"Karlsson fliegt wieder" - читать интересную книгу автора (Линдгрен Астрид)

Karlsson lädt zum Weckenschmaus ein

 „Wie wäre es denn mit einer kleinen Zwischenmahlzeit?" fragte Karlsson. „Kakao und Wecken auf meinem Treppenvorplatz —ich lade ein!"

Lillebror sah ihn nur an. Oh, keiner war so wunderbar wie Karlsson! Lillebror hätte ihn am liebsten umarmt. Das versuchte er auch, aber Karlsson schubste ihn nur weg.

„Ruhig, nur ruhig! Du bist jetzt nicht bei deiner Großmutter. Na, kommst du mit?"

„Und ob", sagte Lillebror. „Eigentlich bin ich ja eingeschlossen.

Eigentlich sitze ich sozusagen im Gefängnis."

„Denkt der Hausbock, ja", sagte Karlsson. „Und das kann sie ruhig noch ein Weilchen denken."

Seine Augen begannen zu funkeln, und er machte ein paar kleine, zufriedene Hüpfer vor Lillebror.

„Weißt du was? Wir spielen, daß du in einem Gefangenenloch sitzt und es furchtbar hast mit einem ekelhaften Hausbock als Gefangenenwärter, und dann kommt ein riesig mutiger und starker und schöner und ziemlich dicker Held und rettet dich."

„Welcher Held denn?" fragte Lillebror. Karlsson sah ihn vorwurfsvoll an.

„Rate doch mal, wenn du kannst!"

„Ach so, du", sagte Lillebror. „Aber dann finde ich, du könntest mich jetzt gleich retten."

Dagegen hatte Karlsson nichts einzuwenden.

„Der Held, der ist ja so forsch", versicherte Karlsson. „Schnell wie ein Habicht, ja, wahrhaftig, und mutig und stark und schön und ziemlich dick, und er kommt angewetzt und rettet dich und ist der mutigste Mann der Welt. Hoho, hier kommt er!"

Karlsson packte Lillebror und stieg schnell und mutig in die Lüfte. Bimbo bellte, als er Lillebror zum Fenster hinaus ent-schwinden sah, aber Lillebror rief:

„Ruhig, nur ruhig! Ich komme bald zurück."

Oben auf Karlssons Treppenvorplatz lagen zehn Wecken in einer Reihe nebeneinander und sahen prächtig aus.

„Alle ehrlich bezahlt, jeder einzelne", sagte Karlsson. „Wir teilen gerecht, du bekommst sieben, und ich bekomme sieben."

„Das geht doch gar nicht", sagte Lillebror. „Sieben und sieben sind vierzehn, und hier sind doch nur zehn Wecken."

Karlsson hatte nichts Eiligeres zu tun, als sieben Wecken zu einem kleinen Haufen zu stapeln.

„Das hier sind auf jeden Fall meine", sagte er und legte eine kurze dicke Hand über die Wecken. „Ihr rechnet heutzutage in den Schulen so blödsinnig. Aber deswegen brauche ich doch nicht darunter zu leiden. Wir nehmen jeder sieben, habe ich gesagt, und das hier sind meine."

Lillebror nickte.

„Ich kann sowieso nicht mehr als drei essen. Aber den Kakao, wo hast du den?"

„Unten beim Hausbock", sagte Karlsson. „Und jetzt holen wir ihn."

Lillebror sah ihn erschrocken an. Er hatte keine Lust, Fräulein Bock wiederzusehen und sich vielleicht neue Ohrfeigen zu holen. Er konnte sich auch nicht vorstellen, wie sie an die Kakaodose herankommen sollten. Die stand ja nicht im offenen Fenster, so wie vorhin die Wecken, sondern auf einem Wandbrett neben dem Herd, genau vor den Augen von Fräulein Bock.

„Wie in aller Welt sollte das zu machen sein?" fragte Lillebror.

Karlsson gluckste vergnügt.

„Ja, das kannst du dir natürlich nicht vorstellen, dummer kleiner Junge, der du bist! Aber nun hat sich zufällig der beste Streichemacher der Welt dieser Sache angenommen, du kannst also ganz beruhigt sein."

