"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)

Die Widmung dieses Buches ist siebengeteilt: für Neil, für Jessica, für David, für Kenzie, für Di, für Anne und für euch, wenn ihr zu Harry gehalten habt, bis ganz zum Schluss.

Erbteil des fluches,

hässlicher sünde

blutige wunde,

schmerzen, wer trüge sie?

quälen, wer stillte sie?

wehe weh!

Einzig der erbe

heilet des hauses

eiternde wunde,

einzig mit blut'gem schnitt.

götter der finsternis

rief mein lied.

Sel'ge geister drunten in der tiefe,

wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet,

bringt den kindern hilfe, bringt den sieg.

Aischylos, Das Opfer am Grabe


Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist.

William Penn, Früchte der Einsamkeit. Zweyte Abtheilung


Die silberne Hirschkuh

Es schneite, als Hermine um Mitternacht die Wache übernahm. Harry hatte wirre und beunruhigende Träume: Nagini wand sich durch seinen Schlaf, schlang sich erst durch einen gigantischen zerbrochenen Ring und dann durch einen Kranz aus Christrosen. Immer wieder erwachte er voller Panik, überzeugt, dass jemand aus der Ferne nach ihm gerufen hatte, und bildete sich ein, dass der Wind, der um das Zelt peitschte, das Geräusch von Schritten oder Stimmen war.

Schließlich stand er im Dunkeln auf und ging zu Hermine, die im Zelteingang kauerte und im Licht ihres Zauberstabs Geschichte der Zauberei las. Noch immer herrschte dichtes Schneetreiben, und sie war erleichtert über seinen Vorschlag, früh zu packen und weiterzuziehen.

»Wir suchen uns einen Platz, der besser geschützt ist«, fand auch sie und zog sich bibbernd ein Sweatshirt über ihren Schlafanzug. »Mir war andauernd, als würde ich draußen Leute herumlaufen hören. Ein-, zweimal dachte ich sogar, ich hätte jemanden gesehen.«

Harry, der sich gerade einen Pullover überzog, hielt inne und warf einen Blick auf das stumme, reglose Spickoskop auf dem Tisch.

»Das hab ich mir bestimmt nur eingebildet«, sagte Hermine mit nervösem Blick, »der Schnee im Dunkeln, der täuscht die Augen ... aber sollten wir nicht für alle Fälle besser unter dem Tarnumhang disapparieren?«

Eine halbe Stunde später war das Zelt gepackt, und sie disapparierten, Harry mit dem Horkrux um den Hals und Hermine mit der Perlentasche in der Hand. Wie immer brach drückende Enge über sie herein; Harrys Füße lösten sich von dem schneebedeckten Boden und schlugen dann hart wieder auf, offenbar auf gefrorener, mit Blättern bedeckter Erde.

»Wo sind wir?«, fragte er, schaute sich um und sah wieder eine große Anzahl von Bäumen, während Hermine die Perlentasche öffnete und Zeltstangen herauszog.

»Im Forest of Dean«, sagte sie. »Ich war hier mal mit meiner Mum und meinem Dad zelten.«

Auch hier lag Schnee ringsum auf den Bäumen, und es war bitterkalt, doch zumindest waren sie vor dem Wind geschützt. Sie verbrachten den Tag überwiegend im Zelt und wärmten sich dicht zusammengedrängt an den nützlichen hellblauen Flammen, die Hermine so geschickt erzeugte und die man hochnehmen und in einem Gefäß umhertragen konnte. Harry fühlte sich, als würde er gerade von einer kurzen, aber schweren Krankheit genesen, und dass Hermine so fürsorglich war, verstärkte diesen Eindruck.

Am Nachmittag wehten neue Flocken zu ihnen herab, so dass selbst ihre geschützte Lichtung bald mit frischem Pulverschnee bedeckt war.

Nach zwei Nächten, in denen er wenig geschlafen hatte, schienen Harrys Sinne schärfer als sonst. Sie waren so knapp aus Godric's Hollow entkommen, dass ihm Voldemort näher und bedrohlicher vorkam als zuvor.

Als es erneut dämmerte, schlug Harry Hermines Angebot aus, die Wache zu übernehmen, und sagte ihr, sie solle zu Bett gehen.

Harry legte ein altes Kissen in den Zelteingang und setzte sich, vor Kälte zitternd, obwohl er alle Pullover trug, die er hatte. Stunden verstrichen, und die Dunkelheit vertiefte sich, bis sie fast undurchdringlich war. Er wollte gerade die Karte des Rumtreibers herausholen, um für eine Weile Ginnys Punkt zu beobachten, als ihm einfiel, dass Weihnachtsferien waren und sie daheim im Fuchsbau sein würde.

In dem endlosen Wald schien jede kleine Bewegung wie vergrößert.

Harry war klar, dass er voller Lebewesen sein musste, doch er wünschte, sie würden alle still und reglos bleiben, denn er konnte ihr harmloses Trippeln und Herumschleichen nicht von Geräuschen unterscheiden, die womöglich andere, unheilvolle Bewegungen kundtaten. Er erinnerte sich an das Rascheln eines Umhangs, der vor vielen Jahren über tote Blätter gestreift war, und glaubte sofort, es wieder zu hören, bis er solche Gedanken dann abschüttelte. Ihre Schutzzauber hatten wochenlang gewirkt; warum sollten sie jetzt brechen? Und doch wurde er das Gefühl nicht los, dass heute Nacht irgendetwas anders war.

Mehrmals zuckte er hoch, mit schmerzendem Nacken, weil er unbequem gegen die Zeltwand gesackt und eingeschlafen war. Die Nacht erreichte nun eine solch samtene, tiefe Schwärze, dass es ihm vorkam, als ob er im Irgendwo zwischen Disapparieren und Apparieren hängen geblieben wäre. Er hatte gerade die Hand vor sein Gesicht gehalten, um zu sehen, ob er seine Finger erkennen konnte, da geschah es.

Ein helles silbernes Licht tauchte direkt vor ihm auf und bewegte sich durch die Bäume. Woher es auch stammte, es bewegte sich lautlos. Das Licht schien einfach auf ihn zuzuschweben.

Er sprang auf und hob Hermines Zauberstab, die Stimme gefror ihm im Hals. Er kniff die Augen zusammen, als das Licht ihn zu blenden begann, die Bäume davor pechschwarze Umrisse, und noch immer kam das Ding näher ...

Und dann trat die Quelle des Lichtes hinter einer Eiche hervor. Es war eine silbrig weiße Hirschkuh, mondhell und strahlend, die sich immer noch lautlos ihren Weg auf dem Waldboden suchte, ohne in dem pulvrigen Schnee Hufabdrücke zu hinterlassen. Sie kam auf ihn zu, ihren schönen Kopf mit den großen Augen und langen Wimpern hoch erhoben.

