"Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" - читать интересную книгу автора (Роулинг Джоан)Erbteil des fluches, hässlicher sünde blutige wunde, schmerzen, wer trüge sie? quälen, wer stillte sie? wehe weh! Einzig der erbe heilet des hauses eiternde wunde, einzig mit blut'gem schnitt. götter der finsternis rief mein lied. Sel'ge geister drunten in der tiefe, wenn ihr die beschwörungsrufe hörtet, bringt den kindern hilfe, bringt den sieg. Aischylos, Sterben ist nur ein Uebergang aus dieser Welt in die andere, als wenn Freunde über See gehen, welche dennoch in einander fortleben. Denn Diejenigen, die im Allgegenwärtigen lieben und leben, müssen nothwendig einander gegenwärtig seyn. In diesem göttlichen Spiegel sehen sie sich von Angesicht zu Angesicht, und ihr Umgang ist so wohl frey als rein. Und wenn sie auch durch den Tod getrennt werden, so haben sie doch den Trost, daß ihre Freundschaft und Gesellschaft ihnen, dem besten Gefühle nach, beständig gegenwärtig bleibt, weil diese unsterblich ist. William Penn, Gefallener Krieger»Hagrid?« Harry rappelte sich mühsam aus dem Durcheinander von Metallteilen und Lederfetzen hoch, die um ihn herumlagen; als er aufstehen wollte, sanken seine Hände zentimetertief in schlammiges Wasser. Er hatte keine Ahnung, wo Voldemort war, und rechnete damit, dass er jeden Moment aus der Dunkelheit hervorbrechen würde. Etwas Heißes und Nasses tropfte von seinem Kinn und von seiner Stirn. Er kroch aus dem Teich und stolperte auf den großen dunklen Haufen auf dem Boden zu, der Hagrid war. »Hagrid? Sag etwas -« Aber der dunkle Haufen bewegte sich nicht. »Wer ist da? Ist es Potter? Bist du Harry Potter?« Harry erkannte die Stimme des Mannes nicht. Dann rief eine Frau: »Sie sind abgestürzt, Ted! In den Garten gestürzt!« Harry schwirrte der Kopf. »Hagrid«, wiederholte er benommen und dann gaben seine Knie nach. Als er wieder zu sich kam, lag er rücklings auf etwas, das sich wie Kissen anfühlte, und spürte ein Brennen in den Rippen und am rechten Arm. Seinen fehlenden Zahn hatte jemand nachwachsen lassen. Die Narbe an seiner Stirn pochte immer noch. »Hagrid?« Er schlug die Augen auf und sah, dass er auf einem Sofa in einem fremden Wohnzimmer lag, in dem eine Lampe brannte. Sein Rucksack lag ein wenig entfernt auf dem Fußboden, nass und voller Schlamm. Ein Mann mit hellen Haaren und dickem Bauch sah Harry besorgt an. »Hagrid geht es gut, mein Sohn«, sagte der Mann, »meine Frau kümmert sich gerade um ihn. Wie geht es dir? Sonst noch etwas gebrochen? Ich habe deine Rippen, deinen Zahn und deinen Arm wieder in Ordnung gebracht. Ich bin übrigens Ted, Ted Tonks – Doras Vater.« Harry setzte sich zu rasch auf: Lichter blitzten vor seinen Augen, ihm wurde schlecht und schwindelig. »Voldemort -« »Schon gut«, sagte Ted Tonks, legte die Hand auf Harrys Schulter und drückte ihn zurück in die Kissen. »Das war ein schlimmer Absturz, den du da eben hattest. Was ist eigentlich passiert? Ist was mit dem Motorrad schiefgegangen? Arthur Weasley hat sich wohl mal wieder übernommen, der mit seinen komischen Muggelgeräten.« »Nein«, sagte Harry und seine Narbe pochte wie eine offene Wunde. »Todesser, jede Menge – sie haben uns gejagt -« »Todesser?«, erwiderte Ted scharf. »Was soll das heißen, Todesser? Ich dachte, sie wüssten nicht, dass man dich heute Abend wegbringt, ich dachte -« »Sie wussten es«, sagte Harry. Ted Tonks blickte zur Decke, als könnte er durch sie hindurch auf den Himmel sehen. »Nun, dann wissen wir, dass unsere Schutzzauber halten, nicht wahr? Sie dürften nicht in der Lage sein, näher als hundert Meter an das Haus heranzukommen, egal aus welcher Richtung.« Jetzt begriff Harry, warum Voldemort verschwunden war; es war genau an der Stelle gewesen, wo das Motorrad die von den Zaubern des Ordens errichtete Barriere durchquert hatte. Er hoffte nur, dass sie auch weiterhin standhielten: Er stellte sich vor, wie Voldemort, während sie hier redeten, hundert Meter über ihnen nach einer Möglichkeit suchte, in das einzudringen, was sich Harry wie eine große, durchsichtige Blase vorstellte. Er schwang die Beine vom Sofa; er musste Hagrid mit eigenen Augen sehen, um sicherzugehen, dass er lebte. Doch kaum war er aufgestanden, ging eine Tür auf, und Hagrid quetschte sich hindurch, das Gesicht voller Schlamm und Blut, leicht humpelnd zwar, aber wunderbarerweise am Leben. »Harry!« Er durchmaß die Strecke zwischen ihnen mit zwei Schritten, warf unterwegs zwei zierliche Tischchen und eine Schusterpalme um und drückte Harry so fest an sich, dass dessen frisch reparierte Rippen fast wieder zu Bruch gingen. »Mensch, Harry, wie bist'n da rausgekommen? Dacht schon, jetzt wär's aus mit uns beiden.« »Jaah, ich auch. Unglaublich -« Harry hielt inne; er hatte gerade die Frau bemerkt, die hinter Hagrid das Zimmer betreten hatte. »Sie!