"Milliarden Jahre vor dem Weltuntergang" - читать интересную книгу автора (Strugazki Arkadi, Strugazki Boris)Zweites Kapitel3. …und sie vertauschte ihren Minisarafan gegen ein Miniröckchen und ein Mini-blüschen. Man muss schon sagen — sie war ziemlich sexy. Von BHs schien sie nichts zu halten. Was sollte sie auch damit, sie kam ganz gut ohne aus. Jedenfalls hatte Maljanow den Eindruck. An die „M-Kavernen“ dachte er nicht mehr. Übrigens: Alles blieb im Rahmen des Anstandes, wie bei der Hautevolee. Man saß da, plauderte, trank Tee, schwitzte. Sie nannte ihn bereits Dimotschka und er sie Lidotschka. Nach dem dritten Glas erzählte Dimotschka — natürlich ganz beiläufig — den Witz von den beiden Hähnen, und Lidotschka musste schrecklich lachen und schwenkte genant ihr nacktes Ärmchen. Ihm fiel zwar ein, daß er Waingarten anrufen musste (die Hähne erinnerten ihn daran), doch ans Telefon ging er nicht. Statt dessen sagte er zu Lidotschka: „Wie schön braun Sie sind!“ „Und Sie sind bleich wie ein Engerling!“ sagte Lidotschka. „Ach ja, die Arbeit!“ „Bei uns im Pionierlager…“ Und Lidotschka berichtete ausführlich, doch sehr nett, wie es bei ihnen im Pionierlager mit dem Braun werden bestellt war. Woraufhin Maljanow erzählte, wie man auf der Großen Antenne braun wird. Auf der Großen Antenne? Was ist das? Ach so, ja! Mit Vergnügen erklärte er es ihr. Sie streckte ihre langen braunen Beine aus und legte sie gekreuzt auf Bobkas Stühlchen — die seidenglatte Haut glänzte. Maljanow hatte sogar den Eindruck, daß sich auf ihren Beinen etwas spiegelte. Um sich abzulenken, stand er auf und nahm den kochenden Teekessel von der Flamme. Am Dampf verbrühte er sich die Finger, und bei der Gelegenheit fiel ihm ein gewisser Mönch ein, der einen bestimmten Körperteil entweder ins Feuer oder in heißes Wasser gesteckt hatte, um dem Bösen zu entrinnen, das der Gegenwart einer schönen Frau entsprang — na, der hatte vielleicht Humor! „Möchten Sie noch ein Gläschen?“ fragte er Lidotschka. Sie antwortete nicht, und er wandte sich um. Sie starrte ihn aus weit aufgerissenen, hellen Augen an, und der Ausdruck ihres von Sonnenbräune schimmernden Gesichts entsprach so gar nicht der Situation: Sie wirkte verstört, ja, entsetzt, und ihr Mund war hilflos geöffnet. „Soll ich?“ fragte Maljanow verunsichert und schwenkte den Teekessel. Lidotschka zuckte zusammen, blinzelte heftig und strich sich mit den Fingern über die Stirn. „Was ist?“ „Ich fragte: Soll ich Ihnen noch Tee eingießen?“ „Nein, nicht. Schönen Dank…“Sie lachte, als sei nichts geschehen. „Sonst platze ich noch. Ich muss auf die Figur achten.“ „O ja!“ sagte Maljanow überaus galant. „Auf solche Figur muss man wirklich achten. Man sollte sie vielleicht sogar versichern.“ Sie lächelte leichthin, wandte den Kopf und blickte über die Schulter auf den Hof hinaus. Ihr Hals war schlank, glatt, allenfalls ein wenig hager. Und wieder hatte Maljanow einen Eindruck: daß ihr Hals für Küsse geschaffen war und die Schultern ebenfalls. Von dem übrigen ganz zu schweigen. Diese Circe, dachte er und setzte gleich hinzu: Damit es klar ist: Ich liebe meine Irka und bleibe ihr immer treu. . „Sonderbar“, sagte die Circe. „Mir ist, als hätte ich das alles schon mal wo gesehen: diese Küche, diesen Hof… Nur war auf dem Hof ein großer Baum… Passiert Ihnen so was auch?“ „Gewiss“, reagierte Maljanow erfreut. „Meiner Meinung nach passiert das jedem. Ich hab mal wo gelesen: So was nennt man Bekanntheitstäu-schung.