"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Bathildas Geheimnis

»Wart mal, Harry.«

»Was gibt's?«

Sie waren nicht weiter als bis zum Grab des unbekannten Abbott gekommen.

»Da ist jemand. Wir werden beobachtet. Ich weiß es. Dort drüben, bei den Büschen.«

Einander festhaltend, standen sie völlig reglos da und starrten auf die dicht bewachsene schwarze Friedhofsbegrenzung. Harry konnte nichts erkennen.

»Bist du sicher?«

»Ich hab gesehen, wie sich was bewegt hat, ich könnte schwören ...«

Sie löste sich von ihm, um die Hand für den Zauberstab frei zu haben.

»Wir sehen aus wie Muggel«, erinnerte Harry sie.

»Muggel, die gerade Blumen auf das Grab deiner Eltern gelegt haben!

Harry, ich bin sicher, da drüben ist jemand!«

Harry fiel ein, was in der Geschichte der Zauberei stand; angeblich spukte es auf dem Friedhof: Was wäre, wenn -? Doch dann hörte er ein Rascheln und sah an dem Busch, auf den Hermine gezeigt hatte, ein wenig Schnee herunterrieseln. Geister konnten keinen Schnee bewegen.

»Das ist eine Katze«, sagte Harry nach einigen Sekunden, »oder ein Vogel. Wenn es ein Todesser wäre, dann wären wir längst tot. Aber lass uns von hier verschwinden, und dann ziehen wir auch wieder den Tarnumhang über.«

Sie warfen dauernd Blicke zurück, während sie zum Ausgang des Friedhofs gingen. Harry, der keineswegs so unbefangen war, wie er Hermine gegenüber getan hatte, um sie zu beruhigen, war froh, als sie das Tor und den rutschigen Bürgersteig erreicht hatten. Sie hüllten sich wieder in den Tarnumhang. Im Pub war mehr los als zuvor: Vielstimmig erklang nun das "Weihnachtslied, das sie gehört hatten, als sie auf die Kirche zugegangen waren. Harry überlegte kurz vorzuschlagen, dass sie Zuflucht in dem Pub suchen sollten, doch bevor er etwas sagen konnte, murmelte Hermine: »Lass uns hier langgehen«, und zog ihn eine dunkle Straße entlang, die auf der anderen Seite wieder aus dem Dorf hinausführte. Harry konnte erkennen, wo die Häuser aufhörten und der Weg sich im offenen Gelände verlor. Sie gingen, so schnell sie sich trauten, wieder an Fenstern vorbei, in denen bunte Lichter funkelten und hinter deren Vorhängen sich dunkle Umrisse von Weihnachtsbäumen abzeichneten.

»Wie sollen wir Bathildas Haus denn finden?«, fragte Hermine, die ein wenig zitterte und ständig über ihre Schulter zurückblickte. »Harry? Was meinst du? Harry?«

Sie zerrte an seinem Ärmel, aber Harry achtete nicht darauf. Er schaute auf das dunkle Gebilde, das ganz am Ende dieser Häuserzeile stand. Dann rannte er auch schon los und zog Hermine mit sich; sie rutschte ein wenig auf dem Eis.

»Harry -«

»Schau mal – schau mal da, Hermine ...«

»Ich weiß nicht ... oh!«

Er konnte es sehen; der Fidelius-Zauber musste mit James und Lily untergegangen sein. Die Hecke war wild gewuchert in den sechzehn Jahren, seit Hagrid Harry aus den Trümmern geholt hatte, die in dem hüfthohen Gras verstreut lagen. Zum größten Teil stand das Haus noch, wenn auch über und über mit dunklem Efeu und Schnee bedeckt, doch die rechte Seite der oberen Etage war weggesprengt worden; dort, da war Harry sicher, war der Fluch fehlgeschlagen. Er und Hermine standen am Tor und starrten hinauf zu dem zerstörten Haus, das einst vermutlich genauso ausgesehen hatte wie die anderen Häuser zu beiden Seiten.

»Warum es wohl nie wieder aufgebaut wurde?«, flüsterte Hermine.

»Vielleicht kann man es nicht wieder aufbauen?«, antwortete Harry.

»Vielleicht ist es wie bei den Verletzungen durch schwarze Magie und man kann den Schaden nicht reparieren?«

Er schob eine Hand unter dem Tarnumhang hervor und griff nach dem schneebedeckten und stark verrosteten Tor, ohne es öffnen zu wollen, nur um etwas von dem Haus festzuhalten.

»Du gehst doch nicht da rein? Es sieht gefährlich aus, da könnte – oh, Harry, sieh mal!«

Das Berühren des Tores schien es ausgelöst zu haben. Ein Schild war vor ihnen aus dem Boden gestiegen, durch das Gestrüpp von Nesseln und Unkraut empor, wie eine ungewöhnliche, schnell wachsende Blume, und auf dem Holz stand in goldenen Buchstaben:

An dieser Stelle verloren in der Nacht des 31. Oktober 1981

Uly und James Potter ihr Leben.

Ihr Sohn Harry ist bis heute der einzige Zauberer, der jemals den Todesfluch überlebt hat.

Dieses Haus, für Muggel unsichtbar,

wurde in seinem zerstörten Zustand belassen

zum Gedenken an die Potters

und zur Erinnerung an die Gewalt,

die ihre Familie zerriss.