«, rief er und fuhr mit der Hand in seine Tasche, die jedoch leer war. »Dein Zauberstab ist hier, mein Sohn«, sagte Ted und klopfte damit gegen Harrys Arm. »Er ist direkt neben dir gelandet, ich hab ihn aufgehoben. Und das ist meine Frau, die du da anschreist.« »Oh – Ver-Verzeihung.« Während Mrs Tonks durch das Zimmer kam, wurde ihre Ähnlichkeit mit ihrer Schwester Bellatrix deutlich schwächer: Ihr Haar war von einem hellen, weichen Braun, und ihre Augen waren viel offener und freundlicher. Dennoch wirkte sie nach Harrys Aufschrei etwas pikiert. »Was ist mit unserer Tochter geschehen?«, fragte sie. »Hagrid sagte, ihr seid überfallen worden; wo ist Nymphadora?« »Ich weiß nicht«, erwiderte Harry. »Wir wissen nicht, was mit den Übrigen passiert ist.« Sie und Ted tauschten Blicke. Als Harry ihre Gesichter sah, packten ihn Angst und schlechtes Gewissen zugleich; wenn irgendwer von den andern umgekommen war, dann war es seine Schuld, ganz allein seine Schuld. Er hatte dem Plan zugestimmt, ihnen seine Haare gegeben ... »Der Portschlüssel«, sagte er, sich plötzlich erinnernd. »Wir müssen zum Fuchsbau und dort nachfragen – dann können wir Ihnen eine Nachricht schicken, oder – oder Tonks wird, sobald sie -« »Dora geht es sicher gut, Dromeda«, sagte Ted. »Sie weiß, was sie tut, sie war oft mit den Auroren in brenzligen Situationen. Der Portschlüssel ist dort drüben«, fügte er an Harry gewandt hinzu. »Er soll in drei Minuten abgehen, wenn ihr ihn nehmen wollt.« »Ja, allerdings«, sagte Harry. Er griff nach seinem Rucksack und schwang ihn über die Schultern. »Ich -« Er sah Mrs Tonks an und wollte sich entschuldigen, weil er sie in großer Angst zurückließ, für die er sich auch noch so schrecklich verantwortlich fühlte, aber es fielen ihm keine Worte ein, die ihm nicht hohl und unaufrichtig schienen. »Ich richte Tonks – Dora – aus, dass sie eine Nachricht schicken soll, wenn sie ... Danke, dass Sie uns zusammengeflickt haben, danke für alles. Ich -« Er war froh, als er das Zimmer verließ und Ted Tonks durch einen kurzen Flur in ein Schlafzimmer folgte. Hagrid kam hinterher, tief gebückt, um sich den Kopf nicht am Türsturz anzuschlagen. »Hier ist er, mein Sohn. Das ist der Portschlüssel.« Mr Tonks wies auf eine kleine Haarbürste mit silbernem Rücken, die auf der Frisierkommode lag. »Danke«, sagte Harry und streckte die Hand aus, um einen Finger auf die Bürste zu legen, bereit zum Aufbruch. »Moment noch«, sagte Hagrid und sah sich um. »Harry, wo ist Hedwig?« »Sie ... sie wurde getroffen«, sagte Harry. Die Wahrheit brach über ihn herein. Er schämte sich, als Tränen ihm in den Augen brannten. Die Eule war seine Gefährtin gewesen, die einzige wunderbare Verbindung zur magischen Welt, immer wenn er gezwungen war, zu den Dursleys zurückzukehren. Hagrid streckte seine große Hand aus und tätschelte ihm schmerzhaft die Schulter. »Is' ja gut«, sagte er mit rauer Stimme. »Is' ja gut. Sie hat 'n tolles langes Leben gehabt -« »Hagrid!«, sagte Ted Tonks mahnend, als die Bürste hellblau aufglühte, und Hagrid legte gerade noch rechtzeitig den Zeigefinger darauf. Am Nabel fortgerissen, als ob ein unsichtbarer Angelhaken ihn vorwärtsgezerrt hätte, wurde Harry ins Nichts hinausgezogen, und während sein Finger am Portschlüssel haften blieb, wirbelte er zügellos um sich selbst und wurde zusammen mit Hagrid von Mr Tonks weggeschleudert: Sekunden später schlug Harry mit den Füßen voran auf hartem Boden auf und landete auf Händen und Knien im Hof des Fuchsbaus. Schreie waren zu hören. Harry warf die Bürste, die nun nicht mehr glühte, beiseite, erhob sich leicht taumelnd und sah Mrs Weasley und Ginny die Stufen vor der Hintertür hinunterrennen, während Hagrid, der bei der Landung auch zu Boden gegangen war, mühsam auf die Beine kam. »Harry? Du bist der echte Harry? Was ist passiert? Wo sind die anderen?«, rief Mrs Weasley. »Was soll das heißen? Sind denn nicht alle wieder zurückgekommen?«, keuchte Harry. Die Antwort war deutlich in Mrs Weasleys blassem Gesicht zu lesen. »Die Todesser haben uns aufgelauert«, erklärte ihr Harry. »Wir waren umringt, kaum dass wir gestartet waren – sie wussten, dass es heute Abend sein würde – ich weiß nicht, was mit den anderen passiert ist. Vier von denen haben uns verfolgt, uns blieb nur die Flucht, und dann hat uns Voldemort eingeholt – « Er konnte den rechtfertigenden Ton in seiner eigenen Stimme hören, seine dringende Bitte, sie möge doch verstehen, wieso er nicht wusste, was mit ihren Söhnen geschehen war, aber - »Dem Himmel sei Dank, dass es dir gut geht«, sagte sie und zog ihn in eine Umarmung, die er nicht verdient zu haben glaubte. »Du hast nich zufällig 'n Schnaps, Molly?«, fragte Hagrid ein wenig zittrig. »Für medizinische Zwecke?