"Kirschblüten und Coca-Cola" - читать интересную книгу автора (Шелдон Сидни)

Erstes Kapitel

  

»M#246;chtest du noch Kaffee?«

»Nein, danke.«

Siebentausend Meilen entfernt, in einem vertr#228;umten Vorort von Tokyo, beendete Masao Matsumoto sein Fr#252;hst#252;ck. Masao war ein h#252;bscher Junge, achtzehn Jahre alt, gro#223; und kr#228;ftig gebaut, mit einem sensiblen Gesicht und strahlenden, intelligenten Augen. Er hatte die Kraft seines Vaters und die Sanftheit seiner Mutter geerbt, und das war eine Kombination, die ihn #252;ber den Durchschnitt hob. Masao hatte die High School als Klassenbester abgeschlossen. Er war Captain des Baseball-Teams seiner Schule gewesen und bei seinen Klassenkameraden sehr beliebt. Masao tanzte gern, und manchmal, wenn er keine Schularbeiten hatte, ging er in die Diskos von Shinjuku. Die Familie Matsumoto war eine der reichsten und m#228;chtigsten Familien der Welt, aber darauf bildete sich Masao nichts ein. Er beurteilte die Menschen nach ihren pers#246;nlichen Vorz#252;gen, und er hatte viele Freunde.

Masao war in dem Glauben erzogen worden, da#223; Anst#228;ndigkeit und Rechtschaffenheit die h#246;chsten Werte im Leben sind, und er hatte einen gesunden Humor. Seine Helden waren die Samurai-Krieger, die f#252;r ihre Ideale k#228;mpften und bereit waren, daf#252;r zu sterben.

Masao hatte Ferien und arbeitete in der Matsumoto-Fabrik in Tokyo, bevor er an der Universit#228;t anfangen wollte. Er hatte seines Vaters Begabung f#252;r Elektronik geerbt, und er hatte seine eigenen Ideen, die er eines Tages in der Praxis verwirklichen wollte.

Jetzt, als Masao sein Fr#252;hst#252;ck beendet hatte, kamen sein Onkel Teruo Sato und seine Tante Sachiko ins Wohnzimmer. Masao stand auf. »Teruo-ojisan. Sachiko-obasan.«

Seine Tante strich ihm #252;ber den Arm und sagte: »Masao-chan.«

Masao mochte seine Tante Sachiko; sie war die Schwester seines Vaters, und wenn sie auch nicht attraktiv aussah, war sie doch eine freundliche und liebensw#252;rdige Frau. Dauernd flatterte sie wie ein kleiner Vogel umher, k#252;mmerte sich um jeden, sprach mit jedem, bot jedem zu essen an. Wie ein Kolibri, dachte Masao. Immer in Bewegung.

Ihren Mann mochte Masao weniger. Teruo Sato war ein hochgewachsener d#252;nner Mann. Er hatte kohlschwarze Haare, einen d#252;nnen K#246;rper und ein d#252;nnes Gesicht, d#252;nne Lippen und, so fand Masao, eine d#252;nne Seele.

Sein Onkel hatte so etwas berechnend Kaltes, beinah Grausames in seinem Wesen, das den Jungen st#246;rte. Masao hatte Ger#252;chte geh#246;rt, der Onkel Teruo habe Sachiko Matsumoto nur geheiratet, um zu der m#228;chtigen Familie Matsumoto zu geh#246;ren. Im Laufe der Zeit hatte Masaos Vater seinem Schwager eine wichtige Position als Finanz-Chef der Firma gegeben, aber Teruo schien immer noch unzufrieden. Er war ein intelligenter Mann, kein Zweifel; aber es war eine Intelligenz, der Masao mi#223;traute. Er sp#252;rte, da#223; sein Vater stolz war auf die Qualit#228;t der Dinge, die er produzierte, w#228;hrend Onkel Teruo nur an den Profit zu denken schien.

»Darf ich euch zum Fr#252;hst#252;ck einladen?« fragte Masao.