Und rings um diese sauber gesetzten Worte waren von anderen Hexen und Zauberern Kritzeleien hinzugefügt worden, die gekommen waren, um den Ort zu sehen, wo der Junge, der überlebt hat, entronnen war. Manche hatten nur ihre Namen mit Ewiger Tinte hingeschrieben; andere hatten ihre Initialen in das Holz geschnitzt, wieder andere hatten Botschaften hinterlassen. Die neuesten stachen deutlich unter den in sechzehn Jahren angesammelten magischen Graffiti hervor und lauteten alle ähnlich.

»Viel Glück, Harry, wo auch immer du bist.« »Wenn du das hier liest, Harry: Wir stehen alle hinter dir!« »Lang lebe Harry Potter.«

»Sie hätten nicht auf das Schild schreiben sollen!«, sagte Hermine entrüstet.

Aber Harry strahlte sie an.

»Das ist toll. Ich bin froh, dass sie es gemacht haben. Ich ...«

Er hielt inne. Eine dick eingemummelte Gestalt kam die Straße entlang auf sie zugehumpelt, ihr Umriss hob sich vor den hellen Lichtern des fernen Platzes ab. Harry glaubte die Gestalt einer Frau zu erkennen, auch wenn es schwer zu beurteilen war. Sie bewegte sich langsam, vielleicht aus Angst, auf dem schneebedeckten Boden auszurutschen. Ihre gebeugte Haltung, ihr rundlicher Körper, ihr schlurfender Gang vermittelten den Eindruck von sehr hohem Alter. Sie beobachteten schweigend, wie sie näher kam. Harry wartete, ob sie vielleicht in eines der Häuser hineingehen würde, an denen sie vorüberkam, doch instinktiv wusste er, dass sie es nicht tun würde. Schließlich blieb sie einige Meter vor ihnen stehen und verharrte einfach, zu ihnen gewandt, mitten auf der vereisten Straße.

Dass Hermine ihn in den Arm kniff, wäre gar nicht nötig gewesen. Es war praktisch unmöglich, dass diese Frau ein Muggel war: Sie stand da und starrte auf ein Haus, das sie gar nicht sehen könnte, wenn sie keine Hexe wäre. Doch selbst wenn man davon ausging, dass sie eine war, verhielt sie sich seltsam, wenn sie in einer so kalten Nacht herauskam, nur um ein altes zerstörtes Haus zu betrachten. Zudem durfte sie nach allen Regeln gewöhnlicher Magie eigentlich nicht in der Lage sein, Hermine und ihn überhaupt zu sehen. Dennoch hatte Harry das äußerst merkwürdige Gefühl, dass sie wusste, dass sie hier waren, und auch, wer sie waren. Gerade als er zu diesem beunruhigenden Schluss gelangt war, hob sie eine Hand, die in einem Handschuh steckte, und winkte.

Hermine rückte unter dem Tarnumhang näher zu Harry hin, ihr Arm war an seinen gedrückt.

»Woher weiß sie das?«

Er schüttelte den Kopf. Die Frau winkte erneut, jetzt energischer. Harry fielen etliche Gründe ein, dieser Aufforderung nicht nachzukommen, und doch wurde sein Verdacht, wer sie war, mit jeder Sekunde stärker, die sie einander in der verlassenen Straße gegenüberstanden.

War es möglich, dass sie all diese langen Monate auf sie gewartet hatte?

Dass Dumbledore ihr aufgetragen hatte zu warten, da Harry am Ende kommen würde? War es womöglich sie gewesen, die sich in den Schatten des Friedhofs bewegt hatte und ihnen bis hierher gefolgt war? Sogar ihre Fähigkeit, sie zu spüren, ließ eine gewisse dumbledoresche Kraft vermuten, der er nirgendwo sonst begegnet war.

Als Harry schließlich das Wort ergriff, stockte Hermine der Atem, und sie zuckte zusammen.

»Sind Sie Bathilda?«

Die eingemummelte Gestalt nickte und winkte erneut.

Harry und Hermine sahen sich unter dem Tarnumhang an. Harry zog die Brauen hoch; Hermine nickte kurz und nervös.

Sie gingen auf die Frau zu, worauf sie sich augenblicklich umdrehte und die Straße zurückhumpelte, auf der sie gekommen waren. Sie führte sie an einigen Häusern vorbei und bog schließlich bei einem Tor ab. Sie folgten ihr auf dem kleinen Weg durch den Vorgarten, der fast so überwuchert war wie der, bei dem sie eben gewesen waren. An der Haustür fummelte sie einen Moment fahrig mit einem Schlüssel herum, dann öffnete sie und trat beiseite, um sie vorbeigehen zu lassen.

Sie roch übel, vielleicht war es auch ihr Haus: Harry rümpfte die Nase, als sie sich an ihr vorbeizwängten, und zog den Tarnumhang herunter. Nun, da er neben ihr stand, fiel ihm auf, wie klein sie war; vom Alter gebeugt, reichte sie ihm kaum bis zur Brust. Sie schloss die Tür hinter ihnen, und ihre bläulichen und gefleckten Fingerknöchel hoben sich von dem abblätternden Anstrich ab, dann wandte sie sich um und spähte in Harrys Gesicht. Ihre Augen waren trüb vom grauen Star und tief versunken in Falten aus pergamentdünner Haut, und ihr ganzes Gesicht war übersät von geplatzten Äderchen und Leberflecken. Er fragte sich, ob sie ihn überhaupt wahrnehmen konnte; und selbst wenn, dann würde sie den Muggel mit dem schütteren Haar sehen, dessen Identität er gestohlen hatte.

