"Eine letzte Breitseite: Kommodore Bolitho im östlichen Mittelmeer" - читать интересную книгу автора (Кент Александер)

XI Der Brief

Schreiber Moffitt, den schmächtigen Oberkörper tief über den Tisch gebeugt, blickte Bolitho von unten herauf an und fragte:»Ist das alles für heute, Sir?»

«Ja, danke. «Bolitho lehnte sich in seinem Sessel zurück und lok-kertesein Halstuch.»Sagen Sie Ozzard, er soll die Lampen anzünden. «Er blickte durch die Heckfenster in den feurigen, gelbroten Sonnenuntergang.

Wieder ein langweiliger Tag. Zwei Wochen war es her, daß er sich mit seinen Schiffen nach Süden gewandt hatte; und praktisch hatten sie das Mittelmeer für sich allein. Tag um Tag segelten sie bei leichten Winden die italienische Küste entlang, und dann westwärts die dunstigen Strande Siziliens entlang. Jetzt waren sie wieder auf Ostkurs, und die Insel Sizilien lag etwa dreißig Meilen an Backbord voraus. Außer einigen arabischen Fahrzeugen mit ihren fremdartigen Lateinersegeln waren sie mit keinem Schiff in Kontakt gekommen. Sie hatten zwar ein paar Segel gesichtet, aber die waren verschwunden, ehe die langsamen Vierundsiebziger nahe genug herankommen konnten, um zu sehen, was es mit ihnen auf sich hatte.

Bolitho starrte auf die leere Tischplatte. Wozu eigentlich hatte er wieder so einen inhaltlosen Tagesbericht diktiert — bloß damit Mof-fitt etwas zu tun bekam? Unwichtiges Geschreibsel und zu nichts gut, es sei denn als eventuelles Beweismaterial bei seiner Kriegsgerichtsverhandlung.

Was machte wohl die Buzzard? Hatte sie Glück gehabt und etwas über die verschwundenen Franzosen herausbekommen? Javal segelte nicht mehr unter den Augen seines Kommodore; so empfand er vielleicht dessen Wünsche in der Entfernung als nicht mehr so dringlich und hatte sich davongemacht, um seinen eigenen Vorteil zu suchen. Doch Bolitho wußte, daß er damit Javal Unrecht tat und daß nur seine eigene Depression ihn auf solche Gedanken brachte.

Er stand auf und schritt zur Tür. Solange er sich erinnern konnte, war er gewohnt, beim Anblick des Sonnenuntergangs Frieden, ja sogar Antwort auf seine Fragen zu finden. Rasch stieg er die Leiter zum Kampanjedeck hinauf und ließ den Nordwest durch sein Hemd blasen, damit er etwas von der Hitze, der Schalheit dieses Tages fortnahm. Er ging zur Luvseite, faßte in die Webleinen und musterte den breiten Streifen aus Kupfer und Gold, der, sich mehr und mehr vertiefend, den ganzen Horizont überzog. Es war schön, ehrfurchtgebietend sogar; kein Wunder, daß ihm dieser Anblick immer noch das Herz bewegte. Er hatte die Pracht der scheidenden Sonne auf jeder Art von Schiff erlebt und auf allen Meeren, von den kalten Wasserwüsten des Atlantik bis zur üppigen Glut der Südsee.

Die Nicator, im Kielwasser der Osiris, nahm eben eine leichte Kursänderung vor; ihre Fock flatterte kurze Zeit leer und füllte sich dann wieder. Wie unbekümmert diese Schiffe wirken mußten — wenn jemand dagewesen wäre, der sie hätte vorbeisegeln sehen. Nichts deutete auf das brodelnde Leben in ihren runden Bäuchen hin oder auf die Reparaturen der Sturmschäden, die auch jetzt noch weitergingen. Wachwechsel, Segel- und Geschützexerzieren, Essen, Schlafen — das war ihre Welt. Seine Welt. Und doch, nach einem ganzen Tag dieses anstrengenden Dienstes, einem Zwillingsbruder des gestrigen und vermutlich auch des morgigen Tages, fanden diese Männer noch Zeit für allerlei Privatbeschäftigungen: Knochen- und Holzschnitzereien, verzwickte Flechtarbeiten aus Schnüren und Metallstücken — es war schwer zu begreifen, wie solche zierlichen, feingearbeiteten Gegenstände unter den verhornten Händen britischer Seeleute entstehen konnten. Schnupftabaksdosen, aus getrocknetem Salzfleisch geschnitzt und poliert, erzielten bei den jüngeren Offizieren hohe Preise. Solche Dosen waren hart und glänzend wie aus Mahagoni und zeugten nicht nur von der Handfertigkeit des Herstellers, sondern auch von seinem gesunden Magen.

«An Deck! Land in Lee voraus!»

Bolitho schritt zur Leeseite und spähte zur anderen Kimm hinüber, die schon tiefpurpurn war. Das mußte eine der kleinen Inseln vor Malta sein, vielleicht Gozo.

Unter der Kampanje hörte er einen Steuermannsmaaten schimpfen:»Du da, wie heißt du? Larssen, nicht wahr?«Eine gemurmelte Antwort, und dann dieselbe Stimme:»Ich hab's dir immer wieder gesagt! Paß auf den Kompaß auf, und wie die Segel stehen! Steh nicht da und glotz und laß das Schiff laufen, wohin es will! Jesus, du wirst niemals Steuermannsmaat werden, nicht in hundert Jahren!»

Jetzt eine andere Stimme. Bolitho erkannte das hochnäsige Säuseln von Leutnant Fitz-Clarence.»Was schimpfen Sie denn so lästerlich, Mr. Bagley?»

«Ach, nichts Besonderes«, entgegnete der Steuermannsmaat.»Bloß daß das arme alte Schiff voll lausiger Ausländer ist, denen man alles zweimal sagen muß!»

