick reizend, sie hätte sich am liebsten ein dutzendmal darin gesehen, wenn nicht gar dreißigmal. Je mehr Mary Poppins, um so besser!

»Kommt weiter«, sagte sie streng, als hätten die beiden sie warten lassen. Dann bogen sie um die Ecke und zogen an der Glocke des Hauses Robertsonstraße Nummer drei. Jane und Michael hörten einen fernen Widerhall und stellten sich vor, in einer Minute — oder höchstens zwei — würden sie bei Mister Schopf, dem Onkel von Mary Poppins, am Teetisch sitzen.

»Natürlich nur, wenn er da ist«, flüsterte Jane Michael zu.

Gleich darauf ging die Tür auf, und eine dünne, blasse Dame erschien.

»Ist er da?« fragte Michael schnell.

»Ich wäre dir dankbar, wenn du das Reden mir überlassen wolltest«, sagte Mary Poppins und warf ihm einen drohenden Blick zu.

»Guten Tag, Mistreß Schopf«, grüßte Jane artig.

»Mistreß Schopf!« begehrte die dünne Dame auf, mit einer Stimme, die noch dünner war als sie selbst. »Was fällt dir ein, mich Mistreß Schopf zu nennen. Nee, danke schön! Ich bin nur Miß Dattelpflaum und stolz darauf. Mistreß Schopf! So was!« Sie schien sehr aufgebracht zu sein, und da dachten die Kinder, Mister Schopf müsse ein recht seltsamer Herr sein, wenn Miß Dattelpflaum solchen Wert darauf legte, nicht Mistreß Schopf zu sein.

»Da hinauf, oben die erste Tür«, sagte Miß Dattelpflaum und verzog sich rasch den Gang hinunter. »Mistreß Schopf — so was!« schimpfte sie dabei mit ihrer hohen, dünnen Stimme vor sich hin.

Jane und Michael folgten Mary Poppins die Treppe hinauf. Oben klopfte sie an die Tür.

»Herein! Herein! Herzlich willkommen!« erklang drinnen eine laute, fröhliche Stimme. Janes Herz klopfte stürmisch vor Aufregung.

Er ist da — bedeutete sie Michael mit einem Blick.

Mary Poppins öffnete die Tür und schob die Kinder vor sich her. Ein großer, freundlicher Raum lag vor ihnen. Links in der Ecke brannte ein helles Kaminfeuer, und in der Mitte stand ein großer Tisch, zum Tee gedeckt: vier Tassen und Teller, Berge von Butterbroten, Kuchen, Kokosnußbrötchen und ein großer Königskuchen mit rosa Zuckerguß.

»Ei, das ist aber eine Freude!« begrüßte sie eine dröhnende Stimme. Jane und Michael blickten umher, um zu entdecken, woher sie kam. Es war niemand zu sehen. Das Zimmer schien leer. Da hörten sie Mary Poppins' ärgerlichen Ausruf:

»Aber Onkel Albert — doch nicht schon wieder! Du hast doch heut nicht Geburtstag.«

Dabei schaute sie zur Decke hinauf. Jane und Michael folgten ihrem Blick und sahen zu ihrer Überraschung einen runden, dicken, kahlköpfigen Mann in der Luft schweben, ohne daß er sich irgendwo festhielt. Wahrhaftig, er saß in der Luft, ein Bein über das andere geschlagen, und hatte die Zeitung, worin er bei ihrem Eintritt noch gelesen, neben sich gelegt.

»Meine Liebe«, sagte Mister Schopf und lächelte zu den Kindern hinunter, während er Mary Poppins schuldbewußt ansah. »Es tut mir leid, aber ich fürchte, ich hab heut Geburtstag!«

»Tz, tz, tz«, machte Mary Poppins.

»Es fiel mir erst heute nacht ein, und mir blieb keine Zeit mehr, eine Postkarte zu schreiben und euch zu bitten, ein andermal zu kommen. Sehr bedauerlich, wie?« Und er blickte zu Jane und Michael hinunter.

»Ihr seid recht erstaunt, wie ich sehe«, stellte er fest. Und wirklich, beiden stand vor Staunen der Mund offen, weit genug, daß Mister Schopf, wäre er ein bißchen kleiner gewesen, leicht hätte hineinfallen können.

