"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)Erbteil des fluches, hässlicher sünde blutige wunde, schmerzen, wer trüge sie? quälen, wer stillte sie? wehe weh! Einzig der erbe heilet des hauses eiternde wunde, einzig mit blut'gem schnitt. götter der finsternis rief mein lied. Sel'ge geister drunten in der tiefe, wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet, bringt den kindern hilfe, bringt den sieg. Aischylos, Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist. William Penn, Die Geschichte des PrinzenHarry verharrte kniend an Snapes Seite, starrte einfach auf ihn hinab, bis völlig unvermittelt eine hohe, kalte Stimme zu hören war, so nah bei ihnen, dass Harry aufsprang, das Fläschchen fest in der Hand, da er dachte, dass Voldemort zurückgekommen war. Voldemorts Stimme hallte von den Wänden und vom Boden wider, und Harry wusste, dass er zu Hogwarts und der ganzen Umgebung sprach und dass die Bewohner von Hogsmeade und alle, die noch im Schloss kämpften, ihn so deutlich hörten, als ob er neben ihnen stünde, als ob sie seinen Atem im Nacken hätten, einen tödlichen Schlag entfernt. »Ihr habt gekämpft«, sagte die hohe, kalte Stimme, »heldenhaft gekämpft. Lord Voldemort weiß Tapferkeit zu schätzen. Doch ihr habt schwere Verluste erlitten. Wenn ihr mir weiterhin Widerstand leistet, werdet ihr alle sterben, einer nach dem anderen. Ich will nicht, dass dies geschieht. Jeder Tropfen magisches Blut, der vergossen wird, ist ein Verlust und eine Verschwendung. Lord Voldemort ist gnädig. Ich befehle meinen Streitkräften, sich sofort zurückzuziehen. Ihr habt eine Stunde. Schafft eure Toten mit Würde fort. Versorgt eure Verletzten. Harry Potter, ich spreche nun direkt zu dir. Du hast deine Freunde für dich sterben lassen, anstatt mir selbst entgegenzutreten. Ich werde eine Stunde lang im Verbotenen Wald warten. Wenn du nach Ablauf dieser Stunde nicht zu mir gekommen bist, dich nicht ergeben hast, dann beginnt die Schlacht von neuem. Diesmal werde ich selbst in den Kampf ziehen, Harry Potter, und ich werde dich finden, und ich werde jeden Einzelnen, ob Mann, Frau oder Kind, bestrafen, der versucht hat, dich vor mir zu verstecken. Eine Stunde.« Ron und Hermine, die den Blick auf Harry gerichtet hatten, schüttelten beide fieberhaft die Köpfe. »Hör nicht auf ihn«, sagte Ron. »Es wird alles gut werden«, sagte Hermine völlig außer sich. »Lass uns – lass uns zum Schloss zurückkehren; wenn er in den Wald gegangen ist, müssen wir uns einen neuen Plan ausdenken -« Sie blickte kurz auf Snapes Leiche, dann eilte sie zurück zum Eingang des Tunnels. Ron folgte ihr. Harry hob den Tarnumhang auf, dann sah er hinunter auf Snape. Er wusste nicht, was er empfinden sollte, außer Entsetzen über die Art und Weise, wie Snape getötet worden war, und über den Grund, weshalb es geschehen war ... Ohne ein Wort zu wechseln, krochen sie zurück durch den Tunnel, und Harry fragte sich, ob Voldemorts Stimme in Rons und Hermines Köpfen genauso nachklang wie in seinem eigenen. Auf dem Rasen vor dem Schloss schienen kleine Bündel verstreut zu liegen. Es konnte höchstens noch eine Stunde bis zum Morgengrauen sein, doch es war stockdunkel. Die drei hasteten auf die Steintreppe zu. Vor ihnen lag ein einsamer einzelner Holzschuh von der Größe eines kleinen Bootes. Sonst war von Grawp oder seinem Angreifer keinerlei Spur zu sehen. Im Schloss war es unnatürlich still. Es gab keine Lichtblitze mehr, kein Knallen, Schreien oder Rufen. Auf den Steinplatten der verlassenen Eingangshalle waren Blutflecken. Nach wie vor lagen überall auf dem Boden Smaragde herum, außerdem Marmortrümmer und Holzsplitter. Teile der Treppengeländer waren weggesprengt worden. »Wo sind die denn alle?«, flüsterte Hermine. Ron ging ihnen voraus in die Große Halle. Harry blieb im Eingang stehen. Die Haustische waren verschwunden und der Raum war brechend voll. Die Überlebenden standen in Gruppen beieinander, hatten sich gegenseitig die Arme um den Hals geschlungen. Die Verletzten wurden auf dem Podium von Madam Pomfrey und einigen Helfern behandelt. Unter den Verwundeten war auch Firenze; Blut strömte aus seiner Flanke, und er lag zitternd da, unfähig aufzustehen. Die Toten lagen in einer Reihe in der Mitte der Halle. Harry konnte Freds Leichnam nicht sehen, weil seine Familie ihn umringte. George kniete bei seinem Kopf; Mrs Weasley lag am ganzen Leib zitternd über seiner Brust. Mr Weasley, dem Tränen über die Wangen stürzten, strich ihr über die Haare. Ohne ein Wort zu Harry entfernten sich Ron und Hermine. Harry sah Hermine auf Ginny zugehen, deren Gesicht geschwollen und fleckig war, und sie umarmen. Ron trat zu Bill, Fleur und Percy, der einen Arm um Rons Schultern warf. Als Ginny und Hermine sich dem Rest der Familie näherten, konnte Harry die Toten, die neben Fred lagen, deutlich erkennen: Remus und Tonks, bleich und reglos und scheinbar friedlich, machten den Eindruck, als würden sie unter der dunklen, verzauberten Decke schlafen. Harry taumelte rückwärts durch die Tür, und die Große Halle schien davonzufliegen, kleiner zu werden, zu schrumpfen. Er bekam keine Luft mehr. Es war unerträglich für ihn, irgendeinen der anderen Toten anzuschauen, zu sehen, wer sonst noch für ihn gestorben war. Er brachte es nicht über sich, zu den Weasleys zu gehen und ihnen in die Augen zu sehen, denn wenn er sich gleich ausgeliefert hätte, wäre Fred vielleicht gar nicht gestorben ... Er wandte sich ab und rannte die Marmortreppe hoch. Lupin, Tonks ... er sehnte sich danach, nichts zu fühlen ... er wünschte, er könnte sich das Herz herausreißen, seine Eingeweide, alles, was in ihm schrie ... Das Schloss war vollkommen leer; selbst die Gespenster schienen sich zu den vielen Trauernden in der Großen Halle gesellt zu haben. Harry rannte, ohne anzuhalten, das Kristallfläschchen mit Snapes letzten Gedanken fest in der Hand, und verlangsamte seine Schritte erst, als er zu dem steinernen Wasserspeier kam, der das Büro des Schulleiters bewachte. »Passwort?« »Dumbledore!