Langsam schritt Bolitho auf und ab. Bagley hatte natürlich recht. Wie viele Schiffe des Königs hatte die Lysander eine gute Portion fremder Seeleute an Bord. Schweden und Spanier, Hannoveraner und Dänen. Auch elf Neger waren dabei und ein Kanadier, der besser französisch sprach als Farquhar.

Er mußte plötzlich an den amerikanischen Kapitän denken, John Thurgood. Nicht nur er würde eine freudige Heimkehr erleben. Die Mütter und Frauen der spanischen Matrosen, die Bolitho ihm von der Segura auf seine Barkentine geschickt hatte, würden weinen und lachen vor Freude, wenn Thurgood die Männer in ihrem He i-matland absetzte.

Er blieb an der Reling stehen und sah nach achtern. Aber die Segura war von den anderen Schiffen verdeckt und nicht zu sehen. Er seufzte. Einen Teil ihrer Mannschaft hatte er auf die amerikanische Barkentine geschickt, und eines ihrer Boote hatte er irgendwelchen französischen Fischern gegeben, beides im Austausch gegen Informationen. Informationen, die er nicht nutzen konnte. Wegen des Sturmes? Oder weil er die Lage nicht erkannt und deswegen seinem Geschwader nicht voll Genüge getan hatte?

Er hörte Schritte auf der Leiter; der Midshipman der Wache kam zögernd näher.

«Ja, Mr. Glasson?»

Der Midshipman faßte an den Hut.»Mr. Fitz-Clarence läßt mit Respekt melden, Sir, daß der Ausguck in Südosten Land gesichtet hat. Der Master sagt, es wäre Malta, Sir.»

«Danke.»

Bolitho sah ihn nachdenklich an. Glasson war siebzehn und hatte nach Luces Tod den Signaldienst übernommen. Sonnst gab es keine Ähnlichkeit zwischen den beiden. Glasson hatte scharfe Züge, eine scharfe Zunge und hielt streng auf Disziplin. Er würde einen schlechten Leutnant abgeben, wenn er so lange lebte. Es war ebenso merkwürdig wie bedauerlich, wie viele von Glassons Sorte es in der Flotte gab: junge Leute, die nichts aus den scheußlichen Meutereien gelernt hatten, bei denen die Mächtigen des Achterdecks im Handumdrehen zu einer kleinen, isolierten und gefährdeten Gruppe geworden waren. Zwischen den Kriegen war die Sache mit Captain Blighs Bounty passiert; der ganzen Nation war dieser Vorfall unter die Haut gegangen. Zivilisten waren stets bereit, mit größtem Eifer über das Gut und Böse bei Vorfällen zu urteilen, an denen sie nicht beteiligt waren und die für sie weder gefährlich noch unbequem wurden. Und dann die großen Revolten in der Nore-Flotte und bei Spithead,[21] beides Folgen des jahrzehntelangen Hundelebens, das die Seeleute hatten führen müssen. Kurz bevor Bolitho seinen Kommodorestander auf der Lysander gehißt hatte und nach Gibraltar ausgelaufen war, hatte er mit Schrecken und Abscheu vernommen, was es für Konsequenzen haben konnte, wenn Männer über das Ertragbare hinaus gequält wurden. Die Fregatte Seiner Majestät Hermione hatte einen spanischen Hafen angelaufen und sich dem Feind ergeben. Ihre Offiziere waren auf scheußlichste Weise abgeschlachtet worden, und von den loyal gebliebenen Matrosen und Unteroffizieren hatten einige das gleiche Schicksal erlitten. Die Meuterer hatten ihr Schiff dem Feind im Austausch für ihre Freiheit angeboten. Bolitho wußte von der Vorgeschichte der Meuterei nicht viel mehr, als daß der Kommandant ein furchtbarer Leuteschinder gewesen war. Wenn er diesen Glasson ansah, dessen Selbstvertrauen übrigens unter dem starren Blick seines Kommodore sichtbar welkte, konnte er sich nur wundern, daß solche Lehren immer noch unbeachtet blieben.

«Was erhoffen Sie sich von der Zukunft?»

Glasson richtete sich stramm auf.»Meinem König zu dienen, Sir, und einmal ein eigenes Schiff zu kommandieren.»

«Höchst lobenswert«, sagte Bolitho trocken.»Und haben Sie aus Ihrem Dienst auf der Prise etwas gelernt?»

Der Midshipman fühlte sich etwas erleichtert.»Die Dons sind lauter Strohköpfe. Sie haben keine Ahnung, und das Fahrzeug ist ein Saustall.»

Aber Bolitho hörte kaum hin. Ihm war der Brief eingefallen, den die Segura dem französischen Agenten namens Yves Gorse hätte bringen sollen. Angenommen, der Franzose wußte nicht, auf welchem Schiff die Instruktionen aus Toulon kamen? Nachrichtenübermittlung war schwierig, und die Franzosen behandelten ihr Endziel immer noch als Geheimnis; da würde er vermutlich kaum vorherwissen, aufweiche Art ihn seine Anweisungen erreichen sollten.

«Mein Kompliment an Flaggkapitän Farquhar«, sagte er zu Glas-son,»und er möchte bitte zu mir auf die Kampanje kommen.»

Als Fraquhar fünf Minuten später erschien, schritt Bolitho auf und ab, die Hände auf dem Rücken, in tiefes Nachdenken versunken.

«Sie haben eine Idee, Sir?«tippte Farquhar an.

Bolitho blieb stehen und sah ihm ins Gesicht.»Ich glaube, die habe ich. Ich war so tief in meine Befürchtungen verstrickt, daß ich nicht sah, was auf der Hand lag.»

«Sir?»

«Ich hörte Steuermannsmaat Bagley einen Rudergänger beschimpfen, weil der ihn nicht gleich verstanden hatte.»

Farquhar zog die Brauen zusammen.»Das muß Larssen gewesen sein, Sir. Ich kann ihn ablösen lassen.»

