"Expedition zur Sonne" - читать интересную книгу автора (Clement Hal)DER TROJANISCHE PUNKTEigentlich sollte die Galaxis ein perfektes Versteck sein. Hundert Milliarden Sonnen und hunderttausend Lichtjahre bilden einen riesigen Heuhaufen, in dem man eine mikroskopisch kleine Nadel von der Größe eines Menschen oder sogar eines Planeten nur unter großen Schwierigkeiten finden dürfte. Eine Photographie der Milchstraße gibt vielleicht Aufschluß darüber, wie verwirrend es sein muß, solche Sternenmassen durchzukämmen. Das war La Roques erster Eindruck von der Galaxis, und den hatte er nicht durch Photographien gewonnen. Zugegeben, er war an interplanetarische Flüge eher gewöhnt als an interstellare. Aber man konnte sich genausogut in einem Sonnensystem verirren wie zwischen mehreren. Und als es ihm zweckmäßig erschien, für einige Zeit zu verschwinden, brauchte er nicht lange zu überlegen. Es war nicht allzu schwierig, ein Schiff zu bekommen, sogar auf legale Weise. Die Flüge zwischen den einzelnen Planeten des Sonnensystems gehörten längst zum Alltag, und Privatflüge wurden durch die üblichen Zollformalitäten kaum behindert. La Roque hatte allerdings eine Reise vor, die noch privater war, als dies normalerweise üblich war. Er erwarb ein Schiff. Das Ereignis, das seine Flucht ratsam erscheinen ließ, hatte ihn zu einem vermögenden Mann gemacht. Es war ein kleines Schiff zweiter Ordnung, ein Metallei von siebzig Fuß Länge und dreißig Fuß Breite. Das Schiff konnte sechshundert Tonnen Gewicht tragen und besaß alle Einrichtungen, die es zum interstellaren Flug mit Überlichtgeschwindigkeit befähigten. Die Konverter verbrauchten Quecksilber, konnten aber genauso auf ein anderes Metall mit niedrigem Schmelzpunkt eingestellt werden. La Roque zog es vor, in der Menge unterzutauchen, und so wählte er für seinen Abflug den stets überfüllten Flughafen Allahabad. Es war nach Mitternacht in einer warmen Julinacht, als er mit Hilfe eines Leitstrahls die Erdatmosphäre verließ. Um ein Uhr war er außerhalb des Leitstrahlbereichs, und nach einem Blick auf seinen Richtungsanzeiger ging er auf Überlichtflug. La Roque wußte nicht mehr von Astronomie als jeder andere seiner Zeitgenossen, der über eine durchschnittliche Bildung verfügte. Obwohl die Leuchtfeuer Rigel, Deneb und Kanopus von jedem Teil der Galaxis, den er mit seinem Schiff erreichen würde, gesehen werden konnten, waren sie nutzlos für ihn. Die einzige Vorrichtung, die ihm die Hoffnung auf eine eventuelle Rückkehr zur Erde ließ, bestand in der Kamera, die jeden Sekundenbruchteil den Stand der Sterne photographierte. Aber auch dieser Vorteil wurde nutzlos, wenn er durch eine Region von geringer Sternendichte kam, die keine charakteristischen Sternkonstellationen bot, an denen er sich orientieren konnte. Er war vernünftig genug, das zu erkennen, und behielt konsequent eine Richtung bei. Er war ziemlich sicher, einen bewohnbaren Planeten zu finden. Ein Stern ohne Planeten war eine Seltenheit. Welten, auf denen ähnliche Bedingungen wie auf der Erde herrschten, kamen nicht allzu oft vor, aber oft genug, so daß die Verabschiedung von Gesetzen gegen uneingeschränkte Kolonisation notwendig geworden war. Nachdem er den ersten Schritt seiner Flucht getan hatte, überdachte er die möglichen Aktivitäten des Gesetzes. Wenn er Glück hatte, würde es einen ganzen Monat dauern, bis man herausfand, warum er sich aus dem Staub gemacht hatte. Außerdem würde man sein Schiff erst in einiger Zeit vermissen, da er in Allahabad als Ziel Tau Ceti angegeben hatte. Und bis dorthin war es ziemlich weit. Es würde einen oder zwei Tage dauern, seiner tatsächlichen Flugrichtung mit Computerhilfe zu folgen, falls