"Kalle Blomquist" - читать интересную книгу автора (Линдгрен Астрид)







ZWÖLFTES KAPITEL

Der Tag versprach, ungewöhnlich heiß zu werden. Die Levkojen auf dem Beet in Bäckers Garten ließen schon am Morgen die Köpfe hängen. Nicht ein Lüftchen bewegte sich, und sogar Tusse zog es vor, im Schatten auf der Veranda zu bleiben, wo Frida vollauf damit beschäftigt war, den Frühstückstisch zu dek-ken. Eva-Lotte kam, nur mit dem Nachthemd bekleidet, angelaufen, noch mit dem Muster des Kopfkissens auf der Wange.

»Wissen Sie, Frida, ob Onkel Einar schon wach ist?«

Frida sah geheimnisvoll aus.

»Frag lieber, ob er geschlafen hat! Gerade das hat er eben nicht! Ich will dir was sagen, Eva-Lotte: Herr Lindeberg hat heute nacht gar nicht in seinem Bett gelegen.«

Eva-Lotte sperrte die Augen auf. »Wie meinen Sie das, Frida? Wie können Sie das denn wissen?«

»Ja, ich war drin und wollte ihm Rasierwasser bringen. Und da war das Zimmer leer, und das Bett war genauso, wie ich es gestern abend zurechtgemacht hatte, nachdem er fortgegangen war. Denn gegen Abend, da wurde er wieder gesund.«

»Ist er gestern abend ausgegangen? Als ich schon im Bett war?« Eva-Lotte wurde so eifrig, daß sie Fridas Arm ergriff.

»Ja, ja doch! Wahrscheinlich wegen des Briefes, den er bekommen hat. Himmel, ich hab’ ja Salz und Zucker vergessen!«

»Was für ein Brief, Frida? Nein, gehen Sie nicht! Was war das für ein Brief?« Eva-Lotte schüttelte Fridas Arm.

»Schrecklich, wie neugierig du bist, Eva-Lotte! Ich weiß nicht, was das für ein Brief war, denn ich lese nicht andrer Leute Briefe. Aber vor der Gartentür standen zwei Männer, als ich gestern abend vom Milchholen kam. Und die haben mich gebeten, Herrn Lindeberg einen Brief zu geben, und das hab’ ich natürlich getan, und da war er auf einmal gesund. So war die Sache!«

Eva-Lotte brauchte eine Minute, um sich anzuziehen, und ungefähr ebensoviel Zeit, um zu Kalle rüberzurennen. Anders war schon da.

»Was sollen wir anfangen? Onkel Einar ist verschwunden!

Und wir haben ihn noch nicht verhaftet!«

Die Nachricht schlug ein wie ein Blitz.

»Habe ich mir das nicht gleich gedacht?« sagte Anders wütend. »Das ist geradeso wie damals im Frühjahr, als ich den Hecht am Haken hatte und er sich im letzten Augenblick los-riß!«

»Ruhe! Besinnung!« mahnte Kalle – ja, das war eigentlich Meisterdetektiv Blomquist, der ein kleines Gastspiel gab. »Me-thodische Arbeit, das ist das einzig Vernünftige! Wir wollen erst mal eine Haussuchung bei Lindeberg – ich meine Onkel Einar –vornehmen!«

Der Ordnung halber kontrollierte Kalle, ob keiner der Herren Krok und Redig auf dem Bürgersteig Posten stand. Der Wachtdienst hatte offenbar aufgehört.

»Das Bett unberührt, der Reisekoffer noch hier«, summierte Kalle, nachdem sie sich in Onkel Einars Zimmer hineingeschli-chen hatten. »Es sieht so aus, als ob er die Absicht hat zurückzukommen. Aber das kann natürlich auch eine Finte sein.«

Anders und Eva-Lotte setzten sich auf die Bettkante und blickten düster vor sich hin.

»Nein, er kommt sicher niemals wieder«, sagte Eva-Lotte.

»Aber die Juwelen haben wir wenigstens gerettet.«

Kalle schnüffelte mit Stielaugen im Zimmer herum. Der Papierkorb natürlich! Reine Routinearbeit! Da lagen ein paar leere Zigarettenschachteln, einige abgebrannte Streichhölzer und eine alte Zeitung. Und dann ein ganzer Haufen kleine, kleine Papierstückchen!

Kalle stieß einen Pfiff aus. »Jetzt wollen wir Puzzle spielen«, sagte er. Er sammelte die kleinen Papierstückchen und legte sie vor sich auf den Schreibtisch. Anders und Eva-Lotte rückten interessiert näher.

»Glaubst du, daß das der Brief sein kann?« fragte Eva-Lotte.

»Das werden wir gleich sehen!« Kalle hantierte mit den Papierstückchen – er bekam hier ein Wort und da ein Wort zusammen.