« Sie hätte den Schnaps herbeizaubern können, aber als sie zu dem krummen Haus zurückeilte, wusste Harry, dass sie ihr Gesicht verbergen wollte. Er wandte sich Ginny zu, die seine stumme Bitte um Auskunft sofort erfüllte. »Ron und Tonks hätten als Erste wieder da sein sollen, aber sie haben ihren Portschlüssel verpasst, er kam ohne sie zurück«, sagte sie und deutete auf eine verrostete Ölkanne, die in der Nähe am Boden lag. »Und der da«, sie wies auf einen alten Turnschuh, »der war eigentlich für Dad und Fred, sie sollten die Zweiten sein. Du und Hagrid, ihr wart die Dritten, und«, sie sah auf ihre Uhr, »wenn sie es geschafft haben, sollten George und Lupin etwa in einer Minute zurück sein.« Mrs Weasley tauchte mit einer Flasche Schnaps in der Hand wieder auf, die sie Hagrid reichte. Er entkorkte die Flasche und trank sie in einem Zug leer. »Mum!«, rief Ginny und deutete auf etwas, das ein paar Meter entfernt war. Ein blaues Licht war in der Dunkelheit sichtbar geworden: Es wurde größer und heller, und Lupin und George tauchten auf, sie drehten sich um sich selbst und stürzten dann zu Boden. Harry war sofort klar, dass etwas nicht stimmte: Lupin stützte den bewusstlosen George, dessen Gesicht voller Blut war. Harry rannte hin und packte George an den Beinen. Er und Lupin trugen ihn gemeinsam ins Haus und durch die Küche ins Wohnzimmer, wo sie ihn aufs Sofa legten. Als das Licht der Lampe auf Georges Kopf fiel, stockte Ginny der Atem, und Harry drehte sich der Magen um: George fehlte ein Ohr. Eine Seite seines Kopfes und der Hals trieften von feuchtem, erschreckend scharlachrotem Blut. Mrs Weasley hatte sich kaum über ihren Sohn gebeugt, als Lupin Harry am Oberarm packte und ihn nicht allzu sanft zurück in die Küche schleifte, wo Hagrid immer noch versuchte, seinen massigen Körper durch die Hintertür zu manövrieren. »Hey«, sagte Hagrid entrüstet. »Lass ihn los! Lass Harry los!« Lupin beachtete ihn nicht. »Was für eine Kreatur saß damals in der Ecke, als Harry Potter mich zum ersten Mal in meinem Büro in Hogwarts aufsuchte?«, sagte er und schüttelte Harry leicht. »Antworte mir!« »Ein – ein Grindeloh in einem Aquarium, oder?« Lupin ließ Harry los und fiel rückwärts gegen einen Küchenschrank. »Was sollt'n das?«, brüllte Hagrid. »Tut mir leid, Harry, aber ich musste es überprüfen«, sagte Lupin kurz angebunden. »Man hat uns verraten. Voldemort wusste, dass du heute Abend weggebracht werden würdest, und die Einzigen, die es ihm hätten sagen können, waren direkt am Plan beteiligt. Du hättest ein Betrüger sein können.« »Und warum überprüfst du dann nich mich?«, schnaufte Hagrid, der sich nach wie vor damit abmühte, durch die Tür zu kommen. »Du bist ein Halbriese«, sagte Lupin und blickte zu Hagrid auf. »Der Vielsaft-Trank ist nur für den menschlichen Gebrauch bestimmt.« »Niemand vom Orden hätte Voldemort erzählt, dass wir heute Abend losfliegen«, sagte Harry: Es war eine schreckliche Vorstellung für ihn, er traute es einfach keinem von ihnen zu. »Voldemort hat mich erst zum Ende hin eingeholt, anfangs wusste er nicht, welcher ich war. Wenn er den Plan gekannt hätte, dann hätte er von Anfang an gewusst, dass ich der bei Hagrid bin. « »Voldemort hat dich eingeholt?«, sagte Lupin scharf. »Was ist passiert? Wie seid ihr entkommen?« Harry erklärte kurz, dass die Todesser, die sie verfolgt hatten, ihn offenbar als den richtigen Harry erkannt hatten, dass sie dann die Jagd abgebrochen und vermutlich Voldemort gerufen hatten, der aufgetaucht war, kurz bevor Harry und Hagrid den sicheren Ort bei Tonks' Eltern erreichten. »Sie haben dich erkannt? Aber wie? Was hast du getan?« »Ich ...« Harry versuchte sich zu erinnern; der ganze Flug schien ihm verschwommen, panisch und konfus. »Ich habe Stan Shunpike gesehen ... weißt du, den Typen, der Schaffner im Fahrenden Ritter war. Und ich wollte ihn eigentlich entwaffnen, statt – na ja, er weiß nicht, was er da tut, oder? Er muss unter einem Imperius stehen!« Lupin schaute entsetzt drein. »Harry, die Zeit des Entwaffnens ist vorbei! Diese Leute wollen dich fangen und töten! Verpass ihnen wenigstens einen Schockzauber, wenn du nicht bereit bist zu töten!« »Wir waren Hunderte Meter weit oben! Stan ist nicht er selbst, und wenn ich ihn geschockt hätte und er abgestürzt wäre, dann wäre er gestorben, genau so, als ob ich »Ja, Harry«, sagte Lupin, sich mühsam beherrschend, »und eine große Zahl von Todessern hat das mit angesehen! Verzeih mir, aber es war damals eine sehr ungewöhnliche Aktion, in unmittelbarer Todesgefahr. Sie heute Nacht vor Todessern zu wiederholen, die beim ersten Mal entweder selbst dabei waren oder davon gehört haben, kommt einem Selbstmord sehr nahe!« »Du meinst also, ich hätte Stan Shunpike töten sollen?«, sagte Harry zornig. »Natürlich nicht«, erwiderte Lupin, »aber die Todesser -offen gestanden, die meisten Leute! – hätten erwartet, dass du zurückschlägst! Lupin vermittelte Harry das Gefühl, ein Idiot zu sein, und doch regte sich noch ein Funken Trotz in ihm. »Ich werde nicht einfach Leute aus dem Weg sprengen, nur weil sie da sind«, sagte Harry. »Das überlasse ich Voldemort.