"Harry Potter und der Gefangene von Askaban" - читать интересную книгу автора (Rowling Joanne K.)

Snapes Groll

Keiner im Turm der Gryffindors schlief in dieser Nacht. Sie wußten, daß das Schloß erneut durchsucht wurde, und das ganze Haus wartete im Gemeinschaftsraum auf die Nachricht, daß sie Black endlich gefaßt hätten. Im Morgengrauen kehrte Professor McGonagall zurück und sagte ihnen, daß er wieder entkommen war.

Wo immer sie am nächsten Tag hinkamen, überall fielen ihnen die scharfen Sicherheitsvorkehrungen auf, Professor Flitwick brachte dem Schloßportal anhand eines großen Bildes bei, Sirius Black zu erkennen; Filch wuselte die Korridore entlang und gipste alles zu, was er finden konnte, von kleinen Rissen in der Wand bis zu Mauselöchern. Sir Cadogan hatten sie gefeuert. Sein Porträt hing wieder auf dem verlassenen Korridor im siebten Stock und die fette Dame war wieder an ihrem Platz. Man hatte sie zwar fachmännisch restauriert, doch immer noch war sie höchst nervös. Ihrer Rückkehr hatte sie nur unter der Bedingung zugestimmt, daß man ihr zusätzlichen Schutz bot. Und so wurde zu ihrer Bewachung eine Truppe bärbeißiger Sicherheitstrolle angeheuert. Diese bedrohlich wirkenden Gestalten, die jetzt auf dem Korridor Streife gingen, unterhielten sich mittels Grunzlauten und verglichen zum Zeitvertreib die Größe ihrer Schlagkeulen.

Harry fiel auf, daß die Statue der einäugigen Hexe im dritten Stock unbewacht blieb und auch ihr Buckel nicht zugegipst wurde. Offenbar hatten Fred und George Recht, wenn sie glaubten, sie – und inzwischen auch Harry, Ron und Hermine – wären die Einzigen, die von dem Einstieg zum Geheimgang wußten.

»Meinst du, wir sollten es melden?«, fragte Harry Ron.

»Black kann ihn ohnehin nicht benutzen«, sagte Ron ohne Zögern.»Er müßte im Honigtopf einbrechen, wenn er durch die Falltür will. Und die Besitzer hätten das doch längst gemerkt, oder etwa nicht?«

Harry war froh, daß Ron so dachte. Zum einen war er nicht scharf darauf zu verraten, daß er jetzt die Karte des Rumtreibers besaß. Zum andern würde er nie wieder nach Hogsmeade kommen, wenn Filch die einäugige Hexe auch noch zugipste.

Ron war über Nacht zur Berühmtheit geworden. Zum ersten Mal in seinem Leben schenkten ihm die anderen Schüler mehr Aufmerksamkeit als Harry und offensichtlich genoß er diese Erfahrung. Zwar steckten ihm die nächtlichen Ereignisse immer noch in den Knochen, doch eifrig schilderte er jedem, der es hören wollte, was geschehen war, und sparte dabei nicht mit Einzelheiten.

»… also, mitten im Schlaf hör ich plötzlich dieses Geräusch, als ob etwas zerreißt, und ich denke, ich träum, versteht ihr? Aber dann spüre ich diesen Luftzug… Ich wache auf und der Vorhang auf der einen Bettseite ist runtergerissen… ich drehe mich um… und da steht er über mir… wie ein Skelett mit langen dreckigen Haaren… er hält ein Messer in der Hand, mindestens dreißig Zentimeter lang – und er starrt mich an und ich starre zurück und dann schreie ich und er haut ab.

Warum eigentlich?«, fragte er an Harry gewandt, während sich die Mädchen aus der zweiten Klasse, die seiner unheimlichen Geschichte gelauscht hatten, tuschelnd entfernten.»Warum, ist er abgehauen?«

Auch Harry hatte sich diese Frage gestellt. Warum hatte Black, nachdem er erkannt hatte, daß er das falsche Bett erwischt hatte, Ron nicht zum Schweigen gebracht, um dann zum nächsten Bett zu gehen? Black hatte vor zwölf Jahren bewiesen, daß es ihm nichts ausmachte, unschuldige Menschen zu töten, und diesmal hatte er es mit fünf unbewaffneten jungen zu tun gehabt, von denen vier schliefen.

»Er muß gewußt haben, daß es für ihn schwierig würde, aus dem Schloß zu fliehen, nachdem du geschrien und die Leute aufgeweckt hast«, sagte Harry nachdenklich.»Er hätte das ganze Haus umbringen müssen, wenn er durch das Porträtloch zurückwollte… und dann hätte er es mit den Lehrern zu tun bekommen…«

Neville war in Schimpf und Schande gefallen. Professor McGonagall war so wütend auf ihn, daß sie ihm jeden weiteren Besuch in Hogsmeade verboten, ihm eine Strafarbeit aufgehalst und jedem untersagt hatte, ihm das Paßwort zum Turm zu sagen. Der arme Neville mußte nun jeden Abend draußen vor dem Gemeinschaftsraum warten, wo ihn die Sicherheitstrolle mißtrauisch beäugten, bis jemand kam, der ihn einließ. Keine dieser Strafen jedoch kam der nahe, die seine Großmutter für ihn in petto hatte. Zwei Tage nach Blacks Einbruch schickte sie ihm das Übelste, das ein Hogwarts-Schüler zum Frühstück auf den Tisch bekommen konnte – einen Heuler.