Harry starrte das Geschöpf an, zutiefst erstaunt, nicht weil es ihm fremd, sondern weil es ihm so unerklärlich vertraut vorkam. Es war, als hätte er ihr Kommen erwartet, doch bis zu diesem Augenblick vergessen, dass sie sich verabredet hatten.

Das Bedürfnis, nach Hermine zu rufen, das er eben noch so heftig verspürt hatte, war verschwunden. Er wusste, und er hätte sein Leben darauf gesetzt, dass sie zu ihm gekommen war, und nur zu ihm.

Sie sahen sich eine ganze Zeit lang an, dann wandte sich die Hirschkuh ab und zog davon.

»Nein«, sagte er, mit brüchiger Stimme, da er sie so lange nicht gebraucht hatte. »Komm zurück!«

Sie schritt bedächtig weiter zwischen den Bäumen hindurch und bald bildeten die dicken schwarzen Stämme Streifen auf ihrem Glanz. Eine bange Sekunde lang zögerte er. Die Vorsicht flüsterte: Das könnte ein Trick, ein Köder, eine Falle sein. Doch der Instinkt, der übermächtige Instinkt, sagte ihm, dass dies keine schwarze Magie war. Er ging los und folgte ihr.

Schnee knirschte unter seinen Füßen, aber die Hirschkuh verursachte kein Geräusch, während sie zwischen den Bäumen hindurchstreifte, denn sie war nichts als Licht. Immer tiefer in den Wald führte sie ihn, und Harry ging zügig hinter ihr her, denn wenn sie einmal stehen blieb, würde sie ihm gewiss erlauben, ganz nahe zu ihr zu kommen. Und dann würde sie sprechen, und die Stimme würde ihm sagen, was er wissen musste.

Endlich machte sie Halt. Noch einmal wandte sie ihren schönen Kopf zu ihm um, und er rannte los, mit seiner brennenden Frage, doch als er die Lippen öffnete, um sie auszusprechen, verschwand die Hirschkuh.

Obwohl die Dunkelheit sie vollständig verschluckt hatte, war ihr glänzendes Bild noch in seine Netzhaut eingeprägt; es störte seine Sicht, wurde heller, wenn er die Lider senkte, und verwirrte ihn. Nun kam Furcht in ihm auf: Ihre Gegenwart hatte bedeutet, dass er sicher war.

»Lumos!«, flüsterte er und die Spitze seines Zauberstabs flammte auf.

Das Nachbild der Hirschkuh verblasste mit jedem Lidschlag. und er stand da und lauschte den Lauten des Waldes, dem fernen Knacken von Zweigen, dem sanften Rascheln von Schnee. Kam gleich ein Angriff? Hatte sie ihn in einen Hinterhalt gelockt? Bildete er sich nur ein, dass jemand außer Reichweite des Zauberstablichts stand und ihn beobachtete?

Er hielt den Zauberstab höher. Niemand stürmte auf ihn zu, kein grüner Lichtblitz zuckte hinter einem Baum hervor. Warum hatte sie ihn dann zu dieser Stelle geführt?

Im Licht des Zauberstabs schimmerte etwas, und Harry wirbelte herum, doch da war nichts weiter als ein kleiner gefrorener Weiher, dessen zersprungene schwarze Oberfläche glitzerte, als er den Zauberstab höher hob, um ihn genauer zu betrachten.

Er trat recht vorsichtig näher und sah hinab. Das Eis warf seinen verzerrten Schatten und den Lichtstrahl des Zauberstabs zurück, doch tief unter dem dicken, neblig grauen Eispanzer funkelte noch etwas anderes.

Ein großes silbernes Kreuz ... Sein Herz machte einen Sprung: Er ließ sich am Rand des Weihers auf die Knie fallen und hielt den Zauberstab so schräg, dass er seinen Grund möglichst weit ausleuchtete. Ein glutrotes Funkeln ... es war ein Schwert mit glitzernden Rubinen am Griff ... das Schwert von Gryffindor lag am Boden des Waldweihers.

Kaum atmend starrte er darauf hinab. Wie war das möglich? Wie war es in einen Waldweiher gekommen, so nahe der Stelle, wo sie ihr Lager aufgeschlagen hatten? Hatte irgendein unbekannter Zauber Hermine hierhergezogen, oder war die Hirschkuh, die er für einen Patronus gehalten hatte, eine Art Wächterin des Weihers? Oder war das Schwert nach ihrer Ankunft in den Weiher geworfen worden, eben weil sie hier waren? Und wo war dann die Person, die es Harry geben wollte? Erneut richtete er den Zauberstab auf die Bäume und Büsche ringsum, suchte nach menschlichen Umrissen, nach dem Funkeln eines Auges, aber er konnte niemanden sehen. Und dennoch trübte ein wenig mehr Angst seine Begeisterung, als er sich wieder dem Schwert zuwandte, das auf dem Grund des zugefrorenen Weihers lag.

Er richtete den Zauberstab auf das silbrige Gebilde und murmelte:

»Accio Schwert!«

Es bewegte sich nicht. Er hatte es auch nicht erwartet. Wenn es so einfach gewesen wäre, dann hätte das Schwert auf der Erde gelegen, wo er es nur hätte aufheben müssen, und nicht in den Tiefen eines vereisten Weihers. Er ging an dem gefrorenen Rund entlang und versuchte sich angestrengt daran zu erinnern, wie es beim letzten Mal gewesen war, als das Schwert sich ihm zur Verfügung gestellt hatte. Er hatte damals in schrecklicher Gefahr geschwebt und um Hilfe gebeten.

»Hilfe«, murmelte er, aber das Schwert blieb auf dem Grund des Weihers, gleichgültig, regungslos.

Was war es, fragte sich Harry (während er weiterging), das Dumbledore beim letzten Mal zu ihm gesagt hatte, als er das Schwert zurückbekam?

Nur ein wahrer Gryffindor hätte das aus dem Hut ziehen können. Und was waren die Eigenschaften, die einen Gryffindor kennzeichneten? Eine leise Stimme in seinem Kopf antwortete: In Gryffindor regieren, wie man weiß, Tapferkeit und Mut.

Harry blieb stehen und stieß einen langen Seufzer aus, sein Atemdunst verflog rasch in der eisigen Luft. Er wusste, was er zu tun hatte. Im Grunde hatte er schon gewusst, dass es darauf hinauslaufen würde, als er das Schwert durch das Eis hindurch erblickt hatte.