«, sagte Harry, ohne zu überlegen, weil es Dumbledore war, den er zu sehen begehrte, und zu seiner Überraschung glitt der Wasserspeier beiseite und gab die Wendeltreppe dahinter frei. Doch als Harry in das kreisrunde Büro stürzte, sah er, dass sich etwas verändert hatte. Die Porträts, die ringsum an der Wand hingen, waren leer. Kein einziger Schulleiter, keine Schulleiterin war noch da und konnte ihn sehen; sie waren offenbar alle davongehuscht, durch die Gemälde gestürmt, die sich im ganzen Schloss befanden, um klare Sicht auf das Geschehen zu haben. Harry warf einen verzweifelten Blick auf Dumbledores verlassenen Rahmen, der direkt hinter dem Stuhl des Schulleiters hing, dann kehrte er ihm den Rücken zu. Das steinerne Denkarium stand in dem Schrank, wo es immer gewesen war: Harry hob es auf den Schreibtisch und schüttete Snapes Erinnerungen in das breite Becken, dessen Rand mit Runen verziert war. In den Kopf von jemand anderem zu fliehen, würde wahrhaft eine Erleichterung sein ... nichts, das selbst Snape ihm hinterlassen hatte, konnte schlimmer sein als seine eigenen Gedanken. Die Erinnerungen wirbelten umher, silbrig weiß und eigenartig, und ohne zu zögern, mit einem Gefühl hemmungsloser Selbstaufgabe, als würde dies seinen quälenden Schmerz lindern, tauchte Harry hinein. Er fiel kopfüber in Sonnenlicht und seine Füße landeten auf warmem Boden. Als er sich aufrichtete, sah er, dass er auf einem beinahe leeren Spielplatz war. Ein einzelner riesiger Kamin ragte am fernen Horizont empor. Zwei Mädchen schwangen auf Schaukeln vor und zurück, und ein magerer Junge, der hinter einer Gruppe von Sträuchern stand, beobachtete sie. Sein schwarzes Haar war überlang, und seine Kleider passten so wenig zusammen, dass es wie absichtlich aussah: zu kurze Jeans, ein abgetragener, zu großer Mantel, der vielleicht einem Erwachsenen gehörte, ein merkwürdiges, kittelartiges Hemd. Harry näherte sich dem Jungen. Snape wirkte nicht älter als neun oder zehn Jahre, blässlich, klein, zäh. Unverhohlene Gier stand in seinem schmalen Gesicht, als er zusah, wie das jüngere der beiden Mädchen immer höher schwang, höher als seine Schwester. »Lily, nein, mach das nicht!«, kreischte die Altere der beiden. Aber das Mädchen hatte die Schaukel genau am höchsten Punkt des Bogens losgelassen und war in die Luft geflogen, im wahrsten Sinne geflogen, hatte sich lauthals schreiend vor Lachen in die Luft schleudern lassen, und statt auf dem Asphalt des Spielplatzes aufzuschlagen, rauschte sie wie eine Trapezkünstlerin durch die Luft, blieb viel zu lange oben und landete viel zu leichtfüßig. »Mummy hat dir gesagt, dass du das nicht tun sollst!« Petunia hielt ihre Schaukel an, indem sie mit den Absätzen ihrer Sandalen über den Boden schlitterte, was ein knirschendes, schleifendes Geräusch verursachte, dann sprang sie auf und stemmte die Hände in die Hüften. »Mummy hat gesagt, dass du das nicht darfst, Lily!« »Aber mir geht's gut«, sagte Lily, immer noch kichernd. »Guck mal, Tunia. Schau, was ich machen kann.« Petunia sah sich um. Der Spielplatz war menschenleer, nur sie waren da, und Snape, was die Mädchen aber nicht wussten. Lily hatte eine herabgefallene Blüte von dem Strauch aufgehoben, hinter dem Snape sich versteckt hielt. Petunia kam näher, offenbar hin- und hergerissen zwischen Neugier und Missbilligung. Lily wartete, bis Petunia nahe genug war, um gut sehen zu können, dann streckte sie die offene Handfläche aus. Da lag die Blüte und öffnete und schloss ihre Blätter wie eine seltsame, viellippige Auster. »Hör auf damit!«, kreischte Petunia. »Die tut dir doch nichts«, sagte Lily, schloss aber die Hand über der Blüte und warf sie wieder zu Boden. »Das macht man nicht«, sagte Petunia, doch ihr Blick war der hinabfliegenden Blüte gefolgt und blieb auf ihr ruhen. »Wie kriegst du das hin?«, fügte sie hinzu und in ihrer Stimme lag eindeutiges Verlangen. »Ist doch klar, oder?« Snape hatte sich nicht mehr länger zurückhalten können und war hinter den Sträuchern hervorgesprungen. Petunia kreischte und lief rückwärts in Richtung der Schaukeln, doch Lily blieb stehen, wenn auch offensichtlich verdutzt. Snape schien es zu bereuen, dass er sich gezeigt hatte. Ein mattes Rot kroch über seine fahlen Wangen, während er Lily ansah. »Was ist klar?«, fragte Lily. Snape wirkte leicht nervös und aufgeregt. Er warf einen Blick auf die ferne Petunia, die sich nun abwartend bei den Schaukeln herumdrückte, senkte die Stimme und sagte: »Ich weiß, was du bist.« »Was meinst du?« »Du bist ... du bist eine Hexe«, flüsterte Snape. Sie sah beleidigt aus. »Es ist nicht besonders nett, wenn man jemandem Sie wandte sich ab, die Nase in die Luft gereckt, und marschierte davon zu ihrer Schwester. »Nein!«, sagte Snape. Er war jetzt puterrot, und Harry fragte sich, warum er den lächerlich großen Mantel nicht ablegte, vielleicht einfach weil er den Kittel darunter nicht zeigen wollte. Als er den Mädchen damit hinterherflatterte, ähnelte er auf groteske Weise einer Fledermaus, ganz wie sein älteres Selbst. Die Schwestern hielten sich an einer Stange der Schaukel fest, als könnten sie hier wie beim Fangenspielen nicht abgeklatscht werden, und musterten ihn, einig in ihrer Ablehnung. »Du Petunias Lachen war wie kaltes Wasser. »Zauberer!«, kreischte sie mit frischem Mut, nun, da sie sich von dem Schreck erholt hatte, den ihr sein unerwartetes Auftauchen eingejagt hatte. »Ich hab nicht spioniert«, sagte Snape, erhitzt und verlegen, mit seinen schmutzigen Haaren im hellen Sonnenlicht. Obwohl Petunia das Wort offensichtlich nicht verstand, konnte sie den Tonfall kaum falsch deuten. »Lily, komm, wir gehen!«, sagte sie schrill. Lily gehorchte ihrer Schwester sofort und funkelte Snape im Davongehen böse an. Da stand er und sah ihnen nach, wie sie durch das Tor des Spielplatzes marschierten, und Harry, der Einzige, der ihn noch beobachtete, bemerkte Snapes bittere Enttäuschung und begriff, dass Snape diesen Auftritt schon eine ganze Weile geplant hatte und dass alles schiefgegangen war ... Die Szene löste sich auf, und ehe Harry sich's versah, war eine neue um ihn herum entstanden. Er befand sich jetzt in einem kleinen Dickicht von Bäumen. Zwischen den Stämmen hindurch konnte er einen Fluss in der Sonne glitzern sehen. Die Schatten der Bäume bildeten eine kühle grüne Mulde. Zwei Kinder saßen am Boden einander gegenüber, die Beine über Kreuz; Snape hatte jetzt seinen Mantel abgelegt; sein merkwürdiger Kittel wirkte im Dämmerlicht weniger sonderbar. »... und das Ministerium kann dich bestrafen, wenn du außerhalb der Schule zauberst, dann kriegst du Briefe.« »Aber ich »Bei uns ist das nicht schlimm. Wir haben noch keine Zauberstäbe. Die lassen es durchgehen, wenn du noch ein Kind bist und nichts dafür kannst. Aber sobald du elf bist«, er nickte wichtigtuerisch, »und die anfangen, dich auszubilden, musst du vorsichtig sein.« Eine kurze Stille trat ein. Lily hatte einen herabgefallenen Zweig aufgehoben und wirbelte ihn durch die Luft, und Harry wusste, dass sie sich vorstellte, er würde einen Funkenschweif hinter sich herziehen. Dann ließ sie den Zweig fallen, beugte sich zu dem Jungen vor und sagte: »Es ist wirklich wahr, oder? Es ist kein Scherz? Petunia sagt, dass du mich anlügst. Petunia sagt, dass es gar kein Hogwarts gibt. Es ist wirklich wahr, oder?