»Nein.« Teruos Gesicht zeigte eine besorgte Miene. »Ich f#252;rchte, wir bringen dir eine schlechte Nachricht.«

Einen Augenblick meinte Masao, sein Herz w#252;rde aussetzen. »Was … was ist passiert?«

»Deine Mutter und dein Vater. Sie kamen gestern abend bei einem Flugzeugunfall ums Leben. Ich habe es eben erfahren.«

Masao starrte ihn ungl#228;ubig an, ein Gef#252;hl der Unwirklichkeit #252;berfiel ihn. Seine Eltern konnten nicht tot sein, es war unm#246;glich! Sie waren beide so lebendig! Es war nur ein Alptraum, aus dem er jeden Moment aufwachen w#252;rde.

Teruo sagte: »Soviel ich verstanden habe, waren sie sofort tot. Sie haben bestimmt keinen Schmerz gesp#252;rt.«

Aber Masao sp#252;rte den Schmerz. Er sp#252;rte all den Schrecken und die Todesangst, die seine Eltern in den letzten Sekunden erlebt haben mu#223;ten, bevor sie starben.

»Ich …« Er glaubte ohnm#228;chtig zu werden. Er holte tief Luft, um seine Selbstbeherrschung wiederzufinden. »Wo … ist es passiert?«

»In den Appalachen, im Osten der Vereinigten Staaten. Dein Vater war auf dem Weg, eine neue Fabrik zu er#246;ffnen.« Teruo legte seinem Neffen den Arm um die Schulter. »Du und deine Tante Sachiko und ich werden morgen fr#252;h nach Amerika fliegen. Wir werden die Asche deiner Eltern nach Hause holen, damit sie hier ein angemessenes Begr#228;bnis bekommen.«

Masao nickte, unf#228;hig, etwas zu sagen.


Masao hatte keine Ahnung, wie lange seine Tante und sein Onkel schon da waren und auf ihn einredeten. Sie sprachen Worte voller Liebe und Trost, aber f#252;r Masao waren es nur Ger#228;usche, die ohne Bedeutung an ihm vorbeifluteten. Sein Vater und seine Mutter lebten in seinem Herzen, sie sprachen mit ihm, hatten ihn lieb, machten mit ihm Pl#228;ne f#252;r die Zukunft, wie sie es immer getan hatten.

Wei#223;t du, warum unser Gesch#228;ft so schnell w#228;chst, Masao! Weil wir besser sind als alle anderen. Wir geben uns mehr M#252;he. Wir haben das Gl#252;ck, als Japaner geboren zu sein. In anderen L#228;ndern streiken die Arbeiter die ganze Zeit. In Japan sind wir alle eine Familie, und was f#252;r den einzelnen gut ist, das ist auch f#252;r alle gut.

Masao erinnerte sich; er war zw#246;lf Jahre, da war er einmal zu seinem Vater gelaufen. Vater, ich hab eine Idee, ich glaub, die ist gut.

Erz#228;hle, Masao.

Du wei#223;t doch, wie ein sanfter Wind eine Windm#252;hle antreibt, um Strom zu machen!

Ja.

Also, wenn ein Auto mit neunzig oder hundert Stundenkilometern f#228;hrt, warum kann man nicht den Fahrtwind benutzen, um die Zahnr#228;der im Motor anzutreiben, damit man weniger Benzin braucht!

Sein Vater hatte ernsthaft zugeh#246;rt. Das ist eine sehr gute Idee. Dann hatte er Masao geduldig die Prinzipien der Physik erkl#228;rt, Kraft mal Geschwindigkeit, und die Gesetze der Mechanik. Masaos Idee war undurchf#252;hrbar, aber sein Vater hatte ihm das Gef#252;hl gegeben, sich etwas Gro#223;artiges ausgedacht zu haben.

Kunio Hidaka, der Generalmanager aller Matsumoto-Fabriken in den Vereinigten Staaten, war damals in Tokyo zu Besuch gewesen, und an diesem Abend, beim Essen, hatte Masaos Vater ihm stolz von der Idee seines Sohnes erz#228;hlt. Masao hatte sich sehr erwachsen gef#252;hlt.

