"Kanonenfutter - Leutnant Bolithos Handstreich in Rio" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)III Jäher TodDie Woche nach dem Auslaufen der Sobald sie frei von Land waren, ließ Dumaresq so viele Segel setzen, wie sein Schiff bei dem ständig zunehmenden Wind ohne Gefahr tragen konnte. Das Leben war nun begrenzt auf einen Alptraum aus beißendem, eiskaltem Sprühwasser, das sich in wilden Kaskaden immer dann über sie ergoß, wenn die Fregatte, aus einem Wellental auftauchend, den nächsten haushohen Wellenberg anschnitt. Es schien niemals zu enden. Seit Tagen steckten sie in nassen Kleidern, die zu trocknen keine Gelegenheit war, und aßen das, was der Smutje bei dem Wetter mit Mühe zustande und heil nach achtern brachte, wo sie es möglichst schnell hinunterschlangen. Einmal, als Rhodes Bolitho auf Wache ablöste, schrie er ihm über das Getöse wild schlagender Leinwand und tobender See ins Ohr:»Das ist typisch für unseren gt; Herrn und Meisten: Er treibt das Schiff bis an die Grenze und prüft dabei jeden Mann auf Herz und Nieren. «Er duckte sich, als ein neuer Schauer eiskalten Sprühwassers über sie hinwegzog.»Die Offiziere prüft er dabei natürlich auch, das wollen wir nicht vergessen.» Die Stimmung an Bord war gereizt, und ein- oder zweimal flackerte Ungehorsam auf, der aber durch die kräftigen Fäuste eines Maates oder die Drohung mit offizieller Meldung und Auspeitschen unterdrückt wurde. Der Kommandant war viel an Deck und ging ruhelos zwischen Kompaß und Kartenraum hin und her, wobei er ihr Vorankommen mit Gulliver, dem Master, oder mit dem Ersten Offizier besprach. Nachts war es noch schlimmer. Bolitho kam es vor, als wäre es ihm noch kein einziges Mal gelungen, den Kopf während der Freiwache in sein muffiges Kopfkissen zu vergraben, bevor ihn nicht ein heiserer» Alle-Mann«-Ruf wieder aufstörte.»Alle Mann! Ein Reff ins Marssegel!» In solchen Augenblicken erkannte Bolitho den Unterschied: Auf einem Linienschiff hatte er sich mit den übrigen nach einem solchen Kommando in die Masten arbeiten und seine Schwindelanfälle niederkämpfen müssen, ohne die anderen etwas von seiner Angst merken zu lassen. Aber wenn er es dann geschafft hatte, war es vorbei. Jetzt, als Offizier, kam dagegen alles so, wie Dumaresq vorausgesagt hatte, Mitten im heftigsten Sturm, gegen den die Die Männer taumelten auf ihre Stationen, benommen von der nicht enden wollenden, harten Arbeit und halb blind vom Salzwasser, das sie unaufhörlich übergoß. Zögernd arbeiteten sie sich die vibrierenden Webeleinen hinauf und legten auf den Marsrahen aus. Die Forster, befehlshabender Deckoffizier am Großmast und Bolithos rechte Hand, hatte ihm zugerufen:»Dieser Mann hier will nicht nach oben, ums Verrecken nicht!» Bolitho, der sich an einem Stag festhielt, um nicht weggerissen zu werden, schrie zurück:»Dann gehen Sie, um Himmel willen, selber, Forster! Wenn Sie nicht oben sind, passiert Gott weiß was!«Dabei schaute er zu den übrigen Leuten hinauf, während der Sturm unaufhörlich jaulte und schrie wie ein Lebewesen, das sich an ihrer Qual weidete. Jury war mit oben gewesen und beim Hinabklettern von der Macht des Windes an die Wanten gepreßt worden. Am Fockmast hatten sie die gleichen Probleme mit Menschen und Tauwerk, Segeln und Rahen, während das Schiff sein Möglichstes tat, sie alle in die tobende See zu schleudern. Da erinnerte sich Bolitho, was Forster ihm zugerufen hatte. Der Befehlsverweigerer starrte ihn trotzig an, eine magere Gestalt in halb zerrissenem kariertem Hemd und Seemannshose. «Was ist los mit Ihnen?