"Das Glasperlenspiel" - читать интересную книгу автора (Hesse Hermann)Zwei OrdenIn mancher Beziehung war es nun wieder ähnlich um ihn bestellt wie einst in seiner Lateinschülerzeit nach dem Besuch des Musikmeisters. Daß die Berufung nach Mariafels eine besondere Auszeichnung und einen tüchtigen ersten Schritt auf der Stufenleiter der Hierarchie bedeute, hätte Josef kaum gedacht; er konnte es aber, nun immerhin wacheren Auges als damals, deutlich am Verhalten und Gehaben seiner Kommilitonen ablesen. Gehörte er seit einiger Zeit innerhalb der Elite der Glasperlenspieler zum innersten Kreise, so war er jetzt durch den ungewöhnlichen Auftrag vor allen gekennzeichnet als einer, den die Oberen im Auge haben und dessen sie sich zu bedienen gedenken. Die Kameraden und Mitstrebenden von gestern zogen sich nicht gerade zurück oder wurden unfreundlich, dafür ging es in diesem hocharistokratischen Kreise viel zu manierlich zu, aber es entstand eine Distanz; der Kamerad von gestern konnte der Vorgesetzte von übermorgen sein, und solche Stufungen und Differenzierungen im gegenseitigen Verhältnis verzeichnete dieser Kreis mit den zartesten Schwingungen und brachte sie zum Ausdruck. Eine Ausnahme machte Fritz Tegularius, den wir nächst Ferromonte wohl den treuesten Freund im Leben Josef Knechts nennen dürfen. Dieser seinen Gaben nach zum Höchsten bestimmte, durch einen Mangel an Gesundheit, Gleichgewicht und Selbstvertrauen aber schwer behinderte Mann war gleichen Alters wie Knecht, um die Zeit von dessen Aufnahme in den Orden also gegen vierunddreißig Jahre, und war ihm vor etwa zehn Jahren bei einem Glasperlenspielkurs das erstemal begegnet, und Knecht hatte schon damals gespürt, wie sehr dieser stille und etwas melancholische Jüngling sich zu ihm hingezogen fühlte. Mit seinem Spürsinn für Menschen, der ihm, wennschon unbewußt, auch damals schon eigen war, erfühlte er auch die Wesensart dieser Liebe; sie war eine zur bedingungslosen Hingabe und Unterordnung bereite Freundschaft und Verehrung, von einer Schwärmerei beinahe religiösen Charakters durchglüht, aber durch innere Vornehmheit und auch durch ein ahnungsvolles Gefühl der Innern Tragik beschattet und in Schranken gehalten. Damals noch von der Designori-Epoche her erschüttert und sensibel, ja mißtrauisch gemacht, hatte Knecht diesen Tegularius mit konsequenter Strenge in Distanz gehalten, obwohl auch er sich von dem interessanten und ungewöhnlichen Kameraden angezogen fühlte. Zur Charakterisierung diene uns ein Blatt aus den amtlichen Geheimaufzeichnungen Knechts, wie er sie um Jahre später zur ausschließlichen Verfügung der obersten Behörde führte. Es heißt da: »Tegularius. Dem Referenten persönlich befreundet. In Keuperheim mehrfach ausgezeichneter Schüler, guter Altphilologe, stark philosophisch interessiert, arbeitete über Leibniz, Bolzano, später Plato. Der begabteste, glänzendste Glasperlenspieler, den ich kenne. Er wäre der prädestinierte Magister Ludi, wäre nicht, im Zusammenhang mit seiner zarten Gesundheit, sein Charakter dazu vollkommen ungeeignet. T. darf niemals zu einer leitenden, repräsentativen oder organisatorischen Stellung gelangen, es wäre für ihn und für das Amt ein Unglück. Sein Mangel äußert sich körperlich in Depressionszuständen, Perioden der Schlaflosigkeit und nervöser Schmerzen, seelisch zeitweise in Melancholie, heftigem Einsamkeitsbedürfnis, Angst vor Pflicht und Verantwortung, vermutlich auch in Gedanken an Selbstmord. Der so schwer Gefährdete hält sich mit Hilfe der Meditation und einer großen Selbstzucht so tapfer aufrecht, daß die meisten in seiner Umgebung keine Ahnung von der Schwere seines Leidens haben und lediglich seine große Schüchternheit und Verschlossenheit zur Kenntnis nehmen. Ist T. also leider zur Führung höherer Ämter nicht geeignet, so ist er im Vicus Lusorum dennoch ein Kleinod, ein ganz unersetzlicher Schatz. Die Technik unsres Spieles beherrscht er so wie ein großer Musikant sein Instrument, er trifft blindlings die zarteste Nuance und ist auch als Lehrer nicht zu verachten. In den höhern und höchsten Wiederholungskursen – für die untern ist er mir zu schade – wüßte ich mich ohne ihn kaum mehr zu behelfen; wie er die Probespiele der Jünglinge analysiert, ohne sie je zu entmutigen, wie er ihnen hinter die Schliche kommt, alles Nachgeahmte oder nur Dekorative unfehlbar erkennt und bloßlegt, wie er in einem gut fundierten, aber noch unsichern und verkomponierten Spiel die Fehlerquellen findet und aufzeigt wie tadellose anatomische Präparate, ist etwas ganz Einziges. Dieser unbestechliche und scharfe Blick beim Analysieren und Korrigieren ist es vor allem, der ihm die Achtung der Schüler und Kollegen sichert, welche sonst durch sein unsicheres und ungleiches, schüchtern-scheues Auftreten stark in Frage gestellt wäre. Was ich über die Genialität des T. als Glasperlenspieler sagte, die ganz ohne ihresgleichen ist, möchte ich durch ein Beispiel illustrieren. In der ersten Zeit meiner Freundschaft mit ihm, als wir beide in den Kursen schon nicht mehr viel an Technik zu lernen fanden, gab er mir einmal in einer Stunde besonderen Vertrauens Einblick in einige Spiele, die er damals komponiert hatte. Ich fand sie auf den ersten Blick glänzend erfunden und irgendwie neuartig und originell im Stil, bat mir die aufgezeichneten Schemata zum Studium aus und fand in diesen Spielkompositionen, richtigen Dichtungen, etwas so Erstaunliches und Eigenartiges, daß ich es hier nicht glaube verschweigen zu dürfen. Diese Spiele waren kleine Dramen von beinahe rein monologischer Struktur und spiegelten das individuelle, ebenso gefährdete wie geniale Geistesleben ihres Autors wider wie ein vollkommenes Selbstbildnis. Es wurde nicht nur zwischen den verschiedenen Themen und Themengruppen, auf denen das Spiel ruhte und deren Folge und Gegenüberstellung sehr geistreich war, dialektisch konzertiert und gestritten, sondern es wurde auch die Synthese und Harmonisierung der gegensätzlichen Stimmen nicht in der üblichen, der klassischen Weise aufs Letzte gebracht, vielmehr erlitt diese Harmonisierung eine ganze Reihe von Brechungen und blieb jedesmal, wie ermüdet und verzweifelt, vor der Auflösung stehen und verklang in Frage und Zweifel. Es bekamen jene Spiele dadurch nicht nur eine aufregende und meines Wissens bisher nie gewagte Chromatik, sondern die ganzen Spiele wurden zum Ausdruck eines tragischen Zweifels und Verzichtes, sie wurden zur bildhaften Feststellung der Fragwürdigkeit jeder geistigen Bemühung. Dabei waren sie in ihrer Geistigkeit sowohl wie in ihrer spieltechnischen Kalligraphie und Vollendung so außergewöhnlich schön, daß man darüber hätte weinen können. Jedes dieser Spiele strebte so innig und ernsthaft zur Lösung und verzichtete auf die Lösung schließlich mit so edler Entsagung, daß es wie eine vollkommene Elegie auf die allem Schönen inwohnende Vergänglichkeit und die allen hohen Geisteszielen letztlich inwohnende Fragwürdigkeit war. – Item, Tegularius sei, falls er mich oder meine Amtsdauer überlebt, als ein äußerst zartes, kostbares, aber gefährdetes Gut empfohlen. Er soll sehr viel Freiheit genießen, sein Rat soll in allen Spielfragen von Wichtigkeit gehört werden. Doch sollen ihm Schüler nie zur alleinigen Leitung anvertraut werden.