Kunio Hidaka war ein gro#223;er, freundlicher Mann, der immer Zeit f#252;r Masao und seine Probleme hatte. Immer wenn Mr. Hidaka nach Tokyo kam, brachte er Masao Geschenke mit; es waren wohl#252;berlegte Geschenke, die die Phantasie und die Tr#228;ume des Jungen anregten. Er konnte Stunden damit zubringen, mit Masao #252;ber die Aufgaben von Matsumoto Industries zu sprechen. »Eines Tages wird die Firma dir geh#246;ren«, pflegte Kunio Hidaka zu sagen. »Du mu#223;t alles lernen, was man dar#252;ber wissen mu#223;.«

»Setzen Sie meinem Neffen keine Flausen in den Kopf«, erwiderte damals Onkel Teruo. »Er mu#223; erst die Schule beenden. Nur daran sollte er denken.«

Masaos Vater l#228;chelte und sagte diplomatisch: »Ihr habt beide recht. Zuerst die Schule, und dann wird Masao seinen Platz bei Matsumoto Industries einnehmen.«

Eines Nachmittags, kurz bevor Kunio Hidaka nach Amerika zur#252;ckehrte, wandte er sich an Yoneo Matsumoto und sagte: »Bald m#252;ssen Sie Masao einmal in die Vereinigten Staaten mitbringen.«

Masaos Vater nickte. »Das habe ich vor. Wenn mein Sohn achtzehn ist, werde ich Sie mit ihm zusammen besuchen …«

Das war vor einem Jahr gewesen. Und jetzt, dachte Masao voller Bitterkeit, jetzt bin ich achtzehn, und ich werde zum erstenmal nach Amerika fahren, aber nur, um die Asche meiner Mutter und meines Vaters zu holen …

Er weinte.


Fr#252;h am n#228;chsten Morgen gingen Masao, sein Onkel Teruo und Tante Sachiko an Bord des Firmen-Jet, und f#252;nfzehn Minuten sp#228;ter hob das Flugzeug ab – nach New York. Normalerweise w#228;re Masao furchtbar aufgeregt gewesen und h#228;tte sich gefreut, die Vereinigten Staaten zu sehen. Sein Vater hatte ihm so viel dar#252;ber erz#228;hlt. »… Es gibt gro#223;e St#228;dte dort, und Farmen und Wolkenkratzer und Ranches, und Berge und Seen. Es ist wie f#252;nfzig kleine Europas, wei#223;t du, Masao«, hatte sein Vater gesagt. »Jeder Staat ist wie ein Land f#252;r sich, und jeder ist anders als alle anderen.«

Aber jetzt, als Masao endlich unterwegs nach Amerika war, f#252;hlte er keinerlei Erregung, nur ein tiefes Gef#252;hl der Trauer und Verlorenheit. Er hatte keine Br#252;der oder Schwestern, niemanden, der ihm wirklich nahestand, mit dem er seinen Kummer teilen konnte. Er wu#223;te, da#223; sein Leben nie wieder so sein w#252;rde wie vorher. Er schaute nach vorn, wo seine Tante und sein Onkel sa#223;en, und er war dankbar f#252;r ihre Hilfe und ihr Mitgef#252;hl. Wenigstens war er nicht ganz allein.

Als das Flugzeug auf dem John F. Kennedy Airport ausrollte, gingen sie durch den Zoll, und das war f#252;r Masao ein unglaubliches Erlebnis.

Das gro#223;e Geb#228;ude war voller Menschen, lauter Touristen und Amerikaner, die nach Hause kamen. #220;berall Menschen, und sie sprachen eine Sprache, die ihm fremd und geheimnisvoll erschien. Aber dann wurde ihm klar, da#223; sie Englisch sprachen! Das war ein Schock. Er hatte in der Schule Englisch gelernt, aber er verstand kein Wort von dem, was sie sagten. Sie ratterten die Worte herunter wie ein Maschinengewehr, und alles ging durcheinander. Wenn sie nur langsamer sprechen wollten!

Schlie#223;lich waren sie durch den Zoll und gingen hinaus. Neben dem B#252;rgersteig erwartete sie eine gro#223;e Limousine der Firma. Der Chauffeur war ein riesiger, h#228;#223;licher Mann; er hie#223; Higashi und hatte den K#246;rperbau eines Ringk#228;mpfers.

Als ihr Gep#228;ck im Kofferraum verstaut war, sah Teruo seinen Neffen an: »Wir werden aufs Land hinausfahren. Die Firma besitzt dort eine Jagdh#252;tte an einem See, nicht weit von der Stelle, wo sich der Unfall ereignete. Morgen werde ich alle Vorkehrungen treffen, um die #220;berreste deiner Eltern zu bergen.«

Die #220;berreste deiner Eltern. Es klang so kalt und endg#252;ltig. Masao schauderte.