« Lupins Erwiderung ging unter: Hagrid, dem es endlich gelungen war, sich durch die Tür zu quetschen, stolperte zu einem Stuhl und setzte sich; er brach unter ihm zusammen. Hagrid fluchte und entschuldigte sich wild durcheinander, aber Harry beachtete ihn nicht und wandte sich wieder Lupin zu. »Wird George wieder auf die Beine kommen?« Lupins ganze Enttäuschung über Harry schien bei dieser Frage zu verfliegen. »Ich denke schon, allerdings gibt es keine Möglichkeit, sein Ohr zu ersetzen, nicht wenn er es durch einen Fluch verloren hat -« Von draußen war ein Schlurfen zu hören. Lupin war mit einem Satz an der Hintertür; Harry sprang über Hagrids Beine und stürmte hinaus auf den Hof. Zwei Gestalten waren dort aufgetaucht, und als Harry auf sie zurannte, erkannte er Hermine, die gerade wieder ihre normale Gestalt annahm, und Kingsley; beide umklammerten einen krummen Kleiderbügel. Hermine fiel Harry um den Hals, aber Kingsley schien sich über den Anblick von keinem von ihnen zu freuen. Harry sah über Hermines Schulter, wie er den Zauberstab hob und damit auf Lupins Brust deutete. »Die letzten Worte, die Albus Dumbledore an uns beide richtete? « Kingsley drehte den Zauberstab nun zu Harry, aber Lupin sagte: »Er ist es, ich hab es überprüft!« »Na gut, na gut!«, sagte Kingsley und steckte seinen Zauberstab in den Umhang zurück. »Aber irgendjemand hat uns verraten! Sie wussten es, sie wussten von heute Abend!« »Sieht ganz so aus«, erwiderte Lupin, »aber offenbar war ihnen nicht klar, dass es sieben Harrys geben würde.« »Schwacher Trost!«, fauchte Kingsley. »Wer ist sonst noch zurück?« »Nur Harry, Hagrid, George und ich.« Hermine unterdrückte ein leises Stöhnen hinter vorgehaltener Hand. »Was ist mit euch passiert?«, fragte Lupin, zu Kingsley gewandt. »Fünf Verfolger, haben zwei verwundet, vielleicht einen getötet«, spulte Kingsley mechanisch herunter, »und wir haben außerdem Du-weißt-schon-wen gesehen, er ist mitten in der Jagd dazugestoßen, aber dann ziemlich schnell verschwunden. Remus, er kann -« »Fliegen«, ergänzte Harry. »Ich hab ihn auch gesehen, er war hinter Hagrid und mir her.« »Also deshalb ist er weggeflogen – um euch zu verfolgen!«, sagte Kingsley. »Mir war nicht klar, warum er verschwunden ist. Aber wodurch hat er sein Ziel geändert?« »Harry war ein bisschen zu nett zu Stan Shunpike«, sagte Lupin. »Stan?«, wiederholte Hermine. »Aber ich dachte, der ist in Askaban?« Kingsley stieß ein freudloses Lachen aus. »Hermine, es hat offenbar einen Massenausbruch gegeben, den das Ministerium vertuscht hat. Travers fiel die Kapuze runter, als ich einen Fluch nach ihm schleuderte, der sollte auch in Askaban sitzen. Aber was war bei dir, Remus? Wo ist George? « »Er hat ein Ohr verloren«, sagte Lupin. »Ein was -?«, fragte Hermine mit schriller Stimme. »Snapes Handschrift«, sagte Lupin. »Er hat bei der Verfolgungsjagd seine Kapuze verloren. Die vier verfielen in Schweigen und blickten zum Himmel. Dort regte sich nichts; die Sterne starrten zurück, ohne zu blinzeln, gleichgültig, kein fliegender Freund verdunkelte sie. Wo war Ron? Wo waren Fred und Mr Weasley? Wo waren Bill, Fleur, Tonks, Mad-Eye und Mundungus? »Harry, hilf mir mal!«, rief Hagrid heiser von der Tür her, in der er wieder feststeckte. Harry zog ihn heraus, froh, dass er etwas tun konnte, und ging dann durch die leere Küche zurück ins Wohnzimmer, wo Mrs Weasley und Ginny sich nach wie vor um George kümmerten. Mrs Weasley hatte jetzt seine Blutung gestillt, und im Schein der Lampe sah Harry dort, wo vorher Georges Ohr gewesen war, ein glattes klaffendes Loch. »Wie geht es ihm?« Mrs Weasley schaute sich um und sagte: »Ich kann es nicht nachwachsen lassen, weil es durch schwarze Magie entfernt wurde. Aber es hätte noch so viel schlimmer sein können ... er ist am Leben.« »Jaah«, sagte Harry. »Gott sei Dank.« »Hab ich nicht noch jemand im Hof gehört?«, fragte Ginny. »Hermine und Kingsley«, sagte Harry. »Dem Himmel sei Dank«, flüsterte Ginny. Sie sahen einander an; Harry wollte sie umarmen, sie festhalten; es war ihm sogar ziemlich egal, dass Mrs Weasley dabei war, aber ehe er dem Impuls folgen konnte, drang ein gewaltiger Krach von der Küche herein. »Ich beweise, wer ich bin, wenn ich meinen Sohn gesehen habe, Kingsley, und jetzt verzieh dich, oder du wirst es bereuen!« Harry hatte Mr Weasley noch nie so schreien hören. Er platzte ins Wohnzimmer, die kahle Stelle auf seinem Kopf glänzte schweißnass, die Brille saß schief, Fred folgte ihm auf dem Fuß, beide waren blass, aber unverletzt. »Arthur!«, schluchzte Mrs Weasley. »Oh, dem Himmel sei Dank!« »Wie geht es ihm?