einem Observatorium aufgefallen war, daß er seine ursprüngliche Richtung nicht eingehalten hatte. In diesem Fall würde er wenig Zeit haben, sich zu verstecken. Jeder Kreuzer, der in ein paar Tagen die Strecke zurücklegte, zu der er einen Monat brauchte, konnte ihn einholen. Deshalb war es nötig, daß er möglichst schnell ein Versteck fand. Einen Planeten, wo er sein Schiff verbergen konnte, wo ihn kein Kreuzer aufstöbern konnte — außer, einige Bewohner des Planeten hatten etwas gegen ihn. Vielleicht fand er ganz zufällig einen geeigneten Planeten, aber die Entfernung, die er in seiner Gnadenfrist von einem Monat zurücklegen konnte, war begrenzt. Und innerhalb dieser Strecke lagen sehr wenige Sonnen. Er holte ein paar heliozentrische Karten hervor und studierte sie. Er hätte sein Ziel schon vor seinem Abflug bestimmen sollen. Und vor allem hätte er sich informieren sollen, wie er es finden konnte. Sonst hatte er seine Aktionen auch immer ganz minuziös geplant und höhnisch auf weniger vorsichtige Kollegen herabgeblickt, deren mangelnde Vorsicht sie hinter Schloß und Riegel gebracht hatte. Er verstand nicht, warum er bei seinem interstellaren Flug nicht das gleiche Prinzip angewandt hatte. Aber er hatte es eben nicht getan, und mit dieser Tatsache mußte er sich abfinden. Die Liste, die sich bei den Karten befand, erwies sich als sehr hilfreich. Bei jedem stellaren System war die Anflugroute beschrieben, ebenso war die Entfernung von anderen Systemen angegeben. Er suchte die Systeme heraus, die seiner Flugroute, wenn er geradeaus weiterflog, am nächsten lagen. Da gab es zwölf Sonnen in sieben Systemen, die nicht mehr als ein Lichtjahr von seinem Kurs entfernt lagen. Er war überrascht, daß so viele Systeme in Frage kamen. Natürlich waren die meisten Sonnen „tote“ Sterne, die nur aus allernächster Nähe auszumachen waren. Sechs davon hatten planetarische Systeme, und auf allen Planeten herrschten Temperaturen, die unter dem Gefrierpunkt von Quecksilber lagen. Das war ein unglückseliger Zufall. Es bedeutete, daß er im Schiff bleiben mußte, wenn er auf einem dieser Planeten überleben wollte, und wertvolle Energie für Wärme und Licht verbrauchen mußte. Dann sandte er unweigerlich Strahlung aus, die jedem Kreuzer auffallen mußte. Er mußte einen Platz finden, wo es innerhalb des Schiffes einigermaßen warm blieb, ohne daß er Energien einsetzen mußte. Ohne Licht konnte er auskommen, wie er glaubte. Dieses Problem hätte einen Piloten mit auch nur bescheidenen Erfahrungen kaum beunruhigt. Er hätte das Schiff in eine Umlaufbahn um einen Stern bringen können. Aber unglücklicherweise bestanden gewisse Relationen zwischen der Schwerkraft eines Sternes, dem Radius der gewünschten Umlaufbahn und der Geschwindigkeit, in der sich das Schiff befinden mußte, um in die Umlaufbahn zu geraten. Und diese Relationen kannte La Roque nicht. Wenn er es versuchte und dabei einen Fehler beging, konnte das unliebsame Folgen haben. Zum Beispiel konnte er in eine Umlaufbahn geraten, in der er von Suchschiffen entdeckt wurde. Seine Stirn über den buschigen schwarzen Brauen runzelte sich besorgt, während er durch das All raste. Der Lichtfleck in seinem Sichtfenster verblaßte, als die Sonne immer mehr nach achtern geriet. Er begann die Einsamkeit des Raumes zu fühlen, und die Erde schien in unerreichbare Fernen gerückt. Nach zwei Tagen erreichte er das erste der sieben Systeme. Sogar aus der geringen Entfernung eines halben Lichtjahrs sah er es nicht. Die Karte beschrieb es als Doppelsonnensystem, und beide Sterne waren kühl genug, daß sich in ihren Atmosphären Wolken aus festen und flüssigen Substanzen bildeten. Keine der Sonnen sandte