Higashi steuerte den Wagen durch das Labyrinth des riesigen Flughafens und f#228;delte sich auf den Highway nach Norden ein. Es war ein linder Fr#252;hlingsabend, und die Landschaft war wundersch#246;n. Die Abendluft war sanft, und die B#228;ume prangten mit gr#252;nem Laub und bunten Bl#252;ten; aber all diese Sch#246;nheit machte Masao nur noch trauriger. Irgendwie schien es ihm falsch, da#223; das Leben weiterging, als w#228;re nichts geschehen; da#223; inmitten des Todes Blumen bl#252;hten und die Menschen lachten und fr#246;hliche Lieder sangen. Masao war von einer tiefen, schwarzen Traurigkeit erf#252;llt.

Sie fuhren etwa zwei Stunden, #252;ber gewundene Bergstra#223;en, durch verschlafene D#246;rfer, an #196;ckern und W#228;ldern vorbei.

Sie kamen durch eine kleine Stadt, wo ein Schild verk#252;ndete: Willkommen in Wellington, und Teruo sagte: »Wir sind fast da.«

F#252;nfzehn Minuten sp#228;ter hatten sie ihr Ziel erreicht.


Die Jagdh#252;tte der Firma diente dazu, wichtige Gesch#228;ftsfreunde gastlich zu bewirten. Es war ein zauberhaftes, vierst#246;ckiges Chalet, mitten in den Bergen, mit Ausblick auf einen gro#223;en See.

»Ich f#252;rchte, wir haben kein Personal hier oben«, sagte Teruo entschuldigend zu Masao. »Unser Besuch kam ganz unerwartet. Aber ich glaube, wir schaffen es auch allein f#252;r die paar Tage, oder?«

»Ja, Teruo-ojisan«, sagte Masao.

Higashi trug die Koffer ins Haus und zeigte Masao seine Zimmer im zweiten Stock. Es war ein ger#228;umiges Apartment mit eigener Terrasse, von der aus man den See und die ganze Landschaft #252;berblicken konnte. Im Schlafzimmer gab es einen riesigen offenen Kamin und sch#246;ne antike M#246;bel. Das Bett sah einladend und gem#252;tlich aus.

W#228;hrend Masao mit Auspacken besch#228;ftigt war, kamen Teruo und Sachiko, um ihm gute Nacht zu sagen.

Teruo sagte: »Ich werde morgen alles Notwendige veranlassen, und #252;bermorgen kehren wir wieder nach Tokyo zur#252;ck.«

»Danke dir, Teruo-ojisan.«

»Versuche, etwas zu schlafen.«

»Ja, Teruo-ojisan.«

Sachiko legte dem Jungen den Arm um die Schulter und fl#252;sterte: »Deine Mutter und dein Vater w#252;rden sich w#252;nschen, da#223; du tapfer bist.«

»Das will ich sein«, versprach Masao. Er mu#223;te es sein. Um ihretwillen.

»Falls du etwas brauchst«, sagte Sachiko, »unser Schlafzimmer ist gleich #252;ber den Flur.«

Aber alles, was Masao brauchte, war Alleinsein, um seinem Vater und seiner Mutter nahe zu sein, um all die gl#252;cklichen Erinnerungen an sie auferstehen zu lassen. Er sa#223; die ganze Nacht wach und lie#223; seine Gedanken in die Vergangenheit schweifen.

Er war in einem Boot und angelte mit seinem Vater. Es war ein warmer Tag, der Himmel war wolkenlos, und es wehte eine salzig duftende Brise; sein Vater erz#228;hlte ihm Geschichten aus seiner Jugend, wie er als Sohn einer armen Familie aufgewachsen war. Ich war entschlossen, Erfolg zu haben, Masao. Es ging mir nicht um Geld oder um Erfolg um des Erfolges willen. Ich wollte einfach, da#223; das, was ich tat, auch das Beste war, was ich tun konnte …