«Nein, nein! Darum geht es nicht«, sagte Bolitho und starrte ihn immer noch an.»Und dann noch etwas, das Glasson eben über die Segura sagte.»

«Ich verstehe, Sir. «Farquhar war völlig verwirrt.»Das heißt, ich glaube zu verstehen.»

Bolitho lächelte.»Diese Segura. Wir haben sie mitgeschleppt und wußten nicht, warum. Aus Eitelkeit? Als Beweis, daß wir nicht nur Mißerfolge hatten? Mit der Zeit haben wir vergessen, daß sie überhaupt da ist.»

Farquhars Augen, die Bolitho mit tiefem Zweifel betrachteten, glommen in der sinkenden Sonne.»Aber sie ist zu langsam zum Rekognoszieren — ich dachte, darüber wären wir uns einig.»

Bolitho nickte.»Stellen Sie eine neue Prisenmannschaft zusammen und verteilen Sie die Spanier, die noch auf der Segura sind, auf das Geschwader. Suchen Sie einen geeigneten Offizier und sagen Sie ihm, die Prisenbesatzung soll so ausländisch wirken wie nur möglich.»

«Aye, Sir. «Farquhar zeigte sich nicht einmal mehr überrascht. Wahrscheinlich glaubte er, die ständige Anspannung und Verantwortung hätten Bolitho schließlich doch um den Verstand gebracht.

«Und zwar sofort! Geben Sie dem Geschwader Signal zum Beidrehen, solange noch Tageslicht ist!»

Farquhar wollte schon wegeilen, fragte aber noch:»Was soll dieser Offizier für eine Aufgabe übernehmen, Sir?»

«Aufgabe, Captain?«Er wandte sich ab, um seine aufsteigende Erregung zu verbergen.»Er soll die Segura unter falscher Flagge nach Malta segeln. Am besten unter amerikanischer. Und dort soll er für mich einen Brief abliefern.»

«An den französischen Agenten?«rief Farquhar.

«Genau. «Wieder ging er auf und ab.»Fangen Sie gleich an!»

Doch Farquhar blieb noch stehen.»Das ist aber riskant, Sir.»

«Das haben Sie mir schon mal gesagt. Und Thomas Herrick auch. Haben Sie denn nie was riskiert?»

Farquhar lächelte.»Die Matrosen werden wahrscheinlich desertieren, sobald sie in Malta sind. Und der betreffende Offizier wird gefangengenommen und gehängt werden. Die Malteser wissen nur zu gut, wie gefährlich es für sie ist, Frankreichs Mißfallen zu erregen. Früher waren sie uns freundlich gesinnt, aber jetzt sind ihnen die französische Armee und Flotte viel näher als damals«, schloß er achselzuckend.

«Stimmt. Das ist auch keine Arbeit für einen Juniorleutnant. «Jetzt ging Farquhar ein Licht auf.»Sie beabsichtigen, selbst auf der Segura mitzufahren.«»Unter allen Umständen.»

In einem hatte Midshipman Glasson recht gehabt, fand Bolitho: die Segura war nicht nur dreckig, sie stank auch nach so vielen Unerfreulichkeiten von unterschiedlichem Alter und Gehalt, daß man unter Deck von ständigem Brechreiz geplagt wurde.

Als die neue Mannschaft im Austausch gegen die Spanier herübergerudert wurde, war es stockfinster. Mit zwei tüchtigen Matrosen am Ruder und unter gerefften Segeln würde sie Segura für die Nacht sich selber überlassen.

Bolitho saß in der winzigen Kajüte und kaute an Salzfleisch und eisenhartem Schiffszwieback herum, den er mit dem Rotwein, den das Schiff reichlich geladen hatte, aufzuweichen versuchte.

Farquhar hatte Leutnant Matthew Veitch zu seiner Begleitung ausgesucht. Veitch hatte bereits bewiesen, daß er sich ebenso gut darauf verstand, ein ihm unbekanntes Schiff zu führen, wie die Achtzehnpfünder der Lysander im Ernstfall zu kommandieren. Er war Mitte Zwanzig, sah jedoch erheblich älter aus und war erfahrener, als man bei seiner Jugend glauben mochte. Er kam aus dem Norden Englands, aus Tynemouth, und wirkte durch seinen harten Akzent im Verein mit seiner meist strengen Miene viel reifer als seine Jahre. Doch sein schnell bereites Lächeln konnte diesen Ernst jederzeit wegwischen; und Bolitho hatte gemerkt, daß seine Matrosen ihn schätzten und respektierten.

Plowman, der Steuermannsmaat, war auch diesmal wieder dabei, und mit Midshipman Arthur Breen, einem rotblonden Siebzehnjährigen, in dessen Gesicht man vor lauter Sommersprossen kaum noch die Haut sah, war das Offizierskorps der Segura komplett.

Sie waren so damit beschäftigt gewesen, sich auf ihrem neuen Schiff einzurichten, daß die überschatteten Marssegel der drei Vierundsiebziger in der sich vertiefenden Dunkelheit verschwunden waren, ehe irgend jemand die Zeit gefunden hatte, etwas zu bedauern.

Bolitho blickte auf, als Veitch in die vollgestopfte Kajüte trat.»Vorsicht!»

Zu spät. Veitch krachte mit dem Kopf heftig gegen einen Decksbalken und fluchte.

Bolitho deutete auf eine Kiste.»Setzen Sie sich hin und passen Sie auf Ihren Schädel auf!«Er schob ihm die Weinflasche zu.»Ist alles belegt?»

«Aye, Sir. «Veitch warf den Kopf zurück und leerte den Blechbecher.»Ich habe Zweiwachenstropp[22] angeordnet. Da haben sie zu tun, und wir werden nicht so leicht von einer feindlichen Patrouille überrascht.»