»Ich will es euch lieber erklären«, fuhr Mister Schopf in aller Gemütsruhe fort. »Seht ihr, das ist so: Ich bin ein lustiger Mensch und lache gern. Ihr beide werdet kaum glauben, wie vieles auf dieser Welt mir so schrecklich komisch vorkommt. Wirklich, ich muß fast über alles lachen.«

Bei diesen Worten begann Mister Schopf, hin und her zu schau-keln und sich beim Gedanken an seine eigene Lustigkeit vor Lachen zu schütteln.

»Onkel Albert«, rief Mary Poppins, und mit einem Ruck hörte Mister Schopf auf zu lachen.

»Oh, verzeih, meine Liebe. Wo bin ich doch stehengeblieben? Ach ja. Nun, das Sonderbare bei mir ist — schon recht, Mary, ich lach nicht mehr, wenn's irgend geht —, aber jedesmal, wenn mein Geburtstag auf einen Freitag fällt, bin ich ganz aus dem Häuschen. Einfach aus dem Häuschen!«

»Aber warum .. .?« begann Jane.

»Wieso denn ...?« fiel Michael ein.

»Na, seht ihr! Wenn ich an meinem Geburtstag lache, fülle ich mich so mit Lachgas, daß ich mich einfach nicht mehr auf dem Boden halten kann. Selbst wenn ich nur lächle, fängt es schon an. Der erste lustige Gedanke, und ich gehe hoch wie ein Ballon. Und solange ich nicht an etwas Ernstes denken kann, komme ich nicht wieder herunter.« Schon fing Mister Schopf wieder an, höchst vergnügt vor sich hin zu kichern, doch nach einem Blick auf Mary Poppins' Gesicht unterdrückte er sein Lachen und fuhr fort:

»Natürlich ist es peinlich, aber sonst nicht unangenehm. Euch beiden ist so etwas wohl noch nicht passiert?«

Jane und Michael schüttelten den Kopf.

»Nein? Das hab ich mir gedacht. Es scheint eine Spezialität von mir zu sein. Einmal — ich war am Abend im Zirkus gewesen — hab ich so gelacht, daß ich, ob ihr's glaubt oder nicht, ganze zwölf Stunden hier oben bleiben mußte, erst als die Uhr um Mitternacht den letzten Schlag tat, kam ich wieder herunter. Das geschah natürlich mit einem tüchtigen Plumps, denn es war ja nun Samstag und mein Geburtstag vorbei. Findet ihr das nicht merkwürdig? Urkomisch? Wie? Heute ist wieder Freitag und abermals mein Geburtstag. Und gerade heut kommt ihr beiden mit Mary Poppins zu Besuch. O Gott, o Gott, bringt mich bloß nicht zum Lachen, ich bitte euch!«

Aber obwohl Jane und Michael nichts Komisches getan, sondern ihn nur voll Staunen angestarrt hatten, fing Mister Schopf wieder an, laut zu prusten. Dabei sprang und tanzte er in der Luft herum, schwenkte die Zeitung in der Hand, und die Brille rutschte ihm von der Nase.

Es sah so lächerlich aus, wie er da in der Luft herumhopste, ein riesiger Luftballon, wobei er manchmal nach der Decke und manchmal im Vorbeistreifen nach der Gaslampe griff, daß Jane und Michael, wenn sie auch krampfhaft versuchten, artig zu sein, einfach nichts anderes tun konnten, als was sie taten. Sie lachten. Und wie lachten sie! Sie preßten mit aller Macht ihre Lippen zusammen, um nicht herauszuplatzen, aber umsonst. Schließlich wälzten sich beide auf dem Fußboden und schrien und quietschten vor Lachen.

»Unerhört!« sagte Mary Poppins. »So ein Benehmen . . .!«

»Ich kann nichts dafür, ich kann nichts dafür!« ächzte Michael und rollte dabei ans Kamingitter. »Es ist so schrecklich komisch. O Jane, ist es nicht komisch?«

Jane antwortete nicht, denn mit ihr geschah etwas Merkwürdiges. Beim Lachen spürte sie, wie sie immer leichter wurde, als werde sie mit Luft vollgepumpt. Es war ein höchst seltsames und dabei köstliches Gefühl, das sie immer mehr zum Lachen brachte. Plötzlich gab es einen tüchtigen Ruck, und sie spürte, wie sie in die Luft stieg. Verblüfft sah Michael sie durchs Zimmer schweben. Mit einem kleinen Bums stieß ihr Kopf an die Decke, und dann schwebte sie an ihr entlang, bis sie bei Mister Schopf landete.