« »Es ist wahr für uns«, sagte Snape. »Für sie nicht. Aber wir werden den Brief bekommen, du und ich.« »Wirklich?«, flüsterte Lily. »Ganz bestimmt«, sagte Snape, und selbst mit seinen schlecht geschnittenen Haaren und seinen komischen Kleidern gab er eine merkwürdig eindrucksvolle Figur ab, wie er da vor ihr hingelümmelt saß, strotzend vor Zuversicht, was seinen künftigen Lebensweg betraf. »Und bringt ihn wirklich eine Eule?«, flüsterte Lily. »Normalerweise schon«, sagte Snape. »Aber du stammst von Muggeln ab, da muss jemand von der Schule kommen und es deinen Eltern erklären.« »Macht es einen Unterschied, wenn man von Muggeln abstammt? « Snape zögerte. Seine schwarzen Augen blickten ungeduldig durch das grünliche Dämmerlicht, wanderten über das blasse Gesicht, das dunkelrote Haar. »Nein«, sagte er. »Es macht keinen Unterschied.« »Gut«, sagte Lily erleichtert: Es war offensichtlich, dass sie sich Sorgen gemacht hatte. »Du hast ganz viel Magie«, sagte Snape. »Das habe ich gesehen. Die ganze Zeit, als ich dich beobachtet habe ...« Seine Stimme verlor sich; sie hörte ihm nicht zu, sondern hatte sich auf dem laubbedeckten Boden ausgestreckt und blickte hoch zu dem Blätterdach über ihr. Er sah sie an, so begierig wie schon auf dem Spielplatz. »Wie steht es bei dir zu Hause?«, fragte Lily. Eine kleine Falte bildete sich zwischen seinen Augen. »Gut«, sagte er. »Sie streiten nicht mehr?« »O doch, sie streiten«, sagte Snape. Er hob eine Faust voll Blätter auf und begann sie zu zerreißen, offenbar ganz in Gedanken verloren. »Aber es wird nicht mehr allzu lange dauern, dann bin ich weg.« »Mag dein Dad denn keine Zauberei?« »Er mag nichts besonders gern«, sagte Snape. »Severus?« Ein leises Lächeln zuckte um Snapes Mund, als sie seinen Namen sagte. »Jaah?« »Erzähl mir noch mal von den Dementoren.« »Weshalb willst du was über die wissen?« »Wenn ich außerhalb der Schule Zauber benutze ...« »Dafür jagen sie dir keine Dementoren auf den Hals! Dementoren sind für Leute, die richtig böse Sachen machen. Sie bewachen das Zauberergefängnis, Askaban. Du wirst nicht in Askaban landen, du bist zu ...« Er lief wieder rot an und zerfetzte noch mehr Blätter. Dann hörte Harry ein leises Rascheln hinter sich und er drehte sich um: Petunia, die sich hinter einem Baum versteckt hatte, hatte den Halt verloren. »Tunia!«, sagte Lily in überraschtem und freundlichem Ton, aber Snape war aufgesprungen. »Wer spioniert da jetzt?«, rief er. »Was willst du?« Petunia war außer Atem, bestürzt, weil sie erwischt worden war. Harry sah, dass sie angestrengt nach etwas Verletzendem suchte, das sie sagen konnte. »Was hast du da eigentlich an?«, sagte sie und deutete auf Snapes Brust. »Die Bluse von deiner Mum?« Es gab einen »Tunia!« Aber Petunia rannte davon. Lily fiel über Snape her. »Hast du das passieren lassen?« »Nein.« Er blickte trotzig und erschrocken zugleich. »Doch, das hast du!« Sie wich vor ihm zurück. »Das »Nein – nein, hab ich nicht!« Aber die Lüge überzeugte Lily nicht: Nach einem letzten flammenden Blick rannte sie aus dem kleinen Dickicht, ihrer Schwester hinterher, und Snape wirkte elend und durcheinander ... Und dann veränderte sich die Szene. Harry blickte sich um: Er war auf Bahnsteig neundreiviertel, und Snape stand dicht bei ihm, leicht gebeugt, neben einer hageren, blässlichen, mürrisch dreinblickenden Frau, die ihm stark ähnelte. Snape starrte auf eine vierköpfige Familie nur wenig entfernt. Die beiden Mädchen standen etwas abseits von ihren Eltern. Lily schien ihre Schwester anzuflehen; Harry näherte sich, um zu lauschen. »... es tut mir leid, Tunia, es tut mir leid! Hör zu -« Sie ergriff die Hand ihrer Schwester und hielt sie fest, obwohl Petunia sie wegzuziehen versuchte. »Vielleicht kann ich, wenn ich erst mal da bin – nein, hör zu, Tunia! Vielleicht kann ich, wenn ich da bin, zu Professor Dumbledore gehen und ihn überreden, dass er es sich anders überlegt!« »Ich will – nicht – dahin!«, sagte Petunia und zog ihre Hand aus dem Griff ihrer Schwester. »Meinst du, ich will in irgendein blödes Schloss und lernen, wie ich eine – eine -« Ihre blassen Augen schweiften über den Bahnsteig, über die Katzen, die in den Armen ihrer Besitzer maunzten, über die Eulen, die in ihren Käfigen flatterten und sich gegenseitig ankreischten, über die Schülerinnen und Schüler, manche schon in ihren langen schwarzen Umhängen, die Schrankkoffer in den Zug mit der scharlachroten Dampflok luden oder sich mit freudigen Rufen begrüßten, nachdem sie sich einen Sommer lang nicht gesehen hatten. »- meinst du, ich will ein – ein Spinner sein?« Lilys Augen füllten sich mit Tränen, als es Petunia gelang, ihre Hand wegzureißen. »Ich bin kein Spinner«, sagte Lily. »Es ist schrecklich, so was zu sagen.« »Da gehst du doch hin«, sagte Petunia genüsslich. »In eine Sonderschule für Spinner. Du und dieser Snape-Junge ... Verrückte, das seid ihr beide. Es ist gut, dass man euch von normalen Leuten trennt. Das ist zu unserer Sicherheit.« Lily warf rasch einen Blick auf ihre Eltern, die sich auf dem Bahnsteig umsahen und sich offenbar von ganzem Herzen freuten und das Schauspiel genossen. Dann wandte sie sich wieder ihrer Schwester zu und sprach in leisem und grimmigem Ton. »Als du dem Schulleiter geschrieben und gebettelt hast, dass er dich aufnimmt, hast du nicht gedacht, dass es so eine Spinnerschule ist.« Petunia lief puterrot an. »Gebettelt? Ich hab nicht gebettelt!« »Ich hab seine Antwort gesehen. Sie war sehr nett.« »Du hättest sie nicht lesen -«, flüsterte Petunia. »Das war nur für mich –wie konntest du -? « Lily verriet sich durch einen verstohlenen Blick zu Snape hinüber, der in der Nähe stand. Petunia keuchte. »Dieser Junge hat ihn gefunden! Du und der Junge, ihr habt in meinem Zimmer rumgeschnüffelt!« »Nein – nicht geschnüffelt -« Nun war Lily in der Defensive. »Severus hat den Umschlag gesehen, und er konnte nicht glauben, dass ein Muggel nach Hogwarts geschrieben hat, das war alles! Er sagt, da müssen heimlich Zauberer bei der Post arbeiten, damit die Briefe ...« »Offenbar stecken Zauberer ihre Nasen überall rein!«, sagte Petunia, nun so heftig erbleicht, wie sie vorher errötet war. Wieder löste sich die Szene auf. Snape hastete durch den Gang im Hogwarts-Express, der durch die Landschaft ratterte. Er hatte bereits seinen Schulumhang an, hatte vielleicht die erste Gelegenheit ergriffen, seine fürchterlichen Muggelsachen abzulegen. Schließlich blieb er vor einem Abteil stehen, in dem sich ein paar ruppige Jungen unterhielten. Auf einem Fensterplatz in der Ecke kauerte Lily, das Gesicht an die Scheibe gedrückt. Snape schob die Abteiltür auf und setzte sich Lily gegenüber. Sie sah ihn kurz an und schaute dann wieder aus dem Fenster. Sie hatte geweint. »Ich will nicht mit dir reden«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Warum nicht?