« Mr Weasley sank neben George auf die Knie. Zum ersten Mal, seit Harry ihn kannte, schien Fred um Worte verlegen zu sein. Er stierte über die Sofalehne auf die Wunde seines Zwillingsbruders, als könnte er nicht fassen, was er da sah. Jetzt regte sich George, vielleicht hatte die laute Ankunft von Fred und dem Vater ihn aufgeweckt. »Wie fühlst du dich, Georgie?«, flüsterte Mrs Weasley. George tastete mit den Fingern seitlich an seinen Kopf. »Wie ein Schweizer Käse«, murmelte er. »Was ist los mit ihm?«, krächzte Fred mit erschrockener Miene. »Tickt er jetzt nicht mehr richtig?« »Wie ein Schweizer Käse«, wiederholte George, öffnete die Augen und blickte zu seinem Bruder auf. »Verstehst du ... Schweizer Käse. Mrs Weasley schluchzte heftiger denn je. Freds blasses Gesicht nahm schlagartig Farbe an. »Schwache Leistung«, sagte er zu George. »Ehrlich! Dir steht das ganze weite Feld der Ohrenwitze offen und du entscheidest dich für »Tja«, sagte George und grinste seiner in Tränen aufgelösten Mutter zu, »jetzt kannst du uns jedenfalls auseinanderhalten, Mum.« Er blickte sich um. »Hi, Harry – du bist doch Harry, oder? « »Jaah, bin ich«, sagte Harry und trat näher an das Sofa heran. »Na, wenigstens haben wir dich heil wiedergekriegt«, sagte George. »Warum drängen sich Ron und Bill nicht um mein Krankenlager?« »Sie sind noch nicht zurück, George«, sagte Mrs Weasley. Georges Grinsen verblasste. Harry warf einen schnellen Blick zu Ginny und bedeutete ihr, ihm nach draußen zu folgen. Als sie durch die Küche gingen, sagte sie mit leiser Stimme: »Ron und Tonks sollten schon da sein. Sie hatten keine lange Reise; Tantchen Muriel wohnt gar nicht weit von hier.« Harry sagte nichts. Seit sie im Fuchsbau waren, hatte er versucht, die Angst unter Kontrolle zu halten, doch jetzt umhüllte sie ihn, schien über seine Haut zu kriechen, in seiner Brust zu hämmern, seine Kehle zuzuschnüren. Als sie die hintere Treppe zum dunklen Hof hinabgingen, nahm Ginny seine Hand. Kingsley schritt auf und ab, und immer wenn er sich umdrehte, warf er einen Blick zum Himmel empor. Das erinnerte Harry an Onkel Vernon, der vor Millionen Jahren im Wohnzimmer auf und ab gegangen war. Hagrid, Hermine und Lupin standen Schulter an Schulter da und starrten schweigend nach oben. Keiner von ihnen sah sich um, als Harry und Ginny sich ihrer stummen Wache anschlossen. Die Minuten zogen sich hin, als wären es Jahre. Beim leisesten Windhauch zuckten sie zusammen und schauten zu dem raunenden Busch oder Baum, in der Hoffnung, eines der vermissten Ordensmitglieder könnte unversehrt aus seinen Blättern springen - Und dann nahm ein Besen direkt über ihnen Gestalt an und raste auf die Erde zu - »Das sind sie!«, kreischte Hermine. Tonks zog bei der Landung eine lange Bremsspur und wirbelte Erde und Kiesel auf. »Remus!«, schrie Tonks und wankte vom Besen herunter in Lupins Arme. Sein Gesicht war starr und weiß: Er schien unfähig zu sprechen. Ron stolperte benommen auf Harry und Hermine zu. »Euch ist nichts passiert«, murmelte er, ehe Hermine sich auf ihn stürzte und ihn fest umarmte. »Ich dachte – ich dachte -« »Alles okay mit mir«, sagte Ron und klopfte ihr auf den Rücken. »Geht mir gut.« »Ron war großartig«, sagte Tonks begeistert und ließ Lupin wieder los. »Wunderbar. Hat einen von den Todessern geschockt, direkt am Kopf, und wenn man von einem fliegenden Besen aus ein bewegliches Ziel anvisiert - « »Das hast du getan?«, sagte Hermine und sah mit großen Augen zu Ron auf, die Arme nach wie vor um seinen Hals. »Immer dieser überraschte Unterton«, sagte er ein wenig mürrisch und machte sich von ihr los. »Sind wir die Letzten?« »Nein«, sagte Ginny, »wir warten noch auf Bill und Fleur und Mad-Eye und Mundungus. Ich sag Mum und Dad Bescheid, dass du okay bist, Ron - « Sie rannte ins Haus zurück. »Und warum seid ihr so spät dran? Was ist passiert?« Lupin hörte sich fast an, als wäre er wütend auf Tonks. »Bellatrix«, sagte Tonks. »Sie hat es ebenso sehr auf mich abgesehen wie auf Harry, sie hat alles darangesetzt, mich umzubringen, Remus. Hätt ich sie doch nur erwischt, ich hab noch eine Rechnung mit ihr offen. Aber wir haben ganz sicher Rodolphus verletzt ... Dann sind wir zu Rons Tantchen Muriel und haben unseren Portschlüssel verpasst und sie hat uns betüttelt -« Ein Muskel zuckte an Lupins Kiefer. Lupin nickte, schien aber nicht in der Lage, ein weiteres Wort zu sagen. »Und was war mit euch?«, fragte Tonks Harry, Hermine und Kingsley. Sie schilderten erneut, wie es ihnen auf ihren Flügen ergangen war, doch dass Bill, Fleur, Mad-Eye und Mundungus noch immer auf sich warten ließen, lag die ganze Zeit wie Frost über ihnen, dessen beißende Kälte bald kaum mehr zu ignorieren war. »Ich muss zurück in die Downing Street. Hätte schon vor einer Stunde dort sein sollen«, sagte Kingsley schließlich nach einem letzten Blick quer über den Himmel. »Lasst es mich wissen, wenn sie da sind.