"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Leben und Lügen des Albus Dumbledore

Die Sonne ging auf: Klar und farblos erstreckte sich der weite Himmel über ihm, gleichgültig gegen ihn und sein Leid. Harry setzte sich in den Zelteingang und atmete tief die saubere Luft ein. Einfach nur am Leben zu sein und die Sonne über dem glitzernden, verschneiten Hang aufgehen zu sehen, sollte eigentlich der größte Schatz auf Erden sein, doch er konnte es nicht genießen: Seine Sinne waren in Aufruhr über das Unglück, seinen Zauberstab verloren zu haben. Er blickte hinaus über ein Tal, das unter einer Schneedecke lag, ferne Kirchenglocken läuteten in der glitzernden Stille.

Unwillkürlich grub er sich die Finger in die Arme, als ob er versuchte, einem körperlichen Schmerz standzuhalten. Er konnte nicht mehr sagen, wie oft er sein Blut schon vergossen hatte; einmal hatte er alle Knochen seines rechten Arms verloren; auf dieser Reise hatte er sich bereits Narben an der Brust und am Unterarm zugezogen, die noch zu denen auf seiner Hand und Stirn dazukamen, doch bis zu diesem Moment hatte er sich nie so tödlich geschwächt, so verletzlich und nackt gefühlt, als wäre ihm der größte Teil seiner magischen Kraft entrissen worden. Er wusste genau, was Hermine sagen würde, wenn er etwas davon zur Sprache bringen würde: Der Zauberstab ist nur so gut wie der Zauberer. Aber sie irrte sich, in seinem Fall war es anders. Sie hatte nicht gespürt, wie sich der Zauberstab wie eine Kompassnadel gedreht und goldene Flammen auf seinen Feind abgeschossen hatte. Er hatte den Schutz der Zwillingskerne verloren, und erst jetzt, da er verloren war, erkannte er, wie sehr er sich auf ihn verlassen hatte.

Er zog die Einzelteile des zerbrochenen Zauberstabs aus der Tasche und steckte sie ohne einen Blick darauf in Hagrids Beutel, der um seinen Hals hing. Der Beutel war jetzt so voll mit kaputten und nutzlosen Dingen, dass kein Platz mehr darin war. Harrys Hand spürte den alten Schnatz durch das Eselsfell, und einen Moment lang musste er gegen die Versuchung ankämpfen, ihn herauszuholen und wegzuwerfen. Unergründlich, nutzlos, unbrauchbar wie alles, was Dumbledore hinterlassen hatte -

Und sein Zorn auf Dumbledore brach über ihn herein wie Lava, glühte ihn aus, fegte jedes andere Gefühl beiseite. Aus purer Verzweiflung hatten sie sich eingeredet, dass Godric's Hollow Antworten bereithielte, und sich gegenseitig davon überzeugt, dass sie zurückgehen sollten, dass alles Teil eines geheimen Weges sei, den Dumbledore für sie vorgezeichnet hatte; aber es gab keine Karte, keinen Plan. Dumbledore hatte sie im Dunkeln tappend zurückgelassen, sie mussten allein und ohne Hilfe mit unbekannten und ungeahnten Schrecken kämpfen: Nichts wurde ihnen erklärt, nichts bekamen sie umsonst, sie hatten kein Schwert, und jetzt hatte Harry auch keinen Zauberstab mehr. Und er hatte das Foto des Diebes fallen lassen, und für Voldemort würde es nun sicher leicht sein, herauszufinden, wer dieser Dieb war ... Voldemort hatte jetzt alles, was er wissen musste ...

»Harry?«

Hermine sah aus, als fürchtete sie, er könnte ihr mit ihrem eigenen Zauberstab einen Fluch anhängen. Mit verweintem Gesicht hockte sie sich neben ihn, zwei Tassen Tee in ihren zitternden Händen und unter dem Arm etwas Sperriges.

»Danke«, sagte er und nahm eine der Tassen.

»Hast du was dagegen, wenn ich mit dir rede?«

»Nein«, sagte er, weil er sie nicht verletzen wollte.