«Bolitho mußte schreien, um sich in dem Getöse verständlich zu machen. «Ich kann nicht!«schrie der Mann zurück und schüttelte wild den Kopf.»Kann nicht!» Gerade kämpfte sich Little fluchend vorbei und schleppte mit dem Bootsmann neues Tauwerk als Reserve für den Großmast heran. Er brüllte:»Ich hieve ihn persönlich nach oben, Sir!«Bolitho aber rief dem Matrosen zu:»Helfen Sie unter Deck an den Pumpen!» Zwei Tage danach wurde der Mann als verschwunden gemeldet. Eine sorgfältige Durchsuchung des Schiffes blieb ergebnislos. Little hatte seine Ansicht zu erläutern versucht.»Die Sache ist so, Sir: Sie hätten ihn zum Aufentern zwingen sollen, selbst wenn er dann abgestürzt wäre und sich die Knochen gebrochen hätte. Oder Sie hätten ihn zur Bestrafung melden müssen. Er hätte drei Dutzend Schläge bekommen, aber das hätte ihn zum Mann gemacht.» Zögernd mußte Bolitho Little recht geben. Er hatte den Stolz des Mannes verletzt. Seine Kameraden hätten mit ihm gefühlt, wenn er auf der Gräting festgebunden und ausgepeitscht worden wäre. So aber traf ihn nur Verachtung, und das war mehr, als dieser eigenbrötlerische und halsstarrige Matrose ertragen konnte. Auch am sechsten Tag hielt der Sturm noch an und machte sie durch seine Heftigkeit mutlos und benommen. Zerrissene Segel wurden ausgetauscht, und das Reparieren von Schäden und immer wieder nötige Aufklaren an Deck verhinderten jeden Gedanken an eine Verschnaufpause. Inzwischen wußte jedermann an Bord, wohin die Reise zunächst ging: zur portugiesischen Insel Madeira. Aber der Anlaß blieb weiterhin ein Geheimnis. Außer für Rhodes, der streng vertraulich mitteilte, daß sie dort lediglich einen ordentlichen Vorrat Wein für den persönlichen Bedarf des Schiffsarztes übernehmen wollten. Dumaresq hatte den Bericht über den Tod des Matrosen offenbar im Logbuch gelesen, aber Bolitho nicht daraufhin angesprochen. Auf See kamen mehr Männer durch Unfälle um als durch Kugeln und Enterbeile. Doch Bolitho fühlte sich schuldig. Little und Forster, ihm an Lebensjahren und Erfahrung weit voraus, hielten seiner Meinung nach nur zu ihm, weil er ihr Vorgesetzter war. Forster hatte lediglich bemerkt:»Tja, wir waren in dem Augenblick vielleicht nicht ganz auf Draht, Sir.» Und alles, was Little dazu sagte, war:»Hätte schlimmer kommen können, Sir.» Es war erstaunlich, welche Wandlung die schließliche Wetterbesserung brachte. Das Schiff erwachte wieder zum Leben, und die Männer packten zu, ohne sich erst ängstlich umzuschauen oder sich mit beiden Händen an den Wanten festzuklammern, wenn sie aufentern sollten. Am Morgen des siebten Tages, als die Düfte aus der Kombüse zu ersten Wetten verführten, was es wohl zu essen gab, rief plötzlich der Ausguck im Vortopp:»An Deck! Land in Sicht! Land voraus in Lee!» Bolitho hatte gerade Wache und bat Merrett, ihm ein Fernrohr zu bringen. Der Midshipman sah nach dem Sturm und einer Woche härtester Anstrengungen aus wie ein geschrumpfter alter Mann, aber er war noch ganz munter und kam beim Wachwechsel nie zu spät. «Lassen Sie mich sehen. «Bolitho richtete das Fernrohr durch eine Lücke in den schwarzen Wanten in die vom Ausguck gemeldete Richtung. Dumaresq Stimme ließ ihn zusammenfahren.»Das ist Madeira, Mr. Bolitho. Eine zauberhafte Insel.» Bolitho tippte an seinen Hut. Für einen Mann seiner Statur bewegte der Kommandant sich erstaunlich geräuschlos. «Es — hm — entschuldigen Sie, Sir.» Dumaresq lächelte und nahm das Teleskop aus Bolithos Händen. Während er es auf die ferne Insel richtete, sagte er:»Als ich Wachoffizier war, habe ich immer dafür gesorgt, daß ein Mann meiner Wache aufpaßte und mich warnte, wenn der Kommandant auftauchte.» Er sah Bolitho an, wobei seine weit auseinanderstehenden, durchdringenden Augen irgend etwas in ihm zu suchen schienen.»Aber Sie machen so etwas natürlich nicht, nehme ich an. Noch nicht.» Er übergab Merrett das Glas und setzte hinzu:»Schließen Sie sich mir an. Etwas Bewegung ist gut für das innere Gleichgewicht.» So marschierten Kommandant und jüngster Offizier der Dumaresq erzählte von seiner Heimat in Norfolk, aber nur von den Örtlichkeiten; von den Menschen dort erwähnte er nichts, sprach weder über Freunde noch über eine Frau. Bolitho versuchte, sich an Du-maresqs Stelle zu versetzen. Hier ging dieser lässig spazieren und unterhielt sich über unwichtige Dinge, während sein Schiff mit sauber getrimmten Segeln von einer gleichmäßigen Brise vorangetrieben wurde. Er trug die Verantwortung für alle, Offiziere, Matrosen und Seesoldaten, und für all das, was ihnen bevorstand, ob sie nun segelten oder kämpften. In diesem Augenblick steuerten sie eine fremde Insel an, und danach würde die Reise sie sehr viel weiter führen.»Verantwortung kennt keine Grenzen«, hatte Bolithos Vater einmal gesagt. Und:»Für jeden Kommandanten gibt es nur ein Gesetz: Wenn er Erfolg hat, werden andere die Früchte ernten. Bleibt der Erfolg aus, fällt alle Schuld auf ihn.» Dumaresq fragte plötzlich:»Haben Sie sich eingelebt?» «Ich denke schon.» «Gut. Falls Sie immer noch über den Tod des Matrosen grübeln, muß ich Ihnen sagen: Hören Sie auf damit. Das Leben ist Gottes größte Gabe. Es aufs Spiel zu setzen, ist eine Sache; aber es wegzuwerfen, ist Betrug. Der Mann hatte kein Recht dazu. Wir vergessen es am besten. «Als Palliser an Deck erschien, wandte sich Dumaresq diesem zu. Palliser lüpfte seinen Hut vor dem Kommandanten, doch sein Blick war auf Bolitho gerichtet. «Zwei Männer zur Bestrafung, Sir. «Er hielt ihm sein Notizbuch hin.»Sie kennen beide.» Dumaresq verlagerte sein Gewicht auf die Fußspitzen, bis es schien, als würde sein schwerer Körper gleich die Balance verlieren. «Erledigen Sie das bis zwei Glasen, Mr. Palliser. Wir wollen es hinter uns bringen, die Leute brauchen deswegen nicht ihre Mahlzeit aufzuschieben. «Er schlenderte nach achtern und nickte dabei dem Steuermannsmaat der Wache zu wie ein Gutsherr seinem Wildhüter. Palliser schloß sein Notizbuch mit einem Knall.»Empfehlung an Mr. Timbrell, und sagen Sie ihm, er möchte eine Gräting zur Bestrafung vorbereiten. «Dann kam er auf Bolithos Seite herüber.»Nun, was gab es?» Bolitho berichtete:»Der Kommandant hat mir von seinem Heim in Norfolk erzählt, Sir.» Palliser schien irgendwie enttäuscht.»Verstehe.» «Warum trägt er eigentlich eine rote Weste, Sir?» Palliser bemerkte, daß der Wachtmeister mit dem Bootsmann zurückkam.»Ich bin überrascht, daß er Sie nicht auch in diesem Punkt ins Vertrauen gezogen hat. «Bolitho verbarg ein Lächeln, als Palliser sich entfernte. Also wußte der's offenbar auch nicht. Nach drei Jahren gemeinsamer Seefahrt war das immerhin erstaunlich. Bolitho stand neben Rhodes an der Heckreling und betrachtete das farbenfrohe Bild im Hafen und an der Pier von Funchal. Die Einheimische Boote mit seltsam geschwungenen Vor- und Achtersteven umruderten die Fregatte, und die