Er ließ den Blick wieder über die Bäume ringsum gleiten, war nun jedoch sicher, dass niemand ihn angreifen würde. Sie hatten ihre Chance gehabt, als er allein durch den Wald gegangen war, hatten genug Gelegenheiten gehabt, während er den Weiher erforscht hatte. Der einzige Grund, jetzt noch zu zögern, war, dass er gleich etwas äußerst Unangenehmes tun musste.

Mit nervösen Fingern begann Harry seine vielen Kleiderschichten abzulegen. Was das mit ritterlicher »Tapferkeit« zu tun hatte, dachte er düster, war ihm nicht ganz klar, es sei denn, es galt als tapfer, dass er nicht Hermine rief, damit sie es an seiner Stelle tat.

Während er sich auszog, schrie irgendwo eine Eule, und der Gedanke an Hedwig versetzte ihm einen Stich. Er zitterte jetzt, seine Zähne klapperten fürchterlich, und doch zog er sich weiter aus, bis er schließlich in seiner Unterwäsche barfuß im Schnee stand. Er legte den Beutel mit seinem Zauberstab, dem Brief seiner Mutter, der Scherbe von Sirius' Spiegel und dem alten Schnatz auf seine Kleider, dann richtete er Hermines Zauberstab auf das Eis.

»Diffindo.«

Es zersprang mit dem Krachen einer Pistolenkugel in der Stille: Die Oberfläche des Weihers barst und dunkle Eisschollen schaukelten auf dem aufgewühlten Wasser. Soweit Harry es beurteilen konnte, war es nicht tief, aber um das Schwert heraufzuholen, würde er ganz untertauchen müssen.

Lange über die bevorstehende Aufgabe nachzudenken würde sie nicht einfacher machen und das Wasser nicht wärmer. Er trat an den Rand des Weihers und legte Hermines noch leuchtenden Zauberstab auf die Erde.

Und während er versuchte sich nicht vorzustellen, wie viel kälter ihm gleich werden oder wie schlimm er dann zittern würde, sprang er.

Sämtliche Poren seines Körpers protestierten heftig: Als er bis zu den Schultern im eisigen Wasser versank, schien die Luft in seiner Lunge buchstäblich zu gefrieren. Er konnte kaum atmen; er schlotterte so stark, dass das Wasser über den Rand des Weihers schwappte, und tastete mit seinen tauben Füßen nach der Klinge. Er wollte nur ein Mal hinabtauchen.

Zitternd und nach Luft schnappend, zögerte Harry den Moment, da er ganz untertauchen würde, Sekunde um Sekunde hinaus, bis er sich sagte, dass es getan werden musste, und er all seinen Mut zusammennahm und tauchte.

Die Kälte war tödlich: Sie überfiel ihn wie Feuer. Selbst sein Gehirn schien gefroren zu sein, als er durch das dunkle Wasser zum Grund hinabstieß und mit der ausgestreckten Hand nach dem Schwert tastete.

Seine Finger schlossen sich um den Griff; er zog es nach oben.

Dann schloss sich etwas fest um seinen Hals. Er dachte an Schlingpflanzen, obwohl ihn nichts gestreift hatte, als er hinuntergetaucht war, und hob seine leere Hand, um sich zu befreien. Es war keine Schlingpflanze: Die Kette des Horkruxes hatte sich zusammengezogen und schnürte allmählich seine Luftröhre ab.

Harry strampelte wild, versuchte sich zurück an die Oberfläche zu stoßen, trieb aber nur auf die steinige Seite des Weihers zu. Um sich schlagend und nah am Ersticken, zerrte er an der Kette, die ihn strangulierte, doch seine eisigen Finger konnten sie nicht lockern, und jetzt tauchten kleine Lichter in seinem Kopf auf, und er würde gleich ertrinken, es gab nichts mehr, nichts, was er tun konnte, und die Arme, die sich um seine Brust schlangen, waren sicher die des Todes ...

Würgend und spuckend, klatschnass und frierend, wie er noch nie im Leben gefroren hatte, kam er zu sich, mit dem Gesicht im Schnee.

Irgendwo in der Nähe keuchte und hustete und wankte noch jemand umher.

Hermine war wieder gekommen, so wie sie gekommen war, als die Schlange angegriffen hatte ... doch es hörte sich nicht nach ihr an, nicht dieses starke Husten, nicht diese schweren Schritte ...

Harry hatte nicht die Kraft, den Kopf zu heben und nachzusehen, wer sein Retter war. Er konnte nichts weiter tun, als eine zittrige Hand an seine Kehle zu führen und die Stelle zu betasten, wo das Medaillon tief in sein Fleisch geschnitten hatte. Es war weg: Jemand hatte ihn befreit. Dann ertönte über seinem Kopf eine keuchende Stimme.

»Bist – du – verrückt?«

Nur der Schreck, diese Stimme zu hören, konnte Harry die Kraft gegeben haben, sich aufzurichten. Haltlos schlotternd und schwankend, erhob er sich. Da, vor ihm, stand Ron, ganz angezogen, aber nass bis auf die Haut, die Haare klebten ihm im Gesicht, er hielt das Schwert Gryffindors in der einen und den Horkrux, der an seiner zerrissenen Kette baumelte, in der anderen Hand.

»Warum zur Hölle«, keuchte Ron und hob den Horkrux empor, der an seiner verkürzten Kette vor und zurück schwang wie beim Versuch einer Hypnose, »warum zur Hölle hast du dieses Ding nicht abgelegt, bevor du reingesprungen bist?«

Harry konnte nicht antworten. Die silberne Hirschkuh war nichts, nichts im Vergleich zu Rons Wiedererscheinen, er konnte es nicht glauben.

Schaudernd vor Kälte, nahm er den Haufen Kleider hoch, die noch am Rand des Weihers lagen, und begann sich anzuziehen. Während er sich einen Pullover nach dem anderen über den Kopf zog, starrte er Ron an, und immer wenn er ihn kurz nicht sah, rechnete er schon fast damit, dass er wieder verschwunden war, und doch musste es der echte Ron sein: Er war gerade in den Weiher gesprungen, er hatte Harry das Leben gerettet.

»Das warst d-du?«, fragte Harry endlich mit klappernden Zähnen, die Stimme schwächer als sonst, da er fast erwürgt worden war.

»Also, jaah«, sagte Ron, offenbar leicht verwirrt.

»D-du hast diese Hirschkuh herbeigezaubert?«

»Was? Nein, natürlich nicht! Ich dachte, das wärst du gewesen!«

»Mein Patronus ist ein Hirsch.«

»Ach ja. Dachte mir doch, dass da was nicht stimmte. Kein Geweih.«

Harry hängte sich Hagrids Beutel wieder um den Hals, zog einen letzten Pulli an, bückte sich, hob Hermines Zauberstab auf und wandte sich wieder Ron zu.