»Harry, du wolltest wissen, wer dieser Mann auf dem Bild war. Also ...

ich hab das Buch. «

Zaghaft schob sie es in seinen Schoß, ein druckfrisches Exemplar von Leben und Lügen des Albus Dumbledore.

»Wo – wie -?«

»Es war in Bathildas Wohnzimmer, lag einfach da rum ... dieser Zettel ragte oben raus.«

Hermine las die wenigen Zeilen in spitzer giftgrüner Handschrift laut vor:

»Liebe Batty, danke für deine Hilfe. Hier ist ein Exemplar des Buches, ich hoffe, es gefällt dir. Du hast das alles gesagt, auch wenn du dich nicht mehr daran erinnerst. Rita. Ich glaube, es muss angekommen sein, als die echte Bathilda noch am Leben war, aber vielleicht hatte sie schon nicht mehr die Kraft, es zu lesen?«

»Nein, wahrscheinlich nicht.«

Harry sah hinab auf Dumbledores Gesicht und verspürte grimmige Genugtuung: Jetzt würde er all die Dinge erfahren, die Dumbledore nie für erwähnenswert gehalten hatte, und Dumbledore konnte nichts mehr dagegen tun.

»Du bist immer noch wirklich wütend auf mich, oder?«, sagte Hermine; er blickte auf, und als er neue Tränen aus ihren Augen quellen sah, wusste er, dass ihm sein Zorn wohl am Gesicht anzumerken war.

»Nein«, sagte er leise. »Nein, Hermine. Ich weiß, dass es ein Unfall war.

Du hast versucht, uns lebend dort rauszukriegen, und du warst sagenhaft.

Ich wäre tot, wenn du nicht da gewesen wärst und mir geholfen hättest.«

Er versuchte ihr feuchtes Lächeln zu erwidern, dann wandte er sich dem Buch zu. Der Buchrücken war steif; offensichtlich war es noch nie aufgeschlagen worden. Er durchblätterte die Seiten auf der Suche nach Fotos. Es dauerte nicht lange, dann stieß er auf das, welches er suchte, mit dem jungen Dumbledore und seinem hübschen Gefährten, die herzhaft über einen längst vergessenen Witz lachten. Harry senkte den Blick auf die Bildunterschrift.

Albus Dumbledore, kurz nach dem Tod seiner Mutter, mit seinem Freund Geliert Grindelwald.

Beim letzten Wort blieb Harry einige Sekunden lang der Mund offen stehen. Grindelwald. Sein Freund Grindelwald. Er blickte seitwärts zu Hermine, die immer noch auf den Namen sah, als traute sie ihren Augen nicht. Langsam hob sie den Blick zu Harry.

»Grindelwald?«

Harry beachtete die übrigen Fotos nicht und suchte auf den Seiten um sie herum, ob der unheilvolle Name irgendwo noch einmal erwähnt war. Er entdeckte ihn schnell und las begierig, kam jedoch nicht richtig mit: Er musste weiter zurückgehen, um den Zusammenhang zu verstehen, und schließlich fand er sich am Beginn eines Kapitels mit dem Titel »Das größere Wohl«. Gemeinsam mit Hermine begann er zu lesen: Nun stand Dumbledores achtzehnter Geburtstag bevor, und er verließ Hogwarts im Ruhmesglanz – Schulsprecher, Vertrauensschüler, Gewinner des Barnabus-Finkley-Preises für Außergewöhnliche Zauberei, Britischer Jugendvertreter beim Zaubergamot, Gewinner der Goldmedaille für einen bahnbrechenden Beitrag zur Internationalen Alchemistenkonferenz in Kairo. Dumbledore hatte die Absicht, als Nächstes zu einer Bildungsreise aufzubrechen, zusammen mit Elphias »Doggenpuste« Doge, dem einfältigen, aber treuen Gefährten, den er sich in der Schule zugelegt hatte.