Insassen hielten Früchte und bunte Schals, große Weinflaschen und viele andere Dinge hoch, um die Seeleute, die auf den Laufbrücken oder in den Wanten herumlungerten, zum Kauf zu animieren. Die Rhodes zeigte lächelnd auf ein Boot mit drei dunkelhaarigen Mädchen, die sich in ihre Kissen zurücklehnten und auffordernd zu den jungen Offizieren hinaufschauten. Es war klar, was sie zum Verkauf boten. Kapitän Dumaresq war an Land gegangen, kaum daß sich der Pulverqualm ihrer Salutschüsse für den portugiesischen Gouverneur verzogen hatte. Palliser gegenüber hatte er geäußert, daß er zum Gouverneur gehe, um den üblichen Höflichkeitsbesuch abzustatten: aber Rhodes sagte später:»Für einen rein gesellschaftlichen Besuch war er viel zu aufgeregt, Dick. Da lag Verschwörung in der Luft oder ähnliches.» Die Gig war mit dem Befehl zurückgekehrt, daß Lockyer, der Schreiber des Kommandanten, mit einigen Papieren aus dem Safe nachkommen solle. Jetzt stand er am Schanzkleid und machte sich mit seiner Dokumententasche wichtig, während die Fallreepsgasten einen Bootsmannsstuhl an der Nock der Großrah befestigten, mit dem sie ihn in die Gig hinunterlassen wollten. Palliser trat zu ihnen und sagte verächtlich:»Schaut euch den alten Narren an. Geht nie an Land, aber wenn doch, dann muß erst ein Fahrstuhl für ihn aufgeriggt werden, damit er nicht vom Fallreep fällt und ertrinkt.» Rhodes grinste, als es endlich gelungen war, den Schreiber ins Boot zu fieren.»Er ist offenbar der Älteste an Bord.» Über den Satz dachte Bolitho nach. Das war nämlich eine der Entdeckungen, die er gemacht hatte: Sie waren eine sehr junge Besatzung, mit nur wenigen von den älteren Leuten dazwischen, wie er sie auf den großen Linienschiffen gewohnt gewesen war. Der Sailing Master eines Linienschiffs zum Beispiel war üblicherweise schon bejahrt, wenn er solch einen verantwortungsvollen Posten erreichte; aber ihr Gulliver war noch keine dreißig. Die meisten Männer, die an den Netzen lehnten oder an Deck herumlungerten, sahen gesund aus: hauptsächlich ein Verdienst ihres Schiffsarztes, hatte Rhodes behauptet. Darin zeigte sich der Wert eines Arztes, der sich um die Leute kümmerte und wußte, wie man dem gefürchteten Skorbut und anderen Krankheiten vorbeugte, die ein ganzes Schiff lahmen konnten. Bulkley war einer der wenigen Bevorzugten, die an Land gehen durften. Der Kommandant hatte ihm befohlen, so viel frisches Obst und Fruchtsäfte einzukaufen, wie er für erforderlich hielt; Codd, der Zahlmeister, hatte ähnliche Anweisungen für alles erreichbare Gemüse. Bolitho nahm den Hut ab und ließ die Sonne sein Gesicht wärmen. Es wäre schön gewesen, Funchal zu durchstreifen und dann in einer der schattigen Tavernen auszuruhen, von denen ihm Bulkley und andere erzählt hatten. Die Gig hatte jetzt die Landungsbrücke erreicht, und einige Seesoldaten der Palliser sagte:»Wie ich sehe, ist Ihr Schatten nicht fern.» Bolitho wandte den Kopf und sah Stockdale auf dem Batteriedeck neben einem Zwölfpfünder knien. Er hörte Vallance, dem Oberfeuerwerker, aufmerksam zu und zeigte dann auf die Lafette. Bolitho sah, daß Vallance nickte und dann Stockdale anerkennend auf die Schulter klopfte. Das war ungewöhnlich. Bolitho hatte schon mitbekommen, daß Val-lance nicht gerade der umgänglichste Deckoffizier an Bord war. Er wachte eifersüchtig über seinen Bereich, der von der Pulverkammer bis zur Geschützbedienung reichte. Jetzt kam er nach achtern und tippte vor Palliser grüßend an