Die Schuleulen schwebten wie jeden Morgen mit der Post in die Große Halle. Neville verschluckte sich, als eine große Schleiereule mit einem scharlachroten Umschlag im Schnabel vor ihm landete. Harry und Ron, die gegenüber saßen, erkannten sofort, daß in diesem Brief ein Heuler steckte – ein Jahr zuvor hatte Ron einen von seiner Mutter bekommen.

»Hau lieber ab, Neville«, riet ihm Ron.

Neville ließ sich das nicht zweimal sagen. Er packte den Umschlag, hielt ihn mit ausgestrecktem Arm von sich wie eine Bombe und rannte aus der Halle, ein Anblick, bei dem der Tisch der Slytherins in tosendes Gelächter ausbrach. Sie hörten den Heuler in der Eingangshalle losgehen – die Stimme von Nevilles Großmutter, magisch verstärkt auf das Hundertfache ihrer üblichen Lautstärke, schrie und tobte, welche Schande er über die ganze Familie gebracht habe.

Harry empfand ein so tiefes Mitleid mit Neville, daß er zunächst gar nicht bemerkte, daß auch er einen Brief bekommen hatte. Hedwig beanspruchte jetzt seine Aufmerksamkeit und pickte ihm schmerzhaft aufs Handgelenk.

»Autsch! Ach – danke, Hedwig -«

Während Hedwig sich ein wenig an Nevilles Cornflakes gütlich tat, riß Harry den Umschlag auf und entfaltete den Brief.

Lieber Harry, lieber Ron, wie wär's mit einer Tasse Tee heute Nachmittag gegen sechs? Ich hol euch vom Schloß ab. Wartet in der Eingangshalle auf mich. Ihr dürft nicht alleine rausgehen.

Beste Grüße,

Hagrid

»Er will wahrscheinlich alles über Black hören!«, sagte Ron. Und so verließen Harry und Ron an diesem Nachmittag um sechs den Turm der Gryffindors, gingen' schleunigst an den Sicherheitstrollen vorbei und stiegen hinunter in die Eingangshalle.

Hagrid wartete bereits auf sie.

»Ich weiß, Hagrid!«, sagte Ron.»Du willst sicher wissen, was Samstagnacht passiert ist?«

»Das weiß ich schon alles«, sagte Hagrid, öffnete das Portal und geleitete sie nach draußen.

»Ach so«, sagte Ron ein wenig enttäuscht.

Das Erste, was sie sahen, als sie in Hagrids Hütte traten, war Seidenschnabel. Die gewaltigen Flügel an den Körper geschmiegt hatte er sich der Länge nach auf Hagrids Flickenvorleger ausgestreckt und verspeiste genüßlich einen großen Teller toter Frettchen. Harry wandte die Augen von diesem unschönen Anblick ab und sah jetzt einen kolossalen Anzug aus braunem Fellhaar und eine fürchterliche gelborangerote Krawatte an der Tür von Hagrids Kleiderschrank hängen.

»Wozu brauchst du diese Klamotten?«, fragte Harry.

»Für den Prozeß gegen Seidenschnabel vor dem Ausschuß für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe«, sagte Hagrid.»Diesen Freitag. Wir fahren zusammen runter nach London. Ich hab zwei Betten im Fahrenden Ritter gebucht…«

Harry überkamen plötzlich peinliche Gewissensbisse. Daß Seidenschnabel bald der Prozeß drohte, hatte er völlig vergessen, und nach Rons verlegener Miene zu schließen war es ihm nicht anders ergangen. Zudem hatten sie ihr Versprechen vergessen, Hagrid bei der Vorbereitung für Seidenschnabels Verteidigung zu helfen: Der Feuerblitz hatte es schlichtweg aus ihren Köpfen gelöscht.

Hagrid schenkte ihnen Tee ein und bot ihnen einen Teller Rosinenbrötchen an, doch sie lehnten dankend ab; Hagrids Kochkünste hatten sie noch gut in Erinnerung.

»Ich hab was mit euch zu besprechen«, sagte Hagrid und setzte sich mit einer für ihn ungewöhnlich ernsten Miene zwischen die beiden.

»Was denn?«, wollte Harry wissen.

»Hermine«, sagte Hagrid.

»Was ist mit ihr?«, fragte Ron.

»Geht ihr ziemlich elend, muß ich euch sagen. Sie hat mich seit Weihnachten oft besucht. Hat sich einsam gefühlt. Erst habt ihr wegen dem Feuerblitz nicht mit ihr geredet, jetzt ist es wegen ihrem Kater -«

»- hat Krätze gefressen!«, warf Ron zornig ein.

»So sind sie eben, die Kater«, fuhr Hagrid unbeirrt fort.»Sie hat ziemlich oft geheult, sag ich euch. Hat's im Moment nicht leicht. Hat sich mehr aufgehalst, als sie verkraften kann, wenn ihr mich fragt, diese ganze Lernerei tut ihr nicht gut. Hat aber trotzdem Zeit gefunden, mir mit Seidenschnabel zu helfen, alle Achtung… und hat einiges rausgefunden, was ich wirklich gut gebrauchen kann… schätze mal, er hat jetzt 'ne reelle Chance…«

»Hagrid, wir hätten dir auch helfen sollen – tut uns Leid -«, begann Harry peinlich berührt.

»Ich will euch doch nichts vorwerfen«, sagte Hagrid und tat Harrys Entschuldigung mit einer Handbewegung ab.»Du hast weiß Gott genug zu tun gehabt, Harry, ich hab dich Tag und Nacht Quidditch trainieren sehen – aber ich muß euch sagen, ich hätte gedacht, euch wär ein Freund mehr wert als Besen und Ratten. Das ist alles.«

Harry und Ron tauschten betretene Blicke.