Die beiden jungen Männer hatten sich im Tropfenden Kessel in London einquartiert und bereiteten sich gerade auf die Abreise nach Griechenland am folgenden Morgen vor, als eine Eule mit der Nachricht eintraf, dass Dumbledores Mutter gestorben war. »Doggenpuste« Doge, der ein Interview für dieses Buch verweigerte, hat der Öffentlichkeit seine eigene, rührselige Version dessen aufgetischt, was dann passierte. Er stellt Kendras Tod als einen tragischen Schicksalsschlag dar, und Dumbledores Entscheidung, seine Expedition aufzugeben, als einen Akt großmütiger Selbstaufopferung.

Zweifellos kehrte Dumbledore sofort nach Godric's Hollow zurück, angeblich, um für seine jüngeren Geschwister zu »sorgen«. Aber wie viel Sorge ließ er ihnen wirklich zuteilwerden?

»Der war 'n Spinner, dieser Aberforth«, sagt Enid Smeek, deren Familie damals am Rand von Godric's Hollow lebte. »Völlig verwildert. Klar, wo seine Mum und sein Dad jetzt gestorben war'n, da hätt er einem leidtun können, nur hat er mir die ganze Zeit Ziegenmist an den Kopf geschmissen.

Ich glaub nich, dass Albus sich groß um den gekümmert hat, ich hab die jedenfalls nie zusammen gesehen.«

Aber was tat Albus dann, wenn er nicht seinen ungestümen kleinen Bruder tröstete? Die Antwort lautet offenbar, er stellte sicher, dass seine Schwester auch weiterhin in Gefangenschaft lebte. Denn obwohl ihre erste Kerkermeisterin gestorben war, änderte sich an dem bedauerlichen Zustand von Ariana Dumbledore nichts. Dass sie überhaupt existierte, wussten nach wie vor nur jene wenigen Außenstehenden, die wie »Doggenpuste« Doge garantiert an die Geschichte von ihrer »schlechten Gesundheit« glaubten.

Eine andere Freundin der Familie, die sich genauso leicht abspeisen ließ, war Bathilda Bagshot, die berühmte magische Historikerin, die seit vielen Jahren in Godric's Hollow lebt. Kendra hatte Bathilda natürlich vor den Kopf gestoßen, als die zunächst versucht hatte, die Familie im Dorf willkommen zu heißen. Einige Jahre später jedoch schickte die Autorin eine Eule zu Albus nach Hogwarts, da sein Aufsatz über Trans-Spezies-Transfiguration in Verwandlung Heute sie sehr beeindruckt hatte. Dieser erste Kontakt führte schließlich zur Bekanntschaft mit der gesamten Familie Dumbledore. Zum Zeitpunkt von Kendras Tod war Bathilda der einzige Mensch in Godric's Hollow, mit dem Dumbledores Mutter überhaupt redete.

Leider hat die geistige Brillanz, die Bathilda in ihrem früheren Leben an den Tag legte, inzwischen nachgelassen. »Das Feuer brennt, aber der Kessel ist leer«, wie Ivor Dillonsby es mir gegenüber formulierte, oder, um es mit Enid Smeeks Worten etwas derber zu sagen: »Sie ist nicht ganz sauber.« Dennoch gelang es mir, ihr mit einer Kombination altbewährter journalistischer Techniken genügend harte Fakten zu entlocken, um die ganze skandalöse Geschichte der Reihe nach erzählen zu können.

Wie der Rest der Zaubererwelt schreibt Bathilda Kendras vorzeitigen Tod einem »fehlgeschlagenen Zauber« zu, eine Geschichte, die Albus und Aberforth in späteren Jahren wiederholt haben. Bathilda betet außerdem nach, was die Familie über Ariana sagt, und nennt sie »zerbrechlich« und

»zart«. Bei einem Thema jedoch ist Bathilda die Mühe durchaus wert, die mich die Beschaffung von Veritaserum gekostet hat, denn sie und nur sie allein kennt die ganze Geschichte des bestgehüteten Geheimnisses in Albus Dumbledores Leben. Nun zum ersten Mal offengelegt, stellt es alles in Frage, was Dumbledores Bewunderer über ihn dachten: seinen angeblichen Hass auf die dunklen Künste, seinen Widerstand gegen die Unterdrückung der Muggel, sogar seine Liebe zu seiner Familie.