»Hoppla!« sagte der und sah ganz überrascht aus. »Erzähl mir bloß nicht, du hättest heute auch Geburtstag.« Jane schüttelte den Kopf.

»Also nicht? Dann muß das Lachgas ansteckend sein. He — halt, aufgepaßt! Der Kaminsims!« Das galt Michael, der sich plötzlich vom Boden gelöst hatte, und nun, brüllend vor Lachen, durch die Luft schoß. Ums Haar hätte er beim Vorbeistreifen die Porzellanfiguren vom Kaminsims gefegt. Mit einem Schwupp landete er direkt auf Mister Schopfs Knie.

»Willkommen!« sagte der und schüttelte Michael herzlich die Hand. »Das finde ich wirklich nett von dir, wirklich sehr nett, daß du zu mir heraufkommst, da ich nicht zu dir hinunter kann

— wie?« Dann blickten er und Michael einander an, warfen den Kopf zurück und schrien vor Lachen.

»Du denkst sicher, ich hätte die schlechtesten Manieren der Welt«, sagte Mister Schopf zu Jane und wischte sich die Augen. »Aber du stehst ja immer noch und solltest schon längst sitzen

— eine so hübsche, junge Dame wie du. Leider kann ich dir hier oben keinen Stuhl anbieten, doch ich hoffe, du sitzt auch auf der Luft ganz bequem. So wie ich.«

Jane versuchte es und fand, daß es sich hier in der Luft ganz behaglich sitzen ließ. Sie nahm ihren Hut ab und legte ihn neben sich. Auch er schwebte ohne jeden Halt frei im Raum.

»So ist's recht«, sagte Mister Schopf. Dann wandte er sich um und schaute zu Mary Poppins hinunter.

»Hallo, Mary, wir sind untergebracht. Nun kann ich mich endlich um dich kümmern, meine Liebe. Ich möchte dir sagen, es macht mich sehr glücklich, dich und meine beiden jungen Freunde hier zu begrüßen — warum blickst du so finster drein, Mary? Ich glaube gar, du bist nicht ganz einverstanden mit — hm, mit alledem?«

Er deutete auf Jane und Michael und sagte schnell: »Sei nicht bös, liebe Mary! Du weißt doch, wie das mit mir ist. Ich muß sagen, mir ist nie der Gedanke gekommen, meine beiden jungen Freunde hier könnten angesteckt werden. Nicht im Traum, Mary! Ich hätte sie wohl doch besser an einem anderen Tag eingeladen oder versuchen sollen, an etwas recht Trauriges zu denken oder an etwas ...«

»Ich muß gestehen«, sagte Mary Poppins steif, »so etwas ist mir in meinem Leben noch nicht begegnet! Und in deinem Alter, Onkel...«

»Mary Poppins, Mary Poppins«, fiel Michael ein. »Bitte, komm herauf! Denk doch an irgend etwas Lustiges, dann ist es ganz leicht.«

»Ja, komm nur, Mary!« versuchte Mister Schopf sie zu überreden.

»Hier oben sind wir so allein ohne dich«, rief Jane und streckte Mary Poppins die Arme entgegen. »Denk doch an etwas Lustiges.«

»Oh, sie hat das gar nicht nötig«, seufzte Mister Schopf. »Sie kann jederzeit heraufkommen, sie braucht nicht einmal zu lachen, und das weiß sie auch.«

Er betrachtete Mary Poppins, wie sie da unten am Kamin stand, mit einem rätselhaften und heimlichen Blick.

»Na schön«, sagte sie endlich, »es ist zwar recht albern und würdelos, aber da ihr schon da oben seid und wie's scheint, nicht mehr herunter könnt, ist es wohl besser, ich komme auch hinauf.«

Sprach's, legte die Hände an die Seite und schwebte, zur Überraschung von Jane und Michael, ohne jedes Lachen, ja ohne den Schimmer eines Lächelns, durch die Luft und setzte sich neben Jane. »Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst deinen Mantel ausziehen, wenn du ins warme Zimmer kommst«, sagte sie kühl, knöpfte Jane den Mantel auf und legte ihn ordentlich neben den Hut in die Luft.