Bolitho horchte auf die ungewohnten Geräusche des Schiffes, das Schlagen der Segel, die Bewegungen des sehr nahen Ruders. Die Segura war plump gebaut und bis ans Schandeck mit Fracht und Schießpulver vollgepackt. Ihre Besegelung war sehr knapp und mit einem Minimum an Matrosen zu bedienen. Auch das zeigte, daß sie höchstwahrscheinlich holländischer Bauart war. Mit ihrem profitablen Verhältnis von Schiffsraum zu Mannschaft hatte sie zweifellos jede Küste zwischen der Ostsee und Afrika abgeklappert. Aber sie war alt, und ihre spanischen Kapitäne hatten sie schwer vernachlässigt. Plowman hatte schon über den schlimmen Zustand des stehenden Gutes berichtet; manche Stage waren, wie er es ausdrückte,»so dünn wie eine Seemannsbörse».

Aber Plowman war eben Grubbs rechte Hand. Wie der Master, so konnte auch er unverläßliches Material nicht leiden.

Bolitho verbarg ein Lächeln. Wenn Plowman sich Sorgen machte, so war das bei den als Prisenbesatzung ausgesuchten Matrosen keineswegs der Fall; im Gegenteil. Schon als er an Bord der Lysander, bevor sie in die Boote kletterten, kurz zu ihnen gesprochen hatte, bemerkte er, wie sie einander grinsend in die Rippen stießen, weil ihnen ihre neue Rolle Spaß machte. Das sie die Langeweile loswurden, einmal von der Routine wegkamen, oder vielleicht auch die Tatsache, daß sie alle besonders ausgesucht worden waren, trug zu dieser fröhlichen, sorglosen Atmosphäre bei. Daß man sie in erster Linie ausgewählt hatte, weil sie Ausländer waren, hatten sie offenbar noch gar nicht gemerkt.

Bolitho hörte jemanden eine fremdartige Weise trällern; die Freiwache unter Deck fiel ein, und es wurde ein richtiger Chor. Auch ein ungewohnter Küchengeruch in der feuchten Luft des Zwischendecks war ein Zeichen ihrer neuen Identität.

«Die haben sich ganz gut eingerichtet«, grinste Veitch.»Das ist Larssen, der da singt, und der Koch ist ein Däne. Weiß der Himmel, was wir heute zu essen kriegen.»

Jetzt kam Plowman.»Ich habe Mr. Breen die Wache übergeben, Sir. «Erfreut nahm er einen Becher Wein entgegen.»Oh, danke,

Sir.»

Bolitho musterte ihn zufrieden. Jeder von ihnen, auch er selbst, trug einen einfachen blauen Rock; ein schäbigeres Trio wäre schwer zu finden gewesen. Typisch, wie er hoffte, für die Hunderte von Handelsschiffen, die unter jeder Flagge fuhren und jede Fracht übernahmen, an der etwas zu verdienen war.

«Morgen also laufen wir Malta an«, sagte Bolitho und sah interessiert zu, wie sich Plowman eine lange Tonpfeife mit schwarzem Tabak stopfte.»Ich bin der Kapitän, Richard Pascoe. Sie können Ihre Namen behalten. Mr. Veitch ist erster Maat, Mr. Plowman zweiter. Allday macht den Bootsmann.»

Nach kurzem Zögern schob Plowman den großen Tabaktopf über den wackligen Tisch zu Bolitho hin.»Wenn Sie mal probieren wollen, Sir? Er ist, na ja, ganz anständig.»

Bolitho nahm sich eine Pfeife aus dem Sandelholzgestell über dem kleinen Kartentisch und reichte auch Veitch eine.

«Man muß alles mal probieren, Mr. Plowman. «Dann wurde er ernst.»Ich gehe mit Allday und einer Bootsbesatzung an Land. Sie tun so, als ob Sie Vorbereitungen treffen, die Ladung zu löschen.

Aber halten Sie sich bereit, die Ankertrosse zu kappen und sofort auszulaufen, wenn etwas schiefgeht. Falls das passiert, können Sie noch zwei Nächte in Landnähe bleiben. Ich habe die Stelle auf der Karte markiert. Wenn Sie dann noch kein Signal von mir haben, müssen Sie zurück zum Geschwader, nach Syrakus. Captain Farqu-har hat entsprechende Anweisungen.»

Der Tabakrauch in der Kajüte wurde immer dicker; Bolitho sagte:»Holen Sie noch Wein aus dem Spind. Wie unsere Leute da oben fühle ich mich merkwürdig gemütlich. Heute nacht zumindest.»

Oben hörte man Schritte, und Veitch lächelte.»Der junge Breen macht allein oben Wache. Kommt sich bestimmt wie'n Fregattenkapitän vor.»

Eine angenehme Schläfrigkeit überkam Bolitho. Er dachte an Pascoe, an seine dunklen, eifrigen Augen, als er gebeten hatte, mitkommen zu dürfen. Er berührte den alten Degen, der am Tisch lehnte. Vielleicht hätte er ihn lieber auf der Lysander lassen sollen. Passierte ihm etwas, so war der Degen wahrscheinlich für immer verloren. Und auf irgendeine seltsame Weise war es ihm wichtig, daß Pascoe ihn bekam. Eines Tages.

Er sah nicht, daß Veitch dem Steuermannsmaaten zublinzelte, worauf dieser aufstand und sagte:»Ich will lieber Mr. Breen ablösen, Sir.»

Veitch nickte.»Und ich muß im Vorschiff noch nach dem Rechten sehen. «Beim Aufstehen stieß er sich wieder den Kopf.»Hol der Teufel diese geizigen Handelsreeder, Sir«, grinste er entschuldigend.»Ein Linienschiff mag ja vollgepackt sein, aber man behält doch wenigstens den Kopf auf den Schultern!»