sichtbare Strahlen aus. Das Mittel ihrer Kreisbahnen war elliptisch. Die Sonnen hatten das Periastrum vor etwa zwölf Jahren passiert. Trockene Daten. Aber sie brachten La Roque auf eine Idee. Wenn er sich dem Mittel der beiden Kreisbahnen anpaßte, konnte es ihm gelingen, in eine elliptische Umlaufbahn zu kommen. In der Nähe der toten Sterne konnte er unsichtbar bleiben… Aber noch bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, hatte er das System passiert. Blieben noch vier einzelne Sonnen. Jeder vernünftige, normale Mensch hätte nun ohne zu zögern das nächste System gewählt. Aber La Roque wählte das entfernteste, was vielleicht mit seiner Spielernatur zusammenhing. Denn es bestanden einige Zweifel, ob er das System erreichen würde, bevor ein Suchschiff in seine Nähe kam. Von seiner derzeitigen Position aus konnte er das System nicht direkt anfliegen. Seine Kenntnisse von Geometrie und Trigonometrie waren so gering, daß er sich gezwungen sah, seinen jetzigen Kurs beizubehalten, bis er an eine Stelle kam, von der aus er mit Hilfe der Heliozentrischen Karte die genaue Entfernung zu dem System feststellen konnte. Dann würde er eine bestimmte Zeitlang fliegen und sein Ziel erreichen. Die Zeit kroch dahin. Die Sterne glitten an ihm vorbei. Die meiste Zeit schlief er. Außer den Karten, einigen astrographischen und planetographischen Plänen und den Geldscheinen, die seine Flucht von der Erde verursacht hatten, hatte er nichts zu lesen. Letztere hielten seine Moral für eine Weile hoch. Der Flug auf einem Schiff zweiter Ordnung war nicht schwierig. Man mußte nur das Ziel einstellen, bevor man den Konverter einschaltete. Das Schiff kam von seinem einmal eingeschlagenen Kurs nicht ab. Das tat es nur, wenn man die Konverter ausschaltete und den Kurs neu einstellte. Tatsächlich beschrieb das Schiff einen Bogen, was auf die Energie der Ge neratoren zurückzuführen war, aber der Bogen war so weit, daß man den Flug als geradlinig betrachten konnte. Die drei Sternensysteme, die La Roque als Zufluchtsstätten abgelehnt hatte, flogen vorbei. Jedesmal war er versucht, abzubiegen und seine Flucht zu beenden, aber er bekämpfte die Versuchung. Tage wurden zu Wochen, zu drei Wochen, und der Vorsprung, den er vor dem Gesetz hatte, schmolz zusammen. Noch sieben Lichtjahre bis zu dem Versteck seiner Wahl. Endlich kam er zu der Stelle, an der er seinen Kurs ändern mußte. Er stellte alle Sichtfenster an. Der helle Stern im Rückfenster war zweifellos die Erdensonne. La Roque hielt nach Deneb Ausschau, aber Cygnus war durch eine parallaktische Variation von neun Parsek so verzerrt, daß es ihm unmöglich war, seinen Alphastern mit Sicherheit zu erkennen. Orion war erkennbar, da er sich mehr oder weniger in gerader Linie von ihm entfernt hatte. Er beschloß, sich an Rigel zu orientieren. Er schaltete die Konverter aus, schwang das Schiff herum, bis die Sonne in einem Mittelfenster erschien. Glücklicherweise war Rigel im selben Fenster zu sehen. Er kontrollierte die Steuerung, bis Rigel im richtigen Winkel zu seinem neuen Kurs stand, und schaltete die Konverter wieder ein. Er hatte noch acht Stunden und dreißig Minuten zu fliegen, bis er sein Ziel erreicht haben würde. Besorgt fragte er sich, ob die Gefahr eines Zusammenstoßes bestand. Das war nicht überraschend. Ein Flugneuling macht einen Punkt auf die Karte, wenn er seine Position bestimmen soll. Ein Pilot, der zum zweitenmal fliegt, malt einen Kreis, und der erfahrene Navigator legt seine Handfläche auf die Karte und sagt: Hier müßten wir sein. Und der Punkt, auf den sich La Roque verließ, konnte leicht in gefährlicher Nähe von Meteoren sein. Erwartungsvoll starrte er auf das