« »Tunia – h-hasst mich. Weil wir diesen Brief von Dumbledore gesehen haben.« »Na und?« Sie warf ihm einen Blick voll tiefer Abneigung zu. »Sie ist immerhin meine Schwester!« »Sie ist nur ein -« Er fing sich noch rasch; Lily, die zu sehr damit beschäftigt war, sich unauffällig die Augen zu wischen, hörte ihn nicht. »Aber wir fahren!«, sagte er und konnte die Begeisterung in seiner Stimme nicht unterdrücken. »Es ist so weit! Wir sind auf dem Weg nach Hogwarts!« Sie nickte, tupfte sich die Augen, musste jedoch unwillkürlich ein wenig lächeln. »Du solltest am besten nach Slytherin kommen«, sagte Snape, von ihrer etwas besseren Laune ermutigt. »Slytherin?« Einer der Jungen mit ihnen im Abteil, der bislang keinerlei Notiz von Lily oder Snape genommen hatte, wandte sich bei dem Wort um, und Harry, der seine Aufmerksamkeit ganz den beiden am Fenster gewidmet hatte, erblickte seinen Vater: mager, mit schwarzen Haaren wie Snape, aber mit jener undefinierbaren Art eines Menschen, für den immer gesorgt, ja der innig geliebt worden war, die Snape so deutlich abging. »Wer will denn schon nach Slytherin? Ich glaub, dann würd ich abhauen, du auch?« James fragte den Jungen, der sich ihm gegenüber auf den Sitzen fläzte, und mit einem Schlag wurde Harry klar, dass es Sirius war. Sirius lächelte nicht. »Meine ganze Familie war in Slytherin«, sagte er. »O Mann«, sagte James, »und ich dachte, du wärst in Ordnung!« Sirius grinste. »Vielleicht brech ich mit der Tradition. Wo würdest du hinwollen, wenn du die Wahl hättest?« James hob ein imaginäres Schwert. »Gryffindor, Snape machte ein leises, abfälliges Geräusch. James fuhr ihn an. »Hast du 'n Problem damit?« »Nein«, sagte Snape, doch sein höhnisches Grinsen strafte ihn Lügen. »Wenn du lieber Kraft als Köpfchen haben willst -« »Wo möchtest du denn gern hin, wo du offenbar nichts von beidem hast?«, warf Sirius ein. James brüllte vor Lachen. Lily richtete sich auf, ziemlich rot im Gesicht, und blickte geringschätzig von James zu Sirius. »Komm, Severus, wir suchen uns ein anderes Abteil.« »Oooooh ...« James und Sirius äfften ihren hochmütigen Ton nach; James versuchte Snape ein Bein zu stellen, als er vorbeiging. »Wir sehn uns, Schniefelus!«, rief eine Stimme, als die Abteiltür zukrachte ... Und erneut löste sich die Szene auf... Harry stand direkt hinter Snape, sie waren den von Kerzen erleuchteten Haustischen und Reihen von gebannten Gesichtern zugewandt. Professor McGonagall sagte gerade: »Evans, Lily!« Er sah seine Mutter mit zittrigen Beinen nach vorne gehen und sich auf den wackligen Stuhl setzen. Professor McGonagall ließ den Sprechenden Hut auf ihren Kopf sinken, und kaum eine Sekunde nachdem er das dunkelrote Haar berührt hatte, rief der Hut: Harry hörte, wie Snape leise stöhnte. Lily nahm den Hut ab, gab ihn Professor McGonagall zurück und eilte zu den jubelnden Gryffindors, doch unterwegs warf sie einen Blick zurück zu Snape, und ein trauriges leichtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht. Harry sah Sirius aufrücken, um ihr auf der Bank Platz zu machen. Sie blickte ihn kurz an, schien ihn vom Zug her wiederzuerkennen, verschränkte die Arme und kehrte ihm entschieden den Rücken zu. Weitere Namen wurden aufgerufen. Harry sah, wie Lupin, Pettigrew und sein Vater sich zu Lily und Sirius am Gryffindor-Tisch gesellten. Endlich, als nur noch ein Dutzend Schüler auf die Häuser verteilt werden mussten, rief Professor McGonagall Snape auf. Harry begleitete ihn zu dem Stuhl und beobachtete, wie er sich den Hut aufsetzte. Und Severus Snape ging hinüber auf die andere Seite der Halle, fort von Lily, dorthin, wo die Slytherins ihm zujubelten, wo Lucius Malfoy, mit einem schimmernden Vertrauensschülerabzeichen an der Brust, ihm auf die Schulter klopfte, als er sich neben ihn setzte . Und die Szene veränderte sich ... Lily und Snape gingen über den Hof des Schlosses, offenbar im Streit miteinander. Harry beeilte sich, sie einzuholen, um ihnen zu lauschen. Als er sie erreichte, fiel ihm auf, um wie viel größer sie beide geworden waren: Einige Jahre schienen vergangen zu sein, seit sie den Häusern zugeteilt worden waren. »... dachte eigentlich, wir wären Freunde?«, sagte Snape gerade. »Beste Freunde?« »Das Lily war an einer Säule angelangt und lehnte sich dagegen, sie blickte in Snapes schmales, blässliches Gesicht. »Das war doch nichts«, sagte Snape. »Es war ein Scherz, weiter nichts - « »Es war schwarze Magie, und wenn du das komisch findest -« »Was ist mit dem, was Potter und seine Kumpel veranstalten?«, fragte Snape. Dabei stieg ihm wieder die Röte ins Gesicht, offenbar konnte er seinen Unmut nicht zurückhalten. »Was hat Potter mit alldem zu tun?«, sagte Lily. »Die schleichen sich nachts raus. Dieser Lupin hat irgendwas Seltsames an sich. Wo geht der andauernd hin?« »Er ist krank«, sagte Lily. »Es heißt, er sei krank -« »Jeden Monat bei Vollmond?«, erwiderte Snape. »Ich weiß, was du denkst«, sagte Lily in kühlem Ton. »Warum bist du eigentlich so auf die fixiert? Warum interessiert es dich, was die nachts tun?« »Ich versuch dir nur klarzumachen, dass sie nicht so toll sind, wie alle offenbar denken.« Er starrte sie so eindringlich an, dass sie errötete. »Aber sie verwenden keine schwarze Magie.« Sie senkte die Stimme. »Und du bist wirklich undankbar. Ich hab gehört, was neulich nachts passiert ist. Du bist in diesen Tunnel bei der Peitschenden Weide runtergeschlichen und James Potter hat dich gerettet vor was immer da unten ist -« Snapes Gesicht verzerrte sich. »Gerettet?«, prustete er. »Gerettet? Du meinst, er hat den Helden gespielt? Er hat seine eigene Haut gerettet und auch die seiner Freunde! Du wirst nicht – ich lass dich nicht -« »Mich Lilys leuchtend grüne Augen waren ganz schmal. Snape gab sofort klein bei. »Ich meinte nicht – ich will nur nicht mit ansehen, wie man sich über dich lustig macht – er mag dich, James Potter mag dich!