Wieder allein, beugte sich Bolitho über die Karte und studierte sie unter der kreisenden Laterne. Er zog seinen blauen Rock aus und lockerte die Halsbinde. Der Schweiß rann ihm den Rücken hinunter. Es war heiß und stickig, und der Wein hatte seinen Durst keineswegs gelöscht.

Allday kam herein.»Ich bringe Ihnen gleich was zu essen, Sir«, sagte er und krauste die Nase.»Dieser alte Eimer stinkt wie ein Müllkasten.»

«Die Hitze macht es noch schlimmer«, erwiderte Bolitho.»Ich gehe gleich an Deck, ein bißchen frische Luft schnappen.»

«Wie Sie wollen, Sir. Ich lasse Ihnen Bescheid sagen, sobald das Essen fertig ist.»

Allday sah sich in der unordentlichen Kajüte um und zuckte die Achseln. Feucht, dreckig und stinkend war sie ja tatsächlich. Aber nach der drückenden Hitze des Tages war es hier beinahe kühl.

Dann sah er die leeren Weinflaschen und lachte in sich hinein. Die Hitze des Kommodore kam wahrscheinlich von innen.

«Gei auf die Fock!»

Bolitho beschattete die Augen und sah hinüber auf die planlos in die Gegend gebauten Bastionen, die alle Einfahrten des Hafens von La Valetta schützten. Als sie langsam näher kamen und die Sonne hinter Maltas verwitterten Mauern aufgehen sahen, wirkte der Hafen auf sie wie eine richtige Festung.

«Recht so — Kurs halten!«Breitbeinig stand der untersetzte, muskulöse Plowman neben dem Rudergänger, die Pfeife im Mund.

Bolitho wußte, daß es ihm wie den meisten anderen schwerfiel, sich nach der strengen Disziplin auf einem Kriegsschiff so locker und lässig zu geben. Aber der Eindruck, den ein Schiff beim Einlaufen in den Hafen machte, war immer der ausschlaggebende.

An Deck lungerten Matrosen herum, lehnten am Schanzkleid, deuteten auf die Gebäude an Land, manche mit echtem Interesse, andere mit übertriebener Schauspielerei.

Midshipman Breen sagte:»Ich habe viel von dieser Insel gehört, Sir; aber ich dachte nie, daß ich sie jemals zu sehen bekäme.»

Plowman grinste.»Aye. La Valetta heißt nach dem Großmeister der Malteserritter, der die Insel gegen die Türken verteidigt hat.»

«Waren Sie damals hier?«fragte Breen und glotzte den Steuermannsmaaten mit unverhohlener Ehrfurcht an.

«Kaum, Mr. Breen. Das war vor mehr als zweihundert Jahren. «Er sah Veitch an und schüttelte den Kopf.»Ob ich dabei gewesen bin, fragt er — mein Gott!»

Die vorderste Bastion glitt jetzt querab vorbei; ihre obere Brustwehr wimmelte von bunten Gestalten. Offenbar diente sie nicht nur zur Verteidigung, sondern auch als Durchfahrt. Hinter ihr öffnete sich das glitzernde Hafenbecken, um die Segura zu empfangen. Winzige Ruderboote schossen zwischen den Schiffen und der Pier hin und her wie Wasserkäfer. Ein paar Schoner ankerten hier, auch schlanke arabische Dhaus, und die Felukken mit den großen Lateinersegeln. Zwei farbenfreudige Galeassen mit vergoldetem Schnitzwerk lagen an den Steinstufen des Kais wie aus einem historischen Gemälde stammend. Als die Römer England eroberten, wären solche Schiffe nicht besonders aufgefallen, dachte Bolitho. Die Malteserritter hatten sie jahrhundertelang mit großem Erfolg benutzt, um Häfen und Schiffe der Türken zu attackieren, und hatten auf diese Weise viel dazu beigetragen, den türkischen Einfluß zu verdrängen — auf immer, wie zu hoffen stand.

Aber jetzt hatte Malta seine Rolle wieder gewechselt. Es hatte sich auf seine eigene Kraft besonnen, erhob Abgaben von den Schiffen, die den Hafen in Geschäften anliefen oder dort vor Stürmen oder Piraten Schutz suchten.

«Klar zum Ankern!»

Bolitho trat an den Fuß des Großmastes und wartete auf irgendeinen Anruf. Aber die Segura erregte wenig Interesse; er nahm daher an, daß sie nicht das erste Schiff war, das hier unter amerikanischer Flagge einlief.

Allday flüsterte grinsend:»Bei Gott, Mr. Gilchrist wird ein Jahr brauchen, bis er diese Burschen wieder auf Draht hat!»

Eben spuckte einer unbekümmert an Deck, grinste aber dann seine Kameraden etwas schafsmäßig an. Auf der Lysander hätte ihm Spucken ein Dutzend Hiebe eingebracht.

«Aufschießen!«schrie Veitch.

Bolitho nahm ein Messingteleskop und richtete es auf den längsten der steinernen Kais: Boote, bis ans Dollbord mit Früchten und Korbwaren beladen — und vermutlich auch mit Weibern. Denn christliche Sitte und Moral waren in diesen Steinmauern schon längst angekränkelt, und es hieß, selbst die Malteserritter seien mehr den weltlichen als den himmlischen Freuden zugetan.

«Ruder hart Backbord!»

Die Segura dümpelte über ihrem Schatten, die geflickten Segel bewegten sich kaum noch im Wind, und der rostige Anker klatschte ins Wasser.

«Mr. Veitch, wenn Sie diese Marketender schon längsseit kommen lassen, dann geht aber immer nur einer von den Händlern an Bord! Sonst gibt es eine riesengroße Wuling!»

Allday stellte bereits eine kleine, aber furchteinflößende Ankerwache zusammen. Jeder Mann hatte einen Entersäbel und dazu eine lange, kräftige Handspake.

«Boot aussetzen!»