« Dieser merkwürdige Mann war im Lauf der Jahre wirklich Knechts Freund geworden. Er war gegen Knecht, in dem er außer dem Geist auch etwas wie eine Herrennatur bewunderte, von einer rührenden Ergebenheit, und vieles, was wir über Knecht wissen, ist durch ihn überliefert. Er war vielleicht im engsten Kreis der jüngern Glasperlenspieler der einzige, der seinen Freund wegen des ihm gewordenen Auftrags nicht beneidete, und der einzige, für welchen dessen Abberufung auf Ungewisse Zeit ein so tiefer, beinahe unerträglicher Schmerz und Verlust war. Josef selbst empfand den neuen Zustand, sobald er jenen gewissen Schreck über das plötzliche Verlorengehen seiner geliebten Freiheit überwunden hatte, freudig, er spürte Lust zur Reise, Lust zur Betätigung und Neugierde auf die fremde Welt, in die man ihn sandte. Übrigens ließ man den jungen Ordensbruder nicht ohne weiteres nach Mariafels reisen; er wurde zuerst drei Wochen in die »Polizei« gesteckt. So hieß unter den Studenten jene kleine Abteilung im Apparat der Erziehungsbehörde, welche man etwa ihr Politisches Departement oder auch ihr Außenministerium nennen könnte, wenn dies nicht doch etwas gar zu großartige Namen für eine kleine Sache wären. Hier wurden ihm die Verhaltungsmaßregeln für Ordensbrüder beim Aufenthalt in der Welt draußen beigebracht, und beinahe jeden Tag widmete ihm Herr Dubois, der Vorstand dieses Amtes, persönlich eine Stunde. Diesem gewissenhaften Mann nämlich schien es bedenklich, an einen solchen Außenposten einen noch unbewährten und noch vollkommen weltunkundigen Mann zu schicken; er machte kein Hehl daraus, daß er den Entschluß des Glasperlenspielmeisters mißbillige, und gab sich doppelte Mühe, den jungen Ordensbruder über die Gefahren der Welt und die Mittel, ihnen wirksam zu begegnen, mit freundlicher Sorgfalt aufzuklären. Und die väterlich besorgte, redliche Gesinnung des Vorstandes traf mit der Willigkeit des jungen Mannes, sich belehren zu lassen, so glücklich zusammen, daß in diesen Stunden seiner Einführung in die Regeln des Umgangs mit der Welt Josef Knecht seinem Lehrer richtig lieb wurde und dieser ihn zuletzt beruhigt und mit vollem Zutrauen in seine Mission entlassen konnte. Er versuchte sogar, mehr aus Wohlwollen als aus Politik, ihm noch von sich aus eine Art von Auftrag mitzugeben. Herr Dubois gehörte, schon als einer der wenigen »Politiker« Kastaliens, zu jener sehr kleinen Gruppe von Beamten, deren Gedanken und Studien zum größern Teil dem staatsrechtlichen und wirtschaftlichen Fortbestände Kastaliens, seinem Verhältnis zur Außenwelt und seiner Abhängigkeit von ihr galten. Die allermeisten Kastalier, die Beamten nicht minder als die Gelehrten und Studierenden, lebten in ihrer pädagogischen Provinz und ihrem Orden als in einer stabilen, ewigen und sich von selbst verstehenden Welt, von welcher sie freilich wußten, daß sie nicht immer dagewesen, daß sie einmal entstanden, und zwar in Zeiten tiefster Not langsam und unter bittern Kämpfen entstanden war, entstanden am Ende der kriegerischen Epoche ebensowohl aus einer asketisch-heroischen Selbstbesinnung und Anstrengung der Geistigen wie aus einem tiefen Bedürfnis der erschöpften, verbluteten und verwahrlosten Völker nach Ordnung, Norm, Vernunft, Gesetz und Maß. Sie wußten das und wußten um die Funktion aller Orden und »Provinzen« der Welt: sich des Regierens und Wettbewerbs zu enthalten und dafür eine Stetigkeit und Dauer der geistigen Fundamente aller Maße und Gesetze zu gewährleisten. Daß aber diese Ordnung der Dinge sich keineswegs von selbst verstehe, daß sie eine gewisse Harmonie zwischen Welt und Geist voraussetze, deren Störung immer wieder möglich war, daß die Weltgeschichte, alles in allem genommen, das Wünschenswerte, Vernünftige und Schöne keineswegs anstrebe und begünstige, sondern höchstens je und je als Ausnahme dulde, dies wußten sie nicht, und die heimliche Problematik ihrer kastalischen Existenz wurde von fast allen Kastaliern im Grunde nicht wahrgenommen, sondern eben jenen wenigen politischen Köpfen überlassen, deren der Vorstand Dubois einer war. Von ihm, von Dubois, erfuhr Knecht, nachdem er sein Vertrauen gewonnen hatte, eine summarische Einführung in die politischen Grundlagen Kastaliens, welche ihn anfänglich eher abstoßend und uninteressant anmutete gleich den meisten seiner Ordensbrüder, ihm dann jene Bemerkung Designoris über die Möglichkeit einer Gefährdung Kastaliens ins Gedächtnis zurückrief und mit ihr den ganzen, scheinbar längst verwundenen und vergessenen, bittern Nachgeschmack seiner jugendlichen Auseinandersetzungen mit Plinio und ihm dann plötzlich höchst wichtig und zu einer Stufe auf seinem Weg des Erwachens wurde. Am Ende ihres letzten Beisammenseins sagte ihm Dubois: »Ich glaube, ich kann dich nun ziehen lassen. Du wirst dich streng an den Auftrag halten, den der ehrwürdige Magister Ludi dir gab, und nicht minder an die Verhaltungsmaßregeln, die wir dir hier mitgegeben haben. Es war mir angenehm, dir behilflich sein zu können; du wirst sehen, daß die drei Wochen nicht verloren waren, die wir dich hier aufgehalten haben. Und wenn du jemals den Wunsch verspüren solltest, mir deine Zufriedenheit mit meinen Informationen und mit unsrer Bekanntschaft zu beweisen, so zeige ich dir einen Weg dazu. Du wirst in ein Benediktinerstift kommen, und falls du dort eine Weile bleibst und das Vertrauen der Patres gewinnst, wirst du vermutlich im Kreis dieser ehrwürdigen Herren und ihrer Gäste auch politische Gespräche hören und politische Stimmungen verspüren. Wenn du mich davon gelegentlich benachrichtigen wolltest, wäre ich dankbar dafür. Verstehe mich richtig: du sollst keineswegs dich als eine Art von Spion betrachten oder ein dir von den Patres erwiesenes Vertrauen mißbrauchen. Du sollst mir keine Mitteilung machen, die dein Gewissen dir nicht erlaubt. Daß wir etwaige Informationen nur im Interesse unsres Ordens und Kastaliens zur Kenntnis nehmen und verwerten, dafür bin ich dir Bürge. Wir sind keine wirklichen Politiker und haben keinerlei Macht, aber auch wir sind auf die Welt angewiesen, die uns braucht oder duldet. Es kann uns unter Umständen von Nutzen sein, es zu erfahren, wenn ein Staatsmann im Kloster einkehrt, oder der Papst für krank gilt, oder neue Anwärter auf die Liste der künftigen Kardinäle kommen. Wir sind nicht auf deine Mitteilungen angewiesen, wir haben mancherlei Quellen, aber eine kleine Quelle mehr kann nicht schaden. Geh nun, du brauchst heute zu meiner Anregung weder ja noch nein zu sagen. Nimm dir nichts vor, als vorerst deinen amtlichen Auftrag gut auszuführen und uns bei den geistlichen Vätern Ehre zu machen. Ich wünsche gute Reise.« Im Buch der Wandlungen, das Knecht vor dem Antritt seiner Reise unter Vollziehung der Schafgarbenstengel-Zeremonie befragte, stieß er auf das Zeichen Lü, das bedeutet »Der Wanderer« mit dem Urteil »Durch Kleinheit Gelingen. Dem Wanderer ist Beharrlichkeit von Heil.« Er fand eine Sechs auf zweitem Platz und schlug im Buche die Deutung nach: Der Wanderer kommt zur Herberge. Er hat seinen Besitz bei sich. Er erlangt eines jungen Dieners Beharrlichkeit. Das Abschiednehmen geschah mit Heiterkeit, nur die letzte Unterredung mit Tegularius war für beide eine harte Probe der Standhaftigkeit. Fritz tat sich Gewalt an und war in der Kühle, die er sich auf zwang, wie erstarrt; für ihn ging mit dem Freunde das Beste weg, was er besaß. Knechts Wesen ließ eine so leidenschaftliche und namentlich eine so ausschließliche Bindung an einen Freund nicht zu, er konnte im Notfall auch ohne Freund sein und konnte den Strahl seiner Sympathie ohne Hemmung neuen Objekten und Menschen zuwenden. Ein einschneidender Verlust war ihm der Abschied nicht; wohl aber kannte er den Freund schon damals gut genug, um zu wissen, welche Erschütterung und Prüfung diese Trennung ihm bedeute, und um sich Sorge um ihn zu machen. Er hatte sich über diese Freundschaft schon oft Gedanken gemacht, hatte einmal auch mit dem Musikmeister über sie gesprochen und hatte es bis zu einem gewissen Grade gelernt, das eigene Erlebnis und Gefühl zu objektivieren und kritisch zu betrachten. Es war ihm dabei bewußt geworden, daß es nicht eigentlich oder doch nicht allein die große Begabung des andern war, die ihn fesselte und ihm etwas wie Leidenschaft für ihn eingab, sondern gerade die Verbindung dieser Begabung mit so schweren Mängeln, so großer Gebrechlichkeit, und daß die Einseitigkeit und Ausschließlichkeit der Liebe, die ihm Tegularius entgegenbrachte, nicht nur einen schönen, sondern auch einen gefährlichen Reiz und Aspekt habe, nämlich die Versuchung, den an Kraft, aber nicht an Liebe Schwächeren gelegentlich seine Macht fühlen zu lassen. Er hatte sich in dieser Freundschaft eine große Zurückhaltung und Selbstzucht zur Pflicht gemacht bis zuletzt. In Knechts Leben hätte der andre, so lieb er ihm war, keine tiefe Bedeutung gewonnen, wenn nicht die Freundschaft mit diesem zarten, von seinem so viel stärkern und sichereren Freund faszinierten Menschen ihn über die Anziehungskraft und Macht belehrt hätte, die ihm über manche Menschen gegeben war. Er lernte spüren, daß etwas von dieser Macht, andre anzuziehen und zu beeinflussen, wesentlich mit zur Begabung des Lehrers und Erziehers gehöre, und daß sie Gefahren berge und Verantwortung auferlege. Tegularius war ja nur einer von manchen, Knecht sah sich vielen werbenden Blicken ausgesetzt. Zugleich hatte er im letzten Jahre die hochgespannte Atmosphäre, in der er im Spielerdorf