»Wie kommt es, dass du hier bist?«

Offenbar hatte Ron gehofft, dass das später zur Sprache kommen würde, wenn überhaupt.

»Also, ich bin – na ja – ich bin zurückgekommen. Falls -« Er räusperte sich. »Na ja. Du mich noch haben willst. «

Eine Stille trat ein, und die Tatsache, dass Ron weggegangen war, baute sich wie eine Mauer zwischen ihnen auf. Aber er war da. Er war zurückgekommen. Er hatte Harry gerade das Leben gerettet.

Ron sah auf seine Hände hinunter. Einen Moment wirkte er überrascht über die Dinge, die er da hielt.

»Ach ja; das hab ich rausgeholt«, sagte er, obwohl es eigentlich nicht nötig war, und hielt das Schwert in die Höhe, um es Harry zu zeigen.

»Deswegen bist du reingesprungen, stimmt's?«

»Jaah«, sagte Harry. »Aber ich versteh das nicht. Wie bist du hierhergekommen? Wie hast du uns gefunden?«

»Lange Geschichte«, sagte Ron. »Ich hab stundenlang nach euch gesucht, das ist ein großer Wald, was? Und ich hab gerade überlegt, dass ich wohl unter einem Baum pennen und bis zum Morgen warten muss, da sah ich dieses Tier kommen, und du warst hinter ihm her.«

»Sonst hast du niemanden gesehen?«

»Nein«, sagte Ron. »Ich -«

Aber er zögerte und warf einen flüchtigen Blick auf zwei Bäume, die einige Meter entfernt dicht beieinanderstanden.

»- ich dachte zwar, dort drüben hätte sich was bewegt, aber da lief ich gerade zum Weiher, weil du dadrin warst und nicht mehr aufgetaucht bist, deshalb wollte ich keinen Umweg machen, um – hey!«

Harry rannte bereits zu der Stelle, die Ron ihm gezeigt hatte. Die beiden Eichen wuchsen eng beieinander; zwischen den Stämmen war auf Augenhöhe eine Lücke, nur wenige Zentimeter breit, ein idealer Platz, um zu beobachten, aber nicht gesehen zu werden. Der Boden rund um die Wurzeln war jedoch frei von Schnee und Harry konnte keinerlei Fußspuren erkennen. Er ging zurück zu Ron, der auf ihn wartete, immer noch mit dem Schwert und dem Horkrux in den Händen.

»Ist da irgendwas?«, fragte Ron.

»Nein«, sagte Harry.

»Und wie ist das Schwert dann in den Weiher gekommen?«

»Wer auch immer den Patronus heraufbeschworen hat, muss es da reingetan haben.«

Beide betrachteten das reich verzierte silberne Schwert, dessen rubinbesetzter Griff im Licht von Hermines Zauberstab ein wenig glitzerte.

»Meinst du, dass es das echte ist?«, fragte Ron.

»Es gibt eine Möglichkeit, das rauszufinden, oder?«, sagte Harry.

Der Horkrux baumelte noch von Rons Hand. Das Medaillon zuckte leicht. Harry wusste, dass das Ding in seinem Innern wieder unruhig war.

Es hatte die Gegenwart des Schwertes gespürt und versucht, Harry eher zu töten, als zuzulassen, dass er das Schwert in die Hände bekam. Jetzt war keine Zeit für lange Diskussionen; jetzt war der Augenblick gekommen, das Medaillon ein für alle Mal zu zerstören. Harry hielt Hermines Zauberstab empor, schaute sich um und sah auch schon, wo es geschehen sollte: auf einem einigermaßen flachen Stein im Schatten eines Bergahorns.

»Komm mit«, sagte er und ging voran, er wischte den Schnee von dem Stein und streckte die Hand nach dem Horkrux aus. Als Ron ihm jedoch auch das Schwert geben wollte, schüttelte Harry den Kopf.

»Nein, du solltest es tun.«

»Ich?«, sagte Ron mit bestürzter Miene. »Wieso?«

»Weil du das Schwert aus dem Weiher geholt hast. Ich glaube, du sollst derjenige sein.«

Es ging nicht darum, nett oder großzügig zu sein. So sicher, wie er gewusst hatte, dass die Hirschkuh ihm wohlgesinnt war, wusste er auch, dass Ron derjenige sein musste, der das Schwert führte. Dumbledore hatte Harry wenigstens etwas über gewisse Arten von Magie beigebracht, über die unberechenbare Kraft gewisser Handlungen.

»Ich werde es öffnen«, sagte Harry, »und du erstichst es. Und zwar sofort, verstanden? Denn was immer dadrin ist, es wird sich wehren. Das Stück Riddle in dem Tagebuch hat versucht mich umzubringen.«

»Wie willst du es öffnen?«, fragte Ron. Die Angst stand ihm ins Gesicht geschrieben.

»Ich werde von ihm verlangen, dass es sich öffnet, auf Parsel«, sagte Harry. Die Antwort kam ihm so prompt über die Lippen, dass er meinte, sie tief im Innern immer schon gewusst zu haben: Vielleicht war sein jüngster Zusammenstoß mit Nagini nötig gewesen, um es zu begreifen. Er betrachtete das gewundene »S«, in das funkelnde grüne Steine eingelegt waren: Es war leicht, sich darin eine winzige Schlange vorzustellen, die sich auf dem kalten Stein ringelte.

»Nein«, sagte Ron, »nein, mach es nicht auf! Im Ernst!«

»Warum nicht?«, fragte Harry. »Lass uns das verfluchte Ding loswerden, seit Monaten -«

»Ich kann nicht, Harry, ehrlich – mach du es -«

»Aber warum?«

»Weil dieses Ding schlecht für mich ist!«, sagte Ron und wich vor dem Medaillon auf dem Stein zurück. »Ich krieg das nicht hin! Das soll keine Ausrede dafür sein, dass ich so drauf war, Harry, aber es hat mir mehr zugesetzt als dir und Hermine, es hat mich lauter Sachen denken lassen, Sachen, die ich sowieso gedacht hab, aber es hat alles schlimmer gemacht, ich kann es nicht erklären, und wenn ich es dann abgenommen hab, war ich wieder klar im Kopf, und dann musste ich mir das verdammte Ding wieder umhängen – ich schaff es nicht, Harry!«

Er war kopfschüttelnd zurückgewichen, das Schwert neben sich über den Boden schleifend.

»Du kannst es schaffen«, sagte Harry, »du kannst! Du hast dir gerade das Schwert geholt, ich weiß, du musst derjenige sein, der es benutzt. Bitte, schlag das Ding einfach kaputt, Ron.«

Der Klang seines Namens schien ihn anzuspornen. Ron schluckte und ging dann, immer noch schwer durch seine lange Nase atmend, wieder auf den Stein zu.