« Es war, als würden ihm die Worte gegen seinen Willen entrissen. »Und er ist kein ... alle denken ... großer Quidditch-Held -« Verbitterung und Abscheu ließen Snapes Worte unzusammenhängend werden, und Lilys Augenbrauen bewegten sich immer höher ihre Stirn hinauf. »Ich weiß, dass James Potter ein arroganter Widerling ist«, unterbrach sie Snape. »Das brauchst du mir nicht erst zu sagen. Aber Mulcibers und Averys Vorstellung von Humor ist einfach böse. Harry bezweifelte, dass Snape ihre scharfe Kritik an Mulciber und Avery überhaupt gehört hatte. In dem Moment, als sie Potter beleidigt hatte, hatte sich sein ganzer Körper entspannt, und als sie sich entfernten, war Snapes Gang ein wenig federnder geworden ... Und die Szene löste sich auf ... Harry sah nun wieder zu, wie Snape die Große Halle verließ, nachdem er die ZAG-Prüfung in Verteidigung gegen die dunklen Künste abgelegt hatte, sah zu, wie er aus dem Schloss ging, gedankenverloren herumschlenderte und sich dem Platz unter der Buche näherte, wo James, Sirius, Lupin und Pettigrew zusammensaßen. Aber diesmal hielt Harry Abstand, weil er wusste, was passiert war, nachdem James Severus kopfüber in die Luft hatte schnellen lassen und ihn verspottet hatte; er wusste, was getan und gesagt worden war, und es machte ihm keinen Spaß, es noch einmal zu hören. Er sah zu, wie Lily zu der Gruppe stieß und Snape zu Hilfe kam. Aus der Ferne hörte er, wie der gedemütigte und zornige Snape sie mit dem unverzeihlichen Wort anschrie: Die Szene veränderte sich ... »Es tut mir leid.« »Das interessiert mich nicht.« »Es tut mir leid!« »Spar dir deine Worte.« Es war Nacht. Lily, die einen Morgenrock anhatte, stand mit verschränkten Armen vor dem Porträt der fetten Dame am Eingang des Gryffindor-Turms. »Ich bin nur rausgekommen, weil Mary gesagt hat, du hättest gedroht, hier zu schlafen.« »Das stimmt. Das hätte ich getan. Ich wollte dich nie Schlammblut nennen, es ist einfach -« »Rausgerutscht?« In Lilys Stimme war kein Mitleid. »Es ist zu spät. Seit Jahren entschuldige ich mich für dich. Keiner von meinen Freunden kann verstehen, warum ich überhaupt mit dir rede. Du und deine netten kleinen Todesserfreunde -siehst du, du streitest es nicht einmal ab! Du streitest nicht einmal ab, dass ihr das alle gerne wärt! Du kannst es kaum erwarten, bei Du-weißt-schon-wem mitzumachen, oder?« Er öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, ohne etwas gesagt zu haben. »Ich kann mich nicht mehr verstellen. Du hast deinen Weg gewählt, ich den meinen.« »Nein – hör zu, ich wollte dich nicht -« »- Schlammblut nennen? Aber du nennst jeden, der meine Herkunft hat, Schlammblut, Severus. Warum sollte es bei mir anders sein? « Er kämpfte mit Worten, die ihm nicht über die Lippen wollten, doch Lily wandte sich mit einem verächtlichen Blick ab und kletterte durch das Porträtloch zurück ... Der Korridor löste sich auf, und es dauerte etwas länger, ehe sich eine neue Szene bildete: Harry schien durch wechselnde Formen und Farben zu fliegen, bis sich seine Umgebung wieder verfestigte und er einsam und frierend in der Dunkelheit auf einem Hügel stand, wo der Wind durch die Äste einiger weniger kahler Bäume pfiff. Der erwachsene Snape keuchte, drehte sich auf der Stelle, den Zauberstab fest in der Hand, wartete auf etwas oder jemanden ... seine Furcht steckte auch Harry an, obwohl er wusste, dass ihm nichts geschehen konnte, und er blickte über die Schulter und fragte sich, worauf Snape wartete - Dann flog ein blendender, gezackter weißer Lichtstrahl durch die Luft: Harry dachte an einen Gewitterblitz, aber Snape war auf die Knie gesunken, und sein Zauberstab war ihm aus der Hand geflogen. »Töten Sie mich nicht!« »Das hatte ich nicht vor.« Jedes Geräusch, das Dumbledore beim Apparieren gemacht hatte, war im Brausen des Windes, der durch die Äste blies, untergegangen. Er stand mit wehendem Umhang vor Snape, sein Gesicht durch das Licht seines Zauberstabs von unten erhellt. »Nun, Severus? Welche Botschaft hat Lord Voldemort für mich?« »Keine – keine Botschaft – ich bin auf eigene Verantwortung hier!« Snape rang die Hände: Mit seinem strähnigen schwarzen Haar, das ihm um den Kopf wirbelte, wirkte er leicht wahnsinnig. »Ich – ich komme mit einer Warnung – nein, einem Wunsch – bitte -« Dumbledore schnippte mit seinem Zauberstab. Obwohl noch Blätter und Zweige durch die nächtliche Luft um sie her flogen, legte sich Stille über den Ort, an dem er und Snape sich gegenüberstanden. »Was könnte ein Todesser von mir erbitten?« »Die – die Prophezeiung ... die Vorhersage ... Trelawney ...« »Ah ja«, sagte Dumbledore. »Wie viel haben Sie Lord Voldemort mitgeteilt?« »Alles – alles, was ich gehört habe!«, sagte Snape. »Deshalb – aus diesem Grund – er glaubt, es geht um Lily Evans!« »Die Prophezeiung bezog sich nicht auf eine Frau«, sagte Dumbledore. »Sie erwähnte einen Jungen, der Ende Juli geboren wird -« »Sie wissen, was ich meine! Er glaubt, es geht um ihren Sohn, er wird sie jagen – sie alle töten -« »Wenn sie Ihnen so viel bedeutet«, sagte Dumbledore, »dann wird Lord Voldemort sie doch gewiss verschonen? Könnten Sie nicht um Gnade für die Mutter bitten, im Austausch gegen ihren Sohn?« »Darum – darum habe ich ihn gebeten -« »Sie widern mich an«, sagte Dumbledore und Harry hatte noch nie so viel Verachtung in seiner Stimme gehört. Snape schien ein wenig zusammenzuschrumpfen. »Dann ist Ihnen der Tod ihres Mannes und des Kindes also gleichgültig? Die können sterben, solange Sie haben, was Sie wollen?« Snape sagte nichts, er blickte nur zu Dumbledore auf. »Dann verstecken Sie doch alle«, krächzte er. »Passen Sie auf, dass ihr – ihnen – nichts passiert. Bitte.« »Und was werden Sie mir dafür geben, Severus?« »Dafür – geben?« Snape starrte Dumbledore mit offenem Mund an, und Harry nahm an, dass er protestieren würde, doch nach einem langen Moment sagte er: »Alles.« Der Hügel verblasste, und Harry stand in Dumbledores Büro, und irgendetwas machte ein schreckliches Geräusch wie ein verletztes Tier. Snape saß vornübergesunken auf einem Stuhl, und Dumbledore stand vor ihm, mit grimmiger Miene. Nach einer Weile hob Snape das Gesicht, und er sah aus wie ein Mann, der hundert Jahre Elend durchlebt hatte, seit er den windumtosten Hügel verlassen hatte. »Ich dachte ... Sie würden ... auf sie ... aufpassen ...« »Lily und James haben ihr Vertrauen in die falsche Person gesetzt«, sagte Dumbledore. »Ganz ähnlich wie Sie, Severus. Hatten Sie nicht die Hoffnung, dass Lord Voldemort sie verschonen würde?« Snape atmete flach. »Ihr Junge hat überlebt«, sagte Dumbledore. Snape zuckte kurz mit dem Kopf, als würde er eine lästige Fliege verscheuchen. »Ihr Sohn lebt. Er hat ihre Augen, genau ihre Augen. Sie erinnern sich doch gewiss an die Form und die Farbe von Lily Evans' Augen?« »NICHT!«, brüllte Snape. »Fort ... tot ...« »Ist das Reue, Severus?« »Ich wünschte ... ich wünschte, »Und was würde das irgendwem nützen?«, sagte Dumbledore kalt. »Wenn Sie Lily Evans geliebt haben, wenn Sie sie wahrhaftig geliebt haben, dann ist Ihr weiterer Weg offensichtlich.