Der Geruch von Alter, von Staub, von ungewaschenen Kleidern und verdorbenem Essen wurde stärker, als sie ihren mottenzerfressenen schwarzen Schal abnahm und ihr Kopf mit dem spärlichen weißen Haar zum Vorschein kam, durch das man die Kopfhaut deutlich sehen konnte.

»Bathilda?«, wiederholte Harry.

Sie nickte erneut. Das Medaillon auf Harrys Haut machte sich nun bemerkbar; das Ding darin, das manchmal tickte oder schlug, war aufgewacht; er spürte durch das kalte Gold hindurch, wie es pulsierte.

Wusste es, konnte es fühlen, dass das Etwas, das es zerstören würde, in der Nähe war?

Bathilda schlurfte an ihnen vorbei, schob Hermine beiseite, als hätte sie sie nicht gesehen, und verschwand in einer Art Wohnzimmer.

»Harry, ich weiß nicht so recht«, hauchte Hermine.

»Schau mal, wie klein die ist; ich glaube, wir könnten mit ihr fertig werden, wenn es nötig wäre«, sagte Harry. »Hör zu, ich hätte es dir sagen sollen, ich wusste, dass sie nicht mehr alle beisammenhat. Muriel hat sie

gt;plemplemlt; genannt.«

»Komm!«, rief Bathilda aus dem Zimmer nebenan.

Hermine zuckte zusammen und klammerte sich an Harrys Arm.

»Schon gut«, sagte Harry beruhigend und ging voraus ins Wohnzimmer.

Bathilda wankte im Raum umher und zündete Kerzen an, doch es war nach wie vor sehr dunkel, und abgesehen davon äußerst schmutzig. Dicker Staub knirschte unter ihren Füßen, und Harrys Nase nahm in dem widerwärtigen und modrigen Geruch noch etwas Schlimmeres wahr, vielleicht schlecht gewordenes Fleisch. Er fragte sich, wann zum letzten Mal jemand in Bathildas Haus gewesen war, um nachzusehen, ob sie zurechtkam. Sie schien auch vergessen zu haben, dass sie zaubern konnte, denn sie zündete die Kerzen unbeholfen von Hand an, und ihr herunterhängender, mit Spitze besetzter Ärmelsaum war ständig in Gefahr, Feuer zu fangen.

»Das kann ich übernehmen«, bot Harry an und nahm ihr die Streichhölzer ab. Sie stand da und sah ihm zu, während er die restlichen Kerzenstummel entzündete, die auf Untertassen überall im Zimmer herumstanden, wacklig auf Bücherstapel gestellt und auf Serviertischchen voll zersprungener und verschimmelter Tassen.

Die letzte Fläche, auf der Harry eine Kerze entdeckte, war eine gewölbte Kommode, auf der eine Vielzahl von Fotografien stand. Als die Flamme aufflackerte, waberte ihr Widerschein über die verstaubten Deckgläser und Silberrahmen. Er sah ein paar schwache Bewegungen auf den Bildern. Während Bathilda mit Holzscheiten für das Feuer hantierte, murmelte er: »Tergeo.« Der Staub verschwand von den Fotos, und er sah sofort, dass in den größten und schmuckvollsten Rahmen ein halbes Dutzend davon fehlten. Er fragte sich, ob Bathilda oder jemand anders sie herausgenommen hatte. Dann fiel ihm ein Foto ziemlich weit hinten in der Sammlung ins Auge und er griff rasch danach.

Es war der Dieb mit dem goldenen Haar und dem fröhlichen Gesicht, der junge Mann, der auf Gregorowitschs Fensterbank gehockt hatte, der da gelassen aus dem Silberrahmen zu Harry hochlächelte. Und im selben Moment fiel Harry ein, wo er den Jungen schon einmal gesehen hatte: in Leben und Lügen des Albus Dumbledore, Arm in Arm mit dem Dumbledore im Teenageralter, und dort mussten auch all die fehlenden Fotos sein: in Ritas Buch.

»Mrs – Miss – Bagshot?«, sagte er und seine Stimme zitterte leicht.

»Wer ist das?«

Bathilda stand mitten im Zimmer und sah zu, wie Hermine das Feuer für sie entfachte.

»Miss Bagshot?«, wiederholte Harry und ging nun mit dem Bild in der Hand auf sie zu, während die Flammen im Kamin aufloderten. Bathilda blickte auf, als sie seine Stimme hörte, und der Horkrux an seiner Brust pochte schneller.

»Wer ist das?«, fragte Harry und hielt ihr das Bild entgegen.

Sie sah es mit ernster Miene an, dann blickte sie wieder auf zu Harry.

»Wissen Sie, wer das ist?«, wiederholte er mit einer viel langsameren und lauteren Stimme als gewöhnlich. »Dieser Mann? Kennen Sie ihn? Wie heißt er?«

Bathilda blickte nur ausdruckslos. Harry war furchtbar enttäuscht. Wie hatte Rita Kimmkorn es geschafft, Bathildas Erinnerungen wachzurufen?