»Sag mir, wann«, krächzte er.

»Bei drei«, sagte Harry, blickte wieder hinunter auf das Medaillon, kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf den Buchstaben »S«, wobei er sich eine Schlange vorstellte, während es im Medaillon scharrte, als wäre eine Kakerlake darin gefangen. Man hätte leicht Mitleid damit haben können, wenn der Schnitt rund um Harrys Hals nicht immer noch gebrannt hätte.

»Eins ... zwei ... drei ... öffne dich.«

Das letzte Wort war ein Zischen und ein Fauchen, und die goldenen Türchen des Medaillons schwangen mit einem leisen Klicken auseinander.

Hinter jedem der beiden Glasfenster im Medaillon blinzelte ein lebendiges Auge, dunkel und hübsch, wie Tom Riddles Augen es gewesen waren, ehe er sie scharlachrot und die Pupillen zu Schlitzen gemacht hatte.

»Stich zu«, sagte Harry und hielt das Medaillon auf dem Stein fest.

Ron hob mit zitternden Händen das Schwert: Die Spitze hing über den hektisch hin und her huschenden Augen, und Harry hatte das Medaillon sicher im Griff, war auf alles gefasst, sah schon Blut aus den leeren Fenstern quellen.

Dann zischte eine Stimme aus dem Horkrux.

»Ich habe dein Herz gesehen und es ist meines.«

»Hör nicht hin!«, sagte Harry barsch. »Erstich es!«

»Ich habe deine Träume gesehen, Ronald Weasley, und ich habe deine Ängste gesehen. Alles, was du begehrst, ist möglich, aber alles, was du fürchtest, ist ebenfalls möglich ...«

»Stich zu!«, schrie Harry; seine Stimme hallte von den Bäumen ringsum wider, die Schwertspitze zitterte, und Ron starrte hinab in Riddles Augen.

»Am wenigsten geliebt, schon immer, von der Mutter, die sich eine Tochter ersehnte ...am wenigsten geliebt, auch jetzt, von dem Mädchen, das deinen Freund bevorzugt ... Zweitbester, immer, ewig im Schatten ... «

»Ron, erstich es jetzt!«, brüllte Harry: Er spürte, wie das Medaillon in seinen Händen bebte, und hatte Angst vor dem, was gleich kommen würde.

Ron hob das Schwert noch höher und dabei leuchteten Riddles Augen scharlachrot auf.

Aus den beiden Fenstern des Medaillons, aus den Augen, wuchsen wie zwei groteske Blasen die Köpfe von Harry und Hermine heraus, seltsam verzerrt.

Ron schrie schockiert auf und wich zurück, als die Gestalten aus dem Medaillon hervorsprossen, zuerst die Brust, dann die Hüfte, dann die Beine, bis sie schließlich in dem Medaillon standen, Seite an Seite wie Bäume mit einer gemeinsamen Wurzel, und über Ron und dem echten Harry schwankten, der die Finger von dem Medaillon weggerissen hatte, da es plötzlich weiß glühte.

»Ron!«, rief er, doch der Riddle-Harry sprach jetzt mit Voldemorts Stimme, und Ron starrte wie hypnotisiert in sein Gesicht.

»Warum bist du zurück? Es ging uns besser ohne dich, wir waren glücklicher ohne dich, froh, dass du weg warst ... wir haben über deine Dummheit gelacht, über deine Feigheit, deine Aufgeblasenheit -«

»Aufgeblasenheit!«, wiederholte die Riddle-Hermine, die schöner und doch furchteinflößender war als die echte Hermine: Sie schwankte gackernd vor Ron hin und her, der entsetzt und doch wie gelähmt schien, das Schwert hing nutzlos an seiner Seite herab. »Wer kann dich denn ansehen, wer will dich jemals ansehen, neben Harry Potter? Was hast du je getan, im Vergleich zu dem Auserwählten? Was bist du, im Vergleich zu dem Jungen, der überlebt hat?«

»Ron, stich zu, STICH ZU!«, schrie Harry, aber Ron rührte sich nicht: In seinen weit aufgerissenen Augen spiegelten sich der Riddle-Harry und die Riddle-Hermine, ihre Haare wie Flammenwirbel, ihre Augen leuchtend rot, ihre Stimmen zu einem bösen Duett erhoben.

»Deine Mutter hat es zugegeben«, höhnte Riddle-Harry, während Riddle-Hermine beifällig johlte, »dass sie lieber mich zum Sohn gehabt hätte, gerne tauschen würde ... «

»Wer hätte ihn nicht lieber, welche Frau würde dich schon nehmen? Du bist nichts, nichts, nichts gegen ihn«, gurrte Riddle-Hermine, und sie streckte sich wie eine Schlange und ringelte sich um Riddle-Harry, umschloss ihn in einer festen Umarmung: Ihre Lippen berührten sich.

Am Boden vor ihnen nahm Rons Gesicht einen qualvollen Ausdruck an: Mit zitternden Armen hob er das Schwert in die Höhe.

»Tu es, Ron!«, schrie Harry.

Ron warf ihm einen Blick zu und Harry glaubte eine Spur Scharlachrot in seinen Augen zu sehen.

»Ron -?«

Das Schwert blitzte, stieß hinab: Harry warf sich beiseite, ein metallisches Klirren war zu hören und ein lang anhaltender Schrei. Harry wirbelte herum, rutschte im Schnee aus, den Zauberstab bereit, um sich zu verteidigen: Aber es gab nichts, wogegen er kämpfen musste.

Die riesenhaften Versionen von ihm selbst und von Hermine waren fort: Nur noch Ron stand da, das Schwert schlaff in der Hand, und sah hinab auf die zertrümmerten Überreste des Medaillons auf dem flachen Stein.

Langsam ging Harry wieder auf ihn zu, ohne recht zu wissen, was er sagen oder tun sollte. Ron atmete schwer. Seine Augen waren gar nicht mehr rot, sondern wieder blau wie sonst; und sie waren feucht.

Harry tat, als hätte er das nicht gesehen, bückte sich und hob den zerbrochenen Horkrux auf. Ron hatte das Glas in beiden Fenstern durchstochen: Riddles Augen waren verschwunden und das fleckige Seidenfutter des Medaillons qualmte ein wenig. Das Ding, das in dem Horkrux gelebt hatte, war nicht mehr; Ron zu peinigen, war seine letzte Tat gewesen.

