"Das Testament der Götter" - читать интересную книгу автора (Жак Кристиан)
Sehet, was die Ahnen vorausgesagt haben, ist eingetreten: Das Verbrechen hat sich ausgebreitet, Gewalt ist in die Herzen eingezogen, das Unheil zieht durch das Land, Blut flie#223;t, der Dieb bereichert sich, das L#228;cheln ist erloschen, die Geheimnisse sind allen preisgegeben, die B#228;ume sind entwurzelt, die Pyramide ist gesch#228;ndet worden, die Welt ist so tief gesunken, da#223; eine kleine Zahl von Toren sich des K#246;nigtums bem#228;chtigt hat und die Richter davongejagt wurden. Doch entsinne dich der Achtung der Maat, der rechten Folge der Tage, der gl#252;cklichen Zeit, in der die Menschen Pyramiden bauten und Haine f#252;r die G#246;tter gedeihen lie#223;en, jener gesegneten Zeit, in der eine einfache Matte die Bed#252;rfnisse eines jeden befriedigte und ihn gl#252;cklich machte. Mahnworte des Weisen Ipu-we
1. Kapitel
Nach einer langen, der Kunst des Heilens gewidmeten Laufbahn geno#223; Branir einen friedlichen Ruhestand in seinem Hause in Memphis. Kr#228;ftig gebaut und mit stattlicher Brust, trug der alte Arzt eine erhabene silbrige Haarpracht zur Schau, die sein Ehrfurcht gebietendes Gesicht kr#246;nte, aus dem G#252;te und Aufopferung sprachen. Seine nat#252;rliche W#252;rde hatte die Gro#223;en wie die Gemeinen bezwungen, und man entsann sich keiner Begebenheit, bei der irgendjemand es ihm gegen#252;ber an Achtung h#228;tte fehlen lassen.
Als Sohn eines Per#252;ckenmachers hatte Branir den Scho#223; der Familie verlassen, um Bildhauer, Maler und Zeichner zu werden; einer von PHARAOS Baumeistern hatte ihn in den Tempel von Karnak berufen. Im Verlauf eines Festmahls der Zunft dann hatte sich einer der Steinmetze unwohl gef#252;hlt; ohne l#228;ngeres Nachdenken und einem inneren Antrieb folgend, hatte Branir ihn durch Handauflegen hypnotisiert und so dem sicheren Tod entrissen. Die f#252;r die Gesundheitsf#252;rsorge Zust#228;ndigen des Tempels hatten eine so kostbare Gabe nicht brachliegen lassen und Branir die M#246;glichkeit gegeben, sich im Umgang mit Lehrmeistern auszubilden, bevor er schlie#223;lich selbst Heiler wurde. F#252;r die Ersuchen des Hofes unempf#228;nglich und Ehrungen gegen#252;ber gleichg#252;ltig, hatte er allein f#252;r die Heilkunst gelebt. Indes, wenn er die gro#223;e Stadt im Norden verlassen hatte, um sich in eine kleine Ortschaft des thebanischen Bezirks zu begeben, so war dies nicht seines Berufes wegen geschehen. Er hatte eine andere, eine derart heikle Aufgabe zu erf#252;llen, da#223; sie zum Scheitern verurteilt zu sein schien; doch er w#252;rde nicht aufgeben, bevor er nicht alles versucht h#228;tte. Bewegt fand er sein inmitten eines Palmenhains verstecktes Dorf wieder. Branir lie#223; die S#228;nfte neben einer Gruppe dicht ineinander stehender Tamarisken anhalten, deren #196;ste bis zum Boden reichten. Die Luft und die Sonne waren mild; er bemerkte die Bauern, die der Weise einer Fl#246;te lauschten. Mit der Hacke zerkleinerten ein Alter und zwei Junge die Erdschollen auf dem Hochfeld, das sie gerade bew#228;ssert hatten; Branir dachte an die Jahreszeit, in welcher der von der Nilschwelle zur#252;ckgelassene Schlamm die Saat aufnahm, die Schweine- und Schafherden dann eintraten. Die Natur bot #196;gypten unsch#228;tzbare Reicht#252;mer, welche die Menschen mit ihrer Arbeit bewahrten; Tag f#252;r Tag verstrich in den Gefilden dieses von den G#246;ttern geliebten Landes eine gl#252;ckselige Ewigkeit.
Branir setzte seinen Weg fort. Am Eingang des Dorfes begegnete er einem Ochsengespann; eines der Tiere war schwarz, das andere wei#223; mit braunen Flecken. Unter das h#246;lzerne Joch gezwungen, das auf dem Stirnbein an den H#246;rnern auflag, schritten sie gem#228;chlich vorw#228;rts.