»Wer ist dieser Mann?«, wiederholte er laut.

»Harry, was machst du denn?«, fragte Hermine.

»Dieses Bild, Hermine, das ist der Dieb, der Dieb, der Gregorowitsch bestohlen hat! Bitte!«, sagte er zu Bathilda. »Wer ist das?«

Aber sie starrte ihn nur an.

»Warum haben Sie uns gebeten, mitzukommen, Mrs – Miss Bagshot?«, fragte Hermine mit nun ebenfalls erhobener Stimme. »Gab es etwas, das Sie uns erzählen wollten?«

Bathilda war nicht anzumerken, ob sie Hermine gehört hatte, sie schlurfte jetzt einige Schritte auf Harry zu. Sie zuckte kurz mit dem Kopf und blickte zurück in den Flur.

»Sie wollen, dass wir gehen?«, fragte er.

Sie wiederholte die Bewegungen, diesmal jedoch deutete sie zuerst auf ihn, dann auf sich, und dann zur Decke.

» Oh, verstehe ... Hermine, ich glaube, sie will, dass ich mit ihr nach oben gehe.«

»Na schön«, sagte Hermine, »gehen wir.«

Aber als Hermine sich aufmachen wollte, schüttelte Bathilda überraschend energisch den Kopf und deutete wieder zuerst auf Harry und dann auf sich.

»Sie will, dass nur ich mitkomme.«

»Warum?«, fragte Hermine, und ihre Stimme tönte scharf und klar durch den von Kerzen beleuchteten Raum; die alte Dame schüttelte leicht den Kopf bei dem Lärm.

»Vielleicht hat Dumbledore ihr gesagt, dass sie mir das Schwert geben soll, mir allein?«

»Meinst du wirklich, sie weiß, wer du bist?«

»Ja«, sagte Harry und blickte hinab in die milchigen Augen, die auf seine eigenen gerichtet waren, »ich glaube schon.«

»Also gut, aber beeil dich, Harry.«

»Gehen Sie voraus«, sagte Harry zu Bathilda.

Sie schien zu verstehen, denn sie schlurfte um ihn herum auf die Tür zu.

Harry drehte sich mit einem beruhigenden Lächeln zu Hermine um, aber er war nicht sicher, ob sie es gesehen hatte; sie stand, die Arme um sich geschlungen, mitten in dem von Kerzen beschienenen Elend und sah zum Bücherschrank hinüber. Als Harry aus dem Zimmer ging, ließ er, ohne dass Hermine oder Bathilda es merkten, das silbern gerahmte Foto des unbekannten Diebs in seine Jacke gleiten.

Die Treppe war steil und schmal: Harry hätte der rundlichen Bathilda am liebsten die Hände auf den Hintern gelegt, damit sie nicht rückwärts auf ihn stürzte, was durchaus passieren konnte. Langsam und ein wenig keuchend stieg sie zum oberen Treppenabsatz empor, wandte sich dann gleich nach rechts und führte ihn in ein niedriges Schlafzimmer.

Es war stockdunkel und stank fürchterlich: Harry hatte gerade noch einen Nachttopf unter dem Bett hervorlugen sehen, ehe Bathilda die Tür schloss und selbst dieser von der Dunkelheit verschluckt wurde.

»Lumos«, sagte Harry und sein Zauberstab flammte auf. Er fuhr zusammen: Bathilda war in diesen wenigen dunklen Sekunden dicht an ihn herangetreten, ohne dass er sie gehört hatte.

»Du bist Potter?«, flüsterte sie.

»Ja, der bin ich.«

Sie nickte langsam und ernst. Harry spürte den Horkrux schnell schlagen, schneller als sein eigenes Herz: Es war ein unangenehmes, aufwühlendes Gefühl.

»Haben Sie etwas für mich?«, fragte Harry, doch sie schien von der leuchtenden Spitze seines Zauberstabs abgelenkt.

»Haben Sie etwas für mich?«, wiederholte er.

Dann schloss sie die Augen und es passierten mehrere Dinge zugleich: Harrys Narbe kribbelte schmerzhaft; der Horkrux zuckte so heftig, dass sich sein Pulli vorne tatsächlich bewegte; das dunkle, stinkende Zimmer löste sich einen Augenblick lang auf. Er verspürte jähe Freude und sprach mit hoher, kalter Stimme: Halt ihn fest!

Harry schwankte auf der Stelle: Das dunkle, übel riechende Zimmer schien sich wieder um ihn zu schließen; er wusste nicht, was gerade passiert war.

»Haben Sie etwas für mich?«, fragte er ein drittes Mal, viel lauter.

»Hier drüben«, flüsterte sie und deutete in eine Ecke. Harry hob seinen Zauberstab und sah die Konturen eines überhäuften Frisiertischs unter den zugezogenen Vorhängen eines Fensters.

Diesmal ging sie nicht voraus. Harry drängte sich mit erhobenem Zauberstab zwischen ihr und dem ungemachten Bett hindurch. Er wollte den Blick nicht von ihr abwenden.

»Was ist es?«, fragte er, als er den Frisiertisch erreicht hatte, auf dem, so wie es aussah und roch, ein großer Haufen schmutzige Wäsche lag.

»Da«, sagte sie und deutete auf das heillose Durcheinander.