den Hut. «Dieser neue Mann Stockdale, Sir, hat ein Problem an der Kanone gelöst, mit dem ich mich schon seit Monaten herumschlug. Es handelte sich um eine Neuerung, mit der ich bisher nicht glücklich war. «Er lächelte, was bei ihm selten vorkam.»Stockdale meint, wir könnten die Lafette so umsetzen, daß…» Palliser hob beide Hände.»Sie überraschen mich, Mr. Vallance. Aber tun Sie, was Sie für richtig halten. «Er warf Bolitho einen Blick zu.»Ihr Stockdale ist zwar ziemlich schweigsam, scheint sich aber hier an Bord wohl zu fühlen.» Bolitho bemerkte, daß Stockdale vorn Batteriedeck zu ihm heraufschaute. Als er ihm zunickte, leuchtete das zerschlagene Gesicht des Mannes im Sonnenlicht auf und warf ein Lächeln zurück. Jury, der Midshipman der Wache, rief:»Gig stößt von Land ab, Sir!» «Das ging aber schnell. «Rhodes griff nach einem Fernrohr.»Wenn der Kommandant schon zurückkommt, lasse ich am besten. «Er schnappte nach Luft und setzte schnell hinzu:»Sir, sie bringen Lok-kyer zurück!» Palliser nahm ein zweites Glas und richtete es auf die grüngestrichene Gig. Dann sagte er ruhig:»Der Schreiber ist tot. Sergeant Bar-mouth hält ihn.» Bolitho ließ sich das Teleskop von Rhodes geben. Im ersten Augenblick bemerkte er nichts Ungewöhnliches. Die schlanke Gig näherte sich schnell, die weißen Riemenblätter hoben und senkten sich in flottem Takt, denn die Männer in ihren rot-weiß-karierten Hemden und mit den geteerten Hüten legten sich kräftig ins Zeug. Als die Gig einen Bogen fuhr, um einem treibenden Baumstamm auszuweichen, sah Bolitho, daß Barmouth, der Sergeant der Seesoldaten, den spärlich behaarten Kopf des Schreibers so hielt, daß er nicht auf die Kissen des Hecksitzes fiel. Eine schreckliche Wunde lief quer über Lockyers Kehle; im Sonnenlicht hatte sie die gleiche rote Farbe wie der Waffenrock des Soldaten. Rhodes murmelte:»Ausgerechnet jetzt ist der Schiffsarzt an Land. Mein Gott, das wird eine schöne Bescherung!» Palliser schnippte mit den Fingern.»Wo ist dieser Mann, den Sie mit den anderen Neuen an Bord brachten? Dieser Apothekergehilfe, Mr. Bolitho!» Rhodes antwortete schnell:»Ich hole ihn, Sir. Er hat schon Aushilfsdienst im Krankenrevier gemacht.» Palliser sah Jury an.»Sagen Sie dem Bootsmannsmaat der Wache, er soll Leute zum Bootsheißen holen!«Er rieb sich das Kinn.»Das war kein Unfall.» Die Boote der Einheimischen machten Platz, damit die Gig an den Großrüsten anlegen konnte. Als die schlanke, unaufgeklärte Gig hochgeheißt und über die Laufbrücke eingeschwungen wurde, ging es wie ein Aufstöhnen durchs Schiff. Blut rann aus dem Boot an Deck, und Bolitho sah, wie der Apothekergehilfe mit Rhodes herbeieilte, um den leblosen Körper in Empfang zu nehmen. Der Name des Apothekergehilfen war Spillane: ein stets ordentlich gekleideter, aber verschlossener Mann, eigentlich nicht der Typ, der eine sichere Stellung an Land einem Abenteuer zuliebe oder» um Erfahrungen zu sammeln «verließ, dachte Bolitho. Aber jetzt schien er sich kompetent zu fühlen; als Bolitho sah, wie er den Matrosen Anweisungen gab, war er froh, daß sie ihn an Bord hatten. Sergeant Barmouth berichtete:»Also, Sir, ich hatte dafür gesorgt, daß der Schreiber sicher durch die Menge kam, und wollte gerade meinen Platz an der Landungsbrücke wieder einnehmen, als ich einen Schrei hörte. Gleich darauf brüllten alle durcheinander — Sie wissen ja, wie das in dieser Weltgegend üblich ist, Sir.» Palliser nickte.»Verstehe, Sergeant. Und was geschah dann?» «Ich fand Lockyer in einer Gasse, Sir. Mit durchgeschnittener Kehle. «Barmouth wurde blaß, als er seinen eigenen Vorgesetzten über das Achterdeck auf sich zukommen sah. Nun würde er alles noch einmal für Colpoys wiederholen müssen. Der Leutnant der Seesoldaten liebte es nicht — wie die meisten seiner Zunft —, wenn die Marineoffiziere sich in seine Angelegenheiten mischten, egal, wie dringend sie waren. Palliser fragte kühl:»Lockyers Tasche fehlte?