Das Schwert klirrte, als Ron es fallen ließ. Er war auf die Knie gesunken, den Kopf in den Armen. Er zitterte, aber Harry war klar, dass es nicht an der Kälte lag. Harry stopfte das zerstörte Medaillon in seine Tasche, kniete sich neben Ron nieder und legte ihm behutsam eine Hand auf die Schulter. Er hielt es für ein gutes Zeichen, dass Ron sie nicht abschüttelte.

»Nachdem du weg warst«, sagte er mit leiser Stimme, dankbar, dass Rons Gesicht verborgen war, »hat sie eine Woche lang geweint.

Wahrscheinlich länger, sie wollte nur nicht, dass ich es mitbekomme. Es gab so viele Abende, an denen wir nicht mal miteinander gesprochen haben. Weil du weg warst ...«

Er konnte den Satz nicht beenden; erst jetzt, da Ron zurück war, wurde Harry richtig bewusst, wie viel seine Abwesenheit sie gekostet hatte.

»Sie ist wie eine Schwester für mich«, fuhr er fort. »Ich liebe sie wie eine Schwester, und ich glaube, für sie ist es umgekehrt genauso. Das war immer schon so. Ich dachte, du wüsstest das.«

Ron antwortete nicht, sondern wandte sein Gesicht von Harry ab und putzte sich geräuschvoll mit seinem Ärmel die Nase. Harry stand auf und ging zu der Stelle, wo Rons riesiger Rucksack lag, den Ron einige Meter entfernt hingeworfen hatte, als er zu dem Weiher gerannt war, um Harry vor dem Ertrinken zu retten. Er schulterte ihn und ging zu Ron zurück, der sich, während Harry näher kam, mühsam hochrappelte, mit blutunterlaufenen Augen, doch sonst gefasst.

»Tut mir leid«, sagte er mit belegter Stimme. »Tut mir leid, dass ich abgehauen bin. Ich weiß, ich war ein – ein -«

Er sah sich in der Dunkelheit um, als hoffte er, ein möglichst schlimmes Wort würde auf ihn herabstürzen und ihm zupasskommen.

»Du hast es heute Nacht irgendwie wiedergutgemacht«, sagte Harry.

»Das Schwert geholt. Den Horkrux erledigt. Mein Leben gerettet.«

»So klingt es viel cooler, als ich wirklich war«, murmelte Ron.

»Solche Sachen klingen immer cooler, als sie wirklich waren«, sagte Harry. »Das versuch ich schon seit Jahren dir klarzumachen.«

Sie gingen gleichzeitig aufeinander zu und umarmten sich, und als Harry Rons Jacke hinten anfasste, war sie immer noch klitschnass.

»Und jetzt«, sagte Harry, als sie sich voneinander lösten, »müssen wir nur noch das Zelt wiederfinden.«

Doch es war nicht schwer. Obwohl ihm der Weg durch den dunklen Wald hinter der Hirschkuh her sehr lang vorgekommen war, schien die Strecke zurück mit Ron an seiner Seite überraschend kurz. Harry wollte unbedingt sofort Hermine wecken und betrat in zunehmender Aufregung das Zelt, während Ron etwas hinter ihm zurückblieb.

Nach dem Weiher und dem Wald war es herrlich warm darin, und es wurde nur von den Flammen erhellt, die noch immer wie Glockenblumen in einer Schale auf dem Boden schimmerten. Hermine schlief fest, unter ihren Decken eingerollt, und rührte sich erst, als Harry mehrmals ihren Namen gesagt hatte.

»Hermine!«

Sie bewegte sich, setzte sich dann rasch auf und strich sich die Haare aus dem Gesicht.

»Stimmt was nicht? Harry? Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Keine Sorge, alles ist gut. Mehr als gut. Ich fühl mich großartig. Ich hab dir jemand mitgebracht.«

»Was soll das heißen? Wen -?«

Sie sah Ron, der mit dem Schwert in der Hand dastand und auf den zerschlissenen Teppich tropfte. Harry trat in eine dunkle Ecke zurück, ließ Rons Rucksack zu Boden gleiten und versuchte, vor der Zeltleinwand möglichst unauffällig zu wirken.

Hermine schlüpfte aus ihrem Bett und bewegte sich wie eine Schlafwandlerin auf Ron zu, den Blick auf sein blasses Gesicht geheftet.

Sie blieb dicht vor ihm stehen, mit leicht geöffneten Lippen, die Augen aufgerissen. Ron lächelte sie schwach und hoffnungsvoll an und hob halb die Arme.

Hermine stürzte sich auf ihn und fing an, jeden Zentimeter von ihm, den sie erreichen konnte, mit den Fäusten zu bearbeiten.

»Autsch – au – hör auf! Was zum -? Hermine – AUA!«

»Du – komplettes – Arschloch – Ronald – Weasley!«

Sie unterstrich jedes Wort mit einem Schlag: Ron wich zurück und hielt schützend die Hände über den Kopf, während Hermine vorrückte.

»Du – kommst – wieder – hier – angekrochen – nach -Wochen – und –

Wochen – oh, wo ist mein Zauberstab?«

Sie sah aus, als würde sie ihn Harry gleich entreißen, und er reagierte instinktiv.

»Protego!«

Der unsichtbare Schild brach zwischen Ron und Hermine hervor: Seine Wucht stieß Hermine rücklings zu Boden. Sie spuckte Haare aus und sprang wieder auf die Beine.

»Hermine!«, sagte Harry. »Beruhige -«

»Ich beruhige mich nicht!«, schrie sie. Noch nie hatte er sie derart die Beherrschung verlieren sehen; sie wirkte völlig zerrüttet.

»Gib mir meinen Zauberstab zurück! Gib ihn mir zurück!«

»Hermine, würdest du bitte -«

»Du hast mir nicht zu sagen, was ich tun soll, Harry Potter!«, kreischte sie. »Wag es nicht! Gib ihn mir sofort zurück! Und DU!«

Sie zeigte in schwerer Anklage auf Ron: Es war, als ob sie ihn verwünschen wollte, und Harry konnte es Ron nicht verdenken, dass er sich ein paar Schritte zurückzog.

»Ich bin dir hinterhergelaufen! Ich hab nach dir gerufen! Ich hab dich angefleht, zurückzukommen!«

»Ich weiß«, sagte Ron. »Hermine, es tut mir leid, es tut mir wirklich -«

»Oh, es tut dir leid! «

Sie lachte, ein schrilles, unbeherrschtes Lachen; Ron sah Hilfe suchend zu Harry, doch Harry verzog nur hilflos das Gesicht.

»Du kommst nach Wochen – Wochen – zurück, und du meinst, es ist alles wieder in Ordnung, wenn du einfach sagst, dass es dir leidtut?«

»Na ja, was soll ich denn sonst sagen?«, rief Ron, und Harry war froh, dass er sich wehrte.