»Recht so, Mary! So ist's recht«, sagte Mister Schopf befriedigt, während er sich selbst hinunterbeugte und seine Brille auf den Kaminsims legte. »Nun haben wir es uns endlich bequem gemacht... «

»Es gibt so eine Bequemlichkeit und so eine!« erklärte Mary Poppins und zog geringschätzig die Luft durch die Nase.

»Nun können wir endlich Tee trinken«, fuhr Mister Schopf fort und tat, als habe er ihre Bemerkung gar nicht gehört. Aber plötzlich machte er ein bestürztes Gesicht.

»Du meine Güte!« rief er, »wie schrecklich! Jetzt fällt es mir erst ein — der Tisch steht dort unten, und wir sind hier oben. Was machen wir? Wir hier — und er dort! Das ist ja eine Tragödie — eine ganz schreckliche! Aber ach, es ist trotzdem so komisch!« Er hielt sich das Taschentuch vors Gesicht und prustete hinein.

Obwohl Jane und Michael nur ungern auf Kuchen und Törtchen verzichteten, mußten sie mitlachen, so ansteckend wirkte Mister Schopfs Heiterkeit.

Er trocknete sich die Augen.

»Da gibt es nur eins«, sagte er. »Wir müssen an etwas Ernsthaftes denken. An etwas Trauriges, etwas sehr Trauriges. Nur so kommen wir wieder hinunter. Achtung! — eins, zwei, drei! An etwas sehr Trauriges, wenn ich bitten darf!«

Sie dachten und dachten, das Kinn in die Hand gestützt.

Michael dachte an die Schule und daran, daß er eines Tages würde hingehen müssen. Aber selbst das schien ihm heute ein Spaß, und er mußte lachen.

Jane dachte: In vierzehn Jahren bin ich erwachsen. Aber das kam ihr keineswegs traurig vor, eher schön und beinahe lustig. Unwillkürlich mußte sie lachen bei der Vorstellung, sie wäre eine erwachsene Jane mit langen Röcken und einer Handtasche.

»Da war doch die arme, alte Tante Emilie«, dachte Mister Schopf laut. »Sie wurde von einem Omnibus überfahren. Traurig! Wirklich traurig! Schrecklich traurig! Arme Tante Emilie! Aber ihr Regenschirm wurde gerettet. Ist das nicht komisch?« Und ehe er sich's versah, krümmte und schüttelte er sich vor Lachen und prustete los beim Gedanken an Tante Emilies Regenschirm.

»Das führt zu nichts!« rief er und putzte sich die Nase. »Ich geb's auf. Und meine jungen Freunde hier verstehen sich, scheint es, auch nicht besser aufs Traurigsein als ich. Mary, kannst du nicht helfen? Wir möchten so gern unsern Tee trinken.«

Noch heute wissen Jane und Michael nicht recht, was dann geschah. Genau wissen sie nur eins: Als sich Mister Schopf an Mary Poppins um Hilfe gewandt hatte, begann plötzlich der Tisch unten auf seinen Beinen hin und her zu wackeln. Gleich darauf schwankte er beängstigend. Und dann kam der ganze Tisch unter dem Klirren des Porzellans durchs Zimmer gesegelt, wobei die Kuchen von den Platten herunter aufs Tischtuch rutschten. Mit einer graziösen Wendung landete der Tisch vor ihnen, und zwar so, daß Mister Schopf jetzt obenan saß.



»Bist ein gutes Mädchen!« Stolz lächelte er seiner Nichte zu. »Ich wußte, du schaffst es. Möchtest du dich nun ans andere Ende setzen und uns einschenken, Mary? Und unsere Gäste rechts und links von mir? So ist's schön«, sagte er lächelnd, als Michael durch die Luft rannte und sich rechts neben ihn setzte. Jane kam an seine linke Seite. Und nun saßen sie alle miteinander oben in der Luft, den Tisch zwischen sich. Nicht ein einziges Butterbrot, ja nicht einmal ein Zuckerstückchen war verlorengegangen.