«»Jawohl, Sir!» Palliser kam zu einem Entschluß.»Mr. Bolitho, nehmen Sie den Kutter, einen Midshipman und sechs Mann. Ich gebe Ihnen die Adresse, wo Sie den Kommandanten finden. Melden Sie ihm, was geschehen ist. Keine Dramatisierung, nur die Tatsachen, soweit Sie sie kennen.» Bolitho berührte kurz seinen Hut. Er war überrascht, obwohl er noch unter dem Schock des plötzlichen Todes von Lockyer stand. Also wußte Palliser doch mehr von der Mission des Kommandanten, als er bisher zugegeben hatte. Und als Bolitho den Zettel mit dem Straßennamen und einer kleinen Kartenskizze musterte, den Palliser ihm in die Hand drückte, wußte er, daß dies weder die Residenz des Gouverneurs war noch irgendein anderes offizielles Gebäude. «Nehmen Sie Mr. Jury, und suchen Sie sich selber die sechs Männer zusammen. Ich möchte aber, daß sie anständig aussehen.» Bolitho nickte Jury zu und hörte noch, wie Palliser zu Rhodes sagte:»Ich hätte Sie schicken können, aber Bolitho und Jury haben noch nagelneue Uniformen und bringen damit unser Schiff weniger in Mißkredit.» In kürzester Zeit saßen sie im Kutter und pullten zum Ufer. Bolitho war erst eine Woche auf See, aber die Zeit schien ihm viel länger, so stark war der Wechsel seiner Umgebung. Jury sagte:»Vielen Dank, daß Sie mich mitgenommen haben, Sir.» Bolitho dachte an Pallisers letzten Satz; dieser konnte es einfach nicht lassen, einen sarkastischen Hieb auszuteilen. Und doch war er es gewesen, der an Spillane gedacht und außerdem gesehen hatte, was Stockdale mit der Kanone anfing. Ein Mann mit vielen Gesichtern, dachte Bolitho. Er antwortete:»Achten Sie darauf, daß die Männer sich nachher nicht zerstreuen. «Er brach ab, als er Stockdale entdeckte, der halb von den Ruderern verdeckt — vorn im Boot saß. Irgendwie hatte er es geschafft, sich schnell in ein kariertes Hemd und eine weiße Hose zu werfen und mit einem Entermesser zu bewaffnen. Stockdale tat, als bemerke er Bolithos Verwunderung nicht. Bolitho schüttelte den Kopf.»Vergessen Sie, was ich gesagt habe. Ich glaube nicht, daß Sie Ärger mit den Leuten haben werden.» Was hatte der große Boxer gesagt?» Ich werde Sie nicht verlassen. Niemals.» Der Bootssteurer schätzte den Abstand zur Landungsbrücke, legte dann hart Ruder und befahl:»Riemen ein!» Der Kutter kam an ein paar Steinstufen zum Stehen, der Bugmann piekte den Bootshaken in einen rostigen Eisenring. Bolitho zog sein Säbelgehänge zurecht und schaute zu der neugierigen Menge auf. Sie schien freundlich gesonnen; doch wenige Meter entfernt war ein Mann ermordet worden. Er befahl:»Auf der Pier antreten!» Am Kopf der Treppe grüßte er Colpoys' Wachtposten. Die Seesoldaten machten einen recht fröhlichen Eindruck und rochen trotz ihrer strammen Haltung stark nach Alkohol. Einer von ihnen trug sogar eine Blume am Kragen. Bolitho schaute sich um und steuerte mit so viel Selbstvertrauen, wie er aufbringen konnte, auf die nächste Straße zu. Die sechs Matrosen marschierten hinter ihm her und tauschten dabei Blicke und Winke mit