In ebendem Sommer, in dem Dumbledore nach Godric's Hollow heimkehrte, nun als Waise und Oberhaupt der Familie, erklärte sich Bathilda Bagshot bereit, ihren Großneffen bei sich zu Hause aufzunehmen, Geliert Grindelwald.

Der Name Grindelwald ist zu Recht berühmt: In einer Liste der gefährlichsten schwarzen Magier aller Zeiten würde er den ersten Platz nur deshalb verfehlen, weil eine Generation später Du-weißt-schon-wer erschien und ihm die Krone stahl. Da Grindelwald seine Terrorkampagne jedoch nie auf Britannien ausdehnte, sind die Einzelheiten seines Aufstiegs zur Macht hierzulande in weiten Kreisen nicht bekannt.

In Durmstrang ausgebildet, einer Schule, die schon damals für ihre missliche Toleranz gegenüber den dunklen Künsten berühmt war, erwies sich Grindelwald als ebenso frühreif und brillant wie Dumbledore. Doch anstatt seine Fähigkeiten darauf zu verwenden, Auszeichnungen und Preise zu erlangen, widmete sich Geliert Grindelwald anderen Zielen. Als er sechzehn Jahre alt war, konnte man selbst in Durmstrang angesichts der verqueren Experimente von Geliert Grindelwald kein Auge mehr zudrücken, und er wurde von der Schule verwiesen.

Bisher war von Grindelwalds nächsten Schritten nur bekannt, dass er

»für einige Monate ins Ausland« reiste. An dieser Stelle kann nun enthüllt werden, dass Grindelwald sich entschied, seine Großtante in Godric's Hollow zu besuchen, und dass er dort, wie extrem schockierend dies auch für viele Ohren klingen mag, eine enge Freundschaft mit niemand anderem als Albus Dumbledore schloss.

»Für mich war er ein reizender Junge«, plappert Bathilda, »egal was später aus ihm wurde. Natürlich habe ich ihn dem armen Albus vorgestellt, der die Gesellschaft von gleichaltrigen Jungs vermisste. Die beiden waren sofort ein Herz und eine Seele.«

In der Tat. Bathilda zeigt mir einen von ihr aufbewahrten Brief, den Albus Dumbledore tief in der Nacht an Geliert Grindelwald geschickt hat.

»Ja, sogar nachdem sie den ganzen Tag lang diskutiert hatten – beide waren so glänzende junge Burschen, da war richtig Feuer im Kessel –, hörte ich manchmal mitten in der Nacht eine Eule an Gellerts Schlafzimmerfenster tippen, die einen Brief von Albus überbrachte! Dann war ihm wohl eine Idee gekommen und die musste er Geliert sofort mitteilen!«

Und was für Ideen das waren. Auch wenn Albus Dumbledores Anhänger es zutiefst schockierend finden werden – hier sind die Gedanken ihres siebzehnjährigen Helden, wie er sie seinem neuen besten Freund darlegte (eine Kopie des Originalbriefs ist auf Seite 463 zu sehen): Gellert -

deine Überlegung, dass die Herrschaft der Zauberer ZUM WOHL DER

MUGGEL ist – das, denke ich, ist der entscheidende Punkt. Ja, es wurde uns Macht verliehen, und ja, diese Macht gibt uns das Recht zu herrschen, aber sie bringt uns auch Verpflichtungen gegenüber den Beherrschten. Wir müssen diesen Punkt unterstreichen, er wird der Grundstein sein, auf dem wir bauen. Wo man sich uns widersetzt, was gewiss der Fall sein wird, muss dies die Basis all unserer Gegenargumente sein. Wir übernehmen die Kontrolle FÜR DAS GRÖSSERE WOHL. Und daraus folgt, dass wir dort, wo wir auf Widerstand stoßen, nur die Gewalt einsetzen dürfen, die notwendig ist, und nicht mehr. (Das war dein Fehler in Durmstrang! Aber ich will mich nicht beklagen, denn wenn man dich nicht rausgeworfen hätte, hätten wir uns nie getroffen.)