Bolitho wischte sich Gesicht und Hals. Im Hafen war es noch stickiger als unter Deck.

Das erste Boot lag bereits längsseit. Händler und Ruderer priesen in vielsprachiger Konkurrenz ihre Waren an.

Veitch kam wieder nach achtern.»Alles klar, Sir. Ich habe zwei Drehgeschütze mit gehacktem Blei geladen; unter dem Vorderkastell, wo man's nicht sieht, ist ein Muskentengestell. Die Hafenbatterien sind nur auf See hinaus gerichtet; also sind wir fürs erste sicher.»

Bolitho nickte.»Festungsbauer machen oft diesen Fehler. Sie denken niemals an einen Angriff von der Landseite. Und das ist auch ganz gut so.»

«Ihr Boot wartet, Sir. «Allday trat ans Schanzkleid bei den Großwanten. Dort versuchte soeben ein kleiner, dunkelhäutiger Mann mit Turban, der sich eine Auswahl von Schmuckperlen, Flaschen und exotischen Dolchen um den Hals gehängt hatte, an Bord zu klettern.»Warte, bis zu gerufen wirst, Mustafa!«sagte Allday, setzte dem Mann die offene Hand unters Kinn und gab ihm einen Schubs, daß er rücklings ins Wasser fiel. Seine Kumpane brachen in Gelächter und fröhliches Geschrei aus; vermutlich dachten sie, der Skipper dieses Fahrzeugs sei vielleicht ein harter Mann, aber gerecht und bevorzuge keinen.

Veitch kam zu Bolitho an die Reling.»Wenn irgendein Behördenmensch an Bord kommt, Sir, soll ich versuchen zu bluffen?»

Bolitho war früher schon in Malta gewesen. Er lächelte grimmig.»Halten Sie sich an Mr. Plowman. Ich nehme an, er kennt die etwas unorthodoxen Geschäfte hier. Die Hafenbehörden werden vielleicht abwarten, ob wir löschen wollen. Aber wenn sie kommen und nach Papieren fragen, dann sagen Sie ihnen das, was wir besprochen haben: das wir die Papiere über Bord werfen mußten, weil wir von einem unbekannten Schiff gejagt wurden. In der Kajüte finden Sie einen Beutel Goldmünzen, falls Sie ein bißchen schmieren müssen.»

Plowman grinste über die Unsicherheit des Leutnants.»Du lieber Gott, Mr. Veitch! Hafenbeamte sind überall gleich; und immer mehr amerikanische Schiffe segeln ins Mittelmeer. Hier wartet ein neues Geschäft auf sie, das sie sich bestimmt nicht entgehen lassen wollen!»

Bolitho stieg über die Reling.»Und passen Sie auf die Mannschaft auf! Vielleicht gibt es auf diesen Marketenderbooten französische Spione. Es kann nicht schaden, wenn Sie unseren Leuten so etwas andeuten.»

Er kletterte in den einen Kutter, den die Segura noch hatte.

«Ablegen!»

Da sah er einen der Händler kräftig auf einen Stoß Teppiche klopfen; ein glatter runder Arm schob die Fransen beiseite. Kein Männerarm. Der richtige Handel sollte anscheinend erst losgehen, wenn der Kapitän der Segura von Bord war.

«Da oben auf der Treppe«, murmelte Allday.»Zwei Mann. Irgendwelche Offiziere.»

Doch die beiden nickten nur höflich und kümmerten sich nicht um sie, sondern beobachteten weiter das Schiff; vielleicht warteten sie auf den richtigen Moment, um an Bord zu gehen.

Auf den heißen Steinen des Kais wartete Bolitho auf Allday, der mit einem der Matrosen, dem Schweden Larssen, nachkam. Lars-sen hatte ein vergnügtes, zutrauliches Gesicht und die breitesten Schultern, die Bolitho je gesehen hatte.

«Für den Fall, daß es Ärger gibt«, kommentierte Allday. Plötzlich sah er Bolitho beunruhigt an.»Fühlen Sie sich auch wohl,

Sir?»

«Natürlich. Stellen Sie sich nicht so an«, erwiderte Bolitho und wandte sich ab.»Schicken Sie das Boot zurück. Wir wollen so wenig Aufsehen erregen wie möglich.»

Er hörte Allday mit der Bootsmannschaft sprechen und konnte sich kaum enthalten, das Hemd vom Körper abzuzupfen. Es war klatschnaß vor Schweiß, und der Kopf war ihm so merkwürdig leicht. Der Wein? Oder das Abendessen? Tief in seinem Innern jedoch nahm bereits ein anderer Gedanke Gestalt an; und er hatte große Mühe, seine aufsteigende Angst zu verbergen. Aber es war wohl unwahrscheinlich. Er biß die Zähne zusammen. Wenn doch Allday endlich mit dem Boot fertig wäre, damit er in den Schatten käme! Aber unmöglich war es nicht. Neun Jahre war es beinahe her, da hatte ihn in der Südsee das Fieber fast umgebracht. Seitdem hatte er ein paar Anfälle gehabt, aber seit etwa einem Jahr nicht mehr. Beinahe hätte er laut geflucht. Ausgerechnet jetzt durfte es nicht passieren.»Fertig, Sir«, sagte Allday.

«Gut. Wir wollen das Haus suchen und die Sache erledigen. «Er schwankte und hielt sich an Alldays Schulter fest.» Verdammt!»

Während sie sich durch eine Gasse schwatzender Händler drängten, sah Allday ihn bestürzt an.

«Der capitan?«fragte Larssen.»Nix gut?»

Allday packte ihn heftig beim Arm.»Hör zu. Aber hör gut zu. Wenn es das ist, was ich denke, dann ist er in einer Stunde vollkommen fertig. Bleib dicht bei mir und tu genau, was ich tue, verstanden?»

Hilflos hob der Schwede die Schultern.»Yessir, Mr. All-Day.»