»Sie war ganz durcheinander, unsere Hermine, als Black dich fast erstochen hat, Ron. Sie hat das Herz am richtigen Fleck, und ihr zwei redet nicht mal mit ihr -«

»Wenn dieser Kater verschwindet, red ich wieder mit ihr!«, sagte Ron zornig,»aber sie hängt immer noch an dem Vieh! Ein richtiges Raubtier, und sie will kein Wort gegen ihn hören!«

»Ach weißt du, die Menschen stellen sich manchmal ein wenig dumm, wenn's um ihre Haustiere geht«, sagte Hagrid weise. Hinter ihnen spuckte Seidenschnabel ein paar Frettchenknochen auf Hagrids Kissen.

Den Rest der Zeit sprachen sie über Quidditch und die inzwischen besseren Chancen Gryffindors, den Pokal zu gewinnen. Um neun brachte Hagrid sie zurück ins Schloß.

Im Gemeinschaftsraum drängte sich eine große Schülertraube um das Mitteilungsbrett.

»Nächstes Wochenende geht's wieder mal nach Hogsmeade!«, sagte Ron, der sich ein wenig vorgedrängelt hatte, um den neuen Zettel zu lesen.»Was meinst du?«, fügte er mit gedämpfter Stimme an Harry gewandt hinzu, während sie sich setzten.

»Naja, Filch hat sich um den Geheimgang zum Honigtopf nicht gekümmert…«, sagte Harry noch leiser.

»Harry!«, sprach eine Stimme in sein rechtes Ohr. Harry zuckte zusammen und wandte sich um. Am Tisch hinter ihnen saß Hermine und räumte eine Lücke in der Wand aus Büchern frei, die sie bisher verborgen hatte.

»Harry, wenn du noch einmal nach Hogsmeade gehst… erzähl ich Professor McGonagall von dieser Karte!«, flüsterte Hermine.

»Hörst du jemanden reden, Harry?«, knurrte Ron ohne Hermine anzusehen.

»Ron, wie kannst du ihn auch noch anstacheln? Nach dem, was Sirius Black dir fast angetan hätte! Ich mein's ernst, ich geh zu -«

»Jetzt treibst du es noch so weit, daß sie Harry von der Schule werfen!«, zischte Ron wütend.»Hast du dieses Jahr noch nicht genug Schaden angerichtet?«

Hermine öffnete den Mund, um zu antworten, doch mit einem leisen Fauchen sprang ihr Krummbein auf den Schoß. Hermine warf Ron einen besorgten Blick zu, dessen Gesicht jetzt einen merkwürdigen Ausdruck annahm. Sie packte Krummbein und ging rasch in Richtung Mädchenschlafsaal davon.

»Also, wie steht's?«, sagte Ron zu Harry, als wären sie gar nicht unterbrochen worden.»Komm schon, das letzte Mal, als du in Hogsmeade warst, hast du doch gar nichts gesehen. Du bist noch nicht mal bei Zonko gewesen!«

Harry vergewisserte sich, daß Hermine außer Hörweite war.

»Gut«, sagte er.»Aber diesmal nehm ich den Tarnumhang.«

Am Samstagmorgen packte Harry seinen Tarnumhang in die Schultasche, steckte die Karte des Rumtreibers in die Hose und ging mit den andern hinunter zum Frühstück. Hermine sah von der anderen Seite des Tisches immer wieder mißtrauisch herüber, doch er mied ihren Blick und sorgte dafür, daß sie ihn draußen in der Eingangshalle die Marmortreppe hochsteigen sah, während sich alle andern am Portal versammelten.

»Tschau!«, rief Harry Ron nach.»Wir sehen uns, wenn ihr zurück seid!«

Ron grinste und zwinkerte.

Harry rannte hoch in den dritten Stock und zog die Karte hervor. Er kauerte sich hinter der einäugigen Hexe auf den Boden und breitete sie aus. Ein kleiner Punkt bewegte sich in seine Richtung. Harry verfolgte ihn gespannt. In winziger Schrift neben dem Punkt stand»Neville Longbottom«.

Rasch zückte Harry den Zauberstab, murmelte»Dissendium«und schob seine Schultasche in die Statue, doch bevor er selbst hineinklettern konnte, kam Neville um die Ecke

»Harry! Ich hab ganz vergessen, daß du ja auch nicht nach, Hogsmeade darfst!«

»Hallo, Neville«, sagte Harry. Schnell ging er ein Paar Schritte weg von der Statue und stopfte die Karte in die Umhangtasche.»Irgendwelche Pläne?«

»Ne«, sagte Neville schulterzuckend.»Hast du Lust auf 'ne Partie Snape explodiert?«

»Ähm – nicht jetzt – ich wollte eben in die Bibliothek und diesen Vampiraufsatz für Lupin schreiben -«

»Ich komm mit!«, sagte Neville strahlend.»Ich hab noch gar nicht damit angefangen!«

»Ähm – wart mal – ja, hab ich ganz vergessen, ich hab ihn gestern Abend fertig geschrieben!«

»Toll, dann kannst du mir ja helfen!«, sagte Neville und sein Blick flehte um Beistand.»Das mit dem Knoblauch kapier ich überhaupt nicht – müssen die den essen oder was -«

Unter leisem Keuchen erstarb Nevilles Stimme. Sein Blick fiel an Harry vorbei auf den Korridor.

Es war Snape. Neville ging rasch hinter Harry in Deckung.

»Und was macht ihr beide hier?«, sagte Snape, baute sich vor ihnen auf und sah sie abwechselnd an.»Ein ungewöhnlicher Treffpunkt -«

Harry überkam gewaltige Unruhe, als Snapes flackernder Blick über die Türen zu beiden Seiten des Ganges huschte und dann an der einäugigen Hexe hängen blieb.