Es war der Brief. Bald hatte er sein Puzzlespiel fertig. Drei Köpfe beugten sich eifrig darüber und lasen:

»Einar, alter Freund!

Wir haben uns die Sache überlegt, Tjomme und ich. Wir wollen teilen! Allerdings hast du dich wie ein Schwein benommen, und wenn wir nur ein bißchen mehr Zeit hätten, dann würden wir bestimmt das Ganze aus dir rausquetschen. Aber, wie gesagt, wir teilen! Das ist für uns alle das beste, besonders für dich. Ich hoffe, daß du das begreifst. Aber merke dir: keine Tricks! Versuchst du noch einmal, uns zu begaunern, dann bist du fertig mit diesem Erdenleben, darauf geb’ ich dir mein Wort! Reines Spiel diesmal! Wir warten auf dich vor der Gartentür. Beeil dich und bring den Kram mit, dann verschwinden wir sofort.

Artur.«

»Aha, die Schurken haben sich wieder zusammengetan«, sagte Kalle. »Aber nach dem Kram können sie jetzt lange suchen!«

»Ich möchte wissen, wo sie jetzt sind«, sagte Anders. »Ob sie vielleicht schon aus der Stadt abgehauen sind? Ich kann mir denken, daß sie wütend sind wie Hornissen.«

»Und wie die sich den Kopf darüber zerbrechen werden, wer die Juwelen weggeholt hat!« Eva-Lotte sah ordentlich aufgelebt aus bei dem Gedanken.

»Ob wir uns zur Ruine raufschleichen und nachsehen, ob sie noch hier sind und suchen? Wenn ja, dann hetzen wir augenblicklich die Polizei auf sie«, sagte Anders. Doch jetzt fiel ihm etwas ein. »Aber wie können sie in den Keller kommen, wenn Onkel Einar seinen Dietrich nicht mehr hat?«

»Ach, solche Kerle wie Krok und Redig sind sicher von Kopf bis Fuß mit Dietrichen behängt, das kannst du dir doch denken«, sagte Kalle.

Er sammelte sorgfältig alle Papierstückchen zusammen und legte sie in eine Zigarettenschachtel, die er in seine Tasche steckte. »Das ist ein Indizium – versteht ihr?« sagte er erklärend zu Anders und Eva-Lotte.

Es war drückend heiß in der Sonne. Anders, Kalle und Eva-Lotte keuchten. Sie wagten nicht, die gewöhnliche Treppe wie sonst zu benutzen, um zur Ruine hinaufzugehen, weil sie nicht riskieren wollten, die drei Juwelendiebe zu treffen.

»Das wäre wirklich unangenehm«, sagte Kalle. »Sie könnten uns verdächtigen, und das wäre das Schlimmste, was uns passieren könnte. Denn der Redig sieht nicht so aus, als ob er dulden würde, daß jemand sich in seine Angelegenheit mischt.«

»Nee, ich glaube nicht, daß sie noch da sind«, sagte Anders.

»Ich glaube, die kriegten’s mit der Angst zu tun, als sie sahen, daß die Juwelen fort waren. Wenn Onkel Einar sie nicht auf eine falsche Spur geführt hat!«



Es war mühsam, den steilen Abhang hinaufzuklettern. Aber es war notwendig, wenn man nicht die Treppe benutzen wollte.

Man mußte klettern und kriechen und sich am Gebüsch festhal-ten und sich gegen Steine stemmen. Und warm war es, schrecklich warm! Eva-Lotte begann hungrig zu werden. Sie hatte keine Zeit gehabt, etwas zu essen, bevor sie von zu Hause fortging, sie hatte nur ein paar Brötchen in ihre Kleidertasche gesteckt.

Da lag die Ruine. Es war einer der Vorteile, wenn man nicht die Treppe benutzte, daß man oben hinter der Ruine ankam und sich vorwärts schleichen und vorsichtig um die Ecke sehen konnte, falls sich etwas Gefährliches zeigte. Aber alles war ruhig. Die Hummeln summten wie immer, die Heckenrosen duf-teten wie immer, die Tür zum Keller war verschlossen wie immer.

»Was ich gesagt habe! Sie sind weg! Daß wir sie nicht gestern abend verhaftet haben, wird mich bis an mein Lebensende ärgern«, sagte Anders.

»Wir müssen in den Keller runtergehen und sehen, ob wir Spuren von ihnen finden«, sagte Kalle und holte den Dietrich hervor.

»Du gehst mit dem Dietrich um wie der schlimmste Einbrecher«, sagte Anders voller Bewunderung, als die Tür aufging.

Alle drei drängten sich auf einmal die Treppe hinunter. Im selben Augenblick hörte man einen gellenden Schrei, der die ganze Ruine erfüllte. Wer schrie, das war Eva-Lotte. Und weshalb schrie sie? Da lag jemand auf dem Fußboden. Onkel Einar lag dort. Seine Hände waren nach hinten gebunden und fest zu-sammengeschnürt. Seine Beine waren mit starken Stricken gefesselt. Und in den Mund war ein Taschentuch hineingepreßt.