vordere Sichtfenster. Eine halbe Milliarde Meilen vor ihm sollte eine rotglühende Kugel sein. Natürlich war sie nicht da. Sekundenlang war er sehr verwirrt. Offensichtlich hatte sich in seine Berechnungen ein Fehler eingeschlichen. Es mußte nicht unbedingt ein großer Fehler sein. Er hatte bereits die spektrobolometrische Kurve des Sternes erreicht und steckte jetzt die passenden Schablonen in den Sucher, stellte die Radiometer auf die Strahlungen der gesuchten Sonne ein. Keine Sonne mit einer solchen spektrobolometrischen Kurve konnte von seinen Geräten in einer größeren Entfernung als ein paar Milliarden Meilen aufgespürt werden. Natürlich war die Galaxis voller verlöschender Sterne, aber dazwischen befand sich genug leerer Raum, und da würde er wohl auch „seinen“ Stern finden. La Roque begann mit der Arbeit. Er mußte den Raum rings um sich untersuchen, alle zehn Millionen Meilen, das hieß, alle zwei Minuten anhalten, und innerhalb von zehn Sekunden konnten ihm dann seine Instrumente sagen, wo er sich jeweils befand. Er begann sich einzureden, daß das Glück gegen ihn war — nicht nur gegen seine Flucht, sondern auch gegen sein Überleben. Es war ein Fehler gewesen, etwas zu unternehmen, von dessen Gefahren und Risiken er keine Ahnung hatte. Jetzt suchte er schon seit Stunden den Raum ab, ohne genau zu wissen, wo er sich befand, wo sein ersehntes Versteck war. Seine Geduld erlahmte, und immer unwiderstehlicher wurde der Drang in ihm, seine Instrumente zu zertrümmern. Nach zwei Stunden Schlaf fühlte er sich ein wenig besser. Doch nach weiteren zehn Stunden war er nicht mehr fähig, einzuschlafen. Und dann hatte er unverdientes Glück. Einer der Radiometer reagierte nach all den Stunden blinder Suche. Seine beginnende Hysterie wich einer Welle der Erleichterung. Er änderte den Kurs, bis er im Vorderfenster mit bloßem Auge die Quelle der Strahlen, die sein Radiometer aufgespürt hatte, sehen konnte. Es war unvorteilhaft, daß er sie mit bloßem Auge sehen konnte. Andernfalls hätte er noch ein paar glückliche Minuten erlebt. Aber jetzt stieß er erbitterte Flüche aus, die einem Matrosen alle Ehre gemacht hätten. Denn er sah nicht einen einzelnen Stern, wie in der Karte eingezeichnet, sondern zwei rote Doppelsonnen. Das astrographische Beobachtungsschiff hatte offensichtlich nur beiläufig reagiert, als es fünfzig Milliarden Meilen an dem System vorbeigeflogen war und der Radiometer gezuckt hatte. Größe? Gewicht? Nebensterne? Planeten? Wen kümmerte das schon! La Roque, natürlich. Die Sterne waren kleine Rote Zwerge und standen dicht beieinander. Ihre Temperatur war so niedrig, daß sich in ihrer Atmosphäre Wolken aus festen Kohlenstoffteilchen gebildet hatten. Der größere Stern maß vielleicht hunderttausend Meilen im Durchmesser, der andere war nur ein wenig kleiner. Ihre Mittelpunkte waren etwa eine halbe Million Meilen voneinander entfernt, und ihre Kreisbahn dauerte acht Stunden. Auf beiden Sternen zeigten sich beachtliche Erhebungen. Diese Fakten hätten vielleicht einen Astronomen interessiert, der sein Leben der Erforschung Roter Zwergsterne gewidmet hat. La Roque waren sie egal. Er fragte sich, wie er in eine stabile Umlaufbahn nahe genug bei diesem System geraten konnte, um, ohne seine Energiereserven anzugreifen, dem Erfrierungstod zu entgehen. Die Bahn, die er für die eine Sonne errechnet hatte, konnte er sich jetzt natürlich aus dem Kopf schlagen. Der Gedanke, zu einem der anderen Systeme zurückzukehren, die auf der Karte als Einzelsystem eingezeichnet waren, bewegte ihn nur kurz. Die nervenaufreibende Suche hatte ihm die Energie genommen, sich noch einmal auf eine so weite Reise zu wagen. Doch dann fiel ihm etwas