»Das – das ist nicht unser Treffpunkt«, sagte Harry.»Wir haben uns – einfach zufällig getroffen.«

»Tatsächlich?«, sagte Snape.»Du hast die Gewohnheit, an ausgefallenen Orten aufzutauchen, Potter, und das meist aus ganz bestimmten Gründen… Ich schlage vor, ihr zwei geht schleunigst zurück in euren Turm, dahin, wo ihr hingehört.«

Harry und Neville gingen ohne ein weiteres Wort davon. Bevor sie um die Ecke bogen, wandte sich Harry noch einmal um. Snape strich mit der Hand über den Kopf der einäugigen Hexe und untersuchte sie genau.

Bei der fetten Dame angelangt, schaffte es Harry, Neville abzuschütteln, indem er ihm das Paßwort sagte und vorschützte, seinen Vampiraufsatz in der Bibliothek vergessen zu haben. Er rannte davon. Außer Sicht der Sicherheitstrolle zog er die Karte hervor und versenkte sich in den Plan des Schlosses.

Der Korridor im dritten Stock schien wie ausgestorben. Harry suchte die Karte sorgfältig ab und stellte mit Erleichterung fest, daß der kleine Punkt namens»Severus Snape«inzwischen wieder in seinem Büro war.

Er rannte zurück zur einäugigen Hexe, öffnete ihren Buckel, schlüpfte hinein und schlitterte hinunter zu seiner Tasche am Ende der steinernen Rutsche. Er löschte die Karte des Rumtreibers und spurtete los.

Harry, unter dem Tarnumhang vollkommen verborgen, trat ins Sonnenlicht vor dem Honigtopf und klopfte Ron auf den Rücken.

»Ich bin's«, murmelte er.

»Wo hast du so lange gesteckt?«, zischte Ron.

»Snape ist herumgeschlichen…«

Sie machten sich auf den Weg die Hauptstraße entlang.

»Wo bist du?«, murmelte Ron immer wieder aus den Mundwinkeln.»Bist du noch da? Ein komisches Gefühl ist das…«

Sie gingen zum Postamt. Ron tat so, als wolle er wissen, wie viel eine Eule zu Bill nach Ägypten koste, damit sich Harry in Ruhe umsehen konnte. Die Eulen, mindestens dreihundert Tiere, saßen auf Stangen und fiepten ihm leise zu; alles war vertreten, von den großen Uhus bis zu den Käuzchen (»Zustellung nur innerorts«), die so winzig waren, daß sie auf Harrys Hand Platz gehabt hätten.

Dann besuchten sie Zonko, wo sich so viele Schüler drängelten, daß Harry sorgfältig aufpassen mußte, niemandem auf die Zehen zu treten und eine Panik auszulösen. Hier gab es Scherz- und Juxartikel, die selbst Freds und Georges wildeste Träume verblassen ließen; Harry flüsterte Ron zu, was er tun sollte, und reichte ihm unter seinem Umhang ein paar Goldmünzen. Sie verließen Zonko mit stark erleichterten Geldbeuteln, doch die Taschen berstend voll mit Stinkbomben, Schluckaufdrops, Froschlaichseife und mit je einer nasebeißenden Teetasse.

Es war ein schöner Tag mit einer leichten Brise, und keiner von beiden hatte Lust, sich irgendwo reinzusetzen. Also schlenderten sie an den Drei Besen vorbei und einen Hügel hinauf Dort oben, ein wenig abseits vom Dorf, stand das verspukteste Haus in ganz Britannien, die Heulende Hütte. Mit ihren brettervernagelten Fenstern und dem morastigen, überwucherten Garten war sie selbst bei Tageslicht ein wenig schaurig.

»Sogar die Geister von Hogwarts machen einen Bogen um die Hütte«, sagte Ron, während sie über den Zaun gelehnt zu ihr hochsahen.»Ich hab den Fast Kopflosen Nick gefragt… er meinte, hier hätte eine ziemlich rauhe Bande gelebt. Keiner kommt da rein. Fred und George haben's natürlich versucht, aber alle Eingänge sind versiegelt…«

Harry, von der Klettertour erhitzt, überlegte gerade, ob er den Umhang nicht eine Weile ablegen sollte, als sie Stimmen in der Nähe hörten. Jemand stieg auf der anderen Seite des Hügels zur Hütte empor; Sekunden später war Malfoy zu erkennen, dicht gefolgt von Crabbe und Goyle. Malfoy sprach.

»… ich erwarte jede Minute eine Eule von meinem Vater. Er mußte zum Prozeß, um ihnen von meinem Arm zu berichten… daß ich ihn drei Monate lang nicht gebrauchen konnte…«

Crabbe und Goyle glucksten.

»Ich wünschte, ich könnte dabei sein, wenn sich dieser zottige Volltrottel zu verteidigen sucht… gt;Der tut nichts Böses, ehrlich -lt;… dieser Hippogreif ist so gut wie tot -«

Da fiel Malfoys Blick auf Ron. Sein blasses Gesicht verzog sich zu einem bösartigen Grinsen.

»Was machst du denn hier, Weasley?«

Malfoy sah an Ron vorbei zu dem baufälligen Haus.

»Vermute mal, du würdest am liebsten hier wohnen, nicht wahr, Weasley? Träumst davon, ein eigenes Schlafzimmer zu haben? Hab gehört, bei euch schlafen sie alle in einem Zimmer – stimmt das?«

Harry packte Ron von hinten am Umhang, damit der sich nicht auf Malfoy stürzte.