Der erste Impuls der Kinder war, die Flucht zu ergreifen.

Onkel Einar war ja jetzt ihr Feind, das war ihnen klar. Aber ihr Feind war in seinem jetzigen Zustand vollständig wehrlos. Er starrte sie mit blutunterlaufenen Augen an. Kalle ging hin und befreite ihn von dem Taschentuch.

Onkel Einar stöhnte. »Oh, diese Lumpen, was die mit mir gemacht haben! Himmel, meine Arme! Nehmt mir die Stricke ab!«

Eva-Lotte wollte zu ihm hin. Aber Kalle hielt sie auf. »Einen Augenblick«, sagte er. Er sah äußerst verlegen aus. »Entschuldige, Onkel Einar, aber wir müssen wohl erst die Polizei holen.«

Er fand, daß es etwas ganz Unerhörtes war, daß er es wagte, so etwas zu einem Erwachsenen zu sagen.

Onkel Einar fluchte einen langen Fluch. Dann stöhnte er wieder. »Ach so, das seid ihr, denen ich das kleine Vergnügen hier zu verdanken habe! Das hätte ich mir denken können. Meisterdetektiv Blomquist!« Es war unangenehm, sein Stöhnen mit anzuhören. »Zum Teufel, steht nicht da und glotzt!« schrie er.

»Holt doch die Polizei, ihr Schnüffler! Aber ihr könnt mir wenigstens etwas Wasser geben!«

Anders lief, so schnell ihn seine Beine trugen, hinauf zu dem alten Brunnen auf dem Burghof. Da gab es klares, frisches Wasser und eine große eiserne Kelle, aus der man trinken konnte.

Onkel Einar trank, als ob er niemals vorher in seinem Leben Wasser gesehen hätte, als Anders die Kelle an seinen Mund führte. Aber dann fing er wieder an zu jammern.

»Oh, meine Arme!«

Das war mehr, als Kalle aushalten konnte. »Wenn du bestimmt versprichst, daß du nicht versuchst, dich zu drücken, dann können wir vielleicht den Strick von deinen Armen losmachen.«

»Ich verspreche, was ihr wollt«, sagte Onkel Einar.

»Und im übrigen hat es keinen Zweck, es zu versuchen, denn wenn einer von uns nach der Polizei geht, dann sind wir immer noch zwei, die Wache halten. Und deine Beine sind ja gebunden.«



»Dein Beobachtungsvermögen verdient alles Lob«, sagte Onkel Einar.

Es gelang Anders, wenn auch mit etwas Mühe, den Strick aufzubinden, mit dem Onkel Einars Arme festgeschnürt waren.

Als der Strick gelockert war, schienen die Schmerzen noch stärker zu sein als vorher, denn Onkel Einar saß eine ganze Weile da und wiegte seinen Oberkörper hin und her, indem er laut jammerte.

»Wie lange hast du hier so gelegen?« fragte Eva-Lotte, und ihre Stimme zitterte.

»Seit gestern abend, meine schöne junge Dame«, sagte Onkel Einar. »Und das dank eurer Einmischung.«

»Ja, das ist unangenehm«, sagte Kalle. »Entschuldige, bitte, aber jetzt müssen wir die Polizei holen!«

»Könnten wir nicht über die Sache reden?« fragte Onkel Einar. »Wie zum Teufel habt ihr es übrigens fertiggebracht, die Sache hier herauszuschnüffeln? Ganz gleich, wie, aber es ist klar, daß ihr es seid, die die Juwelen genommen haben, und es ist vor allen Dingen das wichtigste, daß sie wieder zum Vorschein kommen. Herr Meisterdetektiv, könnten Sie nicht einen armen Sünder um unserer alten Freundschaft willen loslassen?«



Die Kinder standen stumm da.

Onkel Einar wandte sich an Eva-Lotte. »Du willst doch nicht, daß einer aus der Familie im Gefängnis landet?«

»Wenn man etwas verbrochen hat, dann muß man auch seine Strafe haben«, sagte Eva-Lotte.

»Das einzige, was wir machen können, ist, die Polizei zu holen. Willst du gehen, Anders?«

»Ja«, sagte Anders.

»Verdammte Gören!« schrie Onkel Einar. »Hätte ich euch bloß die Hälse umgedreht, solange noch Zeit war!«

Anders nahm die Treppe in ein paar Sprüngen. Und jetzt schnell durch die Tür! Aber da stand jemand im Wege. Zwei waren es, die da standen und den Türeingang versperrten. Der eine, der mit dem blassen Gesicht, hielt einen Revolver in der Hand.