Vor einem der Lehmh#228;user molk ein kauernder Mann eine Kuh, deren Hinterbeinen er Fesseln angelegt hatte. Sein Gehilfe, ein junger Knabe, go#223; die Milch in einen irdenen Krug.
Branir entsann sich ger#252;hrt der Kuhherde, die er einst geh#252;tet hatte; sie hatten »guter Rat«, »Taube«, »Wasser der Sonne« oder »gl#252;ckliche #220;berschwemmung« gehei#223;en. Ein Segen f#252;r den, der sie besa#223;, verk#246;rperte die Kuh Sch#246;nheit und Sanftheit. In den Augen eines #196;gypters gab es kein begehrenswerteres Tier; mit seinen gro#223;en Ohren vernahm es die Musik der Sterne, die, wie es selbst, unter den Schutz der G#246;ttin Hathor gestellt waren. »Welch ein herrlicher Tag«, sang oftmals der Kuhhirte, »der Himmel ist mir gewogen und meine Pflicht s#252;#223; wie der Honig.«[6] Gewi#223;, der Aufseher der Felder hatte ihn des #246;fteren zur Ordnung gerufen und ihn aufgefordert, sich zu sputen und das Vieh anzutreiben, statt herumzutr#246;deln. Und wie gew#246;hnlich hatten die K#252;he ihren Weg gew#228;hlt, ohne ihren Gang zu beschleunigen. Der alte Heilkundige hatte beinahe all diese schlichten Begebenheiten vergessen, dieses Dasein ohne #220;berraschungen und den heiteren Frieden des Alltags, in dem der Mensch nur ein Anblick unter vielen war; die Gesten wiederholten sich Jahrhundert um Jahrhundert, die Nilschwelle und die Ebbe bildeten das stete Ebenma#223; von Menschengeschlechtern … Pl#246;tzlich brach eine m#228;chtige Stimme die Ruhe der Ortschaft. Der #246;ffentliche Ankl#228;ger rief die Bev#246;lkerung zu Gericht, w#228;hrend der B#252;ttel[7], der die Sicherheit gew#228;hrleisten und der Ordnung Achtung verschaffen sollte, eine Frau packte, die entschieden ihre Unschuld beteuerte.
Das Hohe Gericht hatte sich im Schatten einer Sykomore eingerichtet; den Vorsitz f#252;hrte ein Richter von einundzwanzig Jahren, der das Vertrauen der #196;ltesten besa#223;. F#252;r gew#246;hnlich ernannten die Oberen allerdings einen Mann reifen Alters, der mit gr#252;ndlicher Erfahrung ausgestattet und f#252;r seine Entscheidungen bez#252;glich seiner G#252;ter – sofern er reich war – und seiner Person – wenn er nichts besa#223; – vollends m#252;ndig war; daher auch herrschte an Anw#228;rtern f#252;r dieses Amt, und sei es das eines niederen Landrichters, kein #220;berflu#223;. Jeder bei einem Vergehen ertappte Gerichtsbeamte wurde strenger bestraft als ein M#246;rder; eine gesetzestreue Aus#252;bung der Rechtspflege verlangte dies. Paser hatte keine Wahl gehabt; aufgrund seiner entschiedenen Wesensart und seines ausgepr#228;gten Sinns f#252;r Redlichkeit war er einstimmig vom #196;ltestenrat erw#228;hlt worden. Wenngleich er noch sehr jung war, legte der Richter sicheren Sachverstand an den Tag, indem er jeden Fall mit #228;u#223;erster Sorgfalt bearbeitete. Recht gro#223; und eher schmal, mit seinem dunkelblonden Haar, der breiten, hohen Stirn, seinen gr#252;nen, ins Kastanienbraune stechenden Augen und seinem wachen Blick beeindruckte Paser durch seine Ernsthaftigkeit; weder Zorn noch Tr#228;nen noch Verf#252;hrung konnten ihn in die Irre f#252;hren. Er h#246;rte zu, erforschte, suchte und fa#223;te seinen Gedanken erst zum Ende langer und geduldiger Ermittlungen in Worte. Im Dorf verwunderte man sich manchmal angesichts solcher Strenge, doch man begl#252;ckw#252;nschte sich zu seiner Liebe zur Wahrheit und seinem Geschick, Streitf#228;lle beizulegen. Viele f#252;rchteten ihn, wu#223;ten sie doch, da#223; er Halbheiten ausschlo#223; und sich zur Nachsicht wenig geneigt zeigte; doch keine seiner Entscheidungen war bisher in Frage gestellt worden. Zu Pasers Rechten und Linken sa#223;en die Geschworenen, acht