Zum Glück war das Haus nicht weit von der Hafentreppe. Das weißgekalkte Gebäude lehnte sich, als wolle es sich stützen, an eine der Bastionen; auf dem breiten Balkon sah Bolitho ein großes Teleskop wie ein Geschütz auf die Hafenanlagen gerichtet.

Er tastete unter seinem Rock nach der Pistole, ob sie auch so lok-ker säße, daß er sie notfalls blitzschnell ziehen konnte. Es war schon ein rechtes Hazardspiel. Vielleicht wußte dieser französische Agent bereits vom Schicksal des Schiffes, dem der Brief anvertraut worden war. Das Geleit, das die Buzzard gejagt hatte und mit dem der Schoner gesegelt war, konnte Malta angelaufen, entsprechenden Bescheid gegeben und dann seinen Weg fortgesetzt haben.

Doch das hielt er immer noch für unwahrscheinlich. Wenn dieser Brief wirklich von so großer Wichtigkeit war, dann hätte ihn eine der Fregatten an Bord gehabt und ihn, wahrscheinlich bei Nacht, mit einem Boot an Land gebracht.

«Los, weiter«, sagte er kurz.»Wir müssen schnell machen.»

Das Erdgeschoß des Hauses stand voller Weinfässer und Strohballen, wohl zum Verpacken der Flaschen. Ein paar Malteser Arbeiter rollten leere Fässer über eine Rampe in den Keller hinunter, ein gelangweilter Mann in zerknittertem Hemd und senffarbener Kniehose machte Eintragungen in ein Buch, das auf einem hochgestellten Faß lag. Mißtrauisch sah er auf. »Si?»

Schwer zu sagen, was er für ein Landsmann war — er konnte ebensogut Grieche sein wie Holländer.

Bolitho sagte:»Ich spreche nur englisch. Ich bin der Skipper des amerikanischen Schiffes, das eben vor Anker gegangen ist.»

Der Mann antwortete nicht gleich, aber in seinen Augen war zu lesen, daß er alles verstanden hatte. Schließlich sagte er:»Amerikaner. Ja, verstehe.»

Bolitho räusperte sich und gab sich Mühe, mit fester Stimme zu sprechen.»Ich möchte M'sieur Gorse sprechen.»

Wieder der unbewegte Blick. Doch er gab kein Alarmzeichen, seine Leute arbeiteten weiter, ohne sich um die Besucher zu kümmern.

Endlich sagte er:»Ich weiß nicht, ob ich das arrangieren kann.»

Allday rückte ihm dicht auf den Leib und starrte ihn wütend an.»Der Käpt'n sagt, er will ihn sprechen, und damit hat sich's, Kerl! Wir sind mit diesem gottverdammten Brief nicht so weit hergekommen, daß wir noch Lust hätten, stundenlang zu warten!»

Der Mann lächelte dünn.»Ich muß vorsichtig sein. «Er sah bedeutsam zum Hafen hin.»Und Sie auch!»

Er klappte das Buch zu und winkte sie zu einer engen Steintreppe.

«Bleiben Sie mit Larssen hier, Allday«, sagte Bolitho. Sein Mund war völlig trocken, der Gaumen brannte wie heißer Sand. Abwehrend schüttelte er den Kopf.»Keine Widerrede! Wenn's jetzt noch schiefgeht, haben drei auch nicht mehr Chancen als einer. «Er versuchte, beruhigend zu lächeln.»Ich rufe Sie schon, wenn Not am Mann ist.»

Damit drehte er sich um, ging hinter dem Angestellten die Treppe hinauf und trat dann durch eine Tür in einen langen Raum, der zum Hafen hin offen war. Schiffe und Häuser schimmerten in der Sonne wie ein riesiger Gobelin.

«Ah, capitaine!«Ein weißgekleideter Mann kam vom Balkon herein.»Ich habe mir beinahe gedacht, daß Sie es sind.»

Yves Gorse war klein und rundlich. Er hatte zierliche, ruhelose Hände und wie zum Ausgleich für seine vollständige Kahlheit einen dichten schwarzen Bart.

Bolitho musterte ihn gelassen.»Ich wollte schon früher einlaufen, aber ich bin einer britischen Fregatte begegnet. Mußte meine Papiere über Bord werfen; aber dann konnte ich den Bastard in einem Sturm abschütteln.»

«Aha. «Gorse deutete mit seiner zierlichen Hand auf einen Stuhl.»Bitte nehmen Sie Platz. Sie sehen nicht wohl aus, capitaine?»

«Mir geht's gut.»

«Vielleicht. «Gorse ging zum Fenster und sah aufs Wasser hinaus.»Und wie ist Ihr Name?«»Pascoe. Ein Name aus Cornwall.»

«Das ist mir bekannt, capitaine.«Mit überraschender Leichtigkeit drehte er sich um.»Aber ein capitaine Pascoe ist mir nicht bekannt — eh?»

Bolitho zuckte die Achseln.»Bei diesem Spiel muß man lernen, einander zu vertrauen, nicht wahr?»

«Spiel?«Gorse tat ein paar Schritte durchs Zimmer.»Das ist es nie gewesen. Doch Ihr Land ist wohl noch zu jung, um die Gefahr richtig zu sehen.»

Ärgerlich entgegnete Bolitho:»Haben Sie unsere Revolution vergessen? Mir ist doch, als hätte sie ein paar Jahre vor der Ihren stattgefunden!»

«Touche«, sagte Gorse und zeigte lächelnd kleine, aber makellose Zähne.»Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Nun — dieser Brief. Kann ich ihn haben?»

Bolitho zog ihn aus der Tasche.»Sie sehen, M'sieur, ich vertraue Ihnen.»

Gorse öffnete den Brief und las, indem er ihn in einen Flecken Sonnenlicht hielt. Bolitho versuchte, nicht hinzusehen, nicht nach einem Anzeichen zu suchen, ob Gorse gemerkt hatte, daß der Brief neu versiegelt worden war. Aber Gorse schien zufrieden zu sein. Nein, erleichtert war das passendere Wort.