Und in dem Moment, als er den Blick abwandte, als seine Augen das wirre Knäuel nach dem Griff eines Schwertes, nach einem Rubin absuchten, machte sie eine unheimliche Bewegung. Er sah es aus dem Augenwinkel; Panik ließ ihn herumschnellen, und Grauen lähmte ihn, als er den alten Körper zusammenbrechen sah und die große Schlange dort herausquoll, wo gerade noch Bathildas Hals gewesen war.

Als er seinen Zauberstab hob, stieß die Schlange zu: Ihr Biss in seinen Unterarm war so kräftig, dass der Zauberstab hinauf zur Decke wirbelte, sein Lichtstrahl Schwindel erregend durchs Zimmer trudelte und erlosch.

Dann nahm ihm ein mächtiger Schlag ihres Schwanzes in seine Magengrube den Atem: Er fiel zurück auf den Frisiertisch, in den Haufen schmutziger Kleider -

Er rollte zur Seite, entging nur knapp dem Schwanz der Schlange, der dort auf den Tisch schlug, wo gerade noch er gewesen war: Die Scherben der Glasplatte hagelten auf ihn herab, als er zu Boden fiel. Von unten hörte er Hermine rufen: »Harry?«

Er bekam nicht genug Luft in die Lungen, um zurückzurufen. Dann schmetterte ein schwerer, glatter Körper auf ihn herab, und er spürte, wie er über ihn glitt, kräftig, muskulös -

»Nein!«, keuchte er, flach auf den Boden gepresst.

»Ja«, flüsterte die Stimme. »Ja ... dich fesssthalten ... dich festhalten ...«

»Accio ... Accio Zauberstab ...«

Doch nichts geschah, und er brauchte beide Hände, um die Schlange von sich wegzudrängen, die sich nun um seinen Rumpf wand und die Luft aus ihm herauspresste, den Horkrux fest auf seine Brust drückte, ein eisiges Rund, in dem es lebhaft pochte, Zentimeter von seinem rasenden Herzen entfernt, und in seinen Kopf flutete kaltes weißes Licht, jeder Gedanke war ausgelöscht, sein Atem erstarb, ferne Schritte, alles wurde ...

Ein metallenes Herz schlug außerhalb seiner Brust, und jetzt flog er, flog mit triumphierendem Herzen, brauchte keinen Besen oder Thestral ...

Plötzlich erwachte er in der säuerlich riechenden Dunkelheit; Nagini hatte ihn losgelassen. Er rappelte sich auf und sah den Umriss der Schlange draußen vor dem Flurlicht: Sie stieß zu und Hermine tauchte kreischend zur Seite weg. Ihr Fluch schlug fehl und traf das Fenster mit den geschlossenen Vorhängen, das zerbrach. Eiskalte Luft drang herein, während Harry sich duckte, um einem weiteren Splitterregen zu entgehen, und sein Fuß rutschte auf etwas wie einem Bleistift aus – seinem Zauberstab -

Er bückte sich und riss ihn hoch, doch jetzt hatte die Schlange das ganze Zimmer eingenommen und schlug mit dem Schwanz; Hermine war nirgends zu sehen, und für einen Moment befürchtete Harry das Schlimmste, doch dann war ein lauter Knall zu hören, und rotes Licht blitzte auf, und die Schlange flog durch die Luft und klatschte Harry heftig ins Gesicht, als sie sich Windung um Windung wuchtig zur Decke hinaufschraubte. Harry hob seinen Zauberstab, doch im selben Moment brannte seine Narbe so schmerzhaft, so stark wie seit Jahren nicht mehr.

»Er kommt! Hermine, er kommt!«

Während er brüllte, fiel die Schlange wild zischend herab. Chaos brach herein: Sie schmetterte Regale von den Wänden, und Porzellanscherben flogen umher, während Harry über das Bett sprang und die dunkle Gestalt packte, die, wie er wusste, Hermine war -

Sie schrie vor Schmerz, als er sie über das Bett zurückzog. Die Schlange bäumte sich erneut auf, aber Harry wusste, dass noch Schlimmeres als die Schlange herannahte, vielleicht schon unten am Tor war, ihm selbst würde gleich der Schädel platzen, so sehr schmerzte die Narbe -

Die Schlange zuckte vor, und er rannte los und zerrte Hermine mit sich; als sie zustieß, schrie Hermine »Confringo!«, und ihr Zauber flog im Zimmer umher, ließ den Schrankspiegel bersten und schnellte vom Boden zur Decke springend in ihre Richtung zurück; Harry spürte, wie die Hitze des Zaubers ihm den Handrücken versengte. Glas schnitt ihm in die Wange, als er Hermine mit sich zog, vom Bett auf den ramponierten Frisiertisch und dann geradewegs aus dem zertrümmerten Fenster ins Nichts hinaus, und ihr Schrei hallte durch die Nacht, während sie sich in der Luft drehten ...

Und jetzt brach seine Narbe auf, und er war Voldemort, und er rannte durch das stinkende Schlafzimmer, klammerte sich mit seinen langen weißen Händen an die Fensterbank, als er sah, wie der Mann mit dem schütteren Haar und die kleine Frau sich drehten und verschwanden, und er schrie vor Wut, und sein Schrei verschmolz mit dem des Mädchens, hallte durch die dunklen Gärten und übertönte die Kirchenglocken, die den Weihnachtstag einläuteten ...