ein. Er hatte einmal ein Erlebnis auf Hektor gehabt, einem der Trojanischen Asteroiden. Verschiedene Umstände hatten ihn gezwungen, dort für einige Zeit zu bleiben. Ein freundlicher Mitgefangener hatte ihm einmal gesagt, wo Hektor war und warum er auch dort blieb. Er befindet sich stabil in der dritten Ecke eines gleichseitigen Dreiecks, dessen andere Punkte die Sonne und Jupiter bilden. Und obwohl er Millionen Meilen im Umkreis seines Festpunkts schwankte, zwingt ihn die Schwerkraft doch immer wieder an seinen ursprünglichen Standort zurück. La Roque blickte zu den Zwillingssonnen. Konnte sein Schiff mit ihnen den dritten Punkt eines gleichseitigen Dreiecks bilden? Und was noch wichtiger war, konnte es diesen Punkt auch halten? Es mußte einfach. Seine Instrumente zeigten die Energiekurven an, die von den Sonnen ausgingen. Auf seiner Karte las er, wie diese Kurven in Oberflächentemperaturen umgesetzt wurden. Er konnte die Entfernung zwischen den Mittelpunkten der Sonnen messen, ebenso die Entfernung seines Schiffes von diesen Mittelpunkten. Eine halbe Million Meilen von der Oberfläche eines Sternes entfernt, dessen Radius fünfzigtausend Meilen betrug und der eine Temperatur von tausend Grad ausstrahlte, mußte die Temperatur etwa dreißig Grad sein. Die Gegenwart der beiden Sterne erhöhte die Wärme zwar, aber das Schiff war isoliert. Es schien also, als sei der Trojanische Punkt der beste Platz für ihn. Er konnte ihn leicht finden. Wo die Linien, die von den Mittelpunkten der beiden Sterne in einem Winkel von sechzig Grad abgingen, zusammentrafen, an diesen Punkt mußte er sich begeben. Er veränderte seine Position, bis die beiden Sonnen auf gleicher Höhe vor ihm lagen. Da sie sich in Bewegung befanden, mußte er den Kurs immer wieder leicht ändern, als er auf sie zuflog. Bald erkannte er, daß er seine Geschwindigkeit verringern mußte, um sich der Geschwindigkeit anzupassen, mit der die Sonnen ihre Kreise zogen. Er erreichte seinen Trojanischen Punkt und drosselte die Geschwindigkeit noch mehr. Er stellte die Alarmanlage ein, die ihn vor dem Nahen eines Suchschiffs warnen sollte, und dann spürte er plötzlich die Reaktion auf all die Aufregungen der vergangenen Tage. Er schlief beinahe sofort ein. Es war unmöglich zu sagen, wie lange er geschlafen hatte. Er war geistig und seelisch erschöpft. Vielleicht hatte er stundenlang geschlafen. Es dauerte Minuten, bis das Läuten der Alarmglocke in sein Bewußtsein drang. Und als er endlich erwachte, mußte er noch einige Minuten warten, bis er die Muskeln bewegen konnte. Er ging schwankend in die kleine Kabine zur Kontrolltafel und schaltete fluchend die Alarmanlage aus. Er hatte vergessen, daß die Alarmglocke Impulse aussandte, und wußte nicht sicher, ob die Wände seines Schiffes diese Impulse abschirmen würden. Die Suchgeräte reagierten wild, die Nadeln zuckten zwischen den Positiv- und Negativgrenzen hin und her. Er wußte, daß ein Schiff zweiter Ordnung vorbeigeflogen war. Soviel konnte er an seinen Skalen ablesen. Aber er hätte ein Experte sein müssen, um den Typ des Schiffes, seine Geschwindigkeit und die Entfernung, in der es an ihm vorbeigeflogen war, zu bestimmen. Nach ein paar Minuten beruhigten sich die Nadeln. La Roque blieb vor der Kontrolltafel stehen. Er war überzeugt, daß der Zwischenfall Folgen haben würde. Und er behielt recht. Die Störungen traten nach einer halben Stunde wieder auf und dauerten vier Stunden an. Manchmal zitterten die Nadeln wie verrückt, manchmal schlugen sie mit lautem Klicken an den Endpunkten der Skalen auf. La Roque war unfähig, aus diesem Wirrwarr etwas herauszulesen. Ein Schiff zweiter Ordnung, das sich auf geradem Kurs