„Ja, aber wie ...", begann Lillebror.

„Du", sagte Karlsson, „sag mal, hast du jemals die Klopfbalkons bemerkt, die hier überall im Hause sind?"

Die hatte Lillebror allerdings bemerkt. Mama pflegte ja die Küchenläufer auf dem Klopfbalkon auszuschütteln, der lag für sie so bequem, von ihrer Hintertür aus nur eine halbe Treppe weiter oben.

„Nur zehn Stufen von eurer Hintertür aus", sagte Karlsson.

„Selbst so ein kleiner Trödelfritze wie du könnte im Nu auf den Klopfbalkon rennen."

Lillebror verstand nichts.

„Weshalb sollte ich auf den Klopfbalkon rennen?"

Karlsson seufzte.

„Muß man dir denn alles erklären, du dummer kleiner Junge!

Also sperr jetzt die Ohren auf und hör zu, wie ich es mir gedacht habe."

„Ja, ich höre zu", sagte Lillebror.

„Also", sagte Karlsson. „Dummer kleiner Junge landet mit dem Karlssonflugzeug auf dem Balkon, rennt dann eine halbe Treppe nach unten und klingelt kräftig und lange an der Türglocke.

Kapiert? Wütender Hausbock in der Küche hört das Klingeln und geht mit festen Schritten hin, um aufzumachen - Küche so lange leer! Mutiger und ziemlich dicker Held fliegt zum Fenster hinein und schnell wieder hinaus, nun mit der Kakaodose in der Faust. Dummer kleiner Junge läutet noch einmal, nur um zu ärgern, und rennt zum Balkon zurück. Wütender Hausbock macht die Tür auf und wird noch wütender, weil niemand draußen steht mit einem Strauß roter Rosen für sie. Sie kreischt auf und schmeißt die Tür zu. Dummer kleiner Junge kichert auf dem

Balkon immer weiter, bis endlich ziemlich dicker Held kommt und ihn zum Weckenschmaus aufs Dach holt. Heißa hopsa, Lillebror, rate, wer der beste Streichemacher der Welt ist! Jetzt ziehen wir los!"

Und bevor Lillebror nur einen Mucks von sich geben konnte, war er vom Dach zum Klopfbalkon unterwegs. Karlsson machte einen Sturzflug mit ihm, so daß es ihm um die Ohren pfiff und im Bauch kribbelte, schlimmer als in der Berg- und Talbahn auf dem Jahrmarkt.

Und nun verlief alles genauso, wie es besprochen war. Karlsson schwirrte auf das Küchenfenster zu, und Lillebror rannte hinunter und klingelte heftig und lange an der Türglocke. Bald vernahm er Schritte, die drinnen auf dem Flur näher kamen. Da kicherte er allerdings und raste auf den Balkon zurück. Ein paar Sekunden später ging die Tür da unten auf, und Fräulein Bock steckte den Kopf heraus. Er konnte sie sehen, wenn er vorsichtig durch die Glasscheibe des Balkons schaute. Und es war ganz deutlich, Karlsson hatte recht: Böser Hausbock wurde noch böser, als niemand draußen stand. Sie brummte laut vor sich hin und blieb eine ganze Weile in der offenen Tür stehen, als ob sie darauf wartete, daß der, welcher geläutet hatte, plötzlich vor ihr auftauchen würde. Der aber geläutet hatte, der stand leise kichernd auf dem Balkon, und das tat er so lange, bis der ziemlich dicke Held kam und ihn zum Weckenschmaus auf seinem Treppenvorplatz abholte.

Es sollte der beste Weckenschmaus werden, den Lillebror je erlebt hatte.

„Jetzt ist mir wohl", sagte er, als er dort neben Karlsson auf dem Vorplatz saß und seinen Wecken kaute und seinen Kakao trank und über die Dächer und Türme von Stockholm blickte, die im Sonnenschein glänzten. Die Wecken waren gut, der Kakao war ebenfalls vorzüglich. Er hatte ihn selber auf Karlssons Herd drinnen gekocht. Alles, was man brauchte, Milch und Kakao und Zucker, hatte Karlsson aus der Küche unten entführt.