“ „ja, möglich“, sagte sie, nicht sehr überzeugt. Maljanow nippte von dem heißen Tee, bemüht, nicht zu schlürfen. Ihr zwangloses Geplauder war ins Stocken geraten, fuhr sich immer mehr fest. „Haben wir uns nicht schon mal gesehen?“ fragte sie unvermittelt. „Wo? An Sie würde ich mich bestimmt erinnern…“ „Na zufällig vielleicht… Auf der Straße… Beim Tanzen…“ „Beim Tanzen? Nie im Leben“, widersprach Maljanow. „Ich weiß ja kaum noch, wie man das macht…“ Da war es endgültig aus, sie schwiegen so lange, daß Maljanow vor Verlegenheit die Zehen krümmte. Es war eine von diesen widerwärtigen Situationen, in denen man nicht weiß, wo man seine Augen lassen soll, während im Kopf wie Steine in einem Fass völlig ungeeignete und einfallslose Anknüpfungspunkte für neue Gesprächsthemen herumkollern. Etwa von der Art: „Unser Kaljam geht auf den Lokus…“ Oder: „Dies Jahr gibt es überhaupt keine Tomaten…“ Oder: „Möchten Sie noch Tee?“ Oder gar: „Na, wie gefällt Ihnen unsere denkwürdige Stadt?“ Mit unerträglich falscher Stimme erkundigte sich Maljanow: „Na, und was für Pläne haben Sie in unserer denkwürdigen Stadt, Lidotschka?“ Sie gab keine Antwort. Sie starrte ihn nur aus runden Augen an, höchst verwundert, wie es schien. Dann sah sie zur Seite, legte die Stirn in Falten. Biss sich auf die Unterlippe. Maljanow hatte sich noch nie für einen guten Psychologen gehalten und wurde aus den Gefühlen seiner Mitmenschen selten schlau. Aber diesmal erkannte er messerscharf, daß seine harmlose Frage das reizende Wesen entschieden überforderte. „Pläne?“ hauchte Lidotschka. „Ja-a… Natürlich… Aber gewiss doch.“ Plötzlich schien sie sich zu erinnern. „Na die Eremitage natürlich… Die Impressionisten… Der Newski… Und überhaupt: Die weißen Nächte, die hab ich auch noch nie er lebt.“ „Also ein kleines Touristenprogramm“, sagte er rasch, um ihr zu helfen. Er mochte es nicht mit ansehen, wenn jemand zu lügen genötigt war. „Trinken Sie doch noch etwas Tee“, bat er. Und wieder lachte sie, als sei nichts passiert. „Dimotschka“, sagte sie und machte ein ganz liebes Schmollmündchen. „Was quälen Sie mich dauernd mit Ihrem Tee? Wenn Sie es genau wissen wollen: Sonst trink ich diesen Ihren Tee überhaupt nie… Und schon gar nicht bei so einer Hitze!“ „Kaffee?“ fragte Maljanow zuvorkommend. Aber Kaffee wollte sie erst recht nicht. Wenn es so heiß ist und dazu noch am Abend, soll man keinen Kaffee trinken. Maljanow erzählte ihr, wie er sich auf Kuba nur mit Kaffee über die Runden gerettet hatte, und dort herrscht doch tropische Hitze. Er sprach zu ihr über die Wirkung des Koffeins auf das vegetative Nervensystem und irgendwie kam er darauf, daß es auf Kuba als schick gilt, wenn unter dem Miniröckchen der Slip hervorguckt, und manch mal… 4. …dann schenkte er noch mal die Römer voll. Sie kamen auf die Idee, Brüderschaft zu trinken. Ohne Kuss. Intelligente Leute brauchen sich nicht zu küssen! Da geht es mehr um Seelenharmonie. Sie tranken Brüderschaft, redeten über Seelenharmonie, neue Methoden der Geburtshilfe und den Unterschied zwischen Mut, Tapferkeit und Kühnheit. Der Riesling war alle. Maljanow stellte die leere Flasche auf den Balkon und holte aus der Bar den Cabernet. Den Cabernet beschlossen sie aus, Irkas Lieblings gläsern, den Rauchglaspokalen, zu trinken, die sie zuvor mit Eis füllten. Zu dem Gespräch über Weiblichkeit, das aus dem Gespräch über Mannes mut erwuchs, passte eisgekühlter Rotwein besonders gut. Was für Esel wohl ausgedacht haben, daß man Rotwein nicht kühlen darf? Die Frage wurde erörtert. Eisgekühlt schmeckt er doch grade — oder nicht? Natürlich — und wie! Übrigens werden Frauen, die eisgekühlten Rotwein