»Oh, ich weiß nicht!«, schrie Hermine mit beißendem Sarkasmus.

»Kram doch mal in deinem Oberstübchen, Ron, das dürfte nur ein paar Sekunden dauern -«

»Hermine«, warf Harry ein, der dies für einen Schlag unter die Gürtellinie hielt, »er hat gerade mein Leben -«

»Ist mir egal!«, schrie sie. »Ist mir egal, was er gemacht hat!

Wochenlang, wir hätten tot sein können, das hätte er gar nicht gemerkt -«

»Ich wusste, dass ihr nicht tot wart«, brüllte Ron und übertönte zum ersten Mal ihre Stimme, wobei er so nah an sie herantrat, wie es der Schildzauber zwischen ihnen ermöglichte. »Harry ist die ganze Zeit im Propheten und im Radio, die suchen überall nach dir, so viele Gerüchte und verrückte Geschichten, ich wusste, dass ich es sofort mitkriegen würde, wenn ihr tot wärt, du weißt gar nicht, wie das war -«

»Wie das für dich war?«

Ihre Stimme war jetzt so schrill, dass wohl bald nur noch Fledermäuse sie vernehmen konnten, doch sie hatte sich dermaßen entrüstet, dass ihr kurz die Worte fehlten, und Ron nutzte die Gelegenheit.

»Ich wollte wieder zurückkommen, kaum dass ich disappariert war, aber ich bin einer Bande von Greifern direkt in die Arme gelaufen, Hermine, und da konnte ich nirgends mehr hin!«

»Einer Bande von was?«, fragte Harry, während Hermine sich auf einen Stuhl fallen ließ, die Arme und Beine so fest verschlungen, dass sie sie wahrscheinlich erst in einigen Jahren wieder auseinanderbekam.

»Greifer«, sagte Ron. »Die sind überall, Banden, die Gold verdienen wollen, indem sie Muggelstämmige und Blutsverräter auftreiben, das Ministerium zahlt für jeden, den sie fangen, eine Belohnung. Ich war allein, und ich seh so jung aus, als ob ich noch Schüler wäre, die waren ganz aufgeregt, dachten, ich war ein Muggelstämmiger, der sich versteckt. Ich musste mich schnell rausreden, damit die mich nicht ins Ministerium schleppten.«

»Was hast du zu ihnen gesagt?«

»Dass ich Stan Shunpike bin. War der Erste, der mir eingefallen ist.«

»Und das haben die geglaubt?«

»Die waren nicht die Hellsten. Einer von ihnen war eindeutig ein halber Troll, so wie der gestunken hat ...«

Ron blickte rasch zu Hermine, offensichtlich in der Hoffnung, er hätte sie mit diesem kleinen Scherz ein wenig besänftigt, doch ihre Miene über den fest verknoteten Armen und Beinen war nach wie vor steinern.

»Jedenfalls haben die sich gestritten, ob ich nun Stan bin oder nicht. Es war ehrlich gesagt ein bisschen albern, aber die waren immerhin zu fünft, und ich war allein, und sie hatten meinen Zauberstab. Dann fingen zwei von denen an sich zu prügeln, und während die anderen abgelenkt waren, konnte ich den, der mich festhielt, in den Bauch schlagen, hab seinen Zauberstab gepackt, den Typen, der meinen hatte, entwaffnet und bin disappariert. Ich hab's nicht so gut hingekriegt, hab mich wieder zersplintert

-«, Ron hob die rechte Hand, um zu zeigen, dass ihm zwei Fingernägel fehlten; Hermine zog kühl die Augenbrauen hoch, »- und ich bin ewig weit weg von der Stelle gelandet, wo ihr wart. Als ich dann zu dem Stückchen Flussufer zurückkam, wo unser Lager war ... wart ihr schon weg.«

»Meine Güte, was für eine spannende Geschichte«, sagte Hermine in dem hochmütigen Ton, den sie anschlug, wenn sie verletzen wollte. »Du musst ja so was von Angst gehabt haben. Währenddessen waren wir in Godric's Hollow, und, lass mich überlegen, was ist da noch mal passiert, Harry? Ach ja, die Schlange von Du-weißt-schon-wem ist aufgetaucht und hat uns beide fast umgebracht, und dann kam Du-weißt-schon-wer persönlich und hat uns haarscharf verfehlt.«

»Was?«, sagte Ron und starrte erst sie und dann Harry an, aber Hermine ignorierte ihn.

»Stell dir vor, er hat Fingernägel verloren, Harry! Da sind unsere Wehwehchen ja nichts dagegen, oder?«

»Hermine«, sagte Harry leise, »Ron hat mir gerade das Leben gerettet.«

Sie schien ihn nicht gehört zu haben.

»Eins würde ich aber doch gerne wissen«, sagte sie und richtete ihren Blick auf einen Punkt einige Zentimeter über Rons Kopf. »Wie hast du uns heute Nacht eigentlich gefunden? Das ist wichtig. Wenn wir es wissen, können wir dafür sorgen, dass wir nicht noch mal von jemand Besuch kriegen, den wir nicht sehen wollen.«

Ron starrte sie böse an, dann zog er einen kleinen silbernen Gegenstand aus seiner Jeanstasche.

»Hier.«

Sie musste zu Ron hinschauen, um zu sehen, was er ihnen zeigte.

»Der Deluminator?«, sagte sie, so verblüfft, dass sie vergaß, kühl und grimmig zu blicken.

»Er macht nicht nur Lichter an und aus«, sagte Ron. »Ich weiß nicht, wie er funktioniert oder warum es erst dann passiert ist und nicht irgendwann sonst, wo ich doch die ganze Zeit schon zurückkommen wollte, seit ich weg war. Jedenfalls hab ich Radio gehört, ganz früh am Weihnachtsmorgen, und da hab ich ... da hab ich dich gehört.«

Er sah Hermine an.

»Du hast mich im Radio gehört?«, fragte sie ungläubig.

»Nein, ich hab dich aus meiner Tasche kommen hören. Deine Stimme«, er hielt den Deluminator wieder hoch, »kam hier raus.«

»Und was genau habe ich gesagt?«, fragte Hermine in einem Ton irgendwo zwischen Skepsis und Neugier.

»Meinen Namen. gt;Ron.lt; Und noch was ... über einen Zauberstab ...«

Hermines Gesicht lief feuerrot an. Harry erinnerte sich: Es war das erste Mal gewesen, dass Rons Name von einem von ihnen laut ausgesprochen worden war, seit dem Tag, an dem Ron gegangen war; Hermine hatte ihn erwähnt, als sie darüber redeten, wie Harrys Zauberstab repariert werden konnte.