lebte, immer deutlicher und bewußter empfunden. Er gehörte da einem offiziell nicht existierenden, aber sehr scharf abgegrenzten Kreis oder Stande an, der engsten Auswahl von Kandidaten und Repetenten des Glasperlenspiels, einem Kreise, aus dem man zwar wohl den einen und andern zu Hilfsdiensten beim Magister, beim Archivar oder bei den Spielkursen herbeizog, von welchen aber keiner in die niedere oder mittlere Beamten- und Lehrerschaft befohlen wurde; sie waren die Reserve für die Besetzung der leitenden Stellen. Hier kannte man einander sehr genau, peinlich genau, es gab hier nahezu keine Täuschungen über Begabungen, Charaktere und Leistungen. Und gerade weil hier, unter diesen Repetenten der Spielstudien und Aspiranten auf die höheren Würden, jeder eine überdurchschnittliche und beachtenswerte Kraft war, jeder den Leistungen, dem Wissen, den Zeugnissen nach vom ersten Range, gerade darum spielten jene Züge und Färbungen der Charaktere, welche einen Prätendenten zum Führer und Mann des Erfolges prädestinieren, eine besonders große und aufmerksam beobachtete Rolle. Ein Plus oder Minus an Ehrgeiz, an gutem Auftreten, an Körpergröße oder hübscher Erscheinung, ein kleines Plus oder Minus an Charme, an Wirkung auf Jüngere oder auf die Behörden, an Liebenswürdigkeit war hier von großem Gewicht und konnte im Wettbewerb entscheiden. So wie etwa Fritz Tegularius diesem Kreise nur als Outsider, als Gast und Geduldeter und gewissermaßen nur seiner Peripherie angehörte, weil er sichtlich keine Herrschergaben besaß, so gehörte Knecht zum innersten Zirkel. Was ihn den Jungen empfahl und ihm Anbeter warb, war seine Frische und noch ganz jugendliche Anmut, welche dem Anschein nach den Leidenschaften unzugänglich, unbestechlich und auch wieder kindlich-unverantwortlich war, eine gewisse Unschuld also. Und was ihn den Oberen angenehm machte, war die andre Seite dieser Unschuld: sein fast völliger Mangel an Ehrgeiz und Strebertum. In jüngster Zeit waren die Wirkungen seiner Persönlichkeit, die nach unten zuerst und erst allmählich und zuletzt auch die nach oben, dem jungen Manne bewußt geworden, und wenn er von diesem Standpunkt des Wachgewordenen zurücksah, fand er beide Linien bis in die Knabenzeit zurück sein Leben durchlaufen und formen: die werbende Freundschaft, die ihm von Kameraden und Jüngeren dargebracht wurde, und die wohlwollende Aufmerksamkeit, mit der viele Vorgesetzte ihn behandelt hatten. Es hatte Ausnahmen gegeben, wie den Rektor Zbinden, aber dafür auch solche Auszeichnungen wie die Gönnerschaft des Musikmeisters und neuerdings die des Herrn Dubois und des Magister Ludi. Es war alles eindeutig, und dennoch hatte Knecht es nie ganz sehen und gelten lassen wollen. Es war sichtlich der ihm vorgezeichnete Weg, wie von selbst und ohne Streben überall in die Elite zu geraten, bewundernde Freunde und hochstehende Gönner zu finden, es war sein Weg, sich nicht an der Basis der Hierarchie im Schatten niederlassen zu dürfen, sondern sich stetig ihrer Spitze und dem hellen Licht, in dem sie stand, zu nähern. Er würde nicht ein Subalterner und nicht ein Privatgelehrter, sondern ein Herr sein. Daß er dies später als andre, ähnlich Gestellte bemerkte, gab ihm jenes nicht zu beschreibende Mehr an Zauber, jenen Klang von Unschuld. Und warum bemerkte er es so spät, ja so widerwillig? Weil er dies alles ja gar nicht angestrebt hatte und nicht wollte, weil ihm Herrschen kein Bedürfnis, Befehlen kein Vergnügen war, weil er viel mehr das kontemplative als das aktive Leben begehrte und zufrieden gewesen wäre, noch manche Jahre, wenn nicht sein ganzes Leben, ein unbeachteter Studierender zu bleiben, neugieriger und ehrfürchtiger Pilger durch die Heiligtümer der Vergangenheit, die Kathedralen der Musik, die Gärten und Wälder der Mythologien, der Sprachen und Ideen. Nun, da er sich unerbittlich in die vita activa gestoßen sah, spürte er weit stärker als bisher die Spannungen des Strebens, des Wettbewerbes, des Ehrgeizes in seiner Umgebung, spürte seine Unschuld bedroht und nicht mehr haltbar. Er sah ein, daß er das ihm ungewollt Zugewiesene und Bestimmte nun wollen und bejahen müsse, um das Gefühl des Gefangenseins und das Heimweh nach der verlorenen Freiheit der letzten zehn Jahre zu überwinden, und da er hierzu im Innern noch nicht so ganz disponiert war, empfand er den vorläufigen Abschied von Waldzell und der Provinz und die Reise in die Welt hinaus als Erlösung. Das Stift und Kloster Mariafels hatte in vielen Jahrhunderten seines Bestehens die Geschichte des Abendlandes mitbestimmt und miterlitten, es hatte Blütezeiten, Niedergänge, Wiedergeburten und neue Tiefstände erlebt und war zu manchen Zeiten und auf verschiedenen Gebieten berühmt und glänzend gewesen. Einst ein Hochsitz scholastischer Gelehrsamkeit und Disputierkunst und noch heute im Besitz einer gewaltigen Bibliothek der mittelalterlichen Theologie, war es nach Zeiten des Erschlaffens und der Trägheit zu neuem Glanz gekommen, diesmal durch seine Musikpflege, seinen vielgepriesenen Chor, durch die von seinen Patres geschriebenen und aufgeführten Messen und Oratorien; von damals her besaß es noch immer eine schöne musikalische Tradition, ein halbes Dutzend nußbaumener Truhen voll musikalischer Manuskripte und die schönste Orgel des Landes. Dann war die politische Zeit des Klosters gekommen; auch sie hatte eine gewisse Tradition und Übung zurückgelassen. In Zeiten schlimmer kriegerischer Verwilderung war Mariafels mehrmals zur kleinen Insel der Besinnung und Vernunft geworden, auf der die besseren Köpfe der feindlichen Parteien vorsichtig einander suchten und nach Verständigung tasteten, und einmal – das war der letzte Höhepunkt in seiner Geschichte – war Mariafels Geburtsort eines Friedensschlusses geworden, der die Sehnsucht erschöpfter Völker für eine Weile stillte. Als dann eine neue Zeit begann und Kastalien begründet war, verhielt das Kloster sich abwartend, ja ablehnend, vermutlich nicht ohne sich darüber in Rom Weisung geholt zu haben. Ein Gesuch der Erziehungsbehörde um Gastfreundschaft für einen Gelehrten, der einige Zeit in der scholastischen Bibliothek des Klosters arbeiten wollte, wurde höflich abgelehnt, ebenso die Einladung, einen Vertreter zu einer musikgeschichtlichen Tagung zu senden. Erst seit dem Abt Pius, der noch in vorgerücktem Alter sich lebhaft für das Glasperlenspiel zu interessieren anfing, entstand Verkehr und Austausch und war seither zu einer nicht gerade lebhaften, aber freundschaftlichen Beziehung geworden. Man tauschte Bücher, gewährte gegenseitige Gastfreundschaft; auch Knechts Gönner, der Musikmeister, war in jungen Jahren einige Wochen in Mariafels gewesen, hatte Notenhandschriften kopiert und die berühmte Orgel gespielt. Knecht wußte davon und freute sich auf den Aufenthalt an einem Orte, von dem er den Verehrten gelegentlich mit Freude hatte erzählen hören. Man empfing ihn über sein Erwarten mit einer Auszeichnung und Artigkeit, die ihn beinahe verlegen machte. Es war ja auch das erstemal, daß Kastalien dem Kloster für unbestimmte Zeit einen Glasperlenspiellehrer aus der Elite zur Verfügung stellte. Er hatte beim Vorstand Dubois gelernt, sich namentlich in der ersten Zeit seiner Gastrolle nicht als Person, nur als Vertreter Kastaliens anzusehen und Artigkeiten sowohl wie etwaige Distanzierung lediglich als Abgesandter zur Kenntnis zu nehmen und zu erwidern; das half ihm über die ersten Befangenheiten hinweg. Auch des anfänglichen Gefühls von Fremdheit und der Bangigkeit und leisen Erregtheit der ersten Nächte, in denen er wenig Schlaf genoß, wurde er Meister, und da der Abt Gervasius ihm ein gutmütiges und munteres Wohlwollen zeigte, wurde ihm rasch in der neuen Umwelt wohl. Es erfreute ihn die Frische und Kraft der Landschaft, einer rauhen Berglandschaft mit schroffen Felswänden und saftigen Weiden voll schönen Viehes dazwischen; es beglückte ihn die Wucht und Weiträumigkeit der alten Bauten, welchen die Geschichte vieler Jahrhunderte abzulesen war, es gewann ihn die Schönheit und einfache Behaglichkeit seiner Wohnung, zweier Räume im oberen Stockwerk des langen Gästeflügels, es behagten ihm die Forschungsgänge durch den stattlichen kleinen Staat mit zwei Kirchen, Kreuzgängen, Archiv, Bibliothek, Abtwohnung, mehreren Höfen, mit ausgedehnten Stallbauten voll wohlgehaltenen Viehes, sprudelnden Brunnen, gewölbten riesigen