an der Zahl: der B#252;rgermeister, seine Gemahlin, zwei Landwirte, zwei Handwerker, eine betagte Witwe und der Vorsteher der Bew#228;sserungen. Alle hatten die F#252;nfzig #252;berschritten. Der Richter er#246;ffnete die Versammlung, indem er Maat anrief, die G#246;ttin, die die Weltordnung[8] verk#246;rperte, nach der das Rechtswesen der Menschen sich zu richten versuchen mu#223;te; dann brachte er die Anklageschrift gegen die junge Frau zur Verlesung, welche der B#252;ttel dem hohen Gericht gegen#252;ber mit entschiedener Hand festhielt. Eine ihrer Freundinnen bezichtigte sie, einen Spaten gestohlen zu haben, der ihrem Gatten geh#246;rt habe. Paser bat die Kl#228;gerin, ihre Anschuldigung mit lauter Stimme zu best#228;tigen, und forderte die Beklagte auf, ihre Verteidigung vorzutragen. Die erste #228;u#223;erte sich mit M#228;#223;igung, die zweite stritt heftig ab. Gem#228;#223; dem seit dem Anbeginn in Kraft befindlichen Gesetz stellte sich kein F#252;rsprecher zwischen den Richter und die von einer Verhandlung unmittelbar Betroffenen. Paser befahl der Beklagten, sich zu beruhigen. Die Kl#228;gerin bat ums Wort, um sich #252;ber die Nachl#228;ssigkeit der Gerichtsbeh#246;rden zu verwundern; hatte sie den Sachverhalt nicht bereits einen Monat zuvor dem Schreiber, der Paser beisa#223;, geschildert, ohne indes die Einberufung des Gerichts zu erwirken? Sie war gezwungen gewesen, ein zweites Gesuch einzureichen. Die Diebin h#228;tte somit gen#252;gend Zeit gehabt, das Beweisst#252;ck verschwinden zu lassen. »Gibt es einen Zeugen f#252;r diesen Vorwurf?«
»Mich selbst«, antwortete die Kl#228;gerin. »Wo ist der Spaten versteckt worden?«
»Bei der Beschuldigten.«
Mit einem Ungest#252;m, das den Richter beeindruckte, stritt letztere erneut alles ab. Ihre Aufrichtigkeit schien offenkundig.
»Nehmen wir auf der Stelle eine Durchsuchung vor«, verlangte Paser.
Ein Richter mu#223;te sich zum Ermittler wandeln, die Behauptungen und die Hinweise an den Tatorten in eigener Person nachpr#252;fen.
»Ihr habt nicht das Recht, mein Haus zu betreten«, schrie die Beklagte auf.
»Gesteht Ihr?«
»Nein! Ich bin unschuldig!«
»Vor diesem Gericht zu l#252;gen, ist ein schlimmes Vergehen.«
»Sie ist es, die gelogen hat!«
»In diesem Fall wird ihre Strafe streng ausfallen. Bekr#228;ftigt Ihr Eure Anschuldigungen?« fragte Paser, wobei er der Kl#228;gerin fest in die Augen schaute.
Sie bejahte.
Vom B#252;ttel gef#252;hrt, begab sich das Gericht vor Ort. Der Richter nahm h#246;chstselbst die Hausdurchsuchung vor. Er entdeckte den Spaten im Keller, in Lappen eingewickelt und hinter irdenen #214;lkr#252;gen verborgen. Die Schuldige brach zusammen. Dem Gesetz gem#228;#223; verurteilten sie die Geschworenen dazu, der Gesch#228;digten das Zweifache ihres Diebesguts, also zwei neue Spaten, zu entrichten. Dar#252;ber hinaus war die L#252;ge unter Eid mit lebenslanger Zwangsarbeit zu ahnden, der H#246;chststrafe bei einer Strafsache. Die Frau w#252;rde gezwungen sein, viele Jahre ohne eigenen Gewinn auf den Feldern des #246;rtlichen Tempels zu arbeiten.
Bevor er die Geschworenen entlie#223;, die es eilig hatten, wieder ihren T#228;tigkeiten nachzugehen, f#228;llte Paser einen unerwarteten Spruch: F#252;nf Stockschl#228;ge f#252;r den beisitzenden Schreiber, der schuldig war, eine Gerichtssache verschleppt zu haben. Da den Weisen zufolge das Ohr des Menschen auf dessen R#252;cken sa#223;, w#252;rde er der Stimme des Stocks lauschen und sich in Zukunft weniger nachl#228;ssig zeigen. »W#252;rde der Richter mir Geh#246;r schenken?« Stutzig wandte Paser sich um. Diese Stimme … War es m#246;glich? »Ihr!« Branir und Paser umarmten sich herzlich.