»Überlaß ihn mir«, zischte er Ron ins Ohr.

Die Gelegenheit war einfach zu gut. Leise schlich sich Harry hinter Malfoy, Crabbe und Goyle, bückte sich und grub eine große Hand voll Schlamm aus dem Fußweg.

»Wir reden gerade über deinen Freund Hagrid«, sagte Malfoy zu Ron.»Was er wohl dem Ausschuß für die Beseitigung gefährlicher Geschöpfe erzählt? Glaubst du, er fängt an zu heulen, wenn sie seinem Hippogreif -«

Klatsch.

Malfoys Kopf ruckte nach vorn, als ihn der Schlamm von hinten traf; an seinem silberblonden Haar tropfte der Modder herunter.

»Was zum -?«

Ron bekam wabblige Knie vor Lachen und mußte sich am Zaun festhalten. Malfoy, Crabbe und Goyle torkelten im Kreis herum und stierten fassungslos in die Gegend. Mühselig wischte sich Malfoy den Dreck aus den Haaren.

»Was war das? Wer war das?«

»Spukt ganz schön hier oben«, sagte Ron, als würde er übers Wetter reden.

Crabbe und Goyle bekamen es offenbar mit der Angst zu tun. Gegen Gespenster konnten sie mit ihren überquellenden Muskelpaketen nichts ausrichten. Malfoy stierte mit irrem Blick in die menschenleere Gegend.

Harry schlich den Fußweg entlang bis zu einer besonders dreckigen Pfütze und griff sich beherzt eine Hand voll übel riechenden grünlichen Schlicks.

Flatsch.

Diesmal bekamen Crabbe und Goyle ihren Anteil. Goyle tapste wütend umher und wischte sich verzweifelt den Schlick aus den kleinen dumpfen Augen.

»Es kommt von da drüben!«, sagte Malfoy und zeigte auf eine Stelle etwa zwei Meter links von Harry, während er sich immer noch das Gesicht wischte.

Crabbe stolperte los, die langen Arme ausgestreckt wie ein Zombie. Harry duckte sich seitlich weg, hob einen Ast vom Boden und schleuderte ihn auf Crabbes Rücken. Crabbe hob vor Schreck vom Boden ab und drehte eine Pirouette in der Luft; Harry krümmte sich vor stummem Lachen. Da Ron der Einzige war, den Crabbe sehen konnte, ging er auf ihn los, doch Harry stellte ihm ein Bein – und Crabbes riesiger Plattfuß verhedderte sich im Saum von Harrys Umhang. Harry spürte ein mächtiges Zerren, dann wurde der Tarnumhang von seinem Gesicht gerissen.

Für den Bruchteil einer Sekunde starrte ihn Malfoy an.

»AAAARH!«, brüllte er und deutete auf Harrys Kopf Dann machte er auf dem Absatz kehrt und rannte mit halsbrecherischer Geschwindigkeit den Hügel hinunter, Crabbe und Goyle auf den Fersen.

Harry zog sich den Umhang wieder über den Kopf, doch nun war es passiert.

»Harry!«, sagte Ron, stolperte in seine Richtung und starrte hoffnungslos auf die Stelle, wo Harry verschwunden war,»du haust besser ab! Wenn Malfoy das erzählt – du mußt zurück ins Schloß, aber schnell -«

»Bis später«, sagte Harry, und ohne ein weiteres Wort zu verlieren rannte er den Fußweg hinunter nach Hogsmeade.

Würde Malfoy seinen eigenen Augen trauen? Würde irgend jemand Malfoy Glauben schenken? Keiner wußte von dem Tarnumhang – keiner außer Dumbledore. Harry drehte sich der Magen – wenn Malfoy die Geschichte erzählte, würde Dumbledore genau wissen, was passiert war -

Zurück in den Honigtopf, die Kellertreppe hinunter, über den steinernen Fußboden, durch die Falltür – Harry zog den Umhang aus, klemmte ihn unter den Arm und rannte ohne nachzudenken den Geheimgang entlang – Malfoy würde vor ihm zurück sein – wie lange würde er brauchen, um einen Lehrer zu finden? Er keuchte und spürte ein heftiges Stechen in der Seite, doch er rannte atemlos weiter, bis er die steinerne Rutsche erreichte. Er würde den Umhang hier lassen müssen, er wäre ein zu großer Verlust, falls Malfoy ihn bei einem Lehrer anschwärzen würde – er versteckte ihn in einer dunklen Ecke und kletterte so schnell er konnte die Rutsche hoch. Immer wieder glitten seine schwitzigen Hände an den Seiten ab. Er gelangte ins Innere des Hexenbuckels, tippte mit dem Zauberstab dagegen, streckte den Kopf ins Freie und kletterte hinaus; der Buckel schloß sich, und gerade als Harry hinter der Statue hervorgesprungen war, hörte er schnelle Schritte näher kommen.

Es war Snape. Rasch und mit wehendem schwarzem Umhang ging er auf Harry zu und baute sich vor ihm auf

»So«, sagte er.

Unterdrückte Siegesgewißheit spiegelte sich in seinem Gesicht. Harry mühte sich wie ein Unschuldslamm auszusehen, doch er war sich bewußt, daß sein Gesicht verschwitzt war und seine Hände voller Erde klebten, und er steckte sie rasch in die Taschen.

»Mitkommen, Potter«, sagte Snape.

Harry folgte ihm die Treppe hinunter. Unterwegs versuchte er die Hände an der Innenseite seines Umhangs sauber zu wischen, ohne daß Snape es bemerkte. Sie gingen die Treppen zu den Kerkern hinunter und betraten Snapes Büro.