Wein- und Obstkellern, mit zwei Refektorien, dem berühmten Kapitelsaal, den gepflegten Gärten sowie den Werkstätten der Laienbrüder, des Böttchers, Schuhmachers, Schneiders, Schmiedes und so weiter, welche um den größten Hof ein kleines Dorf bildeten. Schon hatte er Zutritt zur Bibliothek, schon hatte ihm der Organist die herrliche Orgel gezeigt und ihm erlaubt, auf ihr zu spielen, und nicht wenig lockten ihn die Notentruhen, wo er eine stattliche Zahl von unveröffentlichten, zum Teil überhaupt noch unbekannten Musikmanuskripten früherer Epochen warten wußte. Auf den Beginn seiner amtlichen Funktion schien man im Kloster nicht eben ungeduldig zu warten, es dauerte nicht nur Tage, es dauerte Wochen, bis man dem eigentlichen Ziel seines Hierseins ernstlich nähertrat. Zwar hatten sich vom ersten Tage an einige Patres, und namentlich auch der Abt selber, gern mit Josef über das Glasperlenspiel unterhalten, aber von einem Unterricht oder sonst einer systematischen Tätigkeit war noch nicht die Rede. Auch sonst bemerkte Knecht im Gehaben, Lebensstil und Verkehrston der geistlichen Herren ein ihm bisher unbekanntes Tempo, eine gewisse ehrwürdige Langsamkeit, eine langatmige und gutmütige Geduld, an welcher alle diese Väter, auch die persönlich keineswegs temperamentlosen, teilzuhaben schienen. Es war der Geist ihres Ordens, es war der tausendjährige Atem einer uralten, privilegierten, in Glück und Not hundertmal bewährten Ordnung und Gemeinschaft, an welcher sie teilhatten, so wie jede Biene am Schicksal und Ergehen ihres Stockes teilhat, seinen Schlaf schläft, sein Leiden mitleidet, sein Zittern mitzittert. Verglichen mit dem Lebensstil Kastaliens schien dieser benediktinische beim ersten Zusehen weniger geistig, weniger agil und zugespitzt, weniger aktiv, dafür aber gelassener, unbeeinflußbarer, älter, bewährter, es schien hier ein schon längst wieder zur Natur gewordener Geist und Sinn zu walten. Mit Neugierde und großem Interesse, auch mit großer Bewunderung ließ Knecht dies Klosterleben auf sich wirken, das zu einer Zeit, da es noch kein Kastalien gab, schon beinahe gleich wie heute und schon anderthalbtausend Jahre alt gewesen war und das der beschaulichen Seite seiner Natur so sehr entgegenkam. Er war Gast, wurde geehrt, wurde weit über Erwarten und Gebühr geehrt, aber er fühlte deutlich: dies war Form und Usus und galt weder seiner Person, noch galt es dem Geist Kastaliens oder des Glasperlenspiels, es war die majestätische Höflichkeit einer alten Großmacht gegen eine jüngere. Nur zum Teil war er darauf vorbereitet gewesen, und nach einer Weile fühlte er sich, trotz aller Behaglichkeit seines Mariafelser Lebens, so unsicher, daß er bei seiner Behörde um genauere Vorschriften für sein Verhalten bat. Der Magister Ludi schrieb ihm persönlich einige Zeilen. »Mache dir nichts daraus,« hieß es darin, »deinem Studium des dortigen Lebens beliebige Zeit zu opfern. Benütze deine Tage, lerne, suche dich beliebt und nützlich zu machen, soweit man dort dafür empfänglich ist, aber dränge dich nicht auf, scheine niemals ungeduldiger zu sein, scheine nie weniger Muße zu haben als deine Gastgeber. Auch wenn sie dich ein ganzes Jahr lang so behandeln sollten, als sei es dein erster Gasttag in ihrem Hause, so geh ruhig darauf ein und benimm dich, als käme es dir auch auf zwei oder zehn Jahre mehr nicht an. Nimm es als einen Wettkampf im der Übung der Geduld. Sorgfältig meditieren! Dauert dir deine Muße zu lang, so nimm dir täglich einige Stunden, nicht mehr als vier, für eine regelmäßige Arbeit, etwa das Studium oder Kopieren von Handschriften. Aber mache nicht den Eindruck, als arbeitetest du, habe Zeit für jeden, der Lust hat, mit dir zu plaudern.« Knecht hielt sich daran und fühlte sich bald wieder freier. Er hatte bisher allzusehr an den Lehrauftrag für Liebhaber des Glasperlenspiels gedacht, welcher seiner hiesigen Mission den Namen gab, während die Väter des Klosters ihn mehr als einen bei guter Stimmung zu haltenden Abgesandten einer befreundeten Macht behandelten. Und als am Ende Abt Gervasius doch dieses Lehrauftrags sich erinnerte und ihm vorerst einige Patres zuführte, welche eine erste Einführung in die Glasperlenspielkunst schon genossen hatten und mit denen er einen weiterführenden Kursus abhalten sollte, da zeigte es sich, zu seinem Erstaunen und anfänglich zu seiner schweren Enttäuschung, daß die Kultur des edlen Spieles an diesem gastfreien Orte eine sehr oberflächliche und dilettantische und man dem Anschein nach mit einem sehr bescheidenen Maß an Spielkenntnissen zufrieden war. Und im Gefolge dieser Einsicht kam ihm langsam auch die andere: daß es wohl gar nicht die Glasperlenspielkunst und deren Pflege im Kloster sei, deretwegen man ihn hierher geschickt habe. Die Aufgabe, diese paar dem Spiele läßlich zugeneigten Patres im Elementaren etwas zu fördern und ihnen die Befriedigung einer bescheidenen Sportleistung zu verschaffen, war leicht, allzu leicht, und es wäre ihr jeder beliebige andre Spielkandidat, auch wenn er längst noch nicht der Elite angehörte, gewachsen gewesen. Dieser Unterricht also konnte nicht der eigentliche Zweck seiner Mission sein. Er begann zu begreifen, daß man ihn wohl veniger zum Lehren hierhergeschickt habe als zum Lernen. Allerdings, gerade als er dies durchschaut zu haben meinte, erfuhr seine Autorität im Kloster doch wieder eine plötzliche Stärkung und damit auch sein Selbstbewußtsein, denn er hatte trotz allen Reizen und Annehmlichkeiten seiner Gastrolle seinen Aufenthalt schon zuweilen beinahe wie eine Strafversetzung empfunden. Nun geschah es eines Tages, daß ihm in einer Unterhaltung mit dem Abte absichtslos eine Anspielung auf das chinesische I Ging unterlief; der Abt horchte aufstellte einige Fragen, und als er seinen Gast so über Erwarten bewandert im Chinesischen und im Buch der Wandlungen fand, konnte er seine Freude nicht verhehlen. Er hatte eine Vorliebe für das I Ging, und wenn er auch kein Chinesisch verstand und sein Wissen um das Orakelbuch und andre chinesische Geheimnisse von jener harmlosen Oberflächlichkeit war, mit welcher die derzeitigen Insassen dieses Klosters in fast allen ihren wissenschaftlichen Interessen sich zu begnügen schienen, so war doch wohl zu merken, daß der kluge und im Vergleich mit seinem Gast so erfahrene und weltkundige Mann zum Geist der altchinesischen Staats- und Lebensweisheit wirklich ein Verhältnis habe. Es ergab sich ein Gespräch von ungewohnter Lebhaftigkeit, das die bisher zwischen Hausherrn und Gast bestehende höfliche Haltung zum erstenmal durchbrach und dazu führte, daß Knecht gebeten wurde, dem ehrwürdigen Herrn zweimal in der Woche eine I-Ging-Lektion zu erteilen. Während so sein Verhältnis zum Abt und Gastgeber sich ins Lebendigere und Wirksame steigerte, die kollegiale Freundschaft mit dem Organisten gedieh und der kleine geistliche Staat, in dem er lebte, ihm allmählich vertraut wurde, begann auch die Versprechung des Orakels, das er vor der Abreise aus Kastalien befragt hatte, sich der Erfüllung zu nähern. Es war ihm, dem seinen Besitz bei sich tragenden Wanderer, nicht nur die Einkehr in einer Herberge verheißen worden, sondern auch »eines jungen Dieners Beharrlichkeit.