„Und jedes kleinste Krümelchen ordnungsgemäß mit fünf Öre bezahlt, die auf dem Küchentisch liegen", sagte Karlsson. „Ist man ehrlich, dann ist man es, dabei kann man nichts machen."

„Wo hast du die vielen Fünförestücke her?" wollte Lillebror wissen.

„Aus einem Portemonnaie, das ich neulich auf der Straße gefunden habe", sagte Karlsson. „Voll von Fünförestücken und anderem Geld."

„Der Arme, der das Portemonnaie verloren hat", sagte Lillebror.

„Der wird aber unglücklich sein."

„Ach was", sagte Karlsson, „ein Taxifahrer muß eben seine Sachen beisammen halten!"

„Woher weißt du, daß es ein Taxifahrer war?" fragte Lillebror erstaunt.

„Na, ich hab' doch gesehen, wie er das Portemonnaie verlor", sagte Karlsson. „Und daß er Taxifahrer war, das sah man an dem Schild auf der Mütze. Ich bin doch schließlich nicht blöd."

Lillebror blickte Karlsson vorwurfsvoll an. So durfte man aber nicht mit Sachen umgehen, die man fand, das mußte er Karlsson sagen. Doch jetzt mußte er es ihm nicht gerade sagen - ein andermal ! Jetzt wollte er nur hier auf dem Treppenabsatz sitzen und den Sonnenschein genießen und die Wecken und den Kakao und Karlsson.

Karlsson hatte seine sämtlichen sieben Wecken schnell vertilgt.

Bei Lillebror ging es nicht ganz so rasch. Er war erst bei seinem zweiten. Der dritte lag neben ihm auf der Erde.

„Oh, wie ist mir wohl", sagte Lillebror.

Karlsson beugte sich vor und blickte ihm starr in die Augen.

„Nein, das stimmt nicht. Dir ist durchaus nicht wohl."

Er legte Lillebror seine Hand auf die Stirn.

„Habe ich es nicht gedacht! Ein typischer Fall von Weckenfieber."

Lillebror machte ein erstauntes Gesicht.

„Was ist denn das - Weckenfieber?"

„Das bekommt man, wenn man zu viele Wecken ißt."

„Dann bekommst du aber erst recht Weckenfieber", sagte Lillebror.

„Denkst du, ja", sagte Karlsson. „Aber siehst du, ich hatte Weckenfieber, als ich drei Jahre alt war, und man kann es nur einmal kriegen, genau wie Masern und Keuchhusten."

Lillebror fühlte sich ganz und gar nicht krank, und das versuchte er Karlsson begreiflich zu machen. Karlsson zwang ihn jedoch, sich auf dem Vorplatz hinzulegen, und spritzte ihm eifrig Kakao ins Gesicht.

„Damit du nicht ohnmächtig wirst", erklärte Karlsson. Dann schnappte er sich schnell Lillebrors letzten Wecken.

„Keine Wecken mehr für dich, es wäre dein Tod. Aber denk nur, was für 'n Glück dieser arme kleine Wecken hat, daß es mich gibt, sonst hätte er hier ganz allein auf dem Vorplatz liegen müssen", sagte Karlsson und futterte den Wecken schleunigst auf.

„Jetzt ist er nicht mehr allein", sagte Lillebror.

Karlsson streichelte sich voller Behagen den Bauch.

„Nein, jetzt ist er bei seinen sieben Kameraden, und da ist ihm wohl!"

Lillebror war es auch wohl. Er blieb auf dem Vorplatz liegen und merkte, wie wohl ihm war trotz Weckenfieber. Er war satt und gönnte Karlsson diesen Wecken von Herzen.

Mit einem Male sah er auf die Uhr. Es war wenige Minuten vor drei. Lillebror fing an zu lachen.

„Jetzt kommt Fräulein Bock bald und schließt meine Tür wieder auf. Oh, ich wünschte, ich könnte sie sehen, wenn sie in mein Zimmer kommt und ich nicht da bin!"

Karlsson klopfte ihm freundlich auf die Schulter.