Albus

So erstaunt und entsetzt seine vielen Bewunderer auch sein mögen, dieser Brief ist der Beweis dafür, dass Albus Dumbledore einst davon träumte, das Geheimhaltungsabkommen umzuwerfen und die Herrschaft der Zauberer über die Muggel zu errichten. Was für ein Schlag für diejenigen, die Dumbledore immer als den größten Fürsprecher der Muggelstämmigen dargestellt haben! Wie hohl wirken seine Reden zugunsten der Muggelrechte im Lichte dieser vernichtenden neuen Beweise! Wie verachtenswert erscheint uns nun Albus Dumbledore, der eifrig seinen Aufstieg zur Macht plante, während er doch seine Mutter hätte betrauern und seine Schwester hätte umsorgen sollen!

Zweifellos werden diejenigen, die entschlossen sind, Dumbledore auf seinem bröckelnden Podest zu halten, weinerlich versichern, dass er seine Pläne letzten Endes nicht in die Tat umgesetzt hat, dass er einen Sinneswandel erlebt haben muss, dass er zur Vernunft kam. Doch die Wahrheit ist offenbar viel entsetzlicher.

Kaum zwei Monate waren vergangen, seit sie ihre große neue Freundschaft geschlossen hatten, da trennten sich Dumbledore und Grindelwald und sahen sich nie wieder, bis sie zu ihrem legendären Duell aufeinandertrafen (mehr dazu in Kapitel 22). Was führte zu dem plötzlichen Bruch? War Dumbledore zur Besinnung gekommen? Hatte er Grindelwald erklärt, dass er mit seinen Plänen nichts mehr zu tun haben wollte? Leider nein.

»Es lag, glaube ich, daran, dass die arme kleine Ariana gestorben ist«, sagt Bathilda. »Es war ein ungeheurer Schock. Geliert war drüben bei ihnen, als es passierte, und er kam ganz durcheinander zu mir ins Haus zurück, meinte, er wolle am nächsten Tag heimreisen. Furchtbar aufgewühlt, wissen Sie. Also habe ich einen Portschlüssel besorgt und seither habe ich ihn nicht mehr gesehen.

Albus war außer sich wegen Arianas Tod. Es war so grausam für diese beiden Brüder. Sie hatten die ganze Familie verloren und hatten jetzt nur noch einander. Kein Wunder, dass die Stimmung zwischen ihnen ein wenig gereizt war. Aberforth gab Albus die Schuld, wissen Sie, wie Leute das eben tun unter solch schrecklichen Umständen. Doch Aberforth hat immer ein wenig verrücktes Zeug geredet, der arme Junge. Und trotzdem, dass er Albus bei der Beerdigung die Nase gebrochen hat, war nicht nett. Kendra wäre am Boden zerstört gewesen, wenn sie ihre Söhne so hätte streiten sehen, am Sarg ihrer Tochter. Ein Jammer, dass Geliert nicht bis zum Begräbnis bleiben konnte ... er wäre wenigstens ein Trost für Albus gewesen ...«

Dieser fürchterliche Streit am offenen Grab, von dem nur die wenigen wissen, die bei Ariana Dumbledores Beerdigung dabei waren, wirft mehrere Fragen auf. Warum hat Aberforth Dumbledore eigentlich seinen Bruder Albus für den Tod der Schwester verantwortlich gemacht? Geschah es, wie »Barry« vorgibt, nur aus der großen Trauer heraus? Oder könnte es irgendeinen konkreteren Grund für seine Wut gegeben haben?

Grindelwald, der wegen beinahe tödlicher Angriffe auf Mitschüler aus Durmstrang hinausgeworfen worden war, floh Stunden nach dem Tod des Mädchens außer Landes, und Albus sah ihn nie wieder (aus Scham oder aus Furcht?), bis ihn die dringenden Bitten der Zaubererwelt dazu zwangen.