trinken, besonders hübsch. Irgendwo sehen sie wie Hexen aus. Wo denn? Na eben irgendwo. Ein schönes Wort — „irgendwo“. Irgendwo sind Sie ein Schwein. Göttlich, dieser Ausdruck. Aber zurück zu den Hexen… Was meinst du — was ist die Ehe? Eine wahre Ehe. Eine intellektuelle Ehe. Ein Vertrag ist das. Maljanow goss nach und führte den Gedanken aus. In der Richtung, daß Mann und Frau vor allem Freunde sind, denen nichts über die Freundschaft geht. Ehrlichkeit und Freundschaft. Ehe ist Freundschaft. Ein Freundschaftsvertrag, verstehst du?… Dabei hielt er die Hand auf Lidotschkas Knie und schüttelte es — zur Bekräftigung. Nimm doch bloß Irka und mich. Du kennst Irka. . Es klingelte an der Tür. „Wer kommt denn da noch?“ staunte Maljanow mit einem Blick auf die Uhr. „Wir sind doch alle beisammen!“ Es war schon fast zehn. „Ja, ja, wir haben sie noch alle beisammen“, brabbelte er, während er aufmachen ging. Im Flur trat er wieder mal auf Kaljam — natürlich! Der schrie. „Pfui — heb dich fort, Satan!“ sagte Maljanow zu ihm und öffnete die Tür. Es war der Nachbar, der ihn beehrte. Der supergeheime Snegowoi, Arnold Palytsch. „Darf ich noch — so spät?“ tönte sein Bass von der Decke. Der Mann war ein Riese, massig wie ein Berg. Der grauhäuptige Elbrus. „Arnold Palytsch!“ rief Maljanow emphatisch. „Spät — das gibt es doch für Freunde nicht! Bitt-tte sehr, bitte!“ Die Emphase bremste Snegowoi, doch Maljanow packte ihn am Ärmel und zog ihn in den Flur. „Sie kommen wie gerufen“, sagte er, den Nachbarn hinter sich her zerrend. „Ich stell Ihnen eine schöne Frau vor!“ versprach er und bugsierte Snegowoi in die Küche. „Lidotschka, das ist Arnold Palytsch!“ verkündete er. „Gleich hol ich noch ein Glas… Und ein Fläschchen.“ Offen gesagt, flimmerte es ihm bereits ein wenig vor den Augen und noch offener gesagt: nicht nur ein wenig, sondern mächtig. Er hätte aufhören sollen zu trinken, er kannte sich. Aber er wünschte sehr, daß alles nett und herzlich verlief und sich jeder wohl fühlte. Ich will, daß sie einander gefallen, dachte er gerührt, an der geöffneten Hausbar hin und her torkelnd und in die gelbe Dämmerung stierend. Dem kann es doch schnurz sein, der ist frei und ledig. Ich hab ja Irka!… Er drohte mit dem Finger ins Leere und beugte sich zur Bar hinunter. Gott sei Dank zerschlug er nichts. Doch als er mit einer Flasche Stierblut und einem sauberen Glas ankam, missfiel ihm die Stimmung in der Küche. Beide schwiegen und rauchten, ohne sich eines Blik-kes zu würdigen. Und ihre Gesichter erschienen Maljanow irgendwie dämonisch: das strahlend schöne, dämonische Gesicht Lidotschkas und das harte, dämonische Gesicht Snegowos, vom Grind alter Brandnarben entstellt. „Warum sind der Freunde Stimmen verstummt?“ rief Maljanow forsch. „Alles ist eitel auf dieser Welt. Köstlich ist nur der Genus des menschlichen Um gangs!… Ich weiß nicht mehr, wer das gesagt hat.“ Er machte die Flasche auf. „So lasst uns diesen Umgang kosten… äh… pflegen.“ Der Wein ergoss sich in Strömen, auch auf den Tisch. Snegowoi sprang auf, um seine weißen Hosen zu retten. Nein, er ist wirklich abnorm groß! In unserer raumsparenden Zeit darf es solche Leute nicht geben, dachte Maljanow. Notdürftig wischte er den Tisch ab, und Snegowoi setzte sich wieder auf den Hocker. Der Hocker knackte. Vorläufig beschränkte sich der ganze Genus des menschlichen Umgangs auf unartikulierte Ausrufe. O diese leidige intellektuelle Verklemmtheit! Zwei so prächtige Menschen und bringen es nicht fertig, gleich, ohne Umstände einander ihre Seelen zu öffnen, den andern ins