der auf Balkons und in Fenstern ausliegenden Weiblichkeit. Jury fragte:»Wer konnte ein Interesse daran haben, den armen Lok-kyer zu ermorden, Sir?» «Das frage ich mich auch. «Er zögerte einen Augenblick und wandte sich dann in eine enge Gasse, über der sich die Dächer der anliegenden Häuser so nahe kamen, als wollten sie den Himmel ganz ausschließen. Es duftete intensiv nach Blumen, und in einem der Häuser spielte jemand auf einem Saiteninstrument. Bolitho studierte noch einmal seinen Zettel und musterte dann ein schmiedeeisernes Tor, das auf einen Hof führte, in dessen Mitte ein Brunnen plätscherte. Sie waren da. Er sah, wie Jury mit großen Augen all die fremden Dinge betrachtete, und erinnerte sich, wie er selber einst bei ähnlicher Gelegenheit gestaunt hatte. Leise sagte er:»Sie kommen mit. «Dann hob er die Stimme.»Stockdale, Sie haben hier die Aufsicht. Niemand entfernt sich ohne meinen ausdrücklichen Befehl. Verstanden?» Stockdale nickte grimmig. Er plante sicherlich, jeden, der gegen den Befehl verstieß, zusammenzuschlagen. Ein Diener führte Bolitho in einen kühlen Raum über dem Hof, wo Dumaresq und ein älterer Herr mit weißem Spitzbart und einer Haut, die wie weiches Wildleder aussah, saßen und Wein tranken. Dumaresq stand nicht auf.»Nun, Mr. Bolitho?«Wenn er über ihr unerwartetes Kommen beunruhigt war, so verbarg er es gut.»Was gibt es?» Bolitho warf einen zweifelnden Blick auf den alten Herrn, doch Dumaresq sagte kurz:»Wir sind unter Freunden.» Bolitho erzählte, was von dem Augenblick an geschehen war, als der Schreiber das Schiff mit seiner Tasche verlassen hatte. Dumaresq stellte fest:»Sergeant Barmouth ist kein Dummkopf. Wenn die Tasche noch da gewesen wäre, hätte er sie gefunden. «Er wandte sich um und sagte etwas zu seinem Gastgeber. Dieser schien zu erschrecken, bevor er seine ursprüngliche Haltung zurückgewann. Bolitho spitzte die Ohren. Dumaresqs Gastgeber lebte zwar auf dem portugiesischen Madeira, doch der Kommandant hatte offenbar mit ihm spanisch gesprochen. Dumaresq befahl:»Gehen Sie zurück an Bord, Mr. Bolitho. Eine Empfehlung an den Ersten Offizier, und melden Sie ihm, er soll den Schiffsarzt und alle anderen Leute an Land sofort zurückrufen. Ich beabsichtige, noch vor Anbruch der Nacht Anker zu lichten.» Bolitho dachte jetzt nicht an die Schwierigkeiten, ja an das offensichtliche Risiko, den Hafen bei Dunkelheit zu verlassen. Er verstand die plötzliche Eile und die Dringlichkeit, die durch die Ermordung Lockyers ausgelöst worden war. Er machte eine Verbeugung vor dem alten Herrn und sagte:»Ein wunderschönes Haus, Sir.» Der alte Herr lächelte und ve rneigte sich leicht. Bolitho ging die Treppe hinunter, Jury immer hinter sich, und überlegte, daß sein Gastgeber offensichtlich verstand, was er über das schöne Haus gesagt hatte. Wenn Dumaresq also mit ihm spanisch und nicht englisch gesprochen hatte, dann nur, damit er und Jury ihn nicht verstanden. Er beschloß, diese Erkenntnis als einen Teil des Rätsels für sich zu behalten. Noch in derselben Nacht führte Dumaresq sein Schiff wie angekündigt wieder auf See. Bei leichtem Wind lediglich unter Marssegeln und Klüver, wand sich die Bei Tagesanbruch lag Madeira schon wie ein purpurfarbener Höcker weit achteraus am Horizont. Aber Bolitho war gar nicht sicher, daß das Geheimnis mit der Gasse hinter ihnen zurückbleiben würde, in der Lockyer seinen letzten Atemzug getan hatte. |
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