« Snape schien durch einen Schleier aus Schmerz zu starren, und Dumbledores Worte brauchten offenbar lange, bis sie ihn erreichten. »Was – was meinen Sie damit?« »Sie wissen, wie und warum sie gestorben ist. Sorgen Sie dafür, dass es nicht umsonst war. Helfen Sie mir, Lilys Sohn zu beschützen.« »Er braucht keinen Schutz. Der Dunkle Lord ist nicht mehr -« »- der Dunkle Lord wird zurückkehren, und Harry Potter wird in schrecklicher Gefahr sein, wenn es so weit ist.« Eine lange Pause trat ein, und allmählich gewann Snape wieder die Kontrolle über sich, beherrschte seine Atemzüge. Schließlich sagte er: »Nun gut. Nun gut. Aber verraten Sie es niemals – niemals, Dumbledore! Das muss unter uns bleiben! Schwören Sie! Ich kann es nicht ertragen ... vor allem Potters Sohn ... ich will Ihr Wort haben!« »Mein Wort, Severus, dass ich niemals das Beste an Ihnen offenbaren werde?« Dumbledore seufzte und sah hinab auf Snapes erzürntes, gequältes Gesicht. »Wenn Sie darauf bestehen ...« Das Büro löste sich auf, formte sich jedoch augenblicklich neu. Snape schritt vor Dumbledore auf und ab. »- mittelmäßig, arrogant wie sein Vater, einer, der entschlossen Regeln verletzt, der es genießt, unversehens berühmt zu sein, der Aufmerksamkeit heischt und unverschämt ist -« »Man sieht nur, was man sehen will, Severus«, sagte Dumbledore, ohne von einer Ausgabe von Dumbledore blätterte eine Seite um und sagte, ohne den Blick zu heben: »Behalten Sie Quirrell im Auge, ja?« Ein Wirbel aus Farben, und nun verdunkelte sich alles, und Snape und Dumbledore standen ein wenig abseits in der Eingangshalle, während die letzten Nachzügler vom Weihnachtsball auf ihrem Weg ins Bett an ihnen vorbeikamen. »Nun?«, murmelte Dumbledore. »Auch Karkaroffs Mal wird dunkler. Er gerät in Panik, er fürchtet eine Strafe; Sie wissen, wie hilfreich er dem Ministerium nach dem Sturz des Dunklen Lords war.« Snape sah zur Seite, auf Dumbledores hakennasiges Profil. »Karkaroff plant zu fliehen, wenn das Mal brennt.« »Tatsächlich?«, sagte Dumbledore leise, während Fleur Delacour und Roger Davies kichernd vom Gelände hereinkamen. »Und sind Sie versucht, sich ihm anzuschließen? « »Nein«, sagte Snape, seine schwarzen Augen folgten Fleurs und Rogers Gestalten, die sich entfernten. »Ich bin kein solcher Feigling.« »Nein«, stimmte Dumbledore ihm zu. »Sie sind ein weitaus mutigerer Mann als Igor Karkaroff. Wissen Sie, manchmal denke ich, wir lassen den Hut zu früh sein Urteil sprechen ...« Er ging davon und Snape blieb mit verzweifelter Miene zurück ... Und nun stand Harry wieder im Büro des Schulleiters. Es war Nacht, und Dumbledore war seitlich auf dem thronartigen Stuhl hinter dem Schreibtisch zusammengesackt, offenbar halb ohnmächtig. Seine rechte Hand hing über die Lehne herab, geschwärzt und verbrannt. Snape murmelte Beschwörungen, er hatte seinen Zauberstab auf Dumbledores Handgelenk gerichtet, während er ihm mit der Linken einen Kelch voll dicker goldener Flüssigkeit in die Kehle träufelte. Nach einer Weile flatterten Dumbledores Augenlider und öffneten sich. »Warum«, sagte Snape ohne Umschweife, Vorlost Gaunts Ring lag auf dem Schreibtisch vor Dumbledore. Er war zerschlagen; das Schwert von Gryffindor lag daneben. Dumbledore verzog das Gesicht. »Ich ... war ein Narr. In großer Versuchung ...« »Was hat Sie in Versuchung gebracht?« Dumbledore antwortete nicht. »Es ist ein Wunder, dass Sie es geschafft haben, hierher zurückzukommen!« Snape klang wütend. »Auf diesem Ring lag ein Fluch von außerordentlicher Kraft, uns bleibt nur zu hoffen, dass wir ihn eindämmen können; ich habe den Fluch fürs Erste in der einen Hand eingeschlossen -« Dumbledore hob seine geschwärzte, unbrauchbare Hand und musterte sie mit der Miene von jemandem, dem eine interessante Kuriosität gezeigt wird. »Das haben Sie sehr gut gemacht, Severus. Wie lange, glauben Sie, habe ich noch?« Dumbledore sprach in beiläufigem Ton; er hätte genauso gut nach den Wetteraussichten fragen können. Snape zögerte, dann sagte er: »Ich bin nicht sicher. Vielleicht ein Jahr. Es ist unmöglich, einen solchen Fluch für immer aufzuhalten. Er wird sich irgendwann ausbreiten, es ist die Art von Flüchen, die mit der Zeit stärker werden.« Dumbledore lächelte. Die Nachricht, dass er weniger als ein Jahr zu leben hatte, schien ihn kaum oder gar nicht zu bekümmern. »Welch ein Glück, welch ein Glück, dass ich Sie habe, Severus.« »Hätten Sie mich nur ein wenig früher gerufen, dann hätte ich vielleicht mehr tun, Ihnen mehr Zeit verschaffen können!«, sagte Snape erzürnt. Er blickte hinab auf den zerbrochenen Ring und das Schwert. »Haben Sie geglaubt, wenn Sie den Ring zerbrechen, würden Sie auch den Fluch brechen?« »Etwas in der Art... ich war wie in einem Rausch, zweifellos ... «, sagte Dumbledore. Mühsam richtete er sich in seinem Stuhl auf. »Nun, in der Tat, das macht die Angelegenheit viel einfacher.« Snape schien völlig verdutzt. Dumbledore lächelte. »Ich meine den Plan, den Lord Voldemort um mich herum ausheckt. Seinen Plan, mich durch den armen Malfoy-Jungen ermorden zu lassen.« Snape setzte sich auf den Stuhl, auf dem Harry so oft Platz genommen hatte, vor dem Schreibtisch, gegenüber von Dumbledore. Harry wusste, dass er mehr zu dem auf Dumbledores Hand sagen wollte, doch dieser hielt die Hand empor, um damit höflich abzulehnen, weiter über die Angelegenheit zu sprechen. Mit finsterer Miene sagte Snape: »Der Dunkle Lord erwartet nicht, dass es Draco gelingt. Das ist nur eine Strafe für die jüngsten Misserfolge von Lucius. Langsame Folter für Dracos Eltern, sie sehen mit an, wie er scheitert, und bezahlen den Preis.« »Kurz, über den Jungen wurde ein Todesurteil gefällt, genau wie über mich«, sagte Dumbledore. »Nun, ich würde meinen, der Nachfolger für diese Aufgabe, sobald Draco gescheitert ist, sind selbstverständlich Sie?« Es entstand eine kurze Pause. »Das ist, denke ich, der Plan des Dunklen Lords.« »Lord Voldemort sieht den Zeitpunkt näher rücken, da er keinen Spion in Hogwarts mehr braucht?« »Er glaubt, die Schule wird bald in seiner Hand sein, ja.« »Und wenn sie ihm tatsächlich in die Hand fällt«, sagte Dumbledore, scheinbar nebenbei, »habe ich Ihr Wort, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun werden, um die Schüler von Hogwarts zu beschützen?« Snape nickte steif. »Gut. Nun denn. Ihre erste Priorität wird es sein, herauszufinden, was Draco im Schilde führt. Ein verängstigter Junge im Teenageralter ist eine Gefahr für andere ebenso wie für sich selbst. Bieten Sie ihm Hilfe und Rat an, das sollte er annehmen, er mag Sie -« »- viel weniger, seit sein Vater in Ungnade gefallen ist. Draco macht mich dafür verantwortlich, er denkt, ich hätte Lucius von seinem Platz verdrängt.