Herz zu schließen, Freunde auf den ersten Blick zu werden. Maljanow erhob sich und entwickelte das Thema des langen und breiten, wobei er das Glas in Ohrenhöhe hielt. Vergebens. Sie leerten die Pokale. Wieder nichts. Lidotschka blickte gelangweilt aus dem Fenster. Snegowoi saß steif da und drehte das leere Glas zwischen seinen braunen Pranken auf dem Tisch. Zum erstenmal sah Maljanow, daß auch seine Arme Brandspuren aufwiesen — bis zum Ellbogen und sogar höher. Das inspirierte ihn zu der Frage: „Na, Arnold Palytsch, wann verschwinden Sie wieder?“ Snegowoi fuhr merklich zusammen, blickte ihn an, zog dann den Kopf ein und machte einen Buckel. Maljanow schien sogar, er wolle aufstehen, und da erst ging ihm auf, daß seine Frage, gelinde gesagt, zweideutig geklungen hatte. „Arnold Palytsch!“ rief er entsetzt und hob beschwörend die Hände. „Mein Gott, ich hab es doch nicht so gemeint! Lidotschka! Du musst wissen: Vor dir sitzt ein durch und durch geheimnisvoller Mann. Von Zeit zu Zeit verschwindet er einfach. Er kommt, bringt den Wohnungsschlüssel — und weg ist er, wie vom Erdboden verschlungen! Einen Monat, zwei bleibt er verschwunden. Plötzlich klingelt es — und er steht wieder da…“Maljanow merkte, daß er sich verplappert hatte, daß er zuviel redete, daß er von diesem Thema weg musste. „Und überhaupt, Arnold Palytsch, Sie wissen doch sehr gut, daß ich Sie echt mag und mich immer über Ihren Besuch freue. So daß Sie frühestens erst in zwei Stunden verschwinden dürfen.“ „Aber natürlich, Dmitri Alexejewitsch“, ließ Snegowoi seinen Brummbass vernehmen und tät schelte Maljanow die Schulter. „Gewiss doch, mein Lieber, gewiss…“ „Und das ist Lidotschka!“ sagte Maljanow und stieß mit dem Finger in Lidotschkas Richtung. „Die beste Schulfreundin meiner Frau. Aus Odessa.“ Mit sichtlicher Überwindung wandte sich Snegowoi der jungen Dame zu und fragte: „Bleiben Sie lange in Leningrad?“ Ihre Antwort fiel ziemlich wohlwollend aus, und wieder fragte er etwas, anscheinend über die weißen Nächte. Kurzum, so kamen die beiden doch noch in den köstlichen Genus des menschlichen Umgangs, und Maljanow konnte Atem holen. Ne-e, liebe Leute, trinken darf ich nicht. So eine Blamage! Ich Schwabbelfritze, ich blöder! Ohne auch nur ein Wort mitzubekommen, starrte er in das schreckliche, vom Höllenfeuer zerfressene Gesicht Snegowois und rang mit Gewissensqualen. Als die Qualen überhand nahmen, stand er leise auf, tastete sich an der Wand entlang ins Badezimmer und schloss sich ein. Eine Weile saß er, von Verzweiflung umdüstert, auf dem Wannenrand, dann drehte er voll den Kaltwasserhahn auf und hielt stöhnend den Nacken drunter. Als er erfrischt und mit nassem Kragen zu den beiden zurückkehrte, rang sich Snegowoi gerade den Witz von den zwei Hähnen ab. Lidotschka lachte schallend, mit zurückgeworfenem Kopf, und stellte ihr Kusshälschen zur Schau. Maljanow quittierte es mit einer gewissen Genugtuung, obwohl er Leute, die Höflichkeit zur Kunst erheben, im Grunde nicht mochte. Aber der Genus menschlichen Umgangs fordert, wie jeder Genus, seinen Tribut. Er wartete ab, bis Lidotschka zu Ende gelacht hatte, ergriff das fallende Panier und ließ eine Serie Astronomenwitze vom Stapel, die keiner der Anwesenden kennen konnte. Als sein Pulver verschossen war, erheiterte Lidotschka die Gesellschaft mit Strandwitzen. Offen gesagt, waren die Witze ziemlich fad, und Lidotschka verstand auch gar nicht, sie zu erzählen, aber dafür verstand sie zu lachen, und ihre Zähnchen waren weiß wie Zucker. Dann kamen sie aufs Weissagen zu sprechen. Lidotschka tat kund, eine Zigeunerin hätte ihr drei Männer und Kinderlosigkeit prophezeit. „Was wären wir ohne die Zigeunerinnen?