Er war in der warmen K#252;che, mit seiner Mutter, er sah zu, wie sie das Abendbrot vorbereitete. Er bat sie, ihm noch einmal diese Geschichte zu erz#228;hlen, die er so liebte, die #252;ber den Sturm. Nun ja, sagte sie, als du auf die Welt kamst, das war ein sehr kalter Winter, und wir hatten kein Geld, um Kohlen zu kaufen und die Wohnung zu heizen. Eines Abends gab es einen f#252;rchterlichen Schneesturm. Du weintest in deiner Wiege, und wir legten eine Decke #252;ber dich. Es wurde noch k#228;lter, und wir legten noch eine Decke #252;ber dich, und dann einen Teppich, und als es immer k#228;lter wurde, legten wir immer mehr Sachen #252;ber dich, um dich warm zu halten. M#228;ntel und Decken und Kopfkissen. Es war ein Wunder, da#223; du nicht erstickt bist.

Er h#246;rte das liebliche, klingelnde Lachen seiner Mutter, und seines Vaters tiefe, ernste Stimme, und sie blieben bei Masao die ganze Nacht.

Er w#252;rde sie nie wiedersehen, sie nie wieder anfassen und festhalten; aber er wu#223;te, da#223; sie immer bei ihm bleiben w#252;rden.


Als der erste Schimmer von Morgengrau den Himmel erhellte, kam Sachiko in Masaos Schlafzimmer. Sie sah das unber#252;hrte Bett, sagte aber nichts. »Ich habe Fr#252;hst#252;ck f#252;r dich gemacht, Masao-chan.«

Masao sch#252;ttelte den Kopf. »Danke, Sachiko-obasan. Ich bin nicht hungrig.«

»Du mu#223;t etwas essen. Damit du bei Kr#228;ften bleibst. Bitte.«

»Na gut. Ich will’s versuchen.« Er folgte ihr hinunter in das gro#223;e Speisezimmer, wo Teruo ihn am Tisch erwartete.

»Hast du ein wenig geschlafen, mein Neffe?«

»Ja, danke, Sir.«

Er hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan.

Masao setzte sich, Tante Sachiko schenkte ihm Kaffee ein, und Masao mu#223;te zu seiner #220;berraschung feststellen, da#223; er hungrig war wie ein Wolf. Er hatte Schuldgef#252;hle, weil er es sich schmecken lie#223;, aber er konnte einfach nicht anders.

Teruo sagte: »Wir erwarten Besuch heute morgen.«

Masao blickte #252;berrascht auf. »Besuch?«

»Tadao Watanabe.«

Der Name kam Masao bekannt vor – und pl#246;tzlich erinnerte er sich. Mr. Watanabe war der pers#246;nliche Rechtsanwalt seines Vaters.

»Warum kommt er hierher?« fragte Masao.

»Er bringt das Testament deines Vaters mit.« Er sah den Widerwillen in Masaos Gesicht. »Ich wei#223;, was du denkst. Aber Matsumoto Industries ist ein gro#223;es Wirtschaftsimperium, Masao. Da mu#223; irgend jemand Chef sein. Wer, das wird deines Vaters Testament uns sagen.«

»Ja, nat#252;rlich.«

Masao versuchte zu begreifen. Aber sein Herz war nicht beim Matsumoto-Imperium. Es war bei dem Mann, der es gegr#252;ndet und aufgebaut hatte, der so stolz darauf gewesen war.


Um elf Uhr kam Tadao Watanabe. Es war schwierig, sein Alter zu sch#228;tzen, denn er sah vertrocknet aus wie eine vor langer Zeit einbalsamierte Mumie. Der Anwalt bem#252;hte sich, ein korrektes Benehmen an den Tag zu legen. Er sprach Masao sein Beileid aus und kam gleich zur Sache – die Er#246;ffnung des Testaments. Die vier Personen versammelten sich in der Bibliothek. Watanabe setzte sich an den Schreibtisch, die anderen nahmen in komfortablen Sesseln Platz.

Watanabe begann, das Testament vorzulesen. Masao wu#223;te, er sollte aufpassen, aber er war noch immer bet#228;ubt. Es war ihm egal, was in dem Testament stand. Die Stimme des Anwalts leierte immer weiter, und Masao fielen vor Ersch#246;pfung die Augen zu. Der Anwalt schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, und Masao wachte erschrocken auf.