Weder Dumbledore noch Grindelwald scheinen in ihrem späteren Leben diese kurze Jungenfreundschaft jemals erwähnt zu haben. Allerdings kann es keinen Zweifel daran geben, dass Dumbledore seinen Angriff auf Geliert Grindelwald etwa fünf Jahre lang hinauszögerte, eine Zeit des Aufruhrs, in der es zu Todesopfern und Entführungen kam. "War es immer noch die Zuneigung zu diesem Mann, oder die Angst, dass öffentlich würde, dass er einst sein bester Freund gewesen war, die Dumbledore zögern ließ? Machte sich Dumbledore nur widerstrebend auf, den Mann zu fassen, über dessen Bekanntschaft er sich einst so gefreut hatte?

Und wie starb die geheimnisumwitterte Ariana? War sie das unbeabsichtigte Opfer irgendeines schwarzmagischen Ritus? Stieß sie auf etwas, das sie nicht hätte mitbekommen sollen, als die beiden jungen Männer gerade Übungen machten, um dereinst den Weg zu Ruhm und Herrschaft antreten zu können? Ist es möglich, dass Ariana Dumbledore der erste Mensch war, der »für das größere Wohl« gestorben ist?

Hier endete das Kapitel und Harry blickte auf. Hermine war vor ihm unten auf der Seite angelangt. Sie zog ihm das Buch aus den Händen, offenbar leicht beunruhigt über seinen Gesichtsausdruck, und ohne einen weiteren Blick darauf klappte sie es zu, als wollte sie etwas Ungehöriges verbergen.

»Harry -«

Doch er schüttelte den Kopf. Eine innere Gewissheit war in ihm zusammengebrochen; genauso hatte er sich auch gefühlt, als Ron gegangen war. Er hatte Dumbledore vertraut, hatte geglaubt, dass er der Inbegriff von Güte und Weisheit war. Alles lag in Trümmern: Wie viel konnte er noch verlieren? Ron, Dumbledore, den Phönix-Zauberstab ...

»Harry.« Sie schien seine Gedanken vernommen zu haben. »Hör mir zu.

Das – das zu lesen ist nicht sonderlich schön – «

»- ja, das kann man wohl sagen -«

»- aber vergiss nicht, Harry, das hat Rita Kimmkorn geschrieben.«

»Du hast diesen Brief an Grindelwald gelesen, oder?«

»Ja, das – das hab ich.« Sie zögerte, schien durcheinander und klammerte sich mit ihren kalten Händen an den Teebecher. »Ich glaube, das ist der schlimmste Teil. Ich weiß, Bathilda dachte, dass das alles nur Gerede wäre, aber gt;Für das größere Wohllt; wurde zu Grindelwalds Motto, zu seiner Rechtfertigung aller Gräueltaten, die er später beging. Und ... so wie es aussieht ... hat er die Idee von Dumbledore. Es heißt, gt;Für das größere Wohllt; sei sogar über dem Eingang von Nurmengard eingemeißelt gewesen.«

»Was ist Nurmengard?«

»Das Gefängnis, das Grindelwald bauen ließ, um seine Gegner dort gefangen zu halten. Er ist selber dort gelandet, nachdem Dumbledore ihn gefasst hatte. Wie auch immer, es ist – es ist ein schrecklicher Gedanke, dass Dumbledores Ideen Grindelwald halfen, an die Macht zu kommen.

Doch andererseits kann nicht einmal Rita behaupten, dass sie sich mehr als ein paar Monate gekannt hätten, in einem Sommer, als sie beide noch ziemlich jung waren, und -«

»Ich dachte mir, dass du das sagen würdest«, erwiderte Harry. Er wollte seinen Zorn nicht an ihr auslassen, doch es fiel ihm schwer, seine Stimme ruhig zu halten. »Ich dachte mir, dass du sagen würdest, gt;sie waren junglt;.

Sie waren genauso alt wie wir heute. Und wir riskieren hier unser Leben, um gegen die dunklen Künste zu kämpfen, während er und sein neuer bester Freund damals die Köpfe zusammensteckten und Pläne schmiedeten, wie sie die Macht über die Muggel erringen können.«

Seine Wut ließ sich nicht mehr länger bändigen: Er stand auf und ging umher, um sich ein wenig abzureagieren.