« »Gleichwohl, versuchen Sie es. Ich sorge mich weniger um mich selbst als um zufällige Opfer irgendwelcher Machenschaften, die dem Jungen vielleicht in den Sinn kommen. Am Ende wird es natürlich nur eins geben, was wir tun müssen, wenn wir ihn vor Lord Voldemorts Zorn retten wollen.« Snape hob die Augenbrauen und in sardonischem Ton fragte er: »Haben Sie die Absicht, sich von ihm töten zu lassen? « »Gewiss nicht. Eine lange Stille trat ein, unterbrochen nur von einem merkwürdigen klackernden Geräusch. Fawkes, der Phönix, knabberte an einem Stück Kalkschulp. »Möchten Sie, dass ich es jetzt gleich erledige?«, fragte Snape unüberhörbar ironisch. »Oder wünschen Sie ein wenig Zeit, um einen Grabspruch zu verfassen?« »Oh, nicht so schnell«, sagte Dumbledore lächelnd. »Ich vermute, der richtige Moment wird sich bald einstellen. In Anbetracht dessen, was heute Abend geschehen ist«, er zeigte auf seine verdorrte Hand, »können wir sicher sein, dass es binnen eines Jahres geschehen wird.« »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, zu sterben«, sagte Snape schroff, »warum lassen Sie es nicht Draco tun?« »Die Seele dieses Jungen ist noch nicht so beschädigt«, sagte Dumbledore. »Ich möchte nicht, dass sie meinetwegen auseinandergerissen wird.« »Und meine Seele, Dumbledore? Meine?« »Sie allein wissen, ob es Ihrer Seele schaden wird, einem alten Mann zu helfen, Schmerz und Demütigung zu vermeiden«, sagte Dumbledore. »Ich erbitte diesen einzigen großen Gefallen von Ihnen, Severus, weil mein Tod so sicher kommen wird, wie die Chudley Cannons dieses Jahr Letzte der Liga sein werden. Ich gestehe, ich ziehe einen raschen, schmerzlosen Abgang jener langwierigen und hässlichen Angelegenheit vor, die es werden würde, wenn beispielsweise Greyback daran beteiligt wäre – wie ich höre, hat Voldemort ihn angeworben? Oder die gute Bellatrix, die gern mit ihrem Essen spielt, bevor sie es verspeist.« Sein Ton war heiter, doch seine blauen Augen durchbohrten Snape, wie sie es schon so oft bei Harry getan hatten, als ob die Seele, über die sie sprachen, sichtbar für ihn wäre. Schließlich nickte Snape abermals kurz. Dumbledore schien zufrieden. »Danke, Severus ...« Das Büro verschwand, und nun schlenderten Snape und Dumbledore in der Dämmerung durch die einsamen Schlossgründe. »Was tun Sie mit Potter, all die Abende, an denen Sie allein mit ihm zusammensitzen?«, fragte Snape unvermittelt. Dumbledore wirkte erschöpft. »Warum? Sie wollen ihn doch nicht »Er ist genau wie sein Vater -« »Im Aussehen vielleicht, aber in seinem innersten Wesen ähnelt er viel mehr seiner Mutter. Ich verbringe Zeit mit Harry, weil ich Dinge mit ihm zu besprechen habe, ihm Informationen geben muss, ehe es zu spät ist.« »Informationen«, wiederholte Snape. »Sie vertrauen ihm ... mir vertrauen Sie nicht.« »Es ist keine Frage des Vertrauens. Meine Zeit ist, wie wir beide wissen, begrenzt. Es ist entscheidend, dass ich dem Jungen genügend Informationen gebe, damit er tun kann, was er tun muss.« »Und warum darf ich nicht die gleichen Informationen erhalten?« »Ich ziehe es vor, nicht alle meine Geheimnisse in einen Korb zu stecken, und schon gar nicht in einen Korb, der so oft am Arm von Lord Voldemort baumelt.« »Was ich auf Ihren Befehl hin tue!« »Und Sie tun es äußerst gut. Denken Sie nicht, dass ich die ständige Gefahr, in die Sie sich begeben, unterschätze, Severus. Voldemort vermeintlich wertvolle Informationen zu liefern, während Sie die wesentlichen Dinge zurückhalten, ist eine Aufgabe, die ich niemandem außer Ihnen anvertrauen würde.« »Aber einem Jungen, der keine Okklumentik beherrscht, der mittelmäßig zaubert und eine direkte Verbindung zum Geist des Dunklen Lords hat, vertrauen Sie viel mehr!« »Voldemort fürchtet diese Verbindung«, sagte Dumbledore. »Vor nicht allzu langer Zeit bekam er einen kleinen Vorgeschmack davon, was es für ihn bedeutet, wahrhaftig teilzuhaben an Harrys Geist. Es war Schmerz von einer Art, wie er ihn nie erlebt hat. Er wird nicht noch einmal versuchen, von Harry Besitz zu ergreifen, dessen bin ich sicher. Nicht auf diese Weise.« »Ich verstehe nicht.« »Lord Voldemorts Seele, verstümmelt, wie sie ist, kann keinen engen Kontakt mit einer Seele wie der Harrys ertragen. Wie eine Zunge auf gefrorenem Stahl, wie Fleisch im Feuer -« »Seele? Wir sprachen vom Geist!« »Im Falle von Harry und Lord Voldemort heißt von jener zu reden auch, von diesem zu reden.« Dumbledore blickte umher, um sich zu vergewissern, dass sie allein waren. Sie waren jetzt dicht beim Verbotenen Wald, doch es deutete nichts darauf hin, dass irgendjemand in der Nähe war. »Nachdem Sie mich getötet haben, Severus -« »Sie weigern sich, mir irgendetwas zu sagen, und doch erwarten Sie diesen kleinen Dienst von mir!«, fauchte Snape und in seinem schmalen Gesicht flackerte nun echter Zorn auf. »Sie halten eine Menge für selbstverständlich, Dumbledore! Vielleicht habe ich es mir anders überlegt!« »Sie gaben mir Ihr Wort, Severus. Und wo wir schon über Dienste reden, die Sie mir schulden, ich dachte, Sie hätten sich bereit erklärt, Ihren jungen Slytherin-Freund gut im Auge zu behalten?« Snape blickte zornig, aufsässig. Dumbledore seufzte. »Kommen Sie heute Abend in mein Büro, Severus, um elf, und Sie werden sich nicht beklagen, dass ich kein Vertrauen in Sie habe ...« Sie waren wieder in Dumbledores Büro, vor den Fenstern war es dunkel, Fawkes saß stumm da und Snape völlig reglos, während Dumbledore um ihn herumging und redete. »Harry darf es nicht erfahren, erst im letzten Moment, erst wenn es notwendig ist, wie könnte er sonst die Kraft haben, zu tun, was getan werden muss?« »Aber was muss er tun?« »Das ist eine Sache zwischen Harry und mir. Nun, hören Sie gut zu, Severus. Es wird eine Zeit kommen – nach meinem Tod – widersprechen Sie nicht, unterbrechen Sie mich nicht! Es wird eine Zeit kommen, da Lord Voldemort offensichtlich um das Leben seiner Schlange fürchten wird.« »Um Nagini?« Snape wirkte erstaunt. »Genau. Wenn eine Zeit kommt, da Lord Voldemort diese Schlange nicht mehr hinausschickt, um seine Befehle auszuführen, sondern sie sicher an seiner Seite hält, unter magischem Schutz, dann, denke ich, wird es angeraten sein, es Harry zu sagen.« »Ihm was zu sagen?