« Daß die Verheißung sich zur Erfüllung entfaltete, durfte der Wanderer als ein gutes Zeichen annehmen, als ein Zeichen dafür, daß er wirklich »seinen Besitz bei sich trage,« daß er auch fern von den Schulen, Lehrern, Kameraden, Gönnern und Helfern, fern von der heimatlichen, nährenden und hilfreichen Atmosphäre Kastaliens den Geist und die Kräfte in sich gesammelt trage, mit deren Hilfe er einem tätigen und wertvollen Leben entgegenging. Der angekündigte »junge Diener« nämlich näherte sich ihm in Gestalt eines geistlichen Schülers namens Anton, und wenn dieser junge Mensch auch in Josef Knechts Leben selber keine Rolle gespielt hat, so war er doch damals in jener eigentümlich zwiespältig gestimmten ersten Klosterzeit ein Hinweis, ein Bote zu Neuem und Größerem, ein Ansager kommender Ereignisse. Anton, ein schweigsamer, aber feurig und begabt blickender Jüngling, schon nahezu reif, um in den Kreis der Mönche aufgenommen zu werden, begegnete dem Glasperlenspieler, dessen Herkunft und Kunst ihm so geheimnisvoll war, ziemlich häufig, während im übrigen die kleine Schülerschar in ihrem abgesonderten und für den Gast nicht zugänglichen Flügel ihm nahezu unbekannt blieb und ihm sichtlich ferngehalten wurde. Die Teilnahme am Spielkursus war den Schülern nicht erlaubt. Dieser Anton aber hatte mehrmals in der Woche Dienst als Bibliotheksgehilfe; hier begegnete ihm Knecht, gelegentlich war es auch zu einem Gespräch gekommen, und mehr und mehr bemerkte Knecht, daß dieser junge Mensch mit den dunkelkräftigen Augen unter starken schwarzen Brauen ihm in jener schwärmerischen und dienstbereiten Art von verehrender Jünglings- und Schülerliebe zugetan war, welche ihm nun oft genug schon begegnet war und welche er längst, obwohl er jedesmal Lust fühlte, sich ihr zu entziehen, als ein lebendiges und wichtiges Element im Ordensleben erkannt hatte. Hier im Kloster beschloß er, doppelt zurückhaltend zu sein; es wäre ihm wie ein Verstoß gegen die Gastfreundschaft erschienen, wenn er diesen noch der geistlichen Erziehung unterstehenden Jüngling hätte beeinflussen wollen; auch war ihm ja das strenge Keuschheitsgebot, unter welchem man hier stand, wohlbekannt, und ihm schien, dadurch könnte eine knabenhafte Verliebtheit noch gefährlicher werden. Jedenfalls mußte er jede Möglichkeit eines Anstoßes vermeiden und richtete sich danach. In der Bibliothek, dem einzigen Ort, an dem er jenem Anton des öftern begegnete, machte er auch die Bekanntschaft eines Mannes, den er anfangs seiner bescheidenen Erscheinung wegen beinahe übersehen hatte, den er dann mit der Zeit genauer kennenlernte und zeitlebens mit einer dankbaren Verehrung geliebt hat wie nur etwa noch den Alt-Musikmeister. Es war der Pater Jakobus, wohl der bedeutendste Geschichtschreiber des Benediktinerordens, damals etwa sechzig Jahre alt, ein hagerer ältlicher Mann mit einem Sperberkopf auf langem sehnigem Halse, mit einem Gesicht, das von vorn, namentlich da er mit seinen Blicken sehr sparsam war, etwas Lebloses und Erloschenes hatte, dessen Profil aber mit der kühn geschwungenen Linie der Stirn, dem tiefen Einschnitt überm Nasenrücken, der scharfgeschnittenen Hakennase und dem etwas kurzen, aber gewinnend rein auslaufenden Kinn eine ausgeprägte und eigenwillige Persönlichkeit anzeigte. Der stille alte Mann, der übrigens dann bei näherem Kennenlernen höchst temperamentvoll sein konnte, hatte einen eigenen, stets mit Büchern, Handschriften und Landkarten bedeckten Studiertisch im kleineren, innern Raum der Bücherei inne und schien in diesem Kloster, das so unschätzbare Bücher besaß, der einzige wirklich ernstlich arbeitende Gelehrte zu sein. Übrigens war es jener Novize Anton, der Josef Knecht unabsichtlich auf den Pater Jakobus aufmerksam machte. Knecht hatte bemerkt, daß jener innere Raum der Bibliothek, wo der Gelehrte seinen Arbeitstisch stehen hatte, beinahe wie ein privates Studierzimmer betrachtet und von den wenigen Benutzern der Bücherei nur im Notfalle und dann nur leise und respektvoll auf Zehenspitzen betreten wurde, obwohl der dort arbeitende Pater gar nicht den Eindruck machte, so leicht störbar zu sein. Natürlich hatte sich Knecht alsbald dieselbe Rücksicht zum Gebot gemacht, und schon dadurch war der arbeitsame Alte seiner Beobachtung entrückt geblieben. Nun hatte dieser eines Tages sich von Anton mit einigen Büchern bedienen lassen, und als Anton aus jenem Innern Raum zurückkehrte, fiel es Knecht auf, daß er eine kleine Weile in der offenen Türe stehenblieb und zu dem an seinem Tische in die Arbeit Versunkenen zurückblickte mit einem schwärmerischen Ausdruck von Bewunderung und Ehrfurcht, gemischt mit jenem Gefühl beinahe zärtlicher Rücksicht und Hilfsbereitschaft, wie sie gutartige Jugend zuweilen der Kahlheit und Gebrechlichkeit des Alters entgegenbringt. Zunächst freute sich Knecht dieses Anblickes, der ja auch an sich schön war, auch zeigte er ihm immerhin, daß es bei Anton eine Schwärmerei für Ältere und Bewunderte auch ohne jede leibliche Verliebtheit gebe. Im nächsten Augenblick kam ihm ein eher ironischer Gedanke, dessen er sich beinahe schämte, der Gedanke: wie spärlich es in diesem Institute hier um die Gelehrsamkeit bestellt sein müsse, wenn der einzige ernstlich tätige Gelehrte des Hauses von der Jugend so wie ein Wundertier und Fabelwesen angestaunt wurde. Immerhin, dieser beinahe zärtliche Blick der bewundernden Verehrung, welchen Anton auf den Alten heftete, öffnete Knecht die Augen für die Erscheinung des gelehrten Paters, und indem er von da an je und je einen Blick auf diesen Mann warf, entdeckte er sein römisches Profil und entdeckte allmählich dies und jenes an Pater Jakobus, das auf einen nicht gewöhnlichen Geist und Charakter hinzudeuten schien. Daß er Historiker sei und für den eingeweihtesten Kenner der Geschichte der Benediktiner gelte, war ihm schon bekannt. Eines Tages sprach der Pater ihn an; er hatte nichts von dem breiten, betont wohlwollenden, betont gutgelaunten und etwas onkelhaften Tonfall, der zum Stil des Hauses zu gehören schien. Er lud Josef ein, ihn nach der Vesper in seinem Zimmer zu besuchen. »Sie finden in mir,« sagte er mit einer leisen und beinahe scheuen Stimme, aber wundervoll genau akzentuierend, »zwar keinen Kenner der Geschichte Kastaliens und noch weniger einen Glasperlenspieler, aber da nun, wie es scheint, unsre beiden so verschiedenen Orden sich mehr und mehr befreunden, möchte ich mich davon nicht ausschließen und möchte auch meinerseits aus Ihrer Anwesenheit je und je ein wenig Gewinn ziehen.« Er sprach mit vollkommenem Ernst, aber die leise Stimme und das alte kluge Gesicht gaben seinen überhöflichen Worten jene wunderbar zwischen Ernst und Ironie, Devotion und leisem Spott, Pathos und Spielerei schillernde Vieldeutigkeit, wie man sie etwa beim Höflichkeits- und Geduldspiel endloser Verneigungen bei der Begrüßung zwischen zwei Heiligen oder zwei Kirchenfürsten empfinden mag. Diese ihm von den Chinesen her so wohlbekannte Mischung aus Überlegenheit und Spott, aus Weisheit und eigensinnigem Zeremoniell war für Josef Knecht ein Labsal; es kam ihm zum Bewußtsein, daß er diesen Ton – auch der Glasperlenspielmeister Thomas beherrschte ihn meisterlich – seit geraumer Zeit nicht mehr vernommen habe; erfreut und dankbar nahm er die Einladung an. Als er am Abend des Paters abgelegene Wohnung am Ende eines stillen Seitenflügels aufsuchte und sich besann, an welche Tür er zu klopfen habe, hörte er zu seiner Überraschung Klaviermusik. Er horchte, es war eine Sonate von Purcell, anspruchlos und ohne Virtuosität, aber taktfest und sauber gespielt; innig und freundlich klang die reine, innig heitere Musik mit ihren süßen Dreiklängen zu ihm heraus und gemahnte ihn der Zeit in Waldzell, da er Stücke dieser Art mit seinem Freund Ferromonte auf verschiedenen Instrumenten geübt hatte. Er wartete genußvoll lauschend das Ende der Sonate ab, es tönte in dem stillen, dämmrigen Korridor so einsam und weltfern, und so tapfer und unschuldig, so kindlich und überlegen zugleich wie jede gute Musik inmitten der unerlösten Stummheit der Welt. Er pochte an die Tür, Pater Jakobus rief »Herein!« und empfing ihn mit seiner bescheidenen Würde, am kleinen Klavier brannten noch zwei Kerzen. Ja, sagte Pater Jakobus auf Knechts Frage, er spiele jeden Abend eine halbe oder auch eine ganze Stunde, er beende sein Tagewerk mit dem Einbruch der Dunkelheit und verzichte in den Stunden vor dem Schlafengehen auf Lesen und Schreiben. Sie sprachen von Musik, von Purcell, von Händel, von der uralten Musikpflege bei den Benediktinern, dem recht eigentlich musischen Orden, dessen Geschichte kennenzulernen Knecht Begierde zeigte. Das Gespräch wurde lebhaft und streifte hundert Fragen, die geschichtlichen Kenntnisse des Alten schienen wahrhaft wunderbar zu sein, doch leugnete er nicht, daß die Geschichte Kastaliens, des kastalischen Gedankens und des dortigen Ordens ihn wenig beschäftigt und interessiert habe, machte auch kein Hehl aus seiner kritischen Stellung zu diesem Kastalien, dessen »Orden« er als eine Nachahmung der christlichen Kongregationen betrachtete, und zwar im Grunde als eine blasphemische Nachahmung, da ja der kastalische Orden keine Religion, keinen Gott und keine Kirche zum Fundament habe. Knecht blieb bei dieser Kritik respektvoll Zuhörer, gab immerhin zu bedenken, daß über Religion, Gott und Kirche außer den benediktinischen und römisch-katholischen Auffassungen noch andre möglich seien und existiert hätten, welchen man weder die Reinheit des Wollens und Bestrebens