« Lupin nickte. Kingsley winkte den anderen zu und verschwand in der Dunkelheit in Richtung Tor. Harry glaubte ein ganz leises Mr und Mrs Weasley kamen die hintere Treppe heruntergestürmt, Ginny folgte ihnen. Die Eltern schlossen Ron in die Arme und wandten sich dann Lupin und Tonks zu. »Danke«, sagte Mrs Weasley, »für unsere Söhne.« »Sei nicht albern, Molly«, erwiderte Tonks rasch. »Wie geht es George?«, fragte Lupin. »Was fehlt ihm denn?«, legte Ron los. »Er hat ein -« Aber das Ende von Mrs Weasleys Satz ging in einem allgemeinen Aufschrei unter: Ein Thestral war soeben herbeigeflogen und landete wenige Meter von ihnen entfernt. Bill und Fleur glitten von seinem Rücken, zerzaust, aber unverletzt. »Bill! Gott sei Dank, Gott sei Dank -« Mrs Weasley rannte zu ihnen, aber Bill hatte nur eine flüchtige Umarmung für sie übrig. Er blickte seinem Vater in die Augen und sagte: »Mad-Eye ist tot.« Niemand sprach, niemand rührte sich. Harry kam es vor, als würde etwas in ihm fallen, durch die Erde fallen, und ihn für immer verlassen. »Wir haben es gesehen«, sagte Bill; Fleur nickte, im Licht des Küchenfensters glitzerten Tränenspuren auf ihren Wangen. »Es ist passiert, kurz nachdem wir aus dem Kreis ausgebrochen sind: Mad-Eye und Dung waren dicht bei uns, sie waren auch auf dem Weg nach Norden. Voldemort – er kann fliegen – ging direkt auf sie los. Dung geriet in Panik, ich hörte, wie er aufschrie, Mad-Eye hat versucht ihn aufzuhalten, aber er ist disappariert. Voldemorts Fluch traf Mad-Eye mitten ins Gesicht, er fiel rücklings vom Besen und – wir konnten nichts machen, nichts, wir hatten selber ein halbes Dutzend von denen an den Fersen -« Bills Stimme versagte. »Natürlich hättet ihr nichts tun können«, sagte Lupin. Sie standen da und sahen einander an. Harry konnte es nicht richtig begreifen. Mad-Eye tot; das konnte nicht sein ... Mad-Eye, so zäh, so tapfer, der immer seinen Hals aus der Schlinge gezogen hatte ... Schließlich ging es wohl allen auf, dass es sinnlos war, länger im Hof zu warten, auch wenn keiner es sagte, und sie folgten schweigend Mr und Mrs Weasley in den Fuchsbau und ins Wohnzimmer zurück, wo Fred und George zusammen lachten. »Was ist los?«, sagte Fred, der sie argwöhnisch ansah, als sie hereinkamen. »Was ist passiert? Wer ist -?« »Mad-Eye«, sagte Mr Weasley. »Tot.« Aus dem Grinsen der Zwillinge wurden entsetzte Gesichter. Niemand schien zu wissen, was zu tun war. Tonks weinte stumm in ein Taschentuch: Harry wusste, dass sie Mad-Eye nahegestanden hatte, sein Liebling und sein Schützling gewesen war. Hagrid, der sich in der Ecke, wo am meisten Platz für ihn war, auf den Boden gesetzt hatte, tupfte sich die Augen mit seinem tischtuchgroßen Taschentuch. Bill ging hinüber zum Büfett und holte eine Flasche Feuerwhisky und ein paar Gläser heraus. »Hier«, sagte er, und mit einem Schlenker seines Zauberstabs ließ er zwölf gefüllte Gläser durch das Zimmer schweben, für jeden eines, während er das dreizehnte erhob. »Mad-Eye.« »Mad-Eye«, sagten sie alle und tranken. »Mad-Eye«, tönte Hagrid hinterher, ein wenig spät, mit einem Schluckauf. Der Feuerwhisky brannte Harry in der Kehle: Er schien wieder Empfinden in ihm zu entfachen, die Taubheit und das Gefühl von Unwirklichkeit zu zerstreuen und etwas wie Mut in ihm zu entzünden. »Mundungus ist also verschwunden?«, fragte Lupin, der sein Glas in einem Zug geleert hatte. Die Stimmung änderte sich schlagartig: Alle wirkten nervös; sie hefteten ihre Blicke auf Lupin und wollten, wie es Harry vorkam, dass er fortfuhr, hatten aber gleichzeitig ein wenig Angst vor dem, was sie womöglich hören würden. »Ich weiß, was ihr denkt«, sagte Bill, »das habe ich mich auf dem Weg hierher zurück auch gefragt, denn sie haben uns offenbar schon erwartet, stimmt's? Aber Mundungus kann uns nicht verraten haben. Sie wussten nicht, dass es sieben Harrys geben würde; das hat sie verwirrt, in dem Moment als wir aufgetaucht sind, und falls ihr es vergessen habt, es war Mundungus, der diesen kleinen Rosstäuschertrick vorgeschlagen hat. Warum hat er ihnen dann nicht den entscheidenden Punkt verraten? Ich glaube, Dung ist schlicht und einfach in Panik geraten. Er wollte ursprünglich gar nicht mitkommen, aber Mad-Eye hat ihn gedrängt, und Voldemort ist gleich auf die beiden losgegangen: Da hätte jeder Panik bekommen.« »Du-weißt-schon-wer hat genau so gehandelt, wie Mad-Eye es vorausgesehen hat«, sagte Tonks schniefend. »Mad-Eye meinte, er würde glauben, dass der echte Harry bei den tapfersten und fähigsten Auroren wäre. Er hat zuerst Mad-Eye gejagt, und als Mundungus es vergeigt hat, nahm er sich Kingsley vor ...« »Ja, das ist alles gut und schön«, unterbrach Fleur sie barsch, »aber das erklärt immer noch nischt, wo'er sie wussten, dass wir Arry 'eute Abend wegbringen würden, nischt wahr? Jemand muss unvorsischtisch gewesen sein. Jemand 'at einem Außenste'enden verse'entlisch das Datum genannt. Das ist die einsige Erklärung, wes'alb sie das Datum, aber nischt den ganzen Plan kannten.