Hier war Harry schon einmal gewesen, und auch damals hatte er in einem ziemlichen Schlamassel gesteckt. Seither hatte Snape noch ein paar weitere fürchterliche Schleimungetüme erworben, allesamt in Glasgefäßen auf Regalen hinter seinem Schreibtisch ausgestellt. Sie glitzerten im Licht des Feuers und hellten die bedrohliche Stimmung nicht gerade auf.

»Setz dich«, sagte Snape.

Harry setzte sich. Snape jedoch blieb stehen.

»Mr Malfoy war eben bei mir und hat mir eine merkwürdige Geschichte erzählt, Potter«, sagte Snape.

Harry sagte nichts.

»Er sei oben bei der Heulenden Hütte gewesen und habe dort zufällig Weasley getroffen – der offenbar allein war.«

Harry schwieg.

»Mr Malfoy behauptet, er habe sich mit Weasley unterhalten, als ihn eine ziemliche Hand voll Schlamm in den Nacken getroffen habe. Wie, glaubst du, konnte das geschehen?«

»Ich weiß nicht, Professor.«

Snapes Blick bohrte sich in Harrys Augen. Es war genau wie bei einem Hippogreif, den man anstarren mußte, und Harry versuchte angestrengt nicht zu blinzeln.

»Daraufhin hatte Mr Malfoy eine ungewöhnliche Erscheinung. Hast du eine Ahnung, was es gewesen sein könnte?«

»Nein«, sagte Harry und versuchte jetzt arglos-neugierig zu klingen.

»Es war dein Kopf, Potter. Und er schwebte in der Luft.«

Ein langes Schweigen trat ein.

»Vielleicht sollte er mal rüber zu Madam Pomfrey«, sagte Harry,»wenn er solche Dinge sieht -«

»Was hatte dein Kopf in Hogsmeade zu suchen, Potter?«, sagte Snape leise.»Dein Kopf ist in Hogsmeade verboten. Kein Teil deines Körpers darf dort sein.«

»Das weiß ich«, sagte Harry und mühte sich, auf seinem Gesicht weder Schuld noch Angst zu zeigen.»Klingt ganz so, als hätte Malfoy Halluzin…«

»Malfoy hat keine Halluzinationen«, schnarrte Snape. Er beugte sich hinunter und legte die Hände auf Harrys Armlehnen, so daß ihre Gesichter keine Handbreit voneinander entfernt waren.»Wenn dein Kopf in Hogsmeade war, dann war auch der Rest von dir dort.«

»Ich war oben in unserem Turm«, sagte Harry,»wie Sie gesagt -«

»Kann das jemand bestätigen?«

Harry antwortete nicht. Snapes schmaler Mund kräuselte sich zu einem fürchterlichen Lächeln.

»Soso«, sagte er und richtete sich auf»Alle Welt, vom Zaubereiminister abwärts, bemüht sich, den berühmten Harry Potter vor Sirius Black zu schützen. Doch der berühmte Harry Potter folgt seinem eigenen Gesetz. Sollen sich die gewöhnlichen Leute um seine Sicherheit sorgen! Der berühmte Harry Potter geht, wohin er will, ohne an die Folgen zu denken.«

Harry schwieg beharrlich. Snape wollte ihn doch nur triezen und ihm die Wahrheit entlocken. Den Gefallen würde er ihm nicht tun. Snape hatte keinen Beweis – noch nicht.

»Du bist deinem Vater ganz erstaunlich ähnlich, Potter«,sagte Snape plötzlich mit glitzernden Augen.»Auch er war über die Maßen arrogant. Ein gewisses Talent auf dem Quidditch-Feld ließ ihn glauben, er stehe über uns anderen. Ist mit Freunden und Bewunderern herumstolziert… ihr seid euch geradezu unheimlich ähnlich.«

»Mein Dad ist nicht herumstolziert«, platzte es aus Harry heraus.»Und ich auch nicht.«

»Und dein Vater hat auch nicht viel von Regeln gehalten«, fuhr Snape fort; sein schmales Gesicht war voll Heimtücke.»Regeln waren für die Normalsterblichen da, nicht für die Pokalsieger im Quidditch. Der Kopf war ihm so geschwollen -«

»Schweigen Sie!«

Plötzlich war Harry auf den Beinen. Ein Zorn, wie er ihn seit dem letzten Abend im Ligusterweg nicht mehr gespürt hatte, durchströmte ihn. Es war ihm gleich, daß sich Snapes Gesicht versteinert hatte und seine schwarzen Augen gefährlich blitzten.

»Was hast du eben gesagt, Potter?«

»Sie sollen aufhören, über meinen Vater zu reden!«, rief Harry.»Ich weiß die Wahrheit, okay? Er hat ihnen das Leben gerettet. Dumbledore hat es mir gesagt! Sie wären nicht einmal hier ohne meinen Dad!«

Snapes fahle Haut hatte die Farbe saurer Milch angenommen.

»Und hat dir der Schulleiter auch von den Umständen berichtet, unter denen dein Vater mir das Leben gerettet hat?«, flüsterte er.»Oder glaubte er, die Einzelheiten seien zu unerfreulich für die Ohren des geschätzten jungen Potter?«

Harry biß sich auf die Lippen. Er wußte nicht, was geschehen war, wollte es aber nicht zugeben – doch Snape schien die Wahrheit zu erraten.