noch einen tiefen Einfluß auf das geistige Leben absprechen könne. »Richtig,« sagte Jakobus, »Sie denken dabei unter andrem an die Protestanten. Sie haben die Religion und Kirche nicht zu erhalten vermocht, aber sie haben zuzeiten viel Tapferkeit gezeigt und vorbildliche Männer gehabt. Es gab einige Jahre in meinem Leben, da gehörten die verschiedenen Versöhnungsversuche zwischen den feindlichen christlichen Bekenntnissen und Kirchen zu meinen bevorzugten Studienobjekten, namentlich die der Epoche um 1700, wo wir Leute wie den Philosophen und Mathematiker Leibniz und dann den wunderlichen Grafen Zinzendorf um die Wiedervereinigung der verfeindeten Brüder bemüht finden. Überhaupt ist das achtzehnte Jahrhundert, so schnellfertig und dilettantisch sein Geist oft erscheinen mag, geistesgeschichtlich merkwürdig interessant und doppeldeutig, und gerade die Protestanten jener Zeit haben mich des öfteren beschäftigt. Ich habe da einst einen Philologen, Lehrer und Erzieher großen Formates entdeckt, einen schwäbischen Pietisten übrigens, einen Mann, dessen moralische Nachwirkung sich volle zweihundert Jahre deutlich nachweisen läßt – aber wir kommen da auf ein andres Gebiet, kehren wir zur Frage nach der Legitimität und geschichtlichen Sendung der eigentlichen Orden zurück…« »Ach nein,« rief Josef Knecht, »bitte verweilen Sie noch bei diesem Lehrer, von dem Sie eben sprechen wollten, beinahe glaube ich ihn erraten zu können.« »So raten Sie.« »Ich dachte zuerst an den Hallenser Francke, aber es muß ja ein Schwabe sein, und da kann ich an keinen andern denken als an Johann Albrecht Bengel.« Ein Lachen klang auf, und ein Glanz von Freude verklärte das Gesicht des Gelehrten. »Sie überraschen mich, Lieber,« rief er lebhaft, »es war richtig Bengel, den ich im Sinn hatte. Woher wissen Sie denn von ihm? Oder gehört es etwa in Ihrer erstaunlichen Provinz zum Selbstverständlichen, daß man so entlegene und vergessene Dinge und Namen kennt? Seien Sie versichert: wenn Sie sämtliche Patres, Lehrer und Schüler unsres Klosters abfragen wollten und auch noch die der letzten paar Generationen dazu, es würde nicht einer diesen Namen wissen.« »Auch in Kastalien wüßten ihn wenige, vielleicht keiner außer mir und zweien meiner Freunde. Ich war einmal mit Studien aus dem achtzehnten Jahrhundert und dem Bereich des Pietismus beschäftigt, zu einem privaten Zwecke nur, und da sind ein paar schwäbische Theologen mir aufgefallen und gewannen meine Bewunderung und Ehrfurcht, und unter ihnen besonders dieser Bengel, er schien mir damals das Ideal eines Lehrers und Jugendleiters zu sein. Ich war so von diesem Mann eingenommen, daß ich mir sogar ein Bildnis aus einem alten Buche photographieren ließ und es eine Zeitlang über meinem Schreibtisch angeheftet hatte.« Der Pater lachte noch immer. »Wir begegnen uns da unter einem ungewöhnlichen Zeichen,« sagte er. »Es ist ja schon merkwürdig, daß Sie und ich beide bei unsern Studien auf diesen vergessenen Mann gestoßen sind. Vielleicht noch merkwürdiger ist es, daß es diesem schwäbischen Protestanten gelungen ist, fast gleichzeitig auf einen Benediktinerpater und einen kastalischen Glasperlenspieler zu wirken. Übrigens stelle ich mir Ihr Glasperlenspiel als eine Kunst vor, zu der es vieler Phantasie bedarf, und wundere mich, daß ein so streng nüchterner Mann wie Bengel Sie so sehr anziehen konnte.« Auch Knecht lachte jetzt vergnügt. »Nun,« sagte er, »wenn Sie sich an Bengels vieljährige Studien über die Offenbarung des Johannes und sein Auslegungssystem für die Prophezeiungen dieses Buches erinnern, so müssen Sie doch zugeben, daß unsrem Freunde auch der Gegenpol der Nüchternheit nicht ganz fremd war.« »Das stimmt,« gab der Pater heiter zu. »Und wie erklären Sie sich solche Gegensätze?« »Wenn Sie mir einen Scherz erlauben wollen, so würde ich sagen: was Bengel gefehlt hat und was er, ohne es zu wissen, sehnlich gesucht und begehrt hat, war das Glasperlenspiel. Ich rechne ihn nämlich zu den heimlichen Vorläufern und Ahnen unsres Spiels.« Vorsichtig und wieder ernst geworden, fragte Jakobus: »Ein wenig kühn, scheint mir, gerade Bengel für Ihre Ahnentafel zu annektieren. Und wie rechtfertigen Sie das?« »Es war ein Spaß, aber ein Spaß, der sich verteidigen läßt. Noch in seinen jungen Jahren, ehe die große Bibelarbeit ihn beschäftigte, hat Bengel einmal seinen Freunden den Plan mitgeteilt, er hoffe in einem enzyklopädischen Werk alles Wissen seiner Zeit symmetrisch und synoptisch auf ein Zentrum hin zu ordnen und zusammenzufassen. Das ist nichts andres, als was das Glasperlenspiel auch tut.« »Es ist der enzyklopädische Gedanke, mit dem das ganze achtzehnte Jahrhundert gespielt hat,« rief der Pater. »Er ist es,« meinte Josef, »aber Bengel hat nicht bloß ein Nebeneinander der Wissens- und Forschungsgebiete angestrebt, sondern ein Ineinander, eine organische Ordnung, er war unterwegs auf der Suche nach dem Generalnenner. Und das ist einer der elementaren Gedanken des Glasperlenspiels. Und ich möchte noch mehr behaupten, nämlich: wäre Bengel im Besitz eines ähnlichen Systems gewesen, wie unser Spiel eines ist, so wäre ihm wahrscheinlich der große Irrweg mit seiner Umrechnung der prophetischen Zahlen und seiner Verkündigung des Antichrist und des Tausendjährigen Reiches erspart geblieben. Bengel fand für die verschiedenen Begabungen, die er in sich vereinigte, die ersehnte Richtung auf ein gemeinsames Ziel nicht ganz, und so ergab seine mathematische Begabung, in der Zusammenarbeit mit seinem Philologenscharfsinn, jene wunderlich aus Akribie und Phantastik gemischte »Zeiten-Ordnung,« die ihn so manche Jahre beschäftigt hat.« »Es ist schon gut,« meinte Jakobus, »daß Sie nicht Historiker sind. Sie neigen wirklich zum Phantasieren. Aber ich verstehe, wie Sie es meinen; Pedant bin ich nur in meiner Fachwissenschaft.« Es wurde ein ergiebiges Gespräch, ein Sich-Erkennen der beiden, eine Art von Befreundung daraus. Dem Gelehrten schien es mehr als Zufall, oder mindestens doch ein recht besonderer Zufall, daß sie beide, er aus seiner benediktinischen, der Junge aus seiner kastalischen Gebundenheit her, diesen Fund getan und diesen armen württembergischen Klosterpräzeptor entdeckt hatten, diesen ebenso herzenszarten wie felsenfesten, ebenso versponnenen wie nüchternen Mann; es mußte etwas da sein, was sie beide verband, auf die derselbe unscheinbare Magnet so stark gewirkt hatte. Und von jenem Abend an, der mit der Sonate von Purcell begonnen hatte, war in der Tat das Etwas und die Verbundenheit da. Jakobus genoß den Austausch mit einem so geschulten und noch so bildsamen jungen Geist, dies Vergnügen ward ihm nicht allzuoft, und für Knecht wurde der Umgang mit dem Historiker und die Schulung durch ihn, welche nun begann, eine neue Stufe auf jenem Weg des Erwachens, als den er sein Leben betrachtete. Um es in wenigen Worten zu sagen: er lernte durch den Pater die Historie, lernte die Gesetzlichkeiten und Widersprüchlichkeiten des Geschichtstudiums und der Geschichtschreibung kennen und lernte in den folgenden Jahren darüber hinaus die Gegenwart und das eigene Leben als geschichtliche Wirklichkeit sehen. Ihre Gespräche wuchsen oft zu richtigen Disputationen, Angriffen und Rechtfertigungen aus, im Anfang war es freilich mehr Pater Jakobus, der sich angriffslustig zeigte. Je mehr er den Geist seines jungen Freundes kennenlernte, desto mehr tat es ihm leid, diesen so Hohes versprechenden jungen Menschen ohne die Zucht einer religiösen Erziehung und in der Scheinzucht einer intellektuell-ästhetischen Geistigkeit aufgewachsen zu wissen. Was er etwa an Knechts Denkart zu tadeln fand, schrieb er auf Rechnung dieses »modernen« kastalischen Geistes, seiner Wirklichkeitsferne, seiner Neigung zu spielerischer Abstraktion. Und wo Knecht ihn durch unverdorbene, seiner eigenen Denkart nahe verwandte Auffassungen und Äußerungen überraschte, triumphierte er darüber, daß seines jungen Freundes gute Natur der kastalischen Erziehung so kräftig Widerstand geleistet habe. Josef nahm die Kritik an Kastalien sehr ruhig auf, und wo der alte Herr in seiner Leidenschaftlichkeit ihm zu weit zu gehen schien, wies er seine Angriffe kühl zurück. Übrigens waren unter den herabsetzenden Äußerungen des Paters über Kastalien auch solche, denen Josef zum Teil recht geben mußte, und in einem Punkt lernte er während seiner Mariafelser Zeit gewaltig um. Es handelte sich um das Verhältnis des kastalischen Geistes zur Weltgeschichte, um das, was der Pater »den völligen Mangel an geschichtlichem Sinn« nannte. »Ihr Mathematiker und Glasperlenspieler,« konnte er sagen, »habet euch eine Weltgeschichte zurechtdestilliert, die bloß noch aus Geistes- und Kunstgeschichte besteht, eure Geschichte ist ohne Blut und Wirklichkeit; ihr wisset genau Bescheid über den Verfall des lateinischen Satzbaues im zweiten oder dritten Jahrhundert und habet von Alexander oder von Cäsar oder von Jesus Christus keine Ahnung. Ihr behandelt die Weltgeschichte wie ein Mathematiker die Mathematik, wo es nur Gesetze und Formeln gibt, aber keine Wirklichkeit, kein Gut und Böse, keine Zeit, kein Gestern, kein Morgen, nur eine ewige, flache, mathematische Gegenwart.