« Sie schaute finster in die Runde, immer noch Spuren von Tränen auf ihrem schönen Gesicht, und forderte alle stumm heraus, ihr zu widersprechen. Niemand tat es. Das einzige Geräusch, das die Stille unterbrach, kam von Hagrid, der hinter seinem Taschentuch hickste. Harry blickte rasch zu Hagrid hinüber, der gerade sein Leben riskiert hatte, um das von Harry zu retten – zu Hagrid, den er liebte, dem er vertraute, der einst überlistet worden war, um Voldemort entscheidende Informationen im Tausch gegen ein Drachenei zu liefern ... »Nein«, sagte Harry laut und alle sahen ihn überrascht an: Der Feuerwhisky hatte seine Stimme offenbar kräftiger werden lassen. »Ich meine ... wenn jemand einen Fehler begangen hat«, fuhr Harry fort, »und ihm etwas rausgerutscht ist, dann weiß ich, dass es nicht mit Absicht war. Das ist nicht seine Schuld«, wiederholte er, abermals ein wenig lauter, als er sonst gesprochen hätte. »Wir müssen einander vertrauen. Ich vertraue euch allen, ich glaube nicht, dass irgendjemand in diesem Raum mich jemals an Voldemort verraten würde.« Diesen Worten folgte ein erneutes Schweigen. Sie sahen ihn alle an; Harry fühlte sich wieder ein wenig erhitzt und trank noch mehr Feuerwhisky, nur um etwas zu tun. Während er trank, dachte er an Mad-Eye. Mad-Eye hatte Dumbledores Bereitschaft, anderen zu vertrauen, immer scharf kritisiert. »Gut gesprochen, Harry«, sagte Fred unvermutet. »Jaah, wer Ohren hat, der höre ...«, sagte George, mit einem kurzen Blick auf Fred, dessen Mundwinkel zuckte. Lupin machte ein merkwürdiges Gesicht, als er Harry ansah: Es lag fast etwas Mitleidiges darin. »Du hältst mich für naiv?«, fragte Harry eindringlich. »Nein, ich glaube, du bist wie James«, erwiderte Lupin, »er hätte es als Gipfel der Schande betrachtet, seinen Freunden zu misstrauen.« Harry wusste, worauf Lupin hinauswollte: Sein Vater war von seinem Freund Peter Pettigrew verraten worden. Er spürte eine unbändige Wut in sich aufsteigen. Er wollte widersprechen, aber Lupin war von ihm weggegangen, stellte sein Glas auf einen kleinen Tisch und wandte sich an Bill: »Es gibt Arbeit. Ich kann auch Kingsley fragen, ob -« »Nein«, sagte Bill sofort, »ich mach es; ich komm mit.« »Wo wollt ihr hin?«, fragten Tonks und Fleur gleichzeitig. »Mad-Eyes Leichnam«, sagte Lupin. »Wir müssen ihn bergen.« »Kann das nicht -?«, begann Mrs Weasley mit einem flehenden Blick zu Bill. »Warten?«, sagte Bill. »Du willst doch nicht, dass ihn stattdessen die Todesser mitnehmen?« Niemand sprach. Lupin und Bill verabschiedeten sich und gingen. Die Übrigen ließen sich nun alle in die Sessel sinken, nur Harry blieb stehen. Der Tod, jäh und unwiderruflich, weilte unter ihnen wie ein unsichtbarer Geist. »Ich muss auch gehen«, sagte Harry. Zehn verdutzte Augenpaare starrten ihn an. »Sei nicht albern, Harry«, sagte Mrs Weasley. »Was soll das?« »Ich kann nicht hierbleiben.« Er rieb sich die Stirn: Sie schmerzte wieder; sie hatte seit über einem Jahr nicht mehr so wehgetan. »Ihr seid alle in Gefahr, solange ich hier bin. Ich will nicht -« »Aber sei doch nicht albern!«, sagte Mrs Weasley. »Heute Nacht ging es einzig und allein darum, dich wohlbehalten hierherzuholen, und zum Glück hat es geklappt. Außerdem ist Fleur damit einverstanden, hier zu heiraten und nicht in Frankreich, wir haben alles vorbereitet, so dass wir alle zusammenbleiben und uns um dich kümmern können. « Sie begriff nicht; sie machte es für ihn nicht besser, sondern nur noch schlimmer. »Wenn Voldemort rausfindet, dass ich hier bin -« »Aber warum sollte er das?«, fragte Mrs Weasley. »Es gibt ein Dutzend Orte, wo du jetzt sein könntest, Harry«, sagte Mr Weasley. »Er hat keine Chance herauszukriegen, in welchem geschützten Haus du bist.« »Ich bin nicht meinetwegen in Sorge!«, sagte Harry. »Das wissen wir«, entgegnete Mr Weasley ruhig. »Aber unsere ganze Aktion heute Nacht wäre doch ziemlich sinnlos gewesen, wenn du fortgehen würdest.« »Du gehst nirgendwohin«, knurrte Hagrid. »Mensch, Harry, nach allem, was wir durchgemacht ham, um dich hierherzukrieg'n?« »Jaah, was ist mit meinem blutenden Ohr?«, sagte George und stemmte sich auf seinen Kissen hoch. »Ich weiß ja -« »Mad-Eye würde das nicht wollen -« »ICH WEISS!«, brüllte Harry. Er fühlte sich gequält und erpresst: Dachten sie, er wüsste nicht, was sie für ihn getan hatten, begriffen sie nicht, dass genau dies der Grund war, weshalb er gehen wollte, jetzt, bevor sie noch mehr für ihn leiden mussten? Ein langes verlegenes Schweigen breitete sich aus, in dem seine Narbe unentwegt stach und pochte und das schließlich von Mrs Weasley unterbrochen wurde. »Wo ist Hedwig, Harry?«, sagte sie aufmunternd. »Wir können sie bei Pigwidgeon unterbringen und ihr etwas zu fressen geben.