»Das war es«, sagte Watanabe gerade. »Fassen wir noch einmal zusammen: Die Firma Matsumoto Industries, mit allen ihren Filialen und Fabriken, geh#246;rt Masao Matsumoto. Im Falle seines vorzeitigen Ablebens geht sie in den Besitz von Teruo Sato #252;ber.«

Masao war jetzt hellwach, #252;berw#228;ltigt von dem, was er soeben geh#246;rt hatte. Eines der gr#246;#223;ten Industrie-Imperien der Welt sollte jetzt ihm geh#246;ren! Es war kaum zu glauben. Nat#252;rlich w#252;rde Onkel Teruo die Gesch#228;fte f#252;hren und ihn unterweisen, bis er alt genug war, selbst die Kontrolle zu #252;bernehmen. Aber trotzdem, es war #252;berw#228;ltigend. Jetzt sagte Onkel Teruo etwas zu ihm, und Masao mu#223;te sich zusammenrei#223;en, um nichts zu verpassen.

»Dein Vater hat eine weise Entscheidung getroffen«, sagte Teruo. »Du wirst sein Werk fortsetzen. In der Zwischenzeit werde ich alles tun, was in meiner Macht steht, um dir zu helfen und dich zu f#252;hren, Masao.«

Masao nickte dankbar. »Danke, Osijan. Ohne dich w#228;re ich verloren.«

Mr. Watanabe stand auf. »Nun, ich mu#223; zur#252;ck in die Stadt. Ich werde das Testament sofort best#228;tigen lassen.«

Sachiko sah Masao sorgenvoll an. »Du siehst ersch#246;pft aus«, sagte sie. »Willst du dich nicht ins Bett legen?«

»Ja, vielleicht.« Masao stand auf, ihm war ganz schwindlig vor #220;berm#252;dung und Anspannung. Er sagte dem Rechtsanwalt auf Wiedersehen und ging in sein Zimmer hinauf. Zu m#252;de, sich auszuziehen, warf er sich auf das Bett.

Er schlief sofort ein.


Es war dunkel, als Masao die Augen aufschlug. Ich habe einen ganzen Tag verschlafen, dachte er. Er hatte seinem Onkel helfen wollen, die Vorbereitungen f#252;r das Begr#228;bnis zu treffen, aber jetzt war es zu sp#228;t. Er mu#223;te sich wenigstens bei dem Onkel entschuldigen. Masao kletterte steifbeinig aus dem Bett und trat auf den Flur. Halb im Schlaf ging er die Treppe hinunter. Morgen w#252;rden sie nach Tokyo zur#252;ckkehren. Wenn seine Freunde ihn ausfragten, wie es in Amerika sei, w#252;rde Masao nur erz#228;hlen k#246;nnen, da#223; er einen Flughafen, ein Haus und einen See gesehen hatte. Na ja, eines Tages, wenn er Chef von Matsumoto Industries war, w#252;rde er wiederkommen und Amerika richtig kennenlernen – wie sein Vater es gew#252;nscht hatte.

Masao h#246;rte Stimmen aus der Bibliothek und n#228;herte sich. Er h#246;rte seinen Onkel und seine Tante, die mit erhobener Stimme sprachen. Masao wollte gerade eintreten, als er seinen Namen h#246;rte. Er blieb stehen, weil er nicht ausgerechnet in diesem Moment hereinplatzen wollte. Die Tante sagte etwas, das Masao nicht verstand, und dann rief sein Onkel w#252;tend aus: »Es ist einfach unfair! Ich habe mitgeholfen, diese Firma aufzubauen. Ich habe Jahre meines Lebens daf#252;r geopfert. Ich h#228;tte verdient, sie zu erben.«

»Yoneo war immer sehr gro#223;z#252;gig zu dir, Teruo. Er …«

»Dein Bruder hat mich nie leiden k#246;nnen. Nie! H#228;tte er es getan, dann h#228;tte er niemals Masao zum Erben eingesetzt.«

»Masao ist sein Sohn.«

»Er ist noch ein Kind. Wie k#246;nnte er eine Firma leiten?«

»Jetzt nat#252;rlich noch nicht. Aber eines Tages. Mit deiner Hilfe k#246;nnte er …«

»Sei nicht so dumm, Sachiko. Warum sollte ich Masao helfen, damit er mir die Firma wegnehmen kann? Nein. Es ist einfach ungerecht.«

»Aber das Problem …«

»Da gibt’s kein Problem.«