« »Aber wie soll man Geschichte treiben, ohne Ordnung in sie zu bringen?« fragte Knecht. »Gewiß soll man Ordnung in die Geschichte bringen,« wetterte Jakobus. »Jede Wissenschaft ist, unter andrem, ein Ordnen, ein Vereinfachen, ein Verdaulichmachen des Unverdaulichen für den Geist. Wir glauben in der Geschichte einige Gesetze erkannt zu haben und versuchen, auf sie beim Erkennen der geschichtlichen Wahrheit Rücksicht zu nehmen. So etwa, wie wenn ein Anatom beim Zerlegen eines Körpers sich nicht vor lauter ganz und gar überraschende Funde gestellt sieht, sondern durch das Vorfinden einer Organ-, Muskel-, Bänder- und Knochenwelt unter der Epidermis ein Schema bestätigt findet, das er in sich selber mitbrachte. Wenn der Anatom aber nur noch sein Schema sieht und die einmalige, individuelle Wirklichkeit seines Objekts darüber vernachlässigt, dann ist er ein Kastalier, ein Glasperlenspieler, er treibt Mathematik am ungeeignetsten Objekt. Wer Geschichte betrachtet, soll meinetwegen den rührendsten Kinderglauben an die ordnende Macht unsres Geistes und unsrer Methoden mitbringen, aber außerdem und trotzdem soll er Respekt haben vor der unbegreiflichen Wahrheit, Wirklichkeit, Einmaligkeit des Geschehens. Geschichte treiben, mein Lieber, ist kein Spaß und kein verantwortungsloses Spiel. Geschichte treiben setzt das Wissen darum voraus, daß man damit etwas Unmögliches und dennoch Notwendiges und höchst Wichtiges anstrebt. Geschichte treiben heißt: sich dem Chaos überlassen und dennoch den Glauben an die Ordnung und den Sinn bewahren. Es ist eine sehr ernste Aufgabe, junger Mann, und vielleicht eine tragische.« Unter den Worten des Paters, die Knecht seinen Freunden damals brieflich mitteilte, sei noch eines als charakteristisch aufgenommen. »Die großen Männer sind für die Jugend die Rosinen im Kuchen der Weltgeschichte, sie gehören auch zu deren eigentlicher Substanz, gewiß, und es ist gar nicht so einfach und leicht, wie man meinen sollte, die wirklich Großen von den Scheingroßen zu unterscheiden. Bei den Scheingroßen ist es der historische Augenblick und dessen Erraten und Anpacken, was den Schein der Größe gibt; es fehlt ja auch nicht an Historikern und Biographen, geschweige denn Journalisten, denen dies Erraten und Erfassen eines geschichtlichen Augenblicks, will sagen: der momentane Erfolg, schon als ein Kennzeichen der Größe erscheint. Der Korporal, der von heut auf morgen Diktator wird, oder die Kurtisane, die es für eine Weile dazu bringt, über die gute oder böse Laune eines Weltherrschers zu regieren, sind Lieblingsfiguren solcher Historiker. Und ideal gesinnte Jünglinge lieben, umgekehrt, am meisten die tragisch Erfolglosen, die Märtyrer, die um einen Augenblick zu früh oder zu spät Gekommenen. Für mich, der ich ja freilich vor allem ein Historiker unseres benediktinischen Ordens bin, sind das Anziehendste, Erstaunlichste und Studierenswerteste in der Weltgeschichte nicht die Personen und nicht die Coups und Erfolge oder Untergänge, sondern meine Liebe und unersättliche Neugierde gilt solchen Erscheinungen, wie unsre Kongregation eine ist, jenen sehr langlebigen Organisationen, in welchen der Versuch gemacht wird, vom Geist und der Seele her Menschen zu sammeln, zu erziehen und umzuformen, sie durch Erziehung, nicht durch Eugenik, durch den Geist, nicht durchs Blut zu einem Adel zu machen, der zum Dienen wie zum Herrschen befähigt ist. Mich hat in der Geschichte der Griechen nicht der Sternhimmel von Heroen und nicht das aufdringliche Geschrei der Agora gefesselt, sondern Versuche wie die der Pythagoreer oder der Platonischen Akademie, bei den Chinesen keine andre Erscheinung so sehr wie die Langlebigkeit des konfuzianischen Systems, und in unserer abendländischen Geschichte ist es vor allem die christliche Kirche und sind es die ihr dienenden und eingebauten Orden, die mir als geschichtliche Werte ersten Ranges erscheinen. Daß ein Abenteurer einmal Glück hat und ein Reich erobert oder begründet, das dann zwanzig oder fünfzig oder sogar einmal hundert Jahre dauert, oder daß ein wohlmeinender Idealist von König oder Kaiser einmal eine redlichere Art von Politik anstrebt oder einen kulturellen Wunschtraum zu verwirklichen sucht, daß einmal unter hohem Druck ein Volk oder eine andre Gemeinschaft Unerhörtes zu leisten und zu dulden fähig war, das alles ist mir längst nicht so interessant, als daß immer wieder der Versuch zu solchen Gebilden gemacht wurde, wie unser Orden eines ist, und daß einige dieser Versuche sich tausend und zweitausend Jahre erhalten konnten. Von der heiligen Kirche selbst will ich nicht reden, sie steht für uns Gläubige oberhalb der Diskussion. Aber daß Kongregationen wie die der Benediktiner, der Dominikaner, später der Jesuiten und so weiter manche Jahrhunderte alt geworden sind und nach all den Jahrhunderten noch, trotz allen Entwicklungen, Entartungen, Anpassungen und Vergewaltigungen, ihr Gesicht und ihre Stimme, ihre Gebärde, ihre individuelle Seele bewahrt haben, das ist für mich das merkwürdigste und ehrwürdigste Phänomen der Geschichte.« Knecht bewunderte den Pater auch noch in seinen zornigen Ungerechtigkeiten. Dabei hatte er damals noch keine Ahnung davon, wer Pater Jakobus wirklich war, er sah in ihm lediglich einen profunden und genialen Gelehrten und wußte noch nicht, daß er außerdem ein Mann war, der selber mit Bewußtsein in der Weltgeschichte stand und sie mitgestalten half, der führende Politiker seiner Kongregation und der von vielen Seiten um Auskunft, Rat, Vermittlung angegangene Kenner der politischen Geschichte und politischen Gegenwart. Etwa zwei Jahre, bis zu seinem ersten Urlaub, verkehrte Knecht mit dem Pater lediglich als mit einem Gelehrten und kannte von dessen Leben, Tätigkeit, Ruf und Einfluß bloß die eine, ihm zugekehrte Seite. Dieser gelehrte Herr verstand zu schweigen, auch noch in der Freundschaft, und seine Brüder im Kloster verstanden es ebenfalls besser, als Josef ihnen zugetraut hätte. Nach etwa zwei Jahren hatte Knecht sich im Kloster so vollkommen eingelebt, als ein Gast und Außenseiter das irgend konnte. Er war je und je dem Organisten dabei behilflich gewesen, in seinem kleinen Motettenchor eine uralt ehrwürdige, große Tradition in dünnem Faden bescheiden weiterzuführen. Er hatte einige Funde im klösterlichen Musikarchiv getan und einige Abschriften alter Werke nach Waldzell und namentlich nach Monteport geschickt. Er hatte eine kleine Anfängerklasse von Glasperlenspielern herangezogen, zu welcher jetzt auch als eifrigster Schüler jener junge Anton gehörte. Er hatte dem Abt Gervasius zwar nicht das Chinesische, doch aber das Manipulieren mit den Schafgarbenstengeln und eine bessere Methode des Meditierens über die Sprüche des Orakelbuches beigebracht; der Abt hatte sich sehr an ihn gewöhnt und hatte längst auch seine anfänglichen Versuche, den Gast gelegentlich zum Weintrinken zu verführen, aufgegeben. Die Berichte, in denen er halbjährlich auf die offizielle Anfrage des Glasperlenspielmeisters Antwort gab, wie man in Mariafels mit Josef Knecht zufrieden sei, waren Lobpreisungen. In Kastalien wurden genauer als diese Berichte die Lektions- und Zeugnislisten über Knechts Spielkursus geprüft; man fand das Niveau bescheiden, war aber mit der Art zufrieden, wie der Lehrer sich diesem Niveau und überhaupt der Sitte und dem Geist des Klosters anzupassen wußte. Am meisten zufrieden und wahrhaft überrascht aber war man in der kastalischen Behörde, ohne dies freilich den Beauftragten merken zu lassen, über den häufigen, vertraulichen, ja schließlich geradezu freundschaftlichen