Und sein Schrei war Harrys Schrei, sein Schmerz war Harrys Schmerz

... dass es hier geschehen konnte, wo es schon einmal geschehen war ...

hier, in Sichtweite jenes Hauses, wo er fast erfahren hätte, was Sterben bedeutete ... Sterben ... der Schmerz war so schrecklich ... aus seinem Körper herausgerissen ... aber wenn er keinen Körper hatte, warum schmerzte sein Kopf dann so heftig, wenn er tot war, wie konnte er so Unerträgliches empfinden, hörte der Schmerz mit dem Tod denn nicht auf, ging er nicht weg ...

Die Nacht war regnerisch und windig, zwei Kinder wackelten ah Kürbisse verkleidet über den Platz, und die Schaufenster der Läden waren mit Papierspinnen beklebt, all diese geschmacklosen Anspielungen der Muggel auf eine Welt, an die sie nicht glaubten ... und er glitt dahin, erfüllt von diesem Gefühl der Entschlossenheit und der Macht und der Rechtmäßigkeit, das er bei solchen Gelegenheiten immer empfand ... nicht Wut ... das war etwas für schwächere Gemüter ... sondern Triumph, jawohl

...er hatte darauf gewartet, er hatte darauf gehofft ...

»Hübsches Kostüm, Mister!«

Er sah, wie das Lächeln des kleinen Jungen verblasste, als er so nahe zu ihm hingelaufen war, dass er unter die Kapuze seines Umhangs sehen konnte, er sah, wie Angst sein bemaltes Gesicht verdüsterte: Dann drehte sich das Kind um und rannte davon ... unter dem Umhang tastete er nach dem Griff seines Zauberstabs ... eine einfache Bewegung und das Kind würde nie zu seiner Mutter zurückkehren ... aber unnötig, vollkommen unnötig ...

Und er ging jetzt eine andere und dunklere Straße entlang und nun war sein Ziel endlich in Sicht, der Fidelius-Zauber war gebrochen, auch wenn sie es noch nicht wussten ... und er bewegte sich leiser als die toten Blätter, die über den Gehweg trieben, als er die dunkle Hecke erreichte und darüber hinwegstarrte ...

Sie hatten die Vorhänge nicht zugezogen, ersah sie ganz deutlich in ihrem kleinen Wohnzimmer, den großen schwarzhaarigen Mann mit seiner Brille, der bunte Rauchwölkchen aus seinem Zauberstab herauspaffen ließ, zur Freude des kleinen schwarzhaarigen Jungen in seinem blauen Schlafanzug. Das Kind lachte und versuchte den Rauch zu fangen, ihn in seiner kleinen Faust einzuschließen ...

Eine Tür ging auf, und die Mutter trat ein, sagte Worte, die er nicht hören konnte, ihr langes dunkelrotes Haar fiel ihr übers Gesicht. Nun hob der Vater den Sohn hoch und übergab ihn der Mutter. Er warf seinen Zauberstab auf das Sofa und streckte sich gähnend ...

Das Tor quietschte ein wenig als er es aufstieß, aber James Potter hörte es nicht. Seine weiße Hand zog den Zauberstab unter seinem Umhang hervor und richtete ihn auf die Tür, die aufbarst.

Er war über der Schwelle, als James in den Flur gerannt kam. Es war leicht, allzu leicht, er hatte nicht einmal seinen Zauberstab mitgenommen

...

»Lily, nimm Harry und flieh! Er ist es! Flieh! Schnell! Ich halte ihn auf-

«

Ihn aufhalten, ohne einen Zauberstab in der Hand! ...Er lachte, bevor er den Fluch aussprach ...

»Avada Kedavra!«

Das grüne Licht erfüllte den engen Flur, es beleuchtete den Kinderwagen, der an die Wand gestellt war, ließ die Geländerpfosten wie Blitzableiter erglühen, und James Potter fiel wie eine Marionette um, deren Fäden durchgeschnitten waren ...

Er konnte sie im oberen Stock schreien hören, sie saß in der Falle, doch solange sie vernünftig war, hatte zumindest sie nichts zu befürchten ... er stieg die Stufen hoch, lauschte leicht amüsiert ihren Versuchen, sich zu verbarrikadieren ... auch sie hatte keinen Zauberstab bei sich ... wie dumm sie waren, und wie vertrauensselig zu glauben, dass ihre Sicherheit in der Hand von Freunden läge und dass sie ihre Waffen auch nur für Sekunden ablegen könnten ...

Er brach die Tür auffegte mit einem lässigen Schlenker seines Zauberstabs den Stuhl und die Kisten beiseite, die sie hastig davor aufgestapelt hatte ... und da stand sie, das Kind in ihren Armen. Bei seinem Anblick legte sie ihren Sohn rasch in das Bettchen hinter sich und breitete die Arme aus, als ob das helfen würde, als ob sie hoffte, dass sie, wenn sie ihn vor seinem Blick abschirmte, an seiner Stelle ausgewählt würde ...

»Nicht Harry, nicht Harry, bitte nicht Harry!«

»Geh beiseite, du dummes Mädchen ... geh beiseite, sofort ...«

»Nicht Harry, bitte nicht, nimm mich, töte mich an seiner Stelle -«

»Dies ist meine letzte Warnung -«

»Nicht Harry! Bitte ... hab Erbarmen ... Erbarmen ... Nicht Harry! Nicht Harry! Bitte – ich tue alles -«

»Geh beiseite – geh beiseite, Mädchen -«

Er hätte sie von dem Kinderbett wegdrängen können, doch es schien klüger, sie alle zu erledigen ...