« Dumbledore holte tief Luft und schloss die Augen. »Sagen Sie ihm, dass in der Nacht, als Lord Voldemort versucht hat ihn zu töten, als Lily ihr eigenes Leben wie einen Schild zwischen sie warf, dass in dieser Nacht der Todesfluch auf Lord Voldemort zurückprallte und ein Bruchstück von Voldemorts Seele vom Ganzen abgesprengt wurde und sich an die einzige lebendige Seele klammerte, die in jenem einstürzenden Gebäude noch übrig war. Ein Teil von Lord Voldemort lebt in Harry, und dies gibt ihm die Macht, mit Schlangen zu sprechen, und eine Verbindung zu Lord Voldemorts Geist, die er nie begriffen hat. Und solange dieses Seelenbruchstück, das von Voldemort nicht vermisst wird, mit Harry verknüpft ist und von ihm geschützt wird, kann Lord Voldemort nicht sterben.« Harry schien die beiden Männer durch das Ende eines langen Tunnels zu beobachten, so weit entfernt von ihm waren sie, so fremd klangen ihre Stimmen in seinen Ohren. »Also muss der Junge ... muss der Junge sterben?«, fragte Snape ganz ruhig. »Und Voldemort selbst muss es tun, Severus. Das ist entscheidend.« Wieder lang anhaltende Stille. Dann sagte Snape: »Ich dachte ... all diese Jahre ... dass wir ihn für sie beschützen. Für Lily.« »Wir haben ihn beschützt, weil es notwendig war, ihn zu unterrichten, ihn zu erziehen, ihn seine Stärken erproben zu lassen«, sagte Dumbledore, die Augen noch immer fest geschlossen. »Unterdessen wird die Verbindung zwischen ihnen immer stärker, es ist ein schmarotzerisches Wachstum: Manchmal denke ich, dass er selbst den Verdacht hegt. Wie ich ihn kenne, wird er die Dinge so bestellt haben, dass es, wenn er sich tatsächlich aufmacht, dem Tod entgegenzugehen, wahrhaftig das Ende Voldemorts bedeuten wird.« Dumbledore öffnete die Augen. Snape blickte entsetzt. »Sie haben ihn am Leben erhalten, damit er im richtigen Moment sterben kann?« »Seien Sie nicht schockiert, Severus. Wie viele Männer und Frauen haben Sie sterben sehen?« »In jüngster Zeit nur die, die ich nicht retten konnte«, sagte Snape. Er stand auf. »Sie haben mich benutzt.« »Soll heißen?« »Ich habe für Sie spioniert und für Sie gelogen, mich für Sie in Lebensgefahr begeben. Alles angeblich zu dem Zweck, Lily Potters Sohn zu schützen. Nun erzählen Sie mir, dass Sie ihn wie ein Schwein zum Schlachten aufgezogen haben -« »Aber das ist rührend, Severus«, sagte Dumbledore ernst. »Sind Sie nun doch so weit, dass Sie sich um den Jungen sorgen?« »Um Aus der Spitze seines Zauberstabs brach die silberne Hirschkuh hervor: Sie landete auf dem Boden des Büros, sprang mit einem Satz durch den Raum und rauschte aus dem Fenster. Dumbledore beobachtete, wie sie davonflog, und als ihr silbriger Schimmer verblasste, wandte er sich zu Snape um, dessen Augen voller Tränen waren. »Nach all dieser Zeit?« »Immer«, sagte Snape. Und die Szene verwandelte sich. Nun sah Harry, wie Snape mit Dumbledores Porträt hinter seinem Schreibtisch redete. »Sie werden Voldemort das genaue Datum nennen müssen, an dem Harry das Haus seiner Tante und seines Onkels verlässt«, sagte Dumbledore. »Wenn Sie es nicht tun, wird er Verdacht schöpfen, da Voldemort Sie für so gut informiert hält. Allerdings müssen Sie die Idee von den Lockvögeln ins Spiel bringen – das dürfte Harrys Sicherheit gewährleisten. Versuchen Sie Mundungus Fletcher mit einem Verwechslungszauber zu belegen. Und, Severus, wenn Sie gezwungen sind, an der Jagd teilzunehmen, seien Sie darauf bedacht, Ihre Rolle überzeugend zu spielen ... ich verlasse mich darauf, dass Sie so lange wie möglich in Lord Voldemorts Gunst bleiben, andernfalls wird Hogwarts auf Gedeih und Verderb den Carrows ausgeliefert sein ...« Nun hatten Snape und Mundungus in einer unbekannten Kneipe die Köpfe zusammengesteckt, Mundungus' Gesicht wirkte eigentümlich leer, Snape runzelte konzentriert die Stirn. »Du wirst dem Orden des Phönix vorschlagen«, murmelte Snape, »dass sie Lockvögel verwenden. Vielsaft-Trank. Identische Potters. Das ist das Einzige, was funktionieren könnte. Du wirst vergessen, dass ich das vorgeschlagen habe. Du wirst es als deine eigene Idee ausgeben. Hast du verstanden?« »Ich habe verstanden«, murmelte Mundungus mit verschwommenem Blick ... Nun flog Harry an Snapes Seite auf einem Besen durch eine klare dunkle Nacht: Er wurde von anderen kapuzenvermummten Todessern begleitet, und vor ihnen flogen Lupin und ein Harry, der in Wirklichkeit George war ... ein Todesser überholte Snape, hob seinen Zauberstab und richtete ihn direkt auf Lupins Rücken - Doch der Zauber, der eigentlich für die Stabhand des Todessers bestimmt war, ging daneben und traf stattdessen George - Und dann kniete Snape in Sirius' einstigem Schlafzimmer. Tränen tropften von der Spitze seiner Hakennase, als er den alten Brief von Lily las. Auf der zweiten Seite standen nur wenige Worte: jemals mit Geliert Grindelwald befreundet sein konnte. Wenn du mich fragst, denke ich, dass es bei ihr allmählich aussetzt! Alles Liebe Lily Snape nahm die Seite, die Lilys Unterschrift und ihre lieben Grüße trug, und steckte sie in seinen Umhang. Dann riss er das Foto entzwei, das er ebenfalls in der Hand hielt, behielt den Teil, aus dem Lily herauslachte, und warf den Fetzen, der James und Harry zeigte, wieder auf den Boden, unter die Kommode ... Und nun stand Snape erneut im Büro des Schulleiters, als Phineas Nigellus in sein Porträt geeilt kam. »Schulleiter! Sie kampieren im Forest of Dean! Dieses Schlammblut -« »Benutzen Sie dieses Wort nicht!« »- dieses Granger-Mädchen, also, sie hat den Ort erwähnt, als sie ihre Tasche öffnete, und ich habe sie gehört!« »Gut. Sehr gut!«, rief das Porträt von Dumbledore hinter dem Stuhl des Schulleiters. »Nun, Severus, das Schwert! Vergessen Sie nicht, dass es nur in Not und mit Heldenmut genommen werden darf – und er darf nicht wissen, dass es von Ihnen kommt! Wenn Voldemort in Harrys Gedanken eintauchen sollte und sieht, dass Sie für ihn handeln -« »Ich weiß«, sagte Snape knapp. Er näherte sich dem Porträt von Dumbledore und zog seitlich daran. Es schwang vor und offenbarte einen verborgenen Hohlraum, aus dem er das Schwert von Gryffindor herausnahm. »Und Sie wollen mir immer noch nicht sagen, warum es so wichtig ist, Potter das Schwert zu geben?«, fragte Snape, als er einen Reisemantel über seinen Umhang schwang. »Nein, ich denke nicht«, sagte Dumbledores Porträt. »Er wird wissen, was er damit tun soll. Und, Severus, seien Sie sehr vorsichtig, nach George Weasleys Unglück werden die sich womöglich nicht besonders über Ihr Erscheinen freuen -« Snape wandte sich an der Tür um. »Machen Sie sich keine Sorgen, Dumbledore«, sagte er kühl. »Ich habe einen Plan ...« Und Snape verließ den Raum. Harry stieg aus dem Denkarium empor und Sekunden später lag er in genau demselben Raum auf dem Teppichboden: Es war, als hätte Snape gerade die Tür hinter sich geschlossen. |
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