Umgang Knechts mit dem berühmten Pater Jakobus. Dieser Umgang hat allerlei Früchte getragen, über die uns ein der Erzählung etwas vorgreifendes Wort erlaubt sei, oder doch über diejenige Frucht, welche Knecht die liebste war. Sie reifte langsam, langsam, sie wuchs so abwartend und mißtrauisch heran wie die Samen von Bäumen des Hochgebirges, die man unten im üppigen Tiefland gesät hat: diese Samen, einem fetten Boden und gütigen Klima übergeben, tragen als Erbschaft das Zurückhalten und Mißtrauen in sich, mit dem ihre Väter aufgewachsen sind, das langsame Tempo des Wachsens gehört zu ihren erblichen Eigenschaften. So ließ der kluge Alte, daran gewöhnt, jede Möglichkeit eines Einflusses auf ihn mißtrauisch zu kontrollieren, all das nur zögernd und schrittweise in sich Wurzel fassen, was der junge Freund, der Kollege vom Gegenpol, ihm an kastalischem Geist zubrachte. Allmählich indessen keimte es doch, und von allem Guten, was Knecht in seinen Klosterjahren erlebt hat, war das Beste und ihm Kostbarste dieses knappe, aus hoffnungslos scheinenden Anfängen zögernd heranwachsende Vertrauen und Sichöffnen des erfahrenen Alten, sein langsam keimendes, noch langsamer zugestandenes Verständnis für seines jüngeren Bewunderers Person nicht nur, sondern auch für das, was an ihm von spezifisch kastalischer Prägung war. Schritt für Schritt führte der Junge, scheinbar beinahe nur Schüler, Zuhörender und Lernender, den Pater, der zu Anfang die Worte »kastalisch« oder »Glasperlenspieler« nur mit ironischer Betonung, ja ausgesprochen als Schimpfworte benutzt hatte, zur Anerkennung, zum duldenden erst und schließlich auch zum achtungsvollen Geltenlassen auch dieser Geistesart, auch dieses Ordens, auch dieses Versuches zu einer geistigen Adelsbildung. Der Pater hörte auf, die Jugend des Ordens zu bemäkeln, der mit seinen kaum mehr als zwei Jahrhunderten freilich dem benediktinischen um anderthalb Jahrtausende nachstand, er hörte auf, im Glasperlenspiel nur ein ästhetisches Dandytum zu sehen, und hörte auf, für die Zukunft so etwas wie eine Befreundung und Verbündung der beiden so ungleich alten Orden als unmöglich abzulehnen. Daß die Behörden in dieser teilweisen Gewinnung des Paters, welche Josef als ein persönliches und privates Glück ansah, den Gipfel seiner Mariafelser Sendung und Leistung sahen, davon ahnte er noch eine ganze Weile nichts. Je und je besann er sich ergebnislos darüber, wie es nun eigentlich mit seinem Auftrag im Kloster stehe, ob er eigentlich hier etwas leiste und nütze, ob seine Sendung an diesen Ort, welche anfänglich eine Beförderung und Auszeichnung zu sein schien und von den Mitstrebenden beneidet wurde, nicht auf die Dauer eher einen ruhmlosen Ruheposten, ein Abgeschobensein auf ein totes Geleise bedeute. Lernen konnte man ja überall etwas, warum also nicht auch hier? Aber im Sinn Kastaliens war dies Kloster hier, einzig den Pater Jakobus ausgenommen, kein Garten und Vorbild der Gelehrsamkeit, und ob er im Glasperlenspiel durch die Isolierung zwischen lauter meist genügsamen Dilettanten nicht schon einzurosten beginne und Rückschritte mache, wußte er auch nicht recht festzustellen. Es half ihm jedoch bei dieser Unsicherheit sein Mangel an Strebertum sowohl wie sein schon damals ziemlich weit gediehener amor fati. Ihm war, alles in allem, sein Leben als Gast und kleiner Fachlehrer in dieser altbehäbigen Klosterwelt eher angenehmer, als es die letzte Waldzeller Zeit im Kreis der Ehrgeizigen gewesen war, und sollte das Schicksal ihn etwa für immer auf diesem kleinen kolonialen Posten belassen, so würde er zwar einiges an seinem Leben hier zu ändern suchen, zum Beispiel einen seiner Freunde hierher zu manövrieren suchen oder zumindest sich jährlich einen längern Urlaub nach Kastalien erbitten, im übrigen aber damit zufrieden sein. Der Leser dieser biographischen Skizze wartet vielleicht auf Bericht über eine andere Seite von Knechts Klostererlebnis, über die religiöse. Wir wagen darüber nur behutsame Andeutungen. Daß Knecht in Mariafels eine innigere Begegnung mit der Religion, einem täglich praktizierten Christentum, gehabt habe, ist nicht nur wahrscheinlich, es geht auch aus mancher seiner späteren Äußerungen und Haltungen sogar deutlich hervor; doch müssen wir die Frage, ob und wieweit er dort etwa zum Christen geworden sei, unbeantwortet lassen, diese Bezirke sind unsrer Forschung nicht zugänglich. Er hatte über den in Kastalien gepflegten Respekt vor den Religionen hinaus eine gewisse Art der Ehrfurcht in sich, die wir wohl fromm nennen dürfen, und er war über die christliche Lehre und ihre klassischen Formen schon in den Schulen, und speziell beim Studium der kirchlichen Musik, recht gut unterrichtet worden, vor allem waren ihm das Sakrament der Messe und der Ritus des Hochamtes gut bekannt. Bei den Benediktinern hatte er nun, nicht ohne Erstaunen und Ehrfurcht, eine ihm bisher theoretisch und historisch bekannte Religion als eine noch lebende kennengelernt, er nahm an vielen Gottesdiensten teil, und seit er sich mit einigen der Schriften von Pater Jakobus vertraut gemacht und dessen Gespräche auf sich hatte wirken lassen, war ihm vollends das Phänomen dieses Christentums sichtbar geworden, das in den Jahrhunderten so viele Male unmodern und überholt, antiquiert und erstarrt geworden war und sich doch immer wieder auf seine Quellen besonnen und an ihnen erneuert hatte, das Moderne und Siegreiche von gestern wieder hinter sich zurücklassend. Er wehrte sich auch nicht ernstlich gegen den ihm in jenen Unterhaltungen je und je nahegelegten Gedanken, daß möglicherweise auch die kastalische Kultur nur eine verweltlichte und vergängliche Neben- und Spätform der christlich-abendländischen Kultur sei und von ihr einst wieder würde aufgesogen und zurückgenommen werden. Mochte dem so sein, sagte er einst dem Pater, so war doch ihm nun einmal sein Platz und sein Dienst innerhalb der kastalischen, nicht etwa der benediktinischen Ordnung angewiesen, hier hatte er mitzuarbeiten und sich zu bewähren, unbekümmert darum, ob die Ordnung, deren Glied er sei, Anspruch auf ewige oder auch nur lange Dauer habe; eine Konversion hätte er nur als eine nicht ganz würdige Form von Flucht betrachten können. So hatte auch jener verehrte Johann Albrecht Bengel zu seiner Zeit einer kleinen und vergänglichen Kirche gedient, ohne dabei etwas vom Dienst am Ewigen zu versäumen. Frömmigkeit, das heißt gläubiger Dienst und Treue bis zur Hingabe des Lebens, sei in jedem Bekenntnis und auf jeder Stufe möglich, und für die Aufrichtigkeit und den Wert jeder persönlichen Frömmigkeit sei dieser Dienst und diese Treue die einzige gültige Probe. Als Knechts Aufenthalt bei den Patres etwa zwei Jahre gedauert hatte, erschien im Kloster einst ein Gast, der mit großer Sorgfalt von ihm entfernt gehalten wurde, sogar eine flüchtige Vorstellung wurde vermieden. Dadurch neugierig geworden, beobachtete er den Fremden, der übrigens nur einige Tage blieb, und kam auf allerlei Vermutungen. Das geistliche Kleid, das der Fremde trug, glaubte er als Verkleidung zu erkennen. Mit dem Abt und namentlich mit Pater Jakobus hatte der Unbekannte lange Sitzungen bei geschlossenen Türen, häufig empfing er Eilbotschaften und sandte solche weg. Knecht, der ja von den politischen Beziehungen und Traditionen des Klosters wenigstens gerüchtweise wußte, vermutete, der Gast sei ein hoher Staatsmann in geheimer Mission, oder ein inkognito reisender Fürst; und indem er seinen Beobachtungen nachsann, erinnerte er sich aus den vergangenen Monaten noch des einen und andern Gastes, der ihm jetzt im Nachhinein ebenfalls geheimnis- oder bedeutungsvoll erscheinen wollte. Dabei fiel ihm der Vorstand der »Polizei« ein, der freundliche Herr Dubois, und dessen Bitte, je und je ein Auge gerade auf solche Vorgänge im Kloster zu haben, und wenn er auch zu solchen Berichten noch immer keinerlei Lust noch Beruf spürte, schlug ihm doch das Gewissen darüber, daß er dem wohlwollenden Manne seit langem nicht geschrieben und ihn vermutlich recht eigentlich enttäuscht habe. Er schrieb ihm einen langen Brief, suchte sein Schweigen zu erklären und erzählte, um dem Brief doch einige Substanz zu geben, ein wenig von seinem Verkehr mit Pater Jakobus. Er ahnte nicht, wie sorgfältig und von wem alles sein Brief würde gelesen werden. |
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