»Also hab ich ihn rausgenommen«, fuhr Ron fort und blickte auf den Deluminator, »und er kam mir eigentlich wie immer vor, aber ich war sicher, dass ich dich gehört hatte. Also hab ich ihn klicken lassen. Und das Licht in meinem Zimmer ging aus, aber direkt vor dem Fenster tauchte ein anderes Licht auf.«

Ron hob seine freie Hand und deutete nach vorne, die Augen auf etwas gerichtet, das weder Harry noch Hermine sehen konnten.

»Es war eine Lichtkugel, die irgendwie pulsierte und bläulich war, wie dieses Licht, das um einen Portschlüssel entsteht, wisst ihr?«

»Jaah«, sagten Harry und Hermine automatisch und wie aus einem Mund.

»Ich wusste, das war es«, sagte Ron. »Ich hab meine Sachen geschnappt und gepackt, und dann hab ich den Rucksack geschultert und bin raus in den Garten. Da schwebte die kleine Lichtkugel, wartete auf mich, und als ich rauskam, hüpfte sie ein wenig voraus, und ich bin ihr hinter den Schuppen gefolgt, und dann ist sie ... also, sie ist in mich rein.«

»Wie bitte?«, sagte Harry, der überzeugt war, dass er sich verhört hatte.

»Sie ist irgendwie auf mich zugeschwebt«, sagte Ron und veranschaulichte die Bewegung mit seinem freien Zeigefinger, »direkt auf meine Brust zu, und dann – ging sie einfach mittendurch. Sie war hier«, er berührte eine Stelle nahe seinem Herzen, »ich konnte sie spüren, sie war heiß. Und sobald sie in mir drin war, wusste ich, was ich tun sollte, ich wusste, sie würde mich dorthin bringen, wo ich hinmusste. Also bin ich disappariert und kam auf einem Berghang wieder raus. Überall war Schnee

...«

»Da waren wir«, sagte Harry. »Wir haben da zwei Nächte verbracht, und in der zweiten Nacht hab ich die ganze Zeit geglaubt, ich würde jemanden hören, der sich in der Dunkelheit bewegt und ruft!«

»Jaa, genau, das muss wohl ich gewesen sein«, sagte Ron. »Eure Schutzzauber funktionieren jedenfalls, weil ich euch nicht sehen und nicht hören konnte. Ich war aber sicher, dass ihr da irgendwo wart, deshalb hab ich mich am Ende in meinen Schlafsack gelegt und gewartet, dass einer von euch auftaucht. Ich dachte, ihr müsstet euch zeigen, wenn ihr das Zelt einpackt.«

»Nein, eigentlich nicht«, sagte Hermine. »Wir sind immer unter dem Tarnumhang disappariert, als zusätzliche Vorsichtsmaßnahme. Und wir sind sehr früh aufgebrochen, weil wir, wie Harry sagt, gehört hatten, dass jemand umherstreunte.«

»Jedenfalls bin ich an diesem Tag auf dem Hügel geblieben«, sagte Ron. »Ich hab die ganze Zeit gehofft, dass ihr auftaucht. Aber als es dann anfing dunkel zu werden, wusste ich, dass ich euch verpasst haben musste, also hab ich den Deluminator wieder klicken lassen, das blaue Licht kam raus und ging in mich rein, und ich bin disappariert und hier angekommen, in diesem Wald. Ich konnte euch immer noch nicht sehen, also musste ich einfach hoffen, dass einer von euch sich irgendwann zeigen würde – und das hat Harry getan. Nun, die Hirschkuh hab ich natürlich zuerst gesehen. «

»Du hast was gesehen?«, sagte Hermine scharf.

Sie erklärten ihr, was geschehen war, und während sie die Geschichte von der silbernen Hirschkuh und dem Schwert im Weiher erzählten, blickte Hermine stirnrunzelnd vom einen zum andern, so aufmerksam, dass sie vergaß, ihre Hände und Füße verschränkt zu lassen.

»Aber das muss ein Patronus gewesen sein!«, sagte sie. »Konntet ihr nicht sehen, wer ihn erzeugt hat? Habt ihr niemanden gesehen? Und er hat euch zu dem Schwert geführt! Das ist ja unglaublich! Und was ist dann passiert?«

Ron erklärte, dass er Harry dabei beobachtet hatte, wie er in den Weiher sprang, und darauf gewartet hatte, dass er wieder auftauchte; dass ihm klar geworden war, dass etwas nicht stimmte, er selbst ins Wasser gesprungen war und Harry gerettet hatte, woraufhin er noch einmal nach dem Schwert getaucht war. Als er die Stelle vom Öffnen des Medaillons erreicht hatte, zögerte er, und Harry erzählte weiter.

»- und Ron hat das Ding mit dem Schwert erstochen.«

»Und ... und es ist verschwunden? Einfach so?«, flüsterte sie.

»Also, es – es hat geschrien«, sagte Harry mit einem kurzen Blick zu Ron. »Hier.«

Er warf ihr das Medaillon in den Schoß; mit spitzen Fingern nahm sie es hoch und untersuchte seine durchbohrten Fenster.

Da Harry fand, dass es nun endlich ungefährlich war, entfernte er den Schildzauber mit einem Schlenker von Hermines Zauberstab und wandte sich dann Ron zu.

»Hast du nicht eben gesagt, dass du den Greifern noch einen Zauberstab abgenommen hast, ehe du ihnen entkommen bist?«

»Was?«, sagte Ron, der Hermine dabei beobachtet hatte, wie sie das Medaillon untersuchte. »Ach – ach ja.«

Er riss einen Verschluss an seinem Rucksack auf und zog einen kurzen, dunklen Zauberstab aus einer Seitentasche.

»Hier. Ich dachte, dass man einen in Vorrat immer gut brauchen kann.«

»Wie wahr«, sagte Harry und streckte die Hand aus. »Meiner ist kaputt!«

»Soll das ein Witz sein?«, erwiderte Ron, doch in diesem Moment stand Hermine auf, und er machte wieder ein besorgtes Gesicht.

Hermine steckte den besiegten Horkrux in die mit Perlen verzierte Tasche, kletterte dann wieder in ihr Bett und legte sich ohne ein weiteres Wort schlafen.

Ron gab Harry den neuen Zauberstab.

»Da bist du ganz gut weggekommen, denke ich«, murmelte Harry.

»Jaah«, sagte Ron. »Hätte schlimmer sein können. Weißt du noch, wie sie diese Vögel auf mich gejagt hat?«

»Das kann dir immer noch blühen«, kam Hermines gedämpfte Stimme unter ihren Decken hervor, aber Harry sah, dass Ron ein wenig schmunzelte, während er seinen kastanienbraunen Pyjama aus dem Rucksack zog.