Das grüne Licht blitzte durch den Raum und sie sank wie ihr Mann nieder. Das Kind hatte die ganze Zeit überhaupt nicht geweint: Es konnte stehen, an die Gitterstäbe seines Bettchens geklammert, und es blickte empor in das Gesicht des Eindringlings mit einer Art von wachem Interesse, vielleicht glaubte es, dass sein Vater sich unter dem Mantel verbarg und noch mehr schöne Lichter machen würde und seine Mutter jeden Moment aufspringen und lachen würde -

Er richtete den Zauberstab äußerst bedacht auf das Gesicht des Jungen: Er wollte sehen, wie sie sich abspielte, die Zerstörung dieser einzigen, unerklärlichen Gefahr. Das Kind begann zu weinen: Es hatte erkannt, dass er nicht James war. Er mochte nicht, dass es weinte, er hatte es nie ertragen können, wenn die Kleinen im Waisenhaus wimmerten -

»Avada Kedavra!«

Und dann brach er zusammen: Er war nichts, nichts als Schmerz und Todesangst, und er musste sich verstecken, nicht hier in den Trümmern des zerstörten Hauses, wo das Kind gefangen war und schrie, sondern weit weg

... weit weg ...

»Nein«, stöhnte er.

Die Schlange raschelte über den schmutzigen Boden voller Scherben, und er hatte den Jungen getötet, und doch war er der Junge ...

»Nein ...«

Und jetzt stand er am zersprungenen Fenster von Bathildas Haus, in Erinnerungen an seine größte Niederlage versunken, und zu seinen Füßen glitt die große Schlange über Scherben von Porzellan und Glas ... er blickte hinab und sah etwas ... etwas Unglaubliches ...

»Nein ...«

»Harry, schon gut, nichts passiert!«

Er bückte sich und hob das zersplitterte Foto auf Da war er, der unbekannte Dieb, der Dieb, den er suchte ...

»Nein ... ich hab es fallen lassen ... ich hab es fallen lassen ...«

»Harry, schon gut, wach auf, wach auf!«

Er war Harry ... Harry, nicht Voldemort... und das, was da raschelte, war keine Schlange ...

Er schlug die Augen auf.

»Harry«, flüsterte Hermine. »Geht es dir – gut?«

»Ja«, log er.

Er war im Zelt, lag in einer der unteren Schlafstellen unter einem Haufen von Decken. An der Stille und an dem kalten, fahlen Licht jenseits des Leinwanddachs konnte er erkennen, dass der Tag bald anbrach. Er war schweißgebadet; er spürte es an den Laken und Decken.

»Wir sind entkommen.«

»Ja«, sagte Hermine. »Ich musste einen Schwebezauber einsetzen, um dich ins Bett zu kriegen, ich konnte dich nicht hochheben. Du warst ... also, du warst nicht ganz ...«

Unter ihren braunen Augen lagen tiefrote Schatten, und er bemerkte, dass sie einen kleinen Schwamm in der Hand hielt: Sie hatte ihm das Gesicht abgewischt.

»Du warst krank«, schloss sie. »Ziemlich krank.«

»Wann sind wir von dort weg?«

»Vor Stunden. Es ist fast Morgen.«

»Und ich war ... was, bewusstlos?«

»Nicht direkt«, sagte Hermine unruhig. »Du hast geschrien und gestöhnt und ... alles Mögliche«, fügte sie hinzu, in einem Ton, bei dem Harry mulmig wurde. Was hatte er getan? Flüche herausgeschrien wie Voldemort; geweint wie das Kind in seinem Bettchen?

»Ich hab den Horkrux nicht von dir runterbekommen«, sagte Hermine, und er wusste, dass sie das Thema wechseln wollte. »Er klebte fest, fest an deiner Brust. Jetzt hast du einen roten Fleck da; tut mir leid, ich musste einen Abtrennzauber nehmen, um den Horkrux wegzukriegen. Außerdem hat dich die Schlange gebissen, aber ich hab die Wunde gereinigt und etwas Diptam draufgetan ...«

Er zog sich das schweißnasse T-Shirt, das er trug, vom Leib und blickte hinunter. Über seinem Herzen war ein scharlachrotes Oval, dort, wo das Medaillon ihn versengt hatte. Er konnte auch die halb verheilten Bissspuren an seinem Unterarm sehen.

»Wo hast du den Horkrux?«

»In meiner Tasche. Ich glaube, wir sollten ihn für eine Weile beiseitetun.«

Er legte sich wieder in die Kissen und blickte in ihr verhärmtes graues Gesicht.

»Wir hätten nicht nach Godric's Hollow gehen sollen. Es ist meine Schuld, alles meine Schuld, Hermine, es tut mir leid.«

»Es ist nicht deine Schuld. Ich wollte auch dorthin; ich dachte wirklich, Dumbledore hätte das Schwert vielleicht dort für dich zurückgelassen.«

»Jaah, nun ... da lagen wir falsch, was?«

»Was ist passiert, Harry? Was ist passiert, als sie dich mit nach oben nahm? Hatte sich die Schlange irgendwo versteckt? Ist sie einfach aufgetaucht und hat Bathilda umgebracht und dich angegriffen?«

»Nein«, sagte er. »Sie war die Schlange ... oder die Schlange war sie ...

die ganze Zeit.«

»W-was?«

Er schloss die Augen. Er konnte Bathildas Haus immer noch an sich riechen: Das machte die ganze Sache grauenhaft lebendig.