»Es wäre mir überhaupt nicht recht, wenn du mit einer falschen Vorstellung von deinem Vater herumläufst, Potter«, und ein schreckliches Grinsen verzerrte sein Gesicht.»Hast du dir vielleicht eine glorreiche Heldentat vorgestellt? Dann muß ich dich enttäuschen – dein ach so wunderbarer Vater und seine Freunde spielten mir einen höchst amüsanten Streich, der mich umgebracht hätte, wenn dein Vater nicht im letzten Augenblick kalte Füße bekommen hätte. Das hatte überhaupt nichts mit Mut zu tun. Er rettete sein Leben ebenso wie meines. Wenn ihr Scherz gelungen wäre, hätte man sie von der Schule geworfen.«

Snape bleckte seine unregelmäßigen gelblichen Zähne.

»Leer deine Taschen aus, Potter!«, blaffte er ihn plötzlich an.

Harry rührte sich nicht. In seinen Ohren hämmerte es.

»Leer die Taschen aus oder wir gehen sofort zum Schulleiter! Zieh sie raus, Potter!«

Kalt vor Angst zog Harry langsam die Tüte mit Scherzartikeln von Zonko und die Karte des Rumtreibers hervor.

Snape griff sich Zonkos Tüte.

»Ron hat sie mir geschenkt«, sagte Harry und flehte zum Himmel, er würde Ron noch warnen können, bevor Snape ihn sah.»Er – hat sie letztes Mal aus Hogsmeade mitgebracht -«

»Ach ja? Und du trägst sie seither ständig mit dir herum? Wie ungemein rührend… und was ist das hier?«

Snape hielt die Karte in Händen. Harry versuchte mit aller Kraft, gleichmütig dreinzuschauen.

»Nur so 'n Stück Pergament«, sagte er achselzuckend.

Snape drehte es hin und her, ohne den Blick von Harry zu wenden.

»Du brauchst doch sicher kein so altes Stück Pergament?«, sagte er.»Warum – werfen wir es nicht einfach weg?«

Seine Hand näherte sich dem Feuer.

»Nein!«, sagte Harry rasch.

»Ach?«, sagte Snape mit zitternden Nasenflügeln.»Noch ein wohl behütetes Geschenk von Mr Weasley? Oder – ist es etwas ganz anderes? Ein Brief vielleicht, mit unsichtbarer Tinte? Oder – die Anleitung, wie man nach Hogsmeade kommt, ohne an den Dementoren vorbeizumüssen?«

Harry blinzelte. Snapes Augen glühten.

»Das werden wir gleich haben…«, murmelte er, zückte seinen Zauberstab und breitete die Karte auf dem Schreibtisch aus.»Enthülle dein Geheimnis!«, sagte er und berührte das Pergament mit dem Zauberstab.

Nichts geschah. Harry ballte die Hände zu Fäusten, um seine zitternden Finger zu verbergen.

»Zeige dich!«, sagte Snape und versetzte der Karte einen scharfen Hieb.

Sie blieb leer. Harry atmete tief durch, um sich zu beruhigen.

»Professor Severus Snape, Oberlehrer an dieser Schule, befiehlt dir, das Wissen, das du verbirgst, preiszugeben!«, sagte Snape und schlug die Karte mit dem Zauberstab.

Wie von unsichtbarer Hand erschienen Wörter auf der glatten Oberfläche der Karte.

»Mr Moony erweist Professor Snape die Ehre und bittet ihn, seine erstaunlich, lange Nase aus den Angelegenheiten anderer Leute herauszuhalten.«

Snape erstarrte. Auch Harry starrte wie vom Donner gerührt auf die Schrift. Doch die Karte ließ es nicht dabei bewenden. Unter der ersten Mitteilung erschien ein neuer Satz.

»Mr Krone kann Mr Moony nur beipflichten und möchte hinzufügen, daß Professor Snape ein häßlicher Schaumschläger ist.«

Das wäre alles recht komisch, dachte Harry, wenn die Lage nicht so ernst wäre. Und es kam noch schlimmer…

»Mr Tatze wünscht sein Befremden kundzutun, daß ein solcher Dummkopf jemals Professor wurde.«

Harry schloß die Augen vor Entsetzen. Als er sie wieder öffnete, hatte die Karte schon ihr letztes Wort geschrieben.

»Mr Wurmschwanz wünscht Professor Snape einen schönen Tag und rät dem Schleimbeutel, sich die Haare zu waschen.«

Harry wartete auf den großen Knall.

»Schön…«, sagte Snape gedämpft.»Wir werden der Sache auf den Grund gehen…«

Er ging hinüber zum Feuer, nahm eine Faust voll glitzerndem Puder aus einem Fäßchen auf dem Kaminsims und warf es in die Flammen.

»Lupin!«, rief Snape ins Feuer.»Ich muß Sie kurz sprechen!«

Harry starrte verblüfft ins Feuer. Eine große Gestalt erschien darin und drehte sich rasend schnell um sich selbst. Sekunden später stieg Professor Lupin aus dem Kamin und klopfte sich Asche von seinem schäbigen Umhang.

»Sie haben gerufen, Snape?«, sagte Lupin milde.

»Allerdings«, sagte Snape mit zornverzerrtem Gesicht und ging zurück zum Schreibtisch.»Ich habe eben Potter aufgefordert, seine Taschen zu leeren. Dies hier hatte er bei sich.«

Snape deutete auf das Pergament, auf dem immer noch die Worte der Herren Moony, Wurmschwanz, Tatze und Krone schimmerten. Lupins Gesicht wirkte plötzlich merkwürdig verschlossen.

»Nun?«, sagte Snape.

Lupin starrte immer noch auf die Karte. Harry hatte den Eindruck, daß er sehr rasch nachdachte.