« Seine Eingeweide zogen sich wie eine Faust zusammen. Er konnte ihr nicht die Wahrheit sagen. Er trank seinen letzten Schluck Feuerwhisky, um ihr nicht antworten zu müssen. »Wart nur, bis sich rumspricht, dass du's schon wieder geschafft hast, Harry«, sagte Hagrid. »Dass du ihm entkommen bist, ihn abgeschmettert hast, als er direkt über dir war!« »Das war nicht ich«, sagte Harry tonlos. »Es war mein Zauberstab. Mein Zauberstab hat aus eigenem Antrieb gehandelt.« Nach einigen Augenblicken sagte Hermine sanft: »Aber das ist unmöglich, Harry. Du meinst, dass du gezaubert hast, ohne es zu wollen; du hast instinktiv reagiert.« »Nein«, sagte Harry. »Das Motorrad stürzte nach unten, ich hätte dir nicht sagen können, wo Voldemort war, aber mein Zauberstab drehte sich in meiner Hand und fand ihn und schoss einen Zauber auf ihn ab, einen, den ich nicht mal kannte. Goldene Flammen hab ich noch nie erscheinen lassen.« »Wenn man unter Druck steht«, sagte Mr Weasley, »kann man oftmals Zauber bewirken, die man sich nie hätte träumen lassen. Kleine Kinder merken, bevor sie ausgebildet sind, oft -« »So war es nicht«, sagte Harry mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Narbe brannte: Er war wütend und enttäuscht; er hasste den Gedanken, dass sie alle annahmen, er hätte eine Macht, die der Voldemorts ebenbürtig war. Niemand sagte etwas. Er wusste, dass sie ihm nicht glaubten. Wenn er es sich recht überlegte, hatte er noch nie von einem Zauberstab gehört, der von allein zauberte. Seine Narbe brannte vor Schmerz; mühsam unterdrückte er ein lautes Stöhnen. Er murmelte etwas von frischer Luft, stellte sein Glas ab und verließ den Raum. Als er über den dunklen Hof ging, blickte der große skelettartige Thestral auf, raschelte mit seinen gewaltigen Fledermausflügeln und graste dann weiter. Harry blieb am Tor zum Garten stehen, blickte hinaus auf die wuchernden Pflanzen, rieb sich die pochende Stirn und dachte an Dumbledore. Dumbledore hätte ihm geglaubt, ganz sicher. Dumbledore hätte gewusst, wie und warum Harrys Zauberstab eigenmächtig gehandelt hatte, weil Dumbledore immer die Antworten hatte; er kannte sich mit Zauberstäben aus, hatte Harry die seltsame Verbindung zwischen seinem Zauberstab und dem von Voldemort erklärt ... aber Dumbledore, wie Mad-Eye, wie Sirius, wie seine Eltern, wie seine arme Eule, sie alle waren dorthin gegangen, wo Harry nicht mehr mit ihnen sprechen konnte. Er spürte ein Brennen in der Kehle, das nichts mit Feuerwhisky zu tun hatte ... Und dann, urplötzlich, loderte der Schmerz in seiner Narbe auf. Als er die Hand auf die Stirn drückte und die Augen schloss, schrie eine Stimme in seinem Kopf. Und vor ihm tauchte das Bild eines ausgemergelten alten Mannes auf, der in Lumpen auf einem steinernen Boden lag und einen Schrei ausstieß, einen schrecklichen, lang gezogenen Schrei, einen Schrei von unerträglicher Qual ... »Nein! Nein! Ich bitte Euch, ich bitte Euch ...« »Du hast Lord Voldemort belogen, Ollivander!« »Das habe ich nicht ... ich schwöre, das habe ich nicht ...« »Du hast versucht Potter zu helfen, damit er mir entkommt!« »Ich schwöre, das habe ich nicht... ich glaubte, ein anderer Zauberstab würde funktionieren ...« »Dann erkläre, was passiert ist. Lucius' Zauberstab ist zerstört!« »Ich kann es nicht begreifen ... die Verbindung ... besteht nur ... zwischen euren beiden Zauberstäben ...« »Bitte ... ich bitte Euch ...« Und Harry sah die weiße Hand ihren Zauberstab heben und spürte Voldemorts jäh aufwallenden wilden Zorn, sah den gebrechlichen alten Mann sich in Todesqualen am Boden krümmen - »Harry?« Es war so schnell vorüber, wie es gekommen war: Harry stand zitternd in der Dunkelheit, die Hände ans Gartentor geklammert, sein Herz raste, und seine Narbe brannte immer noch. Erst einige Augenblicke später fiel ihm auf, dass Ron und Hermine neben ihm waren. »Harry, komm zurück ins Haus«, flüsterte Hermine. »Du denkst doch nicht immer noch ans Weggehen?« »Jaah, du musst bleiben, Mann«, sagte Ron und klopfte Harry heftig auf den Rücken. »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Hermine, jetzt so nahe bei ihm, dass sie Harry ins Gesicht schauen konnte. »Du siehst furchtbar aus!« »Na ja«, sagte Harry zitternd, »ich seh wahrscheinlich besser aus als Ollivander ...« Nachdem er ihnen erzählt hatte, was er gesehen hatte, blickte Ron erschrocken, doch Hermine war abgrundtief entsetzt. »Aber es sollte doch vorbei sein! Deine Narbe – sie sollte das eigentlich nicht mehr tun! Du darfst diese Verbindung nicht wieder zulassen – Dumbledore wollte, dass du deinen Geist verschließt!« Als er nicht antwortete, packte sie ihn am Arm. »Harry, er übernimmt gerade das Ministerium und die Zeitungen und die halbe Zaubererwelt! Lass ihn nicht auch noch in deinen Kopf!« |
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