"Stefan Zweig. Buchmendel (Букинист. На немецком языке)" - читать интересную книгу автора

Zivilgefangener bei Komorn.
Was Jakob Mendel in diesen zwei Jahren Konzentrationslager an
seelischer Schrecknis erfahren, ohne Bьcher, seine geliebten Bьcher, ohne
Geld, inmitten der gleichgьltigen, groben, meist analphabetischen Gefдhrten
dieses riesigen Menschenkotters, was er dort leidend erlebte, von seiner
obern und einzigen Bьcherwelt abgetrennt wie ein Adler mit zerschnittenen
Schwingen von seinem дtherischen Element - hierьber fehlt jede Zeugenschaft.
Aber allmдhlich weiЯ schon die von ihrer Tollheit ernьchterte Welt, daЯ von
allen Grausamkeiten und verbrecherischen Ьbergriffen dieses Krieges keine
sinnloser, ьberflьssiger und darum moralisch unentschuldbarer gewesen als
das Zusammenfangen und Einhьrden hinter Stacheldraht von ahnungslosen,
lдngst dem Dienstalter entwachsenen Zivilpersonen, die viele Jahre in dem
fremden Lande als in einer Heimat gewohnt und aus Treuglдubigkeit an das
selbst bei Tungusen und Araukanern geheiligte Gastrecht versдumt hatten,
rechtzeitig zu fliehen - ein Verbrechen an der Zivilisation, gleich sinnlos
begangen in Frankreich, Deutschland und England, auf jeder Scholle unseres
irrwitzig gewordenen Europa. Und vielleicht wдre Jakob Mendel wie hundert
andere Unschuldige in dieser Hьrde dem Wahnsinn verfallen oder an Ruhr, an
Entkrдftung, an seelischer Zerrьttung erbдrmlich zugrunde gegangen, hдtte
nicht knapp rechtzeitig ein Zufall, ein echt цsterreichischer, ihn noch
einmal in seine Welt zurьckgeholt. Es waren nдmlich mehrmals nach seinem
Verschwinden an seine Adresse Briefe von vornehmen Kunden gekommen; der Graf
Schцnberg, der ehemalige Statthalter von Steiermark, fanatischer Sammler
heraldischer Werke, der frьhere Dekan der theologischen Fakultдt Siegenfeld,
der an einem Kommentar des Augustinus arbeitete, der achtzigjдhrige
pensionierte Flottenadmiral Edler von Pisek, der noch immer an seinen
Erinnerungen herumbesserte - sie alle, seine treuen Klienten, hatten
wiederholt an Jakob Mendel ins Cafй Gluck geschrieben, und von diesen
Briefen wurden dem Verschollenen einige in das Konzentrationslager
nachgeschickt. Dort fielen sie dem zufдllig gutgesinnten Hauptmann in die
Hдnde, und der erstaunte, was fьr vornehme Bekanntschaften dieser kleine
halbblinde, schmutzige Jude habe, der, seit man ihm seine Brille zerschlagen
(er hatte kein Geld, sich eine neue zu verschaffen), wie ein Maulwurf, grau,
augenlos und stumm in einer Ecke hockte. Wer solche Freunde besaЯ, muЯte
immerhin etwas Besonderes sein. So erlaubte er Mendel, diese Briefe zu
beantworten und seine Gцnner um Fьrsprache zu bitten. Die blieb nicht aus.
Mit der leidenschaftlichen Solidaritдt aller Sammler kurbelten die Exzellenz
sowie der Dekan ihre Verbindungen krдftig an, und ihre vereinte Bьrgschaft
erreichte, daЯ Buchmendel im Jahre 1917 nach mehr als zweijдhriger
Konfinierung wieder nach Wien zurьckdurfte, freilich unter der Bedingung,
sich tдglich bei der Polizei zu melden. Aber doch, er durfte wieder in die
freie Welt, in seinen alten, kleinen, engen Mansardenraum, er konnte wieder
an seinen geliebten Bьcherauslagen vorbei und vor allem zurьck in sein Cafй
Gluck.
Diese Rьckkehr Mendels aus seiner hцllischen Unterwelt in das Cafй
Gluck konnte mir die brave Frau Sporschil aus eigener Erfahrung schildern.
"Eines Tages - Jessas, Marand Joseph, ich glaub, ich trau meine Augen nicht
- da schiebt sich die Tьr auf, Sie wissen ja, in der gewissen schiefen Art,
nur grad einen Spalt weit, wie er immer hereingekommen ist, und schon
stolpert er ins Cafй, der arme Herr Mendel. Einen zerschundenen