„Komm mit deinen kleinen Wünschen nur ruhig zu Karlsson, der regelt alles für dich. Lauf eben rein und hole mein Fernglas.

Es hängt, vom Sofa aus gerechnet, an dem vierzehnten Nagel, ganz hoch oben. Steig auf die Hobelbank."

Lillebror kicherte. „Ja, ich habe doch aber Weckenfieber! Muß man dann nicht stilliegen?"

Karlsson schüttelte den Kopf.

„Stilliegen und kichern - du denkst, das hilft bei Weckenfieber!

Im Gegenteil, je mehr du an den Wänden und auf dem Dach herumkletterst, desto schneller wirst du gesund, das kannst du in jedem Ärztebuch nachlesen."

Und da Lillebror sein Weckenfieber gern loswerden wollte, rannte er gehorsam ins Haus, kletterte auf die Hobelbank und holte das Fernglas herunter, das, vom Sofa aus gerechnet, am vierzehnten Nagel hing. An demselben Nagel hing auch ein Bild mit einem kleinen roten Gockelhahn in der einen Ecke. Karlsson hatte es selbst gemalt. Lillebror fiel jetzt ein, daß Karlsson der beste Gockelhahnmaler der Welt war. Hier hatte er ein „Porträt von einem sehr einsamen kleinen roten Gockelhahn" gemacht -

so stand auf dem Bild zu lesen. Und fürwahr, der Gockelhahn war einsamer und kleiner und röter als irgendeiner, den Lillebror je in seinem Leben gesehen hatte. Er hatte jedoch keine Zeit mehr, ihn sich noch länger anzusehen, es war bald drei, und er hatte es sehr eilig.

Karlsson stand flugbereit, als Lillebror mit dem Fernglas kam, und schon schwirrte er mit ihm los, quer über die Straße, und landete auf dem Hausdach gegenüber.

Jetzt begriff Lillebror.

„Uh, das ist aber ein feiner Aussichtsplatz, wenn man ein Fernglas hat und in mein Zimmer gucken möchte."

„Das hat man, und das möchte man", sagte Karlsson und nahm das Fernglas an die Augen. Dann durfte Lillebror es ebenfalls einmal haben. Und er sah sein Zimmer so deutlich, als wäre er drinnen. Bimbo lag in seinem Körbchen und schlummerte, dort stand Lillebrors Bett, da war der Tisch mit den Schulbüchern und dort die Uhr an der Wand. Die schlug jetzt drei. Fräulein Bock aber war nicht zu erblicken.

„Ruhig, nur ruhig", sagte Karlsson. „Sie ist unterwegs, denn ich spüre ein Gruseln am Rückgrat, und ich kriege eine Gänsehaut."

Er riß Lillebror das Fernglas aus den Händen und hielt es an die Augen.

„Was habe ich gesagt? Jetzt geht die Tür auf, da kommt sie, lieb und goldig wie ein Kannibalenhäuptling."

Er gluckste vor Lachen.

„O ja, jetzt sperrt sie die Augen auf! Wo ist Lillebror? Er ist doch nicht etwa aus dem Fenster gestürzt?"

Das dachte Fräulein Bock wahrscheinlich, denn sie rannte völlig entsetzt ans Fenster. Sie tat Lillebror richtig leid. Jetzt lehnte sie sich hinaus und blickte auf die Straße hinunter, als vermutete sie, Lillebror dort unten zu sehen.

„Nein, da ist er nicht", sagte Karlsson. „Pech, was?"

Fräulein Bock sah beruhigt aus. Sie ging wieder ins Zimmer hinein.

„Jetzt sucht sie", sagte Karlsson. „Sie sucht im Bett - und hinter dem Tisch — und unter dem Bett, haha, hihi. Paß auf, jetzt kriecht sie in den Wandschrank hinein! Sie denkt sicher, du liegst da drinnen wie ein kleines Häufchen Unglück und weinst."

Karlsson gluckste von neuem.

„Es wird Zeit, daß wir ihr einen Streich spielen", sagte er.

„Wie denn?" fragte Lillebror.

„Na so", sagte Karlsson. Und wieder schwirrte Karlsson mit ihm los, quer über die Straße, und hinein in Lillebrors Zimmer.