“ brummelte Maljanow und prahlte, ihm hätte eine Zigeunerin eine große Entdeckung vorausgesagt, und zwar beträfe sie die Wechselwirkung der Sterne und der diffusen Materie in der Galaxis. Wieder nahmen sie einen Schluck von dem eisgekühlten Stierblut, und plötzlich gab Snegowoi eine seltsame Geschichte zum besten. Ihm war einmal prophezeit worden, er werde mit dreiundachtzig in Grönland sterben. ( „In der Grönländischen Sozialistischen Republik“, witzelte Mal-janow, aber Snegowoi widersprach ungerührt: „Nein, in Grönland.“) An diese Prophezeiung glaubte er fest, und das fuchste alle. Einmal, noch im Krieg, allerdings nicht an der Front, war einer seiner Bekannten — natürlich unter Strom, oder wie man damals sagte, voll wie ‘ne Strandhaubitze — so in Wut geraten, daß er die Pistole gezogen, Snegowoi an die Schläfe gesetzt und mit den Worten „Na, dann probieren wir’s mal!“ abgedrückt hatte… „Und?“ fragte Lidotschka. „… der Schuss war tödlich“, witzelte Maljanow. „Ein Versager“, erklärte Snegowoi. „Sie haben ja komische Bekannte“, meinte Lido-tschka befremdet. Das traf ins Schwarze. An sich erzählte Arnold Palytsch selten von sich, aber wenn, dann mit Pfiff. Und nach seinen Geschichten zu schließen, waren seine Bekannten tatsächlich mehr als komisch. Eine Zeitlang stritten sich Maljanow und Lidotschka mit Feuereifer darüber, wie Arnold Palytsch nach Grönland geraten könnte. Maljanow war für eine Flugzeugkatastrophe, Lidotschka bestand auf einer gewöhnlichen Touristenreise. Arnold Palytsch selber griente mit seinem lila Mund, schwieg sich aus und steckte eine Zigarette an der anderen an. Dann besann sich Maljanow auf seine Hausherrnpflichten und machte wieder Anstalten, die Gläser zu füllen, musste jedoch feststellen, daß auch diese Flasche bereits leer war. Als er Nachschub holen wollte, hielt ihn Arnold Palytsch zurück. Er müsse jetzt gehen, er sei doch bloß auf einen Sprung gekommen. Lidotschka hingegen war fürs Weiter feiern. Überhaupt wirkte sie noch stocknüchtern, nur ihre Wangen hatten sich leicht gerötet. „Nein, Freunde“, sagte Snegowoi. „Für mich ist es Zeit.“ Schwerfällig stand er auf, wieder die ganze Küche ausfüllend. „Begleiten Sie mich, Dmitri Alexejewitsch… Gute Nacht, Lidotschka. Es war mir ein Vergnügen.“ Noch im Flur suchte Maljanow, ihn zum Bleiben zu überreden: bloß auf ein Gläschen. Aber Snegowoi schüttelte nur seine graue Mähne und brummte ab lehnend. In der Tür sagte er plötzlich laut: „Ach so, Dmitri Alexejewitsch! Ich hab Ihnen doch ein Buch versprochen. Kommen Sie mit, ich geb’s Ihnen gleich.“ Wieso, was für ein Buch? wollte Maljanow fragen, aber da legte Snegowoi seinen dicken Finger an die Lippen und zog ihn über den Treppenflur zu seiner Wohnung. Maljanow war von diesem dicken Finger derart beeindruckt, daß er dem Nachbarn wie ein Lamm folgte. Schweigend, ohne Maljanows Ellbogen freizugeben, ertastete Snegowoi in der Tasche den Schlüssel und öffnete die Tür. Die ganze Wohnung war hell erleuchtet — im Flur, in den beiden Zimmern, in der Küche, ja sogar im Bad brannte Licht. Es roch nach abgestandenem Zigarettenrauch und starkem Eau de Cologne, und plötzlich ging Maljanow auf, daß er in den fünf Jahren ihrer Bekanntschaft noch nie hier gewesen war. Das Zimmer, wohin ihn Snego-woi führte, war sauber und aufgeräumt. Alle Lampen brannten: der Kronleuchter, die Stehlampe und sogar die kleine Tischlampe. Über der Stuhllehne hing ein Uniformrock mit den silbernen Schulterstücken eines Obersts, einer ganzen Kollektion von Ordensspangen und einer Medaille. Unser Arnold Palytsch ist also Oberst… Hm-hm-hmm „Was für ein Buch?