"Meine russischen Nachbarn" - читать интересную книгу автора (Каминер Владимир)

Mongolian Standard


Wir haben letzte Woche auf dem Falkplatz in Berlin gegrillt. Einmal im Monat veranstalte ich eine solche kulinarische Orgie auf diesem Platz neben dem Mauerpark gegenüber von unserem Haus. Vorher fahre ich zum türkischen Fleischer meines Vertrauens in den Wedding und kaufe dort zwei bis drei Lammkeulen, schäle zu Hause ein Dutzend Zwiebeln und lege das Fleisch für zwei Tage in einer handgemachten Marinade aus Weiswein, Pfeffer, Zwiebeln und Zitronen in einen speziellen Topf ein. Die geladenen Gäste, in der Regel sind es um die zwanzig Russen mit Familie und ein paar Deutsche mit Russenknall, bringen zum Fleisch passenden Alkohol, Salate und Wassermelonen mit. Die Gäste treffen mit ihren Flaschen natürlich nicht gleichzeitig ein, sondern nacheinander, und mit jedem muss ich als Gastgeber anstoßen. Eine alte russische Sitte besagt, es dürfen auf einer Feier weder Essen noch Getränke übrig bleiben, wenn doch, wird man verhungern bzw. verdursten. Damit dieses Unglück nicht passiert, muss alles aufgegessen und ausgetrunken werden.

Es war schon immer eine große Kunst für mich, nach diesen Partys einigermaßen gerade nach Hause zu kommen und mit dem Schlüssel das Schlüsselloch zu treffen. Auf jeden Fall war dies eine größere Herausforderung, als das Fleisch vorzubereiten. Aber ich kannte einen Trick. Ich mischte Wein mit Wasser und ließ mich zu keinem anderen Getränk überreden. Bis jetzt ist mir das fast immer gelungen. Letztes Mal hatte ich jedoch die Idee, mit meinen Nachbarn nach der Grillparty noch eine Cocktailbar zu besuchen, die vor kurzem neben einer vietnamesischen Sushi-Bar bei uns um die Ecke aufgemacht hat. Die Sushi-Vietnamesen sind nebenbei bemerkt ehemalige Zigarettenverkäufer von der Schönhauser Allee, die wegen des Nichtrauchergesetzes aus ihrem illegalen Business ausgestiegen und in das legale Sushi-Geschäft eingestiegen waren. In der Cocktailbar arbeiten auch Asiaten, deswegen dachte ich automatisch, beide Läden würden zusammengehören.

In der Cocktailbar hingen drei Fotos in Übergröße: Greta Garbo, Marlene Dietrich und in der Mitte Yuri Gagarin in der Uniform eines Oberst der sowjetischen Armee. Die Chefin hörte uns russisch reden und setzte sich zu uns. Sie erklärte uns, dass ihre Bar rein gar nichts mit den Sushi-Vietnamesen zu tun habe. Ihr Partner sei Deutscher, sie selbst komme aus der Mongolei und beschäftige aus Prinzip nur Landsleute. Wir saßen also in einer mongolischen Cocktailbar, mitten in Ost-Berlin und sprachen von den alten Zeiten.

»Die Mongolen und die Russen waren schon immer Freunde, wir haben den Mongolen oft geholfen und ihnen zum Beispiel unser Alphabet überlassen oder zur Erntezeit Mähdrescher geschickt«, erinnerten wir die Bar-Chefin. Und so wurden aus zwei Cocktails drei. Wir sprachen vom letzten mongolischen Generalsekretär, der mit einer russischen Ballerina verheiratet war. Sie hat ein wunderbares Buch über die Mongolei geschrieben und war in der Mongolei sehr beliebt. Aus drei Cocktails wurden vier. Ich fiel schon beinahe vom Hocker, da holte die Chefin plötzlich eine Flasche mongolischen Wodka der Marke Mongolian Standard aus dem Kühlschrank. Flüssige Kopfschmerzen aus der Steppe. Doch die russisch-mongolische Freundschaft ging natürlich über alles. Zu viert leerten wir die Flasche. Greta Garbo und Marlene Dietrich schnitten die ganze Zeit Grimassen, Gagarin zwinkerte uns zu.

Am nächsten Tag gallopierte in meinem Kopf eine ganze Dschingis-Khan-Horde durch eine Steppe, die ganz sicher vom Mongolian Standard verursacht worden war. Kein deutsches Aspirin war der Attacke gewachsen. Ich konnte mich auf nichts konzentrieren, denn in Gedanken war ich noch immer in dieser mongolischen Cocktailbar. Ich versuchte, mich an Einzelheiten des Abends zu erinnern. Die Chefin hatte uns ihren sogenannten Dschingis-Khan-Fleck zeigen wollen, den angeblich alle Asiaten auf dem Hintern hatten. Eine Deutsche, die sich zu uns gesellt hatte, meinte dazu, auch sie hätte einen solchen Fleck, obwohl sie nie in Asien war. Ich entgegnete, die Russen hätten auch etwas, und zwar einen großen Impffleck auf der linken Schulter, damit erkennen sie einander am Strand oder im Bett. Ich konnte mich jedoch nicht erinnern, ob wir einander die Flecke gezeigt oder nur damit gedroht hatten. Das Ambiente und das ganze Gespräch erinnerten mich auf jeden Fall stark an meine Heimat. Es ist klar: Wenn wir das nächste Mal Heimweh bekommen, gehen wir zu Gagarin in die mongolische Cocktailbar.