»Ich will nicht verteidigen, was Dumbledore geschrieben hat«, sagte Hermine. »All dieser Quatsch von wegen gt;Recht auf Herrschaftlt;, das ist nur gt;Magie ist Machtlt; neu aufgewärmt. Aber Harry, seine Mutter war gerade gestorben, er saß da allein in dem Haus -«

»Allein? Er war nicht allein! Er hatte seinen Bruder und seine Schwester zur Gesellschaft, seine Squib-Schwester, die er nach wie vor eingesperrt ließ -«

»Das glaube ich nicht«, sagte Hermine. Auch sie stand auf. »Was immer mit diesem Mädchen nicht stimmte, ich glaube nicht, dass sie eine Squib war. Der Dumbledore, den wir kannten, hätte nie und nimmer zugelassen -«

»Der Dumbledore, von dem wir dachten, dass wir ihn kannten, wollte die Muggel nicht mit Gewalt unterwerfen!«, rief Harry, und seine Stimme schallte über den kahlen Hügel, worauf mehrere Amseln in die Luft stiegen und sich kreischend in den perlweißen Himmel schraubten.

»Er hat sich verändert, Harry, er hat sich verändert! So einfach ist das!

Vielleicht hat er an solche Sachen geglaubt, als er siebzehn war, aber den ganzen Rest seines Lebens hat er dem Kampf gegen die dunklen Künste gewidmet! Dumbledore war es, der Grindelwald aufhielt, er war es, der immer für den Schutz der Muggel und für die Rechte der Muggelstämmigen eingetreten ist, der von Anfang an gegen Du-weißt-schon-wen gekämpft hat und bei dem Versuch starb, ihn zu stürzen!«

Ritas Buch lag zwischen ihnen auf der Erde, so dass Albus Dumbledores Gesicht sie beide traurig anlächelte.

»Harry, tut mir leid, aber ich glaube, der wirkliche Grund, weshalb du so zornig bist, ist, dass Dumbledore dir nie selbst irgendetwas davon erzählt hat.«

»Mag sein!«, brüllte Harry und warf sich die Arme über den Kopf, ohne recht zu wissen, ob er damit seine Wut zügeln oder sich vor der Last seiner zerstörten Illusionen abschirmen wollte. »Überleg mal, was er von mir verlangt hat, Hermine! Riskier dein Leben, Harry! Und noch mal! Und noch mal! Und erwarte nicht von mir, dass ich dir alles erkläre, vertrau mir einfach blindlings, vertrau darauf, dass ich weiß, was ich tue, vertrau mir, auch wenn ich dir nicht vertraue! Nie die ganze Wahrheit! Nie!«

Seine Stimme überschlug sich vor Anstrengung, und sie standen da und sahen einander an in der weißen Leere, und Harry kam es vor, als wären sie so unbedeutend wie Insekten unter diesem weiten Himmel.

»Er hat dich geliebt«, flüsterte Hermine. »Ich weiß, dass er dich geliebt hat.«

Harry ließ die Arme sinken.

»Ich weiß nicht, wen er geliebt hat, Hermine, mich jedenfalls bestimmt nicht. Das ist keine Liebe, diese Misere, in der er mich zurückgelassen hat.

Er hat Geliert Grindelwald verdammt viel mehr von dem anvertraut, was er wirklich dachte, als er mir jemals erzählt hat.«

Harry hob Hermines Zauberstab auf, den er in den Schnee hatte fallen lassen, und setzte sich wieder in den Eingang des Zeltes.

»Danke für den Tee. Ich mach die Wache noch zu Ende. Geh du wieder ins Warme.«

Sie zögerte, begriff aber, dass er sie zurückwies. Sie hob das Buch auf und ging an ihm vorbei ins Zelt, strich dabei jedoch mit der Hand leicht über seinen Kopf. Er schloss die Augen, als sie ihn berührte, und hasste sich dafür, dass er wünschte, ihre Worte wären wahr: dass er Dumbledore wirklich wichtig gewesen war.