»Bathilda muss schon eine ganze Zeit lang tot sein. Die Schlange war ...

war in ihr drin. Du-weißt-schon-wer hat sie dort in Godric's Hollow warten lassen. Du hattest Recht. Er wusste, dass ich zurückkommen würde.«

»Die Schlange war in ihr?«

Er schlug wieder die Augen auf: Hermine sah angewidert aus, als wäre ihr übel.

»Lupin meinte, dass wir es mit Magie zu tun bekämen, die wir uns nicht einmal vorstellen könnten«, sagte Harry. »Sie wollte nicht vor dir sprechen, weil es Parsel war, nur Parsel, und mir war es nicht bewusst, aber ich konnte sie natürlich verstehen. Sobald wir oben im Zimmer waren, schickte die Schlange eine Botschaft an Du-weißt-schon-wen, ich hab es in meinem Kopf gehört, ich hab gespürt, wie es ihn erregte, er wies sie an, mich dort aufzuhalten ... und dann ...«

Er erinnerte sich, wie die Schlange aus Bathildas Hals gekrochen war: Die Einzelheiten konnte er Hermine ersparen.

»... sie hat sich verwandelt, in die Schlange verwandelt, und angegriffen.«

Er blickte auf die Bissspuren hinunter.

»Sie sollte mich nicht töten, sollte mich nur dort aufhalten, bis Du-weißt-schon-wer da war.«

Wenn er es nur geschafft hätte, die Schlange zu töten, dann hätte es sich gelohnt, all das ... Todunglücklich setzte er sich auf und warf die Decken zurück.

»Harry, nein, du musst dich unbedingt ausruhen! «

»Wenn hier jemand Schlaf braucht, dann du. Nichts für ungut, aber du siehst furchtbar aus. Mir geht es gut. Ich halt eine Zeit lang Wache. Wo ist mein Zauberstab?«

Sie antwortete nicht, sie schaute ihn nur an.

»Wo ist mein Zauberstab, Hermine?«

Sie biss sich auf die Lippe, ihre Augen schwammen in Tränen.

»Harry ...«

»Wo ist mein Zauberstab?«

Sie hob etwas neben dem Bett auf und hielt es ihm hin.

Der Zauberstab aus Stechpalme und Phönixfeder war fast entzweigerissen. Nur ein zarter Strang aus Phönixfeder hielt beide Teile noch zusammen. Das Holz war ganz auseinandergesplittert. Harry nahm ihn in die Hände, als wäre er ein Lebewesen, das eine schreckliche Verletzung erlitten hatte. Er konnte nicht klar denken: Alles war ein Nebel aus Panik und Furcht. Dann hielt er Hermine den Zauberstab hin.

»Reparier ihn. Bitte.«

»Harry, wenn er so zerbrochen ist, glaub ich nicht -«

»Bitte, Hermine, versuch es!«

»R-reparo.«

Die herabbaumelnde Hälfte des Zauberstabs fügte sich wieder an die andere. Harry hielt ihn empor.

»Lumos!«

Der Zauberstab entzündete sich schwach und erlosch dann. Harry richtete ihn auf Hermine.

»Expelliarmus!«

Hermines Zauberstab zuckte ein wenig, blieb aber in ihrer Hand. Der schwache Versuch, Magie hervorzubringen, war zu viel für Harrys Zauberstab, und er brach wieder entzwei. Harry starrte ihn an, entgeistert, unfähig zu begreifen, was er da sah ... der Zauberstab, der so viel überstanden hatte ...

»Harry«, flüsterte Hermine so leise, dass er sie kaum hören konnte. »Es tut mir leid, so leid. Ich glaube, das war ich. Als wir geflohen sind, weißt du, ging die Schlange auf uns los, und da hab ich einen Sprengfluch abgefeuert, und der ist überall abgeprallt, und er muss – muss ihn getroffen

»Es war ein Unfall«, sagte Harry mechanisch. Er fühlte sich leer, geschockt. »Wir – wir kriegen schon raus, wie man ihn richten kann.«

»Harry, ich glaub nicht, dass wir das können«, sagte Hermine und Tränen rannen ihr übers Gesicht. »Weißt du noch ... weißt du noch, wie es bei Ron war? Als sein Zauberstab zu Bruch ging, beim Absturz des Autos?

Der war nie mehr, wie er vorher mal war, er musste sich einen neuen besorgen.«

Harry dachte an Ollivander, von Voldemort entführt und als Geisel festgehalten, an Gregorowitsch, der tot war. Wie sollte er sich einen neuen Zauberstab beschaffen?

»Na gut«, sagte er mit gespielt nüchterner Stimme, »dann leih ich mir fürs Erste einfach mal deinen aus. Während ich Wache halte.«

Mit tränennassem Gesicht reichte Hermine ihm ihren Zauberstab, und er ließ sie an seinem Bett sitzend zurück, wollte nichts wie weg von ihr.