„Heißa hopsa, Lillebror, sei nett zum Hausbock!" sagte Karlsson. Und dann flog er seiner Wege.

Lillebror fand diese Art und Weise, ihr einen Streich zu spielen, nicht gerade nett. Aber er mußte ja nun mitmachen, so gut er konnte. Daher schlich er leise durch das Zimmer und setzte sich an den Tisch und klappte das Rechenbuch auf. Er hörte Fräulein Bock im Wandschrank rumoren. Voller Spannung wartete er darauf, daß sie herauskäme.

Und sie kam. Das erste, was sie sah, war Lillebror. Da wich sie erschrocken bis zur Schranktür zurück und blieb hier völlig sprachlos stehen. Sie starrte ihn an und zwinkerte ein paarmal mit den Augen, um sich zu vergewissern, daß sie sich nicht täusche. „Wo in aller Welt hattest du dich versteckt?" fragte sie schließlich.

Lillebror blickte mit unschuldsvoller Miene von seinem Rechenbuch auf.

„Ich habe mich nicht versteckt. Ich sitze nur hier und mache meine Rechenaufgaben. Ich konnte doch nicht wissen, daß Sie Versteck spielen, Fräulein Bock. Aber warum nicht... Kriechen Sie nur wieder in den Schrank, ich will gerne suchen."

Darauf erwiderte Fräulein Bock nichts. Sie stand eine Weile stumm da und dachte nach.

„Ich werde doch hoffentlich nicht krank", murmelte sie. „In diesem Haus geht so viel Merkwürdiges vor sich."

Gerade da hörte Lillebror, wie jemand leise die Tür von außen abschloß. Lillebror kicherte. Der beste Hausbockbändiger der Welt war offenbar zum Küchenfenster hineingeflogen, um dem Hausbock eine Lehre darüber zu erteilen, wie es ist, wenn man eingeschlossen wird.

Fräulein Bock hatte nichts gemerkt. Sie stand nur stumm da und grübelte. Zuletzt sagte sie:

„Seltsam! Na ja, du kannst jetzt nach unten gehen und spielen, während ich das Essen mache."

„O ja, gern, vielen Dank", sagte Lillebror. „Dann werde ich jetzt nicht mehr eingeschlossen?"

„Nein, du wirst nicht mehr eingeschlossen", sagte Fräulein Bock und ging zur Tür. Sie legte die Hand auf den Türgriff und drückte ihn hinunter, einmal, dann noch einmal. Aber die Tür wollte sich nicht öffnen lassen. Da warf sie sich mit voller Wucht dagegen. Es nützte nichts. Die Tür war und blieb verschlossen.

„Wer hat die Tür abgeschlossen?" schrie Fräulein Bock.

„Das werden Sie wohl selbst getan haben, Fräulein Bock", sagte Lillebror.

Fräulein Bock fauchte.

„Unsinn! Wie kann die Tür von außen abgeschlossen sein, wenn ich drinnen bin!"

„Weiß ich nicht", sagte Lillebror.

„Ob Birger oder Betty es getan hat?" fragte Fräulein Bock.

„Nöö, die sind noch in der Schule", versicherte Lillebror.

Da ließ Fräulein Bock sich schwer auf einen Stuhl fallen.

„Weißt du, was ich glaube?" sagte sie. „Ich glaube, es gibt hier im Haus einen Geist."

Lillebror nickte. Ach, wie schön, wenn Fräulein Bock meinte, Karlsson sei ein Geist! Dann zog sie vielleicht ihrer Wege. Denn sie wollte doch sicher nicht in einem Haus bleiben, in dem Geister waren.

„Fürchten Sie sich vor Geistern?" fragte Lillebror.

„Im Gegenteil", sagte Fräulein Bock. „Ich hab' sie gern! Denk mal, jetzt komme ich vielleicht auch ins Fernsehen! Du weißt, da machen sie eine Sendung mit Leuten, die von ihren Spukereien erzählen, und was ich heute hier an einem einzigen Tag erlebt habe, das reicht für zehn Fernsehprogramme."

