"Thomas Mann. Der kleine Herr Friedemann (нем.)" - читать интересную книгу автора

in den Nacken.
Herr Friedemann war bleich, viel bleicher als gewXhnlich, und unter dem
glattgescheitelten braunen Haar standen kleine Tropfen auf seiner Stirn.
Frau von Rinnlingen hatte von ihrem linken Arm, der auf dem roten Sammet der
BrXstung lag; den Handschuh gestreift, und diesen runden, mattweiXen Arm,
der wie die schmucklose Hand von ganz blassblauem GeXder durchzogen war, sah
er immer; das war nicht zu Xpdern.
Die Geigen sangen, die Posaunen schmetterten darein, Telramund fiel, im
Orchester herrschte allgemeiner Jubel, und der kleine Herr Friedemann saX
unbeweglich, blass und still, den Kopf tief zwischen den Schultern, einen
Zeigefinger am Munde und die andere Hand im Aufschlage seines Rockes.
WXhrend der Vorhang fiel, erhob sich Frau von Rinnlingen, um mit ihrem
Gatten die Loge zu verlassen. Herr Friedemann sah es, ohne hinzublicken,
fuhr mit seinem Taschentuch leicht Xber die Stirn, stand plXtzlich auf, ging
bis an die TXr, die auf den Korridor fXhrte, kehrte wieder um, setzte sich
an seinen Platz und verharrte dort regungslos in der Stellung, die er vorher
innegehabt hatte.
Als das Klingelzeichen erscholl und seine Nachbarn wieder eintraten,
fXhlte er, dass Frau von Rinnlingens Augen auf ihm ruhten, und ohne es zu
wollen, erhob er den Kopf nach ihr. Als ihre Blicke sich trafen, sah sie
durchaus nicht beiseite, sondern fuhr fort, ihn ohne eine Spur von
Verlegenheit aufmerksam zu betrachten, bis er selbst, bezwungen und
gedemXtigt, die Augen niederschlug. Er ward noch bleicher dabei, und ein
seltsamer, sXlich beizender Zorn stieg in ihm auf ... Die Musik begann.
Gegen Ende dieses Aufzuges geschah es, dass Frau von Rinnlingen sich
ihren FXcher entgleiten lieX und dass derselbe neben Herrn Friedemann zu
Boden fiel. Beide bXckten sich gleichzeitig, aber sie ergriff ihn selbst und
sagte mit einem LXcheln, das spXttisch war:
"Ich danke."
Ihre KXpfe waren ganz dicht beieinander gewesen, und er hatte einen
Augenblick den warmen Duft ihrer Brust atmen mXssen. Sein Gesicht war
verzerrt, sein ganzer KXrper zog sich zusammen, und sein Herz klopfte so
grXlich schwer und wuchtig, dass ihm der Atem verging. Er saX noch eine
halbe Minute, dann schob er den Sessel zurXck, stand leise auf und ging
leise hinaus.

Er ging, gefolgt von den KlXngen der Musik; Xber den Korridor, lieX
sich an der Garderobe seinen Zylinder, seinen hellen Xberzieher und seinen
Stock geben und schritt die Treppe hinab auf die StraXe.
Es war ein warmer, stiller Abend. Im Lichte der Gaslaternen standen die
grauen GiebelhXuser schweigend gegen den Himmel, an dem die Sterne hell und
milde glXnzten. Die Schritte der wenigen Menschen, die Herrn Friedemann
begegneten, hallten auf dem Trottoir. Jemand grXte ihn, aber er sah es
nicht; er hielt den Kopf tief gesenkt, und seine hohe, spitze Brust
zitterte, so schwer atmete er. Dann und wann sagte er leise vor sich hin:
"Mein Gott! Mein Gott!"
Er sah mit einem entsetzten und angstvollen Blick in sich hinein, wie
sein Empfinden, das er so sanft gepflegt, so milde und klug stets behandelt
hatte, nun emporgerissen war, aufgewirbelt, zerwXhlt ... Und plXtzlich, ganz
XberwXltigt, in einem Zustand von Schwindel, Trunkenheit, Sehnsucht und