Mister Schopf schmunzelte befriedigt.

»Zwar ist es wohl üblich, mit Brot und Butter anzufangen«, sagte er zu Jane und Michael, »aber da heut mein Geburtstag ist, wollen wir es umgekehrt machen — was ich schon immer für richtiger hielt. Zuerst also der Kuchen!«

Er schnitt für jeden ein mächtiges Stück ab.

»Noch etwas Tee?« fragte er Jane. Aber ehe sie noch antworten konnte, kam unten von der Tür her ein kurzes, scharfes Klopfen.

»Herein!« rief Mister Schopf.

Die Tür ging auf. Da stand Miß Dattelpflaum und brachte auf einem Tablett eine Kanne mit heißem Wasser.

»Ich dachte mir, Mister Schopf«, begann sie und schaute sich suchend im Zimmer um, »daß Sie sicher noch heißes Wasser . .. Nein, so etwas! Noch nie habe ich...«, stammelte sie, als sie die Gesellschaft in der Luft sitzen sah. »Solch ein Benehmen ist mir noch nie vorgekommen! Mein Lebtag hab ich so was nicht gesehen! Ich hab Sie ja schon immer für ein bißchen verrückt gehalten, Mister Schopf! Aber ich habe ein Auge zugedrückt, weil Sie Ihre Miete bisher stets pünktlich bezahlt haben. Aber so ein Benehmen — mit seinen Gästen in der Luft Tee zu trinken —, Mister Schopf — mein Herr, ich muß mich sehr über Sie wundern, das schickt sich doch nicht für einen Herrn Ihres Alters — noch nie hab ich ...«

»Aber vielleicht werden Sie, Miß Dattelpflaum«, sagte Michael.

»Werde ich was?« fragte Miß Dattelpflaum hochmütig.

»Mit Lachgas angesteckt, so wie wir«, sagte Michael.

Miß Dattelpflaum warf zornig den Kopf in den Nacken.

»Junger Mann«, erwiderte sie scharf, »ich hoffe doch, ich habe vor mir selbst zuviel Respekt, um wie ein Gummiball durch die Luft zu hopsen! Nein, danke bestens, ich bleibe fest auf meinen Füßen stehen, oder ich will nicht mehr Malchen Dattelpflaum heißen, und... Ach, du liebes Bißchen, Allmächtiger! Was ist denn nun los? Ich kann mich ja nicht mehr auf den Füßen halten, es hebt mich hoch — ich — Hilfe, Hilfe!«

Ganz gegen ihren Willen hatte Miß Dattelpflaum den Boden verloren und taumelte durch die Luft. Wie ein Fäßchen rollte sie von einer Seite zur andern und balancierte dabei das Tablett in der Hand. Sie weinte fast vor Zorn, als sie den Tisch erreichte und die Kanne mit heißem Wasser hinsetzte.

»Danke schön!« sagte Mary Poppins ruhig und sehr höflich.

Dann drehte sich Miß Dattelpflaum um und schwebte wieder zur Erde. »So etwas Merkwürdiges — und das mir, einer anständigen, hochachtbaren Frau! Ich muß gleich zu Doktor . ..«, hörten die anderen sie vor sich hin murmeln.

Als sie wieder festen Boden berührte, rannte sie schleunigst aus dem Zimmer, händeringend und ohne einen Blick nach rückwärts zu werfen.

»So etwas Unwürdiges!« ertönte ihre jammernde Stimme noch durch die geschlossene Tür.

»Jetzt kann sie nicht mehr Malchen Dattelpflaum heißen, denn sie blieb nicht fest auf ihren Füßen stehen«, wisperte Jane Michael zu.

Mister Schopf aber schaute nur Mary Poppins an. Sein Blick war merkwürdig, halb belustigt, halb vorwurfsvoll.

»Mary, Mary! Das hättest du nicht — du lieber Himmel, das hättest du nicht tun sollen, Mary. Das wird die arme, alte Frau nie verwinden. Aber, mein Gott, hat sie nicht komisch ausgesehen, wie sie so durch die Luft taumelte? War das nicht verdammt komisch?«

Er, Jane und Michael konnten sich nicht länger beherrschen. Sie wälzten sich keuchend in der Luft herum und hielten sich die Seiten vor Lachen, weil Miß Dattelpflaum gar so komisch ausgesehen hatte.