befand, sandte nur wenige elektromagnetische Wellen von niedriger Frequenz aus. Die Wellenfront war kegelförmig, und an der Spitze des Kegels befand sich das Schiff. Durch die Beschleunigung dehnte sich der Kegel aus. Wenn ein Schiff nicht in gerader Linie flog, sondern alle paar Minuten oder Sekunden seinen Kurs änderte, wurde die Form der Wellenfront ziemlich kompliziert, die sich außerdem spiralenförmig bewegte. Die Spuren eines solchen Fluges zu verfolgen, mußte einen qualifizierten Mathematiker zur Verzweiflung treiben. Ein Amateur war von vornherein auf verlorenem Posten. Im Umkreis von Milliarden Meilen vibrierte der Raum rund um die beiden Sonnen von Wellenfronten, die einander kreuzten, und jede versetzte die Nadeln auf La Roques Suchgeräten in wildes Zittern, und jedes Zittern ließ neue Schweißbäche aus den Poren des Flüchtlings brechen. Er erkannte, daß sein eigenes Schiff ebensolche Wellenfronten hinterlassen haben mußte, die anderen Schiffen aufgefallen waren. Er fragte sich, was seine Verfolger tun würden und ob das System irgendwelche Planeten enthielt, die den Verfolgern Schwierigkeiten bereiten konnten. Er hatte nichts dergleichen gesehen, und auf der Karte war auch nichts eingezeichnet. Aber solche Planeten konnten im trüben Licht der beiden Sonnen fast unsichtbar sein, und wenn es solche Planeten gab, dann konnten sie eine Hilfe für ihn bedeuten. Sie müßten Quadratmeile um Quadratmeile abgesucht werden. Die Frage von primärer Wichtigkeit lautete: Wie lange würden die Verfolger bleiben? Sicher, wenn sie genug Geduld besaßen, würden sie warten, bis er keine Vorräte mehr hatte. Vielleicht nahmen sie an, daß er einen Unfall gehabt oder sich auf einer Station von Gesetzlosen niedergelassen hatte. Wenn er keine Strahlungen oder Wellen aussandte, gaben sie viel leicht die Suche auf. Das konnte er tun. Die Dunkelheit störte ihn nicht besonders und im Schiff war es warm genug — sogar zu warm. Offensichtlich hatte er die Heizung falsch eingestellt. Dann reagierten die Suchgeräte nicht mehr, und La Roque wartete. Er schwitzte noch immer, jetzt nicht mehr vor Angst, sondern wegen der Hitze im Schiff. Es wurde immer unerträglicher. Er entfernte seine äußere Kleidung und fühlte sich dann etwas besser. Die Zeit kroch dahin. Er hatte nichts weiter zu tun, als sein eigenes Unbehagen zu fühlen, das sich ständig steigerte. Er verfluchte die Konstrukteure des Schiffes, die seine Einrichtung so kompliziert gestaltet hatten, daß ein normaler Mensch nicht damit umgehen konnte, die Männer, die die Meßgeräte erfunden hatten, mit deren Hilfe er die Temperatur unter Berücksichtigung der Entfernung der beiden Sonnen eingestellt hatte. Seine eigenen Rechenkünste zu verfluchen, darauf kam er nicht. Schon war er beinahe entschlossen, etwas weiter weg von den Sonnen zu fliegen, als ein Zittern der Zeiger der Suchgeräte ihn rasch zur Änderung seines Entschlusses bewog. Er wartete und schwitzte. Und die Temperatur stieg. Als er es schließlich aufgab, betrug die Temperatur hundertfünfzig Grad Fahrenheit. Noch dazu hatte die Klimaanlage zu arbeiten aufgehört, wie die anderen Geräte, die er abgeschaltet hatte, um möglichst wenig Strahlungen zu erzeugen. Die Luft im Schiff war verbraucht. Wenn man das alles in Betracht zog, dann hielt er es ohnehin verhältnismäßig gut aus. Aber langsam ließ seine Willenskraft nach. Auf schwachen Beinen ging er zum Schaltbrett und stellte die Sehfenster ein. Die Energie zu fluchen, fehlte ihm. Sekundenlang konnte er nur in starrem Schreck auf die Sehfenster starren — und erkennen, wie falsch wieder einmal seine Annahmen gewesen waren. Mit der Heizung war alles in Ordnung. Aber eine der Son nen — er wußte nicht, welche — füllte das vordere Sichtfenster fast vollständig aus, mit rußigem Purpurrot. Er mußte sich etwa dreißig- oder vierzigtausend Meilen von ihrer Oberfläche entfernt befinden. Seine Hand zuckte zu einem der Schalter, aber sofort zuckte sie wieder zurück. Mit diesem Schalter würde er das Schiff nur geradewegs in das Inferno, das ihm das Vorderfenster zeigte, hineintreiben. Er mußte das Schiff wenden. Er stellte die Steuerung ein, und es war ihm gleichgültig, welche Wellen er damit aussandte. Die Kontrollknöpfe waren glühend heiß, als er sie berührte. Der Geruch verbrannten Öles drang ihm in die Nase, als die Gyroskope sich drehten. Das Schiff erzitterte. Angespannt beobachtete er, wie es wendete. Seine Hand lag bebend auf dem Schaltbrett. Aber das rote Glühen auf dem Vorderfenster wich nur kurz dem friedlichen Schwarz des Raumes. Das Schiff begann um seine Längsachse zu rotieren. Verzweifelt drückte er auf die Knöpfe, die anderen Gyroskope setzten ein, aber das Schiff änderte die Position seiner Längsachse nur um etwa dreißig Grad und drehte sich weiter. Er wurde quer durch den Kontrollraum gewirbelt, prallte an die gegenüberliegende Wand. Er schrie auf, als er das heiße Metall spürte. Wieder schoß sein Körper quer durch den Raum, schlug abermals gegen eine Wand. La Roque versuchte, sich zum Schaltbrett zu kämpfen, seine Brandwunden zu ignorieren. Da versagte die Isolation des Schiffes. Die Wassertanks, die sich außen am Rumpf entlangzogen, enthielten nur noch heißen Dampf und konnten dem Druck nicht mehr widerstehen. Gerade als La Roque das Schaltbrett erreichte, hüllte ihn eine Welle siedendheißen Dampfes ein. Im Suchschiff richtete sich der Mann auf, der an den Beobachtungsgeräten saß. „Das war es wohl. Jetzt ist er erledigt. Ich frage mich nur, was er so nahe bei den beiden Sonnen gemacht hat.“ „Vielleicht wollte er sich verstecken“, meinte der Zweite Pilot. „Und vielleicht glaubte er, die Sonnen würden die meisten seiner Wellen und Strahlen schlucken. Aber ich verstehe nicht, wie er annehmen konnte, er könne dort für längere Zeit bleiben.“ „Ich weiß, was ich an seiner Stelle getan hätte. Ich hätte das Schiff in die Trojanische Position gebracht und abgewartet. Dort hätte er unbegrenzt lange bleiben können. Ich wundere mich, daß er das nicht versucht hat.“ „Vielleicht hat er es versucht“, sagte ein Navigator, der bisher geschwiegen hatte. „Wenn ein so kluger Mann wie Sie das geschafft hätte, so kann man doch von so einem Burschen nicht das gleiche erwarten. Haben Sie schon jemals einen Planeten im Trojanischen Punkt irgendwelcher Doppelsonnen gesehen? Ich wette, nein. Die Trojanische Lösung funktioniert ausgezeichnet im Fall von der Sonne und Jupiter. Sie würde auch bei der Erde und beim Mond funktionieren, da die Erde achtzigmal mehr Masse hat als der Mond. Aber ich kenne kein Zweiersystem, in dem die Klasseverhältnisse ähnlich gelagert sind. Der Unterschied müßte mindestens fünfundzwanzig zu eins betragen. Wenn er geringer ist, läßt sich die Trojanische Lösung nicht durchführen. Fragen Sie mich nicht, warum. Den mathematischen Grund kann ich Ihnen nicht erklären. Aber ich weiß, daß es stimmt. Die Stabilitätsfunktion bricht mit überraschender Schärfe, wenn das Verhältnis fünfundzwanzig zu eins nur um weniges unterschritten wird. Unser entflohener Freund wußte das nicht, genauso wenig wie Sie, und parkte sein Schiff direkt in der Bahn der sich schnell bewegenden Sonne.“ Er zuckte mit den Schultern und wandte sich ab. „Leben und lernen, sagt man. Aber die Schwierigkeit liegt wohl darin, wie man überlebt, während man lernt.“ |
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