"Stefan Zweig. Buchmendel (Букинист. На немецком языке)" - читать интересную книгу автораeine Art Scham vor ihm und eine erneuerte Neugier zugleich.
Denn wo war er hin, was war mit ihm geschehen? Ich rief den Kellner und fragte. Nein, einen Herrn Mendel, bedaure, den kenne er nicht, ein Herr dieses Namens verkehre nicht im Cafй. Aber vielleicht wisse der Oberkellner Bescheid. Dieser schob seinen Spitzbauch schwerfдllig heran, zцgerte, dachte nach, nein, auch ihm sei ein Herr Mendel nicht bekannt. Aber ob ich vielleicht den Herrn Mandl meine, den Herrn Mandl vom Kurzwarengeschдft in der Florianigasse? Ein bitterer Geschmack kam mir auf die Lippen, Geschmack von Vergдnglichkeit: wozu lebt man, wenn der Wind hinter unserm Schuh schon die letzte Spur von uns wegtrдgt? DreiЯig Jahre, vierzig vielleicht, hatte ein Mensch in diesen paar Quadratmetern Raum geatmet, gelesen, gedacht, gesprochen, und bloЯ drei Jahre, vier Jahre muЯten hingehen, ein neuer Pharao kommen, und man wuЯte nichts mehr von Joseph, man wuЯte im Cafй Gluck nichts mehr von Jakob Mendel, dem Buchmendel! Beinahe zornig fragte ich den Oberkellner, ob ich nicht Herrn Standhartner sprechen kцnne, oder ob nicht sonst wer im Hause sei vom alten Personal? Oh, der Herr Standhartner, o mein Gott, der habe lдngst das Cafй verkauft, der sei gestorben, und der alte Oberkellner, der lebe jetzt auf seinem Gьtel bei Krems. Nein, niemand sei mehr da . . . oder doch! Ja doch - die Frau Sporschil sei noch da, die Toilettenfrau (vulgo Schokoladefrau). Aber die kцnne sich gewiЯ nicht mehr an die einzelnen Gдste erinnern. Ich dachte gleich: einen Jakob Mendel vergiЯt man nicht, und lieЯ sie mir kommen. Sie kam, die Frau Sporschil, weiЯhaarig, zerrauft, mit ein wenig wassersьchtigen Schritten aus ihren hintergrьndigen Gemдchern und rieb sich noch hastig die roten Hдnde mit einem Tuch: offenbar hatte sie gerade ihr sofort: ihr war's unbehaglich, so plцtzlich nach vorn unter die groЯen Glьhbirnen in den noblen Teil des Cafйs gerufen zu werden. So sah sie mich zunдchst miЯtrauisch an, mit einem Blick von unten herauf, einem sehr vorsichtig geduckten Blick. Was konnte ich Gutes von ihr wollen? Aber kaum daЯ ich nach Jakob Mendel fragte, starrte sie mich mit vollen, geradezu strцmenden Augen an, die Schultern fuhren ihr ruckhaft auf. "Mein Gott, der arme Herr Mendel, daЯ an den noch jemand denkt! Ja, der arme Herr Mendel" - fast weinte sie, so gerьhrt war sie, wie alte Leute es immer werden, wenn man sie an ihre Jugend, an irgendeine gute vergessene Gemeinsamkeit erinnert. Ich fragte, ob er noch lebe. "O mein Gott, der arme Herr Mendel, fьnf oder sechs Jahre, nein, sieben Jahre muЯ der schon tot sein. So a lieber, guter Mensch, und wenn ich denk, wie lang ich ihn kennt hab, mehr als fьnfundzwanzig Jahr, er war doch schon da, wie ich eintreten bin. Und eine Schand war's, wie man ihn hat sterben lassen." Sie wurde immer aufgeregter, fragte, ob ich ein Verwandter sei. Es hдtte sich ja nie jemand um ihn gekьmmert, nie jemand nach ihm erkundigt - und ob ich denn nicht wisse, was mit ihm passiert sei? Nein, ich wьЯte nichts, versicherte ich; sie solle mir erzдhlen, alles erzдhlen. Die gute Person tat scheu und geniert und wischte immer wieder an ihren nassen Hдnden. Ich begriff: ihr war es peinlich, als Toilettenfrau mit ihrer schmutzigen Schьrze und ihren zerstrubbelten weiЯen Haaren hier mitten im Kaffeehausraum zu stehen, auЯerdem blickte sie immer дngstlich nach rechts und links, ob nicht einer der Kellner zuhцre. So schlug ich ihr vor, wir wollten hinein in das Spielzimmer, an Mendels alten Platz: dort solle |
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