Fräulein Bock machte ein sehr befriedigtes Gesicht.

„Da wird sich meine Schwester Frieda ärgern, das kannst du glauben. Frieda ist nämlich im Fernsehen gewesen und hat von lauter Geistern erzählt, die sie gesehen hat, und von Geisterstimmen, die sie gehört hat, und was weiß ich alles. Jetzt werde ich sie aber gründlich ausstechen."

„Haben Sie denn Geisterstimmen gehört?" erkundigte sich Lillebror.

„Ja, weißt du nicht noch, wie es vorhin vor dem Fenster muhte, als die Wecken verschwanden? Ich werde versuchen, das im Fernsehen nachzumachen, damit die Leute hören, wie es klang."

Und Fräulein Bock begann so zu muhen, daß Lillebror vom Stuhl hochsprang.

„So ungefähr", sagte Fräulein Bock zufrieden. Da ließ sich vor dem Fenster ein noch lauteres Muhen vernehmen, und Fräulein Bock wurde bleich.

„Er antwortet mir", sagte sie flüsternd. „Der Geist antwortet mir.

Davon werde ich im Fernsehen berichten. Guter Moses, wird die Frieda aber wütend werden!"

Und sie erzählte Lillebror, wie Frieda im Fernsehen mit allen ihren Spukereien geprahlt hatte.

„Wenn man ihr glauben wollte, müßte das ganze Vasaviertel von Geistern wimmeln, und die meisten treiben sich offenbar bei uns zu Hause herum, allerdings nie in meinem Zimmer, nur immer in Friedas. Stell dir vor, eines Abends schrieb eine Geisterhand Frieda eine Warnung an die Wand! Und das tat ihr wahrhaftig ganz gut", sagte Fräulein Bock.

„Was für eine Warnung war denn das?" fragte Lillebror.

Fräulein Bock überlegte.

„Ja, wie war es doch gleich? Ach ja, da stand geschrieben:

,Nimm dich in acht! In deinen grenzenlos kurzen Tagen müßte etwas mehr Ernst sein!"*

Lillebror machte ein Gesicht, als verstünde er nicht das ge-ringste von dem allen, und das tat er auch nicht. Fräulein Bock mußte es erklären.

„Es war eine Warnung an Frieda, daß sie sich ändern müsse und anfangen, ein besseres Leben zu führen!"

„Tat sie das denn?" fragte Lillebror.

Fräulein Bock schnaubte.

„Nein, ich finde es ganz und gar nicht. Jedenfalls prahlt sie nach wie vor und denkt, sie sei ein Fernsehstar, und dabei ist sie nur ein einziges Mal dabeigewesen. Aber jetzt weiß ich jemanden, der sie ausstechen kann."

Fräulein Bock rieb sich die Hände. Sie freute sich, Frieda endlich ausstechen zu können, und daher machte es ihr nichts, daß sie mit Lillebror zusammen eingeschlossen war. Sie saß ganz be-

friedigt da und verglich Friedas Spukereien mit ihren eigenen, bis Birger von der Schule heimkehrte.

Da rief Lillebror: „Komm her und mach auf! Ich bin mit dem Hausb ... mit Fräulein Bock eingeschlossen!"

Birger schloß auf, und er war höchst erstaunt.

„Wer in aller Welt hat euch hier eingeschlossen?" fragte er.

Fräulein Bock setzte eine geheimnisvolle Miene auf.

„Das kannst du demnächst im Fernsehen erfahren."

Jetzt beeilte sie sich, das Essen fertig zu machen. Sie marschierte mit langen Schritten in die Küche.

Im nächsten Augenblick hörte man von draußen einen lauten Aufschrei. Lillebror rannte hin.

Fräulein Bock saß auf einem Stuhl, noch bleicher als vorher, und wies stumm auf die Wand.

Fürwahr, nicht nur Frieda erhielt Warnungen, von Geisterhand geschrieben. Fräulein Bock hatte ebenfalls eine bekommen.

Dort an der Wand stand in großen Buchstaben eine Warnung, und sie war weithin zu sehen:

„Nimm dich in acht! In deinen schamlos teuren Wecken müßte mehr Zimt sein!"