"Stefan Zweig. Buchmendel (Букинист. На немецком языке)" - читать интересную книгу автора

Militдrmantel voller Stopfen hat er angehabt und irgendwas am Kopf, was
vielleicht einmal ein Hut war, ein weggeworfener. Keinen Kragen hat er
angehabt, und wie der Tod hat er ausgeschaut, grau im Gesicht und grau das
Haar und so mager, daЯ es einen derbarmt hat. Aber er kommt herein, grad,
als ob nix gwesen war, er fragt nix, er sagt nix, geht hin zu dem Tisch da
und zieht den Mantel aus, aber nicht wie frьher so fix und leicht, sondern
schwer schnaufen mьssen hat er dabei. Und kein Buch hat er mitghabt wie
sonst -- er setzt sich nur hin und sagt nix, und tut nur hinstarren vor sich
mit ganz leere, ausgelaufene Augen. Erst nach und nach, wie wir ihm dann den
ganzen Pack bracht haben von die Schriften, die was fьr ihn kommen waren aus
Deutschland, da hat er wieder angfangen zu lesen. Aber er war nicht
derselbige mehr."
Nein, er war nicht derselbe, nicht das Miraculum mundi mehr, die
magische Registratur aller Bьcher: alle, die ihn damals sahen, haben mir
wehmьtig das gleiche berichtet. Irgend etwas schien rettungslos zerstцrt in
seinem sonst stillen, nur wie schlafend lesenden Blick; etwas war
zertrьmmert: der grauenhafte Blutkomet muЯte in seinem rasenden Lauf
schmetternd hineingeschlagen haben auch in den abseitigen, friedlichen, in
diesen alkyonischen Stern seiner Bьcherwelt. Seine Augen, jahrzehntelang
gewцhnt an die zarten, lautlosen, insektenfьЯigen Lettern der Schrift, sie
muЯten Furchtbares gesehen haben in jener stacheldrahtumspannten
Menschenhьrde, denn die Lider schatteten schwer ьber den einst so flinken
und ironisch funkelnden Pupillen, schlдfrig und rotrandig dдmmerten die
vordem so lebhaften Blicke unter der reparierten, mit dьnnem Bindfaden
mьhsam zusammengebundenen Brille. Und furchtbarer noch: in dem
phantastischen Kunstbau seines Gedдchtnisses muЯte irgendein Pfeiler
eingestьrzt und das ganze Gefьge in Unordnung geraten sein; denn so zart ist
ja unser Gehirn, dies aus subtilster Substanz gestaltete Schaltwerk, dies
feinmechanische Prдzisionsinstrument unseres Wissens zusammengestimmt, daЯ
ein gestautes Aderchen, ein erschьtterter Nerv, eine ermьdete Zelle, daЯ ein
solches verschobenes Molekьl schon zureicht, um die herrlich umfassendste,
die sphдrische Harmonie eines Geistes zum Verstummen zu bringen. Und in
Mendels Gedдchtnis, dieser einzigen Klaviatur des Wissens, stockten bei
seiner Rьckkunft die Tasten. Wenn ab und zu jemand um Auskunft kam, starrte
er ihn erschцpft an und verstand nicht mehr genau, er verhцrte sich und
vergaЯ, was man ihm sagte - Mendel war nicht mehr Mendel, wie die Welt nicht
mehr die Welt war. Nicht mehr wiegte ihn vцllige Versunkenheit beim Lesen
auf und nieder, sondern meist saЯ er starr, die Brille nur mechanisch gegen
das Buch gewandt, ohne daЯ man wuЯte, ob er las oder nur vor sich hin
dдmmerte. Mehrmals fiel ihm, so crzдhltedieSporschil, der Kopf schwer nieder
auf das Buch, und er schlief ein am hellichten Tag, manchmal starrte er
wieder stundenlang in das fremde stinkende Licht der Azetylenlampe, die man
ihm in jener Zeit der Kohlennot auf den Tisch gestellt. Nein, Mendel war
nicht mehr Mendel, nicht mehr ein Wunder der Welt, sondern ein mьd atmender,
nutzloser Pack Bart und Kleider, sinnlos auf dem einst pythischen Sessel
hingelastet, nicht mehr der Ruhm des Cafй Gluck, sondern eine Schande, ein
Schmierfleck, ьbelriechend, widrig anzusehen, ein unbequemer, unnцtiger
Schmarotzer.
So empfand ihn auch der neue Besitzer, namens Florian Gurtner aus Retz,
der, an Mehl- und Butterschiebungen im Hungerjahr 1919 reich geworden, dem