»Ihr, hier im Dorf!«
»Eine R#252;ckkehr zu den Urspr#252;ngen.«
»Treten wir unter die Sykomore.« Die beiden M#228;nner lie#223;en sich auf zwei tiefen Sitzen unter der gro#223;en Sykomore nieder, wo die angesehenen Einwohner #252;blicherweise den Schatten genossen. An einem der Haupt#228;ste war ein Schlauch voll k#252;hlen Wassers aufgeh#228;ngt. »Entsinnst du dich, Paser? Genau hier habe ich dir nach dem Tode deiner Eltern deinen geheimen Namen offenbart. Paser, ›der Seher, der in der Ferne erkennt‹ … Als der #196;ltestenrat ihn dir zuteilte, hat er sich nicht geirrt. Was kann man von einem Richter mehr verlangen?«
»Ich bin damals gerade beschnitten worden, das Dorf hat mir meinen ersten W#252;rdenschurz geschenkt, ich habe mein Spielzeug weggeworfen, gebratene Ente gegessen und roten Wein getrunken. Welch ein sch#246;nes Fest!«
»Der Heranwachsende ist rasch zum Manne geworden.«
»Zu rasch?«
»Jedem sein Ma#223;. Du, du bist Jugendlichkeit und Reife im selben Herzen.«
»Ihr wart es, der mich erzogen hat.«
»Du wei#223;t, da#223; das nicht stimmt; du hast dich allein geschmiedet.«
»Ihr habt mich lesen und schreiben gelehrt, Ihr habt mir erm#246;glicht, das Gesetz zu entdecken und mich ihm zu widmen. Ohne Euch w#228;re ich ein Bauer geworden und h#228;tte mein Land mit Liebe beackert.«
»Du bist von anderem Wesen; die Gr#246;#223;e und das Gl#252;ck eines Landes fu#223;en auf den F#228;higkeiten seiner Richter.«
»Gerecht zu sein … das ist ein tagt#228;glicher Kampf. Wer k#246;nnte sich br#252;sten, stets als Sieger daraus hervorzugehen?«
»Du hast den Wunsch dazu; das ist die Hauptsache.«
»Das Dorf ist ein Hort des Friedens; diese traurige Angelegenheit ist au#223;ergew#246;hnlich.«
»Bist du nicht zum Aufseher des Kornspeichers benannt worden?«
»Der B#252;rgermeister m#246;chte, da#223; mir die Stellung des Verwalters von PHARAOS Feld zuerkannt wird, um die Streitigkeiten w#228;hrend der Ernten zu vermeiden. Die Aufgabe reizt mich nicht; ich hoffe, er wird damit scheitern.«
»Dessen bin ich gewi#223;.«
»Weshalb?«
»Weil du f#252;r eine andere Zukunft auserkoren bist.«
»Ihr macht mich neugierig.«
»Man hat mir einen Auftrag anvertraut, Paser.«
»Der Palast?«
»Der Gerichtshof von Memphis.«
»Sollte ich einen Fehler begangen haben?«
»Im Gegenteil. Seit zwei Jahren verfassen die Aufsichtsbeamten der Landrichter nichts als schmeichelhafte Berichte #252;ber dein Verhalten. Du bist gerade in den Gau von Gizeh zum Nachfolger eines verstorbenen Gerichtsbeamten berufen worden.«
»Gizeh ist so weit weg von hier!«
»Einige Tagesreisen zu Schiff. Du wirst in Memphis deinen Wohnsitz beziehen.«
Gizeh, die unter allen erlauchte St#228;tte; Gizeh, wo sich Cheops’ Gro#223;e Pyramide erhob, der r#228;tselhafte Kraftquell, von dem der innere Friede des Landes abhing, jenes ungeheure Bauwerk, das allein der herrschende Pharao betreten durfte. »Ich bin gl#252;cklich in meinem Dorf; ich bin hier geboren, ich bin hier aufgewachsen, ich arbeite hier. Es zu verlassen, w#228;re eine gro#223;e Pr#252;fung.«
»Ich habe deine Ernennung unterst#252;tzt, da ich glaube, da#223; #196;gypten dich braucht. Du bist nicht der Mann, der seine Eigenliebe #252;ber alles stellt.«
»Ein unwiderruflicher Beschlu#223;?«
»Du kannst ablehnen.«
»Ich mu#223; dar#252;ber nachdenken.«
»Des Menschen K#246;rper ist weitr#228;umiger als ein Kornspeicher; er ist mit unz#228;hligen Antworten angef#252;llt. W#228;hle die gute; m#246;ge die schlechte darin verschlossen bleiben.« Paser ging auf die B#246;schung zu; sein Leben stand in diesem Augenblick auf dem Spiel. Er hatte nicht die mindeste Lust, seine Gewohnheiten, die friedlichen Augenblicke des Gl#252;cks in seinem Dorf und der thebanischen Landschaft aufzugeben, um sich in einer gro#223;en Stadt zu verlieren. Doch wie konnte er Branir, dem Mann, den er vor allen anderen verehrte, eine Weigerung entgegensetzen? Er hatte sich geschworen, seinem Ruf zu folgen, unter welchen Umst#228;nden auch immer.