“ fragte Maljanow schließlich. „Egal welches“, sagte Snegowoi ungeduldig. „Nehmen Sie das da, und behalten Sie es in der Hand, damit Sie es nachher nicht vergessen. Und setzen wir uns einen Moment.“ Völlig verdattert nahm Maljanow einen dicken Wälzer vom Tisch, klemmte ihn unter den Arm und ließ sich auf der Couch an der Stehlampe nieder. Arnold Palytsch setzte sich neben ihn und steckte sich hastig eine Zigarette an. Maljanow blickte er nicht an. „So also“, tönte sein Bass. „Also so… Zunächst einmal: Wer ist die Frau?“ „Lidotschka? Ich sagte Ihnen doch: eine Freundin meiner Frau. Wieso?“ „Kennen Sie sie gut?“ „N-nein… Erst seit heute. Sie kam mit einem Brief…“ Maljanow stockte, der Schreck fuhr ihm in die Glieder. „Glauben Sie etwa, sie ist…“ Snegowoi unterbrach ihn. „Die Fragen stelle ich. Wir haben keine Zeit. Woran arbeiten Sie jetzt, Dmitri Alexejewitsch?“ Sofort fiel Maljanow Waingarten ein, und wieder überlief es ihn kalt. Mit schiefem Lächeln sagte er: „Komischerweise wollen heute alle wissen, woran ich arbeite.“ „Wer noch?“ fragte Snegowoi hastig, ihn mit seinen kleinen blauen Äuglein durchbohrend. „Lidotschka?“ Maljanow schüttelte den Kopf. „Nein, Waingarten, ein Freund von mir.“ „Waingarten…“ Snegowoi runzelte die Brauen. „Waingarten…“ „Nein, nein!“ sagte Maljanow. „Den kenn ich gut, noch von der Schulbank her.“ „Der Name Gubar — sagt Ihnen der was?“ „Gubar? Nie gehört… Was ist passiert, Arnold Palytsch?“ Snegowoi zerquetschte den Stummel im Aschen becher und steckte sich eine neue Zigarette an. „Wer hat noch nach Ihrer Arbeit gefragt?“ „Weiter keiner.“ „Woran arbeiten Sie also?“ Plötzlich wurde Maljanow wütend. Er wurde immer wütend, wenn er Angst bekam. „Hören Sie mal, Arnold Palytsch“, sagte er. „Ich versteh das alles nicht!“ „Ich auch nicht!“ sagte Snegowoi. „Möchte es aber gern. Erzählen Sie! Moment mal — oder ist das intern?“ „Quatsch — intern!“ erwiderte Maljanow gereizt. „Gewöhnliche Astrophysik und Sternendynamik. Wechselwirkung der Sterne und der diffusen Materie. Intern ist da nichts, ich lieb es einfach nicht, über meine Arbeit zu reden, bevor sie beendet ist.“ „Sterne und diffuse Materie…“, wiederholte Snegowoi gedehnt und zuckte die Achseln. „Hie das Landgut, dort das Wasser… Und nicht intern? In keinem Teil?“ „Nicht die Spur!“ „Und Gubar kennen Sie wirklich nicht?“ „Nein.“ Schweigend saß Snegowoi neben ihm und rauchte — riesenhaft, geduckt wie ein Bär, unheimlich. Dann sagte er: „Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Mehr wollte ich von Ihnen nicht, Dmitri Alexejewitsch. Seien Sie mir um Gottes willen nicht böse.“ „Nein. Aber ich will noch was von Ihnen— nämlich erfahren…“ „Ich hab kein Recht dazu“, schnitt ihm Snegowoi das Wort ab. Natürlich — so leicht hätte sich Maljanow nie abspeisen lassen. Doch da entdeckte er etwas, was ihm sofort den Mund verschloss. Die linke Tasche von Snegowos gigantischem Hausanzug stand ab und darin glänzte ganz deutlich und unmißverständlich der Griff einer Pistole. Es war eine schwere Pistole. Wie ein Gangstercolt im Film. Und beim Anblick dieses Colts verging Maljanow augenblicklich jede Lust, noch was zu fragen. Mit einem Schlag war ihm klar, daß er hier nichts zu melden hatte. Da erhob sich Snegowoi und sagte: „Jetzt folgendes, Dmitri Alexejewitsch. Morgen will ich wieder verreisen…“ |
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