»Nun?«, sagte Snape erneut.»Dieses Pergament steckt offensichtlich voll schwarzer Magie. Das ist angeblich Ihr Fachgebiet, Lupin. Wo, glauben Sie, hat Potter so etwas her?«

Lupin sah auf und warf Harry einen flüchtigen Blick zu. Misch dich bloß nicht ein, schien er zu bedeuten.

»Voll schwarzer Magie?«, wiederholte er sanft.»Glauben Sie wirklich, Snape? Mir kommt es nur wie ein Stück Pergament vor, das jeden beleidigt, der es liest. Kindisch, aber doch nicht gefährlich? Ich denke, Harry hat es aus dem Scherzartikelladen -«

»Tatsächlich?«, sagte Snape. Sein Kiefer mahlte vor Zorn.»Sie glauben, ein Juxladen würde ihm so etwas verkaufen? Halten Sie es nicht für wahrscheinlicher, daß er es direkt von den Herstellern hat?«

Harry begriff nicht, was Snape meinte. Lupin scheinbar auch nicht.

»Sie meinen, von Mr Wurmschwanz oder einem der andern?«, fragte er.»Harry, kennst du einen von diesen Männern?«

»Nein«, sagte Harry rasch.

»Sehen Sie, Severus?«, sagte Lupin und wandte sich erneut Snape zu.»Mir kommt es vor wie etwas, das es bei Zonko zu kaufen gibt -«

Wie gerufen kam Ron ins Büro gestürmt und konnte, völlig außer Atem, nur knapp vor Snapes Schreibtisch abbremsen. Er hatte die Hand auf die offenbar stechende Brust gepreßt und versuchte etwas zu sagen.

»Ich – habe – Harry – diese – Sachen – geschenkt«, würgte er hervor.»Hab sie… bei Zonko gekauft… schon – ewig – lange – her…«

»Gut!«, sagte Lupin, klatschte in die Hände und blickte gut gelaunt in die Runde,»das scheint mir die Sache zu klären! Severus, das hier nehme ich an mich, einverstanden?«Er faltete die Karte zusammen und steckte sie in den Umhang.»Harry, Ron, ihr kommt mit mir auf ein Wort über den Vampiraufsatz – entschuldigen Sie uns bitte, Severus -«

Sie gingen hinaus und Harry wagte es nicht, einen Blick auf Snape zu werfen. Ohne ein einziges Wort zu wechseln gingen die drei den ganzen Weg zurück zur Eingangshalle. Dann wandte sich Harry an Lupin.

»Professor, ich -«

»Ich möchte jetzt keine Erklärungen hören«, sagte Lupin kurz angebunden. Er sah sich in der leeren Eingangshalle um und dämpfte die Stimme.»Zufällig weiß ich, daß Mr Filch diese Karte vor vielen Jahren beschlagnahmt hat.«Harry und Ron rissen erstaunt die Augen auf.»Ja, ich weiß, daß es eine Karte ist«, fuhr er fort.»Ich möchte nicht wissen, wie sie in deinen Besitz gelangt ist. Allerdings bin ich erstaunt, daß du sie nicht an mich weitergegeben hast. Besonders nach dem, was beim letzten Mal geschehen ist, als ein Schüler Informationen über das Schloß herumliegen ließ. Und ich kann sie dir nicht mehr zurückgeben, Harry.«

Harry hatte nichts anderes erwartet und war auf die Erklärung so gespannt, daß er gar nicht erst widersprach.

»Warum glaubt Snape eigentlich, daß ich sie von den Herstellern habe?«

»Weil…«, Lupin zögerte,»weil die Hersteller der Karte dich sicher aus der Schule haben wollten. Das hätten sie höchst unterhaltsam gefunden.«

»Sie kennen sie?«, fragte Harry beeindruckt.

»Oberflächlich«, sagte Lupin knapp. Er sah Harry ernster an als je zuvor.

»Glaub nicht, daß ich noch einmal für dich in die Bresche springe, Harry. Ich kann dich nicht dazu zwingen, Sirius Black ernster zu nehmen. Aber ich hätte geglaubt, daß die Dinge, die du hörst, wenn die Dementoren in die Nähe kommen, dich stärker beeindruckt hätten. Deine Eltern haben ihr Leben für deines geopfert, Harry. Das ist keine schöne Art, ihnen zu danken – ihr Opfer für eine Tüte magischer Scherzartikel zu verspielen.«

Er ging davon und ließ Harry stehen, und Harry fühlte sich schlechter als je in Snapes Büro. Langsam stieg er mit Ron die Marmortreppe hoch. Als sie an der einäugigen Hexe vorbeikamen, fiel ihm der Tarnumhang ein – er war immer noch dort unten, doch er wagte es nicht, ihn zu holen.

»Es ist meine Schuld«, sagte Ron aus heiterem Himmel.»Ich hab dich angestiftet mitzukommen. Lupin hat Recht, es war dumm, wir hätten es nicht tun dürfen -«

Er verstummte; sie waren jetzt in dem Korridor, in dem die Sicherheitstrolle auf und ab marschierten, und Hermine kam auf sie zu. Nach einem Blick in ihr Gesicht war sich Harry sicher, daß sie gehört hatte, was passiert war. Sein Herz verkrampfte sich – hatte sie es Professor McGonagall erzählt?

Sie hielt vor ihnen an.»Na, willst du deine Schadenfreude genießen?«, sagte Ron gehässig.»Oder hast du uns gerade verpetzt?«

»Nein«, sagte Hermine. Sie hielt einen Brief in der Hand und ihre Lippen zitterten.»Ich dachte nur, ihr solltet es erfahren… Hagrid hat den Prozeß verloren. Sie werden Seidenschnabel hinrichten.«