"Thomas Mann. Der kleine Herr Friedemann (нем.)" - читать интересную книгу автора

dreiXig Jahre. Nun kommen vielleicht noch zehn oder auch noch zwanzig, Gott
weiX es. Sie werden still und gerXuschlos daherkommen und vorXberziehen wie
die verflossenen, und ich erwarte sie mit Seelenfrieden.' 

Im Juli desselben Jahres ereignete sich jener Wechsel in der
Bezirkskommandantur, der alle Welt in Erregung versetzte. Der beleibte,
joviale Herr, der lange Jahre hindurch diesen Posten innegehabt hatte, war
in den gesellschaftlichen Kreisen sehr beliebt gewesen, und man sah ihn
ungern scheiden. Gott weiX, infolge welches Umstandes nun ausgemacht Herr
von Rinnlingen aus der Hauptstadt hierher gelangte. Der Tausch schien
Xbrigens nicht Xbel zu sein, denn der neue Oberstleutnant, der verheiratet,
aber kinderlos war, mietete in der sXdlichen Vorstadt eine sehr gerXumige
Villa, woraus man schloss, dass er ein Haus zu machen gedachte. Jedenfalls
wurde das GerXcht, er sei ganz auXerordentlich vermXgend, auch dadurch
bestXtigt, dass er vier Dienstboten, f nf Reit- und Wagenpferde, einen
Landauer und einen leichten Jagdwagen mit sich brachte.
Die Herrschaften begannen bald nach ihrer Ankunft bei den angesehenen
Familien Besuche zu machen, upd ihr Name war in aller Munde; das
Hauptinteresse aber nahm schlechterdings nicht Herr von Rinnlingen selbst in
Atlspruch, sondern seine Gattin. Die Herren waren verblXfft und hatten
vorderhand noch kein Urteil; die Damen aber waren geradeheraus nicht
einverstanden mit dem Sein und Wesen Gerdas von Rinnlingen.
"Dass man die hauptstXdtische Luft verspXrt", XuXerte sich Frau
Rechtsanwalt HagenstrXm gesprXchsweise gegen Henriette Friedemann, "nun, das
ist natXrlich. Sie raucht, sie reitet X einverstanden! Aber ihr Benehmen ist
nicht nur frei, es ist burschikos, und auch das ist noch nicht das rechte
Wort ... Sehen Sie, sie ist durchaus nicht hXlich, man kXnnte sie sogar
hXbsch finden: und dennoch entbehrt sie jedes weiblichen Reizes, und ihrem
Blick, ihrem Lachen, ihren Bewegungen fehlt alles, was MXnner lieben. Sie
ist nicht kokett, und ich bin, Gott weiX es, die letzte, die das nicht
lobenswert fXnde; aber darf eine so junge Frau X sie ist vierundzwanzig
Jahre alt X die natXrliche anmutige Anziehungskraft ... vollkommen vermissen
lassen? Liebste, ich bin nicht zungenfertig, aber ich weiX, was ich meine.
Unsere Herren sind jetzt noch wie vor den Kopf geschlagen: Sie werden sehen,
dass sie sich nach ein paar Wochen gXnzlich degoutiert von ihr abwenden."
"Nun", sagte FrXulein Friedemann, "sie ist ja vortrefflich versorgt."
"Ja, ihr Mann!" rief Frau HagenstrXm. "Wie behandelt sie ihn? Sie
sollten es sehen! Sie werden es sehen! Ich bin die erste, die darauf
besteht, dass eine verheiratete Frau gegen das andere Geschlecht bis zu
einem gewissen Grade abweisend zu sein hat. Wie aber benimmt sie sich gegen
ihren eigenen Mann? Sie hat eine Art, ihn eiskalt anzusehen und mit einer
mitleidigen Betonung ,Lieber Freund' zu ihm zu sagen, die mich empXrt! Denn
man muss ihn dabei sehen X korrekt; stramm, ritterlich, ein prXchtig
konservierter Vierziger, ein gl nzender Offizier! Vier Jahre sind sie
verheiratet ... Liebste ..."

Der Ort, an dem es dem kleinen Herrn Friedemann zum ersten Male
vergXnnt war, Frau von Rinnlingen zu erblicken, war die HauptstraXe, an der
fast ausschlieXlich GeschXftshXuser lagen, und diese Begegnung ereignete
sich um die Mittagszeit, als er soeben von der BXrse kam, wo er ein WXrtchen