Am Ufer des Flusses schritt erhaben ein gro#223;er, wei#223;er Ibis einher, dessen Kopf, Schwanz und Fl#252;gelspitzen schwarz gef#228;rbt waren. Der pr#228;chtige Vogel hielt inne, tauchte seinen langen Schnabel in den Morast und wandte seinen Blick dem Richter zu. »Das Tier des Thot hat dich ausgew#228;hlt«, verk#252;ndete der im Schilf ausgestreckte Sch#228;fer Pepi mit seiner rauhen Stimme. »Du hast keine Wahl.« Der siebzigj#228;hrige Pepi war ein alter Murrkopf, der sich nicht binden mochte. Mit den Tieren allein zu sein, schien ihm der Gipfel der Gl#252;ckseligkeit. Er weigerte sich beharrlich, jedweden Befehlen zu gehorchen, wu#223;te seinen Knotenstock gewandt zu handhaben und sich in den Papyrusw#228;ldern zu verbergen, wann immer die Steuerbeamten wie ein Schwarm Sperlinge #252;ber das Dorf herfielen. Paser hatte es aufgegeben, ihn vor das Gericht zu laden. Der Greis duldete nicht, da#223; man eine Kuh oder einen Hund mi#223;handelte, und #252;bernahm es selbst, den Qu#228;ler zu z#252;chtigen; in dieser Eigenschaft betrachtete der Richter ihn als einen Gehilfen der Ordnungskr#228;fte. »Betrachte den Ibis genau«, beharrte Pepi. »Die Weite seines Schritts betr#228;gt eine Elle, das Sinnbild der Gerechtigkeit. M#246;ge dein Gang so geradlinig und genau sein wie der von Thots Vogel. Du wirst fortgehen, nicht wahr?«
»Woher wei#223;t du das?«
»Der Ibis wandert weit am Himmel. Er hat dich auserkoren.«
Der Greis erhob sich. Seine Haut war von Wind und Sonne gegerbt; er war nur mit einem Binsenschurz bekleidet.
»Branir ist der einzige rechtschaffene Mann, den ich kenne; er trachtet weder danach, dich zu t#228;uschen, noch dir zu schaden. Wenn du in der Stadt lebst, nimm dich vor den Beamten, den H#246;flingen und den Schmeichlern in acht: Sie tragen den Tod in ihren Worten.«
»Ich habe keine Lust, das Dorf zu verlassen.«
»Und ich … glaubst du, ich h#228;tte Lust, nach der umherstreifenden Ziege zu suchen?« Pepi verschwand zwischen den Schilfrohren. Der wei#223;-schwarze Vogel flog davon. Seine gro#223;en Fl#252;gel schlugen einen allein ihm bekannten Takt; er wandte sich Richtung Norden.
Branir las die Antwort in Pasers Augen. »Sei zu Beginn des n#228;chsten Monats in Memphis; du wirst bei mir wohnen, bis du dein Amt antrittst.«
»Ihr brecht schon auf?«
»Ich praktiziere zwar nicht mehr, doch einige Kranke ben#246;tigen noch immer meine Dienste. Auch ich w#228;re gerne geblieben.« Die S#228;nfte entschwand im Staub des Weges. Der B#252;rgermeister redete Paser an. »Wir m#252;ssen eine heikle Angelegenheit pr#252;fen; drei Familien behaupten, denselben Palmbaum zu besitzen.«
»Ich wei#223; Bescheid; der Rechtsstreit dauert schon seit drei Geschlechtern an. #220;bertragt ihn meinem Nachfolger; falls es ihm nicht gelingen sollte, ihn beizulegen, werde ich mich bei meiner R#252;ckkehr damit befassen.«