»Du liebe Güte!« rief Michael. »Bringt mich nicht noch mehr zum Lachen. Ich halt's nicht mehr aus. Ich platze!«

»Oh, oh, oh!« Jane schnappte nach Luft und drückte die Hand aufs Herz.

»Allmächtiger!« keuchte Mister Schopf und tupfte sich die Augen mit dem Rockzipfel, weil er sein Taschentuch nicht finden konnte.

»Es wird Zeit, daß wir nach Hause gehen«, schmetterte Mary Poppins' Stimme wie eine Trompete durch das Gelächter.

Und plötzlich, mit einem Ruck, kamen Jane, Michael und Mister Schopf von der Decke herunter. Der Gedanke ans Nachhausegehen löste in ihnen die erste traurige Empfindung dieses Nachmittags aus. Und sobald er auftauchte, war das Lachgas wie weggeblasen.

Jane und Michael seufzten aus Herzensgrund, während sie zusahen, wie Mary Poppins langsam durch die Luft herabschwebte. Janes Hut und Mantel brachte sie mit.

Auch Mister Schopf seufzte tief.

»Wie schade«, sagte er ernüchtert. »Das ist aber traurig, daß ihr schon heimgehen müßt! Noch nie hat mir ein Nachmittag so gut gefallen — euch auch?«

»Noch nie!« sagte Michael düster. Es machte ihm gar keinen Spaß, wieder auf der Erde zu stehen und kein Lachgas mehr in sich zu haben.

»Nie, nie!« beteuerte Jane, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab Mister Schopf einen Kuß auf die runzlige Backe. »Noch nie, nie, nie!«

Auf der Heimfahrt im Bus saß jeder auf einer Seite von Mary Poppins. Sie waren beide sehr still und genossen noch in der Erinnerung den wunderbaren Nachmittag. Schließlich wandte sich Michael schläfrig an Mary Poppins:

»Macht dein Onkel oft so was?«

»Was macht er?« fragte Mary Poppins streng, als hätte Michael absichtlich etwas Beleidigendes gesagt.

»Nun — das Hüpfen und Springen und Lachen und in die Luft hochgehen.«

»In die Luft hoch?« Mary Poppins Stimme klang sehr hochmütig und ärgerlich. »Was willst du damit sagen, bitte, mit dem gt;in die Luft hochgehenlt;?«

Jane versuchte es zu erklären.

»Michael meint — ob dein Onkel oft voller Lachgas ist, und ob er oft an der Decke umherrollt und hüpft, wenn . . .«

»Umherrollt — und hüpft! Was für ein Einfall! An der Decke umherrollen und hüpfen! Ich muß mich für dich schämen, daß du dir so etwas einfallen läßt.« Offensichtlich war Mary Poppins sehr beleidigt.

»Aber er hat es doch getan!« sagte Michael. »Wir haben es doch alle gesehn.«

»Was? Umherrollen und Hüpfen? Was fällt dir ein? Du weißt doch hoffentlich, daß mein Onkel ein anständiger, hochgeachteter Mann ist, der sich ehrlich durchs Leben bringt. Sprich gefälligst mit Respekt von ihm. Und kaue nicht auf deinem Billett herum! Umherrollen und Hüpfen! Was für eine Idee!«

Michael und Jane blickten, an Mary Poppins vorbei, einander verständnisvoll in die Augen. Sie hielten den Mund, denn sie hatten schon gelernt, daß es besser war, Mary Poppins nicht zu widersprechen, auch wenn ihnen manches sehr merkwürdig vorkam.

Daher hieß der Blick, den sie tauschten: Ist es nun wahr oder nicht? Das mit Mister Schopf? Wer hat recht, Mary Poppins oder wir?

Aber niemand war da, der es ihnen hätte sagen können.

Der Omnibus ratterte weiter, wild schaukelnd und rollend.

Mary Poppins saß zwischen ihnen, beleidigt und schweigsam. Bald darauf wurden sie müde, drängten sich näher heran, schmiegten sich an sie und fielen, noch immer voller Verwunderung, in Schlaf.