«Gut«, sagte er.»Vielleicht möchten Sie ein Glas Wein? Etwas

Besseres als dieses Zeug, das Sie nach — äh — wohin wollten Sie doch?»

Bolitho preßte die Finger in der Tasche zusammen, um das Zittern seiner Beine zu beherrschen. Er hatte das Gefühl, sie zitterten so stark, daß Gorse es bemerken mußte. Jetzt war der Augenblick. Versuchte er, mit irgendwelchen Spiegelfechtereien etwas aus Gorse herauszulocken, so würde der Mann sofort Bescheid wissen. Gorse war ein erfahrener Agent des Feindes. Sein Schiffsbedarfsund Weinhandel war eine in langen Jahren sorgfältig aufgebaute Tarnung. Offenbar hatte er nicht den Wunsch, nach Frankreich zurückzukehren, das er schon vor langer Zeit verlassen haben mußte. So mancher, der Kaufmann gewesen war wie er, hatte seine letzten Atemzüge getan, als er in einen blutverschmierten Korb hinunterstarrte und auf das Niedersausen des Fallbeils wartete.

Malta stand wie eine Schildwache zwischen dem westlichen und dem östlichen Mittelmeer. Gorses nachrichtendienstliche Tätigkeit würde ihm gut zustatten kommen, besonders wenn die französische Hauptflotte Toulon verließ, was sie schließlich eines Tages tun mußte.

Beiläufig erwiderte Bolitho:»Nach Korfu natürlich. Daran hat sich nichts geändert. Ich dachte, mein Freund John Thurgood wäre hier mit seiner Santa Paula vor Anker gegangen. Er wollte auch nach Korfu, wie Sie sicher wissen.»

Gorse lächelte bescheiden.»Ich weiß vieles.»

Bolitho versuchte sich etwas zu lockern und Befriedigung darüber zu empfinden, daß sein Schwindel akzeptiert wurde. Aber er fühlte sich immer schlechter; er merkte, daß sein Atem rascher ging. Allerlei Vorstellungen zuckten durch sein Hirn, wie Stücke aus einem Alptraum: die hellen, mit wehenden Palmen bestandenen Strande Tahitis und anderer ferner Inseln; Bilder von Menschen, die qualvoll am Fieber starben, und von Überlebenden, die sich zu einem erschreckten, verzweifelten Häuflein zusammendrängten.

Wie von fern hörte er sich sagen:»Und der Brief — gute Nachrichten?»

«Ja, capitaine. Die Malteser werden allerdings vielleicht anderer Ansicht sein, wenn die Zeit kommt. «Er schien besorgt:»Sie müssen sich aber wirklich ausruhen, capitaine! Sie sehen gar nicht wohl aus.»

«Fieber«, entgegnete Bolitho.»Alte Geschichte. Kommt immer wieder. «Er mußte in ganz kurzen Sätzen sprechen.»Aber deswegen — kann ich trotzdem segeln.»

«Sie haben keine Eile. Sie können bei mir…«Doch auf einmal machte er ein ganz erschrockenes Gesicht.»Oder ist es etwa — ansteckend?»

Bolitho stand auf und stützte sich auf die Stuhllehne.»Nein. Rufen Sie meine Leute. Auf dem Schiff wird mir besser.»

«Wie Sie wünschen. «Er schnippte mit den Fingern — ein Zeichen für jemanden, der draußen vor der Tür stand.

Trotz seiner Benommenheit wurde Bolitho klar, daß Gorse ein paar Männer draußen vor die Tür postiert hatte, um Bolitho umbringen zu lassen, falls er Verdacht geschöpft hätte.

«Wünschen Sie, daß ich Briefe von Ihnen mit nach Korfu nehme, M'sieur?«konnte Bolitho gerade noch fragen.

«Nein. «Gorse sah ihn besorgt an.»Meine nächsten Briefe gehen auf direkterem Weg.»

Allday und der Schwede erschienen an der Tür.»Ihr Kapitän ist krank!«rief Gorse.

Allday faßte Bolitho am Arm.»Ist schon gut, Sir. Wir bringen Sie an Bord. «Die Stufen wieder hinunter und hinaus in die gnadenlose Sonne. Sie trugen ihn mehr, als daß sie ihn stützten; undeutlich sah er, daß ein paar Malteser über die drei Seeleute grinsten, die so schwankend aus einer Weinhandlung kamen.

«Renn voraus, Larssen«, befahl Allday,»und signalisiere schon dem Boot! Und wenn du nicht am Kai bist, wenn wir kommen — ich krieg dich, ganz egal, wie lange es dauert!»

Er führte Bolitho an eine schattige Stelle. Der Schweiß lief ihm in Strömen hinab, doch zum Unterschied von vorhin war es eiskalter Schweiß. Schüttelfrost befiel ihn.

«Muß. weiter.«, keuchte er; aber es hatte keinen Zweck, die Kräfte schwanden ihm schnell.»Muß. dem Geschwader. Bescheid sagen. «Dann brach er zusammen.

Larssen kam mit vier Matrosen vom Hafen heraufgerannt und starrte Allday hilflos an.

«Los, bringt ihn zum Boot!«stieß Allday hervor, riß sich den Rock herunter und hüllte Bolitho darin ein.»Und laßt euch von keinem aufhalten!»

Die Strecke vom Kai bis zum Schiff schien endlos; die ganze Zeit hielt Allday ihn fest an sich gepreßt, starrte voller Ungeduld die festgemachten Segel der Segura an, die nicht schnell genug näherkommen wollten.

Seinetwegen konnten das Geschwader, die Franzosen, die ganze verdammte Welt zum Teufel gehen. Wenn Bolitho etwas zustieß, war ihm alles andere egal.